Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV.

Auf diese Weise war der Florian in sein siebenundzwanzigstes Lebensjahr hineingeraten.

In jenen Seiten und in jenen Tagen, ja eigentlich gerade in dem Jahre, von dem jetzt die Rede ist, wurde aber in der Kufsteiner Gegend sehr oft und sehr viel von einem angeblichen Liebespaare gesprochen und zwar von dem Florian und der Rosi. Die Rose der Sewi war jetzt einundzwanzig Jahre alt und mußte heiraten – das sahen alle ein – sie konnte aber keinen andern nehmen als den Florian – das war klar.

Als derlei Reden einmal im Umlauf waren, gewannen sie auch täglich an Bestimmtheit; die einen wollten wissen, die Hochzeit sei schon auf Jakobi angesetzt, die andern behaupteten, auf Barthelmä. Der Valentin Hinterbichler von Walchsee erregte daher zu Sommersanfang kein geringes Aufsehen, als er in der blauen Traube zu Kufstein diesen Gerüchten mit Nachdruck widersprach und am Ende, ärgerlich über das Geträtsch, das gar nicht aufhören wollte, in einen Tisch voll Bauernleuten mit der Faust hineinschlug und mit kräftigster Stimme dazu erklärte: »Ob es da einmal eine Hochzeit gibt, das weiß unser lieber Herrgott; aber daß sich die zwei auf dieser Welt noch nie gesehen haben, das weiß ich!«

Wer jedoch jenen Glaubenssatz zuerst erfunden und ausgesprochen, das war schon damals nicht mehr zu erfragen und ist jetzt um so weniger festzustellen, aber er ging so reißend schnell in die Bevölkerung über, daß ihn bald im ganzen Landgericht und in der bayerischen Nachbarschaft von der reiferen Jugend an bis zum höchsten Greisenalter jede christgläubige Seele bekannte und festhielt.

Wer diese Erscheinung mit ruhiger Überlegung betrachten will, der wird sie auch nicht auffallend finden. Die Rosi war wie der Florian in einem reichen, von alters her angesehenen Wirtshause geboren und so gehörten beide der bäuerlichen Aristokratie an, welche auf Reinheit des Blutes nicht weniger bedacht ist als die ritterliche. Er galt für den saubersten Burschen, sie für das schönste Mädchen des Gaues, und darin lag für den ländlichen Verstand wieder eine Aufforderung, sie zusammenzustellen und vereinigt zu denken. Ferner hatte die ästhetische Erziehung, die ihnen durch Lektüre, durch Pflege der Musik und Umgang mit Malern und andern gebildeten Leuten geworden, sie beide aus der Niederung des bäuerlichen Treibens zu einer geistigen Höhe emporgehoben, zu der ihre schlichte und unentwickelte Umgebung nur schwindelnd hinaufschauen konnte. Wer daher seine Augen spähend in die Runde gehen ließ, der fand für den Florian keine andere Möglichkeit, als die Rosi und für die Rosi keine andre als den Florian.

Die beiden jungen Leute hörten nun allmählich auch davon, daß die ganze Umgegend, das ganze Landgericht mitsamt dem bayerischen Grenzsaum sie miteinander verheiraten wolle und bereits zusammengesprochen habe, aber diese Kunde wirkte in Langkampfen ganz anders als in der Sewi. Der Florian nämlich ließ sich von solchen Reden gar nicht anfechten. Einmal glaubte er bei seinen Jahren den heiligen Ehestand nicht werktätig und geflissentlich heranziehen, sondern warten zu sollen, bis er sozusagen selber käme. Deswegen ließ er es auch unbefolgt, wenn ihm etwa ein guter Freund geraten hatte, doch einmal auf die Brautschau zu gehen und sich das Mädchen zu besehen. Überdies war es ihm ärgerlich, daß einerseits die Bauern und die Bäuerinnen so ungefragt über seine Hand und sein Herz verfügen wollten und daß anderseits der alte Hechenplaickner, den er auf den Märkten öfter traf, ihm gar keine Ehre erwies und ihn niemals in die Sewi einlud, denn da der Florian, wie die meisten seiner Mitmenschen, auch etwas eitel war und sich auf seine gesellschaftliche Stellung unter den Landleuten doch einiges einbildete, so meinte er, der alte Wirt dürfte einem solchen Schwiegersohn wohl einmal eine freundliche Ansprache gönnen. Dann aber, und dies gab den Ausschlag, hatte der junge Mann über die Rose der Sewi gar mancherlei gehört, was ihm nicht recht gefallen wollte. So blieb er denn ferne von ihr, obgleich seine Mutter nach einzelnen zerstreuten Äußerungen dem Mädchen gar nicht abgeneigt schien. Doch war Frau Euphrosyne weit entfernt, ein mahnendes oder gar ein drängendes Wörtlein fallen zu lassen.

In der Sewi dagegen fand jenes ländliche Gerede einen Boden, der viel empfänglicher war. Man glaubt, daß die ersten Neckereien dieser Art ungefähr damals aufgetaucht seien, als die Rosi im neunzehnten Jahre stand. Damals pflegte sie zwar über die Scherze und die Prophezeiungen ihrer Gäste noch unbefangen zu lachen, aber später, nachdem sie jenes Jahr zurückgelegt und die gleiche Weissagung so oft vernommen hatte, da fing sie doch selber an, ihr einigen Glauben zu schenken. Sie gestand sich allmählich, daß es sehr wünschenswert wäre, diesem ausbündigen Burschen zu gefallen, von ihm umworben und gefreit zu werden. Sie lauschte immer wonniglich, wenn die Bauernleute von seinem großartigen Leben erzählten und das Glück seiner künftigen Hausfrau priesen, gab sich aber freilich alle Mühe, sich nicht zu verraten. War es nun nicht eine ganze und vollständige Liebe, was sie damals erfüllte, so war es doch eine hochgespannte Sehnsucht, den sagenhaften Helden einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Als sie aber wieder um ein Jahr älter geworden, da hatten sich ihre Hoffnungen wohl doch schon in die feste Zuversicht umgesetzt, daß sie für einander geschaffen, daß ihr nur der Florian bestimmt sei. An dieser Überzeugung hielt sie umso inniger fest, als sich – kein andrer zeigte. An dem lachenden Himmel ihrer Zukunft zog nur eine anfangs leichte und lichte Wolke auf, die aber immer schwerer und schwärzer wurde, nämlich die einfache, aber täglich wiederkehrende Frage: Warum kommt er nicht?

Ebensooft und vielleicht noch öfter dachte damals an den Florian Frau Anastasia Hechenplaickner, die Mutter. Sie wußte sich auch kein höheres Glück zu denken, als wenn ihre Rosi Wirtin zu Langkampfen würde und sie meinte ebenfalls, es könne ja gar nicht anders gehen. Aber auch sie fand nur so unerquicklich, daß man in der Sewi noch immer nicht wisse, wie der Mann der gemeinschaftlichen Sehnsucht eigentlich aussehe. Wenn Herr Karg, der Photograph und jetzige Bürgermeister zu Kufstein, damals schon wie heutzutage alle Zelebritäten der Gegend abgebildet und zur Auswahl an sein Fenster gestellt hätte, so würde Frau Anastasia, da ihr kein Nadelgeld ausgemacht war, ihr Liebstes, vielleicht ihre schönste Pelzkappe als Tauschware für den photographierten Florian geboten haben.

Es muß aber leider gesagt werden: die schöne Rosi fühlte nachgerade, daß ihre Zeit gekommen sei und daß sie eigentlich aus dem Hause sollte. Eine jüngere Schwester, welche die Maler als einen fast ebenbürtigen Ersatz begrüßten, drängte nach und wünschte je bälder je lieber an ihre gebieterische Stelle zu treten. Obgleich die ganze Familie noch in voller Eintracht zusammen lebte, so meinte die älteste Tochter doch zu ahnen, daß sie allmählich der Stein des Anstoßes werden könnte, und der Gedanke, überflüssig oder gar lästig zu sein, war ihr fürchterlich. Aber freilich schien die Zukunft nachgerade mit Brettern vernagelt und jeder hochzeitliche Auszug aus dem väterlichen Hause hermetisch verschlossen.

Nicht als ob es damals in der Sewi an Freiern gefehlt hätte – man nannte vielmehr einige sehr achtbare Namen aus dem Bauernstande, allein wenn diese Verehrer sich zum ersten Seidel niedergesetzt, so wußte sie die Rosi so kühl und vornehm zu behandeln, daß sie keine Lust mehr fühlten, auch nur ein anzügliches Wörtlein fallen zu lassen. So zogen sie freilich ab, ohne einen ausgesprochenen Korb zu erhalten, aber ihre Absichten hatten unter den Vertrauten doch für zweifellos gegolten.

Unter diesen Abgelehnten wurden damals namentlich hervorgehoben: erstens der Ahorner Peterl von Oberndorf, ein gesunder und tugendhafter Jüngling von dreißig Jahren, der für sehr annehmbar galt, da in seines Vaters Ställen fünfzig Rinder brüllten – zweitens der Dillersberger Hansel von der Sparchen, der erst vor kurzem die dortige Sägmühle übernommen hatte, und drittens der Thaddäus Wiesentaler, ein junger Witwer, der einen großen und schönen Hof am Erlerberg sein eigen nannte. Den Weitpreis hätte jedenfalls der bekannte Jenewein Mittersackschmöller erhalten müssen, eines wohlhabenden Weinbauern Sohn aus der Rungatsch bei Bozen, ein gottesfürchtiger und kräftiger Bursche, der zwar im Lesen und Schreiben etwas schwach war, aber am Fronleichnamstage schon etliche Male die große Fahne getragen hatte. Wer in seinem Herzen die bezüglichen Flammen angezündet und ihn zu der damals noch so weiten Reise über den Brenner gereizt, ist nicht mehr bekannt. Er teilte freilich das Schicksal der übrigen.

Ums Verkennen besser, sagt man, ging es damals dem Obermaier Toni, von bayerisch Audorf, demselben, der später als Johannes Duldenhofer die Geschichte mit der Trompete in Es erlebte. Dieser hatte eben die väterliche Färberei übernommen und war daher keineswegs unter die gewöhnlichen Bauern zu rechnen, auch sonst von angenehmen Manieren und gebildeter Art. Wenn der Toni, meinte man damals allgemein, nicht Färber in Audorf, so wäre er wahrscheinlich ein Eßlair oder Urban in München geworden. Er schwärmte nämlich für die deutsche Bühne und hatte das ganze damalige Bauerntheater zu Audorf seinem Geschmacke unterworfen, welcher klassisch war. Und obwohl er so eilig, mit solcher Überstürzung zu sprechen pflegte, daß ihm nur die wenigsten Hörer zu folgen vermochten, so hatte er doch schon einmal den Don Carlos und ein andermal sogar den Prinzen Hamlet von Dänemark so trefflich gespielt, daß ihm die Audorfer, die sonst schwer zu befriedigen sind, ihren Beifall nicht versagen konnten. Unsre Rosi wußte solche Verdienste ebenfalls zu würdigen und unterhielt sich ganz herablassend mit dem jungen Färbermeister, der ihr die Einrichtung seines Theaters gesprächig auseinandersetzte und ihr die schönsten Stellen aus dem Don Carlos rezitierte, aber, wenn auch die boshaften Maler den ländlichen Mimen nicht immer hinterrücks wegen seiner übersprudelnden Sprache verspottet hätten, so gefiel es dem Mädchen doch eigentlich gar nicht, da ohne besondere Not nach Audorf, »ins Bayerische« hinaus zu heiraten. Die Mutter nahm daher den wackern Toni freundlich beiseite und sagte ihm flüsternd, es sei nichts; die Tochter hänge noch zu sehr an der Heimat; er könne jedoch übers Jahr wieder nachfragen.

Aber die Maler? Diese zogen zwar mit jedem Sommer häufiger in die Sewi, aber auch die wichtigsten darunter konnten höchstens als platonische Verehrer gelten, denn sie vertrauten ja der Rosi selber nur zu oft, daß ihnen das Geld schon wieder ausgegangen sei, und manches junge Talent mußte sie gar lange in der Kreide halten. Damals hatte nämlich das deutsche Volk auch für die guten Bilder, ja für die stimmungsvollsten Landschaften noch keine Erübrigungen, und der Kunstverein zu München konnte leider auch nicht alles, was in der stillen Sewi erstanden war, in sein Schatzhaus aufnehmen. Obgleich nun die arme Rosi mit den Malern noch immer viel lieber umging, als mit den Bauern, so kam ihr denn doch zuletzt die ganze Gesellschaft etwas verdächtig vor. »Da haben sie mich jetzt,« sagte sie eines Abends zu sich selber, »mit ihren Reden und mit ihren Schmeicheleien hoffärtig gemacht und von ihnen nimmt doch keiner ein Mädel aus einem Bauernhaus. Und mit ihrem Geld – da müßte man schon vor der Hochzeit betteln gehen. Die Bauern aber kann ich nimmer leiden und wäre vielleicht mancher brave Bursche darunter. Ja, ja, wären die Maler nicht ins Haus gekommen, da wär's anders gegangen, da wär' ich längst verheiratet!«

Sie saß damals in dem Garten, wo ihre Zither auf einem Tischlein lag, spielte dem Wilden Kaiser ihre Melodien vor und weinte dazu. Da kam die Mutter, die sich eine solche weiche Stunde längst gewünscht hatte, auch des Weges, setzte sich zu der Tochter und sprach:

»Rosi, du bist jetzt einundzwanzig Jahre alt!«

Die Rosi fühlte das erdrückende Gewicht dieser Worte. Sie antwortete erschreckt und leise:

»Ja, ja, Mutter, ich weiß es, aber ich kann nichts dafür.«

»Einundzwanzig Jahre – und da solltest halt heiraten!«

»Ja, ja, Mutter, du darfst nur sagen, wen?« entgegnete die Rosi und stützte das Haupt schwermütig in die Hand. »Nur einen Bauern nehm' ich nicht!«

»Aber den Florian?«

»Den kenn' ich ja nicht!« erwiderte die Rosi herb und gereizt.

»Wenn du nur den nähmst!«

»Ja, richt's doch lieber so, daß er mich nimmt!«

»Daß er denn gar nicht kommt?«

»Ist ihm halt der Weg zu weit.«

»Mein Gott! mein Gott! liebe Rosi!« jammerte die Mutter, »was wird das noch werden?«

»Ich weiß es schon; auf Micheli muß ich halt in einen Dienst und – dann geh' ich in Gottes Namen.«

»Nein, nein, Rosi,« sprach da die Mutter schmeichelnd und legte ihr die Hand begütigend auf die Schulter – »nein, nein, so lang er lebt, sagt der Vater, muß keine aus dem Haus, wenn sie nicht selber will!«

Die Rosi nickte dankend und begann wieder die Zither zu spielen.

Die Mutter aber horchte trübsinnig zu, denn sie durfte sich immerhin gestehen, daß diese erste Beratung die Sache nicht gefördert habe.

Es ist wohl zu erwarten, daß manche empfindsame Leserin die Art und Weise, wie die Mutter an jenem Abend zur armen Rosi sprach, sehr unzart und verletzend findet, allein auf dem Lande werden solche Dinge wirklich nicht mit mehr Schonung behandelt. Die Verheiratung und Versorgung der Wirtstöchter, namentlich wenn diese hübsch und reich sind, ist eine öffentliche Angelegenheit, in welche jeder Vorübergehende hineinredet. Nicht selten hört man daher in der Bauernstube, wie irgendein Gast, der bei seinem Seidel sitzt, das Töchterlein fragend anspricht: »Ja, was ist's denn, Burgel, wenn heiratst denn? ist's nichts mit dem Franzel? Muß halt schauen, daß ich dir einen z'wegen bring!« usw. Die Mädchen sind auf solche Ansprachen schon »eingeschossen« und erteilen schalkhafte, oft ganz witzige Antworten, an welchen sich das Gespräch dann ebenso sicher fortspinnt, als an unsern mehr städtischen Bemerkungen über die Witterung und den kalten Wind.

Als wir vor vielen Jahren einmal mit dem Herrn Bergrat Sennhofer zu Zell am Ziller vor dem ersten Wirtshaus des Dorfes ausstiegen, kamen zur Begrüßung leicht sechs oder sieben Personen, nämlich die Wirtsleute und all ihr Zubehör, darunter auch das Moidele, die Tochter, heraus, welche damals hinter unserer Rosi an Alter und Anmut nicht weit zurückblieb und von dem muntern Herrn Bergrat mit den Worten begrüßt wurde: »Aber Moidele, geht denn gar nichts vorwärts? warum heiratst denn nit?« Das Mädchen war über diese Fragen ganz und gar nicht empfindlich, sondern antwortete mit hellem Lachen, in das wir alle einstimmten: »Ja, heiraten! bal' ich nicht derwisch!« (wenn ich nichts erwische!)

Seitdem ist schon viel Wasser den Zillerbach hinunter geronnen, aber oft fällt uns noch das anmutige Moidele und mit ihm die Frage ein, ob es wohl zur rechten Zeit noch etwas erwischt hat?

Aus der Unbefangenheit, mit der solche Sachen von den Unbeteiligten angefaßt werden, ist wohl zu schließen, daß man im Schoße der Familie noch weniger Zurückhaltung nötig findet. Es ist daher kaum zu bezweifeln, daß die Mütter mit solchen erwachsenen Töchtern alles Einschlägige genau und oft bereden; die Mahnungen, die rechte Zeit nicht zu versäumen und keiner unverständigen Neigung nachzuhängen, dürften wohl ebenso häufig sein, wie die Gespräche über einen möglichen Bräutigam oder über die vernünftigste Auswahl, wenn mehrere Freier vorhanden sind. Kurz jede Frage in diesem Bereich ist »diskutierbar«.


 << zurück weiter >>