Julius Stinde
Wilhelmine Buchholz' Memoiren
Julius Stinde

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Emmis Räthsel.

Vorfreuden – Luftschlösser – Warum die Bergfeldten sich anbindet und Emmi die Indianerwaffen wegnimmt – Ein Vortrag über Pädagogik und ein Grand mit Vieren

Meine Tochter Emmi, die Frau Doktorin äußerte neulich:

»Gieb mal Obacht Mama, es geschieht etwas, wovon Du auch nicht die mindeste Ahnung hast.«

»Was denn, Emmichen?«

»Das wirst Du schon erfahren.«

»Mir kannst Du's doch sagen?«

»Nein, Mama, es bleibt für Alle ein Geheimniß.«

»Auch für Deinen Mann?«

»Der muß es zu allererst wissen« lachte sie.

»Kind, ich kann mir doch nicht denken...«

»Was Du meinst, ist nicht« rief sie und schüttelte das Köpfchen.

»Gottlob. Dann ist es wohl mit Fritz und Franz, daß sie aufs Gymnasium sollen oder so? Eine Schwester wäre für die beiden ja sehr niedlich, ein Brüderchen dagegen würde sich schlecht eignen wegen des Unterschiedes in den Jahren. Die beiden Großen sind unzertrennlich zusammen, wie sie immer waren und haben schon mehr erfahren als das Kiek in die Welt, das sowohl körperlich wie geistig hinter ihnen her jampeln müßte und nicht mitkann. Ganz anders läge die Sache, wenn sie eben keine Zwillinge wären, da neigt sich der Aeltere in großer Liebe zu dem Jüngeren und freut sich mit den Eltern über den lang vermißten Spielgefährten. Dein Mann hat wohl nie daran gedacht, wie viel verantwortlicher Zwillinge sind, als Eins nach dem Andern, womöglich in bunter Reihe, wie sich das für ordnungsliebende Familien schickt. – Also was ist es denn?«

Emmi ward um so aufgeheiterter je mehr ich redete, da es doch alle Augenblick Bredulljen giebt, die sie durchaus nicht schwer genug nehmen, sondern womöglich geistreich finden, besonders Er, obgleich man ihm lassen muß, daß wenn einer von den Zwillingen mit dem Kopfende zu genial vorangeht, er ihm ein entsprechendes Exempel auf das Südende statuirt. Ob das human ist, mag er vor seinem eigenen Gewissen verantworten. Ich mische mich grundsätzlich nicht in die Erziehung.

»Emmi« nahm ich das Wort, als sie mit der Auflösung des Mysteriums immer noch zögerte, »jetzt kannst Du mir sagen, was es ist.«

»Du wirst es schon erfahren, wahrscheinlich noch ehe der Monat um ist.«

»Emmi, man muß nie eines Menschen Neugier erregen und ihn unbefriedigt abziehen lassen, denn nichts martert mehr als Gedanken, die immer wieder mit einem Fragezeichen abbrechen und die Ruhe rauben. Wenn du etwas zu erzählen anfängst und verheimlichst den Schluß, das ist gerade als wenn Du einem Kettenhund den Futtertrog so hinstellst, daß er nicht heran kann. Und das laß blos den Tierschutzverein sehen, dann erlebst Du was.«

»Mama, Dein Vergleich stimmt nicht im Geringsten.«

»Insofern das liebe Vieh in mancher Beziehung mehr Schutz hat, als sein Herr, allerdings nicht. Also, was ist es? Heraus damit.«

»Ich darf nicht, Mama.«

»Ist es etwas Unangenehmes?«

»Nicht doch, ich wollte Dir ja nur eine kleine Vorfreude bereiten.«

»Liebes Kind, ein andermal warte bis der Kuchen gar ist, ehe Du ihn lobst, Du weißt nicht, ob er klietschig ausfällt. Also, Du willst es mir nicht sagen?«

»Mama, es wird Franz nicht recht sein....«

»Wenn durchaus nicht, dann will ich nichts wissen. Hat Er etwas zu verbergen, wird er wohl Ursache haben.«

»Mama, Du verkennst Franz absichtlich.«

»Es soll mir lieb sein, wenn ich mich irre, schon um Deinetwillen. Aber nicht immer ist das, woran die Männer Vergnügen haben, gerade das Entzücken ihrer Frauen, wie zum Beispiel, wenn ein Mann sich auf das Fahrrad legt, sitzt die Frau daheim und ängstigt sich, welches Bein er wohl bricht oder ob er im Leichenmuseum zur Ausstellung gelangt? Also Du willst mir wirklich nicht sagen, was es ist?«

»Jetzt, nein, Mama.«

»Weil Du es mit Ihm hältst. Was bin ich Dir auch?«

»Mama übertreibe nicht.«

»Das überlasse ich Dir, ich bleibe immer und stets auf dem Boden des Thatsächlichen und rede zumal nie von unpassirten Ereignissen. Doch bedenke, von vorne sieht der Monat ganz anders aus als von hinten und ich will nur wünschen, daß Du am Ultimo nicht von den Trümmern Eurer Luftschlösser erschlagen bist, wozu Er natürlich den Riß geliefert hat. Oder ist es etwas Anderes?«

Da sie nicht mit der Sprache herausrückte, sagte ich ein beschleunigtes Lebewohl mit der Versicherung, daß ich nicht im Geringsten neugierig sei. Und ich war es eigentlich auch nicht, ich wollte ja man blos wissen, was sie mir nicht sagen wollte.

Sonst war Emmi immer die Mittheilsame und Betti die Verschlossene, und merkte recht wohl den Einfluß des Mannes heraus, der mir freilich stets mit Achtung begegnet und zuweilen sogar mir Herzlichkeit, aber man hat leider zu oft, daß Schwiegersöhne über Schwiegermütter sehr platonisch denken. Ich will damit nicht sagen, daß er möglicherweise zu seiner Frau gesagt haben könnte: ›gieb ihr mal was zu rathen auf‹ sondern diesen Gedanken weit von mir weisen. Wir werden ja noch sehen, was es ist und in wiefern Er dahinter sitzt.

Vorläufig werde ich Emmi nicht in die Verlegenheit bringen, Dinge auszuplaudern, die die Oeffentlichkeit scheuen, obwohl sie weiß, daß ich schweigen kann wie die Singuhr auf der Parochialkirche wenn sie reparirt wird, und auch Ihm will ich nicht die Veranlassung zu der Bemerkung geben, meine Erziehungsweise widerspräche der neuzeitlichen Pädagogik. Zur Pädagogik braucht man doch einen gelernten Lehrer und wie Viele sind ehedems tüchtig und angesehen geworden ohne. Wir kriegten das Unserige hergebrachtermaßen und das langte, auch verstehen Eltern und besonders Großeltern doch besser, was dem Nachwuchs frommt als Wildfremde und wenn sie noch so historisch examinirt sind. Also, wozu Pädagogik? Denn was aus Seiner Erziehung herauskommt, das habe ich neulich erlebt.

Wir sitzen und unterhalten uns, Emmi und ich, die Kinder spielen im Nebenzimmer und wir achten weiter nicht auf sie, da wir über die Bergfeldten sprechen, die seit längerer Zeit das linke Bein an den Bettpfosten bindet, damit sie Morgens nicht mit dem verkehrten Fuß aufsteht, um den Tag über kein Unglück zu erleben und sich nicht entblödet, das auch noch zu erzählen, da trotz dieser Vorsicht ein möblirter Herr das Vorderzimmer hat, der seinen Kaffee selbst macht und ihr mit der Spiritusmaschine Löcher in die Tischdecke brennt, daß sie nichts am Frühstück verdient und er mit Ausziehen droht, wenn sie ihm den Brandschaden auf die Rechnung setzt, der wiederum zu gering ist, um ihn bei der Assekuranz anzugeben, als der kleine Franz herein kommt und seiner Mama ganz treuherzig schwatzt, daß er Großmama entzwei geschossen hat beim Kriegspielen.

Wir folgen ihm in das andere Zimmer und richtig hat die kleine Seele Pfeil und Bogen ein bischen auf meine schön eingerahmte Photographie in beinaher Lebensgröße gerichtet und das Glas verknackst.

»Nu ja,« sage ich, »ganz wie der Vater: nimmt sich die Großmama zur Zielscheibe. Dies würde Fritz nie gethan haben, der ja auch mehr nach der Buchholzischen Linie schlachtet. Aber hübsch ist seine Aufrichtigkeit, daß er es von selber eingesteht und nicht die Schuld auf andere schiebt, wodurch verkehrte Bestrafung und Zwietracht zwischen Kindern und Eltern geschürt wird.«

Emmi sagte: »Wen Ihr Stücke macht, nehme ich euch das Spielzeug weg. Ihr dürft Eure Soldaten auf dem Fußboden damit schießen, aber nicht die Bilder. Verstanden?«

»Komm her, Franz,« sagte ich, weil die Kleinen über die Androhung sehr betrübt aussahen, »weil Du so hübsch aufrichtig gewesen bist, gebe ich Dir dies Täfelchen Chokolade. Sage immer, wenn Du etwas entzwei gemacht hast, dann bist Du ein süßer, artiger Knabe. Und nun gieb Großma' einen Kuß.«

Das that er und während wir ein neues Gespräch aufnahmen, gingen die Beiden wieder an ihr Spiel.

Wir hatten noch nicht lange gesessen, als Fritz kreuzfidel mit ausgestreckten Händchen antrabt und ruft:

»Großma', ich auch Schak'lade.«

»Wie so, mein Herzchen?« frage ich, »Bist Du besonders artig gewesen?«

»Großpa' auch kaput,« sagt er strahlend.

»Was ist dies?« fragte Emmi nach.

Da wir Beides nichts Gutes vermutheten, traten wir wieder eine Wanderung in das andere Zimmer an und richtig, das Glas von meines Karls Bildniß, das als Seitenstück über dem Sopha prangt, war dito geliefert.

»Wer hat das gethan?« forschte Emmi energisch. »Hab' ich Euch nicht verboten, hoch zu schießen? Her mit dem Bogen und den Pfeilen.« Dabei riß sie die Indianerwaffen an sich, worüber die Kinder in Thränen ausbrachen.

Franz war besonders erregt. »Großma' – Schak'lade –« schluchzte er.

»Und da hast Du auf Großpapa hingehalten?« fragte meine Tochter.

Der arme kleine Kerl nickte.

»Was kann er dafür,« nahm ich seine Partei, »vorn in den Bolzen sind blanke Messingnägel, da muß das Glas ja springen. Solche Unvernunft von dem Spielzeugfritzen...«

»Wir wollen nicht untersuchen, auf wessen Seite die Unvernunft liegt,« entgegnete Emmi. »Was wird mein Mann sagen, wenn ich ihm erzähle, wie Du die Kinder förmlich zum Unfug anstiftest? Ueberhaupt finde ich es nicht richtig, daß Du immer die Tasche voll Näschereien hast. Das verdirbt die Kinder.«

»Aber Emmi! Wie kann man so viel Worte um das Malheurchen verlieren. Schließlich tragen die Kleinen doch nur zur Hebung der Glasindustrie bei, und wenn Deinem Mann die Ausgabe für das Aufblühen des Gewerbes zu bedeutend sein sollte, leiste ich sie.«

»Du wirst ja erfahren, wie Franz über Deine Schießprämien denkt,« antwortete Emmi. »Hast Du ihnen dazu die Bogen geschenkt?«

»Weil ich es bin, kann ich mir das Resultat schon jetzt wie den Lokalanzeiger an die Wand malen: auf blauem Grunde leserlich von hier bis Rixdorf. Nur dies Eine will ich sagen: wären die Kinder nicht verkehrt erzogen, hätten sie mehr Respekt vor den Bildern ihrer Ahnen und keine solche Wilhelm Tellsachen gemacht. Wer weiß, wann sie mir oder meinem Karl die Augen ausschießen, wenn wir harmlos bei Euch sind? Und auch nur weil Er mit seiner schrecklichen Strenge die unschuldigen lieben Wesen auf falsche Bahnen bringt konnten sie mißverstehen, was ich in Duldung und Liebe und Anerkennung ihres reinen Herzens mit der Chokolade...«

»Mama, was Du auch sagst, Du wälzest die Schuld doch nicht von Dir. Franz wird Dich freundlich bitten, nicht mit zu erziehen, wie schon öfter.«

Und das hat er wirklich gethan. Er bullerte nicht auf, ach nein, er redete zartfühlend. Aber das war ja nur äußerlich denn er benutzte die Angelegenheit, mir einen erheblichen Vortrag über Pädagogik zu halten. Ich wartete immer auf Bemerkungen, die zu Gegenbeweisen geeignet waren, allein er gab sie nicht von sich. Innerlich hatte er sie jedoch.

Das war vor längerer Zeit und heute war Emmi so. – –

Als ich nach Hause kam, überlegte ich, wie ich meinem Karl die bittere Erfahrung mittheilen sollte, daß sie beim Doktor nach und nach zu selbständig werden?

Mein Mann war im Kontor und ich setzte mich hin und sah auf den Hof hinaus, wo drüben der alte Kastanienbaum steht, der noch viel älter ist als ich, und wie ich Nachprüfung halte und Vergleiche anstelle zwischen der Jugend meiner Erinnerung und dem Jungsein der Enkel, sehe ich den Baum mit grünstacheligen Früchten vollhängen und an einigen Zweigen frisch aufgebrochene Blüthen im Sonnenlichte, als wäre der Mai wiedergekommen.

Da bedachte ich mich. Solche Spätlinge blühen nur für die vermischten Nachrichten in den Zeitungen, weiter haben sie keinen Zweck, ihre Frucht setzen sie an für den Schnee. Wilhelmine, was willst Du deine Ideen ausstecken, es sind ja doch nur Winterblüthen.

Da kam mein Karl. »Nun, Alte,« fragte er, »was simulirst Du?«

»Wie ich alt werde,« antwortete ich.

»Paßt Dir die ›Alte‹ nicht?«

»Doch mein Karl. Mit wie viel Namen hast Du mich schon genannt. Erst Sie ich mein Fräulein und dann Du und mein Lieb. Dein Herz hast Du mich genannt, Dein Glück, ach und Namen so lieb, so schön, daß ich sie Dir nur wiedergeben konnte, weil ich keine bessern hatte und hätte sie so gern gehabt für Dich. Sie sind selten geworden mein Karl, wir wurden beide wohl ein bischen bequemer, aber wenn Du mich Alte nennst, dann meine ich immer, alle anderen Kosenamen lägen in dem einen beschlossen wie in einem Jubiläum, weißt Du, wie Blüthe und Frucht zugleich an einem Baum. Nicht für den Zeitungskäufer sondern für uns Zwei allein. Sieh Dir blos den alten kindisch gewordenen Kastanienbaum an. So was blüht im Herbst.«

Da legte mein Karl seinen Arm um mich und sagte ›Alte‹ und küßte mich.

Mir war es jetzt unmöglich, ihm Verdrußmittheilungen zu machen und auch war ja nicht ausgeschlossen, daß Emmi wirklich etwas Erfreuliches in Vorbereitung hatte. Weshalb sollte ich ihm den Mostrich zu kosten geben indeß die Wurst noch auf der Weide umherlief?

So war ich denn auf Wartegeld gesetzt, wie Jemand, der den ganzen Abend kein Spiel in der Hand gehabt hat und auf einen Grand mit Vieren lauert. Und doch fehle es mir an Muße, mich der Lösung des Räthsels hinzugeben, mein Gehirn wurde, wie schon so oft, anderweitig gebraucht.

 


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