Julius Stinde
Wilhelmine Buchholz' Memoiren
Julius Stinde

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Musikalisch-Polizeiliches.

Warum Kaulmann sich nicht bankerott wohnen will und Antonie sich hinterkniet – Vom Hausstand und von der sogenannten Thorheit – Warum Betti und Felix nach Tegel machen und Wilhelminens Stil beanstandet wird – Von Gesandten und dem Instanzenweg – Vom Schlafen als Sklavendienst und von der abschüssigen Bahn

Es war schon früher einer meiner Gedankenflüge: »Was die Musik zusammenführt, soll der Mensch scheiden.«

Das vierhändige Dichtsitzen geht bis zu einem gewissen kindlichen Alter. Sind sie aber erwachsen und doch noch unerfahren, meinen sie, das ganze Leben sei ein ewiges, eine, zweie, dreie, viere, mit lieblichen Melodieen und wenn sie sich verzählt haben mit freundlich lächelndem Wiederanfangen von der Bruddelstelle. Wupp, sind sie verlobt. Nachher jedoch, wenn es klar wird, daß ihr Essen und sein Essen sich nicht in ein und demselben Topf kochen läßt, rücken sie immer weiter aus einander, er gewöhnlich ins Wirthshaus und sie in ihren häuslichen Kummer und kein Komponist kriegt sie wieder an die Tasten.

Oder der Jüngling wird von ihrem Gesange bezaubert und muß sie haben, weil er sich wonnig ausmalt, wie abends die süßesten Lieder aus ihrem Munde ihm das Dasein verklären. Was thut sie, wenn sie ihn hat und er verlangt eine Arie? Sie sagt, sie ist müde und damit er sieht, daß sie es wirklich ist, gähnt sie mit dem Zuckermündchen. Das ist dann ein Gutenachtlied ohne Worte, und er lernt es bald so auswendig, daß er sein rücksichtsloses Verlangen aufgiebt. Er muß doch bedenken, wie sie sich mit der Musik abgequält hat und ihr nicht zumuthen, sich weiter zu plagen, da doch dem geangelten Fisch keine Pieresel mehr verabreicht werden. Das Piano dient in solchen Fällen nur zum Staubwischen.

Ob jungen Leuten anzurathen ist, Musik zu betreiben, um die Herzen der jungen Damen zu gewinnen, das läßt sich schwer entscheiden. Ein Freund Onkel Fritzens kannte ein junges Mädchen, das unendlich für die Zither schwärmte, aber ehe der Jüngling sie einigermaßen konnte, war es mit einem Andern verlobt. Brummeisen hätte ihm vielleicht günstiger gelegen, aber das ist seit meinen Kinderjahren aus der Mode. Genug, geholfen hat ihm die Macht der Musik nicht die Probe.

Herr Kaulmann und Braut haben sich auf musikalischen Wegen begegnet und gefunden, wenn ein Familienkonzert vom Verein »Keuchhusten« höherer musikalischer Betrachtung unterzogen werden darf. Denn sobald sie gesungen haben, wird gescherbelt und verzehrt, als bräche morgen eine Hungersnoth herein. Wenn man da so dagegen die Singakademie nimmt, wo sie sich vor Andacht nicht rippeln und auch noch die Augen zumachen, damit die Töne blos in die Ohren hineinziehen, merkt man den Abstand. Aber es wird wohl weniger in der Singakademie verlobt, als wenn das Publikum wirklich vergnügt ist und der Herbergsvater desgleichen. So nennen die Keuchhüstler den Wirth, und sie selbst sind die allervergnügtesten. Sonst wäre Onkel Fritz auch nicht bei.

Wir hatten ihm die beiden leerstehenden Räume in der Fabrik zugesagt und Herr Kaulmann war eingezogen, vorläufig so lange, bis er eine billigere und doch ansprechende Wohnung zum Hineinverheirathen gefunden hätte, oder bis die Bevölkerung wo thun würde, wie die Regierung sich vorher versprach und am Sonnabend ihre Zigarren kaufte, die sie zum Verräuchern des Sonntags braucht, was bis jetzt noch hartnäckig verabsäumt wird.

Halbe Häuser waren mehr Freitag als seit Jahren, eben aus Herrn Kaulmanns Grunde: sie sprachen nicht an wegen des Preises. »Ich kann nicht geben, was sie verlangen,« sagte er, »ich verdiene nicht mehr so viel wie vor der Sonntagssperre und mich bankerott wohnen will ich nicht.« – Aber der Hauswirth kann nicht herunterlassen, sonst wird der pleite. Was ist das Resultat? Ueberall rothe Zettel mit der verständlichen Inschrift: Hier sind Wohnungen zu vermiethen.

Als Herr Kaulmann nestwarm geworden war, fragte er, ob wir etwas dagegen hätten, wenn er ein Klavier einstellte? Dies ward ihm bewilligt, da er ein so sehr guter Mensch ist und ihm doch schreckliches Unrecht im Geschäft geschieht. Wäre er Bierwirth, könnte er Sonntags bildschön verdienen.

Einige Tage später kam er mit seiner Braut vor. Sie war nicht unüberwindlich schön, aber doch ziemlich zum Beglücken für Einen, der nicht durch die heutige Malerei verleitet worden ist, jüngere und ältere Scheusäler für hübsch zu halten. Früher galten blos verfallene Gebäude für malerisch, heute verfallene Menschen. Ich hänge mir solche Unzier nicht an die Wand.

Es ist wirklich hindernd, wenn Einer eine so adrette Braut hat wie Herr Kaulmann und sie müssen wieder zurück vom Standesamt. Deshalb ist sie auch entschlossen, durch Musikstunden mit zu verdienen, und ohne lange fackeln, [hat] sie sich in den Lokalanzeiger gesetzt. Aber was bietet der niedere Mittelstand? Vierzig bis fünfzig Pfennige die Stunde ohne Pferdebahnnickel, wenn sie z. B. nach der Anklamerstraße muß und von da nach der Marienstraße drei Treppen auf dem Hof.

Die etwas mehr sind und einige Groschen leisten Können, verlangen eine genannte Lehrerin, ihren Kindern die Tatzen zu dressieren, eine, die einen Namen hat, natürlich blos um dicke mit zu thun. Dafür sitzt das festeste Geld locker. Fräulein Antonie Wehrhagen, zukünftige Kaulmann, sah daher ein, daß sie zu allernächst auf Berühmtheit hinarbeiten müsse, und da dies nur durch öffentliches Auftreten möglich ist, hat sie sich vorgenommen, ein Konzert zu veranstalten.

Mir gefiel diese Resolutosität. »Gewiß können Sie so viel üben, wie Sie Lust haben, die Webstühle machen so viel Lärm, da geht es in Eins hin.« – »Ich bin Ihnen sehr dankbar,« sagte sie, »Alfons« – so schreibt sich ihr Kaulmann mit dem ersten Anfangsbuchstaben – »wird es Ihnen nie vergessen. Wir hätten schon so glücklich sein können... aber Sie sollen sehen, wie ich übe, wie ich mich dahinter kniee. Drei große Stücke muß ich können und drei Zugaben. Muß, muß, muß!«

»Der Himmel gebe seinen Segen zu Ihrem Vorhaben« – sagte ich ganz gerührt über solche Willensfestigkeit. Ich wollte aber doch, ich hätte den Himmel aus dem Spiel gelassen. Er segnete nachher zu heftig.

Mein Mann war mit meinen Abmachungen einverstanden. »Hat sie gute Ellbogen?« fragte er. – »Karl, man spielt Klavier mit den äußersten Spitzen der Finger.« – »Ich meine, ob sie Arme hat?« – »Ich denke doch. Onkel Fritz erklärt, sie hat sehr schöne Konzertarme.« – »Wenn sie ausgeschnitten geht?« – »Karl!« – »Wilhelmine, ein paar runde Arme machen mehr Glück beim Publikum als wenn ein Kleiderrechen Noten drischt. Doch das nur beiläufig. Ich meine, ob sie Aussicht hat? Es ist Platz genug in der Welt, aber Jeder will in der ersten Reihe stehen und dazu gebraucht er Armforsche, und wenn ihm die Hintermänner auf die Hacken treten, etwas plötzlich, ihnen den Hut anzutreiben.«

»Karl, bist Du es, der so spricht, oder wo warst Du?« – »In einer Vorbesprechung zur großen Berliner Ausstellung.« – »Da gehst Du nicht wieder hin, Du kommst ja ganz unkenntlich ans Haus.« – »Konkurrenz verdirbt den Charakter; noch mehr als Politik.« – »Und politische Konkurrenten, Karl?«

Er sagte blos die Worte: »Gott bessere es« und schwieg sich aus. Ich weiß, was er denkt; es giebt Gedanken, die thun erst recht weh, wenn Luft daran kommt. Und das wollte ich nicht. Daher sagte ich: »Karl, Du kannst mir nachher Deine Weste geben, in der rechten Tasche ist ein Loch. Sorge ich nicht stets für Dich, wie ich nur kann?«

»Gewiß, Schatz; wie aber in aller Welt weißt Du von dem Loch? So viel ich mich entsinne, hab‘ ich Dir kein Wort davon gesagt.«

»Eben deshalb...« stammerte ich und fand keine Entschuldigung.

Er lachte. »Jung gewohnt, alt gethan,« sagte er.

»Karl, wie Du wohl gingest, wenn ich Dein Zeug nicht nachsähe? Und auf wen zeigen sie mit Fingern, wenn der Mann wie ein Sonnenbruder umherläuft? Auf die Frau.«

»Und auf wen zeigen sie, wenn die Frau sich überthut in ihrer Toilette? Auf den Mann. Und sie fragen, kann ers oder kann ers nicht?«

»Karl, das frage ich auch, wenn ich Frieda sehe. Wie sie geht: ein Pfau mit zwei Wedeln ist nichts dagegen. Mußte sie nicht einen Sealskinmantel haben, zwei Handbreit länger als meiner, und Du weißt, was er kostet?« – Mein Karl seufzte. – »Karl, wenn man hinterher über ein Geschenk ächzt, verliert es an Werth.« – »Geschenk?« – »Nun ja, Du kamst nach und nach auf die Idee, daß ich mir gerade echten Sealskin wünschte, und gingst hin und thatest also.« – Er lachte. Ich lachte auch. – »Nun weiß ich doch, was Du unter schenken verstehst. Na, wenn es Dir nur gut bekommt.«

»Mir schon, aber Max? Ich meine, Felix äußerte neulich so etwas wie von zu großartigem Hausstand, das heißt, ich nenne das nicht Hausstand, wenn Eine ihr Haus stehen läßt, wie’s steht, und geht alle Abende aus.«

»Warum bleiben sie nicht gemüthlich daheim?«

»Was sollen sie mit ihrem Currendeumhang bei sich anfangen? Der muß doch spazieren geführt werden und in den Bierhallen Schein werfen. Karl, die menschliche Eitelkeit ist Jeder angeboren, das bestreite ich nicht, und sie hat auch ihren Nutzen, wovon wollten sonst die Modegeschäfte leben, aber wenn Eine an ihre Seelenseligkeit gar nicht mehr denkt und blos daran, ob sie auch im Sarge gut aussieht, da fängt die sogenannte Thorheit an. Und solches Ende nimmt es mit Frieda.«

»Das sollte mir leid thun.... um Deinetwegen. Du hast Dir viel Mühe mit ihr gegeben...«

»Die rechne ich nicht. Sie nahm auch den richtigen Anlauf, aber siehst Du Karl, die Schuld liegt mit an ihm, wenn nicht hauptsächlich.«

»Er ist doch Mann’s genug seinen Willen durchzusetzen.«

»Karl, beurtheile nicht alle Männer nach Dir. Du bist eben ein ganz anderer, Du bist solide, dadurch hast Du Deine Stellung. Ich will nicht sagen, daß Max unsolide ist, das ist heut‘ zu Tage bei der Ueberhandnahme der Wirthshäuser nie genau ermittelt – denn wo hört das Bedürfniß auf und wo fängt das Kneipen an? – aber er kam öfter zuspät nach Hause, als es glaubwürdige Gründe giebt, und wenn der Mann erst etliche Male eingestehen muß, daß er Unrecht hat, dann ist er bald kirre. Max ist ein prächtiger Mensch, aber zu nachgiebig.«

»Siehst Du auch zu trübe, Alte?«

»Ich sprach mit Felix darüber, der ist fest mit Max befreundet, der sieht noch trüber. Und da Frieda das merkt, sucht sie die Beiden auseinander zu bringen. Weißt Du, wie sie das schiebt? Sie legt sich mit Betti an. Und wenn natürlich die Frauen einander erst böse sind, Siezen die Männer sich baldigst, so Du und Du sie auch waren. Betti aber thut ihr den Gefallen nicht um Felix wegen.«

»Das ist nett von ihr. Wenn sie nur widersteht.«

»Darüber kannst Du ruhig sein. Betti hat zu viel herbes Leid durchkämpft, als sie im Stillen dem Manne entsagte, den sie mit der ganzen Kraft ihres Herzens liebte – und siehst Du, deshalb dauern Kaulmann und Antonie mich so – und in all‘ ihrem Leid war ein Lichtblick, eine schmerzlich süße Erinnerung: der Tag in Tegel mit den beiden Freunden. Ihm, dem der Freund so gut war, dem beherzten wackeren Freunde, mußte sie auch gut sein, da dämmerte das Morgenroth ihres neuen Lebens auf und ehe sie sich’s versah, standen sie erglühend in den goldenen Strahlen der Liebe, er und sie, Betti und Felix. Ach Karl, so etwas vergißt sich nie. Ich briet die Carbonaden und er hatte Deinen Anzug an, weil seiner am Heerde trocknete; es war zu komisch.

Da kann Frieda lange bohren, ehe sie in die Freundschaft ein Loch bricht. Sonst reden Betti und Felix nicht von der Vergangenheit. Was geschah, vordem er sie kannte, das ist abgethan und vergessen. Sie weiß, daß auch er gelitten hat. Nun freuen sie sich ihres Glückes, und alljährlich machen sie hinaus nach Tegel und wandeln dort Arm in Arm wie frisch Verliebte und sprechen: »Hier war es.« Und ich kann es ihnen durchaus nachfühlen, denn wie glücklich bin ich mir Dir, mein Karl, und vor Allem seitdem ich das neue Mädchen habe.«

»Hm!« sagte mein Mann.

»Bist Du vielleicht nicht glücklich?«

»Sehr. Mir kam nur gerade der Gedanke, bei dem neuen Mädchen, daß Du mit dem alten doch wohl noch nicht ganz auseinander bist. Ich wollte die Sache eigentlich abmachen, ohne daß Du davon erführest, um Dir Verdruß zu ersparen...«

»Karl, noch mehr Verdruß? Hab‘ ich nicht über und über von der Sorte? Aber wer schrubbt ein Haus vom Unglück besenrein, wenn es sich erst mal angesetzt hat? Rede nur, ich ertrage jedes Dynamitattentat ohne zu plinkern.«

»Also, gerad heraus, Du hast ihr ein Zeugniß ins Buch geschrieben...«

»Nur die Wahrheit!«

»Daran zweifle ich nicht. Sie ist damit zur Polizei gegangen und hat angefragt, ob sie Dich auf Grund Deiner... Deines etwas strengen Urtheils verklagen kann?«

»Nein, nein, nicht nach Moabit.«

»Der Herr Polizeileutnant hat mir deshalb sagen lassen, es wäre in jeder Beziehung besser, Du nähmest die härtesten Ausdrücke zurück.«

»Das kann ich nicht. Soll die Person über mich frohlocken? Lieber vor den Schöffenstuhl. Ich weiß, lebend komme ich nicht wieder aus dem Gerichtssaal oder mindestens halbtodt, aber nachgeben kann und kann ich nicht. Denn ich bin im Recht.«

»Gewiß, gewiß. Nur der Stil wird beanstandet, in dem Du Deine unzweifelhaft richtige Ansicht aussprichst.«

»An dem läßt sich nichts ändern, jeder Satz ist reiflich überlegt. Der Person sollte in keiner Hinsicht Unrecht geschehen, aber das ihr beikömmliche Fett mußte sie kriegen. Ich ließ Milde walten, das sage dem Herrn Polizeileutnant, weil in den letzten Tagen schwache Zeichen zur Besserung bei ihr durchbrachen und ich in keiner Weise nachträgerisch erscheinen wollte. Gestehe doch selbst, Karl: that sie je eine Arbeit aus freiem Antriebe, kam sie je von selber auf Großnothwendiges, schwang sie sich je zu Extrareinmachen auf? O nein, aber Trägheit, das war ihr Hauptthätigkeit. Die elektrische Klingel erlahmte Morgens beim Wecken, daß ich selbst herausmußte. Einer solchen gebe ich nicht ›Fleiß, zufriedenstellend‹. Das sage dem Herrn Polizeileutnant. Und wenn sie auch schließlich ihre Pflichten auf einem Zettel bleistiftete und ihn hinlegte, wo ich mit den Wimpern drauf stoßen mußte, machte das doch keinen Eindruck auf mich. Denke Dir, mit ›eins Aufstehen‹ fing ihr Register an, dann 2. Wasser, 3. Feuer anmachen, 4. Zimmer aufräumen, bis in die dreißigen hinein, wo sie mit Herdputzen endigte. Das sind doch Sachen, die sich von selbst verstehen und keine schriftstellerische Behandlung erfordern. Trotzdem rechnete ich ihr den guten Willen an und strich den einzig naturgetreuen Titel ›Faulthier‹ wieder aus.«

»Ja, ja,« sagte mein Mann.

»Karl, ja, ja ist nichts. Was willst Du damit behaupten?«

»Wie Du sagst, nichts.«

»Karl, bei Spitzen kommt es weniger auf die Wörter als auf den Ton an, und der gefiel mir nicht. Also bitte!«

»Wilhelmine, der Herr Polizeileutnant macht Dir ja nur den Vorschlag, der Lene eine bessere Censur auszustellen.«

»Laß ihn sie ein halbes Jahr bei sich nehmen, da sollst Du erleben, worunter er seinen Stempel haut.«

»Es wäre mir lieb, wenn Du ihn selbst sprächest. Ich denke, wir gehen morgen früh zusammen auf sein Bureau. Sei gut, Alte. Hörst Du? Vielleicht überzeugst Du ihn, wie recht Du hast.«

»Blos vielleicht? Ich sage Dir: aber sehr. Die Normalkerze, die ich ihm aufgehen lasse, wird schon Klarheit bringen und Du sollst Dich wundern, in welchem Lichte ich dastehe.«

Den neuen Polizeileutnant kannte ich noch nicht; es war in der letzten Zeit häufiger gewechselt worden. Milas Vater sagte früher: bei Polizeileutnanten und Gesandten wäre das Leben ein immerwährendes ›Wie gefällt Dir dein Nachbar‹, so wie man meint man sitzt, ist man schon wieder unterwegs. Gewissermaßen sprach er damit eine Vorahnung aus, obgleich sie, die Frau, nicht im entferntesten daran dachte und stets beamtenhoch über der gewöhnlichen Menschheit stand; denn als sie umgezogen waren und ich ihr sagte, nun wohnen Sie ja Lehmanns gegenüber, gab sie mir von oben herab zu verstehen: ›Lehmanns wohnen uns vis-à-vis.‹ Und das uns drückte sie ordentlich breit mit der Zunge.

Was sie damit sagen wollte, begriff ich erst, als es zu spät war, ihr wieder zu dienen. Wenn auch die Behörden etwas sind, können ihre Gattinnen doch unmöglich noch mehr vorstellen? Aber womit suchen sie dies zu erreichen? Theils mit Einbildung, theils mit dem Kredit in der Confectionsbranche, was hier beides zur Geltung kam.

Ich bedauerte, daß sie unsere Gegend ganz verließen, an ihm fanden wir in manchen Angelegenheiten eine wahre Stütze; etwas Freundschaft schmeidigt die Umgangshärte, die die oberen Mächte uns durchschnittlich zu Theil werden lassen. Mit dem Neuen hatten wir keine gesellschaftlichen Anhaltspunkte, und gut ist es nicht, wenn das Gesetz so gar keine Kenntnisse von den Persönlichkeiten hat, gegen die es angewandt werden soll. Und mich kannte der neue Herr Polizeileutnant nicht im Geringsten. Wenn ihm gesagt wird, ich hätte bei des Teufels Großmutter kochen gelernt und er glaubt es... was dann? Und was wird nicht alles erzählt und gedruckt und geglaubt? Obendrein setzt die Polizei bei den wenigsten Menschen Talent zur Unbescholtenheit voraus. –

Mir ward der Gang am nächsten Morgen nicht leicht.

»Karl,« sagte ich, »wenn Schicksalsschläge bluteten, wie corpsstudentenhaft ich wohl aussähe?«

»Du malst wieder mit dem großen Quast. Rede Dich nur nicht unnöthig auf.«

»Gut, dann sage ich Schicksalsschrammen, oder ist Dir das auch noch zu viel? Oder ist es etwa kein Schicksal, daß gerade mich so etwas trifft? Warum nicht die Bergfeldten oder die Beckmannen? Deren Nerven sind auf Knüffe geaicht. Ich gehe dabei zu Grunde.«

»Wilhelmine, die ganze Geschichte ist nicht werth, darauf zu niesen.«

»Niese mal, wenn Du nicht kannst. Trüge Dich nur nicht auf Deine natürlichen Anlagen bei der Polizei. Du wirst schon sehen, was aus einer Niessache wird, sobald sie den Instanzenweg geht.« – Ich machte so kleine Schritte wie Unauffälligkeit nur irgend zuließ; ein Bureau ist für mich der reizendste Ort zum wegbleiben.

Ich kann jedoch nicht anders sagen: der Herr Polizeileutnant war die Humanität in höchsteigener Person, von einer Liebenswürdigkeit, die ich kaum annehmen konnte, und mich in ihrer Unerwartetheit einigermaßen einschnürte.

Nachdem wir uns gesetzt hatten, kam er ohne Umschweif auf den Fall. »Ihr Herr Gemahl, den ich darum ersuchen ließ, wird Sie, meine verehrte Frau, wohl schon instruirt haben, daß das zuletzt bei Ihnen bedienstete Mädchen höchst unglücklich über das von Ihnen ausgestellte Zeugniß ist, und da es, ohne jeden Anhalt und Schutz in Berlin, sich an die Behörde gewandt hat, Sie, meine verehrte Frau, um eine weniger strenge Auffassung ihrer Qualifikation zu bitten. Es kann Ihnen das ja nicht schwer fallen, wenn Sie bedenken, daß das weitere Fortkommen des Mädchens von dem Dienstbuche abhängt und ein wenig Nachsicht hier unendlich viel mehr nützen kann als ein gewiß nur allzugerechtfertigter Tadel. Leider sind ja die Dienstboten nichts weniger als vollkommen...«

»Herr Polizeileutnant, Vollkommenheit habe ich mir längst abgewöhnt, aber wenn Herr Leutnant wüßten, wie ich unter der Person gelitten habe, was sie mir auf den Stock gethan, dagegen ist ein bodenloser Abgrund eine bloße Handvoll. Trotzalledem habe ich das eigentlich Kriminalistische unbenannt gelassen, wie z. B. die Eier, die der Sergeant zur Erhöhung der Sonntagsruhe vor meinen sichtlichen Augen konzert-aß...«

Mein Karl hustete.

»Ganz recht,« fuhr ich fort, »er schluckte sie und mir kamen sie in die Kehle...«

»Meine verehrte Frau,« unterbrach mich der Polizeileutnant mit obrigkeitlichem Lächeln, »auf die Details einzugehen würde ich kaum für opportun halten. Unsere Unterredung ist allerdings eine vertrauliche, aber in meiner amtlichen Stellung müßte ich von Aussagen denunziatorischen Charakters dennoch Notiz nehmen, und das, glaube ich annehmen zu dürfen, würde im strikten Widerspruche mit der Güte Ihres vortrefflichen Herzens stehen. Ich befürworte noch, daß das Mädchen in Thränen aufgelöst war.«

»Die fallen ihr bei der geringsten Gelegenheit wie Murmeln aus den Augen. Damit täuscht sie mich nicht mehr.«

»Aber nicht wahr, Sie vernichten das alte Zeugniß und schreiben: ging ab, um sich zu verändern, oder: suchte einen leichteren Dienst.«

»Dies letztere nun mal garnicht.«

»Sie hatte doch sehr viel Arbeit bei Ihnen. Und ich muß sagen, nach diesem Verzeichniß zu urtheilen, nahmen Sie ihre Kräfte, ich will nicht sagen über Gebühr, wohl aber recht ausgiebig in Anspruch.«

Der Herr Polizeileutnant schob bei diesen Worten zur genaueren Kenntnißnahme einen Zettel hin, der mir sofort als derjenige auffiel, an dem ich mir die Augen hatte verstauchen sollen, es aber wohlweislich nicht that. »Sie müssen doch gestehen, daß die Liste eine recht reichhaltige ist.«

»Ja,« sagte ich, nachdem ich Athem für einen längeren Satz eingesogen, »die Speisekarte hat für weitere Genüsse keinen Platz mehr. Aber wenn sie Morgens aufstehen und sich mit Wasser und Seife beschäftigen in den Dienst berechnet, dann möchte ich mir doch ausbitten, daß sie auch das Schlafen als Sklavendienst extra bezahlt verlangt.«

»Ich leugne nicht, einige Nummern scheinen etwas gesucht. Aber finden Sie nicht auch, daß das tägliche Herdputzen eine Ueberanstrengung in sich schließt?«

»Tagtäglich den Herd? Doch blos alle Sonnabend, wie es Mode seit Erschaffung der Welt. Aber nie von alleine; jedesmal mußte sie dazu erst aufgeschwungen werden. Wenn sie mich verklagen will, mag sie es thun; ich ändere nichts.«

»Wilhelmine, Du bist doch sonst nachsichtig,« sagte mein Mann.

»Ueberall mit Vergnügen, nur nicht gegen Falschheit und Lüge.«

»Sie werden wahrscheinlich im Rechte bleiben, wenn das Mädchen vor Gericht geht, vielleicht auch wird die Klage von vornherein abgewiesen...« – »Siehste Karl, es giebt noch Richter in Berlin,« rief ich aus. – »Das Mädchen hat keine Mittel, den Prozeß ins Rollen zu bringen« redete der Herr Polizeileutnant weiter.

»Weshalb spart sie nicht...«

»... sie giebt ihr Letztes aus und ist dann dem Elend verfallen. Das heißt in der großen Stadt: der Obdachlosigkeit, dem Hunger...«

»Es ist ihr ja nicht verboten, einen neuen Dienst anzunehmen.«

»Oh doch, meine verehrte Frau, das verbieten Sie ihr.« – »Ich?« – »Durch das Zeugniß. Welche Herrschaft nimmt ein Mädchen, dessen Buch ihm Unaufrichtigkeit, Unachtsamkeit, und zumal Ungenauigkeit nachsagt? Gegen den Ausdruck der Unehrlichkeit könnte es auf Beweise klagen, Ungenauigkeit, was so ziemlich dasselbe bedeutet, jedenfalls so verstanden wird, möchte manchem als nicht klagbar erscheinen. Ein unehrliches Mädchen findet keine Stelle, wenigstens so leicht keine, an der es ehrbar bleiben kann. Und was wird dann aus ihm? Durch Ihr Zeugniß ist es hinausgewiesen, dorthin, wo die abschüssige Bahn beginnt. Wissen Sie, meine liebe Frau, wo die endigt? – – Wir wissen’s, wir von der Polizei. Wir haben die Last davon, wir müssen brutal, grausam sein gegen Geschöpfe, die in erster Aufwallung verstoßen, allerdings ihrer erzürnten Herrschaft keine Sorge weiter bereiten. Dort stehen die Protokolle, wollen Sie darin lesen, wie solche Trauerspiele des Lebens enden?«

Er deutete auf ein Gestell, das voll von dicken hohen Büchern war. Mich überlief es heiß und kalt.

»Weil sie sich verändern wollte,« flüsterte ich. »Geben Sie das Buch her; ihre Seele komme nicht über mich.«

Das alte Zeugniß wurde vernichtet; ich schrieb ein neues und der Herr Polizeileutnant ließ es stempeln.

»Ich danke Ihnen,« sagte er. »Die Juristen sind der Meinung, mit Milde und Nachsicht bessere Resultat zu erzielen als mit rigoroser Strenge, und so ist die Richtung der Zeit. Auch ich hoffe, daß das Mädchen in sich gehen und die Fehler ablegen wird, über die Sie, meine verehrte Frau, sich noch zu beklagen hatten. Ich danke Ihnen nochmals.«

Mir ward leichter, als wir die Straßenluft erreicht hatten. Die Luft drinnen will ich damit durchaus nicht für schlecht erklärt haben, nein, ich will mich hüten, sie athmete sich nur etwas beschwerlich.

An der Ecke stand die Lene mit einer Kamerädin, einer aus demselben Paquet mit eben solchen Hohnblicken.

»Das ist sie,« sagte unsere Frühere so laut zu der Anderen, daß die Telephondrähte summten, »die merk‘ Dir. Bei der ist die schlimmste Dienstmädchenschinderkule in ganz Berlin.«

Ich machte so große Schritte als statthaft, ohne dem Publikum den Gratisanblick von Trabrennen zu gewähren und war nahe daran, umzukehren und das frische Zeugniß zu bereuen.

»Karl,« sagte ich jedoch, »es wäre unhöflich, die Liebenswürdigkeit des Herrn Polizeileutnant sofort noch einmal zu bemühen, dazu ist er zu sehr Cavalier und zu fein gebildet, aber er kriegt sie später doch in sein Protokoll, denn erstens ist noch Platz auf dem Büchergestell und zweitens sorgt sie selbst dafür, daß sie aufgenommen wird. Ich bin nur froh, daß ich meine Hände nicht dazwischen habe.«

 


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