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In dem prachtvoll ausgestatteten und hell erleuchteten Salon der Dobschütz saßen Seybling, Prinz Duyn, Hammerschmiedt und zwei andere Herren schon seit längerer Zeit wartend beisammen.
Sie rauchten und gähnten. Die Dame des Hauses kam immer noch nicht zum Vorschein. Sie war eine halbe Stunde nach den Herren aus dem Theater eingetroffen, aber unter der Angabe, daß sie nach der Anstrengung und Aufregung etwas ruhen müsse, sofort in ihr Schlafzimmer gegangen.
Von dort erschien jetzt ihre Gesellschafterin, ein undefinierbares, ältliches Wesen, das abwechselnd als Tante und als Cousine der Dobschütz bezeichnet wurde, und meldete, das Fräulein ließe den Herren gute Nacht sagen. Sie käme heute nicht mehr zum Vorschein.
Seybling brauste auf.
»Was soll das nun wieder heißen! Wenn ich Weiberlaunen haben will, kann ich zu Hause bleiben! Dort krieg' ich sie gratis . . . Aber hier will ich meine Ruhe . . .«
Duyn suchte ihn zu beruhigen. Die Dobschütz sei durch die mißglückte Premiere doch natürlich aufgeregt. Da könne man es ihr nicht nachtragen, wenn . . .
Aber der andere ließ sich nicht überzeugen. Er verlange rücksichtsvolles Benehmen. Das fehle noch, daß sie ihm noch seine Gäste nach Hause schicke, nachdem sie selbst diese kleine Feier gewünscht.
Und mit wuchtigen Schritten durch den Salon gehend, stieß er die Nebentür auf und verschwand in den inneren Gemächern. Von dort hörte man undeutlich seinen erregten Wortwechsel mit der Dobschütz.
»Ich habe Hunger!« sagte nach einiger Zeit im Salon der kleine Hammerschmiedt. »Scheußlich langweilige Situation . . .«
»Die Unsolidität ist überhaupt das Langweiligste, was es gibt!« versetzte Duyn gähnend. Er trug sich schon seit einiger Zeit mit Heiratsprojekten. »Morgen wird's wieder heißen, es hätte hier eine Orgie stattgefunden.«
»Oder wie Ihre Mizi neulich sagte . . .«, lachte einer der anderen, »bei der Dobschütz feiern sie wahre Orchideen . . .«
Obwohl man den Stumpfsinn der Mizi kannte, erschien dieser Ausspruch den Herren doch unglaublich. Aber sie waren zu faul zu widersprechen und schwiegen.
»Schade! . . . Wenn wenigstens die Kleine mitgekommen wäre . . .«, unterbrach Hammerschmiedt nach einiger Zeit die Stille. »Scheint ein tüchtiges Mädchen zu sein . . . aus der müßte man was machen . . .«
»Tun Sie's doch!« erwiderte der Prinz.
Die andern lachten. Sie wußten, daß der kleine Millionengigerl rettungslos in ein Verhältnis mit Franziska Ilgen vom Westend-Theater verstrickt war. Sie hielt ihn äußerst kurz, duldete nicht, daß er sie »du« anredete, obwohl sie diese Anrede oft genug gebrauchte, und vertraute ihm jeden Monat einige tausend Mark zu Ultimospekulationen an. Einen Gewinn von fünfzig Prozent erwartete sie dabei unter allen Umständen. Wie er erzielt wurde, das war Hammerschmiedts Sache, der seufzend, um sie in guter Laune zu erhalten, aus seiner Tasche die Gewinnsummen zahlte und nicht einmal einen Dank dafür bekam.
Endlich kam Seybling zurück, ärgerlich und allein.
»Es ist nichts zu machen . . .«, sagte er, »sie will nun einmal nicht . . . eigensinnig wie ein Maulesel . . . ich muß euch wirklich um Entschuldigung bitten . . .«
Dagegen protestierten die Herren. Weiberlaunen seien eine Fügung des Geschicks, die ein Mann nicht voraussehen oder vermeiden könne, eine »höhere Gewalt« im Sinne des Handelsrechts.
»Gehen wir in den Klub!« schlug Prinz Duyn in seiner leisen, vornehmen Sprechweise vor.
Seybling sah sich finster im Zimmer um. »Es bleibt uns wirklich nichts anderes übrig. Denn uns hier allein zu Tisch zu setzen . . .«
Nein. Das wäre ennuyant. Die Herren brachen auf.
»Aber ich habe es satt«, sagte Seybling, während sie auf der Straße dahinschlenderten. »Sie wird wirklich unerträglich. Im Theater hassen sie sie wie die Sünde . . . sogar die Garderobieren kriegt man kaum mehr dazu, sie zu bedienen . . . alle Stücke, in denen sie spielt, fallen neuerdings durch, und nun fängt sie gar noch an, ihre Mucken und Launen gegen mich herauszukehren . . .«
»Anna, zu dir ist mein liebster Gang . . .!« trällerte der kleine Gigerl an seiner Seite mit mißtönender Stimme.
Die andern lachten.
Seybling blieb stehen.
»Aber nicht mehr lange . . .«, sagte er finster. »Es gibt nächstens ein Ende mit Schrecken . . .«
Die Herren wollten ihm das nicht glauben. Seit einem Jahre rede er davon und könne sich doch von der Dobschütz nicht losmachen, die mit der Vornehmheit ihres Wesens und ihrer geistvollen Konversation die meisten Damen der großen Welt in den Schatten stelle.
Und dann das Gerede der Gesellschaft . . .! An sein Verhältnis mit der Dobschütz habe man sich nun allmählich gewöhnt . . . wenn er aber, als Ehemann, jetzt noch ein neues anfinge . . .
»Das ist mir total gleich!« erwiderte Seybling kaltblütig. »Ich kenne im Leben nur Genuß und Erfolg, wenn ich das beides habe, mögen die ›alten Weiber beiderlei Geschlechts‹ über mich schwatzen, was sie wollen . . .«
»Ganz mein Prinzip!« sagte der törichte Hammerschmiedt, und sie traten in den Klub.
* * *
Inzwischen saß die Dobschütz im türkischen Schlafrock auf dem Bettrand und starrte auf das Taschentuch, das sie in der Hand hielt. Große feuchtrote Flecke zeigten sich darin.
Sie hustete wieder einmal Blut, wie immer nach besonderen Anstrengungen und Aufregungen.
Nur ein einziger Mensch wußte außer dem Arzt von dem schweren Leiden, das ihr seit Jahren näher und näher schlich: ihre Gesellschafterin, die eigentlich ihre leibliche, sie blind anbetende Schwester war.
Die Welt durfte nichts davon ahnen, wie es um sie, die gefeierte Künstlerin, stand. Das wäre die Vernichtung ihrer Karriere gewesen. Und der Gedanke, mit mitleidigem Achselzucken zu den gefallenen Größen gelegt zu werden, andere neben sich aufkommen zu lassen, war für sie schrecklicher als der Tod.
Lieber beherrschte sie sich bis zum äußersten.
Aber die nervöse Reizbarkeit eines von Körperleiden gequälten Menschen, den blinden Haß gegen ihre blühenden jungen Kolleginnen konnte sie nicht überwinden. Und man zahlte ihr diesen Haß reichlich zurück.
Neulich war sie wieder einmal beim Arzt gewesen – nicht beim Theaterarzt natürlich, sondern bei einem berühmten Spezialisten –, aber sie hatte nichts Tröstliches gehört. Vollkommene Ruhe und Schonung, war sein dringender Rat, langer Aufenthalt im südlichen Klima und der Bühne für immer entsagen.
Der Bühne entsagen! Sie lachte zornig bei diesem Gedanken. Was bot dann das Leben noch ihr und ihrem Ehrgeiz?
Denn ihr Ehrgeiz war brennender denn je und wurde weniger denn je gestillt. Welche Überwindung und Anstrengung sie heute die Riesenrolle der »Ellinor« gekostet hatte, das wußte nur sie und ihre Schwester.
Und was war der Lohn? Das Gelächter der Menge.
Sie löschte das Licht aus und blieb wachend im Dunkeln liegen.
* * *
Im Klub machte unterdessen Hammerschmiedt, der Gigerl, zwei anderen Herren den frivolen Vorschlag, die kleine Dingsda von heute abend . . . äh . . . richtig . . . die Elten . . . auszuwürfeln! Wem sie zufiele, der habe die Pflicht, etwas Vernünftiges aus dem Mädel zu machen.
Das erregte Entrüstung.
»Ich möchte wohl wissen, Hammerschmiedt, was Sie aus einem Frauenzimmer machen?« sagte Prinz Duyn melancholisch.
Der Gigerl widersprach pikiert. Man solle doch nur sein Fränzchen ansehen! Als er sie kennengelernt, habe sie mit dem Messer gegessen und beim dritten Glase Sekt zu johlen angefangen . . . und jetzt . . .
Ja . . . jetzt war Franziska Ilgen eine perfekte Dame, der man die einstige Kellnerin in keiner Weise ansah.
»Und außerdem kommen Sie Seybling ins Gehege,« nahm ein anderer Herr das Thema wieder auf, »dem hat es Fräulein Elten angetan!«
Seybling zuckte lachend die breiten Schultern.
»Ich weiß es selbst noch nicht,« sagte er und gab Karten, »aber ein Karnickel ist sie, und es kann jedenfalls nichts schaden, wenn ich sie zunächst ein bißchen zappeln lasse . . .«