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III.

Als aber die drei Jahre um waren, kam der Florian wieder nach Langkampfen in das Dorf, und dann auch öfter nach Kufstein, in die Stadt. Die Augen seiner dortigen Zeitgenossen, sowohl der männlichen als der weiblichen, sowohl der herrischen als der bäuerischen, waren damals scharf auf ihn gerichtet, denn jedermann wußte, daß er viel Geld gekostet, und jedermann wollte die Rechnung machen, wieviel dabei herausgekommen. Der erste Eindruck war übrigens allenthalben sehr günstig. Die Luftveränderung schien ganz vorteilhaft gewirkt zu haben. Von seinem Leben an der Schule hörte man zwar nur wenig, aber dies wenige klang sehr gut. Der Direktor sollte ihn besonders lieb gehabt und öfter ehrenvoll ausgezeichnet haben, wie er denn auch am Schluß des letzten Jahres einen feierlichen »Spruch« halten durfte, die Abschiedsrede nämlich, welche der Zerstreuung der Jünger voranzugehen pflegt. Dieser und ähnlichen Aufgaben solcher Art, behaupteten die Langkampfener, sei es zuzuschreiben, daß er, wenn er wolle, »ganz tief nach der Schrift«, oder, nach einer anderen Meinung, »wie von der Kanzel runter« reden könne. Indessen kam man über diese Frage sieben Jahr lang nicht ins reine, da Florian mit den Langkampfenern immer nur in ihrer Mundart und mit den Kufsteiner Herren gerade so sprach wie sie.

Auch nach der berühmten Hauptstadt München schien der strebsame Jüngling öfter hinaufgekommen und dort nicht selten in den öffentlichen Sammlungen gewesen zu sein. So erzählte man, er sei eines Abends in dem damals schon sehr angesehenen Gasthof »Zum Auracherbräu«, der jetzt noch eine höchst lobenswerte Wirksamkeit entfaltet, mit den Herren zusammengetroffen und habe, da man die Kirche in der Schwoich eben mit einem neuen Altarbild ausschmücken wollte, über alte wie neue Malerei und insonderheit über etliche berühmte Maler aus früheren Zeiten nicht anders gesprochen, als wenn er bei ihnen gelernt hätte und ihr Schüler gewesen wäre, so daß der Herr Dechant, die Herren vom Landgericht und der Bürgermeister in ungewöhnliches Erstaunen verfallen seien. Dabei habe der Florian zugleich die Aufgaben und die Zukunft der tirolischen Malerei besprochen und geäußert, es wäre endlich Zeit, daß sie auch noch etwas anderes male als krebsrote arme Seelen, glutäugige Teufel und höchst alltägliche Heilige; warum sie denn nicht aus der vaterländischen Geschichte schöpfe – nicht z. B. darstelle, wie des Speckbachers Bue bei St. Johann zu seinem Vater komme, oder wie die Zillertaler auswandern? – Gerade aus diesen Fragen geht hervor, wie richtig der Florian in die Zukunft gesehen, denn die beiden Aufgaben, die er damals stellte, sind ja nunmehr nebst vielen andern durch Franz Defregger und Mathias Schmid ganz meisterhaft gelöst worden.

Überdies schien der Florian in Schleisheim zu dem Zeichnen auch das Malen, wenigstens in Wasserfarben, gelernt zu haben, denn er hatte von dorther auch ein zierliches Kästchen mitgebracht, welches allerlei Farben und verschiedene Pinsel enthielt. Da aber der Vater gegen diese künstlerische Richtung, sobald er sie zuerst gewittert, einige Abneigung verspüren ließ, so mischte der gute Sohn seine Farben nur, wenn jener über Land gegangen war, aber dann immer zur Freude der lieben Mutter, welche gerne zusah, wie er seine Bilder entstehen ließ. Doch konnte er jetzt schon weiter gehen, als einst in den Kinderjahren, denn er vermochte z. B. die Langkampfener Burschen auf der Kegelbahn oder einen kleinen sich in mäßigen Grenzen bewegenden Faustkampf auf der Kirchweih und derlei ländliche Vorkommnisse ganz artig darzustellen.

Einen sehr herzlichen Empfang gewährte dagegen der alte Weitenmoser den schöngebundenen Büchern, die der junge mit aus der Fremde gebracht. Wie blendend strahlten da auf drei neuen Rahmen die goldverbrämten Rückendeckel dem guten Vater entgegen, der noch nie so viele Bücher beisammen gesehen, auch nie geahnt hatte, daß die Wissenschaft einer Bauernstube solchen Glanz verleihen könne! Er schlug verwundert die Hände zusammen.

Aber auch einen blau und weiß getünchten Pflug und eine ebenso blasonierte Egge – beide von der neuesten Erfindung – brachte der Florian damals nach Hause und mit dem Schulmeister sprach er wieder über Fruchtwechsel, Rassenverbesserung und Agrikulturchemie, aber noch viel tiefer und eingehender als dazumal.

Nicht minder wurde auch der väterliche Einspänner, der damals bis nach Schleisheim vorgedrungen war, einer eingehenden Umarbeitung unterzogen, ja fast neu hergestellt, in gefälligen Farben bemalt und mit einer neuerfundenen Bremse versehen, welche allgemeine Aufmerksamkeit erregte.

Wenn der Florian auf diesem eleganten Wägelein über die lange Brücke in Kufstein einfuhr, so schauten ihm alle, die desselben Weges waren, eindringlich nach, und die Herren, die Frauen und die Fräulein des Städtchens musterten ihn nach allen Richtungen. Die Führung seines Gespanns war keck, aber sicher. Die graue Joppe mit den grünen Schnüren, die er von München mitgebracht, verriet die Hand eines überlegenen, jetzt leider schon vergessenen Schneiders, und zeigte allen, daß der junge Wirtssohn auch gebührend auf sein Äußeres achte; das spitze Hütchen mit der Spielhahnfeder und dem Gemsbart sollte dagegen auf verwegenen Sinn und jugendliche Kampflust deuten – ( proelia destinat, wie Horatius singt). Viele schöne Augen, die seine Physiognomie mit kritischen Blicken betrachtet, sollen sie ganz regelrecht und mustergültig gefunden haben. Ja, die Frau Landrichterin, welche eine geborne Boznerin, zwar ziemlich geistreich, aber sehr boshaft war und einen alten Verdruß auf die Bayern nie mehr loswerden konnte, sie äußerte, als sie ihn einst auf der Brücke gesehen und einige Worte mit ihm gewechselt hatte, gegen ihre Vertraute, die Frau Adjunktin, sie finde es unerklärlich, wie man da draußen so interessant werden könne.

Aber wenige Wochen danach, als der Florian zu seinen Eltern heimgekehrt war, begab es sich, daß der Vater, der biedre Virgil Weitenmoser, von einem Schlage getroffen und am Morgen leblos im Bette gefunden wurde. Er hatte an seinem Sohne viele Freude erlebt, diesem nie ein böses Wort gegeben und blieb daher in bestem Angedenken.

Aber wie der Mensch ein unberechenbares Wesen ist, so standen jetzt auch in unserem Florian ganz neue und unerwartete Gedanken auf. So sehr er mit der Aufnahme und der Behandlung, die er von den Kufsteiner Herren erfahren hatte und erfuhr, zufrieden war, so wenig genügte ihm die Stellung, die er im heimatlichen Dorfe einnahm. Daß die Langkampfener und zumal jene, die mit ihm in die Schule gegangen, über seinen blauweißen Pflug und die gleichfarbige Egge, seinen Farbenkasten und seine Bücher sich lustig machen würden, das hatte er wohl erwartet und nahm es daher auch nicht so übel; aber daß die ledigen Burschen ihm bei jeder Gelegenheit »die Schneid« absprachen und ihn nicht als einen der ihrigen gelten lassen wollten, das stimmte ihn ärgerlich. Er fühlte, daß ihm der Nimbus jugendlicher Kraft und Verwegenheit fehle und daß er, wie die homerischen Helden, eine Aristeia durchleben müsse, um jenen gleich zu werden. Es schien ihm eine moralische Notwendigkeit, dies nunmehr nachzuholen und sich »auszutoben«.

Vorerst war nun zu bemerken, daß er die Malerei fast gänzlich und das Zitherspiel mehr oder weniger zurückstellte und dafür mit großer Gewissenhaftigkeit den Schuhplatteltanz erlernte, der zwar an und für sich nicht lebensgefährlich ist, aber doch sehr oft zu lebensgefährlichen Händeln führt. Nunmehro erschien er auch alle Sonntage auf der Kegelbahn und wurde bald einer der berühmtesten Kegler zwischen Brixlegg und Kiefersfelden. Nicht minder besuchte er die Scheibenschießen im Inntal auf und ab, wobei er sich ebenso bald zum trefflichen Schützen ausbildete. Nachdem er hier die ersten Preise verdient, streifte er auch öfter »ins Bayern«, d. h. ins bayerische Gebirge hinüber, um da heimlichen Weidmannsfreuden nachzugehen und sich als Wildschützen zu vervollkommnen. Ferner zeigte er sich auf allen benachbarten Kirchweihen und mischte sich kämpfend unter die Kämpfenden, an denen es damals selten fehlte. Einmal trat er auch in Bayerisch Zell auf, dem idyllischen Dörflein am Fuß des Wendelsteins, welches in jener Zeit noch einen großen Namen hatte. Damals wurden nämlich dort, wie zu Olympia, welches jetzt ausgegraben wird, noch jene schwer verschmerzten, internationalen Kampfspiele abgehalten, in denen die bayerischen und die tirolischen Jünglinge jeden Sommersonntag gegeneinander standen, um zu erproben, auf welcher Seite der Mut und die Kraft und mit ihnen der Sieg und der Ruhm. Da wurde unser Florian am Feste der Apostelfürsten Peter und Paul (29. Juni) des Abends blutend und halbtot aus dem Wirtshause getragen und lag mehrere Tage in Lebensgefahr beim Landarzt, ein Abenteuer, das den urteilsfähigen Langkampfenern um so rühmlicher schien, als er vorher einen der bayerischen Epheben mit dem steinernen Maßkrug derart auf den Kopf gehauen, daß dieser ebenfalls bewußtlos zum Landarzt gebracht werden mußte. Der Florian ließ zwar damals den Schullehrer des Ortes gleich nach Hause schreiben und diktierte ihm, daß er nur unfreiwillig ins Gefecht verwickelt worden und nicht ganz gut weggekommen sei, jedoch in wenigen Tagen wieder seine Genesung feiern und die Gelegenheit benützen werde, um eine Erholungsreise nach München zu unternehmen, nach deren glücklicher Vollendung er wieder ganz wohlbehalten in der Heimat einzutreffen hoffe; aber diesen Brief hatte er eigentlich nur so schreiben lassen, damit ihn die Mutter nicht selbst in Bayerisch Zell aufsuche und über seinen Zustand Angst und Kümmernis empfinde. Indessen war sie doch in der äußersten Unruhe, wartete zwar einige Tage, wollte aber dann, als sie gar nichts mehr hörte, gleichwohl sich aufmachen und nach jenem Orte begeben, als der Florian plötzlich in der Türe stand und ihr fast wie ein Geist erschien, weil er zwar seine ganzen Glieder hatte, aber totenbleich und schwach war. »Jetzt hast so viel gelernt,« sagte da die Mutter, »und machst solche Dummheiten! Wäre mir schon lieber, wenn du wieder etliche Ochsen malen möchtest!«

»Mutter,« versetzte aber der Florian, »jetzt leg' ich mich drei Tage ins Bett und erhole mich; dann hab' ich ausgetobt. Es war eine moralische Notwendigkeit.«

Und so legte er sich denn ungesäumt zu Bette und stand nach drei Tagen hechtgesund wieder auf, nur mit einem Stich im Arm und mit einem andern im Bein, welche aber vollkommen geheilt waren und ihm keine Beschwerden mehr verursachten. Auch im Gesicht, ums Kinn herum, hatte er einen kleinen Ritz, den aber die Frau Landrichterin – doch nur im Scherz – verführerisch nannte.

Über solchem Rittertum waren drei Jahre vergangen. Bei seinen engeren oder engsten Landsleuten, bei den Jünglingen und Männern von Langkampfen, hatte ihm diese Heldenzeit wirklich erklecklichen Ruhm eingetragen und seine Stellung vollkommen umgestaltet. Früher hatten ihn seine Altersgenossen sozusagen nur wie ein halb mißratenes Studentlein angesehen, jetzt galt er als das unumschränkte Haupt und der Führer der dortigen Burschenschaft.

In der Stadt aber, wo er sich in jenen Zeiten freilich seltener zeigte, war man fast irre geworden an ihm. Man konnte diese späten Flegeljahre nicht verstehen; man meinte, er werde ganz und gar verwildern, sein Vermögen verschwenden und um Haus und Hof kommen; als er aber so plötzlich wieder umschlug – doch diese Umwandlung ist ja noch gar nicht berührt!

Als er nämlich damals von seiner Erholung aufstand, sagte er zu der Mutter: »Jetzt ist's vorbei! jetzt häute ich mich wie eine Kupfernatter und von heute an bin ich ein anderer Mensch! Es war eine moralische Notwendigkeit!«

Alsbald ging er an den Schrank, aus welchem er seinen Malkasten herauszog, denn er fühlte, daß die alte Neigung zur Kunst wieder erwacht sei. Um ihr nachzuhängen, eilte er, seine Farben und Pinsel wieder herzurichten, begann dann zu malen und malte drei Tage lang vom Morgen bis zum Abend. Dieses Mal hatte er auf den Wunsch der Mutter einen Gegenstand aus dem Evangelium gewählt und zwar den heiligen Petrus, wie er weinet. (Matthäus 26. 75.) Gute Freunde, die ihn näher kannten, behaupteten damals allerdings, er habe sich nur ausmalen wollen, wie sich unser Goethe mitunter auszuschreiben pflegte, und der reuige Petrus deute eigentlich nur auf die Reue hin, die er selbst empfunden über so manche verlorene Zeit und so viel vergeudetes Geld. Das Bild könnte übrigens noch heutigestages zu Langkampfen in der schönen Stube hängen, wenn es nicht ein unmoralischer Tourist einmal heimlich mitgenommen hätte. Es ist überhaupt sehr traurig, daß das ehrliche deutsche Volk von der üblen Gewohnheit, fremde Bilder und Bücher einzustecken, gar nicht lassen will. Herr Hans Heiß zum Elefanten in Brixen beklagt sich bitter, daß es ihm nicht einmal mit fühlbaren Opfern möglich sei, seine kleine, aber auserwählte Bibliothek von Reisebeschreibungen und Handbüchern vollzählig zu erhalten, da alle Jahre gerade die besten Schriften in Abgang kämen. Herr Roman Steger zu Mühlbach und die Jungfer Scholastika am Achensee ergehen sich in denselben Klagen. Manche gebildete Wirte in Tirol erklären auch, sie würden nie mehr Bücher anschaffen und auflegen, weil sie doch alle den Weg des Fleisches gingen. Dies könnte allerdings nur eine gute Ausrede sein, wie denn der Mensch alles Denkbare aussinnt, um seine Nachlässigkeit in der Anschaffung neuer Bücher möglichst zu maskieren.

Wir aber hätten vielleicht den wunden Fleck nicht berühren, sondern in unserer Geschichte fortfahren sollen, zumal da diese eben erzählen wollte, daß der Florian dazumal in den Abendstunden wieder zur Zither zurückkehrte, die er, wie schon erwähnt, auch etwas hintan gesetzt hatte, und der Mutter wieder die alten lieben Weisen vorspielte, so daß sie sich oft eine Träne wegwischte.

Für seine ländliche Umgebung suchte er aus dem früheren Wesen nur soviel beizubehalten, als zur Sicherung der errungenen Lorbeern notwendig schien. Er ging selten mehr zu den Scheibenschießen, zeigte sich aber desto öfter auf der Kegelbahn. Auch die Einladungen zu den Jagden waren ihm nicht unwillkommen. Den Faustkampf hatte er gänzlich eingestellt, aber auf den Vieh- und Jahrmärkten saß er gerne ein paar Stündlein unter seinen Freunden, denen er dann bereitwillig etliche Halbe Wein zum besten gab. Zum Vorteil, vielmehr zur Erziehung seiner bäuerlichen Gesellschaft suchte er auch noch die Trümmer seines Lateins zu retten. Wenn z. B. seine Stammgäste in der Zechstube zu Langkampfen einen Streit erhoben, heftig wurden und sich gegenseitig niederzuschreien suchten, so stand er plötzlich auf und rief in den Lärm hinein ein donnerndes: de gustibus non est disputandum, was die Leute so erschreckte, daß sie sofort stille wurden und ihn erstaunt betrachteten. Wenn sie ihn dann um den Sinn dieser Zauberformel befragten, so erklärte er ihnen, was sie bedeute, und setzte lächelnd hinzu, da sie, die Bauern, doch immer nur über Geschmackssachen stritten, so sei es nicht der Mühe wert, so viel Getöse zu machen.

In ein anregendes Verhältnis trat damals der Florian von Langkampfen zu dem Valentin Hinterbichler von Walchsee. Diesen hatte er als Mitschüler bei den Franziskanern kennen gelernt und war mit ihm den langen Weg, der sie nach Hall und heimwärts führte, zu öfteren Malen auf und ab gewandert. Der Valentin war eigentlich auch zum geistlichen Stande bestimmt gewesen, wie unser Florian, war aber ebensowenig ans Ziel gekommen, wie dieser und zuletzt bei seinem Vater geblieben, um ihm bei der Haus- und Feldarbeit zu helfen. Doch zeigte sich binnen kurzer Frist, daß ihm diese Tätigkeit nur wenig mehr entspreche, denn auch sein Gemüt hatte einen poetischen Strich, und wenn er zu Hause war, sehnte er sich immer in die blaue Ferne, in Gottes weite Welt. Darum suchte er seinen Vater lange zu überreden, daß er ihm etliche hundert Gulden auf die Hand gebe, und als er dies erreicht, fing er allerlei Handelschaft mit Vieh und Holz an, wobei er nicht unglücklich war und reichlich Gelegenheit hatte, gar weit umeinander zu fahren.

Übrigens behielt auch der Valentin, wie der Florian, noch als Bauernknecht oder als Vieh- und Holzhändler, eine hohe Achtung vor einem ordentlichen Briefe bei und um in diesem Fache nicht zurückzukommen, setzten die beiden Freunde einmal auf dem Markt zu Kundl untereinander fest, sich alle sechs Wochen wenigstens einmal und zwar ausführlich zu schreiben, um sich auf diese Weise mitzuteilen, was sie wieder gelesen und gelernt, auch etwa welche Reisen sie unternommen und wie diese ausgefallen seien.

Im übrigen ergab der Florian sich jetzt ganz und gar der Landwirtschaft und trachtete, alles, was er gelernt hatte, nützlich anzuwenden. Kam er in die Stadt, so suchte er zumeist die bessere Gesellschaft auf, welche bald da, bald dort zu treffen war, je nachdem der Wein bald da, bald dort für besser erachtet wurde. Da er nun so entschieden umgeschlagen hatte, so wurden auch seine Beziehungen zu den Honoratioren, welche wohl etwas erkaltet waren, leicht wieder wärmer. Man vergaß so manchen jugendlichen Streich, der ihm ausgekommen, und sah in ihm nur mehr den strebsamen und gediegenen Landwirt, den man in seinem wohleingerichteten Gasthaus zu Langkampfen wohl auch gerne besuchte. Sein Keller, den er selbst besorgte, stand in ebenso gutem Rufe wie seine Küche, über welche noch die Mutter waltete. Frau Euphrosyne Weitenmoser war namentlich für ihre Speckknödel, das Nationalgericht der Tiroler, berühmt, und auch jenen dunklen Trank, der aus Arabien stammt, dessen Namen aber idealisierende Schriftsteller so gerne umgehen, teils wegen seines unedlen Klanges, teils auch, weil sie nicht wissen, wie sie ihn schreiben sollen, auch ihn verstand sie so zu bereiten, wie ihn der geläuterte Geschmack unserer Zeit verlangt. Eines schönen Morgens hatte sie nämlich den heroischen Entschluß gefaßt, mit Zichorien und Feigen für immer zu brechen und den Cafe oder Cafee, Caffe oder Caffee, Café oder Caffe, Kafe oder Kafee usw. – jetzt müssen wir den leidigen Namen doch verwenden – nur rein und echt auf den Tisch zu bringen, ein Entschluß, der vielen andern schönen Wirtinnen von Tirol noch so ferne liegt, daß sie ihm wahrscheinlich in diesem Jahrhundert nicht mehr nahe kommen werden.

Auch den Frauen war Florian sehr sympathisch, denn er besaß die Gabe, ihnen ungemein zu gefallen. Es geschah gewiß nur ihnen zuliebe, daß er, sie mochten kommen, wann sie wollten, immer einen frischgewaschenen Hemdkragen und reinliche schmucke Kleider trug, wogegen andre Wirte im Gebirge, welche zugleich Fleischer sind, den Gast nur zu oft in blutiger Schürze empfangen. Drum führte auch die Frau Landrichterin alle ihre Sommergäste so gerne nach Langkampfen, wo sie der Florian mit feiner Aufmerksamkeit bewirtete und in jeder Weise zu ehren suchte. Dort saßen sie in der Gartenlaube an schönen Abenden oft bis der Mond aufging und ergötzten sich an heitern Reden und Gegenreden. Die jugendlichen Schönen ließ der junge Wirt nie scheiden, ohne ihnen ein Sträußchen zu überreichen, das er selbst gebunden hatte. Mitunter entfiel ihm auch ein geistreicher Aphorismus, der gerade bei den Damen Glück machte. Einmal, als er mit dem Herrn Adjunkten über den Menschen und seine Schicksale sprach, auch seine eigene Laufbahn leise berührte und der andre dann bemerkte, jetzt werde er wohl froh sein, seine Ruhe gefunden zu haben und nur der Landwirtschaft leben zu können, sagte Florian: »Und doch beruhte jenes Treiben auf einem wohlbedachten Entschlusse. Es war eine moralische Notwendigkeit. Um nicht lächerlich zu werden, mußt' ich imponieren.«

Diese Worte verfehlten ihren Eindruck nicht; sie gingen vielmehr von Mund zu Munde, und als sie, was bald geschah, auch der Frau Landrichterin zugetragen worden, sagte diese beifällig: »Sehr schön ausgedrückt! er hat fast allen Geist mit hereingenommen!«

So lebte denn unser Florian wahrhaftig in Floribus, in der Blüte seiner Jahre dahin, und das Glück schien ihm hold auf allen Seiten. Einmal nahm seine Wirtschaft in Haus und Feld einen Fortgang, wie er ihn nicht besser wünschen konnte, und dann erreichte er selbst, wenn dies auch ein Glück ist, allmählich eine Berühmtheit, welche wenigstens zwischen Rattenberg und Rosenheim ihresgleichen suchte. Seine persönlichen Beziehungen erweiterten sich mit jedem Jahre und wurden mit jedem Jahre bedeutender. Deswegen namentlich erzählten sich die Bauern ganz unerhörte Geschichten über den Wirt von Langkampfen. Alles laufe ihm zu, die vornehmsten Herren aus der Stadt, die Jungen und die Alten, die Jäger, die Maler und die Zitherspieler; mit allen wisse er umzugehen. Dann sei er auch ein Duzbruder zu vielen, ja zu den meisten dieser hochverehrten Gäste, die ihm »das vertrauliche Du« alle selber angetragen. Wenn die Fürsten und Herren im bayerischen Gebirge ihre Jagden hielten, so werde der Florian immer dazu geladen und schieße immer am besten. Einmal sei auch ein bayerischer Herzog gekommen mit sehr feinem Gefolge und mit einer Zither und da hätten sie den ganzen Abend miteinander die Zither geschlagen und am andern Tage sei große Tafel gewesen, an der auch der Florian gesessen, und abends seien des Hinterbauern Lisi und des Moosers Töchter und andere Mädeln mit ihren werten Vätern und Müttern eingeladen und dann bis halber zwölf Uhr gesungen und getanzt worden. Und der Herzog sei so ein freundlicher Herr!

Da bei unserm einfachen Landvolke die Namen wirklich nichts zur Sache tun, so konnten kritische Leute nur selten herausbringen, wer denn eigentlich gemeint, wer die interessanten Persönlichkeiten seien, die über Florians Hofleben einen so märchenhaften Glanz verbreiteten, allein bei der ländlichen Bevölkerung hatte dieser Umstand nur die Folge, daß jene Erzählungen immer sagenhafter wurden und daß sich zuletzt um den jungen Helden eine Legende wob, die ihn auf Erden schon fast zum Range eines Halbgottes emporhob.

Da wir aber dem Geburtsort der schönen Rosi einige freundliche Zeilen gewidmet, so sind wir der Heimat unseres Florians wohl die gleiche Aufmerksamkeit schuldig. Wir waren auch im Verlaufe dieses und des vorigen Hauptstücks ohne Unterlaß bedacht, eine mehr oder minder gelungene Beschreibung des Dorfes Langkampfen und seiner Lage irgendwo an passender Stelle unterzubringen, fanden aber keine Ritze, keine Spalte und keine Lücke, in welche sie sich zwanglos eingefügt hätte. Es blieb daher nichts übrig, als sie hier ans Ende zu setzen, was denn auch geschieht.

Das Dorf Langkampfen (eigentlich Unterlangkampfen) liegt auf der linken Seite des Innstroms, und, wie schon früher gesagt, etwa anderthalb Stunden oberhalb der Stadt und Festung Kufstein. Wenn die Gegend der Sewi einer melancholischen Waldromanze gleicht, welche plötzlich anhebt und bald verklingt, so erfreut sich dagegen die Landschaft von Langkampfen einer heitern epischen Breite, und es ist daher kaum ihr Verschulden, wenn sie nicht gerade so wie die Ebene von Troja der Schauplatz von vierundzwanzig Heldengesängen geworden. Es streicht da nämlich am Wasser eine stundenlange Niederung hin, welche zwar wenig bebaut ist, aber als Weidegrund einen großen Viehstand ernährt und viele schöne Eichen trägt. Links steigt der hohe Pendling empor, der unten einigermaßen, oben sehr wenig bewaldet ist und daher viel kahles Geschröfe zeigt. Zur Rechten erhebt sich jenseits des Innstroms der Wilde Kaiser, der aber hier nicht wie an der Sewi in langen, schön liniierten Wänden dahinzieht, sondern in verschiedene mißgestaltete Buckel zerfällt, aus denen nur eine herrliche riesenhafte Pyramide zweifelhaften Namens aufragt. Gegen Norden erscheint auch die Festung Kufstein auf ihrem buschigen Felsen.

Wegen dieser Lage im langen Felde hieß der Ort schon bei den Römern longus Campus und aus diesem Namen ist der jetzige entstanden.

Das Dorf Langkampfen liegt jetzt so wenig im großen Weltverkehr wie dazumal, ist vielmehr sehr still und einsam. Seine Häuser, ihrer vierzig an der Zahl, sehen sehr idyllisch aus, da ihr Oberstock meistens aus Holz besteht und noch mit langen Lauben, sowie verschiedenen Schnitzereien verziert ist. Auf den Lauben prangen des Bauernvolkes beliebte Blumen, welche die Tochter des Hauses pflegt. Aus den sanft ablaufenden Schindeldächern, die mit wuchtigen Steinen beschwert sind, erhebt sich ein schlanker Glockenstuhl, den ein feines Spitzhütlein bedeckt. Das Glöcklein, das er birgt, ruft die Dienstboten des Hofes jeweils zu gemeinschaftlicher Mahlzeit. Wohlgenährte Hühner gackern in den engen, schattigen Gassen, zuweilen läßt auch ein rüstiger Haushund, der unter den Obstbäumen ein Nachmittagsschläfchen hält, seiner Stimme tiefen Laut erschallen, nicht um zu schrecken, sondern nur um zu zeigen, daß er selbst im Schlummer der Wachsamkeit eingedenk sei.

Das Wirtshaus endlich, in welchem der Florian geboren wurde, ist ein sehr ansehnliches Gebäude, zu dem man auf einer hohen Freitreppe hinansteigt. Die Wände sind reinlich geweißt, und das Giebeldach springt weit hervor. Die Wirtschaft ist so ziemlich geblieben, wie sie Frau Euphrosyne Weitenmoser eingerichtet; sie zählt zu den besten der Gegend und wird deswegen auch, zumal an Sonn- und Feiertagen, aus der Stadt sehr gerne besucht.


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