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Das Martyrium der Knaben.

Pfarrarchiv und Dokument Spies.

Der Zustand der beiden besessenen Knaben glich einem fortwährenden Martyrium. Schon ihr Anblick flößte einem im hohem Grade Mitleid und Entsetzen ein. Während der zwei ersten Jahre, in denen sie meist das Bett hüten mußten, schlugen sie oft zwei bis dreimal in der Stunde ihre Beine ganz widernatürlich übereinander und verflochten sie nach Art eines Stranges, und zwar so fest, daß es unmöglich war, sie auseinanderzureißen. Plötzlich fuhren die Beine mit Blitzesschnelle auseinander. Manchmal standen sie auf dem Kopf und den Beinen zugleich und hielten den Leib hoch in die Höhe. Kein Druck von außen vermochte dann dem Körper die natürliche Haltung wiederzugeben, bis es den Satan bequemte, seine Opfer wieder in Ruhe zu lassen.

Oftmals, wenn die Kinder zu Bette lagen, drehten sie sich gegen die Wand und malten schreckliche Teufelsfratzen, mit denen sie redeten und spielten. Legte man einem der Besessenen im Schlafe einen Rosenkranz aufs Bett, so verschwand der Knabe in einem Nu unter dem Oberbett und kroch nicht eher hervor, bis der Rosenkranz wieder weg war. Saß er auf einem Stuhl, so wurde manchmal der Stuhl mitsamt dem Knaben durch unsichtbare Gewalt hoch in die Höhe gehoben, dann wieder fallen gelassen, sodaß der Stuhl in eine Ecke und das Kind in eine andere Ecke flog. Selbst die Mutter Burner, die mit ihrem Söhnlein auf der Bank saß, wurde mit ihm in die Höhe gehoben und sodann in eine Ecke geschleudert, jedoch ohne Schaden zu nehmen. Manchmal schwoll der Körper zum Zerspringen an, und dann erbrach sich der Knabe und es kam lauter Meerschaum, Federn und Seegras aus dem Munde. So waren auch die Kleider oft mit Federn bedeckt, die jedoch einen starken Gestank verbreiteten.

Waren die Knaben im Hof oder im Garten, so kletterten sie oft so schnell wie eine Katze auf die äußersten dünnsten Zweige, die niemals brachen. Im Zimmer, das die Kinder bewohnten, entstand zuweilen plötzlich eine unerträgliche Hitze, so daß es niemand mehr aushalten konnte, und doch befand sich kein Ofen daselbst. Wenn man seine Verwunderung darüber ausdrückte, lachte der Teufel und rief: »Gelt, ich heize gut ein; gelt bei mir ist's warm!«

Die Mutter, die im selben Zimmer schlief, konnte es oft vor Hitze nicht aushalten, bis sie aufstand und das Bett und sich selber mit Weihwasser besprengte. Sofort kehrte die normale Temperatur wieder zurück und sie konnte ruhen. So erging es sehr oft auch den Schwestern, die ihn bewachten. Wie muß erst das Feuer des Zornes Gottes in der Hölle die verworfenen Engel peinigen. Wer denkt da nicht an die Worte des Propheten: »Wer wird zu wohnen vermögen im verzehrenden Feuer, in den ewigen Gluten?« (Js. XXXIII, 14.)

Für die guten Niederbronner Schwestern Severa und Methula war die Besorgung und Bewachung der Kinder eine überaus harte Aufgabe. Bald wurden die Fenstervorhänge von unsichtbaren Händen heruntergerissen und die noch fest verschlossenen Fenster sprangen mit unheimlicher Schnelligkeit von selbst auf, bald wurden Stühle, Tische und andere Möbel umgeworfen und im Zimmer von Geisterhand herumgeschleift, bald bebte das ganze Haus wie von einem gewaltigen Erdbeben.

Kam ein Priester oder sonst ein eifriger Katholik zu Besuch, dann krochen die Besessenen in aller Eile unter Tisch und Bett oder sprangen zum Fenster hinaus. Erschienen jedoch andere, sogenannte liberale Christen, dann zeigten sie eine große Freude und riefen: »Das ist einer von den unseren. So müssen alle werden, das wäre recht.«

Als Theobald in Saint-Charles anlangte, redete der Teufel drei Tage hindurch kein Wort. Erst am vierten Tag, abends 8 Uhr, rief er: »Ich bin da und habe großen Zorn.« – Die wachhabende Schwester fragte ihn darauf: »Wer bist du denn?« – »Ich bin der Herr der Finsternis.« – Dabei war seine Stimme wie das Brüllen eines Kalbes, das man erwürgen will. Wenn er zornig war, dann war das Aussehen des Knaben ganz grauenhaft. Er kannte niemanden mehr, auch seine Mutter nicht. Er zerriß die Kleider und zerschlug alles was er erwischte, bis man ihn bewältigte. Gab man ihm ein Kleidungsstück mit einer eingenähten Medaille, so war sein erstes, das Futter zu zerreißen und den geweihten Gegenstand herauszuklopfen. Seine Taubheit war so groß, daß er Herrn Superior Stumpf auslachte, als dieser neben seinem Ohr mehrere Pistolenschüsse losfeuerte: »O, der da will schießen und bringt es nicht fertig,« rief er.

Der Herr Superior kam einmal mit einem Straßburger Pfarrer per Kutsche auf Besuch nach Saint-Charles. Theobald trommelte eben auf den Fensterscheiben. Als er das Fuhrwerk von ferne erblickte, sagte er: »Aha, da kommt der Dreckler. Wart, ich will ihm eines aufspielen.« Nach kaum zwei Sekunden löste sich ein Rad vom Wagen und die beiden Herren mußten aussteigen und den Rest des Weges zu Fuß machen.

Anderen schlimme Streiche spielen, die Hündlein (Theobald und Joseph) quälen und auf jede Weise martern, das war seine liebste Beschäftigung. Ueber vier Jahre mußten die armen Kinder in diesem schauerlichen Zustand verharren, weil es in der fernen Hauptstadt allzu viele Leute gab, die von einer dämonischen Besessenheit nichts wissen wollten und sich nicht einmal überzeugen ließen durch den Bericht der ersten Untersuchung. Erst nach etlichen Monaten kam die zweite Untersuchung zustande und mit ihr das Ende des langen Martyriums und die Befreiung der beiden unglücklichen Knaben.

Einmal besuchte ein Offizier des afrikanischen Regimentes, das in Mülhausen in Garnison war, aus Neugierde die beiden Besessenen. Als diese seiner ansichtig wurden, machten sie ihm eine solche genaue und eingehende Gewissenserforschung im besten Französisch, daß der Offizier ganz kleinlaut die Flucht ergriff und sich gründlich bekehrte. Ebenso erging es einem Mülhauser Schulinspektor und zwei andern Mühlhauser Herren, die der Vorwitz nach Illfurt getrieben hatte. Auch aus ihnen hat das dämonische Treiben in der Folge gute Christen gemacht.

Am Dienstag morgen, 3. März 1868, ging Vater Burner auf den Markt nach Mülhausen. Kaum in der Stadt angelangt, kam ein kleines Männlein, ein fahrender Händler, der mit Nadeln und Faden handelte und in der Gegend jedermann bekannt war, auf ihn zu und machte ihm bittere Vorwürfe: »Du selbst bist schuld am Unglück deiner Kinder; du treibst Physik mit ihnen.« In diesem Tone ging es weiter. Vater Burner verteidigte sich so gut er konnte. Es gelang ihm aber nicht, den Mann zu überzeugen. Zu Hause angelangt, rief ihm der Besessene schon von weitem zu: »Aha, gelt der kleine Händler hat dir eine Szene gemacht; er hat gesagt du treibst Physik mit deinen Kindern.« – »War er auch einer von den deinigen?« fragte ihn der Vater. – »Jawohl, er ist mir schon ins Netz gegangen.« – »Da will ich für den armen Mann ein Vaterunser beten, um ihn zu erlösen, und will ihm wegen seiner Grobheit nichts nachtragen.« Alsobald betete er ein Vaterunser. Da rief der Satan plötzlich: »O weh! Jetzt zerreißt mein Netz und der Mann entgeht mir.«

An einem Fasttage schrie er heftig nach Fleisch und bediente sich dabei der französischen Sprache: »Va me chercher de la viande, ou je sors par la fenêtre.« An einem andern Tag fiel es ihm nie ein, Fleisch zu begehren.

Das Gebet war ihm überaus lästig. Herr Tresch hatte einmal ein altes Gebetbuch von anno 1646 mitgebracht, welches etliche kräftige Gebete gegen die bösen Geister enthielt. Kaum hatte er es geöffnet als die Besessenen ihm alle möglichen Schimpfnamen zuriefen. »So, so,« meinte Herr Tresch, »weil du angefangen hast, so werde ich denn fortfahren.« Darauf sprangen die Besessenen auf ihr Bett und schrieen: »Du bringst immer so alte, dreckige Blätter,« und Theobald fügte hinzu: »Du machst mich verrückt, ich kann dich nicht mehr hören, ich werde ein Narr; man muß mich nach Stephansfeld Irrenanstalt bei Brumath. führen.« Alsdann machten sie Miene, auf ihren Gegner zu springen und ihn zu beißen und zu kratzen. Dieser hob seine Hand hin und befahl ihnen, darauf zu schlagen, wenn sie es wagten. Sie schlugen jedoch immer daneben, bald rechts, bald links davon.

Auch sonst gelang es ihnen selten, ihre bösen Absichten gegen ihre Gegner zur Ausführung zu bringen. Einmal geschah es doch, daß Theobald in Saint-Charles Herrn Abbé Schrantzer, der ihm widersprach, eine kleine Kratzwunde beibrachte. Herr Schrantzer beachtete die kleine Wunde nicht, da sie ihn nur wenig schmerzte. Erst als der Finger am zweiten Tag ganz erheblich anschwoll und sehr schmerzte, bekam er Angst und er badete den Finger in Weihwasser. Am folgenden Tag war alles Weh, ja jede Spur der Wunde verschwunden. Einmal nahm der Knabe einen Stuhl und schleuderte ihn gegen Abbé Schrantzer. Um Haaresbreite hätte er ihn am Kopfe getroffen. Als er sein Experiment wiederholen wollte, nahm der Geistliche Weihwasser und berührte seine Hand. Alsobald ließ der Besessene den Stuhl los und flüchtete sich brummend und knurrend in eine Ecke.


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