Rudolph Stratz
Die kleine Elten
Rudolph Stratz

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XII.

Eine Weile standen sie schweigend beisammen und blickten in den Goldfischteich hinunter.

Dann nahm Rönne das Wort.

»Wie ist Ihnen der Abend neulich bekommen?«

»Danke!« sagte Valeska. »Das war der letzte Lichtblick! Seitdem bin ich ganz trübsinnig.«

»Haben Sie denn noch immer keine Rolle?«

»Ein Röllchen,« die Elten seufzte . . . »ein Röllchen, winzig wie ein Kind. Vier Worte im ganzen. Und dazu muß ich als Herzogin kommen und vor der Hannemann zwei feierliche Hofknixe mit allen Schikanen machen.«

»Sie Ärmste . . .«, der Major blickte sie von der Seite an . . . »und darüber denken Sie also jetzt nach?«

Die kleine Elten war heute in ihrer traurigsten Stimmung.

Sie schaute tiefsinnig auf den glatten Spiegel des Teiches.

»Ich denke darüber nach . . .«, sagte sie langsam, »ob ich nicht da hineinspringen soll . . . kopfvor . . . schwimmen kann ich nämlich nicht . . .«

Aber Herr von Rönne schien gar nicht für die Romantik aufgelegt.

»Dann würden Sie jämmerlich um Hilfe schreien«, lachte er, »und naß wie eine Katze mit der sicheren Anwartschaft auf einen Stockschnupfen wieder herausgezogen werden, und ein Schutzmann brächte Sie in Ihre Wohnung . . .«

Einen Augenblick ärgerte sich Valeska, dann stimmte sie in seine Heiterkeit ein.

»Sie haben ganz recht. Es war nur dummes Gerede. Eigentlich bin ich doch immer noch fidel. Warum, weiß ich freilich nicht.«

»Warum sollten Sie nicht heiter sein . . .«, erwiderte Rönne ruhig. »Wie viele Menschen haben denn das Glück, wie Sie, jung, schön und gesund zu gleicher Zeit zu sein? . . .«

Valeska antwortete nicht.

Er macht mir wahrhaftig Komplimente . . ., dachte sie erstaunt und schritt neben ihm den schattigen Fußweg der Charlottenburger Chaussee entlang. Zu ihren Füßen raschelte das Herbstlaub, auf das zwischen den Zweigen hindurch die Sonne tanzende Lichter warf, und vom Kleinen Stern her trug ein Windstoß die verwehten Klänge der Drehorgel, hinter der bettelnd der blinde Invalide stand.

* * *

»Warum tragen Sie so oft Zivil?« fragte Valeska endlich, nur um etwas zu sagen.

Rönne fuhr wie aus einem Traume auf.

»Es ist bequemer . . .«, sagte er, »wenn man so zwecklos durch die Gassen schlendert . . .«

»Tun Sie das denn oft?«

Ihr Begleiter zuckte die Achseln.

»Was sollte ich viel anderes tun, wenn ich mein Aktenloch verlassen habe?«

Valeska schwieg befangen. Sie wußte von Thilda, daß der Major dicht davor stand, Witwer zu werden. Aus der Bewußtlosigkeit, in der Frau von Rönne seit Monaten lag, glitt sie jetzt langsam und unmerklich in das Nichtsein hinüber . . .

* * *

Ein eleganter Offizier sprengte in kurzem Galopp auf dem Reitpfade nebenan vorbei. Den Major erblickend, legte er verbindlich die Hand an die Mütze und verbeugte sich im Sattel gegen ihn und seine Begleiterin.

»Dieser Generalstäbler hat eine große Karriere vor sich«, sagte Rönne zu Valeska, die ängstlich ihr Kleid zusammengerafft hatte, um es vor den auffliegenden Staubbrocken zu schützen . . . »Oberst von der Lünne.«

»Ein schönes Pferd hatte er . . .«, meinte die kleine Elten nachdenklich . . . »nicht wahr?«

Der Major lachte.

»Das habe ich ihm verkauft . . . vor ein paar Wochen . . . allzuviel taugt es nicht . . .«

»Nun, wenn ich ein Pferd hätte und reiten könnte . . .« Valeska sann nach . . . »Nein . . . das würde ich nicht verkaufen.«

Rönne nickte ihr Beifall.

»Die Pferde sind noch mit das beste an der ganzen Schöpfung. Ich habe große Lust, mir selbst ein kleines Gestüt anzulegen, wenn ich einmal wirklich Gutsbesitzer bin . . .«

»Wollen Sie denn ein Gut kaufen?«

»Ich besitze schon eins«, erwiderte Rönne, »in Schleswig . . . schön an einem See gelegen . . . und an dem Ufer ein großer Park von uralten Buchen. Aber ich komme nicht dazu, mich darum zu kümmern. Der Dienst läßt mir keine freie Stunde.«

»Da würde ich den Dienst aufgeben . . .«, seufzte die Elten . . . »Sie Glücklicher . . . ein Gut . . . mit einem Park . . . und einem Teich . . . ich kann mir gar nicht vorstellen, was das für ein Gefühl sein mag, irgend etwas auf der Welt wirklich zu besitzen . . ., daß man sagen kann: das da ist mein, und niemand darf es mir rauben . . . Ich kenne das gar nicht . . .«

Der Major wollte sie trösten. Aber ihre Gedanken blieben bei dem Gute.

»Sicher ist auch ein Hühnerhof da«, träumte sie, »mit türkischen Enten und Purzeltauben und einem recht großen Puterhahn . . . im Bade Holl . . . da war im Kurhaus so ein Hühnerhof . . . da fütterte ich immer die Tiere . . . macht Ihnen das keinen Spaß . . .?«

»Ehrlich gestanden,« erwiderte der Major ». . . ich weiß nicht einmal, ob ein Hühnerhof da ist. An solchen bescheidenen Freuden gehen wir Männer nun einmal achtlos vorüber. Aber ein großer Stier ist da. Der liegt im Stall an zwei Ketten . . . und zwei ausgezeichnete Hühnerhunde . . . und . . . ja richtig . . . ein Hahn ist doch vorhanden. Die Bestie weckt einen ja immer bei Tagesanbruch mit ihrem heiseren Krähen . . .«

* * *

Wieder schwiegen sie eine Weile.

»Ja . . ., auf dem Lande muß es schön sein«, sagte die kleine Elten endlich und sah sehnsüchtig zwischen den Zweigen hindurch ins Weite.

Rönne blickte sie von der Seite an.

»Auf dem Lande gibt's kein Theater und kein Komödienspiel. Und soviel ich höre, kann das niemand entbehren, der einmal hinter den Kulissen war . . .«

Valeskas Augen behielten ihren sehnsüchtigen, beinahe traurigen Ausdruck.

»Das ist nur so eine Meinung,« sagte sie leise, »ich möchte gern vom Theater weg . . . für immer . . . es wird ja doch nichts aus mir . . .«

»Und dann?«

»Dann . . . das ist ja eben . . . dann möchte ich reisen . . . weit . . . weit in die Welt hinaus. Ich kenne ja so wenig von der Welt. Solange ich mich erinnere, habe ich in dem Theaterkram gesteckt . . . in Staub und Schminke . . . und falschem Plunder und buntbekleckster Leinwand. Der ist überall gleich . . . in welche Stadt man kommt . . . auch in Riga . . . Da war ich das einzige Mal im Ausland . . . aber da ist's nicht hübsch . . . kennen Sie Rußland?«

»Nein.«

»Dort ist's zu komisch. Die Droschkenkutscher heißen dort Fuhrleute, und wenn man ihnen kein Trinkgeld gibt, fangen sie an zu schreien: ›Erbarmen Sie sich!‹ . . . Das Theater ist schön. Es liegt frei da . . . zwischen den Boulevards . . . aber ich möchte nicht wieder hin. Aber nach Italien möchte ich einmal . . . da muß es wunderbar sein . . . und überallhin, wo der Himmel blau ist und die Welt schön . . .«

»Nun . . . wenn Sie einmal Ihre Hochzeitsreise machen . . .«, meinte Rönne belustigt, »da geht man immer nach Italien!«

Valeska sah zu Boden, und es zuckte schmerzlich um ihre Mundwinkel.

»Ich eine Hochzeitsreise . . .«, sagte sie leise, »ich . . . wer heiratet mich denn . . .? Wer heiratet denn eine Schauspielerin . . .? Wir sind ja verfemt . . .«

»Nun . . . man hat ja Beispiele genug . . .«

»Ja . . . wenn sich ein vertrottelter ungarischer Magnat von einer verschmitzten Balletteuse einfangen läßt . . . dann nennt man das eine Künstlerehe und macht ein großes Geschrei davon. Und die großen Künstlerinnen . . . nun ja freilich . . . denen ist alles erlaubt . . . und sie finden Männer trotz alledem . . . aber wir armen Kleinen . . .«

»Gerade da kommt es doch ganz auf die Persönlichkeit an.«

»Man verdammt uns in Bausch und Bogen.« Valeska schüttelte wehmütig den hübschen Kopf . . . ». . . und im Vertrauen gesagt . . . man hat nur zu oft recht. Es ist erschreckend, wie leichtsinnig manche in den Tag hineinleben . . .«

»Ja . . . die Versuchung mag groß sein«, sagte Herr von Rönne und sah sie mit einem merkwürdigen, forschenden Blick an.

Valeska errötete leicht.

»Die Hauptsache ist . . . man muß von vornherein fest bleiben! Ist einmal der erste Schritt getan, dann geht's rasch bergab, und jeder meint, er könne . . . hingegen . . . ist man fest geblieben . . . einige Zeit hindurch . . . dann spricht sich das doch allmählich herum, und man bekommt etwas mehr Ruhe . . .«

»Ja . . . aber verzeihen Sie mir meine Frage . . .«, sagte Rönne, immer mit demselben seltsamen Blick, »ich habe mich in letzter Zeit in den hiesigen Theaterverhältnissen zu orientieren gesucht . . . Sie begreifen . . . nur wegen des Fräulein Thorbeck . . .«

Valeska nickte.

». . . und höre da überall, daß es für Schauspielerinnen, die Salondamen oder erste Liebhaberinnen geben, fast unmöglich ist, ihre Toiletten von ihrer Gage zu bestreiten . . .«

Valeska nickte wieder.

»Es kommt auf die Theater an. Bei manchen ist's möglich, bei andern nur sehr schwer . . .«

»Ja . . . und was macht denn nun eine Dame, die . . .?«

»Ach . . . Sie meinen etwa Thilda«, sagte Valeska rasch . . . »Ja . . . die hat etwas Zuschuß von zu Hause . . . und kriegt da und dort einmal von Verwandten ein Kleid geschenkt und schlägt sich so durch . . .«

»Ja . . . aber andere sind doch nicht in solcher Lage . . .« Rönne sah sie wieder forschend an.

Er meinte sie selbst . . . kein Zweifel. Valeska hatte ihm ja genug von ihrer armen Herkunft erzählt.

Und antworten mußte sie doch irgend etwas.

»Ja . . . ich zum Beispiel . . .«, sagte sie stockend, ». . . ich habe das freilich nicht. Mein Glück war, daß ich ein kleines Erbteil bekam, als meine Eltern starben und die Hinterlassenschaft zwischen meinen Schwestern und mir geteilt wurde. Es ist nicht viel, aber es reicht gerade aus, um die notwendigsten Toiletten anzuschaffen . . .«

Rönne schaute ihr schweigend ins Gesicht. Sie hielt seinen Blick aus.

»Da müssen Sie viel beim Theater gelitten haben . . .«, sagte er endlich kurz.

»Jawohl . . .«, bestätigte die kleine Elten tugendhaft und hatte dabei ein sehr böses Gewissen.

Aber schließlich . . . sie konnte ihm doch nicht von ihrem Bergheimer Husaren erzählen.

* * *

Sie waren in einen einsamen Seitenpfad des Tiergartens eingebogen und gingen langsam dahin.

Was bedeutet nur das alles, dachte Valeska bange. Ein Gedanke stieg in ihr auf, den sie gar nicht auszudenken wagte.

Plötzlich blieb sie stehen.

Auf einem Strauche, hart am Weg, saß ein kleiner Zaunkönig, wippte piepsend mit dem Schwanz und sah so frech drein, als gehörte ihm die Welt.

»Ach, das goldige Viehchen . . .«, flüsterte die kleine Elten entzückt und bog sich über das Gezweige, um ihn zu bewundern.

»Das goldige Viehchen«, wiederholte sie nach einer Weile und sah über die Schulter hin strahlend nach ihrem Begleiter.

Dann wandte sie sich wieder dem Vogel zu. Rönne sah, wie vorsichtig sie atmete, um ihn nicht zu verscheuchen. Ein schräger Sonnenstreif flimmerte durch das Geäst und vergoldete die wirren braunen Strähnchen, die sich in ihrem zarten Nacken kräuselten.

Ringsum war alles still. Nur die Blätter rauschten, und in den Zweigen sang der kleine Vogel sein Lied . . .

* * *

»Nun . . . gehen wir weiter . . .«, sagte Valeska, sich umwendend, als der Zaunkönig plötzlich mißvergnügt piepsend davongeflattert war . . . »war das ein herziger Kerl . . .«

Und ihre Augen waren beinahe feucht vor Bewunderung über das Tierchen.

Aber, während sie noch dastanden, zeigten sich dicht vor ihnen zwei Gestalten in der nahen Wegkrümmung.

Zwei ahnungslose Menschen. Ein blasser, bebrillter Student und eine kleine Konfektioneuse.

* * *

Sie glaubten sich ganz unbelauscht. Er hatte den Arm um sie geschlungen, und in langsamem Vorwärtsschreiten küßten sie sich fortwährend ernst und mit Ausdauer.

Plötzlich merkten sie, daß sie nicht allein waren.

Die Kleine stieß einen leisen Schrei aus und drehte das errötende Köpfchen nach der anderen Seite. Der Student sah sehr verwirrt drein. Beide machten, daß sie weiter kamen.

* * *

Valeska schaute ihnen belustigt nach und wandte sich dann zu Rönne.

Aber das Lachen, das verstohlen um ihre Lippen zuckte, verschwand, als sie seinen Gesichtsausdruck sah, diesen Blick tiefer, leidenschaftlicher Zärtlichkeit, der wie gebannt auf ihr lag.

Und der Gedanke, den sie bisher nie ausgedacht, den sie für unmöglich gehalten, stieg plötzlich zu voller Gewißheit in ihr auf, daß ihr Herz zu hämmern begann und ein Gefühl von banger, glücklicher Überraschung unbestimmt durch ihren Kopf wogte:

»Herrgott . . . er ist in dich verliebt . . .«

* * *

Sie sprachen stockend von gleichgültigen Dingen, bis sie vor Valeskas Wohnung in der Lützowstraße angekommen waren.

Rönne reichte ihr die Hand.

»Wann sehen wir uns wieder?«

Valeska überlegte.

»Von morgen ab sind täglich Proben zu dem Einakter, der am Sonnabend herauskommt. Aber am Sonntag vormittag . . . da . . .«

»Also am Sonntag . . .«

 


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