Rudolph Stratz
Die kleine Elten
Rudolph Stratz

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XI.

Fette Teintschminke, Potonié   20 Mark
Fette rote Schminke, Dorin 15 Mark
Grauschwarzer Krayon 5 Mark
Roter Krayon 5 Mark
Blauer Krayon 3 Mark
Lippenschminke 5 Mark
Trocken Dunkel-Rouge 3 Mark
Trocken Hell-Rouge 3 Mark
Fettpuder 4 Mark
Veloutine, Fay 6 Mark
Mascaro 3 Mark
Nasse Schminke, Eau de Lis 3 Mark

73 Mark
 
Ein Schminkkasten 80 Mark
Eine hellblonde Perücke aus natürlichem Haar 80 Mark

160 Mark
Traurige Begebenheiten zum Ersten des Monats:
Garderobiere 5,--  Mark
Friseuse 5,--  Mark
Theaterdiener 3,--  Mark
Garderoben-Putzfrau 1,--  Mark
Korbträgerin 5,--  Mark
Schneiderin für kleine Reparaturen 11,50 Mark
Ein Paar grünseidene Ballschuhe 7,--  Mark
Ein paar Ballhandschuhe 12,--  Mark

49,50 Mark

Zusammen 282,50 Mark

Nicht ohne Mühe hatte sich Valeska diese Summen zusammengerechnet. Es war doch ein ganzer Posten, beinahe die Hälfte ihres Barvermögens.

Aber der Gagetag war ja nahe, und außerdem . . . es mußte sein!

Zunächst die Neuequipierung mit französischer Schminke. An den Provinztheatern hatte sie sich mit der billigen deutschen beholfen. Aber hier in Berlin . . . nein . . . das ging jetzt schon in einem hin.

Ebenso die Perücke. Mit ihren alten, schlechten war kein Staat zu machen. Und sie wußte, daß Blond sie auf der Bühne reizend kleidete.

Die übrigen Ausgaben verstanden sich eigentlich von selbst. Ohne Trinkgelder kommt man beim Theater so wenig durch wie sonst in der Welt.

Sie hatte in dem Einakter, der am nächsten Sonnabend in Szene gehen sollte, nur zwei Sätze zu sprechen, Aber trotzdem freute sie die Rolle. Sie gab ihr doch Gelegenheit, den Eindruck ihrer Dienstmagd Rieke zu verwischen. Diesmal erschien sie nicht als schlampiges »Mädchen für alles«, sondern als strahlende Ballkönigin, und nicht ohne Rührung gedachte sie ihres guten kleinen Husaren, dessen Großmut sie die prachtvollen Ballroben und sonstigen Toilettenschätze verdankte, die oben auf dem Boden wohlverwahrt der Auferstehung harrten.

»Und vielleicht kriege ich auch bessere Rollen,« dachte sie, »wenn man erst sieht, was für wundervolle Kostüme ich hab' . . . und der Neid und das Staunen der andern! Vielleicht steche ich sogar die Dobschütz aus!«

Freilich . . . schauspielerisch konnte sie sich in der Rolle nicht weiter betätigen.

Und eine zweite, etwas umfangreichere Partie, die mitgeschickt worden war, schien zu einem in Reserve gehaltenen Stück zu gehören; denn von Proben dazu war keine Rede.

Immerhin blätterte sie, müßig im Zimmer auf und nieder gehend, das vergilbte weiße Heftchen durch.

Außen auf dem Umschlag standen die Namen ihrer Vorgängerinnen, Johanna Töry und Marie Schaffranek, die beide offenbar schon lange nicht mehr dem Westend-Theater angehörten.

Eine Menge Randbemerkungen, die beide im Laufe der Zeiten angebracht hatten, fanden sich in dem Buche.

Gleich auf der ersten Seite stand:

»Eine feine Nummer!«

Und dicht darunter, halb ausradiert, aber noch erkennbar:

»P. ist ein Esel . . .«

Die zweite Szene schien Fräulein Johanna Töry auf der Probe Verdruß bereitet zu haben, denn sie schrieb an einer Stelle lakonisch:

»Hier schimpfte der Alte!«

Und bald darauf folgte die geheimnisvolle, offenbar an sie selbst gerichtete Warnung:

»Hänschen . . . wahr' Dich!« . . .

So ging es weiter. Ganz am Schlusse stand melancholisch in derselben zierlichen Handschrift:

»Adieu, Berlin . . . du Hundenest . . .«

Und darunter hatte die pedantische Schaffranek geschrieben:

»Es heißt: Spree-Athen!«

Das Fräulein Hänschen scheint auch böse Erfahrungen in Berlin gemacht zu haben . . ., dachte Valeska und blätterte wieder rückwärts, bis sie zu dem Umschlag kam, auf dem der Name »Johanna Töry« stand.

Und daneben – sie bemerkte es erst jetzt, denn es war sorgsam wegradiert – von der Hand der Schaffranek die Worte: »Du armes Hascherl!« und ein schiefes Kreuz.

Jetzt erinnerte sich Valeska.

Sie hatte davon gelesen, daß Johanna Töry, ein schönes Mädchen zu Anfang der Zwanziger, im Begriff, ein Engagement in Hamburg anzutreten, innerhalb weniger Tage im Hotel dem Typhus erlegen sei.

Auch im Bergheimer Theater war davon gesprochen worden, und ein Kollege, der sie kannte, hatte nachdenklich gesagt:

»Der wird auch viel vergeben, denn sie hat viel geliebt.«

Sie hatte recht! Valeska legte das Heft, vor dem ihr graute, leise auf den Tisch. Sie hatte wahrlich recht, das tote Hänschen. Was war das bißchen Leben ohne Liebe?

Besser sterben.

Die kleine Elten seufzte.

Ist man verliebt, so ist man verrückt.

Und ist man nicht verliebt, so ist die Welt ein großer Novembertag.

* * *

Und wieder ging sie müßig auf und nieder.

Es war ihr unbehaglich in ihrem nüchternen Zimmer. Sie kam sich darin als eine Fremde vor, wie überall auf der Welt. Nirgends ein Heim, nirgends ein Zufluchtsort, in den sie sich vor den Stürmen der Welt retten konnte wie ein gescheuchter Vogel in sein Nest.

Nebenan schnarchte der südamerikanische Attaché, der wieder erst morgens gegen acht Uhr nach Hause gekommen war. Über den Korridor her tönte das abgehackte Klaviergehämmer der Schottinnen, die zu zweit das geduldige Instrument bearbeiteten, und weiter hinten die Stimme der Frau von Haidenschild, die das Dienstmädchen ausscholt.

Und unten klingelten über die Lützowstraße die Pferdebahnen, und die helle Herbstsonne glitzerte auf dem sauberen Pflaster.

Es litt Valeska nicht länger in der Wohnung. Sie beschloß, wie sie es jetzt oft tat, ein Weilchen ziellos durch den Tiergarten zu schlendern.

Diesmal freilich in besonders trüber Gemütsverfassung. Eine eigene sehnsüchtige Traurigkeit kam über sie, während sie langsam durch die laubüberschütteten, einsamen Pfade dahinschritt.

Die arme Töry . . . die war nun tot. Nicht lange, nachdem sie ihr ». . . Adieu, Berlin . . . du Hundenest« in die Rolle geschrieben. Und sie stellte sie sich vor, wie sie jetzt im Sarge lag, tief unter der Erde, vermodert und zerfallen der blühende Leib, das schöne Gesicht, das einst so viele entzückt.

Aber schließlich . . . die hatte es gut . . . die hatte es überstanden. Kampf, Liebe und Leid dieser Erde lagen hinter ihr.

Die kleine Elten seufzte, und durch ihren armen Kopf dämmerte die Ahnung von der tiefen Zwecklosigkeit aller irdischen Dinge.

* * *

Was hatte sie nun von ihrem Berliner Dasein, auf das sie sich so sehr gefreut? Sechs Wochen lebte sie hier, schlicht und ehrbar, in tiefster Zurückgezogenheit. Und niemand dankte es ihr, niemand lohnte es ihr, niemand bemerkte sie überhaupt in der uferlosen Menge.

Sechs Wochen ohne einen Freund, ohne einen Menschen, dessen Hand sie vertrauensvoll fassen, dem sie ihre kleinen Leiden und Freuden berichten, ihre kleinen Sorgen beichten konnte.

Sie fühlte . . . das würde sie auf die Dauer nicht ertragen. Und was hatte sie auch davon? . . . Was hatte sie überhaupt von dem ganzen Leben . . .?

* * *

»Nun . . . so in Gedanken, Fräulein Valeska?« tönte neben ihr eine Stimme.

Die kleine Elten fuhr auf. »Ach . . . Sie sind es!« sagte sie und streckte mit sonnigem Lächeln dem Major von Rönne, der in Zivil vor ihr stand, die Hand entgegen . . .

 


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