Julius Stinde
Wilhelmine Buchholz' Memoiren
Julius Stinde

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nach Harzburg.

Warum Herr Butsch ins Theater geht und mein Karl nach Harzburg – Wo Leute wohnen und wo es zu schön ist – Warum Karl viel Brunnen trinken muß und Buchholzens klettern – Vom alten Krodo und dem Ballhaus der Krausen – Von der Höhenluft und der schönen Stadt Braunschweig – Schmolicke tritt an – Eine Hundegeschichte – Warum Karl nicht schwören will

Obgleich mancherlei unerledigt und die eigentlich vornehme Saison noch nicht angesteckt war, gab ich dem Drange meines Karls nach, Kreuzberg und Friedrichshöhe mit wirklichen Bergen zu vertauschen und ein vorgeschriebenes Leben zu beginnen. Außerdem ist der Harz nicht weit, man kann bequem von Berlin mit dem Finger hinzeigen.

Meine Abschiedsbesuche beschleunigte ich. Die meisten Bekannten hielten es für sehr verständig, daß mein Mann sich seiner Gesundheit widmete, da seine Erholung doch noch zu wünschen übrig ließ, blos mit Ausnahme der Bergfeldten, die meinte: »Sie halten ihn zu stramm in den Sielen; Butsch sagt, selbst eine Gepäckdroschke kriegt manchmal Trabgelüste.«

»Bei Ihrem Zukünftigen verkehren wohl hauptsächlich Rosselenker?« entgegnete ich kühl abweisend. »Was meinem Manne noth thut, ist Wechsel des Klimas.«

»Deshalb braucht er doch nicht von Berlin? Hier wechselt das Klima dreimal des Tages und öfter.«

Ich vermochte ein gewisses Lächeln nicht zu unterdrücken, obgleich sie mir leid that, wie ihr Sinn für Höheres abnimmt und belehrte sie geduldig: »Gerade weil die Berliner Witterung an meines Mannes Leiden schuld ist, reisen wir!« – »Warum macht er es nicht wie Butschen's Bruder. Wenn der Winters mal ausgeht: blos ins Theater, da ist es warm und er erkältet sich nicht. Das kalte Bier und den Tabaksrauch in den Wirthshäusern kann er nicht vertragen.« – »Ihnen geht es gut?« fragte ich, weil mir der Vergleich mit den Butschen's keineswegs zusagte. – »Danke der gütigen Nachfrage, es ginge so la la, wenn nicht der Lohnkampf mit den Mädchen wäre; ich kann doch nicht geben, was sie jetzt verlangen und im Handumdrehen ist man im Gefecht.«

Da ich kürzlich in einem Hausfrauenblatte gelesen hatte, Dienstbotengespräche zeugten von einem Mangel an Geist, empfahl ich mich. Und ich bin ja mit meiner recht zufrieden. –

Wir hatten am Abend noch einen ärztlichen Vortrag und dampften am nächsten Morgen vom Potsdamer-Bahnhof ab. »Freue Dich,« sagte ich zu meinen Karl, als wir rutschten, »wir dürfen die nächsten Wochen faul sein ohne Vorwürfe, ja es wird gewissermaßen Pflicht. Das sind endlich einmal aufrichtige Ferien.« – »Schlimm genug, daß man Zeit und Geld für seine Körperreparatur ausgeben muß.«

»Du bist jetzt in den Jahren, so man anfängt über seine Gesundheit nachzudenken, aber immer wenn Dir die Leber zwischen die Ideen geräth, brummelst Du.« – »Dummes Zeug; das Gehirn denkt und nicht die Leber. Was verstehst Du davon?« – »Von meinem Sanitäts-Schwiegersohn erwerben sich medizinische Kenntnisse spielend. Besieh Dir die Landschaft, mein Karl, Potsdam ist und bleibt reizvoll.

Gegen die Wahrheit dieser Beobachtung wußte er nichts. Später jedoch, als das Flache und Oede überhand nahmen, meinte er: »Hier herum lernen wohl die modernen Maler?« – »Das scheint so. Bei noch mehr Wirklichkeit müßte sie die Leinewand unbestrichen lassen.«

Allmälig wurde es hübscher und Karl milder. »Ich bin froh, daß ich den Stammtisch für eine Zeit nicht sehe, Schmolicke machte mir mein bischen Mosel noch saurer, als er von jahrgangswegen sein durfte.« – »Du schiltst über Schmolicke, aber seine Geschichten erzählst Du mir nie, also kann ich nicht urtheilen.« – »Weil sie sich nicht wiedergeben lassen.« – »Schon aus diesem Grunde müßten die Stammtische staatlich verboten werden.« – »Was Du denkst ist nicht.« – »So? Warum denn nicht einmal eine Probe?« – »Nein.« – »Da haben wir's.« – »Du irrst Dich.« – »Du brauchst ja nur andeuten.« – »Das geht nicht.« – »Was wohl Alles an solchen Stammtischen vorfällt?« – »Wie kann ich Geschichten wieder erzählen, die keine Pointe haben?«

Es stiegen Reisende ein, entschieden Leute von Stande, die auch nach Harzburg wollten, und, wie sich herausstellte, schon öfter dort geluftkurt hatten. »Ist es wirklich so bildschön, wie gesagt wird?« fragte ich. – »Gnädige Frau waren gewiß schon in Berchtesgaden?« – »Dicht dabei,« antwortete ich, weil mein Karl mich durch Grienen über die hoch elegante Anrede in Verwirrung setzte. – »Es erinnert in seiner Lage an diesen durch seine Schönheit weltberühmten Ort,« fuhr der Herr fort, »nur ist bei Harzburg das Großartige in das Anmuthige übersetzt, in die Romantik unseres deutschen Waldes.«

»Wir lieben den Harz,« sagte die Frau, »ich bekenne es offen. Seine Art ist von der des Norddeutschen, er gewinnt bei näherem Kennenlernen, da er seine Vorzüge nicht prunkhaft zur Schau trägt und seinen vollen Reichthum nur dem Suchenden offenbart. Aber wie Wenige kennen die Perle Norddeutschlands, den Harz. Ging es uns nicht ebenso?« wand sie sich an ihren Gatten.

»Wir wurden durch einen Amerikaner auf den Harz aufmerksam gemacht, den wir unterschätzten, vielleicht weil er zu nahe ist, vielleicht, weil Deutsche leider mit Vorliebe fremdes Land und fremde Reize in Wort und Schrift schildern und die Schönheit der engeren und weiteren Heimath verschweigen, sei es aus Bescheidenheit oder aus Mangel an Vaterlandsüberzeugung. Dem Amerikaner aber, der uns sagte, der Harz biete an Mannigfaltigkeit der Scenerie auf beschränktem Raume mehr als sonst ein Gebirgsland, stimmen wir bei, und wenn er ferner sagt, es wäre der beste Platz, die im zehrenden Getriebe der neuen Welt angegriffenen Nerven wieder herzustellen, muß er es wissen, denn er hat die weite Reise von drüben bereits dreimal gemacht und auf den Bergen und in den Thälern des Harzes gefunden, was er suchte: Gesundung an Seele und Leib.«

Tröstliche Aussichten sind immer die besten. Jetzt erschien die Gegend sonniger und jeder Baum und Busch, an dem wir vorbeisausten, hatte für mich um so größeres Interesse, je mehr wir uns unserem Ziele näherten. Von ferne sahen wir schon lange den Brocken; nun ward das Gebirge deutlicher und wuchs empor.

Der Bahnhof war, wie so Bahnhöfe sind. Der Hausdiener von ›Juliushall‹, wo wir Wohnung bestellt hatten, nahm uns in Empfang. Mit einem ›Adieu, gnädige Frau,‹ verabschiedeten sich unsere Gefährten und wir stiegen in den Hotelwagen.

Viel schönes Gefährt belebte die Kastanienallee, durch die wir nun fuhren: rechts und links Wohnhäuser und Geschäfte, Hotels und Villen. Sehr schöne Villen, namentlich eine in einem großen Park gelegene, fiel uns auf. Sie spiegelte sich in einem Teich, und bläuliche Blumen rankten an der Veranda in die Höhe, deren Wände mit landschaftlichen Gemälden geschmückt waren. Der Besitzer und seine Gattin gingen lustwandelnd auf dem breiten Kieswege und eine große Dogge begleitete sie. »Karl,« sagte ich, »hier wohnen Leute.«

Das Kurhotel ›Juliushall‹ stammte nicht völlig aus den Zeiten der Kreuzzüge, wohl aber aus den Zeiten Harzburgs, als es das einzige, die damals verwöhntesten Ansprüche befriedigende war. Es lag uns recht, weil die Soolbäder unmittelbar daran stoßen, und in dem Kurgarten die Krodoquelle entspringt, von deren Heilkraft wir viel erhoffen. »Sie wirkt etwas stärker als Kissingen,« hatte der Sanitätsrath gesagt, »ohne eine so peinliche Diät zu erfordern, da sie nicht so viele, die Verdauung beschwerende Kalksalze enthält und das Herz nicht ungünstig beeinflußt, da ihr das aufregende Uebermaß an Kohlensäure fehlt.« – Ich hatte mit diese Worte wohl eingeprägt, erstens für meinen Karl, und zweitens für mich; es hatte mir auch immer zu gut geschmeckt.

Es ist doch merkwürdig: erst kocht man seinen Mann fett und dann muß er wissenschaftlich wieder aufs Mittelmum vermindert werden. – »Nur keine Uebertreibung,« sagte der Doktor. »Sie, geehrte Schwiegermutter, trinken Brunnen zur Controlle mit; sie haben ihn auch nöthig.«

Unser Zimmer lag wohlthuend abgeschieden nach einem epheuumsponnenen Hofe hinaus; die Wirthstafel sagte uns zu; wir hatten es gut getroffen. Am Nachmittage pilgerten wir nach den »Eichen«, kaum zwei Minuten von uns. Dort stehen Verkaufsbuden, viele Tische und Stühle unter herrlichen Eichen und ein Musiktempel, worin die Kurkapelle Morgens und Nachmittags älteste und neueste Musik spielt. Die beliebte Ourverture zur Felsenmühle, Tannhäuser und Russische Kavallerie standen oft auf der Tonfolge.

Niedliche Teiche sind unter den Eichen, und in Wasserfällen rauscht das klare Gebirgswasser von einem zum andern. In dem größeren ist ein Springbrunnen, der wird um die Musikzeit auf sachte gedreht. Auf diese Weise besiegt die Kunst die Natur.

Von den Eichen gingen wir zum gegenüberliegenden Kurhaus, von da höher hinauf zum Harzburger Hof, dem Hotel und sahen von der Terasse vor uns die Berge und das Thal zwischen den Bergen. Wir wurden ganz still bei diesem Anblick. Es war zu schön.

»Warum seufzt Du, mein Karl?«

»Ich möchte hinein wandern in die Schönheit vor uns, durch den Wald hinauf auf die Berge, in die klare sonnige Höhe, aber ich fühle es, ich muß hier unten bleiben. Das Alles ist mir zu weit und zu hoch. Wilhelmine, wo ist meine Jugend? Ich bin ein alter, kranker Mann.« – »Nach mitteleuropäischer Zeit bist Du in den besten Jahren. Man ist nur so alt wie man ein Gesicht macht; nur nicht verzagt, mein Karl. Morgen beginnst Du mit dem Brunnen. Uebrigens, unsere Reisegefährten haben recht, es ist hier göttlich. Karl, wenn Du erst so wärst wie sie.« – »Ach was, eine ›gnädige Frau‹ spendir ich Dir doch nicht.«

Um vor sieben Uhr am nächsten Morgen standen wir vor der Grotte und ließen uns von der Brunnenphilippine den ersten Becher Krodoquelle reichen, den wir langsam unter behaglichem Schreiten im Kurgarten ausnippten. »Wie schmeckt es Dir?« fragte ich. – »Wie es muß, wie Fischwasser.« – »Wieso?« – »Siehst Du denn nicht, daß es aus dem Rachen des Fisches heraussprudelt, den der alte Wassergott zu seinen Füßen hat.« – »Es giebt hier doch allerlei Unverständliches; nachher holen wir uns in der Woldag'schen Buchhandlung einen Führer und belernen uns. Nichts ist unverzeihlicher als städtische Unwissenheit.«

Wir kamen erst kurz vor Mittag zum Bücherkauf, denn nicht allein das Trinken erfordert seine Zeit, sondern auch das Gehen mit dem Brunnen in sich, das beschauliche Beobachten seiner Wirkung, das Frühstück, das Hinauswandeln in die Natur behufs der gesunden Bewegung und was sonst daran bammelt. Aber wir lebten uns mit Berliner Schleunigkeit ein. –

Nach und nach wurden uns die Taufnamen der Einzelheiten geläufig, aus denen die Umgebung Harzburgs besteht. Der Prachtberg, an dessen Fuß die Juliushaller Soole entspringt und die Krodoquelle ist der Burgberg und die Säule darauf die Bismarcksäule. Die wurde als ein Mahnmal deutscher Einigkeit und deutschen Sinnes errichtet mit dem Bildnisse Bismarcks und der Inschrift: »Nach Kanossa gehn wir nicht.« – Als ich meinem Karl dies vorlas fragte er: »Wenn nicht nach Kanossa, dann nach anderen schönen Plätzen. Der Deutsche findet schon Gelegenheiten. um Entschuldigung zu bitten, daß er stolz an die Größe des Reiches glaubte.« – »Karl, Du mußt noch viel Brunnen trinken, Du machst Politik mit der Leber.«

Wir durften in den ersten Tagen nicht weit gehen; sobald das Herz Polka anfing oder das Athmen schwer wurde war die Anstrengung zu groß gewesen. Wie angenehm war der Philosophenweg, zurück an den Teichen und Quellen im kalten Thal, oder zur Sennhütte hinauf und in den Laubweg hinein bis an den Burgberg. Auch nach dem Heinrichsbrunnen gingen wir. Ich meinte, der Quell sei trocken, als ich die hellen Kiesel auf seinem Grunde so deutlich erblickte, aber ein Käferchen kam und berührte die Oberfläche des krystallklaren Wassers, so daß sie leicht erzitterte. »Solches Wasser in Berlin,« sagte ich, »das Liter nicht unter zehn Pfennig, wie gesund wäre das. Und hier rinnt die Hygiene so in die Wildniß hinein.«

Ein Reh begegnete uns mit seinem Zicklein, das wollte wohl zu dem Brunnen. Auch Vögel zwitscherten in den Zweigen. Und der Wald duftete. Wo die Sonne auf die Tannen schien, war die Luft mit Nadelbalsam förmlich durchdampft. Das muß ja den Nerven gut thun.

Immer kilometriger wurden unsere Ausflüge, Krodoquelle und Gehübungen, die sog. Terrainkur, halfen miteinander und doch war es erst das Vorspiel.

Die Eichen sahen uns immer seltner, die Thäler und Hügel um so öfter. Durch den Wald nach dem Silberborn, und zurück durch die blühenden Salzwiesen. Das ist die reizendste Nachmittagstödtung, die ich kenne. An Bänken fehlt es nirgends, und Zeit hatten wir mitgebracht. Das schwächste Wurm kann ohne Ueberlastung in die Ferne schweifen.

Allmälig wurden leichtere Steigungen genommen, als Klimmschule für Anfänger, während Geübtere die steilsten Wege hinaufturnten. »Wartet man, bis Buchholzens klettern« dachte ich, wenn bei Tisch der Eine seine Beinfähigkeit noch mehr rühmte als der andere, und jeder doch bezweifelte was ihm vorgerechnet wurde. Lügen darf meiner Ansicht nach nur gestattet werden, wenn es interessant ist.

Es war am vierzehnten Tage unsers Aufenthaltes in Harzburg – ich werde ihn nie vergessen – als wir unsern Morgengang unternahmen und von der Sennhütte abbiegend immer weiter gingen und weiter. Es war so frisch und schön und der Waldpfad so einladend und uns beiden so froh und leicht, daß wir plaudernd und scherzend nicht auf die Richtung achteten, sondern arglos vorwärtstappten.

»Das Gehölze ist so dicht, man sieht keine Spur von der umliegenden Geographie. Wo sind wir eigentlich?« fragte ich. – »Irgend wo,« lachte mein Karl. – »Natürlich verirrt, nun man rasch.« – »Nur keine Ueberstürzung, was hilft alles Laufen, wenn man auf dem verkehrten Wege ist? Solltest Du nicht wieder ans Haus finden, setzt ich Dich in das Harzburger Wochenblatt: dem Wiederbringer eine anständige Belohnung.«

»Du denkst bedeutend klarer; wenn Du nur nicht zu klug durch die Kur wirst,« entgegnete ich.

Auf das Ende eines unbekannten Weges wißbegierig zu sein, ist verzeihlich, weil menschlich, und deshalb bemerkte ich: »Neugierig bin ich, wo wir landen?« – »Das kann ich Dir ganz genau sagen,« antwortete mein Karl, »wir sind oben auf dem Burgberg.« – »Ach, Unsinn.« – »Hier siehst Du den Wegweisen, da steht's drauf. Und dort jetzt vor uns liegt die Spitze, in zehn Minuten sind wir oben.« – »Und dein Herzmuskel, Karl, tobt er nicht wie besessen?« – »Nicht die Spur.« – »Aber Dein Athem ist alle?« – »Auch nicht; keinerlei Beschwerde.« – »Und Du barmtest, Du würdest nie hier heraufsteigen können.« – »Mir ist es selber wie ein Wunder.« – »Karl, der Krodo ist doch nicht so übel. Man soll freilich nicht an alte Heidengötter glauben, aber sie wußten am Ende doch auch Manches. Wenn Krodo hier früher angebetet wurde, ehe sie die braunschweigische Religion kriegten, geschah es sicher, weil er Vielen geholfen hat; mit ist die Taille ebenfalls schon ein gut Theil schlanker geworden, und Deine Schnalle hab' und heute Morgen beinahe um zwei Zentimeter einziehen müssen. Das sind doch meßbare Erfolge. Ich hoffe, bei Woldag ist seine Photographie zu haben.«

»Laß auch die köstliche Luft photographieren,« sagte mein Karl. »Wie sie die Brust weitet, wie sie belebt. Komm Alte; dort noch um die Ecke und wir müssen oben sein.« –

Nun standen wir an dem Bismarckstein und blickten hinab auf Harzburg und weit in das Land hinein auf Dörfer und Städte, Wald und Feld und ferne Anhöhen. Da lag im Sonnenglanze vor uns fleißgesegnetes Gefilde des Vaterlandes. Unter uns rauschten die Kronen der Bäume im Winde, über uns zogen lichte Wölkchen wie weiße Friedensvögel.

Da legte sich sein Arm um mich. »Wie ist das Leben doch schön,« sagte mein Karl.

Ich sah nichts mehr von der Herrlichkeit vor uns, mein Blick umflorte sich. Das that die Freude. Ich hatte ihn wieder.

Mit Ehrfurcht betrachteten wir die Bismarcksäule; wir sind noch so erzogen, daß wir vor wahrer Größe uns beugen. Für die neuen Lehren vom Fehlersuchen, Fehlerfinden, Besserwissen und Selbstbewundern sind wir schon zu alt, die überlassen wir den Jungen.

Wir beschlossen, unser Mittagsmahl in dem Hotel Burgberg einzunehmen, was sich als einer der besten Gedanken von Schiller erwies, da Küche und Keller uns zu dem Festtage ein wahres Festmahl lieferten, und die gegenseitige Warnung, ›denk' an Krodo‹, des öfteren nöthig wurde. Krodo erlaubt Vieles, aber nicht zu viel. Was kann es nützen, des Morgens das Fett von den Organen wegzuspülen und den Umfang mittelst Bewegung ins Verhältniß zu bringen, wenn man durch Schlemmen wieder ansetzt? Klapprige und sonst Unzulängliche müssen sich hingegen so unersättlich laufen, daß der Pensionswirth bitterlich weinend in sein Kämmerlein schleicht, um nicht zu sehen, wie sie zulangen.

Wir schrieben Postkarten mit Ansichten an den Schwiegersohn, wie trefflich seine Kur anschlüge, an Erika, an Betti, und spazierten darauf weiter auf dem Gebiet des Burgbergs, nachdem wir den tiefen Kaiserbrunnen in Augenschein genommen hatten, der vor achthundert Jahren gegraben wurde, wie der Hausknecht versicherte, der das Brunnenhaus verwaltet. Es ist eigenthümlich, daß die Hausknechte vieles so genau wissen, worüber Gelehrte sich zanken und streiten.

Nach dem Süden zu sieht man in den Harz. Berge und Berge und darüber den höchsten, den Brocken. »Also das ist er,« sagte ich. »Ich hätte mir ihn schlanker vorgestellt. Aber er ist mir trotzdem sehr betrachtenswerth.«

»Warum das?« – »So seh' ich doch auch einmal das Lokal, wo die Krausen zu Ball geht.« – »Ich hoffe, wir machen gelegentlich einmal hinauf.« – »Ich nicht. Bedenke, wenn Onkel Fritz fragt, ob ich auf dem Blocksberg war und ich muß eingestehen.« – »Albernheit.« – »Etwas muß doch dran sein und, unter uns, wenn die Krausen es könnte flöge sie.«

Wir nahmen von diesem Tage an eine Höhe nach der andern. Ueber den Ettersberg stiegen wir nach dem Molkenhaus, wo die Hühner so zahm sind, daß sie Einem ins Essen träten, wenn sie die Kröpfe nicht so voll hätten; nach den Rabenklippen waren wir und nach der Kattenäse, mit der Fernsicht über Berge und Gelände nach Wernigerode, Halberstadt und über viel deutsches Land. Und dann nach dem Bärenstein! Und wer weiß wo sonst noch hin, nach dem Riefenbachsthal, nach dem Eckerskrug, dem Elfenstein. Ueberall wo man geht und steht, ein wahres Fest für die Augen, eine Labe fürs Gemüth. Sogar nach den Kästenklippen wanderten wir zu Fuß. Ich sah im Opernhaus die Walküre, wo die Brünhilde in Schlaf gezaubert wird. Das ist auf de Kästenklippe passiert. Ich erwartete jeden Augenblick die Schlachtjungfrauen und Wotan und das Feuer, mußte mich jedoch mit der Phantasie begnügen. Manchmal, wenn wir weit ab im stillen Fichtengehege wanderten, zwischen Felsen und Gestein, hätte ich darauf schwören mögen, hinter diesem oder jenem Block lugte ein Erdmännchen hervor, das verschwand, sobald man es gewahrte. Dann war der Harzwald wie ein aufgeschlagenes Märchenbuch und wir gingen darin spazieren. Ich schenke den Enkeln eins an ihrem Geburtstage, damit sie die Märchensprache lernen und den Stimmen der Natur antworten können, wenn sie groß geworden, aus dem Kampf um die blauen Scheine flüchten und wieder Kind sein möchten, wo es grünt und blüht.

Mit dem Hochsteigen hatte mein Karl voll gewonnenes Spiel. In der Höhenluft, so erklärte uns ein kluger Doktor den fühlbaren Einfluß der Bergpartien, vermehren sich die rothen Blutkörperchen schon in einer halben Stunde ungeheuer, und die sind es, die den Sauerstoff aufnehmen und neues Leben durch den ganzen Körper bringen, bis in die feinsten kleinsten Aederchen. Daher das Gefühl der Leichtigkeit, des Wohlbehagens, der Lebenslust.

Unten im Thal nimmt ihre Anzahl wieder ab, aber es sind die alten verbrauchten Blutkörperchen, die zu Grunde gehen. Sorgt man mit etwas Krodo für Durchschwemmung, befreit man sich von den Schlacken und schädlichen Resten. Neuer Anstieg wiederholt die Bildung der Blutzellen bis zuletzt das Blut wirklich verbessert und erneut ist. So verstand ich seine längere Auseinandersetzung. Ob die ganz Klugen noch klügere Erklärungen haben, weiß ich nicht, Thatsache aber ist, daß wir uns Beide ausnehmend wohl befanden und es zahllosen Kurgästen ebenso erging und seit Jahren ergangen ist. Aus allen Ländern kommen sie und reisen gesundet und gestärkt für ferneren Lebenswandel wieder ab.

Vorläufig dachten wir nicht an Berlin; es waren noch kohlensaure Soolbäder zu nehmen, da in Harzburg eine besonders kräftige Soole entspringt. Außerdem wollten wir mehr vom Harz sehen als zu Fuß oder auch zu Wagen mit dem angebrochenen Nachmittage, den die Morgenkur ließ, ohne Hetzjagd abzumachen war.

Bei großer Julischwüle wurde nur so viel gegangen als ohne Erschlaffung geschehen konnte, und fing der Himmel an zu schwitzen, fanden wir Geselligkeit, genug skatkundige Männer in Auswahl, denn allmälig wurde Harzburg Vorort von Berlin, Hamburg und Hannover, von Braunschweig gar nicht zu reden. Wir spritzten einmal hinüber. Die Stadt gefiel mir gar sehr. Das Neugebaute ist gediegen und das Alte noch gediegener, und Wasser und Anlagen darum her wie eine Bekränzung. Die alten Häuser und Schnitzereien und Malereien sind so lustig anzusehen wie die gute alte Zeit selber, von der uns ja meist nur Vergnügtes erzählt wird. Die Baumeister, die sie dort haben, bauen nicht in derselben Manier weiter, weil die Wohnbedürfnisse ebenso viel größer wurden, wie die Miethen, aber sie phantasiren nicht so heftig in Zementguß wie bei uns, und über den Gemeindeschulenstil der Berliner Backsteinräthe, der aus einer Kreuzung von Gefängniß mit Kaserne hervorgegangen ist, sind sie hinaus, den überlassen sie der Reichshauptstadt zur Zier, und entlegenen Jahrhunderten zur Anerkennung. Mein Karl kümmert sich um Bauliches und wenn wir Straßen besehen, theile ich pflichtgemäß seine Ansichten. Ueber den Dom hatten wir dasselbe Urtheil: ein Juwel in deutschen Landen. Und der Platz bei dem Dom mit der wiederhergestellten Burg, der ist einzig. »Sieh Dir das an,« sagte ich. »Der reine Lohengrin. Vor uns Elsa's Palast mit der Treppe, auf der die singenden Hofdamen wie hinter dem Sarge herunterschreiten und rechts die Kirche, wo die Trauung stadtfindet.« – »Du siehst wohl überall Opern?« warf mein Karl mir vor. – »Ist es ein Fehler, in der Wirklichkeit wieder zu erkennen, was in der Kunst entzückte?« – »Fehler wäre wohl zu viel, aber man thut so etwas nicht.« – »Das scheint nun mir ein Fehler. Der Mensch ist doch kein Wollsack, der blos Muff sagt, wenn er vom Boden fällt, sondern ein Echo aller Dinge.« – »Wilhelmine, bändige Deine Gescheitheit. In Braunschweig giebt es hochgelehrte Männer, schweige und laß theoretische Zoddeleien. Wenn die Dich hören?!« – »Wirklich Gelehrte sind gute Menschen, die fürchte ich nicht, aber Leute, die Alles wissen, die sind mein Schrecken.« – »Kennst Du denn solche?« – »Persönlich nicht, aber lies mal Kritiken. Schade, daß von denen keiner bei der Erschaffung der Welt seinen Senf zugab, sie wäre tadellos gerathen. Aber was kraucht jetzt Alles herum?«

So war es. Als wir am nächsten Morgen unter den Eichen – die Kurgästefülle jetzt, nachdem die Schulferien angegangen waren – den ›holden Abendstern‹ genossen, trat ein Herr heran, der meinen Karl mit den schnöden Worten begrüßte: »Na da sind Sie ja! Immer noch so knickstiebelig? Ganz netter Ort hier. Was?«

»Herr Schmolicke,« stellte mein Mann vor.

Also das war Schmolicke, ein solch alter Esel, ganz schneiderschneidig und langmanschettig mit aufgekrempten Beinen, Strohhut wie ein Butterblümchen, den graulichen Schnurrbart bis in die Augen gedrillt und gethan wie ein knapper Dreißiger. Die richtige Jugendkonserve. Wenn mein Karl sich solchen Sommerflanellanzug konstruiren lassen will, die Mittel sind da, aber er schändet den Familiengeschmack nicht.

Schmolicke setzte sich zu uns als wenn ich mindestens seine Cousine wäre und gejohlt: »Na, Buchholz, altes Seitengebäude, geben Sie eine Wiedersehensrunde aus?«

»Meinem Manne ist vom Arzte beschränkte Flüssigkeitszufuhr auferlegt,« bemerkte ich eklig höflich mit dem verständlichen Hintergedanken ›mein Junge, Du kennst mein Herz noch lange nicht.‹

»Er läßt sich sonst doch nicht nöthigen.«

»Wer weiß, wer ihn auf dem Gewissen hat?« sagte ich anzüglich. »Nicht der, dem das viele Bier schlecht bekommt, ist tadelnswerth, sondern wer ihn dazu verleitet. Außerdem haben wir bereits bestellt.«

Der Kellner brachte für meinen Karl ein Glas Milch und einen kleinen Cognac und für mich Juliushaller Sauerbrunnen.

»Nanu,« rief Schmolicke, »Buchholz schlappt Milch? Das muß ich den Brüdern schreiben, die lachen sich todt.«

»Schade, daß sie nicht dabei sind,« versetzte ich ihm.

»Wo so? – Ach so. – Ih wo doch. – Kiekemal,« äußerte Schmolicke sein aufdämmerndes Begriffsvermögen. »Zu nett, meinen alten Freund gleich auf ersten Anhieb getroffen zu haben!« – »Ich verstehe unter Freundschaft absolute Sympathie der Seelen,« wies ich sein Anklammern ab. – »Ick ooch,« entgegnete er.

Den Kellner, der Schmolicke ein Glas Spaten brachte, konnten wir nicht um einen andern Gast bitten, da gerade unsere Reisegefährten von der Herfahrt herankamen, liebenswürdige feine Leute, mit denen wir verkehrten, wie es in Bädern üblich ist: man hält sich zu einander ohne Verpflichtungen. Diesen mußten wir Schmolicke vorstellen, so hart uns der Zusatz »aus Berlin« auch wurde, denn solche Reisende arbeiten nicht günstig für die Stadt der Intelligenz.

»Wir waren gestern wieder einmal nach dem Radau Wasserfall,« begann die Dame ihre Mittheilungen.

»Erlauben Sie, es heißt Rad au;« unterbrach sie Schmolicke. »Das kenn' ich nun als Berliner.«

»Auch wir haben schon vom Berliner Rad au gehört,« erwiderte die Dame, »ziehen aber die Harzburger Radau vor.«

»Es giebt viele Berliner, die gar keine sind,« sagte ich mit einem Seitenblick.

»Es giebt aber kein mehrerlei Rad au. Das macht man mir nicht weis,« sagte Schmolicke.

»Die Radau ist der Gebirgsbach, der durch das ganze Thal fließt,« sagte mein Karl zu Schmolicke.

»Was Ihnen nicht Alles bekannt ist?« entgegnete der. »Wissen Sie denn auch, warum der Hund immer dreimal niest?«

»Was für ein Hund?« fragte ich. – »Es kommt auf die Rasse nicht an,« erwiderte Schmolicke.

»Es hatte mal Jemand einen Hund, der trug eine Nachtmütze.« – »Der Hund?« – »Nein, der Mann. Der hatte eine schlimme Pfote.« – »Der Mann?« – »Nein, der Hund.« – »Nachts wird der munter.« – »Und bellt?« – »Wozu hält man sich Hunde, wenn man selbst bellen soll? Nein, der Mann.«

Mein Karl wurde schon unruhig als Schmolicke anfing. Jetzt sagte er ziemlich erregt: »und so weiter. Ich glaube nicht, daß die Herrschaften Gefallen an Ihren Geschichten finden.«

»O doch,« bat die Dame, »ich habe Hunde sehr gern; mich interessiren Beispiele ihrer Klugheit und Anhänglichkeit. Wie wurde es weiter?«

»Weiter geht die Geschichte nicht, das ist ja eben der Witz.« – Und er lachte rüpelhaft. Von den Nebentischen sah man befremdet zu uns herüber. Und ich schämte mich.

»Aber Sie sagten uns noch nicht, weshalb der Hund immer dreimal niest?« nahm der vornehme Herr das Wort.

Schmolicke schwieg und machte listige Augen.

»Vielleicht hängt es mit der Empfindlichkeit seiner Geruchsnerven zusammen?«

Schmolicke verzog das Gesicht zum Grinsen.

Mir ahnte Unheil und schon wollte ich vorbeugen: »Keinen Ton mehr,« als der Herr fragte: »Oder liegt eine Anpassung und Vererbung zu Grunde?«

»Er niest ja gar nicht dreimal,« brüllte Schmolicke los. »Auf den Witz saust auch noch Jeder herein.« Oh und dies Gelächter, das er aufschlug! Der Herr und die Dame standen auf, verbeugten sich kühl und gingen.

»Den Umgang haben wir gehabt,« war mein mich nie trügendes Gefühl. Ich zeigte Schmolicke noch, daß ich es ebenso konnte wie die Dame, und dann ließen wir ihn mit dem Tisch allein.

Meinem Karl war der Auftritt so peinlich, daß er kein Wort sprach und mir willig folgte, wohin ich ihn führte: in den Kurpark zur Quellengrotte. »Karl,« sagte ich feierlich, »jetzt kenne ich Schmolickes Geschichten und will nie wieder davon hören, sie thun nicht gut. Unter den Eichen, angesichts der himmlischen Natur, in Gegenwart reizend feiner Leute entblödet er sich nicht, solche Unterhaltung zu bieten. Giebt es mehr solcher Menschen? Karl, mir ist jetzt begreiflich, daß Du an Deinem Stammtisch ungesund werden mußtest, Schmolicke ist ja das reine Gift. Was müssen die Leute von ihm denken, von uns, von Berlin? Karl, hier stehst Du vor Krodo; er hat Dir geholfen, schwöre mir bei ihm, daß Du nie wieder an Deinen Stammtisch willst....«

»Wilhelmine, Dir pickt er wohl,« sagte mein Karl. »Der Mensch des neunzehnten Jahrhunderts braucht Kneipenluft.«

»Das bestreite ich nicht... aber gute. Die Schmolicke's verpesten sie. Wie unternehmen von jetzt an große Touren und überlassen Schmolicke den Eichen zum unsicher machen.«

»Sein Publikum wird er schon finden.«

»Er ist Dir augenscheinlich nachgereist,« mutzte ich ihm Schmolicke auf, »und Du willst ihn kalt stellen? Ist das die berühmte Stammtischbrüderlichkeit?«

»Sei gut, Wilhelmine.«

 


 << zurück weiter >>