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XVI.

Der alte Hechenplaickner sah ihn nicht zufriedener wieder, den Sitz seiner Ahnen. Nach der Ankunft, von der wir gleich nachher erzählen werden, ging er wortlos in seine Stube, um dort den Feiertagsrock gegen seine Alltagsjoppe zu vertauschen, fing aber während dieser Tätigkeit hörbar zu brummen an. So männlich und so tapfer er sich gehalten, er glaubte gleichwohl überlistet zu sein. Daß der andere nach einem unverständlichen Getratsch so einfach davon laufen durfte, daß der Richter das Schmerzensgeld nicht herausgab und den ihm ganz unbekannten Animus, wenn er abging, nicht holen ließ, daß er, so klar die Sache gestellt war, gleichwohl den Spruch nicht fällte, bloß weil der andere sich's verbeten hatte, daß er, der Vater selbst, bei der nächsten Tagsfahrt gar nicht anwesend sein sollte – alles dies schien ihm jedenfalls nicht den glänzenden Sieg zu bedeuten, mit dem er so gerne heimgekehrt wäre, den ihm seine Schriftgelehrten in so sichere Aussicht gestellt hatten.

Vor diesen drei Nothelfern war daher dem sonst so beherzten Manne am meisten Angst. Sie aber hatten sich voll guter Hoffnung bereits vor einer Stunde im Garten zusammengesetzt, auch auf den glücklichen Ausgang der Sache schon einmal angestoßen und Viktoria getrunken. Als sie daher erfuhren, daß der Wirt eben angekommen und auf seine Stube gegangen, sandten sie voll Neugier und Spannung die Marie hinauf und ließen ihn bitten, er möge doch herniedersteigen und ihnen Bescheid geben. Er aber sagte seiner Tochter unwirsch, es sei noch nichts entschieden, und vor acht Tagen werde es auch nichts. Dann könnten sie wiederkommen; vorher seien sie überflüssig.

Indem sie diese Äußerung hinterbrachte, bemerkte aber die Marie noch nebenbei, es dünke ihr fast, als ob es nicht nach Wunsch gegangen wäre; der Vater wenigstens scheine nicht gut aufgelegt – worauf die drei Rechtsfreunde selbst in einiger Verstimmung austranken, den Garten still verließen und sich in die Landschaft zerstreuten.

Wenn aber der Landrichter gemeint, die Sache sei bei der damaligen Verhandlung nicht ärger geworden, so zeigte sich der Widerschein dieser Meinung an der guten Rosi allerdings ganz unverkennbar.

Da nämlich durch das heitere Vertrauen und die Siegeszuversicht der drei rechtsverständigen Hausfreunde die ganze Familie angesteckt worden, hatten sich alle vor die Türe gestellt, um den rückkehrenden Einspänner fröhlich zu empfangen. Als sie aber die düstere Miene des Vaters gewahrten, trat die ganze Runde betroffen zurück und wagte ihm nicht einmal einen Gruß zu bieten, wogegen die Rosi, wie wenn alle Leiden vergessen wären, lachend aus dem Wägelein hüpfte und der Mutter, den Schwestern und dem Bruder nacheinander mit freundlichen Worten die Hand reichte.

Sehr glücklich war natürlich die Mutter, als sie die Tochter so heiter zurückkehren sah. Sie geleitete das teure Schmerzenskind auch sofort hinauf in dessen Kämmerlein, um Näheres zu vernehmen, und sprach: »Redst jetzt, Rosi? Mir ist schier, als wenn's dir anders gegangen wäre, als dem Vater – er ist so finster heimgekommen und du lachst ja grad!« –

Rosi erzählte nun und es schien, nicht ungerne, wie es bei Gericht gegangen. »Ach,« sagte sie, »wie ich in das Haus getreten bin, ja wenn sich der Boden aufgetan hätte, ich wäre hineingesprungen! Ja, Mutter! so hab' ich mir noch nicht geforchten auf dieser Welt. Ich hab' gemeint, da steht alles voller Leut' und die lachen alle über mich, und der Florian kommt mit seinen Langkampfener Burschen – ich versteh' ja nichts von solchen Sachen – und alle reden wider mich recht übel und recht bös, und der Florian wird recht feindselig, und der Vater wird recht tückisch, und zuletzt, habe ich mir denkt, tut der Florian mir ein Leid an.«

»O du armes Kind!« seufzte die Mutter, »du phantasierst ja noch!«

»Es ist aber alles anders gegangen; der Florian ist recht freundlich gewesen und hat deutlich gesagt, er will nicht abbitten, aber es gäbe ja noch einen andern Weg; nur der Vater ist so zornig und so hartnäckig und will die Abbitte nicht herschenken. Und so ist aus der ganzen Verhandlung nichts geworden, und wir sind wieder berufen, auf heut acht Tage, und da soll ich allein kommen.«

»Und fürchtest dir nimmer?«

»O nein,« sagte sie lächelnd, »vielleicht geht alles gut. Ich mein', der Florian hat keinen Zorn auf mich. Einmal hat er gesagt: die liebe Rosi –«

»So,« rief die Mutter fröhlich, »das bedeutet was!«

»Nein, das bedeutet nichts,« versetzte die Tochter. »Solang er so denkt, wie der Valentin sagt – –«

Sie ließ die Mutter das übrige erraten, bat aber bald, sie die nächsten acht Tage noch in Frieden zu lassen und auf die Sache nicht wieder zurückzukommen. Da nun jene diese Bitte gewissenhaft erfüllte, verging die ganze Zeit in ungestörter Ruhe.

Die Rosi hielt sich zwar jetzt von der Welt noch ebenso ferne wie früher und sprach kein Wort weder mit den Bekannten noch mit den fremden Leuten, plauderte aber nicht selten ganz anmutig mit allen denen, die zu ihr gehörten. Der Vater war auch in diesen Tagen recht liebreich mit ihr.

»Je länger, je lieber,« sagte er einmal im Garten, »das heißt: je länger du bei uns bleibst, desto lieber ist's mir. Wenn nicht selber einer kommt, der dir taugt, meinetwegen brauchst du keinen zu suchen.«

Solche Reden warfen einen milden Schein auf die nächste Zukunft; sie war doch sicher, daß sie aus dem Vaterhaus nicht verdrängt werden würde. Ihre Traurigkeit war von ihr gewichen, und sie sah die kommenden Zeiten vor sich liegen wie einen stillen See, auf dem allerdings das Schifflein und der Fährmann fehlte.

Und als die acht Tage vergangen waren, legte die Rosi des Morgens wieder die schönen Gewänder an, das Sammetmieder, den Seidenrock, den Hut mit der goldenen Schnur und die feinlackierten Schuhe, worauf sie sich (da die tiefe Trauerzeit doch vorüber war, wird man's wohl sagen dürfen!) nicht ohne Wohlgefallen in ihrem Spiegel betrachtete.

Dann nahm sie Urlaub von dem alten Vater, der ihr zwar noch einen Handschlag, aber zugleich die Drohung mitgab:

»Die Abbitte, Rosi, verstehst, die Abbitte! Wenn du die nicht bringst, so darfst mir nicht mehr ins Haus herein. Und der Landrichter muß sie ins Protokoll schreiben lassen, verstehst, damit man's schriftlich hat!«

Hierauf stieg sie in das Wägelein, das ihr Bruder leitete, und fuhr nach Kufstein, in die Stadt.


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