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XIII.

Und nachdem seine Zeit verlaufen, verließ der Florian wieder sein liebes München, fuhr mit dem Postwagen bis Kufstein und ging dann zu Fuße nach Langkampfen, wo er vor seinem Hause am Dienstag den sechsten August eben ankam, als nach eingebrochener Dämmerung auch seine Mutter in einem Einspänner vorfuhr.

Es versteht sich von selbst, daß die Begrüßung äußerst herzlich war. Zwar fand es Florian etwas überraschend, daß auch die Mutter fast vierzehn Tage in der Welt herumgefahren, aber er war nur um so neugieriger, zu hören, welche Straßen sie gezogen, welche Orte sie gesehen und wie sie überall durchgekommen sei.

Die vollen Gläser, der kalte Braten, der Schinken und der Schweizerkäse waren auch kaum zum Abendessen aufgestellt, als sie von selbst ganz fröhlich begann:

»Ja, lieber Florian! mir ist es gerade gegangen, wie dir – ich hab' die Tratscherei nur drei Tage ausgehalten; dann bin ich auf und davon. Hätt' ich alleweil wissen sollen, wer die Sewner Rosi 'bissen hat! Und viele andere Sachen auch noch! Deinen schlauen Brief hab' ich dreimal gelesen, steht aber nichts drin. Und alleweil mehr wären gekommen, aus der Stadt und bis vom Bayerland 'rein. Na, hab' ich da zum Hansel gesagt, da könnt' eines närrisch werden mit dem ewigen Fragen – jetzt spann' ein, jetzt gehen wir auf Reisen! Die Wirtin von Langkampfen wird's wohl auch einmal probieren dürfen.«

»Das ist lustig,« sagte Florian lachend, »die Frau Mutter auf Reisen! Nu, 's Geld hast kennt?«

»O mein,« erwiderte sie, »hat mich genug gekostet, daß ich 's Zahlen gelernt hab'.«

»Und wo seid ihr denn hingereist, ins Hinterdur oder ins Paznaun?«

»Nu, zuerst sind wir nach Rattenberg und beim Ledererbräu über Nacht geblieben. Sind im Garten gesessen, haben zugeschaut, wie die Herren Kegel schieben, und Fisch gegessen – ganz gut und gar nicht teuer. Und am andern Tag sind wir aufs Schloß und haben den Turm angeschaut, wo der Kanzler – ja die Namen kann ich mir nicht merken –«

»Der Kanzler Biener,« ergänzte der Florian.

»Ja, wo der Kanzler Biener hat sein Leben lassen müssen. Soll's recht gut gemeint haben, der Biener – tröst' ihn der liebe Gott! Und nachher sind wir zur heiligen Notburg auf Eben – haben 's Fuhrwerk in Jenbach gelassen – schöne Wallfahrt, aber sonst nicht viel – und nachher nach Absam zu der Mutter Gottes in der Fensterscheiben. Hat schon viel Heiraten gestiftet, dieselbige, und weil es jetzt doch so drumrum geht, so habe ich betet, daß du eine schöne, brave Frau – nein, Florian – ich sag's aufrichtig – ich hab' betet, daß du die Rosi kriegst.«

»Und ich bet' auch schon vierzehn Tage drum,« sagte Florian lächelnd. »Da muß's was werden.«

»Da sind wir beim Bogner im Garten gesessen und haben in die Stubeier Ferner hineingeschaut, ausgezeichnete Ferner, ganz schneeweiß, und eine Marend' bestellt. Aber die Frau Bognerin, die kann auftragen! Haben doch nicht viel zahlen müssen. Ist der Kaplan Ruf dahergekommen, vom Narrenhaus, ein lustiger Herr, haben lang gescherzt miteinander.«

»Ja derselbige,« schaltete Florian ein, »das ist ein Pfiffikus, den kennt man schon! Der hat's mit der Philosophie und liest lauter verbotene Bücher, ist aber recht unterhaltlich!«

»Und am Abend sind wir nach Hall hinein und beim Bären sind wir über Nacht geblieben. Ganz fein! Hat sich's Peppele zu uns gesetzt, die Tochter, ein nettes Mädel und sehr gebildet, haben wir lang diskuriert und eine gebratene Ente gegessen. Hat auch nicht viel gekostet mitsamt dem Frühstück. Hat der Hansel einen kleinen Affen gekriegt.«

»Und zu den Franziskanern bist nicht gegangen?«

»Freilich bin ich hinauf ins Kloster, hab' mich bedankt für die gute Lehr' und Unterweisung, die sie dir gegeben haben. Hat der Pater Guardian, der damals dein Professor gewesen ist, der hat gelacht und hat gefragt, ob du dahier keine Stunden in der griechischen Sprach' gibst.«

»Au weh,« schrie der Florian, der nun ebenfalls lachte und sich hinter den Ohren kratzte, »das ist ein böser Hieb!«

»Er läßt dich aber recht schön grüßen. – Und nachher sind wir nach Innsbruck und haben beim Gamper eingekehrt, ganz oben am Triumphbogen. Haben uns recht schön aufgewartet, allerhand gute Sachen und guten Wein – hat der Hansel wieder einen Affen gehabt – alles recht freundlich und sehr billig. Bin dreißig Jahre lang nicht mehr hinaufgekommen – schöne Stadt, dies Innsbruck – weißt nicht, wo du hinschauen sollst vor lauter Schönheit.«

»Am liebsten hab' ich die schönen Mädeln angeschaut.«

»Ja, du schon! Und nachher sind wir hinauf zum heiligen Wasser; prächtiges Wasser, aber 's ist gar so weit hinauf und da hab' ich den Wein doch lieber getrunken.«

»Ganz einverstanden, Frau Wirtin!« sagte Florian.

»Und da sind wir noch zwei oder drei Tage in Innsbruck geblieben, sind nach Amras und auf die Martinswand und nachher herunter ins Zillertal nach Fügen. Haben die Rainer singen hören zu der Zither; ja, da meinst schon, die Engel singen und die heilige Cäcilie spielt's Klavier dazu.«

»Ja, wenn sie eins hat!« sagte Florian.

»Hat der Hansel den dritten Affen gehabt. Und so sind wir wieder heimgekommen und ist die Zeit vorbei gewesen wie ein Augenblick und alles sehr schön, recht fein und ganz nobel!«

»Prächtig!« rief Florian und klatschte Beifall spendend in die Hände. »Nu, jetzt hast du die Welt gesehen, Mutter, jetzt kannst' dich zur Ruhe setzen und deine Reisebeschreibung herausgeben. Kannst' heut noch 's erste Kapitel anfangen!

»Ja, solltest halt weniger Strümpf zerreißen, daß ich nicht alleweil' flicken müßte!« versetzte die Mutter ebenso munter. Indessen fuhr sie doch gleich in einem andern Tone fort:

»Aber jetzt dürfen wir schon ernsthafter reden. Wie ist's denn nachher dir gegangen, Florian?«

Mit dieser Frage trat allerdings ein fühlbarer Ernst in die Unterhaltung.

»Nu,« sagte Florian, »die Langkampfener werden dir's schon erzählt haben – die Rosi –«

»Ja, das hat mir gar nicht übel gefallen, daß sich das Mädel so wehrt um seine Ehre. – Aber du bist nicht gut weggekommen, mein lieber Bue!«

»Das wird sich richten lassen, Mutter!«

»Aber woher kommt denn der Zorn?«

»Nun, weißt wohl, mich hat's schon alleweil geärgert, daß sie uns so verheiraten miteinander. Ist grad' gewesen, als müßt' ich sie nehmen, weils die Bauern wollen. Und der alte Hechenplaickner hat mir auch nie ein gutes Wort gegeben – hab' alleweil drauf paßt – und gesehen hab' ich sie auch nie.«

»Hättst sie halt anschauen sollen zur rechten Zeit.«

»Und argwöhnisch bin ich auch gewesen über die Herrischen, heißt das die Maler da drüben. Wenn du so ein Mädel erst aus einem ganzen Bündel Liebhaber rauswickeln mußt' –«

»So laßt du's lieber drin!«

»Und so habe ich dem Valentin also im Hirschgarten gesagt, mir taugt das Ding nicht recht und dies und das und so und so. Und der Valentin ist hingegangen und hat's ihr wieder gesagt.«

»Hätt'st du's ihm nicht gesagt, hätt' er's ihr nicht gesagt –« kritisierte Frau Euphrosyne mit Worten, die wir schon einmal gelesen zu haben glauben.

»Ist mir so leicht von Herzen gegangen – hab' gemeint, es muß heraus. Jetzt reut's mich schon lang.«

»Darf dich auch reuen! Ich sag' dir, Florian, auf der ganzen Fahrt hab' ich alle Stund' an dich denkt und an die Rosi. Und jetzt, bei dem schönen Wetter, wo alles wallfahrten geht, da haben wir überall Leut' getroffen vom Unterland, von Niederndorf, von Erl und von Ebbs – hab' mich nicht zu erkennen geben – hab' aber überall ganz hintenrum nach der Sewi gefragt und haben alle gleich von der Rosi angefangen, voller Freud', daß sie sie recht loben können. Und da oben auf Eben bei der heiligen Notburg, im Wirtshaus, da ist ein alter Bauer gewesen auf der Wallfahrt, der Mühlberger von Niederndorf, der schlagt gleich in den Tisch hinein und stampft auf den Boden und schreit: ›Wie die ist keine – gar keine auf der Welt! Die heilige Notburg muß man freilich voraus lassen, grad weil sie eine Heilige ist, aber nachher kommt g'schwind die Rosi, ganz g'schwind und mir wär' sie grad so lieb wie die andre –‹«

»Und mir noch lieber!«

»Möcht' nur wissen, warum sie alle so gern haben?«

»Ich weiß 's schon, seitdem ich sie gesehen hab'!«

»Und nach allem, was ich hör', sagen ihr die rechtschaffenen Leut nicht das mindeste nach und darum sag' ich: Geh, heirat' s, Florian, heirat' s! Jetzt hat sie einmal den Schimpf; ein andrer stoßt sich dran; der, der's tan hat, braucht ihn nicht zu scheuen.«

»Darfst mir nicht zureden, Mutter! Ich denk' an nichts andres.«

»Und mit ihrem Schimpf vergeht auch der deinige. Jetzt ist die arme Haut so tief herunter», daß sie jede Mistdirn' auslacht, und du kannst sie wieder heben auf die höchste Höhe. Und das mußt du tun, Florian!«

Da erhob sich die stattliche Frau, um zu gehen, und reichte ihm in mütterlicher Würde noch die Hand. Er drückte einen warmen Kuß darauf, was zwar unter Bauernleuten sonst nicht vorkommt, aber vielleicht für diesesmal durch seine »halbgebildete« Aufregung entschuldigt werden kann. Als aber die Mutter schlafen gegangen, kam die Leni, die Kellnerin, herein und übergab dem Florian einen »Brief« vom Landgericht, den der Gerichtsdiener schon vorige Woche gebracht habe.

Der Brief war aber eine Vorladung zum k. k. Landgericht Kufstein auf den siebenten August um neun Uhr morgens in Sachen Rosa Hechenplaickner, vertreten durch ihren Vater Thomas Hechenplaickner, Wirt in der Sewi, gegen Florian Weitenmoser, Wirt zu Langkampfen, wegen Schmerzensgeld zu dreihundert Gulden, wegen Ehrenkränkung und Abbitte. Die Klageschrift, die damals in der Sewi verfaßt worden, lag auch dabei.

Als Florian den Brief und dessen Beilage gelesen hatte, sagte er ruhig: »Kommt Zeit, kommt Rat. – Jetzt weiß ich, wie es geht und was ich zu tun habe.«

Und dann schenkte er sich den Becher bis zum Rande voll und ehe er ihn leerte, sprach er fröhlich: Auf deine Gesundheit, schöne Rosi! morgen gibt's einen guten Tag!«


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