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Satan und die Muttergottes.

Bericht des Herrn Professors Lachemann.

Während der Teufel alles Heilige, selbst unseren Herrgott nicht ausgenommen, mit Schimpf- und Spottnamen betitelte, wagte er es nie, die Gottesmutter zu beschimpfen. Als man ihn nach dem Grunde fragte, antwortete er: »Ich darf nicht, der »Païas am Hölzle« hat mir's verboten.« Immer nannte er sie nur: »Die große Dame.«

Als Theobald einmal ruhig war, gab man ihm eine Muttergottestafel, mit der er spielte. Plötzlich kam die Krisis. Er warf die Tafel mit Gewalt zu Boden, daß sie zerschmetterte. Der anwesende Professor Lachemann, von den Frères de Marie von St. Pilt, fragte ihn lateinisch, während die andern ihn zur Ruhe zwangen: Quid sentis de Immaculata Conceptione Beatæ Mariæ Virginis, quæ contrivit caput tuum? (Was hältst du von der Unbefleckten Empfängnis Mariä, die dir den Kopf zertreten hat?) Wütend schrie er: »Pack dich fort, pack dich fort, mit deiner großen Dame, ich will nichts von ihr wissen.«

Darauf fing er an, so gräßlich zu fluchen und zu lästern, daß die Krankenschwester, die ebenfalls anwesend war, voll Schrecken und Entsetzen Weihwasser nahm und ihm Stirn, Mund und Brust im Namen der heiligen Dreifaltigkeit mit drei Kreuzen bezeichnete, worauf der Kranke sich vollständig beruhigte.

Es wurde bereits bemerkt, daß auf Veranlassung des Herrn Pfarrers Brey zwei Niederbronner Schwestern, Schwester Severa und Schwester Methula, die beiden Knaben beständig bewachten und pflegten. Es war eine überaus harte Arbeit, und die guten Schwestern mußten manches hören und manches erleben.

Eines Tages fragte Professor Lachemann den Aeltesten: »Sprich, was hältst du von den Kongregationen und speziell von den Frères de Marie?«

Der Kleine antwortete nicht. Darauf fragte er ihn abermals auf deutsch:

»Wo befindet sich das Bild der Mutter Gottes in der Kapelle des St. Pilter Kollegiums?

Wiederum schwieg der Kleine. Als der Professor ein drittes Mal fragte, antwortete er zornig:

»Du, du hältst es immer mit den Pfaffen. Du plärrst (betest) immer im Schweinestall auf der linken Seite.«

Die Anwesenden fragten darauf Herrn Lachemann, was der Kleine damit meine. Der Gefragte erklärte ihnen darauf, daß die Angaben des Besessenen genau stimmten. Denn in der Kapelle des Pensionats habe er seinen Platz stets auf der linken Seite, um die Zöglinge beaufsichtigen zu können.

Zwei Studenten von Moissac (Tarn-et-Garonne), die bei den Frères de Marie zu Besançon studierten, waren nach St. Pilt gekommen, um dort ihre Osterferien zuzubringen. Herr Lachemann gab ihnen einen Empfehlungsbrief an seinen Verwandten, Herrn Tresch, mit, damit sie die besessenen Knaben sehen könnten. Sie gingen in das Haus Burner und blieben daselbst bis 1 Uhr morgens. Verwundert, die Kleinen mit einer Männerstimme reden zu hören, ohne daß ihre Lippen sich bewegten, richteten sie an dieselben etliche Fragen in baskischem Dialekt, das sehr dem Spanischen gleicht.

Herr Tresch verstand davon kein Wort. Die Knaben aber antworteten ihnen auf französisch auf alle ihre Fragen. Die Studenten fragten hierauf die Kinder, woher sie kämen und wohin sie nun ziehen wollten; die Besessenen aber antworteten ihnen auf deutsch:

»Du hast nicht nötig, daß ich es dir sage, denn du würdest alles den Pfaffen hinterbringen.«

Zu wiederholten Malen sprach der Besessene zu Herrn Tresch von der großen Dame, die er daheim in seinem Kasten habe. »Du hast sie ja noch nie gesehen,« erwiderte der Bürgermeister. – »Ich weiß es dennoch,« rief der Knabe, »du gibst alles der großen Dame und ihrem Hund; du trägst sie immer in deiner Tasche.« – »Warum gibst du ihnen so wüste Namen?« fragte Herr Tresch. – »Ich kann sie nicht anders nennen.«

Einmal traten Herr Spies und Herr Martinot in Begleitung des Herrn Tresch in das Haus der besessenen Kinder. Diese hatten sie die Gasse herunterkommen sehen und zeigten sich sehr erbittert darüber. Sie waren kaum ins Zimmer getreten, als der kleine Joseph zu Herrn Tresch sagte: »Du hast dem Spitz (er nannte Herrn Spies mit dem Spottnamen Spitz oder Canisi) geschrieben, und der da (Martinot) ist mitgegangen.« – »Nein, ich habe nicht geschrieben,« versicherte Herr Tresch. – »Doch, doch, du hast dem Spitz geschrieben und der andere ist mitgekommen.« – Es war tatsächlich so.

Herr Spies nahm darauf den kleinen Joseph auf seinen Schoß und fragte ihn verschiedene Sachen. Manchmal antwortete er richtig, oft auch erwiderte er: »Das brauchst du nicht zu wissen.« Dann waren es Dinge, von denen der Satan nicht gerne redete. Unter anderem fragte ihn auch Herr Spies: »Was habt ihr mit Voltaire gemacht, als er zu euch kam?« – »Oh, den haben wir famos aufgenommen. Wir sind ihm in Prozession (er sprach Cropsession, nie Prozession) entgegengegangen, wir hielten ihn aber fest.«

»Als er ans Höllentor kam, bekam er Angst und machte Miene umzukehren; aber er konnte uns nicht entwischen, und er wurde gezwungen, durch das Loch des Feuers einzugehen.«

Während Herr Spies den kleinen Joseph noch immer auf seinem Schoße hielt, legte er ein Stücklein Seidenstoff auf das Hinterhaupt des Knaben, welcher diesen Gegenstand weder sehen noch fühlen konnte. Alsobald schrie er: »Mach doch diesen Lumpen weg, er brennt mich.« – Dabei wollte er sich von Herrn Spies losmachen. »Es ist kein Lumpen,« sagte Herr Spies. »Ich werde ihn nur entfernen wenn du mir sagst, was darauf ist.« – »Es ist nichts darauf, mach ihn weg, er brennt mich.« – »Du kannst dich lange wehren, ich entferne ihn nicht, bis du mir sagst, was darauf ist.« – »Die große Dame ist darauf,« rief er entsetzt. Tatsächlich war es ein Bild der Muttergottes, auf Seide gemalt.

Darauf bat er abermals: »Mach' auch das weg, was du in der Tasche hast, es brennt mich.« – Er meinte damit ein Kreuzchen, das Herr Spies in der Tasche trug, und das er auf keine Weise sehen konnte, und erklärte dabei, daß auch Reliquien darin enthalten seien. Dem war auch so. Selbst die Medaillen, die Herr Spies am Halse trug, belästigten ihn und brannten ihn.

Ab und zu nannte der Teufel Herrn Spies »Canisi«. Was der Teufel mit dieser Bezeichnung wollte, war dem Herrn Bürgermeister von Schlettstadt lange unverständlich. Er wußte nicht, in welcher Beziehung er zum hl. Canisius stehen könnte. Da traf er einmal den Herrn Superior der Isenheimer Jesuiten und trug ihm den Fall vor. Als Ordensgenosse des längst verstorbenen Heiligen könne vielleicht der Pater Auskunft geben. Und in der Tat; ohne langes Zögern erklärte ihm der Herr Superior, daß in der Schweiz ein Katechismus in Gebrauch sei, den man »Canisi« nenne, weil der hl. Canisius aus dem Jesuitenorden ihn verfaßt habe. Dieser Katechismus sei ein Jahrhundert nach dem Tode des Heiligen von einem Pater Spies, ebenfalls aus der Gesellschaft Jesu, neu herausgegeben worden.

Darnach muß der Teufel eine genaue Kenntnis der Geschichte und ein ungewöhnliches Gedächtnis für Tatsachen besitzen. Er erinnert an ein Buch vom hl. Canisius (gestorben Januar 1597), welches den Namen seines Verfassers, Canisi, beibehielt, und macht dabei zugleich auf einen Namensvetter des Bürgermeisters, Pater Spies, Anspielung, welcher den Katechismus 100 Jahre nachher neu herausgab. Der Knabe konnte diese Kenntnis offenbar auf keinerlei natürliche Weise erlangt haben.

Auch Fräulein Marie Spies, die noch lebende Schwester von Herrn Spies, weilte einmal auf Besuch bei den Kindern. Es war am 8. Mai 1868. Als sie sich ihnen zu nähern versuchte, wurden die Kinder unruhig, schlugen um sich und suchten der Besucherin die Kleider zu zerreißen.

Fräulein Spies war, wie ihr Bruder, eine eifrige Förderin des »Sendboten vom hochhl. Herzen Jesu«, des »Propagateur de St. Joseph«, des Lebendigen Rosenkranzes, des Gebetsapostolates und mehrerer ähnlicher frommer Vereinigungen. Das alles warf ihr Theobald vor, indem er sie beschimpfte und ihren Namen verketzerte. Er meldete ihr, daß sie die Broschüren alle bei Garell hole, und nannte dabei die Straße und die Hausnummer des Buchhändlers. Dabei war er noch nie in Schlettstadt gewesen und hatte weder Fräulein Spies noch den Buchhändler je zuvor gesehen oder gesprochen.

Als sie hierauf den Knaben mit dem Finger berührte, an dem sie eine geweihte Hubertusmedaille trug, schrie der Besessene: »Halt, du hast Feuer und brennst mich.« Dann fügte er hinzu: »Gelt, die Bomben konnten nicht in dein Hüttlein eindringen, du hast die große Dame darin.« Er meinte damit die Belagerung von Schlettstadt anno 1814, wo tatsächlich keine Bombe das Haus Spies berührte und wie es auch nachträglich im 70er Krieg verschont blieb.

Eines Tages hielt Herr Martinot den kleinen Joseph auf seinem Schoße. Der Kleine wehrte sich, um von ihm loszukommen. Umsonst. Da sagte Herr Martinot zu ihm: »Ich lasse dich nicht los, bis du mir sagst, in welcher Sprache die Bücher geschrieben sind, die ich auf mir trage.«

»Du hast ein französisches bei dir, vom Gebetsapostolat.«

Und die andern, in welcher Sprache sind sie?«

»Nichts, nichts!«

»Kleiner Lügner, sag' lieber, daß der Inhalt dieser Bücher dich belästigt und dich leiden macht, aber sag nicht, es sei nichts.«

»Nichts ist's, nichts! – Uebrigens,« setzte er auf französisch hinzu, »ist eines dabei, das du aufgehoben hast.«

Das Büchlein, das der Besessene meinte, war das Buch der Tagzeiten vom Dritten Orden des hl. Vater Franziskus, welches Herr Martinot vor sieben oder acht Jahren von einer Trödlerin für 15 Centimes gekauft hatte. Es war damals sehr schadhaft, aber er hatte es neu einbinden lassen und hatte es jeden Tag in Gebrauch. Vom dritten Buche wollte Satan nichts wissen. Es war die Pars verna des römischen Breviers.

Nach diesem Gespräch gab Herr Martinot dem Kleinen die Freiheit. Dieser warf sich auf sein Bett und fing an, ungeziemende Redensarten zu halten, die aber einzig und allein aufs Konto das Teufels zu buchen sind.


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