Julius Stinde
Wilhelmine Buchholz' Memoiren
Julius Stinde

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Heirathen.

Vom Verlieben und vom Taubenzufliegen – Vom Folgen der Leithämmel und von zu viel Idealismus – Warum die Laune verdorben war und die Augen verbunden wurden – Von Herrn Weigelts Nagel und dem lieblichen Krokodil – Von dem Konzertabend und unmusikalischen Geräuschen

Erika's Schwester war wieder da, und was diesmal ausgebildet werden sollte, konnte mir nicht lange verborgen bleiben. Der junge Herr Dr. Zehner und Fräulein Henni hatten, wie die frühere romantische Ausdrucksweise lautet, es sich angethan. Daß sie es ihm, war verständlich; sie brauchte dazu weder Frauen-Gymnastik noch Ethik, sondern nur ihre von der Natur angeborenen Pathengeschenke: den hübschen Kopf mit dem vollen Haar, den reizenden Hals, die gesunde Brust und die lebenquellende Gestalt, mit einem Wort, die Anbeißfrische.

Ich hätte es dem Dr. Zehner kaum zugetraut, so rasch Hand auf solchen Schatz zu legen, da ich ihn taxirte, daß er immer pünktlich zu Mittag kommt, weder zu früh, noch zu spät. Was sie an ihm findet, ist schwer zu ergründen, aber wem wird überhaupt klar, warum ein Weib liebt? Mancher sogar selbst nicht. Die Schöne nimmt oft ein Ungethüm, die Geistreiche einen Kerl, dumm wie ein Rammblock, die Schmachtende einen Grenadier und manche große, stattliche hat einen Mann, wie eine verhungerte Spinne. Alt nimmt Jung und Jung nimmt Alt, daß man es nachfühlt, wenn bei Trauungen von erröthenden Bräuten geschrieben wird, so roth müssen sie über den Gegenstand ihrer Heirath werden, bescheint ihn das unverblümte Tageslicht. Doch ich will keiner ihr Glück madig machen, nur soviel weiß ich, einen wie meinen Karl haben sie Alle nicht.

Henni hat sich wegen ihrer Wahl keinen Vorwurf zu machen, obgleich abwarten vielleicht empfehlenswerth gewesen wäre. Warum nicht Richtschnur bei einer kundigen Frau einholen? Aber just die unerfahrenen Dinger, die weder Kochen, Waschen, Backen noch sonst was los haben: Verlieben können sie. Bloß verlieben, daß man es nicht merken soll, das könne sie nicht. Das konnte Henni auch nicht, so viel Mühe sie sich gab. Erika lächelte, wenn die Beiden in ihrer Gegenwart Fremde spielten, wenn Henni ihm erlaubte, der Gegenstand seiner Höflichkeit zu sein, und er sie nicht anders anredete als verehrtes Fräulein.

Onkel Fritz hatte Redensarten bündelweis, ließ sie aber verschnürt. Was hätte er sonst so oft Ursache gehabt, sinnlos, ohne handlichen Anlaß laut aufzulachen?

Mich hielten Henni und der Dr. Zehner für neugeboren-unwissend, indem sie thaten, als wüßten sie nicht, was ein Er und was eine Sie ist, und ich doch gesehen hatte, wie sie sich küßten. Und weil sie das nicht wußten, amüsirte ich mich schneeköniglich über ihre Komödie. So kam es, daß wir immer furchtbar vergnügt waren, sobald wir gemeinschaftlich etwas unternahmen; Fritz und Frau und ich, wir jeckten uns im Stillen und Henni und Dr. Zehner waren selig im Stillen. Wir lachten über ein Nichts, über das Nuttigste, wenn es nicht zu irrsinnig war, denn das Lachen lag in uns. Und mein Karl, die Seele, lachte mit. Gingen wir irgendwo hin, erschien wie zufällig auch mein Herr Doktor. »Wie ist Berlin doch klein,« sagten wir dann so ernst wie möglich, »überall begegnet man sich.« – »Sehr klein. – Man sollte es kaum glauben.« – »Kennst Du den Unterschied zwischen einem Klavier und einer Nähmaschine, Henni?« fragte Onkel Fritz. – »Nein.« – »Dann laß Dir ja keine Nähmaschine in die Hand stecken, wenn Du ein Klavier kaufen willst.« – Nun losgepruscht, ohne die Beiden, die uns sichtlich bedauerten, daß wir über solche Geschichten lachen konnten. Und darüber lachten wir wieder.

Theater kam uns nicht theuer. Fritz lieferte verschiedenen Bühnen leihweise Lampen, Schreibzeuge, Stutzuhren und derlei Prunkstücke zur stilvollen Aufputzung der Scenerien, wovon der Werth der Stücke immer abhängiger wird, und erhielt, wenn ein Drama trotzdem nicht recht ziehen wollte, einige Paquete Sitzscheine, damit das Haus in den Zeitungen gefüllt erschien, weil, wo Tauben sind, Tauben zufliegen.

Auch für die »Gespenster« mußten wir Lockvögel machen, einmal, aber nie wieder. Da ist eine Frau, die zum Andenken ihres verstorbenen Mannes, eines Kammerherrn, ein Asyl bauen läßt, aber weil er trank und liederlichte, macht sie sich Vorwürfe, daß sie sich und die Menschen mit diesem Baudenkmal belügt und den Pastor beschuldigt sie, daß er nicht mir ihr auf und davongegangen ist, als sie ihrem Manne weggelaufen war und in der Predigerei anklopfte. Nette Gattin! Ihr Sohn Oswald ist Maler, der kommt aus Paris und findet es in seiner norwegischen Heimath zu grau, weshalb er mit dem Tischler Engstrand seiner Tochter Champagner trinkt und schön thut. Die Mutter weiß, daß das Mädchen ihres Sohnes Halbschwester vom verstorbenen Kammerherrn her ist und sagt: nur noch 'ne Flasche, das Leben ist kurz und mein Sohn will sich veramüsiren, das hat er vom Vater. Solche angeerbte Neigungen sind Gespenster. Nette Mutter. Dann brennt das Asyl ab, Oswald hilft löschen, die Anstrengung giebt ihm den Rest, er wird auf der Bühne brägenklieterig – von Vatern her – und verlangt von seiner Mutter die Sonne. Die giebt ihm, da sie schlecht an das sogenannte Tagesgestirn heran kann die Morphiumpulver, die er sich aufgespart hat, weil ein Arzt ihm gesagt hatte, er müßte an Gehirnerweichung zu Grunde gehen, das wäre die Erbschaft vom Vater. Wir waren erleichtert, als es aus war, so hatte das Stück uns beängstigt und gequält, ohne daß wir einsahen wozu? Um dem Publikum vorzuschulmeistern, daß Kinder nie vorsichtig genug in der Auslese ihrer Eltern sein können? – »Was für ein Pappkopf der Oswald wohl geworden wäre, wenn er den Pastor zum Vater gehabt hätte?« fragte Onkel Fritz, aber es erfolgte keine eingehende Antwort, da die Erinnerung nicht bei dem Stück verweilen mochte, wogegen wir sonst oft, besonders nach Wilhelm Tell im Schauspielhause, bis über die Mitternacht in Wieder- und Wiederdurchsprechen schwelgten. Und die Jungfrau von Orleans mit der Lindner. Ach wie schön. Und wie wohl wurde Einem darnach.

Ganz schweigsam war Erika, sie machte auf mich den Eindruck, als sei sie von Jemand gekränkt und litte nicht blos seelisch, sondern auch körperlich. – Onkel Fritz faßte sie fest unter und führte sie behutsam aber rasch. Wir andern folgten.

Da fragte mein Mann: »Herr Doktor Zehner verhält, sich das wirklich so mit der Vererbung von Gehirnerweichung, wie in dem Stück eben?« – »Nein« sagte der, »das Stück ist vom medizinischen Standpunkt unhaltbar und selbst wenn es das nicht wäre, ist es als Drama miserabel. Denken Sie sich Oswalds Vater wäre ein pflichttreuer Forstmann gewesen, der Wild- und Holzdieben eifrig nachging und auf den nächtlichen Streifzügen Lungenleiden erwarb, dem er schließlich erlag, Oswald erbt die Anlage zu Lungenerkrankung, steigert als Landschaftsmaler die Disposition dazu durch das Sitzen im Freien, erkältet sich bei dem Löschen des Feuers, und geht auf der Bühne an Pneumonie ein. Das wäre dasselbe Stück, nur mit einer kleinen Verschiebung der Krankheitsursache, aber das Undramatische, das Kleinliche des Motivs, das Armselige an künstlerischem Inhalt tritt selbst für den klar zu Tage, der sich durch geschickte Scenische Detailmalerei und die bühnenmäßig gedachten Charaktere blenden ließ, von denen die Hälfte in eine Idiotenanstalt gehört. Der Pastor und die Mutter ebensowohl wie der paralytisch werdende Sohn.«

»Nun ist's wohl genug« rief Onkel Fritz. – »Sehr richtig« sagte ich. »Herr Doktor, Ihnen macht so leicht keiner Stuß vor.« – »O, bitte« lehnte er ab. – »Sie mir aber auch nicht,« flüsterte ich ihm zu und stieß ihn schäkernd an. Er gefiel mir sehr. Ein Mann muß sein eigenes Urtheil haben und nicht immer einigen Leithammeln folgen, denn das ist schaafsmäßig.

Onkel Fritz hatte ein kürzlich eröffnetes Wirthshaus mit neualtdeutschbaroccrenaissancener Ausstattung zum Ankerplatz ausersehen, nicht nur weil er dort Hypotheken in Kronleuchtern hatte, sondern namentlich mit Rücksicht darauf, daß für jeden Wunsch der Gäste gesorgt war und Erika laues Wasser und Seife zum Waschen der Hände haben konnte. Dies war ihr unerläßlich, um sich wieder wohl nach dem Schauspiel zu fühlen. Darauf saßen wir in ziemlicher Behaglichkeit zusammen und sprachen von etwas Anderem.

»Sie halfen mir bei dem Ankauf des elektrischen Apparates,« sagte ich zu Herrn Dr. Zehner, »Sie müssen mir noch einmal beistehen.« – »Mit Vergnügen.« – »Wir haben doch den Kaulmann im Hofgebäude zu wohnen und seine Antonie zu üben.« – »Hm; hm!« krekelte mein Mann. – »Karl, kriegst Du die Miethe vielleicht nicht?« – »Die ist ja nur der Form wegen.« – »Und sie denkt nun daran, ihr großes Konzert zu geben.« – »Es wird höchste Zeit.« – »Wieso?« – »Daß das Ueben ein Ende nimmt, die Arbeiter halten es nicht mehr aus.« – »Die hören doch bei dem Lärm der Webstühle nichts?« – »Dann aus anderen Gründen.« – »Eben sie will verdienen, weil sein Geschäft nicht mehr so geht wie früher. Ich finde dies Verhältniß sehr ideal.« – »Zu ideal.« – »Es kann nichts zu ideal sein.« – »O doch; warum hat sie es so eilig mit dem Konzert, da es dem Publikum ganz einerlei sein kann, ob sie als Fräulein Wehrhagen oder als Frau Kaulmann auftritt.«

»Sie wollten doch erst heirathen, wenn das Konzert ihr reichlich Stunden verschafft hat.«

»Das war eben zu viel Idealismus.« – »Karl, ich garantire für Antonie Wehrhagen.« – »Ich aber nicht für Kaulmann.« – »Morgen zieht er aus.« – »Ich bestimme über die Wohnung. Du hast die Geschichte eingerührt, sieh' zu, wie sie am reinlichsten ausgegessen wird. Je eher das Konzert, um so angebrachter.« Mir war wie von einer Dampfwalze zerdrückt. Dieser Kaulemann, so ein Kaulemännchen! Aber ich hätte mir vorher sagen müssen, Musik betäubt die Besonnenheit. Wovon wollen sie leben, wenn das Konzert nicht einschlägt, oder richtiger, wovon werden sie hungern? Eine Hecke Kaulemännerchen geht doch nicht auf unserem Hof. –

»Herr Doktor, Sie wissen also, worum es sich handelt?« fragte ich. – »Wie... bitte?« stammelte er. – »Sie müssen Konzertbillets unterbringen.« – »So... so!« sagte er und stierte in das Lokal. – »Sie wollen wohl die Sonne haben?« scherzte ich, »Was giebts denn?« – »Einige Herren erlauben sich, mit unverschämten Blicken her zu sehen.« – »In einem Gastzimmer kann Jeder sehen, wie er will,« sagte Onkel Fritz. – »Aber nicht frech!« entgegnete Dr. Zehner. – »Lassen Sie doch die Bankjungen, die sehen immer so, das lernen sie in dem Theater.« – »Ich erlaube Keinem, das Fräulein hier zu beleidigen.« – »Da komme ich erst,« sagte Onkel Fritz ruhig, »ich bin der Schwager, und ich hoffe, Sie werden meine Schwägerin nicht durch studentische Thorheit kompromittiren, lieber Doktor.«

Henni wollte zu weinen anfangen. »Wir gehen,« sagte ich, »wir sind nach dem Stück wie mit verdorbenem Magen, so mit verdorbenere Laune.«

Ich fragte Fritz: »Warum machen die Beiden keine Anstalten zu regelrechter Verlobung? Er ist ja so eifersüchtig, daß er in jedem männlichen Individuum einen Nebenbuhler wittert.« – »Ihre Angehörigen verweigern, wie bei mir, die Einwilligung« – »Und zwingen die jungen Leute zu Lug und Trug.« – »Sie wollen das Ja sagen, aber es muß erst ablagern.« – »Fritz, in unserer raschlebigen Zeit mit Jaworten zögern ist mehr als kleinstädtisch.« – »Erika sagt: nur nicht übereilen, es wird schon recht werden.« – »Dann bin ich beruhigt.«

Wie mein Mann gesagt hatte, mußte das Konzert beschleunigt werden. Antonie hatte sich schier zu Schanden getonleitert. Sie konnte alle Stücke auswendig und mit kammradartiger Sicherheit ohne den einen Konzertwalzer von Rubinstein. Wenn bei dem so ziemlich alle Schwierigkeiten erschöpft sind und mitten auf dem Klavier etwas Melodiöses gebracht worden ist, muß sie mit der linken Hand Wie wahnsinnig hochfahren und ganz oben eine genau bezeichnete schwarze Taste mit dem kleinen Finger tippen und dann, was sie kann, von oben herab in den Baß hinunterrasseln. Alles konnte sie, bis auf die Taste. War sie in Aufregung, haute sie daneben.

Ich fragte: »muß es denn sein?« – »Es muß« weinte sie, »wenn ich die Taste nicht treffe, habe ich umsonst geübt, umsonst gehofft.« – »Nehmen Sie ein anderes Stück.« – »Es ist zu spät, ich bleue es nicht mehr ein.« – Und verschieben ließ sich das Konzert nicht. Unmöglich.

Ich rieth: »tuppsen Sie mehrere von den hohen Tasten auf einmal nieder, da kann sich Jeder die richtige heraussuchen.« – »Nein, es darf nur die eine sein. Hören Sie selbst.«

Sie spielte den Walzer und traf den Ton prachtvoll. »Sehen Sie, Sie können es« rief ich erfreut. – »Nein,« klagte sie, »es war der nebenliegende. Und je mehr ich daran denke, um so gewisser vergreife ich mich. Ich habe die Stelle schon drei Tage mit verbundenen Augen probirt, aber unter zehnmal nur drei Treffer.«

Sie wiederholte die Nummer; diesmal glückte es. – »Ja,« lamentirte sie, »eben ging es, aber wie wird es vor all den Menschen gehen, den Kennern, den Kritikern?«

»Regen Sie sich nicht auf, das ist schädlich. Sie müssen auf Ihre Körperlichkeit achten, daß Sie nicht zu sehr herunter kommen.«

»Und der Vorverkauf geht so schlecht, die Kosten werden immer größer, der Saal, und was sonst daran hängt. Die Sängerin kriegt dreißig Mark, abgeholt in der Kutsche, ein Bouquet zu fünf Mark und Abendbrot; der Violinspieler die Hälfte, ohne Bouquet aber mehr Bier. Er ist noch jung. Wenn wir nichts einnehmen geht Alles drauf, was wir groschenweise zurückgelegt haben.«

Sie dauerte mich; sie will doch vorwärts und die Saffratka sagt ja, man muß tolerant sein. Ein Weib ist schwach und hingiebig, wenn sie sich so auf Tönen wiegt und ihr das ganze Leben wie ein Schunkelwalzer erscheint. Wie leicht geht sie da im Idealismus zu weit. Aber dieser Kaulmann hat keine Entschuldigung, der hätte mit der Hochzeit warten müssen, anstatt nun das Konzert zu überstürzen wobei sie ganz von Füßen kommt, wegen der alten demlichen Taste.

Mir ging es schon ebenso. »Tippt sie die richtige oder tippt sie sie nicht?« Das war die Frage, die mich immerwährend belästigte wie eine Fliege beim Nachmittagseinschlummern; förmlich zum nervös werden.

Ich fuhr zur Saffratka mit Billeten und stellte ihr die Lage der jungen Leute vor. »Wären sie Mitglieder unseres Vereins, würde ich etliche nehmen« sagte sie freundlich lächelnd, »aber da sie das nicht sind, wendet man die Mittel Würdigeren zu. Da Ihnen jedoch daran liegt, daß Persönlichkeiten unter dem Auditorium gesehen werden, finden ich und vielleicht Muße, wenn Sie mir zwei gute Plätze zur Verfügung stellen. Aber bitte, Vorderreihe, nicht wahr?« lachte sie. – Ich mußte meine Deutlichkeit an mich halten, denn ich ging ja schnorren. Und was muß das Publikum von solcher Kunst halten, die wie saures Bier ausgeboten wird? Nicht blos geschenkt, nein noch was zu!

Flotter ging der Billethandel mit dem Verein Keuchhusten. – Der gab sich Mühe und brachte baares Geld. Hübsch von ihnen; die sind doch da, wenn sie helfen können, die frohen Sangesbrüder. Sehr hübsch.

Auch die Bergfeldten versprach, einige von den billigen Plätzen zu verhandeln, da Herr Butsch viele Bekannte hätte, die solche Mildthätigkeitsbillete nähmen, wenn sie so bei der vierten Weißen wären. Sie will keine große Hochzeit; nur Standesamt mit Frühstück. Ich rieth ihr Kirche an, schon allein, daß Butsch mal wieder hineinkommt, aber sie meinte, sie betrachtete ihre Stellung mehr als unkündbare Haushälterin. Vielleicht gingen sie. Es wurde ihr nur zu schwer durch Augustes Mann gemacht, der sich abscheulich über ihre Veränderung äußerte. »Und was ist er? Was wäre er ohne meine Tochter? Aber den Nagel, den er hat. Und Butsch ist zehnmal mehr. Butsch hat gedient, und ihn haben sie wegen seiner Hühnerbrust gar nicht genommen, nicht mal bei den Tränksoldaten.« –

Der Polizeileutnanten a. D. gab ich viel Billete zum Saalfüllen. Mila ist Frau Piefke. Nach dem Glück mochte ich mich nicht erkundigen, die Frau sah mir zu verweint aus. Sie dankte herzlich für den bevorstehenden Genuß, sie käme jetzt nirgends hin. Die Unterhaltung riß immer wieder ab. Mir wurde der kurze Besuch lang.

Auguste Weigelt sandte die Billete zurück, die Kleine kränkelte; ich bat den Sanitätsrath hinzugehen, denn ich weiß, Auguste schont das Doktorgeld und von ihr nimmt der Rath nichts. Er hat so seine Tugenden, aber sehr innerlich.

So kam das Konzert immer näher. Antonie übte sich zu einer Art mißgestalteten Schatten und Kaulmann, mit dem ich das Geschäftliche erledigte, kriegte so viele Anlappungen von mir, daß er aus Scheu und Schüchternis gar nicht herauskam und auch schon so aussehen ward. Er soll sich später Luft gemacht haben, ›ich wäre gut, aber meine Güte griffe an‹, was ich ihm weiter nicht krumm nehme, denn er hat gelitten.

Mit vieler Mühe hatten wir den Saal halb verkauft, halb verschenkt, aber ob die Hauptsache kommen würde, die Kritik, das blieb zu errathen, denn in einigen Zeitungen stand, bei den achthundert für die Spielzeit angemeldeten Konzerten könnten nur die hervorragenden berücksichtigt werden, ein Kritiker sei auch nur ein Mensch. Warum nimmt er denn solches Amt an, wenn er ihm nicht nachzukommen vermag?

Das machte uns Sorge; wenn nicht geschrieben wurde, war die ganze Abrabbatzerei für die Pantherkatzen, einer gewöhnlichen Muimau war die Mahlzeit zu heftig.

Inzwischen machte die Bergfeldten Hochzeit. Auguste kam weinend zu mir; ihr Mann hätte ihr verboten hinzugehen, Butsch und Konsorten ständen zu tief unter ihnen; solche Verwandtschaft würde bei der Versetzung in Betracht gezogen; er hätte nicht Lust übergangen zu werden. – »Da hast Du Dir ja ein liebliches Krokodil an Deinem Busen großgezogen« sagte ich. – »Ach, Frau Buchholz, wir sind jetzt besser eingerichtet, ordentlich mit blauen Portieren und einem Teppich in der guten Stube und Plüschmöbel und das bischen Ersparte, das übernimmt ihn. Und ist er nich Beamter? Das sind doch nur Wenige; er steht mithin höher als Viele. Aber es muß mehr für die Beamten geschehen, die bilden eigentlich den Staat. Und wenn nichts geschieht, wird der Staat wohl erst einsehen, was er hätte thun müssen, wenn es zu spät ist.«

»Auguste, lern' doch Deinen Mann nicht auswendig und laß ihm seinen Tick alleine. Geh nur ruhig zur Hochzeit, Du bist die Tochter.« – »Nein, nein. Auf dem Standesamt hat der eine von Herrn Butschens Zeugen statt der Legitimation eine unbezahlte Weinrechnung vorgelegt. Für solche Gesellschaft muß ich mich zu gut halten, nicht blos meines Mannes wegen, sondern auch meinetwegen. Ich bin nun doch einmal die Frau eines Beamten. Was würden meine Kolleginnen sagen?«

»Denn nicht, Auguste.«

Mein Karl und ich waren hin zum gratuliren. Es war gediegen und propper in Herrn Butsch' Privatwohnung, die Kinder kulten sich liebebedürftig an die Frau Butsch verwittwete Bergfeldt und der Mann sagte: »Kathinka, schenk ein.« – Wir stießen an und wünschten ihnen viel Glück. Sie bedankten sich Beide für unser Hochzeitsgeschenk, besonders aber für unser Erscheinen. »Wir sind um so gerührter,« sagte die Bergfeldten, »als meine Kinder mich nicht mehr kennen. Ich habe aber neue, die sind nun meine.«

Endlich kam der Konzertabend. Antonie hatte sich wie fieberndes Espenlaub oder so ähnliches Zitteriges und er war sein eigener Dienstmann, bis wir in dem Künstlerzimmer neben dem großen Saal im Hotel de Rom den Andrang erwarteten.

Wir kannten die für die Herren Kritiker abgesandten Nummern und schauten, ob sie sich herbeiließen. Auf die ersten kritischen beiden Plätze setzten sich zwei Damen. – »An die Nähmamsell verschenkt,« sagte Kaulmann enttäuscht.

Während der Saal sich rasch füllte, blieben die Plätze, auf die es ankam, leer. Antonie gehörte also nicht zu denen, die ein Wort verdienen. Und wie hatte sie sich gequält. Wir sagten ihr das nicht, aber Kaulmännchen war das Weinen nahe. Mir etwas anderes. Indeß sie sind ja auch nur Menschen.

Auf den Saffratkaplätzen etablirten sich zwei entschieden Ungehörige. Kaulmann hin und sie aufmerksam gemacht, daß die Plätze reservirt seien. »Wir haben die Billete à eine Mark von Frau Professor gekauft,« sagte der eine Mann grob, »und das wird wohl stimmen.« – »Entschuldigen Sie,« bat Kaulmännchen höflich. – Hatte sie die Gratis-Dreimarkeinlaßkarten für zwei Mark verkauft. Die kluge Frau.

Wir gingen nun auch in den Saal; ich saß neben der Butschen, um sie für Weigelts Geringschätzigkeit zu entschädigen. – »Tippt sie jetzt richtig?« fragte sie mich, da ich ihr meine Aengste nicht verschwiegen hatte. – »Hoffen wir!« – »Wir müssen den Daumen drücken.«

Antonie trat ein und stieg mit dem Bouquet in den bebenden Händen auf das Podium. Riesenempfangsklatschen vom ›Keuchhusten‹ und solchen, die meinten, es müßte so sein. Sie verneigte sich und spielte Klassisches, das leichten Mittelbeifall erntete. Dann kam die erste Zugabe, auch so etwas für Kenner. Hierauf kam der Geiger mit seinem Begleiter. Dann wieder Antonie; dann die Sängerin und so, wie eine Schichttorte den Abend weiter bis zu dem Stück mit der Taste.

Der Applaus war bis jetzt ziemlich gleichmäßig gewesen, es ließ sich schlecht sagen, wer sich am meisten zuziehen durfte.

»Nun kommt das Stück,« flüsterte ich. »Herrjeh,« erwiderte die Bergfeldten, »geben Sie mir Ihren Daumen und nehmen Sie meinen, das hilft. Nicht wahr, Butsch?« – »Ob,« sagte der hinter uns. Wie er immer klatschte, der gute Herr Butsch mit seinen schönen großen Händen und hart wie die Waschhölzer. Sie krachten förmlich.

Antonie fing an. Viele schienen den Kniff bei diesem Stück zu kennen, denn es verbreitete sich stille Aufmerksamkeit. Mir wurde ganz dieselig vor Unruhe. Immer näher kam die verhängnißvolle Stelle, jetzt wrummelte sie das Melodiöse mitten auf dem Klavier und jetzt....

Mit einem Male schrie etwas laut auf neben mir. Es war die Butsch-Bergfeldten. »Au, au,« schrie sie. Ich hatte ihr in der höchsten Aufregung den Daumen wohl zu mächtig gekniffen.

Das Publikum klatschte donnernd. »Hat sie getippt?« fragte die Butschen noch mit halbwegs schmerzverzerrtem Gesicht. – »Sie muß wohl, ich habe nichts gehört.« – »Gottlob,« sagte sie. »Solche Sympathie hat doch ihren Nutzen. Gottlob, daß sie so schön durch ist.«

Antonie wurde sehr ausgezeichnet; sie spielte die letzte Zugabe. Das Publikum brach auf und der Marterabend war zu Ende.

Ob sie die richtige Taste getroffen hat, wußte sie selbst nicht und es wird auch wohl nie ein Mensch erfahren. – Eine einzige Zeitung schrieb über das Konzert, nicht ganz gut und nicht ganz schlecht von dem hohen Treffton blos: man hätte ihn wegen unmusikalischer Geräusche nicht gehört. Und deshalb beinahe auf die Bahre geübt. Und meine Nöthe. Und der guten Butschen ihr Daumen.

Kaulemännchen und Antonie gingen bald darauf auf das Standesamt, in die Kirche wollte er nicht wegen der Sonntagsruhe, die hätte ihn zurückgebracht. Sie sind der Hoffnung, daß das Konzert ihr von Vortheil sein wird, wenn auch nicht gleich, so doch später und wohnen einfach aber zufriedenstellend. Ein wahrer Segen, daß Krodo und der Harz mich so gekräftigt hatten; ohne die beiden wäre ich den Konzertanstrengungen unterlegen. Gegen Kunst ist Pferdearbeit so zu sagen eine leichtere Beschäftigung.

 


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