Julius Stinde
Wilhelmine Buchholz' Memoiren
Julius Stinde

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Eine Verlobungsfahrt.

Warum Wilhelmine philosophiert – Warum Onkel Fritz nichts heilig ist und Mila Aussichten gab – Die Ehrenplätze und die Familie Piefke – Von der Seelenwanderung und dem neuesten Lied – Warum Onkel Emanuel Blindekuh spielt und Wilhelmine die Phantasie schont – Wie die Einjährigen sind und das Gewissen einschläft – Warum Komplimente gewürgt werden und die Unkultur oben schwimmt – Von Flitter und Hochmuth

»Man kann Einem bald eine Hochzeitsreise anrathen, aber mit wem?« – Das war immer Onkel Fritz' Antwort, wenn ihm auseinandergesetzt wurde, wie schädlich das Alleinstehen für ihn sei und welche Lieblichkeiten das eheliche Dasein dem Menschen bietet. Zu meinem Manne sagte er sogar einmal: »Karl, schreib mir die Lieblichkeiten doch auf einen Stempelbogen, hübsch specifizirt und nach der Qualität geordnet, damit ich mich überzeugen kann.«

Als ob eheliche Glückseligkeiten gewebte Waaren wären? – Ich entgegnete: »Dein Spott ändert nichts an den Thatsachen. Wie viel ist schon über die Siegessäule räsonnirt worden und sie steht immer noch hoch erhaben, also wirst Du auch den seit Jahrtausenden geheiligten Stand der Ehe nicht in Stücke reden...«

»Wilhelmine, halt die Luft an, sonst kriegst Du die Kiemen nicht wieder zu,« sagte er. Natürlich schwieg man und dachte: die Nemesis wird ihn schon noch hineinlegen, aber das Schicksal hat ihm recht etwas Liebes bewilligt oder vielmehr er holte es sich. Onkel Fritz war von jeher für selbst zulangen.

Männer sind hierin ja auch bevorzugt und ich glaube nicht, daß es nach der Einführung des Mädchengymnasiums anders wird. Wenn Eine auch weiß, wie Gatte, Hausstand, Wäsche, saure Gurken und dergleichen auf Lateinisch heißt, nützt es ihr in dieser Hinsicht doch nichts: die Damenwahl bleibt auf den Ballsaal beschränkt. Im ernsten Leben mit Standesamt und Prediger werden die Jungfrauen, wie bisher üblich, mit auf halb gestellten Augendeckeln auf die Jünglinge waren müssen. Allerdings vermag eine umsichtige Mutter viel, und manche Männer sind förmlich zum Nachhelfen geboren, aber man muß nicht nur vorsichtig dabei sein, sondern auch im Verborgenen ohne Apparat, und nicht wie die Polizeilieutenanten mit den Aufgebot sämmtlicher Verwand- und Bekanntschaft. Wenn es ihr dennoch nicht vorbei gelang, so wird sie hoffentlich einsehen, wem sie Dank dafür abzustatten hätte, wenn er verlangt würde. Ueber feinere Gefühle stellt man aber keine Rechnung aus, wenigstens nicht unter Gebildeten.

Wie immer, wenn man denkt, die schönen Tage von Aranjuez wären einmal bleibend angebrochen, daß man den letzten Verdruß wirklich hinter sich hatte, oder in bekannten Familien ereignete sich, was man längst vorausgesehen hatte, genug ich war ahnungslos, als Onkel Fritz antrat und mir den Vorschlag machte, am Sonnabend an einer Kremserfahrt nach Saatwinkel theilzunehmen; es würde riesig gemüthlich.

»Fritz,« sagte ich, »ob eine Fahrt gemüthlich wird, das hängt von denjenigen welchen ab.«

»Welche welchen?«

»Den Mitmachern. Bringen die richtige Gemüthlichkeit mit, so kann es gemüthlich werden, obgleich der Tag lang ist. Sind aber solche mit bei, die meinen, Gesellschaft bestehe hauptsächlich aus marmorartigem Stillsitzen, die stören mit ihrer Unbewußtheit ebenso sehr, wie solche, deren innerer Mechanismus erst durch Alkohol in Gang geräth, wie eine Nickelfalle, weißt Du, wo man oben den Nickel hineinsticht und unten das Paquet heraustrudelt. Hinein kriegen sie das Destillirte und heraus kommen Redensarten und Anzüglichkeiten, sozusagen der unkultivirte Naturmensch, und das munter begonnene Friedensfest ist reif für die Sanitätswache.«

»Wilhelmine,« sagte er und machte eines von seinen ernsten Gesichtern, auf die jeder, der ihn nicht kennt, sofort hereinschliddert, »Du studirst wohl Philosophie?«

»Menschenkenntniß und Menschenerfahrung!« entgegnete ich ebenso ruhig, da ich herausmerken wollte, worauf er loszielte.

»Es kann Dir unmöglich gut thun, in einsweg bei den Büchern zu sitzen, und wenn Schopenhauers gesammte Werke auch noch so billig sind.«

»Was willst Du mit Schopenhauer sagen?« entgegnete ich beleidigt, »Du weißt, wie wenig Bier ich trinke.«

»Ich meine Dein Grübeln und Herummurksen. Komm mit hinaus, in die Luft, ins Grüne, hör' die Padden singen und sieh die Nachtigall aus dem Bächlein saufen und mach's ebenso.«

»Fritz, ich bin zu alt und zu bequem.«

»Ach was, so hoch in den Kilos bist Du doch nicht.«

»Lustbarkeit und Freude ist für die Jugend.«

»Du hast noch lange Zeit, Dich auf den Kirchhof zurückzuziehen, bis dahin genieße, was das Leben bietet.«

»Fritz, in allem Ernste: glaubst Du, ich glaubte, eine Kremserfahrt sei ein sogenannter Genuß?«

»Wer's nicht glaubt, kommt auch noch hin,« erwiderte er und wurde dann wirklich ernsthaft. »Wenn Du übrigens so sagst, will ich Dir reinen Wein einschenken...«

»Also, Du hattest verfälscht angesetzten für mich parat. Danke! Jetzt bin ich für nichts und gar nichts mehr zu haben.«

»Mach keine Maffeeken. Um zwei Uhr mitteleuropäischer Zeit wird vom Brandenburger Thor abgegondelt.«

»Bei der Hitze!«

»Zum Mittagsschläfchen im Wagen ist nichts geeigneter als höheres Thermometer. Dann fahren wir am Kanal lang durch die Jungfernheide nach Saatwinkel, da trinken wir erst Kaffee...«

»Welche ›wir‹, Fritz?«

»Zuerst und obenan Du, mein Schatz, dann Dein Engelskarl...«

»Ist er auch.«

»Deine Schwiegersöhne mit ihren Gattinnen...«

»Betti kann nicht, und ihr Mann wird nicht so taktlos sein, sie allein zu lassen.«

»Meine Frau dito, aber sie hat den Takt, mir holdlächelnd Erlaubniß zu geben. Sie ließ sogar einen Aluminiumhausschlüssel machen, daß ich nicht so schwer zu schleppen habe.«

»Ich bleibe auch zu Hause.«

»Und womit willst Du Dich entschuldigen?«

Als ich nach glaubwürdigen Gründen suchte, fing er an barbarisch zu lachen.

»Wilhelm, bleib!« schrie er außer sich vor Vergnügen, »Wilhelm, bleib. Aber mein Schwager muß mit und so oft Dein Wohl und Dein Familienwohl trinken, bis er sich wie'n frisch verlobter Bräutigam vorkommt. Seit Harzburg ist er überhaupt ein Erzschwerenöther.«

»Dir ist nichts heilig,« rief ich ärgerlich. »Du wärst im Stande...«

»Bin ich.«

»Wer macht mehr mit?«

»Der Herr Sanitätsrath.«

»Das ist etwas anderes, wenn mein Schwiegersohn, der Herr Sanitätsrath, Zeit haben. Nimmt meine Tochter, die Sanitätsräthin, die Rathskinder mit?«

»Du hast selbst mal gesagt, Kinder und Brautpaare verbubanzen die schönste Fahrt.«

»Ja, weißt Du, wenn es nämlich anderer Leute Kinder sind. Aber dem Sanitätsrath seine...«

»Sind auch Rangen.«

»Kinder sind Kinder, besonders Fritz, aber es wird was daraus. Paß acht. Und wie ist es mit Bräutigamen.«

»Sehr einfach. Polizeileutnants Mila fühlt sich schon seit mehreren Jahren wie in den neunundzwanzigen.«

»Ach so, aus die Luke kiekst Du?«

»Ganz aus der nämlichen. Siehste, Willem, als er noch im Dienst war, sahen sie sogenannte bessere Tage.«

»Und sie in moosgrün Plüsch und Mila'n eine Erziehung in der Schweiz gegeben mit französischem Akzang, aber für Hausstand hat die Nerven und natürlich nimmt sie keiner. Das habe ich längst deutlich gesehen, ich habe die Augen nicht bloß zum Schlafen.«

»Eben deshalb. Es sind nämlich Aussichten für Mila.«

»Was hat er?«

»Auch Aussichten.«

»Zu solcher Mesalliance reiche ich meine Hand nicht.«

»Sollst Du auch nicht, Du hast ja Deinen Karl. Also der junge Mann, er hat eine Hilfsstelle beim Magistrat und später wird er fest angestellt...«

Es fuhr mit mir Entsetzen durch, daß in dieser Hinsicht der Magistrat nicht pensionsfähig ist und fragte daher: »Wie wird es, wenn er stirbt und sie sitzt mit den Kindern da?«

»Vorläufig hat sie noch keine und Noth wird sie auch nicht leiden, wenn sein Onkel erst mal die Kaution stellt, fernere Zuschuß giebt und nach seinem Tode ihnen etliche Knöppe vermacht.«

»Was ist dieser Onkel?«

»Früher Bauer in Schöneberg mit noch einigen abseits liegenden Grundstücken.«

»So, so! Und verstehe ich das Komplott richtig, dann soll der Onkel in Feststimmung versetzt werden, seine Einwilligung geben, Gelder herabrücken und so weiter. Da habt Ihr auf mich vergebens gerechnet.«

»Du sollst ja auch nur zur Verherrlichung des Ganzen dienen. Redest Du einen Ton mit dem Onkel – und wer könnte das besser als Du –, so ist's gut; wenn nicht, denn nicht. Aber die Polizeileutnanten und Mila und er...«

»Er ist ja nur noch Agent für moussirende Schaumweine!«

»Nur noch... stimmt. Sie alle hofften auf Dich. Adje Wilhelmine. Sonnabend zwei Uhr. Zu Hause bleiben kannst Du nicht, Dein Mann macht mit.«

Und weg war er.

Ich überlegte viel. Freilich wahr war es; nachdem dem Polizeilieutenant sich irgend ein Hinderniß in das Avancement geworfen hatte, laut ward es nie, mußte er sich nach einer Nahrung ohne festes Gehalt umsehen, und das ist ein bißchen sehr harte Arbeit für einen Mann über die mittleren Jahre. Und sie standen groß da. Im ganzen Bezirk nicht rühr an.

Mit ihr mag man nicht darüber sprechen. Sie sagte »mein Mann hatte die Gebundenheit satt«.

Ich wollte schon entgegnen »da sind Sie wohl reinweg aus Freiheitsdrang von der zweiten in die vierte Etage gezogen?« aber ich ließ es. Wahrheit thut am allerwehesten, wenn man sich eben vorher recht schön belogen hat. –

Schließlich bin ich auch durchaus nicht für Landpartien zu abgelagert. Im Gegentheil, mein Karl und ich sind von ungetrübter Frische.

Wir waren um Zweien beim Brandenburger Thor. Anderthalbe Kremser saßen schon voll; in dem annoch leeren lauerten die Ehrenplätze auf uns.

»Fritz!« fragte ich. »Woher stammt diese viele Menschheit?«

»Verwandte und Bekannte.«

»Hat er denn mehrere Neffen oder gar Nichten?«

»Ein halbes Dutzend etwa.«

»Von einem mehrfach getheilten Onkel giebt es nur wenige Grieben auf jeden. Wo ist er aber?«

»Der da.«

»Der mit dem Gesicht? Der macht auf mich den Eindruck wie einer vom Kommunalen.«

»War er auch, und ist sein Bruder, der Bräutigamvater, noch. Er heirathete aber die Wittwe in Schöneberg, auch eine geborene Piefke, und nun ist er Wittwer und die meisten sind aus Schöneberg und Umgegend, und etliche haben Groschen und etliche keine. So, nun weißt Du Bescheid.«

»Mehr als zuviel.«

Ich wollte einige ablehnende Bemerkungen machen, denn manches Geld in Schöneberg soll durch Wasserzusatz zu Milch erworben sein und wäre als straffälliges Pansch-Vermögen recht etwas für Miquel seine Steuerpläne, wogegen er z. B. Wollwaarenfabrikate unangetastet lassen könnte, aber Mila kam gerade mit ihren Eltern. Sie sehr sommerlich, Waschkleid mit vorjährigem Hut (zu einem passenden langte es wohl nicht), sehr weißblühend in der Gesichtsfarbe und sehr schmachtend unter den Augen (kleine malerische Nachhülfe). Mila freute sich, mich zu sehen und sie, die Mutter, auch.

»Ich hatte lange keinen frohen Tag,« sagte sie leise zu mir, »ich sehne mich, einmal hinauszukommen in die Luft, ins Grüne. Man erstickt fast da oben unter dem Dach.«

Er, der Vater, war liebenswürdig und nett. Nur die Nasenkulör gefiel mir nicht, und schwer begreiflich ist es, wie weißer Schaumwein so ins Röthliche schattiren kann. Wir nehmen ja auch davon aus Freundschaft, aber die Farben ist noch bei keinem durchgebrochen, indem er nur bei Außergewöhnlichkeiten gereicht wird, wie Kindtaufen, wo Betti zu der nächsten denn von unserm Vorrath abkriegt.

Wir also hinein in die Gondel; das heißt erst Vorstellung. Die Gesammtheit war die Familie Piefke mit Anhang, die Haupteinzelheiten waren der Onkel, der Bruder Piefke, der seiner Frau auf den Namen Leopold hörte, der junge Piefke, – der zukünftige Milas-Gatte, wenn etwas daraus werden sollte, mit dem poetischen Namen Ferdinand – Fräulein Malwine Piefke, Ella Piefke, Theodora Piefke, Egon Piefke und so mehr alle aus dem Buchstaben P. Es paffte nur so.

Die meisten Kremser haben von den alten Aegyptern her die Einrichtung, daß erst der Kutschersitz kommt, dann eine Bucht, wie eine zweisitzige Kutsche, und daran schließend die Langsitze für die Jüngeren, wogegen die Aelteren in das Chaisenartige gesetzt wurden: ich neben den Onkel, der ausgerechnet Emanuel heißt.

Mein Bruder Fritz saß gerade hinter mir in dem Langtheil des Kremsers und hatte statt seiner einen jungen Mann zu uns gethan, einen Herrn Stein, der sich mit Momentdilettantenphotographie beschäftigt und sich auf diese Weise zum modernen Künstler ausbilden will. Mittel, daß er nicht verhungern braucht, hat er, aber doch nicht genug, um z. B. Mila glücklich zu machen.

So fuhren wir denn ab, immer wärtser und wärtser, bis wir die Chaussee zu fassen hatten und Plötzensee sich den Blicken zeigte. Herr Stein war fremd in Berlin. Konnte ich nun sagen: »Dieser ummauerte Palast, den Sie hier sehen, ist der moralische Müllkasten von Berlin, blitzen Sie los,« ohne den früheren Polizeilieutenant ins Gespräch zu bringen, der doch damals Lieferant für die Strafgerichtsanstalten war? Nein, es mußte jede trübe Anspielung vermieden werden. Deshalb fragte ich:

»Wie gefällt Ihnen die Gegend?«

»O,« sagte er, »ich habe schon ziemlich den Mund voll, aber Geschmack kann ich ihr noch nicht abgewinnen.«

»Warten Sie nur,« belehrte ihn Onkel Fritz, »gleich sind wir am Kanal, der stäubt nicht im geringsten.«

Mein Karl unterhielt sich mit dem Herrn Polizeileutnant a. D., Mila war einsilbig und der betreffende Ferdinand schaute sie mit so großen Laueraugen an, ob sie ihm nicht ein Liebesbröcklein zukommen ließe, als wäre er ein seelenwandernder Pudel. Anders kann ich mir von einem Manne solche Schmachterei nicht erklären. Und seine wissenschaftlichen Feuilletons liest man ja in den Zeitungen. Seelenwanderung und so was kommt jetzt sehr auf.

Am Plötzensee-Gefängnis und an der Militär-Badeanstalt sind wir glücklich vorbei und die Jungfernheide streckte ihre grünen Arme aus, die Kremser zu empfangen, von denen der hinterste ganz in aufgewühlte Gegend gehüllt war, als der Onkel Piefke sich ohne Veranlassung an mich wendet und sagt: »Nun machen Sie doch mal einen Witz, Frau Buchholz; Sie sollen ja so komisch sein.«

Es giebt Blitzschläge, solche die nothwendig aus ungeordneten Luftverhältnissen hervorgehen, damit die Natur wieder ins Gleichgewicht geräth, und solche, die von Menschen mit untergeordnetem Denkungsvermögen losgelassen werden und sich verletzen. So wirkte die Anrede des Schöneberger Onkels auf mich. Wäre er nur Schöneberger, von Hause aus so zur Welt gebracht, ich hätte gedacht, Bauer bleibt Bauer und wenn er den ganzen Tag Gurkensalat ißt, aber er stammt doch aus städtischer Familie und sein Bruder Leopold ist Beamter. Dies in schnellster Kürze überlegend, wollte ich ihm eben seinen Standpunkt klar machen, als ich fühlte, wie die Frau Polizeileutnanten a. D. meine Hand mit der ihren ergriff und preßte und zitternd an sich zog. In demselben Augenblicke rief Onkel Fritz, der sein Auge überall hat, wenn es gilt, in unser Abtheil hinein: »Kennen Sie denn schon das neueste Lied?«

»Nein!« riefen wir alle.

»Na, denn mal aufgepaßt. Der erste Vers geht sehr gefühlvoll. Denkt Euch so Sangesbrüder, die singen ihn mit der ganzen Rührung des Dichterkomponisten, daß der Ortsgensdarm sich vor Wehmuth nicht mehr zu helfen weiß. Aber es sind Berliner mang den Zuhörern. Sowie der Vers zu Ende ist, rufen die ganz laut und vernünftig: »Muß selbst ooch.« – Bitte also zu rufen, meine Herrschaften, wenn's so weit ist.«

Onkel Fritz sang nun gefühlvoll und getragen, die Melodie erinnerte sehr an den Walzer eines Wahnsinnigen, den die Töchter früher spielten, als er in Moden war:

Seid nur vergnügt, ihr lieben Brüder,
Schiebt die bangen Sorgen auf.
Morgen geht die Sonne wieder
An dem blauen Himmel auf.«

»Muß se ooch!« riefen wir. –

Nun kam der zweite Vers, der war aber genau wörtlich ebenso. Wir übten ihn aber unermüdet weiter und in Zeit von einer Viertelstunde machte unser Kremser auf jeden unahnend Vorübergehenden den Eindruck totaler Verrücktheit. Wir sangen alle den gefühlvollen Vers und riefen hinterher mit ganzer Kraft der Ueberzeugung: »Muß se ooch.«

Und wenn man drüber nachdenkt, muß sie es ja auch.

Das Lied hat allerdings nur den einen Vers, der sich jedoch ungeschwächt wiederholen läßt. Und mit dem kamen wir nach Saatwinkel hin.

Saatwinkel in der Heide, dicht am Tegeler See, ist wirklich schön, lieblich und anmuthend. Und wie wird solche Gegend erst durch das Mitgebrachte. Den Kaffee nahmen wir im Wirthshause ein, das Abendbrot war als Freitisch im Grünen gedacht mit vorhergehender ländlicher Unterhaltung.

Diese ist für die Jugend allerdings ein besonderer Reiz: Ringspiel, Zeck und was es sonst noch giebt, wobei man läuft und sich greift, aber für das Alter ist doch mehr die Ruhe, wo allein schon das Schnackenvertreiben mehr Arbeit macht, als sich mit dem Achtstundentag gesetzmäßig verträgt. Ich hätte deshalb auch zu den jungen Leuten gesagt, laßt Onkel Emanuel sitzen, wo er sitzt, als sie ihn mit Gewalt zum Blindekuh zerrten, aber weil er doch wegen seiner tödtlich beleidigenden Anrede von vorhin Strafe verdient hatte, redete ich zu. Da ferner sein Neffe und Mila mit in dem Ringelreihen sprangen, konnte das Gehüpfe in der Hitze beiden nicht schaden, weder dem Onkel noch dem verliebten Neffen.

Leopold und Frau sahen zu, wie der Onkel so herablassend war, mitzuspielen, da doch Bauern furchtbar dickköpfig sein können und Schöneberger erst recht. Denn Geld verhärtet den Schädel. Wie sie sich freuten. Sie hofften ja ebenso wie Polizeileutnants a. D. Mehr als den Ferdinand hatte sie nicht, aber er war auch danach. Onkel Fritz sagte: Als wenn es an Zuthaten gefehlt hätte. Sie hatten ja auch nichts von jeher. Und Kinder, namentlich Söhne, wollen satt gemacht werden.

Ganz weg waren sei in ihren Jungen; er war verliebt und sie waren es mit ihm. Ich bin überzeugt, wenn eine gräßliche, verwachsene, krumme Hexentochter es ihm angethan hätte, die Eltern würden sie auch hübsch und nett finden, weil der Sohn sie liebte. Nun aber war es Mila, die doch recht ansehnlich ist und aus Familie. Ihr Sohn war in ihren Augen ein Gott.

Durfte ich darüber einen Vorwurf verlieren? Geht es mir nicht schon beinahe fast ebenso mit den Enkeln, bin ich nicht zu nachsichtig, wo ich Strenge müßte walten lassen? Sie sind aber mein Blut und ich kann nicht anders als lieben. Ich kann nicht.

Ich saß mit der Polizeileutnanten a. D. im Gespräch beim Spielzusehen; sie aber mochte nicht sagen, was sie dachte und ich nicht, was ich dachte, und doch wußten wir, was es war, das wir immer wieder behutsamlich unterdrückten, wenn es Worte werden wollte.

Ins Grüne hatte sie sich gesehnt, an einem frohen Tag möchte sie sich im Sonnenschein erlaben... und am liebsten wäre sie weit weg aus dem Grase und dem Baumschatten hier, und statt Labung zu schlürfen, nagte sie Kummer.

Die gänzliche Piefke-Familie stimmte doch nicht mit ihrer Familie! Hatte sie für die Rasse ihre Mila Höheres lernen lassen? Und war es Mila wirklich herzensernst mit Ferdinanden? War es nicht die Not, die harthändige Not, die dahinter stand und sie vorwärts drängelte, ihm in die Arme, der wohl so ganz entgegengesetzt aussah, als sie sich Jemand in den Rosenjahren geträumt hatte? Ich wenigstens hätte mir etwas wie Ferdinand Piefken niemals geträumt. Nein, er war zu sehr zum Phantasieschonen.

Man kann ja mit noch so wenig auskommen, wenn es nur genug ist; die meisten haben keine Ahnung davon, wie viel Einschränkung der Mensch abkann: jedoch nur, wenn die Liebe ertragen hilft. Soll der p. p. Piefke junior allein schleppen? Denn wie kann Mila mittragen, wenn sie keine Liebe hat? Ich glaube nicht, daß es irgend ein Einmaleins in der Welt giebt, dies Exempel zu dividiren.

Es konnte ja aber auch sein, daß Mila die Liebe mehr in der Tiefe trug; das ist jedoch, als wenn Jemand einen Diamantring vom Schiff in die Spree verliert. Man kann nicht gerade sagen, daß er weg ist, weil man ja weiß, wo er ist, aber niemand borgt einem einen Dreier darauf.

So dachte ich.

Von Zeit zu Zeit sagte ich: »Wirklich schönes Wetter. Wir hätten es nicht besser treffen können.«

»Sehr schön,« antwortete die Polizeileutnanten.

»Nur die Schnaken sind reichlicher, als man verlangen kann.«

»So?«

»Sind Sie denn nicht gepiekt?«

»Ich habe nicht drauf geachtet.«

Und dabei hatte sie zwei so hoch aufgegangene Mückenstiche am Hals, als wären Bäume darin. Sie hatte daher solche Gedanken, bei denen man kleine Leiden nicht spürt. Das sind entweder hoch glückliche, mit himmlischer Betäubung oder traurige, die stumpf machen, wie erstarrt.

Ich folge ihren Blicken. Die hafteten auf dem augenverbundenen Onkel Emanuel mitten in dem Spielkreis, als wenn von dem Blindekuh das Dasein abhinge.

Mein Karl und der Herr Polizeileutnant a. D. waren in die Haide gegangen und kamen nun wieder zurück. Was sie miteinander geredet hatten, konnte man fast erraten, denn Milas Vater sah weniger gemüthstrübe aus als vorher und wer meinen Karl kennt wie ich, der wußte, daß eine Strecke Zukunft glatt gelegt worden war. Wie viel Meter, das entscheidet mein Karl. Der Polizeileutnant a. D. kann ja auch unmöglich sich in Geschäften so auskennen wie mein Karl und schließlich ist keiner zum Lernen zu alt. Und was ist guten Rath annehmen, denn anderes als der Vernunft dienen? Aber die meisten meinen wie Einjährige, sie hätten ausgelernt. Da ist denn alle Mühe umsonst.

So kam das Abendbrot heran. Die Herren hatten eine Lagerungskute entdeckt und halfen den Damen, die mitgebrachten Sachen von den Wegen herbeizuholen, die Gedecke, die Teller, das Gabelwerk, die Lebensmittel, denn jeder war verpflichtet, seinen Beitrag zu liefern, der so weit es die jüngeren Herren betraf, in Dosenheringen bestand. Die sind billig, handlich und höchst willkommen, wie jeder denkt, der nicht denkt, daß der andere ebenso denkt. Na die Piefkes der hier vertretenen Linie sind nach meiner Beobachtung durchweg hartfrettsch, da kam es denn auf die Egalität der Nahrung nicht an. Der Gebildete aber will Abwechslung.

Inzwischen gruppte der Herr Stein mit seinem Momentapparat, wo Menschliches vor ihm stand. Schnick! und die Aufnahme war gemacht. Ich verbat mir jedoch seine Kunstausübung an meiner Person, weil die Photographie wohl geschwinder geworden ist, aber nicht verschönender.

Ueberdies ist der photographische Kasten schlimmer als das menschliche Gewissen. Hat man sich einmal verthan, so ärgert man sich zu erst, weil man eben ein Gewissen hat, nachher läßt man das Gewissen murmeln, bis ihm die Sache selbst zu langweilig wird und es einschläft. Solche Maschine aber, die nimmt auf, was man thut und wie man aussieht und das bleibt und kann nachher allen Leuten gezeigt werden, woran Boshafte sich amüsiren. Deshalb bin ich gegen sogenannte Amateure.

Es wurde bald recht lustig. Einige hatten vorher Getränke zu sich genommen, um den Heringen einen Goldfischteich einzurichten, andere nahmen es nachher, weil, wie sie sagten, der Fisch schwimmen wollte, worüber die Piefkes unmenschlich lachten.

Bier war ein großes Faß da, das hatten sie gleich in die Erde gebuddelt, damit es kühl blieb. Onkel Fritz, feinfühlend wie immer, hatten an Weiße gedacht. Selters kühlt ja auch und ist vornehm, aber es schmeckt immer so nach den Gummiringen an den Stöpseln.

Dies gefiel dem Onkel Emanuel. Er stieg in die Weiße und sagte zu Onkel Fritz:

»Herr Nachbar, ick sehe Ihnen.«

»Is mir lieb, det Selbst nich blind sind,« antwortete der.

Aber warum ulkte er mich an, als ich trank, indem er rief: »Jott segne de Schiffahrt!« – Wer vermag etwas gegen seinen Durst, wenn er eine Weiße vor sich hat?

Ob es in der Kute nebenan, wo Polizeileutnants a. D., mein Karl, der Sanitätsrath und andere sich malerisch gelagert hatten, weiß ich nicht, denn an unserer Tafel vergingen mir Hören und Sehen, seitdem der Nordhäuser angerissen worden war. Nicht nur, daß Onkel Piefke sich mit Hemdärmeln bekleidet hatte, nein, er setzte auch noch die Flasche an den Mund, obgleich Gläser vorhanden waren. Und die Malwine Piefke trank mit den Herren, als wüßte sie nicht, daß Damen nach jedem Schluck Alkoholischartigem ein unangenehm berührtes Gesicht machen müssen, wenn sie auf Erziehung Anspruch erheben wollen. Ob aber die Piefkes überhaupt erheben? Ich zweifle.

Mir war nur lieb, daß die Frau Polizeilieutenanten das nicht sah, obgleich sie die Momentphotographie nicht ableugnen kann, wenn sie einmal wieder ahnenstolz werden sollte.

Man wird auf Picknicks bald satt, weil die Speisen allmälig so durchgesucht zu einem gelangen und da sättigt der Anblick. Schon dutzendemale hatte ich die ewig kreisenden Bouillonheringe abgewiesen, obgleich die neben Onkel Piefke hockende Schwägerin mir die Dosen immer von neuem hinhielt, bis ich schließlich sagte:

»Ich danke, dies esse ich nur auf ärztliche Verordnung, dagegen wäre mir ein wenig von der Torte willkommen.«

Durfte ich mich auf meine Ohren verlassen oder nicht, als der Onkel mir mit einem freundlichen Lächeln die Süßigkeitsarchitectur anbot und sagte:

»En jutes Schwein frißt allens; nehmen Se man.«

Ich wollte aufbegehren, würgte das Kompliment aber hinter und fragte ruhig:

»Sie verstehen sich wohl sehr auf Thierzucht, Herr Piefke?«

»Na ob.«

»Und sind jetzt so ganz allein?«

»Det is et ja ebend.«

»Möchten Sie nicht stets in so heiterem Kreise leben?«

»Ne, 'n andern Tag die Koppweh.«

»Sie bedürfen der Pflege, einer lieblichen Häuslichkeit.«

»Det stimmt; ja, wenn Sie noch zu haben wären, Mutter Buchholz, denn jleich rin ins Verjnüjen. Oder aber ooch, ick bin doch woll'n zu oller Knerjel jeworden, mir wieder zu verändern. Meine Selige...«

»Lassen Sie se ruhn, die Toten sind nicht sehr für Störung. Aber was hindert Sie denn, andere glücklich zu machen? Und muß der Name Piefke nicht erhalten bleiben? War es nicht ein Piefke, der Düppel musikalisch durch den Sturmmarsch einnehmen half...«

»Der's nich mit uns verwandt.«

»Es ist aber derselbe Name. Und Ihr Neffe Ferdinand ist ein so prächtiger junger Mann...«

»Fernand meenen Se?«

»Gerade den.«

»Fernand is'n Hottepese.«

»Sie irren sich.«

»Kommt er denn vorwärts?«

»Eben, weil ihm die Kaution fehlt...; und eine Frau, die ihn begeistert und ihn antreibt. Daran sind Sie allen schuld.«

»So wie icke?«

»Jawohl.«

Nun kam Onkel Fritz heran und stieß mit dem Onkel an. Und was gab er ihm? Einen Bierseidel voll von Polizeilieutenants Schaumwein.

Da ward er lustig und guter Dinge. Und dann ward er gerührt und weinte, da er nicht wußte, ob er nicht bald stürbe. Und dann sagte er, seines Bruders einziger Sohn solle nicht leer ausgehen; seiner Schwester Kinder und die anderen Piefkes hätten ja zu leben.

Und dann wurde Verlobung gemacht. Mila und Herr Ferdinand Piefke!

Deutlich mußte der Onkel wiederholen, wozu er sich verpflichtete, besonders das Kautionstellen und die dazu gehörigen Nebenausgaben.

Dies gefiel jedoch den übrigen Piefkes nicht, die stark von Erbgedanken beseelt waren und nun voraussahen, daß sie möglicherweise geschmälert würden. Und der Onkel weilte noch lebend unter ihnen, wenn auch etwas angesäuselt.

Der Aufstand und die Redensarten und das Krakehlen entfuselte ihn jedoch etwas und als einer von den Piefkes ihm sagte, er wäre ein richtiger Potsdamer und hoch über seine Eselsohren reingelegt, da wurde er wild und schrie:

»Un nu erst recht. Nu kriegt Fernand allens un ihr könnt Rooch schnappen.«

Da hatten wir die von mir vorgeahnte Ungemüthlichkeit; nun schwamm die Unkultur oben?

Der Herr Polizeilieutenant a. D. wollte Ruhe befehlen, allein wo waren Uniform, Degen und Achselklappen? Weg mit der Stellung und mit ihnen die Autorität. Die Piefkes höhnten ihn einfach an.

Die Frau Polizeilieutenant a. D. bebte vor Aufregung. Ich nahm sie und führte sie abseits von den Streitenden. Da im dunkeln Schatten weinte sie gramvoll und schluchzt: »So büße ich meine Schuld. Diese Demüthigung mit diesen Menschen wäre uns erspart, hätte ich nicht zu hoch hinaus gewollt. Mein armer Mann; mein armes Kind!«

»Es wird noch alles gut,« tröstete ich, wenn solche Redensarten Trost sind! Aber was soll man anders sagen, wenn man selbst nicht überzeugt ist?

»Nie, nie,« klagte sie. »O, Frau Buchholz, ich achtete das Geld ja nicht; für Flitter und Hochmuth machte ich Schulden, bis sie meinen Mann aus der Stellung drückten. Und nun müssen wir uns des Geldes wegen so erniedrigen. Die Heirat ist Milas Rettung. Sie hat ja nicht gelernt, ihr Brot zu verdienen.«

»Der junge Mann liebt Mila.«

»Meinen Sie?«

»Ganz gewiß.«

»Das wäre ein Hoffnungsschimmer. Sie wird ihn auch lieben, durch seine Anhänglichkeit gewonnen. Ist ihre Jugend auch schon etwas verblaßt, ihr gutes Herz ist doch geblieben.«

»Das wäre die beste Aussteuer. – Nun aber kommen Sie; mich dünkt, es wird aufgebrochen.«

So war es auch. Mit Papierlaternen ging es durch die Haide, Piefkekinder voran und dann das Brautpaar, hintenan wieder Piefkes. Herr Stein machte eine Momentmagnesiumlichtblitzaufnahme. Ein greulich langes Wort für einen Knipps.

Und dann fuhren wir durch die lauwarme Julinacht heim. Die meisten waren müde, theils von der Luft, theils vom Getränk, theils vom Streiten. Onkel Emanuel sägte nicht schlecht; alle Augenblicke saß er an einem Ast fest, aber dann gleich weiter. Rütteln half nicht. Wenn er nur seine Zusagen nicht verschläft. –

Nach einigen Tagen kam Onkel Fritz mit den Momentphotographien von der Partie. »Schön ist was anderes,« sagte ich.

»O bewahre, ganz nach der neuesten Kunstrichtung. Namentlich hier der Fackelzug.«

»Der sieht ja aus, als wenn dem seligen Darwin sein sämtlicher Affenstall ausgebrochen wäre,« entgegnete ich. »Man erkennt ja niemand.«

»Das ist jetzt künstlerisch. Aber was sagst Du zu dieser sogenannten Belauschungsphotographie?«

»Herrjeh, Mila giebt ihrem Herzallerliebsten einen Kuß. Fritz, das muß die Mutter sehen; wenn sie ihn nämlich nur ein ganz bißchen liebt, ist immer noch Glück dabei. Wird die aufathmen.«

Und doch mischte sich ein wehmüthiger Gedanke in die Freude, die ich für Mila und die Frau Polizeilieutenanten empfand: wenn nämlich der alte Piefke sich wieder verheiratet, sind sie die nächsten Leidtragenden.

 


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