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Die bischöfliche Kommission.

Archiv des Bistums Straßburg.

Es vergingen mehrere Jahre, bis die bischöfliche Behörde sich über den Fall der beiden Kinder aussprach. Bischof Raess selber verhielt sich sehr skeptisch und ließ sich erst durch den Bericht der von ihm ernannten Kommission von der Tatsache der Besessenheit überzeugen. Es war hauptsächlich auf die Veranlassung des Kantonalpfarrers von Altkirch, Chanoine Lemaire, daß der Bischof am 9. April 1869 eine kanonische Untersuchung des Falles anordnete.

Am 13. April begaben sich die drei ernannten Kommissionsmitglieder, Chanoine Stumpf, Superior des Großen Seminars von Straßburg, Apollinarius Freyburger, Kantonalpfarrer von Ensisheim und Nicolaus Sester, Stadtpfarrer von Mühlhausen, nach Illfurt, um das Nötige zu veranlassen. In Abwesenheit des Herrn Pfarrers führte sie der Bürgermeister durch eine Hintertüre in das Haus Burner, um von den beiden Knaben nicht bemerkt zu werden. Sie fanden daselbst nur die Mutter mit Theobald, der am Tische sitzend, gerade damit beschäftigt war, eine Baumwollspule abzuwickeln. Sein jüngerer, Bruder war verschwunden: »Wo mag nur Joseph stecken,« meinte die Mutter, »soeben war er noch hier. Ist er etwa wieder aus dem Fenster gesprungen?«

Nach kurzem Suchen wurde der Flüchtling entdeckt. Er hatte sich in der Nebenkammer unter dem Bette versteckt und konnte nur mit Gewalt hervorgezogen werden. Verzweifelt wehrte er sich und verbarg sein Gesicht mit den Händen wohl 10 Minuten lang. Herr Tresch hielt Wache, daß er nimmer Reißaus nehmen konnte.

Unterdessen bleibt Theobald ganz in seine Arbeit versunken. Er macht auf die Besucher einen guten Eindruck. Seine Ruhe und Bescheidenheit, sein offener Blick, sein harmloses Wesen, gepaart mit einer gewissen Traurigkeit und Mattigkeit, fallen ihnen angenehm auf. Joseph dagegen hat die Physionomie eines ausgesprochenen Taugenichts, ohne allen Ernst, den Blick zu Boden gerichtet, stets bereit zu dummen Streichen, hinterlistig, boshaft und faul. Denn widerspenstigen Sinn bezähmen weder gute Worte noch Schläge.

Herr Superior Stumpf bietet ihm zuerst eine geweihte Medaille an. Entsetzt fährt er zurück bis zur Mauer. Da er nicht mehr weiter ausweichen kann, schlägt er ihm die Medaille mit der Faust aus der Hand und macht sogar Miene, sich mit Fußtritten zu wehren. Darauf hebt der Bürgermeister die Medaille vom Boden auf und will sie ihm zu küssen geben. Da versetzt ihm der Junge mit heftiger Wut etliche wuchtige Hiebe und erntet andere dafür ein. Dabei schneidet er widerliche Grimassen und windet sich wie von einer Tarantel gestochen.

Bei dieser Szene verhält sich Theobald ganz teilnahmslos. Kaum daß er einmal einen flüchtigen Blick auf seinen Bruder wirft. Herr Stumpf bietet auch ihm die Medaille an. Und siehe, der Knabe schiebt die Spulen zurück und rückt entsetzt von ihm ab. Sein Angesicht wird feuerrot. Als er bemerkt, daß man ihn nicht weiter belästigen will, beruhigt er sich, rafft die Spulen zusammen, legt sie in eine Lade und setzt sich bescheiden hinter den Tisch.

Als jedoch die Herren Freyburger und Sester sich neben ihn setzen, wird er verwirrt und rückt von ihnen ab bis zur Mauer. Er beruhigt sich erst, als er sieht, daß man nicht weiter in ihn drängen will. Er hebt dann Papierschnitzel vom Boden auf. Sein Gesicht behält jedoch den Ausdruck der Sorge und der Angst vor einem neuen Angriff. Dieser läßt nicht lange auf sich warten; denn Herr Tresch besprengt seine Hände mit Weihwasser, was Theobald veranlaßt, sein Heil in der schleunigsten Flucht zu suchen. Wie er aber sieht, daß eine weitere Flucht unmöglich ist, läßt er sich fallen, um sich unter dem Tische zu verstecken. Alsbald zieht ihn Herr Tresch hervor und setzt ihn auf eine Bank neben Herrn Superior Stumpf, gegenüber der beiden anderen Herren. Theobald rückt nun an das andere Ende der Bank, äußerlich ruhig und mit gesenkten Augen. Diese Bank befindet sich am Fußende des Bettes, welches mit einem ärmlichen, baumwollenen Vorhang von blauer Farbe bedeckt ist.

Von dem Knaben unbemerkt, besprengt hierauf Herr Sester den Vorhang von innen mit Weihwasser. Theobald seufzt auf wie unter der Last eines Ungeheuern geheimnisvollen Schmerzes. Herr Stumpf bietet ihm seinerseits ein Bildchen aus seinem Breviere an, wird aber mit Heftigkeit abgewiesen. Daraufhin hält der Bürgermeister den Jungen fest, während der Superior ihm das Bildchen auf den Kopf legt. Vergebliche Mühe. Der Besessene schüttelt den Kopf solange, bis das Bildchen am Boden liegt.

Alle diese Prüfungen ermüden ihn sehr. Mit beiden Armen wischt er sich den Schweiß vom Angesichte; er kann nur mit Mühe Atem bekommen. Der kleine Bruder war unterdessen aus dem Fenster gesprungen und spielte vor dem Hause mit andern Kindern.

Die Untersuchung hatte den ganzen Morgen gedauert und hatte die Kommission von der wahren Natur dieser absonderlichen Krankheit überzeugt. An demselben Abend, als die Herren abgereist waren, begab sich Herr Tresch nochmals nach dem Burner'schen Hause und fragte Theobald: »Na, kennst du die Herren, die dich heute besucht haben?« – »Was, du nennst sie Herren? Ich bin ein größerer Herr als diese da.« – »Woher sind Sie?« – »Der eine ist nicht weit von hier, nur von Mülhausen.« – »Welcher?« – »Der, welcher öfters hinausging. Er glaubt nicht recht daran aber die zwei andern sind desto mehr davon überzeugt.« – »Wo ist der andere her, welcher dir das Bild angeboten hat?« – »Von Straßburg. Dieser macht mir am meisten Schaden. Der Mann mit der großen Kappe hat ihn geschickt.« – »Und der dritte?« – »Der ist von Enisheim. Aber ich will sie schon davon abbringen und ungläubig machen.«

Dabei ist zu bemerken, daß der Kleine vollständig taub war und seine Eltern auf keine Weise wissen konnten, woher und zu welchem Zwecke die Besucher gekommen waren.

Nach der Protokollaufnahme, laut Aussagen der Zeugen und auf Grund eigener Beobachtung, reichte die Kommission ihren Bericht der bischöflichen Behörde ein, damit das weitere veranlaßt würde. Herr Superior Stumpf schlug vor, die Knaben nach Straßburg in eine klösterliche Anstalt zu bringen, um mit ihnen die Exorzismen vorzunehmen, und Herr Superior Spitz bot dazu die Waisenanstalt Saint-Charles bei Schiltigheim an, welche dem Allerheiligenkloster gehörte. Auf den Wunsch des Herrn Generalvikars Marula wurde vorerst nur der älteste Knabe nach der Anstalt überführt, wo er fünf Wochen lang bis zum Tage seiner Befreiung in der Pflege der Schwestern verblieb.

Schon vorher einmal sollte eine Untersuchung gemacht werden, aber besonderer Umstände halber kam sie nicht zustande. Der Satan hatte auch dies vorausgesagt. In Gegenwart der Herren Spies und Martinot fragte einmal Herr Tresch den älteren Knaben, als die Krisis wieder eingetreten war: »Sprich, wo bist du heute gewesen?« – »O, ich habe meine Zeit nicht verloren,« erwiderte der Satan, »ich war heute in Straßburg.« – »Was hast du da gemacht?« – »Ich habe fünf Pfaffen betrogen.« – »Wieso?« – »Ei, ich habe eine Sutane angezogen, und so ist es mir gelungen, sie hinters Licht zu führen.« Die Herren erfuhren nachträglich, daß tatsächlich eine von der geistlichen Behörde angeordnete Untersuchung hätte stattfinden sollen, und daß dieser Auftrag einem Geistlichen gegeben worden war, dem die Sache gar nicht paßte. Er kam zwar nach Illfurt, sah aber weder die Kinder, noch deren Eltern und übertrat nicht einmal die Schwelle des Burner'schen Hauses. Die Untersuchung fiel natürlich ins Wasser, und die Sache des Teufels wurde dadurch mächtig gefördert.


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