Julius Stinde
Wilhelmine Buchholz' Memoiren
Julius Stinde

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Ethisches.

Die Schönheit als Siegerin – Von der blauen Schleife und der menscheneinenden Halle – Warum Wilhelmine Deutsch wissen will und was auf Bahnhöfen fehlt – Warum die Bergfeldten noch im Vorhof steht und der Katzentisch hoch kommt

Die Vorwürfe, für den Verein zu Verbreitung ethischer Prinzipien noch nichts gethan zu haben, hatten ihre Berechtigung, aber, wie die Professorin Safratka auf ihren Mahnpostkarten verlangte, den Gatten mit dem Thermometer unter dem Arme liegen lasen und Vereinsschwestern einfangen, das war mir zu ethisch. Schließlich tanzte sie in eigener Person an, und da mein Karl schon wieder ein wenig an die Luft ging und thätig zu sein versuchte, half keine Unschlüssigkeit, ich mußte mit.

»Erst überzeugen Sie sich und dann wirken Sie in Ihren Kreisen; die gute Sache gebraucht Mitglieder. Der mittlere Bürgerstand fehlt uns noch sehr und gerade der liegt Ihnen. Bedenken Sie, von jeder Neuen zu zehn Mark mit der Schleife haben Sie zwei Mark fünfundsechzig Pfennige Provision. Das giebt schon hübsches Handschuhgeld.«

»Schmugroschen habe ich nie nöthig zu machen gehabt,« war meine Entgegnung. Für was hielt sie mich? »Uebrigens zweie habe ich schon auf der Klappe, die Bergfeldten und Herrn Butsch, Fräulein Pohlenz ist noch unsicher.« – »Das wäre herrlich, und nicht wahr, die Provision theilen wir? Es brauchen ja nicht Alle zu wissen, daß sie für Novizen Prozente verlangen können; die lassen wir uns auszahlen.« – »Nein, sagte ich, »was die Bergfeldten sich verdienen kann, hinterziehe ich ihr nicht, sie muß sich kümmerlich genug durchschlagen. Ich habe in Gedanken schon Fräulein Pohlenz an sie veräußert und desgleichen Herrn Butsch. Solches Judasgeld nehme ich nicht.«

Die Professorin lachte allerliebst; ihr Vorschlag war gewiß nur ein Scherz. »Ach kommen Sie in unsern Verein, mit Ihren liebenswürdigen Vorurtheilen. Judasgeld? Es hat nie einen Judas gegeben, solche Fabeln beseitigt die Ethik. Kommen Sie, damit Sie erkennen, wie falsch Alles ist, was bisher gelehrt wurde. Die Kirche sagt, es muß der Glaube sein; das ist verkehrt, die Gesinnung muß es sein. Glaubt macht orthodox – puh – Gesinnung macht tolerant. O wie wundervoll wird die Welt sein, wenn die Toleranz herrscht!« – »Das sagt ich Ihnen, aber ich verlange auch, daß man gegen mich tolerant ist und mir kein durchtriebenes Dienstmädchen anlügt.«

»Sie haften noch an den Nebendingen, die erledigen sich von selbst nach den Hauptsachen!« – »Und die wären?« – »Zunächst aus den Banden der Kirche.« – »Was hat die mit den Dienstmädchen zu schaffen?« – »Erst das Nahe, dann das Fernliegende, das ist zielwärts.« – »Mir ist die Dienstbotennoth nahe genug gegangen.« – »Können Sie leugnen, daß die Kirche sich überlebt hat?« – »Es werden ja auch neue gebaut und die alten renovirt.« – »Weg mit den Kirchen: es sei ein großer Dom, der alles umfaßt, Schule, Theater, Poesie, Kunst, Wissenschaft als Gemeingut der Menschen auf ethischer Grundlage.« – »Wo bleibt dann die Religion?«

»Das ist sie!« rief sie begeistert. »Jene Hallen, wo sich Mensch und Menschen einen. Die Christenheit hört auf, an ihre Stelle tritt die Menschheit.« – »Wie macht sie das?« – »Dies auszudenken ist dem Einzelnen überlassen, das kann man nicht mit Worten sagen.« – »Warum denn nicht?« – »Das ist eben die Ethik. Sie werden es schon begreifen, je fleißiger Sie die Vortragsabende besuchen.« – »Mich dünkt, das ist nicht was für Frauen.« – »Gerade. Wir Frauen können viel mehr durchsetzen als die Männer, da ein Mann nicht gegen uns grob werden darf, und wenn wir sie erst ethisch haben, werden sie noch rücksichtsvoller. Dann ist die Frauenfrage durch.« – »Ich fürchte, es kommt anders. Jetzt lassen die Männer die Frauen noch zuerst einsteigen oder vorangehen; sind sie aber erst gleichberechtigt, steigt der Stärkere zuerst ein und drängt die Frau ganz zurück.« – »Eben deshalb müssen ethische Prinzipien verbreitet werden. Sollen wir Frauen uns noch länger von den Männern unterdrücken lassen?« – »Liebe Frau Professorin,« sagte ich, »bis jetzt haben die Frauen die Männer noch unter, weniger durch Nachahmung des stärkeren Geschlechts als durch die Gaben der Weiblichkeit. Schönheit ist immer Siegerin und selbst eine häßliche wird verheirathet, wenn sie liebenswürdig ist.« – »Einen Mann zu erobern ist doch nicht das Ideal des Weibes.« – »Einen Mann lieben und beglücken galt früher als das höchste Ziel, heut wollen sie Männerarbeit verrichten und können es ihnen doch nicht in Allem gleichthun. Vielleicht wenn sie tauschen und in die Eisenhütten gehen, in die Bergwerke, Militair werden, Matrosendienst nehmen und so weiter, indeß die Männer die Kinder kriegen... aber ich hege starken Zweifel, daß die gesammte Reichstagsklugheit im Stande ist, ein Gesetz auszubrüten, das die Naturgesetze umstößt. Sehen Sie, das ist meine Ethik.« – Sie lachte so herzlich, die Frau Professorin, als hätte ich ihr das Neueste aus den Fliegenden erzählt.

»Ihnen ist das Licht der Ethik noch nicht aufgegangen,« sagte sie, »sonst wären Sie toleranter. Haben Sie Ihre blaue Schleife? Heut Abend ist Vortrag über ›Ethik am häuslichen Heerde‹, den verstehen Sie.« – »Die andern auch, hoffe ich,« bemerkte ich schärflich. Für was hält die Frau mich? – »Sie stehen noch im Vorhofe, meine liebe Frau Buchholz. Aber bald sind Sie die unsrige voll und ganz.« –

Als wir in der Königgrätzerstraße in dem Saale landeten, wo die Versammlung stattfand, war die Ethik schon in vollem Gange. Damen und Herren saßen an gedeckten Tischen und hörten einem Manne zu, der wie ein entlassener Anstaltsgeistlicher aussah und mit einer dumpfen Baßstimme redete.

Ich nahm mir erst mal die Gesellschaft in Augenschein, weil man doch wissen will, wo man mang ist. Mein Ueberschlag war: mehrstens ältere unverheirathete Jahrgänge, aber gebildet. Die Herren schienen auch alle nicht besonders kräftig, sie glichen gut gekleideten armen Leuten. Die rechte Lebenslust saß nicht drin. Die Meister hatten die blaue Schleife angelegt, es muß doch Jeder zeigen, was er vor seinen Nebenmenschen voraushat. In den Vereinsschriften, die mir zugesandt wurden, hatte ich freilich gelesen, daß die Ethik billiger und weiser macht, hier sah ich aber noch nichts davon.

Als der Redner eine Wassernipp-Pause machte, rückten wir in den Saal vor, obgleich ich wegen vielleichter unmerkbarer Entweichung den Platz an der Thür gern behalten hätte. Die Safratka'n grüßte verschiedene der Anwesenden, aber ich kam mir verrathen und verkauft vor, wie Joseph in der Löwengrube, da ich keine Seele kannte.

Nachdem wir uns gesetzt – der Redner grimmte mich an und die Damen wetzten ihre Blicke – fragte ich: »Kann man hier ein ethisches Glas Bier haben?« – »Was denken Sie?« schauderte die Safratka'n. – »Ich meinte, weil doch die Tische gedeckt sind.« – »Als Symbole; weiß ist die Farbe der Reinheit.« – »Also trockene Bowle,« wollte ich scherzen, aber der Redner räusperte sich, stellte mich mit seinen Augen und begann:

»Der Gedanke, den ich soeben aussprach, muß Jeden mächtig ergreifen, Jede und Jeder wird denselben nach eigener Begabung ausdenken, ich habe nicht nöthig, denselben weiter auszuführen.« – »Wenn ich selbst denken soll,« fing ich meine Verwunderung an. – »Scht! Scht!« zischten welche.

»In der frühesten Jugend muß die Empfindung für das Wahre, Gute, Edle, Tüchtige, Saubere, Reine, mit aller Kraft gepflegt werden. Nicht darf man dem Kinde und wenn dasselbe noch so klein ist, mit dem schwarzen Manne drohen, nein, wenn dasselbe die Tuschfarbe in den Mund steckt, muß man ihm sagen, daß dieselbe Arsenik enthält, welches auf das Mesenterium wirkt, muß demselben klar machen, daß man wohl mit der Puppe spielen, dieselbe aber nicht küssen darf, weil leicht Bazillen sich an derselben befinden, die unsere Lieblinge dahinraffen. Und so der Beispiele unzählige, es wird Ihnen nicht schwer fallen, dieselben bis auf eine Legion zu vermehren. Haben wir diesen Saamen erst in die Herzen der Kleinen gesät, können wir das Weitere getrost der Zeit überlassen. Hier, in dieser Stunde, handelt es sich um die Anregung, nicht um den Ausbau der großen, alle Menschen einenden Halle, deren Pfeiler eben die Anregungen sind, die Formung der Gedanken, deren Wölbung das Streben der neuen, anbrechenden Zeit umfängt. Nur Sophisten machen uns Vorwürfe mangelnder That, denn das Wort ist That, der Gedanke ist That...«

»Halten Sie das öfter aus?« fragte ich.

Scht! Scht!

»Der kann mir viel erzählen,« dachte ich. »Wenn er doch nie sagt, was er eigentlich will, und die Zeit die Hauptarbeit thun soll, kann er mir gewogen bleiben.« Ich hörte auch nicht mehr hin. Und als er verkündete: »Es kann ja nicht fehlen, wenn Alle für Ethik Begeisterte, ihre Ueberzeugung in das Volk tragen, den Einzelnen mittheilen, die Kultur rapide wächst und die Menschheit sich auf ein Niveau der Gesittung erhebt, daß es eine Freude sein wird, in dieser Welt zu leben,« da wollte ich ihm die Ruftis von Berlin seiner persönlichen Vorsorge empfehlen und die Flegel aus der Stadtbahn; aber man durfte ja nicht Piep sagen.

Auch vom Teufel hatte er was, er nannte ihn schnöden Pfaffenbetrug. Dann schlief ich bruchstückweise. – Als er mit den Worten schloß: »Die Ethik wird nicht mehr bitten, sie wird das Recht fordern, das ihr zukommt« und die Versammlung bravoklatschte, da dachte ich an Nante und seine Mutter. Die werden auch fordern. Ich weiß nicht, Alle wollen sie haben und keiner geben, als Redensarten. »Ungemein tief. Nicht wahr?« fragte die Frau Professorin. »Unser Keller ist nichts dagegen,« antwortete ich. »Wenn mir jetzt blos Einer sagen wollte, was Ethik ist?« – »Das ergiebt sich aus den Gesammtbestrebungen, kommen Sie nur regelmäßig in die Versammlungen.« – »Was heißt denn eigentlich Ethik?« – »Etwa so viel wie philosophische Moral, das heißt, treffend läßt Ethik sich deutsch nicht wiedergeben, – es sind eben unsere Prinzipien –, die das griechische Wort bezeichnet.« – »Schade, ich hätt' es gern erfahren, mir die Vorträge zu ersparen, bei mir heißt es: Kurze Gebete und lange Wurst und nicht, wie bei Ihnen, umgekehrt.« – »Bringen Sie uns nur Mitglieder, Sie kommen schon dahinter.« –

Ich kann viel vertragen, nur nicht wenn Eine nicht mit der Sprache heraus will oder nicht kann. Altes abschaffen ist leicht gesagt, aber nun mit der That beweisen: – so wird's besser gemacht, da stuckt es. Verdient die Bergfeldten einige Groschen durch den Verein, mir lieb, wenn sie auch, wie ich fürchte, die Ethik noch weniger zu fassen kriegt, als ich. Aber mit der Safratka getheilt wird nicht. Hat sie sich für ihr Geld einen doktorirten Mann zugelegt, wird sie wohl noch nicht verhungern, ohne das bischen Handschuhgeld. –

Da mein Karl jetzt viel an die Luft mußte, machten wir gemeinschaftlich täglich Spaziergänge, in den Friedrichshain, nach dem Humboldtshain sogar, oder in den Thiergarten, der mit der Stadtbahn ja leicht zu erreichen ist. Nur ein großer Mangel macht sich auf den Stadtbahnhöfen fühlbar: es sind wohl für Gepäck, aber nicht für Personen Aufzüge vorhanden. Wer Treppensteigen vermeiden soll, alte Leute und solche, die in die Bäder reisen, für die ist nicht gesorgt. Das heißt, sie können sich von Kofferträgern hinaufschleppen lassen, aber die Umstände und die Kosten sind nicht zeitgemäß. Was in den Hotels für Reisende nothwendig erscheint, dürfte Bahnhöfen nicht fehlen, die nur auf hohen Treppen zu erreichen sind. So ist sogar in Berlin noch manches der Verbesserung bedürftig.

Wir mußten langsam hinauf steigen und in dem Menschengedrang wurde mein Karl oft gnedderig: er war ja auch noch nicht auf dem Posten. Nur einmal freute er sich. Es kamen da zwei Jungen, so neun- bis zehnjährige, mit brennenden Zigaretten im Munde und einem Kinderfahrschein in der Hand, lächerlich anzusehen für vernünftige Leute und ärgerlich, daß solche Steppkes sich nicht schämen, weil Keiner ihnen gute Sitte beibringen darf. Mein Karl fing schon an, sich zu entrüsten, als der Treppenschaffner mit der Lochzange innehielt und zu den Herren Jungs sagte: »Wat, Ihr wollt uf Kinderbillet fahren und roocht wie die Jroßen? Augenblicklich zaruck und 'n Fahrschein für Erwachsene jelöst. Nächstens werd't Ihr Euch wohl verheirathen?« – Der Hohn, wie sie abzogen. »Siehst Du, Karl,« sagte ich, »so ungefähr stelle ich mir die Ethik vor; giebt dem Mann ein Douceur, schon allein, weil Du lachst.« –

Die Bergfeldten kam öfters heran. Die Heirath mit Herrn Butsch lag ihr doch schwerer auf, als sie gestehen mochte und deshalb schloß sie sich mehr an mich, als sonst. In der Noth wird der Mensch gesellig. Abreden ließ sie sich jedoch nicht. – »Das Vermiethen ist ein zu unsicheres Brot,« klagte sie. – »Sie haben doch den jungen Mann mit dem goldenen Gemüth.« – »Ne nette Biele,« brach sie zornig aus. »Nu er was von einem heimlichen Onkel geerbt hat, kündigt er mir und geht bei die Pohlenz, die olle Stieze. Aber die begieß ich nicht mit Schokolade, darauf kann sie Gift nehmen.«

»Ich weiß einen Verdienst für Sie,« sagte ich und legte ihr den ethischen Prinzipienverein klar. »Sie müssen an Ihrer eigenen Vervollkommnung arbeiten und immer nachdenken.« – »Das will ich ganz gerne, wenn es auch nur eine Kleinigkeit einbringt; die Zeiten sind hart.« – Nun kam mir das ethisch Gelesene zu paß, um sie etwas einzuweihen, damit sie mit verblüffender Unwissenheit es nicht gleich gänzlich verdirbt.

»Haben Sie nie etwas gethan, was Sie nachher bereuten?« fragte ich. – »Wo werd ich?« – »Nie über Ihre Nachbarn geurtheilt?« – »Immer erst nach der ersten Wäsche, dann sieht man, was für Volk ins Haus gezogen ist.« – »Nie im Kartenspiel betrogen?« – »Na, das bereut man doch nicht?« – »Das müssen Sie. Glauben Sie an den Teufel? Den haben sie abgeschafft.« – »Ich hab nie recht Meinung für ihn gehabt, im Puppentheater kriegt er ja immer die Kalasche.« – »Woran glauben Sie denn?« – »Blos noch an Leichenverbrennung.« – »Das genügt nicht; ich will Ihnen die Schriften unseres Vereins geben. Die Hauptsache ist die Toleranz.« – »Meinetwegen.« – »Und das Jenseits. Bedenken Sie die furchtbaren Martern: eine geschlagene Ewigkeit.« – »Ja an die Martern glaube ich schon, man bloß, daß ein Mensch sie so lange aushalten kann, das will mir nicht in den Sinn.« – »Sie stehen noch im Vorhof, Bergfeldten, lesen Sie die Papiere und gehen Sie in die Vorträge. Und machen Sie es nicht wie die Sophisten, das mögen die Ethiker nicht.« – »Ich auch nicht. Ich habe einen im Vorderzimmer, und soll die Miethe vom vorigen Monate noch kriegen und kriege sie auch nicht, der Kerl ist ein zu sehrer Sophist!« – »Wieso?« – »Er liegt doch den ganzen Tag auf dem Sopha und thut nichts. Das sind die schlimmsten. Bei Butsch hab' ich doch nicht die Sorgen und den Verdruß, wie mit den Chambregarnisten.«

Sie blieb zum Mittag bei uns; sie kann ja am Ende nichts dafür, daß ihre Ausbildung nicht die jetzt allgemein vorgeschriebene Höhe erreicht. Und dabei hat sie von ihrem Schwiegersohn zu leiden, der sich immer mehr einbildet als Beamter und den Kopf ganz steif trägt. Sie ist zu bedauern. Ich wünsche ihr von Herzen, daß sie nicht fehlgreift.

Nachher machten wir eine Partie nach dem Viktoriapark, wie der Kreuzberg jetzt heißt, nachdem der Sandhaufen in eine Gebirgslandschaft umgekatert ist, die sich sehen lassen kann. Und wenn der Kreuzberg auch kein Montblanc ist, wo giebt es zum zweitenmale in der Welt einen Berg, von dem man Berlin überblicken kann, das Häusermeer mit seinen Thürmen, Kuppeln, Gasometern, mit dem Schloß und dem Reichstagsgebäude, das goldig glänzt, wenn die Sonne scheint?

Die Anlagen sind überraschend. Da ist eine Wolfsschlucht, große Rasen, steigende Wege und abwärts führende, verschlungene und gerade, da sind Teiche, murmelnde Bäche und der große Wasserfall. Zwei Millionen achtmalhundertneunundvierzigtausend und etliche Mark verschlang der Park, wobei die zur Erweiterung des von dem diesmal lieberalen Fiscus überwiesenen Parksandlandes erforderlichen Grundstücke über zwei Millionen schluckten, so daß der Katzentisch höher zu stehen kam als die Haupttafel. Aber das Unglück fügt es bisweilen, daß gerade da, wo eine Straße durch oder eine Markthalle hin muß, sehr theure Grundstücke liegen. Das sehen aber die Wenigsten ein, die sich des Parkes erfreuen, am allerwenigsten die Kindermädchen. Denen ist das Tempelhofer Exercirfeld nebenan bedeutsamer.

Der Wassersturz, der im Sommer seinen Achtstundentag hat, wofür zweiunddreißigtausend Mark jährlich fließen, damit die ungeahnten Wassermassen wieder hochgepumpt werden: wo findet man eine Stadt, die Aehnliches für die Erholung der Bürger leistet? Und, steht Natur nicht über Kunst?

Wir kamen gerade zu dem Moment, als der Sturz seine Nachmittagsschicht begann. Das Wasser wälzte sich von oben herunter, über die Felsen, unter der Brücke durch, in breiten und schmalen Güssen, schäumend und plätschernd. Die Bergfeldten war vollkommen überwältigt von diesem Anblick.

»Ganz wie bei Renz,« sagte sie.

Wie viel Ethik gehört noch dazu, ehe sie einigermaßen wird?

 


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