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X

Der Florian lag eine gute Weile in stiller Betäubung auf dem kalten Boden. Als die Betroffenen, die einen Laut von sich geben konnten, alle herausgezogen waren, hielten die Retter das Rettungswerk für vollendet und gingen wieder anderen Zielen nach, die meisten ins Wirtshaus zum Abendtrunk, der heute sehr lebendig wurde, während die andern, die nicht in der Nähe hausten, sich auf den Heimweg begaben. Und obwohl von dem Florian bereits viel gesprochen wurde, so kümmerte sich doch niemand um ihn, am wenigsten die Langkampfener, weil sie nach der früheren Verabredung alle meinten, er werde sich schon durchgemacht haben, und weil keiner dachte, daß er noch unten auf dem finstern Grunde liege.

Als er aber erwachte, war das zertrümmerte Schauspielhaus verödet und nur der bleiche Mond schaute friedlich in die Zerstörung herein. Er kletterte nicht ohne Mühe über das zerbrochene Gerüste und die zerschmetterten Stühle hinweg, bis er ins Freie kam, wo er dann mit Vergnügen fühlte, daß er an seinem Leibe noch unversehrt und ganz sei. Auch die Seele schien nicht gelitten zu haben, denn er erinnerte sich, obwohl etwas dunkel, an alles, was vorgegangen war. Zuerst fiel ihm wieder ein, daß er zuletzt unter die Elfen geraten, deren Königin Titania ihn sehr fühlbar ausgezeichnet, daß er am Ende aber doch gezwungen gewesen, einen Akt der Notwehr auszuüben. Wie viel an diesen letzten Vorgängen Dichtung, wie viel Wahrheit, das war ihm selbst noch nicht ganz klar. Immerhin hatte er eine richtige Empfindung für das Heikle seiner Lage und war daher sehr unentschlossen, was er zunächst beginnen, wohin er sich wenden solle. So geriet er unsicheren Schrittes in die Dorfgasse und setzte sich, um ein wenig nachzudenken, auf ein Sommerbänklein, das unter einem Birnbaume stand. Er saß noch nicht lange da, als zwei Männer vorübergingen, die eben aus dem Wirtshause kamen, zwei ehrbare Familienhäupter, welche früh nach Hause trachteten. Florian kannte sie zwar nicht, aber der eine war der Dominikus Weinzierl, der biedre Wirt im Mühlgraben, und der andre der Peter Schindelholzer von Niederndorf, ein Vetter des wackeren Pfarrers Schindelholzer von Kundl, der ein sehr gebildeter Mann war, im Jahre 1867, um einmal die Welt zu sehen, zur Pariser Ausstellung reiste und vor zwei Jahren, allgemein betrauert, starb.

Sie gingen langsam ihres Weges und besprachen mit lauter Stimme das große Ereignis. Den Florian, der unter dem Birnbäume saß, bemerkten sie nicht; dieser aber hörte eine Zeitlang alles, was sie redeten.

»Ja, ja,« sagte der Peter Schindelholzer, »dies Spektakel! von dem wird man noch lang reden!«

»Und daß die Rosi bissen worden ist, das ist doch noch nie vorgekommen.«

»Ja, der Vater hat gleich einspannen lassen und ist mit ihr davon.«

»Wer sie etwa bissen hat?«

»Sie weiß's nicht, oder sie sagt's nicht. Es wird schon einer sein.«

»Vielleicht der Weberfranzel? der ist nicht weit gesessen davon.«

»Na, der Weberfranzel, sagen sie, beißt nicht.«

»Nu, wenn's der nicht ist, wird's schon ein anderer sein.«

»Vielleicht der Florian von Langkampfen; sind auch viele dafür.«

»Haben ja alleweil gesagt, der will sie heiraten.«

»Nu, jetzt hat er sie halt einmal bissen – heiraten kann er sie alleweil noch!« sagte der Schindelholzer mit hellem Lachen.

Da verklangen die Stimmen, vielmehr die Worte, denn das fröhliche Gelächter der Männer schallte noch länger durch die stille Nacht.

Nachdem der Florian dies Gespräch vernommen und gewürdigt hatte, glaubte er ganz sicher voraus zu sehen, daß er mit dem nächsten Morgen der Löwe des Tages sein würde. Mit den Langkampfenern, die vielleicht noch beim Weine saßen, jetzt nach Hause zu fahren, schien ihm ganz unerträglich. Welche Fragen hätte er da zu beantworten, wie viele unzarte Scherze hätte er anhören müssen! Dasselbe stand ihm aber bevor, wenn er im Wirtshaus zu Erl über Nacht blieb. Darum führte er seinen ersten Vorsatz aus, ging noch im hellen Mondenscheine bis nach Nußdorf, einem stillen Örtchen, das schon auf bayerischem Boden liegt, und nahm dort sein Nachtquartier.

Hier lief alles noch ganz gut ab. Man schien kaum zu wissen, daß heute in Erl die Passion gespielt worden, und noch weniger, daß dort etwas Besonderes vorgefallen sei. Anders ging es leider schon am nächsten Mittag in Rosenheim, als der Wanderer bei Seraphin Greiderer einkehrte. Dort konnte er sich in der Bauernstube alsogleich überzeugen, daß die gebissene Wirtstochter von der Sewi schon in aller Mund war, hörte die verschiedensten Vermutungen über den Täter und vernahm auch einige Male seinen eigenen Namen. Das Unangenehmste aber war, daß die Theres, die Kellnerin, dieselbe, die später beim Unterbräu diente und den Schmied von Aßling heiratete, daß diese, als sie ihm die erste Halbe brachte, dabei einen lauten Schrei abließ und, auf frühere Bekanntschaft gestützt, mit der größten Sicherheit ausrief: »Ach, mein Gott, das ist ja der Florian von Langkampfen!«

Dieser wurde sogleich feuerrot, tat, um den heißen Durst zu löschen, gleichwohl einen tiefen Trunk, warf aber dann zornig seinen Groschen hin und schritt unwirsch zur Stube hinaus, wobei ihm die zurückbleibenden Gäste alle neugierig nachschauten. Ohne umzusehen, verließ er damals das ehrsame und würdige, jetzt zur Stadt erhobene, so mächtig aufblühende Rosenheim, dessen Geschichte uns einst Otto Titan von Hefner beschrieben, dachte auch nicht mehr an das Geschäft, das er mit Herrn Seraphin Greiderer vorhatte, und war nach zwei Stunden in dem zierlichen Aibling, einem jetzt viel besuchten Badeort, wo er beim trefflichen Schuhbräu einkehrte und auf den Postwagen wartete, der ihn noch selbigen Tags nach München brachte. Dort nahm er seine Herberge beim Schlicker im Tal und setzte sich sofort auf seine Stube, um an die Mutter zu schreiben. Indem er dabei zunächst eine Phrase benützte, die ihm früher schon einige Dienste geleistet, schrieb er folgendermaßen:

»Liebe Mutter!

Ich bin zu Erl abermals unfreiwillig in ein Gefecht verwickelt worden, aber jetzt schon wieder heraußen und ganz gesund. Da ich nun in solchen Fällen, wie Du weißt, die Trätschereien der Nachbarsleute nicht ertragen kann, so bin ich dieses Mal lieber nach auswärts und ziemlich weit herein ins Bayern, nach München gegangen, wo ich ohnedem auf bevorstehender Jakobidult ein Geschäft vorhabe. Du brauchst Dich daher, liebe Mutter, gar nicht um mich zu ängstigen, um so weniger, als ich etwa in vierzehn Tagen hoffentlich wieder zu Hause sein werde.«

Ob das Geschäft auf der Jakobidult wirklich von einigem Belang gewesen, ist immer zweifelhaft geblieben; dagegen erzählte der Florian später ganz gerne, daß er seinen Urlaub benutzt habe, um zuerst nach Schleisheim zu gehen und seinen Direktor zu besuchen, der sich herzlich gefreut, ihn wieder zu sehen, die mündlichen Berichte über seine Versuche und seine Erfolge mit innigem Vergnügen angehört, ihn etliche Tage als seinen Gast behalten und auf so manches, was in der Landwirtschaft neu aufgekommen, freundlich hingewiesen habe.

Als er von dem Direktor Abschied genommen, blieb er aber noch mehr als eine Woche in München, ging wieder in die Glyptothek, in die alte Pinakothek (die neue war noch nicht aufgetan), in andere öffentliche Sammlungen und sogar in verschiedene Ateliers, zu mehreren berühmten Malern, weil er diese mittlerweile in Langkampfen als seine Gäste gesehen und die Einladung erhalten hatte, einmal auch in ihrer Werkstatt vorzusprechen. Den Nachmittag benützte er mehrfach, um rationell bewirtschaftete Güter zu besuchen und dort etwas zu sehen und zu lernen. So fuhr er einmal nach Planegg zu Herrn v. Hirsch, ein andermal nach Freiham zu Herrn Grafen v. Yrsch usw., wurde allenthalben freundlich aufgenommen und überall bereitwillig in allen Ställen herumgeführt.

Damals erlebte er auch ein kleines Abenteuer, welches nach seiner Erzählung folgenden Verlauf hatte:

Einmal nämlich, als er in der alten Pinakothek das jüngste Gericht betrachtete, welches wir dem berühmten Rubens verdanken, zupfte ihn plötzlich eine zarte Hand an der Joppe, und als er sich nach ihr umgekehrt, stand eine junge, sehr hübsche Engländerin vor ihm, eine Malerin, vielleicht die erste, die den später oft wiederholten und wohl meist gelungenen Versuch wagte, als unerfahrenes, aber liebenswürdiges Mädchen allein durch Europa oder wenigstens durch unser Land der frommen Sitte zu pilgern. Sie lächelte ihn schalkhaft an und fragte in ziemlich gutem Deutsch, ob er nicht ein Mitglied jener wilden Jägerstämme sei, welche sich noch im bayerischen Hochgebirge herumtrieben.

Florian erwiderte hierauf, er sei zwar schon ziemlich zahm und eigentlich ein Tiroler, habe aber der guten Nachbarschaft halber doch nichts dagegen, wenn sie ihn jenen interessanten Stämmen beizählen wolle.

Die britische Pilgerin war nun sehr froh, endlich gefunden zu haben, was sie schon seit ihrer Ankunft in Süddeutschland ängstlich gesucht hatte, und drückte dem wilden Jäger gar freundlich die Hand. Dann gingen sie noch etliche Säle durch und sprachen immer ganz verbindlich miteinander, bis sich die junge Dame ihm gegenüberstellte, ihn ungemein wohlwollend musterte und ihm erklärte, daß er bereits ihr volles Vertrauen genieße; er sehe so alpester, so idyllisch und arkadisch, so vorzeitlich, so urweltlich aus, daß sie sich in seiner ehrenhaften Gesinnung, mit der gewiß eine hohe Achtung des schwächeren Geschlechts verknüpft sei, wohl nicht täuschen könne und ihn daher ersuche, sie ins Hofbräuhaus zu führen. Es sei nämlich im ganzen britischen Reich keine Örtlichkeit der Hauptstadt München so bekannt und so berühmt, wie diese, und auch sie sei nur zufällig vorher im die Pinakothek geraten, denn unter den englischen Touristinnen gelte es als Regel, vor allem ins Hofbräuhaus und dann erst in die artistischen Sammlungen zu gehen, weil nur dort die richtige Stimmung und Anlage für einen längeren Aufenthalt in München zu schöpfen sei.

Der junge Tiroler war natürlich sofort bereit, ihr den gewünschten Ritterdienst zu leisten, und so fuhren sie denn auch bald in einer Droschke vor dem Hofbräuhause an.

Unterwegs hatten sie auch ihre Namen, sowie die der beiderseitigen Wohnorte ausgetauscht und Florian dabei erfahren, daß seine neue Freundin sich Miß Lukrezia Johnson nenne und aus Carlisle, der berühmten Stadt in der englischen Grafschaft Cumberland herrühre. Als sie aber das Ziel erreicht, sprang der junge Mann sogleich heraus, geleitete Albions blonde Tochter an eines der Tischchen, die dort unter dem Holzdach stehen, und bat sie, sich da ruhig niederzulassen und zu verweilen, bis er wieder käme.

Er setzte dann über etliche jener Pfützen, welche den Eintritt ins Heiligtum zwar erschweren, aber doch nicht unmöglich machen, und eroberte sich in heißem Kampfe mit der drängenden Menge zwei frische Maßkrüge, die er jedoch nicht in Sicherheit bringen konnte, ohne vorher von allen Seiten beschüttet zu werden.

Endlich kam er, ziemlich angenetzt, wieder bei seiner Dame an, die ihm aus ihrem Kruge sehr artig Bescheid tat und dann mit ihm und den anderen Gästen, welche sich herangezogen (Studenten, Stenographen, jungen Genremalern), ganz anmutig zu plaudern wußte.

Endlich gab sie das Zeichen zum Aufbruch und erhob sich, aber da sie die langen Bänder ihres Hutes über die Stuhllehne hatte in die nächste Tischgenossenschaft hineinhängen lassen, so war nicht zu verwundern, daß sich ein anderer Zecher, der ihr rückwärts saß, darauf gelegt. Als sie aufstand, rissen daher die Bänder, wie nicht anders zu erwarten, und wären langsam zu Boden geflattert, wenn sie nicht Florian behende aufgefangen hätte, jedoch nicht um sie der britischen Jungfrau zurückzustellen, sondern um sie als ein freudiges Angedenken an diese trauliche Stunde für sich zu erbitten – eine Bitte, die ihm auch sofort gewährt wurde.

Miß Lukrezia Johnson aus Carlisle zeigte sich aber über diesen Unfall gar nicht ärgerlich, sondern zitierte ganz heiter den Ausspruch eines deutschen Dichters, daß man nicht ungestraft unter Palmen wandle.

Florian hielt es nun für seine Pflicht, dem liebenswürdigen Mädchen auch die innere Halle, vielmehr die niedere, drückende Stube zu zeigen, welche als das Elysium der bayerischen Trinker betrachtet wird. Dort saßen alle Tische voll, und in den engen Gängen, die sich dazwischen hinschlängeln, standen die biedern Zecher Mann an Mann, so daß weiteres Vordringen, wenigstens einer Dame, nicht möglich war. Miß Lukrezia bemerkte übrigens, ohne von Florian darauf hingewiesen zu werden, daß die Stube sehr übel roch, daß sie voll Tabaksqualm, daß die Tische alle naß und in der schwebenden Flüssigkeit schon viele Rettichscheibchen und Zigarrenrestchen ertrunken waren, daß der Boden ebenso schmutzig als die Tische, und das Ganze auf einen edleren Sinn sehr niederschlagend wirke.

Sie verließ die Stube mit gerümpftem Näschen; als sie aber auf dem Platzl (jetzt heißt es Plätzchen) standen, sagte sie ihrem Begleiter, es seien doch allem Anscheine nach wilde Jägerstämme, die in dieser sonst nicht unschönen Stadt die Herrschaft an sich gerissen hätten und ihr Wesen trieben, etwa wie die Hyksos in Ägypten; überhaupt verstehe sie nicht recht, was sie sehe. Was müsse man von den Bajuvaren denken, daß sie den Ort, der gewissermaßen, wie der Tempel Salomonis, ein nationales Heiligtum sei, zum Gelächter und Spott der Fremden fast aussehen lassen, wie einen italienischen Cesso. Wenn man für andere Anstalten, die doch dem Genius des Volkes viel ferner lägen, für Bilder- und Büchersammlungen, so kunstreiche Bauten aufführe, warum nicht auch für ein unentbehrliches Gambrineum? Warum nicht hierher eine hohe, prachtvolle, eines solchen Namens würdige Halle? Wozu die Glasmalerei erfinden, wenn man sie hier nicht anwenden wolle? An die Wände schöne Fresken aus der bayerischen Geschichte (allerdings etwas bessere, als jene im Nationalmuseum), der Boden ein sinnreiches Mosaik, die Tische von Ettaler Marmor. – Wenn die Kunst die Menschen veredelt, darf sie nicht auch diese veredeln?

So sprach sie noch längere Zeit fort, obgleich sie die Sache eigentlich gar nichts anging, bis ihr Florian sehr artig erklärte: die Kritik dieser Ausstellungen müsse er den Münchnern überlassen; wenn sie eine Abhilfe anstrebe, so möge sie sich an die maßgebenden Kreise, vielleicht gar an den gekrönten Kunstfreund wenden, an König Ludwig I. (welcher damals gerade regiert zu haben scheint). Dieser sei jungen Engländerinnen immer gewogen gewesen und werde sicherlich tun, was er nicht lassen könne.

Nachdem er sie mit solchen Worten beschwichtigt hatte, bot er ihr seinen Arm und fragte, wohin er sie geleiten dürfe. Sie erklärte hierauf, daß sie im Bayerischen Hofe abgestiegen sei, und Florian führte sie demgemäß durch die Pfistergasse, das Schrammer- und das kümmerliche Fingergäßchen, welch letzteres endlich seine längst ersehnte Urstände als prächtige Maffeistraße gefeiert hat, vor die Pforten jenes Hotels. Unterwegs hatten sie aber noch allerlei zu besprechen. Lukrezia fragte z. B., wo denn seine Cottage, sein Chalet oder, nachdem sie endlich das deutsche Wort gefunden, sein Alpenhäuschen stehe, ob er einen hübschen Gletscher in der Nähe habe, wie viele Gemsen er besitze usw. Endlich wollte sie auch wissen, ob in dortiger Gegend nichts zu malen sei. Florian konnte diese Frage allerdings bejahen, meinte aber mit zarter Rücksicht auf gewisse Beziehungen, sie ginge besser nach Hopfgarten oder gar nach Kitzbühel zur Frau Tiefenbrunner, welche zwar das Frauenvolk im allgemeinen nicht recht zu schätzen, aber desto besser zu speisen wisse. (Das englische Mädchen scheint diese Vorschläge auch getreulich befolgt zu haben, da sie bald darauf in Hopfgarten und Kitzbühel, auch auf der hohen Salve gesehen wurde und zuletzt sogar etliche Wochen in Maria-Stein verweilte). Endlich ersuchte ihn das britische Fräulein noch, ihr ein freundliches Gedächtnis zu bewahren, was er, gleiches erbittend, sehr gerne versprach. Dann schieden sie mit verbindlichem Händedruck unter dem Torweg des Bayerischen Hofes, wobei ihr der Florian noch aus seinem Knopfloche ein kleines Sträußchen Edelweiß verehrte.

Nachgerade ist aber vor einem Irrtum zu warnen, der dem Urteil über unsern Florian leicht gefährlich werden könnte, und zwar vor der irrtümlichen Annahme, er habe in der bayerischen Hauptstadt sich nur zu zerstreuen und die Passion zu Erl oder das bittre Leiden Jesu Christi möglichst zu vergessen gesucht, denn es ist wirklich nur das Gegenteil zu berichten. Auf Schritt und Tritt ging ihm nämlich die herrliche Rosi nach – sie war sein liebstes Sinnen und Denken – und als er einst einsam im Spatenkeller saß und sehnsüchtig ins Gebirge sah, da war es ihm, als hebe sich aus der stillen Sewi ihr teures Bild über die Berge empor und werfe ihm mit lieblichem Lächeln drei Alpenrosen in den Schoß.

Indessen erlebte er nicht immer nur »Wache Träume«, wie sie der rühmlichst bekannte Dichter Balthasar Hunold zu Innsbruck einst träumte und jetzt in fünfter vermehrter Auflage erscheinen ließ, sondern er widmete den schwierigen Beziehungen, die zwischen ihm und dem Mädchen entstanden waren, auch viele nüchterne, gedankenreiche Stunden.

Zu seiner Ehre muß vor allem festgestellt werden, daß er den Schaden, den er der armen Rosi getan, viel, viel geringer anschlug, als er wirklich war; hätte er geahnt, daß das Mädchen aus der Passion fast sterbenskrank nach Hause gekommen, so wäre sein Handeln wahrscheinlich viel rascher und entschiedener gewesen, als es sich so gestaltete.

Als sicher nahm er übrigens an, daß die Stimmung, die die arme Rosi zu jenen bösen Worten vor der Passion verleitet, von der Unvorsichtigkeit des Valentin Hinterbichler ausgehe, aber er war billig genug, seinen Jugendfreund deshalb nicht übermäßig zu belasten. »Hätt' ich's ihm nicht gesagt,« meinte er, »hätt' er's ihr nicht gesagt!«

Auch meinte er jetzt, wie sich von selbst versteht, das Leben in der Sewi doch etwas zu strenge aufgefaßt zu haben; sich malen lassen, die Germania vorstellen und am Tage der Leipziger Schlacht, deren Bedeutung auch ihm nicht unbekannt, etliche Verslein sagen, das konnte wahrhaftig mit der höchsten Reinheit der Seele Hand in Hand gehen.

Und der Valentin, der doch dort wie zu Hause, hatte im Hirschengarten seine Auffassung ja auch nicht unterstützt, sondern eher dagegen geredet.

Daß ihn die Rosi vor dem gesamten Volke in so ungewöhnlicher Weise bloßgestellt, das ging ihm eigentlich am wenigsten nach; ihm war es gerade ein Zeichen ihres Ehrgefühls und ihrer Unschuld. Sie konnte nicht anders!

Aber was nun? Die Rosi wußte, wie er von ihr denke, vielmehr gedacht habe – das was sie wußte, das mußte zurzeit wohl auch schon ihre ganze Familie wissen. Daß er jetzt die Sache anders nehme – wie konnte er's ihnen kund tun? Und ehe dies geschehen, war's doch sehr gefährlich, sich als Freier zu melden. Wie leicht hätte man ihm auf sehr unliebsame Art die Türe weisen können? Nun wissen wir zwar, daß er immer sehr viel auf einen ordentlichen Brief gehalten, allein sich jetzt an die Rosi oder ihren Vater schriftlich zu wenden, das wollte ihm doch auch nicht ratsam dünken.

So entdeckte er denn bei allem Nachdenken keinen Weg, der ihn aus diesem Wirrsal hinausführen konnte, und so glaubte er zuletzt alle Weisheit in einem alten Spruche zu finden, in dem Spruch: Kommt Zeit, kommt Rat!


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