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Valentin Katajew
Die Zigarren seiner Exzellenz


Frau von Wolotzkaja, die Witwe eines Generalmajors und Kommandanten der 52. Artilleriebrigade, der an einem Magenleiden und an Kränkung im Herbst des Jahres 1916, zur Zeit des Rückzuges der russischen Armee aus der Dobrutscha gestorben war, verkaufte jetzt schon durch vier Jahre – vom Tag der großen Revolution an – mit einem Eifer, der einer besseren Sache würdig gewesen wäre, ihr Hab und Gut. Dies war ihre einzige Beschäftigung.

Die mit dem Kampf gegen die Konterrevolution im Innern und nach Außen mit der Liquidierung vierer Fronten beschäftigte Republik schenkte der Notlage der vornehmen Witwe keine Aufmerksamkeit. Vergebens wandte sich Frau von Wolotzkaja an das Amt für soziale Fürsorge. In diesem Unternehmen, das zur Fürsorge für mittellose Bürger ins Leben gerufen war, herrschte entsetzliche Unordnung. Es gab keinen Portier, keine Empfangsstunden, ja nicht einmal einen Präsidialisten. Alle Angelegenheiten behandelte ein Matrose von düsterem Aussehen, der gleich bei den ersten Worten begann, Frau von Wolotzkaja »Mamachen« zu nennen. Er hatte vollkommen wilde Anschauungen über die soziale Fürsorge, und mit ihm zu sprechen war ein Ding der Unmöglichkeit. Vergeblich bewies ihm die Generalin, daß sie in Wirklichkeit eine waschechte Demokratin sei und daß ihr seliger Mann, der General von Wolotzkij, die allerliberalsten Anschauungen gehegt habe, vergeblich berief sie sich auf ihren früheren Offiziersdiener Kotziuga und auf ihr Stubenmädchen Dascha; nichts half. Der düstere Matrose sagte immer nur dasselbe:

»Sie können noch arbeiten, Mamachen. Wir können für Sie nichts tun. Auf Wiedersehen, Mamachen!«

»Aber so sehen Sie doch ein, mein Lieber«, erwiderte Frau von Wolotzkaja, während sie gleichzeitig innerlich vor Wut zitterte –« aber so sehen Sie doch ein, mein Lieber, daß mein Mann ein Verteidiger des Vaterlandes war. Er hat sein Leben geopfert ... Und außerdem bin ich doch seine Frau ... und jeder Mann muß gegen Frauen ritterlich sein.«

Bei diesen Worten verzog die Generalin die Lippen herzförmig und drohte dem Matrosen schelmisch mit dem Finger.

Verlegen schlug der die Augen nieder, drehte den Tintenstift in den Händen hin und her und wiederholte hartnäckig:

»Wir können nichts machen, Mamachen, auf Widersehen, Mamachen.« Damals verfluchte Frau von Wolotzkaja ein für allemal die abscheuliche Republik der Arbeiter und Bauern und begann in der Hoffnung auf unausbleiblichen Umsturz hartnäckig ihre Sachen zu verkaufen.

»Wenn nicht heute, so morgen, wenn nicht morgen, so übermorgen ... Doch schließlich und endlich werden sie gehen; ich wundere mich, wo Europa seine Augen hat, das kann ja nicht so weiter gehen ...« sagte die Generalin, wenn sie den Bekannten ihres Kreises begegnete, deren nur sehr wenige in der Stadt geblieben waren.

Doch Europa hatte seine Augen wahrscheinlich nicht dort, wo die Generalin sie haben wollte. Eine Hoffnung nach der anderen wurde zerstört. Die Republik der Arbeiter und Bauern existierte noch immer und Arbeiter und Bauern fuhren noch immer in Automobilen umher und sahen aus, als ob sie noch immer die Herren des Landes wären. Der Frau von Wolotzkaja war dies alles äußerst widerwärtig und sie fuhr hartnäckig fort, zu verkaufen. Zuerst wurde verkauft: die prächtige Bibliothek in drei europäischen Sprachen. Dann die Bilder und Broncen; dann die Teppiche ...

Es ist nicht lange her, daß in der Wohnung der Generalin scharfäugige junge Leute mit Lammfellmützen, die tief in die Stirne gedrückt waren, aus und ein gingen und, daß sich lebhafter Handel entspann. Die jungen Leute schrien und fuchtelten mit den Armen. Sie gingen und kamen wieder, sie stampften mit den Füßen und rauchten Zigaretten. Die Generalin hatte schon Kopfschmerzen und nur mehr den einzigen Wunsch, daß das Ganze bald zu Ende wäre ...

Da sie keinen Lärm vertrug, gab sie alle Sachen um ein Viertel des Wertes weg, runzelte die Stirne und sprach mit einer Märtyrergeste:

»So nehmen Sie, nehmen Sie, nur randalieren Sie um Gottes Willen nicht so ... Mir ist alles gleich ... wenn nur die bald verschwänden!«

Die jungen Leute in den Schaffellmützen dankten ihr, zählten verschiedenfarbige Papierchen der verschiedensten Stile, Formate und Werte auf, nahmen Bücherpakete, Bilder, Teppiche und verschwanden.

Die Wohnung wurde leer, doch dafür trank Frau von Wolotzkaja jeden Morgen Kaffee, kochte sich Hühnerbouillon und buk wundervolle Sachen aus feinem, weißem Teig. Aber da kam einmal der Tag, da waren alle großen Gegenstände schon verkauft und die Reihe kam an die leicht transportablen Dinge. Die Generalin faßte sich ein Herz, denn sie mußte auf den Basar gehen. Dies war für sie ein entsetzlicher Tag. Staub, Hitze, Wind, Lärm, der abscheuliche Geruch nach Schweiß, Machorka und ranzigem Fett ...

Ein Samtvorhang war schnell verkauft und sehr billig.

An jenem Tag kochte die Generalin wieder Bouillon und buk kleine Pirogen, aber nach zwei Tagen hatte sie kein Geld mehr und sie mußte einen zweiten Vorhang auf den Basar tragen. Und es begannen für Frau von Wolotzkaja die harten Basartage. Die heiße Sommersonne brannte ihr bleiches Gesicht, das mit billigem lila Puder sorgfältig gepudert war; der Herbst begoß ihr schäbiges Katzenfelljäckchen, das flockige, fröhliche Schneetreiben bestreute sie freigebig mit leichtem Schnee und verklebte ihre schwarzuntermalten Augen und die schlecht nachgedunkelten Brauen.

Tag für Tag schwanden die Gegenstände dahin, die Generalin wurde aber noch immer nicht müde, preßte die feinen, bösen Lippen zusammen und flüsterte:

»Das macht nichts, das macht nichts, sie werden bald gehen müssen ...« Und siehe, es kam jenes tragische Ende, dem die Generalin so hart und unbeugsam entgegengegangen war. Es war das letzte Hemd verkauft ... Es war nichts mehr zum verkaufen da. Sie konnte doch nicht ihren Rock ausziehen!

Hungrig, böse, mit trocken glänzendem, unfrisiertem Haar, im Winkel ihres schon lange nicht mehr geschminkten Mundes einen traurigen, erloschenen Zigarettenstummel haltend, saß die Generalin vor ihrem Toilettetischchen, dessen Drapierung übrigens schon lange verkauft war. Fieberhaft wühlte sie in den Laden und durchstöberte mit ihren harten, langen Fingern jenen grausamen und vollkommen wertlosen Plunder, mit dem Schächtelchen und Laden bei Frauen ihres Alters gefüllt sind. Mit lila Bändchen zusammengehaltene Päckchen vergilbter Briefe, schwach duftend nach guten, französischen Parfüms, in Samt gebundene Poesiealben aus der Institutszeit, rötlichgelb glänzende Photographien, auf deren ovaler Bildfläche dargestellt war: der selige Herr von Wolotzkij als Leutnant, als Kapitän, als Oberst, bald mit langem Schnurrbart, bald mit Vollbart ...

Verschiedene Bändchen, alte halbvermoderte Theaterzettel von Opernpremieren, gedruckt mit altmodischen, dicken, schokoladebraunen Lettern, abgegriffene Bonbonsschächtelchen ...

Dies alles atmete ihr mit dem Zauber einer süßen, nie wiederbringlichen Zeit entgegen. Doch unter diesen teuren Dingen waren keine wertvollen. Aber in jenem Augenblick, als die Generalin daran verzweifelte, irgend etwas für den Verkauf Geeignetes zu finden, und schon nahe daran war, in Tränen auszubrechen, stießen ihre Finger in der tiefsten Tiefe der Lade auf eine längliche, hölzerne Schachtel. Welches Glück! Natürlich ... das waren die Zigarren Seiner Exzellenz ... Die Generalin riß den Deckel auf; da lagen sie, solid, aristokratisch, eine neben der anderen, rochen schwer und zärtlich – so wie der Schnurrbart des verstorbenen Generals und sprachen von jener wundervollen, für ewig verlorengegangenen Welt luxuriöser Empire-Arbeitszimmer, lauschiger Boudoirs, von der Welt der Chrysanthemen und des Kaffees, der neben den Biskuits und den Cakes auf dem kleinen Tischchen dampfte ...

Eine Minute lang begann die Generalin zu träumen.

Sie neigte den Kopf über die offene Schachtel und eine verwelkte Träne fiel auf eine der Zigarren.

Doch dies war nur ein Augenblick der Sentimentalität.

Nach einer halben Stunde hatte sich Frau von Wolotzkaja, von dem Gedanken an die Möglichkeit einer Mahlzeit aufgemuntert, ein wenig gewaschen, frisiert und mit den Resten ihres Zahnpulvers gepudert.

So ging sie, mit verächtlich zusammengekniffenen Lippen in vertretenen, altmodischen Schuhen geniert über den Basarplatz und bot die Zigarrenschachtel zum Kauf an.

Ein heißer Wind peitschte. Der Staub knirschte auf den Zähnen.

Es lärmte die Menge.

Leichte, trockene Wolken zogen über den vom Staub gewissermaßen gestreiften blauen Himmel.

Wie ein Fiedelbogen kreischten die Tramwaywagen über die Saiten des von Menschen erfüllten Platzes.

Kleine Knaben heulten.

Samoware brodelten.

Ueber ein Kohlenfeuer brutzelte und zischte eine rohe Wurst, die aussah wie ein poliertes Holz.

Die Käufer rissen den Verkäufern Vorhänge und Leintücher aus den Händen. Kräftige stinkende Bauern tranken Tee ohne Zucker. Geblähtes Segeltuch der Zelte.

Starkgepfefferter Borschtsch in zugedeckten hölzernen Schüsseln. Ungeheure, homerische, goldglänzende Brotlaibe, die wie Embryonen mit einer roten Nabelschnur festgebunden waren, brachten durch ihr Gewicht die Tische zum Biegen. Zucker glänzte wie behauener Marmor. Tönern aussehende Matrosen mit Blusen schleppten von den Tabakständen ganze Säcke voll prächtigen Tabaks, dessen lange, schöne Fasern nach Datteln rochen ... und niemand brauchte die Zigarren des Generals. Man trat der Frau Wolotzkaja auf die Füße, man stieß und drängte sie. Sie aber lächelte nur nachsichtig und wiederholte mit klangloser Stimme:

»Brauchen Sie keine Zigarren? Kaufen Sie doch: prächtige Havannazigarren.« Niemand aber brauchte die Zigarren des verstorbenen Generals. Vor Hunger und Uebermüdung konnte sich die Generalin kaum mehr auf den Füßen halten.

Der Markt wurde geschlossen.

Schon kamen Milizsoldaten mit roten Tüchern, und durchdringend pfeifend, stießen sie die Ladentische um und erschreckten die Weiber, die fortliefen und ihre Aepfel davonrollen ließen.

Und als schon alles zu Ende schien, kam ein durch das Gedränge, den Lärm und das Geld ganz verwirrt gewordener Heizer, der mit Erfolg in Salz spekuliert hatte, und kaufte die Zigarren seiner Exzellenz.

Genau genommen brauchte er sie überhaupt nicht. Doch dieser einfache Bursche war bereits im Stadium der Kaufwut, in dem es ihm gleichgültig war, was er kaufte. Blaue Hundefellhandschuhe oder einen persischen Teppich. Fröhlich zwinkernd steckte er die Schachtel mit den Zigarren in die Tasche seiner schwarzen, fettigen Jacke, zählte dreißig blaue Scheine ab, einen nach dem andern, und verschwand unter kühnem Pfeifen.

»Rauchen wir hier, damit sie zuhause nicht schimpfen«, sagte er beim Gehen.

Zehn Minuten später aß die Generalin in der nächsten Pastetenbäckerei voll Gier fetten Borschtsch und stopfte sich Stückchen warmen, weißen Brotes in den Mund.

Sie sprach:

»Die Teller sind schmutzig! Der Borschtsch stinkt ... Weiß der Teufel ... Bringen Sie mir einen kleinen Pirog!«

An die Zukunft dachte sie nicht.


Autorisierte Uebersetzung aus dem Russischen von Richard Hoffmann.

 


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