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XII.

Trübselig war auch der alte Hechenplaickner, aber er hüllte sich nicht in stille Entsagung ein, sondern dürstete nach Rache. Irgend etwas mußte geschehen, um den Frevler zu demütigen. Bald erhielt er in diesem Trachten auch Rat und Hilfe. Damals liefen nämlich im Land Tirol noch in genügender Zahl jene »Agenten« herum, welche meistens verunglückte Studenten und emporgekommene Schreiber waren, mitunter etwas bedenkliche Subjekte, die dem Bauern in seinen rechtlichen Bedürfnissen beistanden, ihm hie und da eine nutzlose Schrift verfertigten, die Kauf- und Eheverträge entwarfen usw. Wie die Landleute den »Bauerndoktern« durchschnittlich vor den studierten und promovierten Ärzten den Vorzug geben, so genossen damals auch diese Landfahrer vielfältig mehr Vertrauen, als die gediegenen, tief studierten Rechtsanwälte in der Stadt, zu denen der Bauer auch meistenteils sehr weit zu gehen hatte, während ihm jene Rechtsfreunde ihren Beistand selbst ungerufen ins Haus brachten.

Als nun das Unglück, von dem wir schon so viel gesprochen, in den nächsten Tagen ruchbar geworden, und zwar am dritten Tage danach, erschien schon einer dieser Nothelfer, den wir, da sein Name nicht überliefert ist, der Kürze halber Ulpianus nennen wollen. Er kam dem alten Hechenplaickner wie gerufen, wurde von diesem mit biedrem Handschlag aufgenommen und da es Mittag war, auch sogleich mit einem »Geröstel«, einigen Würstchen und mit rotem Wein bewirtet.

Er hatte sich aber kaum standesmäßig gelabt, als auch schon ein zweiter – Modestinus soll sein Name – und nach diesem ein dritter – Papinianus – zusprach. Das juridische Kleeblatt hatte sich nämlich beim Wirte der Sewi ein Stelldichein gegeben, denn die traurige Lage dieses Ehrenmannes sei, wie sie sagten, für redliche Leute des Faches eine dringende Aufforderung, ihm alle ihre Kenntnisse zur Verfügung zu stellen.

Der alte Hechenplaickner war über so viele Teilnahme innerlich sehr gerührt, ließ aber, wie es seine Art, von dieser Rührung äußerlich wenig merken, sondern bestellte auch für Modestinus und Papinianus ein anständiges Mittagsmahl mit einer Halben Wein.

Nachdem Hunger und Durst gestillt waren, zeigten sich die drei Praktiker sofort bereit, in die Verhandlung einzutreten und draußen im stillen Garten ein Konsilium zu bilden, bei welchem auch Vater Hechenplaickner Sitz und Stimme haben sollte. Sie setzten sich also alle an einen großen Tisch, der unter einem alten Apfelbaume stand, wo ihnen jener in lakonischer Kürze die Vorgänge des Samstags und des Sonntags mitteilte, die kränkenden Nachreden, die der Valentin Hinterbichler hergebracht, die Art und Weise, wie seine Tochter dafür Rache genommen und was sich dann weiter begeben.

Hierauf begannen die Beratungen, welche in der Tat mit aller Schonung für den schwergeprüften Vater gepflogen wurden, wie denn überhaupt diese drei Ratgeber – die Wahrheit zu sagen – von der besseren Gattung und dem Hechenplaickner aufrichtig zugetan waren, auch aus diesem Handel nicht mehr Vorteil zu ziehen gedachten, als die Rechtsgelehrten überhaupt aus solchen Sachen zu ziehen pflegen.

Ulpianus, welcher seine Stimme als der älteste zuerst abgab, meinte nun nicht mit Unrecht, die verleumderischen Ausstreuungen des Wirtes von Langkampfen würden besser außer Frage bleiben. Sollte ihretwegen Klage gestellt werden, so läge es dem Gegner sehr nahe, auch wegen des Schimpfes, den ihm die Rosi vor allem Volke zugefügt, den gleichen Schritt zu tun. Das wäre aber sehr bedenklich, denn in diesem Streite stünde ihm der Sieg wohl in sicherer Aussicht, wenn er auch in dem andern wahrscheinlich unterliegen würde. Es wäre daher geratener, das hohe Richteramt nur wegen jenes Vorfalles in Anspruch zu nehmen, welcher die Rosa Hechenplaickner aufs Krankenlager geworfen. Übrigens sei auch der Charakter des Gegners in Rechnung zu ziehen. Eine Klage auf Schmerzensgeld und Abbitte wegen jener Tatsache würde der Florian lediglich als ein Mittel ansehen, das die Ehre der Familie retten solle und ihr von der öffentlichen Meinung gleichsam aufgedrungen sei; er würde sich in die Notwendigkeit ergeben und die Klägerin sofort klaglos stellen.

Modestinus und Papinianus fanden diese Ausführung sehr wohl begründet und auch der alte Hechenplaickner trat ihr bei. Das Schmerzensgeld wurde dann nach längerer Debatte auf dreihundert Gulden angesetzt, wobei die Rechtsgelehrten allerdings ihre Zweifel aussprachen, ob der Richter auf eine so hohe Forderung eingehen werde. Der Vater hätte freilich gerne dreitausend Gulden verlangt, aber in der Tat nicht um sich zu bereichern, sondern nur aus Durst nach Rache.

Ulpianus erklärte dann, wie er sich die Klageschrift denke und gab dabei ihren Inhalt fast wörtlich an. Papinianus, welcher der jüngste war und die schönste Hand schrieb, erbot sich sofort, sie eigenhändig zu Papier zu bringen, was den andern ganz angenehm erschien. Er zog sich dann, um ungestört zu sein, in das Gartenhäuschen zurück und verfaßte dort nach Ulpians Ideen eine Klageschrift, deren Kürze jetzt noch gerühmt wird. Freilich hatten diese unstudierten Rechtsgelehrten, wie es öfter auch den studierten begegnet, einen wesentlichen Punkt übersehen, und wird dies Gebrechen erst später ans Licht treten, wenn einmal die Klage zur gerichtlichen Verhandlung kommt.

Modestinus, welcher sich gewöhnlich in Zell bei Kufstein aufhielt, übernahm es, die Schrift beim k. k. Landgericht einzureichen, und erhielt dort für den Thomas Hechenplaickner, Wirt in der Sewi, und seine Tochter Rosa eine Ladung auf den siebenten August desselben Jahres, welche er jenem ohne Verzug behändigte.

Es darf wohl hervorgehoben werden, daß die drei Rechtsfreunde dem trübsinnigen Wirt in diesen Tagen ehrlich und treu zur Seite standen. Sie hatten wirklich Mitleiden mit ihm und suchten ihn aufrecht zu erhalten und zu stärken, so viel in ihren Kräften lag. Er ließ auch bei ihrem Erscheinen immer gleich eine Halbe Wein auftragen und trank dann selber einen Tropfen mit. So kam denn jeden andern Tag einmal Ulpianus, Modestinus oder Papinianus in den Heimgarten. Am Abend vor dem Verhandlungstage aber erschienen alle drei miteinander, um die ganze Sache noch einmal durchzusprechen. Sie versicherten dem Wirte, es könne nicht gefehlt sein – er solle nur mit aller Hartnäckigkeit auf seinen Ansprüchen, dem Schmerzensgeld und der Abbitte, bestehen und weder dem Herrn Landrichter noch dem Beklagten im mindesten nachgeben. Seie er standhaft und tapfer, so werde er als Sieger zurückkehren, im andern Falle aber ausgelacht werden in alle Ewigkeit.

Diese traurigen Tage wirkten leider auch zerstörend auf den innern Verkehr der gedrückten Familie. Der Vater hatte die Sprache beinahe ganz verloren. Er redete nur noch mit seinen Rechtsbeiständen, etwa auch, wie schon angeführt, ein Viertelstündchen mit der Rosi, mit den andern Kindern aber und mit der Frau fast gar nichts mehr. Diese verfolgten wohl alles, was vorging, mit neugieriger Spannung, aber sie getrauten sich nicht zu fragen, was denn im Werke sei, und den drei Schriftgelehrten hatte der Vater bei seiner Ungnade verboten, ihnen irgend etwas zu verraten. So mußten sie also von fremden Leuten, von den Gästen, zuerst vernehmen, daß am siebenten August beim k. k. Landgericht in ihrer Sache die Verhandlung sei.

Als die Wirtin von diesen Dingen hörte, überlegte sie lange, ob sie ihre Tochter nicht auch etwas wissen lassen solle, allein diese hatte sie erst in den letzten Tagen wieder dringend gebeten, ihr doch nichts von der Welt zu erzählen, bis sie sich mit ihren Klostergedanken endgültig auseinandergesetzt. Und so schwieg die Mutter.

Am siebenten August des Morgens hatte sich der alte Hechenplaickner, wie es dort der Brauch ist, wenn angesehene Personen zu Gericht gehen, in seinen Feiertagsstaat geworfen und war dann um sieben Uhr zum Erstaunen aller Hausgenossen, ernst und schweigsam die Stiege hinaufgegangen und in den Gang getreten, wo man damals zu der Rosi Stube ging. Er pochte und schritt, nachdem er ihre Stimme vernommen, ruhig an das Lager, welches sie noch nicht verlassen hatte.

Nachdem er ihr einen guten Morgen gewünscht und sich freundlich nach ihrem Zustande erkundigt, begann er:

»Wie's halt geht, Rosi, heute müssen wir vor Gericht.«

In diesem Augenblicke wäre nicht leicht eine Botschaft zu erdenken gewesen, die die Rosi mehr überrascht hätte.

»Vor Gericht?« rief sie erschrocken aus, »ich?«

»Ja, du und ich.«

»Ja, um Gottes willen, Vater, was ist denn das? Vor Gericht? Warum?«

»Du wirst's dort hören.«

Dieser geheimnisvolle Ton erhöhte noch die Angst, welche die arme Rosi ohnedem schon bedrängte. Verzweiflungsvoll erhob sie sich von dem Lager und richtete sich auf – ein herrlicher Anblick für jeden, der ihn etwa hätte genießen dürfen, da die wallenden Haare und die leuchtenden Augen, der schöne Leib und die nackten Arme ein wundervolles Bild herstellten, wie es vielleicht noch nie gemalt worden ist. In Verzweiflung faltete sie die Hände und rief heftig und wild:

»Vater, was tu ich vor Gericht? Hat mich der Florian verklagt?«

»Du wirst's dort hören! Um acht Uhr bist du fertig; dann hol' ich dich.«

Damit ging er und zog den Schlüssel der Stube ab, damit kein Verkehr zwischen ihr und den andern stattfinden könne.

Und während er auf dem Gange sprach: »Anders geht's nicht!« jammerte sie in der Stube: »O wäre ich doch im Himmel droben!«

Es dauerte wohl einige Zeit, bis die Rosi sich wieder gefaßt hat. Dann aber begann sie ihr Gewand anzulegen und um acht Uhr, als sie damit zu Ende war, trat der Vater ein und holte sie.

Unten aber stand der Einspänner schon bereit. Sie stiegen ein und der Vater übernahm das Leitseil und die Peitsche. Glückliche Fahrt hatte nur die Mutter gewünscht; die andern waren lieber in der Ferne geblieben.

Die arme Rosi war aber sehr traurig. Die Welt schien für sie untergegangen. Ihr Herz war so schwer beladen, daß es fast am Brechen war. In der letzten halben Stunde verfiel sie nach all der Aufregung zuerst in einen leichten, dann in einen tiefen Schlummer, und als die bleiche, schlafende Gestalt mit ihrem Vater vor dem Dreikönig in Kufstein ankam, hätte man fast glauben können, sie sei unterwegs gestorben.


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