Rudolph Stratz
Die kleine Elten
Rudolph Stratz

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X.

»Und ich bin doch dafür . . . die Dingsda . . . äh . . . ja . . . richtig . . . die kleine Elten auszuknobeln!«

Hammerschmiedt, der Gigerl, wiederholte diesen seinen früheren Vorschlag blöde und ohne besondere Hintergedanken.

Es lag ihm nur daran, den Stumpfsinn zu verscheuchen, der wieder einmal bleiern über dem kleinen Zirkel im Chambre séparée lag.

Es war wirklich zum Solidewerden!

Prinz Duyn, der nervöse Lebemann, gähnte verstohlen hinter der hohlen Hand, die Mizi neben ihm blinzelte, des Abendbrotes harrend, in das Kerzenlicht, und gegenüber saß Franziska Ilgen schweigend und Zigaretten rauchend da und starrte zu der gemalten Decke hinauf, als wollte sie dort die Streifen und Pünktchen zählen.

Keiner hatte dem anderen mehr etwas mitzuteilen. Sie kannten sich zu gut und zu lange.

Unter diesen Umständen tat der Vorschlag des Millionengigerls, der sich triumphierend im Kreise umsah, seine volle Wirkung.

Der Prinz zwar räusperte sich nur und warf Hammerschmiedt einen ärgerlichen Blick zu. Die beiden Mädchen aber waren empört.

»Es ist doch ein unglaublicher Mensch!« sagte die Mizi mit ungewohnter Lebhaftigkeit.

Franziska aber packte ihn am Arm und funkelte ihn mit ihren schwarzen Augen an wie eine gereizte Katze.

»Ein Glück, daß niemand mehr dein Geschwätz ernst nimmt! Sonst könntest du jetzt etwas erleben . . .«

»Aber liebes Fränzchen . . .«, suchte der Gigerl zu begütigen, »bedenken Sie doch . . .«

Das Fränzchen ließ ihn nicht ausreden.

»Du bist ein Tropf!« sagte sie kurz und sah ihn so gebieterisch an, daß Hammerschmiedt verstummte und sich zornig auf die Lippen biß.

»Und außerdem«, tönte hinter ihm eine helle, metallische Stimme, »können Sie mal mit solchen Bemerkungen in des Deubels Küche kommen.«

Der Gigerl fuhr herum und erkannte in der mächtigen Gestalt hinter seinem Stuhl Herrn von Seybling, der während des Wortwechsels eingetreten war.

»Guten Abend, meine Damen!« Der finstere Stutzer verbeugte sich mit leise ironischer Höflichkeit. »Ich ging eben auf dem Korridor vorbei und hörte, wie Sie Hammerschmiedt den Kopf wuschen . . .«

»Ja . . . ist es denn nicht empörend?« schrien die beiden Damen wie aus einem Munde.

»Freilich!«

Seybling setzte sich in Paletot und Zylinder rittlings auf einen Stuhl, trank Duyns Sektschale aus und fuhr dann, zu dem Gigerl gewendet, fort:

»Ja . . . wie gesagt . . . in des Deubels Küche, lieber Hammerschmiedt. Die Dame verkehrt hier in der guten Gesellschaft . . .«

»Das tun wir auch!« meinte Mizi und warf einen Blick voll Seelenfreundschaft auf den blassen, aristokratischen Prinzen Duyn.

Aber Seybling achtete nicht darauf.

»Die Dame, von der Sie sprechen,« sagte er nachdrücklich zu Hammerschmiedt, »saß neulich mit einer Gesellschaft, in der sich ein Stabsoffizier in Uniform . . .«

». . . in Uniform?« fragte Fränzchen erstaunt.

». . . in Uniform befand . . . drüben bei Hiller. Also nehmen Sie sich mit Ihrem Würfelspiel in acht!«

»Daraus müßte man schließen, daß sie solide ist«, meinte der Prinz, und der Gigerl nickte düster und gedankenschwer.

»Fabelhaft!« sagte die Mizi.

Die schwarze Franziska überdachte eine Weile den Fall.

»Schließlich . . .«, meinte sie achselzuckend, »mit einem scheinheiligen Gesichtchen kommt man weit in der Welt. In gewissen Dingen sind alle Männer gleich. Ich will jetzt nicht von Seiner Durchlaucht hier sprechen . . . der ist aus lauter Vornehmheit vertrauensselig . . . oder etwa gar von Hammerschmiedt – du lieber Gott . . . sein Stock da in der Ecke ist ja klüger als er –, aber daß sogar ein Mann wie Sie . . . bloß weil er die Dame einmal in solcher Gesellschaft gesehen hat . . . das kann doch auch ein Zufall sein . . . daß er da gleich ohne weiteres annimmt . . .«

»Er ist ja in die kleine Elten verliebt . . .«, rief Hammerschmiedt, froh, eine Gelegenheit zur Rache zu finden, ». . . verliebt wie 'n Fähnrich. Er hat es neulich selbst eingestanden.«

»Ich habe die Mutmaßung geäußert!« erwiderte Seybling etwas ärgerlich. Denn er liebte es nicht, vor den Damen des Westend-Theaters, die auch ihrerseits ihm, dem Jupiter tonans dieses kleinen Bühnenreichs, mit einer gewissen scheuen Höflichkeit begegneten, vertraulich zu werden. »Schließlich . . . wer kennt sein Herz?«

»Nun . . . und wenn's auch nicht so ist . . .«, meinte der melancholische Prinz. »Du kennst doch Griesebachs Gedicht:

Daß andre dich vor mir besessen,
Ich hab's an deiner Brust vergessen.
Du sahst mich an so kindlich rein.
Der erste glaubt ich dir zu sein.
Und immer, wenn ich wiederkam,
Umhüllte dich so süße . . .«

Aber hier intervenierten die Damen und verbaten sich energisch den »Neuen Tannhäuser« und ähnliche unmoralische Gesänge.

Eine kurze Pause entstand.

»In acht Tagen kommt's heraus . . .«, brach endlich die schöne Franziska, die sich immer noch den Fall überlegt hatte, das Schweigen, »bei dem neuen Einakter . . .«

»Was für ein Einakter?«

»Er heißt: ›Der Hausfreund.‹ Aus dem Französischen. Der Direktor suchte einen, weil in der ›Kleinen Herzogin‹ doch nur sieben Rollen sind. Aber in dem Einakter sind eigentlich auch nur drei. Wissen Sie, was er da tut?«

»Nun?«

»Ja . . . es ist wahrhaftig wohl toll!« erklärte Mizi.

»Er läßt einfach durch den Sekretär noch eine Gesellschaftsszene hineinschreiben. Vier Rollen. Jede nur von ein paar Worten . . . für mich und Fränzchen und die Thorbeck und die Elten. Ein paar Worte! Und dafür hat man das Vergnügen, sich in die größte Balltoilette zu werfen und zu schminken, und der ganze Abend ist hin!«

»Da sehe ich Papa Hochmann vor mir . . .«, lachte Seybling, »wie er sich die Hände reibt und milde murmelt: ›Es ist mir eine Beruhigung, wenn ich meine Damen um mich weiß. Ich liebe es nicht, wenn meine Damen abends auf Tiergartendiners posieren oder bei fremden Premieren in der 1.-Rang-Loge sitzen. Nein. Komödiespielen ist für meine Damen besser!‹«

»Ja . . . wenn man zu spielen hat! Aber vier Worte . . .«

»Gerade!« Der Stutzer blickte Franziska mit verstecktem Spott an. »Sie beziehen täglich zehn Mark Gage. Also für jedes Wort, das Sie sprechen, zweieinhalb Mark! Die Sorma kriegt nicht annähernd soviel!«

Das verblüffte Mizi, so daß sie ganz erstaunt schwieg.

Franziska aber lachte und meinte:

»Es ist doch nur eine Toilettenausstellung! Der Direktor weiß, wie das beim Publikum zieht! Und nun werden wir ja sehen. Die Thorbeck natürlich kommt wieder wie 'ne Vogelscheuche. Die kauft sich in einem Geschäft in Berlin C abgelegte Toiletten . . .«

». . . von Damen der höchsten Aristokratie nur einmal getragen . . .«, ergänzte Mizi.

»Elly Krause spielt auch mit . . .«, fuhr Franziska fort, »natürlich als Backfisch. Die hat's leicht. Immer dasselbe Mullfähnchen . . . heute mit blau, morgen mit rosa. Aber wie die Elten kommen wird, darauf bin ich wirklich gespannt.«

Seybling erhob sich.

»Sehen wir also dem großen Ereignis mit Fassung ins Auge! In acht Tagen . . . nicht wahr? . . . Schön . . . wir kommen in die bekannte Proszeniumsloge. Und nun guten Abend, meine Damen!«

»Bleiben Sie doch noch ein bißchen!« bat Franziska. Sie wollte die Gelegenheit benutzen, den einflußreichen Mann für sich zu interessieren.

Aber der Stutzer hatte keine Zeit.

»Es warten im Nebenzimmer Geschäftsfreunde auf mich . . .«, sagte er, »und da Sie so verdächtig mit den Augen zwinkern, meine Damen, will ich Ihnen auch ihre Namen nennen. Es sind die Herren Rhodanopoulo und Leibowitsch . . . zwei der greulichsten Schurken, die die Levante je erzeugte . . . ich mache mit ihnen Getreidespekulationen . . . in Odessaer Weizen . . . für gerissene Zeitgenossen ein gutes Ding . . . Gute Nacht!«

Damit ging er. An der Tür stieß er mit dem Kellner zusammen.

»Gott sei Dank! . . . Die Austern!« sprach Mizi befriedigt.

Sie schob dem Prinzen die Platte zu, der alsbald daranging, etwas Zitronensaft in eine Auster zu träufeln, mit dem Messer den Bart herauszunehmen und den Fuß durchzuschneiden. Dann hielt er ihr die Schale hin. Sie schlürfte die Auster schläfrig aus und wartete, bis eine zweite fertig war.

Franziska, die die Natives nicht liebte, starrte, Zigaretten rauchend, zur Decke . . . der Gigerl schwieg verdrossen . . . und wieder legte sich der bleierne Stumpfsinn des Chambre séparée über den kleinen Kreis.

 


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