Julius Stinde
Wilhelmine Buchholz' Memoiren
Julius Stinde

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Heimsuchung.

Warum Menschen und Thiere verschieden sind und mein Karl diät leben soll – Warum mein Karl zu Bier geht und der Löwe sich fürchtet – Vom Notenlesen und dem Schönen aus der Schriftwelt – Warum die Tugend belohnt werden muß und Wilhelmine rathlos wird – Wilhelmine auf dem Posten

Wer kennt die neuen Straßen so genau, daß er Bescheid wüßte, ohne die Eckschilder zu befragen? Und wie fremd ist dem Berliner manches Stück Berlin. Man kommt eben nicht hin. Geschieht es aber doch, versteht man, was das Wachsen einer Stadt heißt, und ist froh, wenn die Gesichter der Häuser wieder vertrauter werden. Alles Unbekannte beängstigt.

So ist es aber auch mit den Geheimnissen. Bei dem täglichen Trott ist man von dem Gleichbleibenden des Zeitlaufs so fest überzeugt, daß man sich an- und ausärgert, ohne die Gemüthlichkeit zu beschränken. Wenn es aber Ernst wird, bitterer, drohender Ernst, dann ist man mit seiner Angst wie in der Fremde und weiß nicht wo aus, wo ein, woher und wohin, und es ist doch das eigene Leben.

Wir waren guter Dinge. Der Winter war da, wie jedes Jahr: immer anders als die Wetterkartenleger ihn wahrsagen. Er sollte mit starkem Frost einsetzen, und das that er auch, wenn man sechs Grad warmes unaufhörliches Schlackerwetter für schneidende Kälte ausgiebt, wie beispielsweise die Assessor Lehmann thut, die mehr mit dem Ofen als mit ihrem Manne verheirathet ist und Sommers in den Bädern aufgebürstet werden muß, um halbwege wie neu zu scheinen.

Die Aerzte sagten, dies Wetter sei nicht gesund, aber was konnte es uns anhaben? Die Dorette hatte das Pflaumenmus fast auf und ich hatte mehreremale mitgegessen und uns fehlte nicht das Geringste danach, daß ich schon den Verdacht hegte, die Pillen waren verfälscht, denn wenn ein Höker sagt, aus der Mitte, ist es erst recht Anschnitt, aber Dorettens Teint wurde reiner und sie selbst hurtiger, was immer ein Zeichen von Blutreinigung und Wohlbefinden ist. Meinen Mann ließ ich nicht mit Probe essen und doch wäre es ihm vielleicht sehr dienlich gewesen. Allein die Vorsehung hält das Panorama der Zukunft verschlossen und kein Gold der Erde löst den Deckel.

Ganz so wie sonst hatte mein Karl sich all' die Zeit nicht befunden. Das Essen schmeckte ihm, sein Krug Echtes nicht minder, sein Schlaf war beneidenswerth und auch nach Tische wärmte er die Augen mit großer Virtuosität. Wenn ich fragte »Karl, noch eine halbe Tasse?« hatte er schon den ersten Ast durch. Aber er war nicht eigentlich munter.

Freilich wurde er ein bischen dick, mein guter Karl, weshalb unser Haus-Sanitätsrath ihm Bewegung anempfahl.

Er bewegte sich laut Befehl jeden Tag und es that ihm ausgezeichnet, denn mit solchem Appetit, wie er jetzt aufwies, hatte er mich lange nicht erfreut. Der Rath sprach allerdings von Einschränkung der Nahrungszufuhr, aber es sieht doch ein Kind ein: wenn ein Mensch nicht kriegt was er gebraucht, nibbelt er ab.

Ebenso mit dem Echten. Das sollte mit einem Male schädlich sein. Und dabei verordnen die Aerzte gerade echtes Bier zur Stärkung. Das sind doch Widersprüche. Ich sagte: Karl, was Dir mundet bekommt Dir auch, Du lernst an jedem Thier: was ihm nicht gut ist, davon wendet es sich mit Abscheu. Das ist der Instinkt. Und hast Du Dich je vor einem Kruge Münchener geekelt?

Die Doktoren haben ihre Wissenschaft doch auch blos von den Thieren, weshalb sie sich den lebendigen Hunde- und Katzenaufschnitt trotz aller Ankämpfungen nicht entringen lassen.

Freilich, sagte Onkel Fritz zum Rath, die Versuche mit Thieren hätten garkeinen Werth für die Menschheit, das könnte man in Berlin in jeder Straße gewahr werden. – »Mir unerfindlich,« entgegnete der. – »Du kennst eben Berlin nicht,« erwiderte Onkel Fritz. »An so und so viel Brunnen steht ›kein Trinkwasser‹, sie sind mithin nach der Analyse verseucht. Nun aber saufen die Pferde das ungesunde Wasser täglich und wo siehst Du vor den Droschken neue? Immer nur alte. Ergo verträgt das Vierbein, was dem Menschen verderblich ist, woraus folgt, daß Beider Naturen grundverschieden sind, und die Wissenschaft nicht ohne Weiteres vom Thier zum Menschen übergehen kann. Ausgenommen, es beträgt sich Einer wie ein Vieh, den behandle man wie seines Gleichen.« Da jedoch bei Onkel Fritz der Scherz schwierig vom Ernst zu unterscheiden ist, weiß ich nicht, ob er recht hat? Und dann sind Droschkengäule ja das Unglaublichste gewohnt.

Gerade weil mein Karl sich mitunter matt fühlte, mußte er gestärkt werden. Ich versuchte es Abends mit einem kleinen Eiergrogh, aber wir gaben den wieder auf, da er meinte, er würde kurzluftig danach. Ich sagte zum Schwiegersohn: »Lieber Rath, schreiben Sie meinem Manne doch eine Kleinigkeit gegen seine Engbrüstigkeit auf, etwas Erleichterndes, wenn er Treppen gestiegen ist, auch zuweilen Donnerstags nach Pökelfleisch mit Erbsen und Sauerkraut,« aber Er wollte von Tropfen oder Pulvern nichts hören, sondern meinte, der Papa müsse diät leben und eine Kur durchmachen. Arzeneien gäbe es gegen sein Leiden nicht, die Luftnoth hätte ihre Ursache in Fett am Herzen in Folge zu guten Lebens.

»Ich habe noch nie gelesen, daß man mit dem Herzen athmet,« entgegnete ich. »Dazu nimmt jeder Vernünftige die Lunge, wie selbst Schulkinder jetzt lernen. Gott sei Dank, die Wissenschaften dringen immer mehr ins Volk.«

»Blaakwissenschaft,« murmelte er.

Mein Mann wollte nicht recht an eine Kur. Das Geschäft hält ihn. Felix reist, mein Karl leitet den Betrieb zu Hause. Wo soll da die Zeit herkommen? Der Rath schüttelte den Kopf und verbot ihm das Bier und den Nachmittagsschlaf.

Vielleicht war es richtig... vielleicht auch nicht, wer ermißt das? Die Medizin hat so ihre Mucken.

Man hätte sich, um nichts unversucht zu lassen, unter der Hand an einen Naturarzt wenden können, nicht um ihn zu gebrauchen, sondern mehr seine Ansicht zu prüfen und dann mit leichten Hausmitteln die Heilung einzuleiten und der Lebenskraft zur völligen Wiederherstellung das Feld zu überlassen.

Als ich hierauf anspielte, protestierte mein Karl: »Blamire dich nicht und mich nicht vor unserm Schwiegersohn. Wenn etwas geschieht, dann nach seinen Anordnungen; mir bekommt leichte Säure entschieden besser als das Bier und ich bin Nachmittags bedeutend frischer, seit ich die Verdauungshypnose aufgegeben habe.

»Aerzte machen Alles viel schlimmer, als es in Wirklichkeit ist. Du und ein Fettherz! Allerdings sind Deine Hosen im Bund etwas erweitert gegen früher, aber da hast Du Dein Herz nie zu sitzen gehabt.«

Wir lachten, und auf seine gute Laue zählend, rieth ich zu den Sternmitteln, die so sehr gut sein sollen, zweimal täglich rothe Elektrizität und einmal gelbe oder grüne, und jeden achten Tag Antiscrofuloso, weil neun Zehntel aller Menschen an schlecht kurirten Scropheln leiden, die erst heraus müssen. »Dies hat ein italienischer Graf entlarvt, der von Medizin auch nicht mal blauen Dunst gehabt hat, genau so wie Columbus: keiner der Gelehrtesten seines Jahrhunderts wollte zugeben, daß Amerika entdeckt werden könnte und er fuhr direkt auf New-York los. Willst Du die Schriften vom Grafen lesen?«

»Liebes Weib,« sagte mein Karl, »Du meinst es gut mit mir, aber Columbus war kein Charlatan, sondern ein klar blickender, denkender Kopf. Soviel weiß ich auch, daß es weder rothe noch gelbe, noch grüne Elektrizität giebt, und an Scropheln habe ich nie gelitten. Wenn ich mich nicht fühle wie sonst: bedenke, ich bin kein Jüngling mehr. Aber mach' Dir keine unnöthige Sorgen, ich kann arbeiten, mir schmeckts Essen und was die Aerzte auch sagen, heut Abend geh ich einmal wieder ordentlich zu Bier. Ein gut abgelagertes Bräu kann unmöglich schaden.«

»Hast Du das Verlangen, geh wohin der natürliche Instinkt dich treibt und mach eine Ausnahme. Wir können etwas später Abendbrot essen – was meinst Du zu Gänsebrust und Kartoffelsalat – ich gehe auch meiner Wege, ich muß zu Erika.«

»Ach so, es ist ja bald Weihnachten«, sagte mein Karl verständnißinnig. –

Erika hat immer neue Ideen, gerade nicht was man unerhört überraschende nennt oder ausgefallene, nein, es ist nahe liegend und selbstverständlich, was sie thut und in so geräuschloser Weise, daß es nur spürt, wer will. Onkel Fritz entgeht nichts, aber er macht auch kein Leben davon. Sie verstehen sich eben.

Ihre Wohnung ist mit der Zeit merkwürdig geworden, ganz anders, als jeder Tapezier nach der neueren Stilmode einrichtet. Allmälig ist hier ein Stück angeschafft und da eins, dies und jenes dafür weggethan und immer nur, wie es ihr gefällt. Ich glaube, ein Kind würde sich gerade so einbauen: nichts egal und doch zusammenpassend, lebhaft in der Farbe und zierlich von Gestell und doch anmuthig und brauchbar. Manchmal sitzt sie mit der kleinen Wilhelmine auf einem der schönen echten Teppiche, die sie so gern hat, höchstens, daß sie noch ein Sophakissen zu nehmen und besieht Bilder mit ihr, oder hilft ihr bei den Puppen, oder die Kleine schmiegt sich dicht an sie und sie sagen Beide kein Wort. Dann ist es selig still und nur der Straßenlärm treibt von Zeit zu Zeit eine unruhige Welle in den wachen Traum.

Kommt Onkel Fritz, lagert er sich zu ihnen und sie spielen Oase in der Wüste. Dann ist Papa das Kameel, klein Wilhelmine reitet jubelnd auf ihm. Erika stellt die Fächerpalme auf einen Stuhl und die Karawane ist angekommen. Dann rasten sie alle drei, Erika mit der Wange an seiner Schulter und das Kind auf ihrer Beider Schooß. Werfen die Gaslaternen von draußen flackernden Schein durch das Fenster, sagen sie »die Wachtfeuer brennen, die Löwen können nicht heran.« – »Papa, wie brüllt der Löwe?« – Und Papa brüllt. – Der unkluge Fritz.

Ich hab' es einmal mitmachen müssen, obgleich ich Fußbodenhucken nicht zu meinen Leibvergnügungen rechne und mich lieber unterhalte, als so in Schweigen zu schwelgen, aber mir war nicht rednerisch. Ich sah in dem ungewissen Lichte meines Bruders Auge glänzen, ich kenne den feuchten Blick, der kommt aus dem Herzen. Als die kleine Wilhelmine mahnte: »Papa, der Löwe hat noch nicht gebrüllt«, sagte er: »Der ist ausgerissen, der forcht't sich vor Tante Buchholz.«

Da wurden wir wieder Menschen.

Er ist lustig, Onkel Fritz, warum soll er es etwa nicht sein? Für jeden Menschen ist ein Deputat Fröhlichkeit von der obersten Verwaltung der Welt für das Leben ausgesetzt, und wer es sich nicht abholt, darf über Trübsalblasen nicht nörgeln. Gott giebt den Vögeln Futter, aber fliegen müssen sie danach, und so muß der Mensch seine Freuden zu finden wissen. Onkel Fritz weiß, wo sie wachsen und nimmt nicht nur sein Theil, sondern auch was Andere unter die Füße treten, weil sie keine Brille für ihre verehrten Hühneraugen haben.

Und doch macht mir Keiner was vor: ganz hat Onkel Fritz seine alte Unverwüstlichkeit nicht, die springende singende Lust tobt nicht mehr so heraus. Ihn drückt irgend ein geheimer Kummer. Ist es der, daß er nur das eine Töchterchen hat und der Doktor die Zwillinge und bei Schmidts schon drei sind, ja selbst Weigelt es auf zweie gebracht hat? Das glaube ich kaum, Neid war nie seine Forsche. Und was nicht ist, kann ja noch kommen. Sein Geschäft geht und er ist vorsichtig. Letzt gedachte ein unsicherer Kantonist für etliche Tausend Waare auf Kredit zu nehmen, aber Onkel Fritz sagte, er sei abergläubig, am Freitag schlösse er nicht ab. – Der Pumpmeier hat gesagt: »Ich hab' doch gedacht, Sie wären ein aufgeklärter Mann?« – »Eben deswegen,« hat Onkel Fritz geantwortet, und da hat Jener gemerkt, daß zum Hineinlegen immer Zweie gehören, und zog Leine.

Was also hat Fritz?

Seine Häuslichkeit ist eitel Glück. Er sagte mir selbst einmal in überströmender Vertraulichkeit: »Wilhelm, mein Weib hat den Himmel im Herzen und darin den lieben Gott. Der spricht zu mir durch sie.« – Und gleich darauf, als ich sagte: »Du hast auch Verdruß genug gehabt, ehe die Eltern einwilligten, namentlich die Großmutter, und nichts festigt die Liebe mehr als Hindernisse,« entgegnete er: »Stimmt. Es stört sehr, wenn Romeo 'ran will und der alte Capulet sitzt auf dem Balkon und spielt Skat.«

Ich behielt meine Gefühle bei mir; nach solchartigen Redewendungen ist er für Höheres so wenig zugänglich wie ein Schwan für Wassertropfen. Es haftet nichts.

Wenn aber Erika ihm etwas sagt, das nimmt er auf. Sie ist für Bücher, nicht für viele, aber gute. Schlechtes liest sie nicht in sich hinein, sie legt es weg und wäscht die Hände. Findet sie einen schönen Gedanken, schreibt sie ihn aus und erzählt ihn ihrem Mann. Fritz sagte: »Wilhelm, ich habe nie gewußt, welche Schätze in den Büchern stecken. Meine Frau mag Musik, aber sie macht keine, und ich bin auch ihrer Meinung: wenn die vielen Mädchen, die nur halbes und Viertel-Talent haben, statt Noten lesen, deutsche Bücher lesen lernten, würden sie ein gut Theil gescheidter, denn das Erfassen schöner wahrer Gedanken steht doch höher als das mühselige Wiedergeben unbestimmter Gefühle in Tönen. Mich päppelt Erika mit Gedichten und Versen, und seitdem bin ich um eine Masse Freuden reicher. Wir brauchen kein Instrument, nur Buch und Gedächtniß, keine Fingerfertigkeit, nur Lust daran.«

»Merkwürdig. Und dabei hat sie ihren Hausstand tadellos und auf den runden Backen der kleinen Wilhelmine zieht ihre Pflege die gesundesten Rosen. Und Du, mein Fritz...?« – »O danke, ich befinde mich« lachte er. – »Wo hat sie das her, Fritz?« – »Warum blüht die eine Blume so, und die andere so, und manches Kraut garnicht? Ihre Erziehung war hart, aber ihre Seele sucht überall Süßes wie ein Schmetterling. Und mein ist sie mit ihrer lieben Seele. Wilhelm, Scheuern macht nicht glücklich.« – »Aber Poesie erst recht nicht. Der Mensch lebt nicht von Muskatnuß allein.« – »Meinst Du, wir verhimmeln? Sie macht den Gänsebraten ebenso gut wie Du.« – »Wenn ich Alles andere glaube, das bezweifle ich.« – »Ich habe bei Dir schon verflucht zähen gegessen; mein einer Vorderzahn wackelt noch.« – »Das war einmal, als die Philippine eingekauft hatte.« – »Erika geht immer selbst.« – »Wo nimmt sie denn die Zeit für die Bücher her?« – »Aus demselben Schubkasten, woraus Andere die Zeit zum Klatschen nehmen oder zum Tastenkitzeln, zum Schlafen, zum Putzen, was weiß ich? Versuch es einmal ebenso, kauf Dir Erikas Lieblingsbuch, die Vierblätter, von Frieda Schanz, und merke Dir den Vers: »Wie sich Dein Leben wendet – wie lang Dich's quält, wie kurz Dir's lacht, – Die Zeit war nie verschwendet, – In der Du jemand froh gemacht.«

»Kriegst Du jeden Tag Deinen Spruch?« – »Nein. Ich bringe ihr dann und wann etwas Hübsches aus dem Blumenladen mit, sie giebt mir dann und wann etwas Schönes aus der Schriftwelt. Dazu ist beides da, weißt Du, Wilhelm, zum froh machen.« – »Du selbst bist aber nicht froh, nicht ganz froh.«

»Ich bin vergnügter, als ich nöthig habe.«

»Ruf mal Hurrah!«

»Das Hurrahrufen ist mir vergangen. Vielleicht später einmal.«

»Fritz, was hast Du?«

»Kannst Du schweigen?« – »Sehr.« – »Ich auch.«

»Utz Andere, hörst Du.« –

Ich traf Erika mit der kleinen Wilhelmine allein. Sie saß an der Nähmaschine und arbeitete Weißzeug. »Das ist für Minchen doch zu klein« sagte ich, nachdem ich es besehen. – »Für arme Kinder« antwortete sie. – »Wenn man nur Dank dafür hätte« sprach ich. – »Dank?« fragte sie und sah mich mit den holden Augen an. – »Ich habe recht bittere Erfahrungen gemacht« erwiderte ich, indem ich an das Kind der Haide dachte. – »Ich muß geben und wußte nie warum, jetzt weiß ich es aber durch meine liebe Frieda Schanz.« Sie gab mir ein Heft, worin ich las: »Wohl Dir, wenn Du bedenkst – dem Glanz und Glück beschieden: – was Du der Armuth schenkst, – das schenkst Du Deinem Frieden.«

Ich dachte lange nach. »So ist es,« sagte ich dann. »Geben macht zufrieden.« – »Wir empfangen mehr als wir schenken,« sprach sie, »und unsere Selbstsucht freut sich dessen, ohne daß wir merken, daß sie es ist. Wie weit sind wir doch von reiner Barmherzigkeit.« – Mir war dies fast zu weit gegangen, denn das ist doch altbekannt: wird die Tugend garnicht ein bißchen belohnt, macht sie nichts weniger als Vergnügen und der Fleiß erlahmt. Wir beredeten hierauf, wie es am besten mit der Weihnachtsfeier gehalten würde, ich fragte, was sie meinte und immer rieth sie sehr richtig ab oder zu. Jedoch am zweiten Festtag Alle bei uns, das blieb verfassungsgemäß unabänderlich, wie jedes Jahr.

Als Fritz aus dem Geschäft kam, beeilte ich mich nach Hause. Mit Erika plaudern und die kleine Wilhelmine verziehen, läuft die Zeit wie auf einem Fahrrad dahin, windartig und uneinholbar. Er begleitete mich eine Strecke. »Fritz, was wünscht sich Erika?« – »Meine Anerkennung.« – »Unsinn, rede vernünftig.« – »Das Bild ihrer Lieblingsdichterin hätte sie zu gern, aber wie dazu kommen?« – »Ich bitte sie direkt, paß auf, sie thut es, um ihres Friedens willen und ich rahme es in Schneeglöckchen ein, die nennen sie in einigen Gegenden Sommerthürlein.« – »Das wird Erika freuen. Mir kannst Du ein Tausendstel Kilometer Cervelatwurst verehren und der Kleinen Deine bisherige Gunst nebst einigen Pfeffernüssen und Du hast die ganze Familie glücklich. – Was macht der Alte?«

»Danke, wohl und munter; er ist heute einmal wieder zu Bier gegangen.« – »Er wird ein bischen dick.« – »Um so mehr hab ich an ihm zu lieben.« –

Er war aber nicht wohl und munter, mein Karl, und eher nach Hause gekommen als ich.

»Mich friert« sagte er. – »Willst Du einen Grogh?« – »Ich habe schon einen getrunken, aber er schmeckt mir nicht.« – »Wenn ich Dir einen anrühre. In den Kneipen ist der Cognak selten gut.« – »Er war gut, aber mir ist nicht gut. Es zieht mir in den Gliedern und der Kopf thut mir weg.«

»Karl, Du wirst mir doch nicht krank?«

»Es wird eine Erkältung sein. Die giebt sich wieder. Am liebsten legte ich mich zu Bett.«

»Ohne Abendbrot?«

»Ich habe keinen Appetit.«

Er war krank, das sah ich, wie ich ihm half, wie er im Bette lag und die Augen schloß, so bleiern, als öffneten sie sich nie wieder. Ich schickte das Mädchen zum Doktor, er möchte gleich kommen. »Nehmen Sie die Droschke erster, Dorette, so war der Herr noch nie.«

Etwas gehustet hatte mein Karl in der letzten Zeit, nun jedoch in der Bettlage fing die Brust zu arbeiten an; es war eine Erkältung, aber noch etwas dabei. Was war das? Ich hatte mancherlei Medizinisches in Zeitschriften und Kalendern gelesen, allein hier war ich rathlos. Ich wußte nicht woher und wohin. Endlich kam der Doktor.

»Was ist mit dem Papa?« fragte er. »Eine Wald- und Wiesenerkältung hoffentlich, die uns nicht viel Mühe machen wird.« – So sagte er, aber seine Gelassenheit war nur sehr äußerlich, er wurde recht bedenklich, als er an das Krankenlager trat. Er fühlte den Puls, er beklopfte Rücken und Brust, er behorchte das Herz mit dem Hörrohr und blieb sitzen und beobachtete. »Influenza« sagte er dann. »Heftige Influenza.« Er verschrieb etwas und gab genau an, wie der Kranke behandelt werden müsse. Dabei war er so freundlich, so bestimmt und sicher, daß ich ruhiger ward, nun da ich meine Pflichten kannte. Es ist doch ganz etwas anderes um einen studierten Arzt, bei einem schweren Fall, als mit den Hausmittel-Kenntnissen. Er weiß was geschehen muß, während wir zu viel guten Rath wissen und doch nicht den einzigen richtigen. Er versprach, früh am nächsten Morgen wieder nachzusehen und beorderte, sofort zu schicken, wenn große Schwäche einträte und der Husten sich nicht löse. Die Medizin sollte stündlich gegeben, der Schlaf, wenn er sich einstellte, jedoch nicht unterbrochen werden. »Morgen nehme wir eine Wärterin, diese Nacht wachen Sie wohl, liebe Schwiegermutter. Und Kopf oben, ich habe schon schlimmerer Fälle durchgebracht.« – »Mit der Wärterin hat es grad' keine Eile, noch bin ich auf dem Posten.« – Ich wachte. Ich reichte Arzenei, und doch keine Linderung. Stunde auf Stunde schlich dahin, er quälte sich und ich konnte nicht helfen. Gegen Morgen ward er etwas ruhiger. Er sah mich an und faßte meine Hand, ich legte die andere auf seine brennende Stirn. Leise zog er mich zu sich, mein Haupt zu seinem, seine Lippen suchten die meinen.

Er küßte mich. Ich fühlte, er wollte mir alle Sorgen abnehmen, mir zeigen, er sei nicht hinfällig, aber die Krankheit war stärker als seine Liebe; sein Kuß war schneidendes Weh.

Aber ich schrie nicht, ich weinte nicht. Ich sprach ermuthigend zu ihm und glättete seine Kissen, und als er einschlummerte, saß ich und wachte und betete: »Gieb ihm Genesung, lieber Herr Gott, Du hast die ganze Ewigkeit, ich bitte Dich ja nur um die paar Jahre.«

Und wie mein Karl ruhiger athmete, da wußte ich, ihm würde geholfen.

War es nicht schon Vorsehung, daß ein so außerordentlich geschickter Sanitätsrath in unsere Familie gerieth? Darin lag für mich eine feste Zuversicht trotz der Heimsuchung.

 


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