Laurence Sterne
Tristram Shandy
Laurence Sterne

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230. Kapitel.

Es ist mir sehr lieb, sagte ich, als ich die Rechnung so bei mir überschlug, während ich nach Lyon hineinspazierte – denn meine Chaise lag ganz durcheinander mit meinem Gepäck auf einem Karren, der sich langsam vor mir herbewegte; – es ist mir sehr lieb, daß sie in Stücke gegangen ist, denn jetzt kann ich auf dem Wasser direct nach Avignon gehen, was mich 120 Meilen auf meiner Reise vorwärts bringt und mich keine sieben Livres kostet; – und von da, fuhr ich in meiner Rechnung fort, kann ich ein Paar Maulthiere oder Esel miethen, wenn ich mag (denn es kennt mich ja dort Niemand) und die Ebene von Languedoc fast für nichts durchreisen: – ich gewinne somit durch meinen Unfall vierhundert Livres, und Vergnügen, – das doppelt so viel werth ist. Mit welcher Geschwindigkeit, fuhr ich fort, indem ich die Hände zusammenschlug, werde ich die rasche Rhone hinabfahren, mit Vivares zur Rechten und dem Dauphiné zur Linken, wobei ich die alten Städte Vienne, Valence und Vivières kaum zu Gesichte bekommen werde! Welch' eine Flamme wird es in der alten Lampe wieder anzünden, wenn ich am Fuße der Hermitage und Côte-Roti vorbeischieße und mir eine röthliche Traube abbreche! Wie frisch wird das Blut pulsiren, wenn ich an den Ufern bald da bald dort romantische Burgen erblicke, aus denen ehedem edle Ritter die Unglücklichen befreiten; wenn ich schwindelnd die Felsen, die Berge, die Wasserfälle und all das Getümmel erblicke, das die Natur mit ihren großen Werken um sich her bildet!

Als ich so dahin schlenderte, kam mir meine Chaise, deren Trümmer mir Anfangs ziemlich stattlich erschienen waren, allmählich kleiner und elender vor; die Frische der Malerei war dahin, – die Vergoldung hatte ihren Glanz verloren, – das Ganze war in meinen Augen jetzt so ärmlich! – so elend! – so verächtlich! und mit einem Wort um so viel schlechter als die der Aebtissin von Andouillets, – daß ich eben den Mund öffnen wollte, um sie zum Teufel zu wünschen, – als ein munterer Wagenflicker hurtig über die Straße herüberlief und fragte, ob Monsieur seine Chaise wieder hergestellt haben wolle. – Nein, nein! sagte ich kopfschüttelnd. – Möchte sie Monsieur vielleicht verkaufen? fragte der Wagner wieder. – Sehr gerne, sagte ich; – das Eisen ist vierzig Livre werth – das Glas ebenfalls vierzig – und das Leder mögen Sie umsonst haben.

Welch' eine Fundgrube des Reichthums war diese Postchaise für mich, sagte ich, als er mir das Geld hinzählte! – Dies ist meine gewöhnliche Art der Buchführung, wenigstens bei Unfällen im Leben – indem ich aus jedem, wie sie mir passiren, Geld mache.

Sage es der Welt für mich, theure Jenny, wie ich mich bei einem der niederdrückendsten Ereignisse benahm, das einem Mann zustoßen konnte, der einen gerechten Stolz auf seine Mannheit hat.

Es ist genug, sprachst du und tratest nahe an mich heran, als ich so mit meinem Hosenband in der Hand da stand und über das nachdachte, was nicht geschehen war. – Es ist genug, Tristram, und ich bin überzeugt, sprachst du, indem du diese Worte in mein Ohr flüstertest: *   *   *   *; –   *   * – jeder andere Mann wäre hier in die Erde gesunken.

Alles ist für etwas gut, sprach ich.

Ich will auf sechs Wochen nach Wales gehen, und Ziegenmolken trinken, – und so wird der Unfall mein Leben um sieben Jahre verlängern. Deshalb kann ich es auch nicht verantworten, so oft auf das Schicksal geschmäht zu haben wie ich gethan, daß es mich mein Leben lang als eine ungnädige Herzogin, wie ich es nannte, mit so vielen kleinen Leiden heimgesucht habe. Wenn ich wirklich Ursache habe, böse auf es zu sein, so ist es wahrhaftig eher deshalb, weil es mir keine große Leiden geschickt hat; – so ein Schock tüchtiger, niederschmetternder Verluste wäre für mich so gut wie eine Pension gewesen.

Eine solche Pension von etwa 100 Pf. jährlich ist Alles was ich wünsche. – Ich möchte wirklich nicht die Last haben, von einer größeren die Steuer zu bezahlen.

231. Kapitel.

Wer den richtigen Begriff von Widerwärtigkeit hat, wird zugeben müssen, daß es nicht wohl eine größere geben konnte, als wenn man sich den besten Theil eines Tags in Lyon, der wohlhabendsten und blühendsten, durch so manche Reste des Alterthums merkwürdigsten Stadt Frankreichs befindet – und nicht im Stande ist sie sehen zu können. Wenn man hievon durch irgend eine Veranlassung abgehalten wird, so ist das schon widerwärtig genug; wenn man aber vollends durch eine Widerwärtigkeit abgehalten wird, – so ist das, was die Philosophie mit Recht

Widerwärtigkeit
auf
Widerwärtigkeit

nennt.

Ich hatte meine zwei Tassen Milchkaffee getrunken (beiläufig ein vortreffliches Mittel gegen die Auszehrung, man muß jedoch die Milch und den Kaffee zusammenkochen, – sonst ist es eben nur Kaffee und Milch) – und da es erst acht Uhr Morgens war und das Boot erst um Mittag abging, so hätte ich Zeit gehabt so viel von Lyon zu sehen, um damit die Geduld aller Freunde, die ich auf der Welt habe, zu erschöpfen. Ich will einmal nach der Kathedrale spazieren, sagte ich, indem ich in meine Liste sah, und vor Allem den wundervollen Mechanismus der großen Uhr des Lippius von Basel betrachten.

Von allen Dingen auf der Welt verstehe ich nun am wenigsten von der Mechanik, – ich habe hiefür weder Talent, noch Geschmack, noch Phantasie, – ja ein für Dinge dieser Art so ungeeignetes Gehirn, daß ich feierlich erkläre, daß ich niemals im Stande war zu begreifen, nach welchen Grundsätzen sich ein Eichhörnchenkäfig oder das Rad eines gewöhnlichen Scheerenschleifers bewegt, – obschon ich manche Stunde meines Lebens mit großer Andacht das erstere betrachtet, – und mit so viel Geduld als nur ein Christ aufwenden kann, dem letzteren zugesehen habe.

Das Erste was ich thue, sagte ich, soll sein, daß ich hingehe und mir die merkwürdigen Bewegungen dieser großen Uhr ansehe; dann will ich die Bibliothek der Jesuiten besuchen, und mir womöglich die dreißig Bände der allgemeinen Geschichte von China zeigen lassen, die (nicht in tatarischer, sondern) in chinesischer Sprache und auch mit chinesischen Schriftzügen geschrieben ist.

Ich verstehe nun fast ebensowenig von der chinesischen Sprache wie von dem Mechanismus des Uhrwerks von Lippius, und muß es den Naturforschern überlassen herauszufinden, wie diese zwei Dinge sich an die erste Stelle in meiner Liste verirren konnten. Es sieht wirklich aus wie eine der Verkehrtheiten der guten Dame Natur; und die, welche sich um sie bemühen, sind deshalb ebenso dabei interessirt, den Grund ihrer Launen zu entdecken wie ich.

Wenn ich diese Merkwürdigkeiten gesehen habe, sagte ich, wobei ich mich halb an den hinter mir stehenden valet de place wendete – dann wird es kein Schaden sein, wenn wir nach der Kirche des h. Irenäus gehen und den Pfeiler besichtigen, an welchen Christus gebunden ward, – und dann das Haus, in welchen Pontius Pilatus lebte. – Das sei in der nächsten Stadt – sagte der Lohndiener – in Vienne. – Das freut mich, sagte ich, indem ich rasch von meinem Stuhle aufstand und mit doppelt so großen Schritten als gewöhnlich durch das Zimmer ging, – um so früher werde ich an dem Grab der beiden Liebenden sein.

Welches die Ursache dieser Bewegung war, und warum ich so große Schritte machte, als ich Obiges äußerte, – könnte ich gleichfalls den Naturforschern zu entscheiden überlassen; da jedoch kein Uhrwerk-Grundsatz dabei in Frage kommt, – wird es für den Leser das Gleiche sein, wenn ich es selbst erkläre.

232. Kapitel.

O es ist eine süße Periode im Leben des Menschen, wenn das Gehirn noch zart und faserig und mehr als irgend etwas der Pappe ähnlich ist – und man dann eine Geschichte von zwei Verliebten liest, die durch grausame Eltern und ein noch grausameres Schicksal von einander getrennt sind –

Amandus
Amanda
 – 
 – 
Er,
Sie, –

und keines weiß, wohin das Andere verschlagen ist;

    Er
Sie
 – 
 – 
nach Osten,
nach Westen;

worauf dann Amandus von den Türken gefangen und an den Hof des Kaisers von Marocco geschleppt wird, wo sich die Prinzessin von Marocco in ihn verliebt und ihn zwanzig Jahre lang wegen seiner Liebe zu Amanda gefangen hält – während Sie (Amanda) während dieser ganzen Zeit barfuß und mit aufgelösten Haaren über Felsen und Gebirge wandert und immer nach Amandus fragt, – Amandus! – Amandus! und jeden Berg und jedes Thal zum Echo seines Namens macht –

Amandus! Amandus!

und in jeder Stadt und jedem Flecken trostlos am Thore sitzt und fragt: – Ist mein Amandus – mein Amandus nicht hierher gekommen? – bis sie beide rund und rund um die Welt gegangen sind, und der Zufall sie unerwartet in der gleichen Minute in der Nacht aber von entgegengesetzter Seite her an das Thor von Lyon, ihrer Vaterstadt, führt, wo sie mit wohlbekannter Stimme laut

Ist Amandus
Ist meine Amanda
 } 
 } 
noch am Leben?

rufen, sich in die Arme stürzen und todt vor Freude niedersinken –

Es ist, sage ich, eine süße Periode im Leben eines jeden edeln Sterblichen, wo eine solche Geschichte dem Gehirne mehr pabulum (Futter) bietet, als all der alterthümliche Plunder, den die Reisenden zu dem Ende zusammenkochen.

Dies Alles stand in meinem eigenen Gehirn auf der rechten Seite, da wo es Spon und andere Schriftsteller in ihren Berichten über Lyon eingepreßt hatten, und da ich überdies Gott weiß in welcher Reisebeschreibung fand, – daß ein der Treue des Amandus und der Amanda geweihtes Grab außerhalb der Thore erbaut worden sei, wo sich bis zur heutige Stunde Liebende zusammenfänden, um sich ihre Treue zu betheuern, – so gerieth ich nie in meinem Leben in einen Handel dieser Art, ohne daß dies Grab der Liebenden auf eine oder die andere Weise am Schlusse auftrat; ja es hatte eine solche Macht über mich gewonnen, daß ich selten an Lyon denken oder davon sprechen, – bisweilen sogar nicht einmal eine Lyoner Weste betrachten konnte, ohne daß dieser Rest des Alterthums vor meine Phantasie trat; und oft sagte ich in meinem wilden Dreinfahren, – und ich fürchte mit einigem Mangel an Ehrerbietung – ich halte diesem Schrein trotz seiner Vernachlässigung für so schätzbar wie den von Mecca und um so wenig geringer (ausgenommen an Pracht) als die Casa santa in Loretto, daß ich einmal eigens um ihn zu besuchen eine Pilgerfahrt dahin machen möchte (wenn ich auch sonst in Lyon nichts zu thun hätte.)

In meiner Liste der Sehenswürdigkeiten von Lyon war dieser Gegenstand also der letzte, aber nicht der unwichtigste. Nachdem ich daher ein oder zwei Dutzend größere Schritte als gewöhnlich durch mein Zimmer gethan hatte, als mir dies eben durch den Kopf ging, stieg ich ruhig nach dem Hof hinab, um mich auf den Weg zu machen. Ich hatte inzwischen auch meine Rechnung verlangt, und da ich nicht sicher war, ob ich noch einmal nach dem Gasthof zurückkommen würde, sie auch bezahlt, – überdies dem Zimmermädchen zehn Sous gegeben und empfing eben den letzten Wunsch des Monsieur Blanc zu einer glücklichen Reise auf der Rhone, – als ich am Thor aufgehalten wurde.

233. Kapitel.

Es war ein armer Esel, der eben mit einem Paar großen Körben auf dem Rücken daher gekommen war, um ein Almosen von Rübenkraut und Kohlblättern einzusammeln. Er stand etwas im Zweifel mit beiden Vorderfüßen innerhalb der Schwelle und mit den Hinterfüßen auf der Straße, und schien nicht recht zu wissen, ob er eintreten solle oder nicht.

Nun kann ich es nicht übers Herz bringen, dieses Thier (so sehr ich auch Eile haben mag) zu schlagen; – es liegt in dem geduldigen Tragen und Leiden, das ihm so deutlich in den Blicken und dem ganzen Wesen geschrieben steht, etwas, was mächtig für dieses Thier spricht und mich stets entwaffnet; so daß ich nicht einmal unfreundlich zu ihm sprechen kann. Im Gegentheil, mag ich ihm begegnen wo ich will, – in der Stadt oder auf dem Land, – am Karren oder mit Körben belastet, – in der Freiheit oder im Joche – ich habe ihm immer etwas Liebes zu sagen. Und da ein Wort das andere gibt, so komme ich (wenn er gerade ebenso wenig zu thun hat wie ich) gewöhnlich in ein Gespräch mit ihm; und nie ist meine Phantasie so geschäftig, als wenn sie aus den Linien seiner Züge seine Antworten bildet, – oder wo diese nicht tief genug gehen – sich von meinem eigenen Herzen in seines versetzt und das zu entdecken sucht, was bei der Gelegenheit ein Esel ebenso gut denken mag wie ein Mensch. Er ist wirklich das einzige Geschöpf von allen Klassen unter mir, mit dem ich das thun kann; mit Papageien, Dohlen u. s. w. wechsele ich nie ein Wort, – auch nicht mit Affen u. s. w. und zwar so ziemlich aus demselben Grunde: sie agiren lediglich nach Routine, wie die anderen sprechen, und machen, daß ich verstumme; auch mein Hund und meine Katze, – obschon ich beide sehr schätze – (mein Hund würde wahrhaftig sprechen wenn er könnte) – besitzen dennoch, ich weiß nicht wie es kommt, aber es ist so, beide nicht das Talent der Unterhaltung. Ich kann keine andere Art von Gespräch mit ihnen anknüpfen als Anrede, Erwiderung und Duplik, wie bei den Unterredungen meines Vaters mit meiner Mutter in ihren Lits de justice; – sind diese gesprochen, – so hat der Dialog ein Ende.

Mit einem Esel aber kann ich mich in Einem fort unterhalten.

Komm, Meister Ehrlich! sprach ich – als ich sah, daß es unmöglich war zwischen ihm und dem Thor zu passiren; – willst du eigentlich herein oder hinaus?

Der Esel drehte den Kopf und sah die Straße hinauf.

Gut, sagte ich, wir wollen noch ein wenig warten, bis dein Treiber kommt.

Er drehte den Kopf gedankenvoll herum, und sah ernsthaft nach der entgegengesetzten Richtung.

Ich verstehe dich vollkommen, sagte ich; – wenn du in dieser Sache einen falschen Schritt thust, wird er dich halb zu Tode schlagen. – Nun eine Minute ist ja nur eine Minute, und wenn sie einem Mitgeschöpf Prügel erspart, ist sie nicht schlecht angewendet. Während dieses Gesprächs fraß er den Stengel einer Artischoke und hatte denselben bei dem kleinen verdrießlichen Streit der Natur zwischen Hunger und üblem Geschmack wohl ein Dutzend Mal aus dem Maul fallen lassen und wieder aufgeschnappt. – Gott steh dir bei, Jakob! sagte ich, du hast da ein bitteres Frühstück, – und wohl manche bittere Tagesarbeit, – und ich fürchte, zum Lohn manchen bitteren Hieb! – Für dich ist Alles Bitterkeit – Alles, was für Andere Leben ist! – Und in diesem Augenblick ist wohl dein Maul, wenn man dich drum fragen könnte, so bitter wie Ruß – (er hatte nämlich eben den Stengel wieder fallen lassen) und du hast vielleicht auf der ganzen Welt keinen Freund, der dir eine Makrone gäbe. – Bei diesen Worten nahm ich ein Papier mit solchen heraus, die ich eben gekauft hatte, und gab ihm eine, – und in dem Augenblick da ich dies erzähle, macht mir mein Herz Vorwürfe, daß es mir damals mehr Spaß machte einen Esel eine Makrone fressen zu sehen, als daß ich ihm aus reinem Wohlwollen eine gegeben.

Als der Esel die Makrone gefressen hatte, drang ich in ihn eintreten; – das arme Vieh war schwer beladen, – die Beine schienen ihm unter dem Leib zu zittern, – er hing ziemlich nach rückwärts; und da ich an seinem Halfter zog, zerriß er mir in der Hand. – Er sah mir nachdenklich ins Gesicht. – Schlagen Sie mich nicht damit; – freilich wenn Sie wollen, können Sie es thun. – Wenn ich es thue, will ich des Teufels sein, sagte ich.

Ich hatte das Wort erst zur Hälfte ausgesprochen, wie die Aebtissin von Andouillets – (es war also auch keine Sünde dabei) – als eine Person hereinstürmte, einen donnernden Hieb gegen die Kruppe des armen Teufels führte und damit der Ceremonie ein Ende machte.

Pfui doch!

rief ich; – aber dieser Ausruf war zweideutig und wie ich glaube, am unrechten Platze angebracht, – denn das Ende einer Weide, das aus dem Geflechte des Korbs heraussah, hatte sich in meiner Hosentasche gefangen, als er an mir vorbei fuhr und meine Hosen in der unglückseligsten Richtung, die man sich nur denken kann, zerrissen; so daß das

Pfui doch!

eigentlich darauf paßte; doch ich überlasse die Entscheidung hierüber

Den Recensenten

meiner Hosen, die ich ausdrücklich zu dem Ende mit hergebracht habe.

234. Kapitel.

Als Alles wieder in Ordnung war, kam ich abermals mit meinem Lohndiener in den Hof herab, um nach dem Grab der beiden Liebenden u. s. w. zu wandern, – wurde aber zum zweiten Mal am Thore abgehalten, – dies Mal jedoch nicht durch den Esel – sondern durch den Mann, der ihn geschlagen hatte, und der inzwischen (wie dies nach einer Niederlage nicht selten vorkommt) auf demselben Fleck wo der Esel gestanden, Posto gefaßt hatte.

Es war ein vom Postamt an mich abgesandter Mann, der ein Schreiben in der Hand hatte, wornach ich sechs Livres und ungerad bezahlen sollte.

Wofür? sagte ich. – Für den König, erwiderte der Bote und zuckte beide Schultern.

Mein lieber Freund, erwiderte ich, – so gewiß ich ich bin, – und Sie Sie sind –

Und wer sind Sie? fragte er.

Bringen Sie mich nicht draus, sagte ich.

235. Kapitel.

Es ist jedoch eine unzweifelhafte Wahrheit, fuhr ich gegen den Boten gewendet fort, indem ich nur die Art meiner Betheuerung änderte, daß ich dem König von Frankreich nichts als meine Hochachtung schuldig bin, denn er ist ein ganz wackerer Mann und ich wünsche ihm Gesundheit und jeden Zeitvertreib der Welt.

Pardonnez-moi, erwidert der Postbote, Sie sind ihm sechs Livres vier Sous für die nächste Poststation von hier bis St. Fons auf Ihrer Route nach Avignon schuldig: – und da dies eine königliche Post ist, so haben Sie für Pferde und Postillon doppelt zu bezahlen, – sonst würde es nur drei Livres zwei Sous gekostet haben.

Ich reise aber nicht zu Land, sagte ich.

Aber Sie können es, wenn Sie wünschen, erwiderte der Postbote.

Ihr gehorsamster Diener, sagte ich, indem ich eine tiefe Verbeugung vor ihm machte.

Der Postbote machte mir mit aller Aufrichtigkeit ernstlicher Wohlerzogenheit eine ebenso tiefe. – Nie in meinem Leben brachte mich eine Verbeugung so aus der Fassung.

Der Teufel hole den ernsthaften Charakter dieses Volks, sagte ich (bei Seite), – sie verstehen nicht so viel Ironie wie–

Der verglichene Gegenstand stand mit seinen Körben in der Nähe, – aber ein gewisses Etwas schloß mir die Lippen, – ich vermochte den Namen nicht auszusprechen.

Mein Herr, sagte ich, indem ich mich faßte, ich habe nicht die Absicht, die Post zu nehmen.

Sie können es aber, sagte er, indem er bei seiner ersten Antwort beharrte, – Sie können Post nehmen, wenn Sie wollen.

Aber ich will nicht.

Und ich kann Salz zu meinem Pickelhering nehmen, sagte ich, wenn ich will. Aber ich will nicht.

Sie müssen indessen bezahlen, ob Sie es thun oder nicht.

Ja, für das Salz, erwiderte ich (das weiß ich).

Und auch für die Post, entgegnete er.

Hol' mich der Henker! rief ich, ich will ja zu Wasser reisen, ich fahre noch heute Abend die Rhone hinab, – mein Gepäck ist schon an Bord, – und ich habe neun Livres für meine Fahrt bezahlt.

C'est tout égal, – das ist gleich, sagte er.

Bon dieu! ich muß also den Weg bezahlen, den ich mache, und den ebenfalls, den ich nicht mache.

C'est tout égal, versetzte der Postbote.

Den Teufel ist es, sagte ich; – lieber gehe ich 10,000 Mal in die Bastille.

O England, England! du Land der Freiheit und Klima des gesunden Menschenverstandes! du zärtlichste der Mütter und liebenswürdigste der Ammen! sagte ich und ließ mich bei Beginn meines Ausrufs auf ein Knie nieder.

In diesem Augenblick kam der Beichtvater der Frau Le Blanc herein, und als er eine schwarzgekleidete, todesblasse Person, – die durch den Contrast dieser Bekleidung noch blässer aussah – knien sah, fragte er, ob ich des Beistandes der Kirche bedürfe?

Ich gehe zu Wasser, sagte ich; – und da kommt noch Einer und will mich auch noch dafür zahlen lassen, daß ich »zu Oel« gehe!

236. Kapitel.

Als ich sah, daß der Postbote durchaus seine sechs Livres vier Sous haben wollte, blieb mir nichts übrig als bei diesem Anlaß wenigstens einen Witz zu machen, der so viel werth war.

Ich begann daher also:

Bitte, mein Herr, nach welchem Gesetz der Artigkeit wird ein hilfloser Fremder gerade entgegengesetzt von dem behandelt, wie Sie einen Franzosen in diesem Falle behandeln würden?

Durchaus nicht, sagte er.

Entschuldigen Sie, erwiderte ich, Sie haben damit angefangen, mir einen Riß in die Hosen zu machen, – und jetzt wollen Sie auch noch meine Tasche. Hätten Sie mir dagegen zuerst meine Tasche genommen, wie Sie es mit Ihren Landsleuten machen, – und mir nachher die Hosen von dem bloßen — gezogen, – so hätte ich müssen ein Vieh sein, wenn ich mich beklagen wollte. So aber ist es

Gegen das Gesetz der Natur,

Gegen die Vernunft,

Gegen das Evangelium.

Aber nicht gegen dies, – sagte er, – und gab mir ein gedrucktes Papier in die Hand:

Par le Roy!

Das ist eine kräftige Einleitung, sagte ich; – und las nun – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Hieraus geht hervor, sagte ich, nachdem ich es schnell überlaufen hatte, daß wenn Jemand in einer Postchaise von Paris abfährt, – er sein Leben lang in einer solchen reisen – oder wenigstens dafür bezahlen muß.

Entschuldigen Sie, entgegnete der Postbote, der Geist der Verordnung ist folgender: – daß wenn Sie in der Absicht abreisen, von Paris bis Avignon mit der Post zu fahren, Sie diese Absicht oder Reiseart nicht ändern dürfen, ohne vorher die Taxe für zwei Posten weiter als der Ort ist, wo Sie Ihren Entschluß ändern, zu bezahlen; – und die Verordnung, fuhr er fort, begründet sich damit, daß die Staatseinkünfte nicht durch Ihre Unbeständigkeit zu kurz kommen sollen.

Beim Himmel! rief ich, – wenn die Unbeständigkeit in Frankreich besteuert wird, – so bleibt uns nichts übrig als den bestmöglichen Frieden mit Ihnen zu schließen.

Und so wurde der Frieden geschlossen.

Und wenn es ein schlechter Frieden ist, – so sollte, da Tristram Shandy den Grund dazu gelegt hat, – Niemand anders deshalb gehängt werden als Tristram Shandy.

237. Kapitel.

Ob schon ich mir bewußt war, dem Postboten so viele feine Dinge gesagt zu haben, daß damit die sechs Livres vier Sous herausgeschlagen waren, war ich doch entschlossen, jene Auflage, ehe ich den Ort verließ, in meine Reisebemerkungen zu notiren. Ich fuhr also mit der Hand in die Tasche, um meine Reisebemerkungen herauszuziehen. aber siehe da! – (und dies mag eine Warnung für alle Reisenden sein, auf ihre Bemerkungen besser aufzupassen) meine Bemerkungen waren fort! – Nie hat noch ein ärgerlicher Reisender einen solchen Lärm und Gepolter um seine Bemerkungen aufgeschlagen, als ich es bei diesem Anlaß that.

Himmel! Erde! Meer! Feuer! schrie ich und rief alle Elemente zu Hilfe, nur die nicht, die ich hätte anrufen sollen – meine Bemerkungen sind fort! – Was soll ich thun? – Herr Postbote, habe ich etwa, als ich neben Ihnen stand, Bemerkungen fallen lassen?

Sie ließen allerdings eine gute Portion sehr sonderbarer fallen, erwiderte er.

O, sagte ich, das waren nur einige, wenige, und nicht über sechs Livres zwei Sous werth; – jene aber waren ein dickes Packet.

Er schüttelte den Kopf.

Monsieur Le Blanc! Madame Le Blanc! haben Sie Papiere gesehen, die mir angehören?

He Zimmermädchen, lauf die Treppe hinauf! – François, geh' ihr nach!

Ich muß meine Bemerkungen wieder haben; – es waren die besten Bemerkungen, die jemals gemacht wurden, rief ich, – die klügsten, – die witzigsten. – Was fang' ich an? – Wohin soll ich mich wenden?

Als Sancho Pansa das Geschirr seines Esels verlor, beklagte er sich nicht bitterlicher.

238. Kapitel.

Als die erste Aufregung vorüber war und die Register des Gehirns ein wenig aus der Verwirrung herauszukommen begannen, in welche sie durch diese verschiedenen Wechselfälle gerathen waren, – fiel mir ein, daß ich meine Bemerkungen in der Kutschentasche gelassen hatte. – Als ich daher meine Kutsche an den Wagner verkaufte, hatte ich meine Bemerkungen mit verkauft.

*   *   *   Ich lasse hier absichtlich einen leeren Raum, damit hier der Leser selbst den Fluch beisetzen kann, den er in der Regel anwendet. – Wenn ich je auf eine Gedankenlosigkeit in meinem Leben einen ganzen Fluch that, so glaube ich war es auf diese *   *   *   *   *   * sagte ich. So habe ich also meine Bemerkungen durch Frankreich, die so voll Witz waren wie ein Ei voll Nahrungsstoff, und so gewiß 400 Guineen werth wie ein Ei einen Pfennig werth ist, – für vier Louisdors an einen Wagner verkauft – und ihm noch eine Postchaise, die sechs werth ist, drein gegeben. Wäre es wenigstens an Dodsley, oder an Becket, oder an irgend einen ordentlichen Buchhändler gewesen, der entweder das Geschäft aufgab und eine Postchaise brauchte, – oder der eines anfing und meine Bemerkungen brauchen konnte, und noch 2–3 Guineen dazu – so hätte ich es ertragen können; – aber an einen Wagner!

Führe mich sogleich zu ihm, François, sagte ich.

Der Valet de place setzte seinen Hut auf und ging voran; – und ich nahm meinen ab, als ich an dem Postboten vorbeiging, und folgte ihm.

239. Kapitel.

Als wir an das Haus des Wagners kamen, war Haus und Laden geschlossen. Es war der 8. September, der Tag der Geburt der gebenedeiten Jungfrau Maria, Mutter Gottes.

Tantarra – ra – tan – tivi, – alle Welt ging zum Maibaum hinaus, – tanzte hier, – und sprang dort – und kümmerte sich keinen Knopf um mich und meine Bemerkungen. So setzte ich mich auf eine Bank an der Thüre und überließ mich meinen Betrachtungen. Doch ich hatte dies Mal mehr Glück als gewöhnlich; ich hatte nämlich kaum eine halbe Stunde gewartet, als die Frau vom Hause kam, um die Papilloten aus ihrem Haare zu nehmen, ehe sie zum Maibaum ging.

Die Französinnen lieben Maibäume à la folie. – das heißt, ebenso leidenschaftlich wie Frühmetten. – Gebt ihnen nur einen Maibaum, mag es nun im Mai, Juni, Juli oder September sein – die Zeit ist ihnen ganz gleichgültig – so geht es dahin, – er ist ihnen Essen, Trinken, Waschen und Wohnung, – und wenn wir nur so pfiffig wären, wenn Euer Gnaden erlauben, ihnen gehörig viel Maibäume zu schicken (weil das Holz in Frankreich etwas selten ist), so – würden die Frauen sie aufrichten; und wenn sie dies gethan hätten, würden sie darum herumtanzen (und die Männer mit) bis alle blind wären.

Die Frau des Wagners kam, wie gesagt, um die Papilloten aus ihrem Haar zu nehmen, – die Toilette steht vor Niemand still, – sie warf also die Haube ab und begann damit schon unter der Thüre; dabei fiel eine der Papilloten auf den Boden – ich sah sofort, daß es meine Handschrift war.

O mein Gott! rief ich; Madame, Sie haben alle meine Bemerkungen auf ihrem Kopfe. – J'en suis bien mortifiée, sagte sie. – Es ist nur gut, dachte ich, daß sie hier hängen geblieben sind, – denn wären sie tiefer gegangen, so hätten sie eine solche Verwirrung im Kopf einer Französin anrichten können, – daß es besser für sie gewesen wäre, sie wäre bis zum jüngsten Tag ungekräuselt herumgegangen.

Tenez! sagte sie; und ohne die entfernteste Idee von der Natur meines Leidens, nahm sie dieselben aus ihren Locken und legte sie ernsthaft, eine um die andere in meinen Hut; die eine war so gedreht, die andere anders. – Ach du meine Güte, sagte ich, wenn sie veröffentlicht werden, –

Dann werden sie erst recht verdreht werden.

240. Kapitel.

Und nun zur Uhr des Lippius, sagte ich mit der Miene eines Mannes, der alle Schwierigkeiten überwunden hat, – Niemand kann uns jetzt mehr hindern, sie zu sehen, und dann die chinesische Geschichte u. s. w. – Außer die Kürze der Zeit, bemerkte François, – es ist jetzt beinahe elf Uhr. – Dann müssen wir um so mehr eilen, sagte ich und ging mit großen Schritten nach der Kathedrale.

Ich kann wirklich nicht sagen, daß es mich sehr betrübt habe, als mir beim Eintritt in das westliche Portal einer der niederen Chorherren sagte: – die große Uhr des Lippius sei ganz aus den Fugen und seit mehreren Jahren nicht mehr gegangen. – Dadurch, dachte ich, bekomme ich um so mehr Zeit, die chinesische Geschichte zu durchblättern; und überdies werde ich in der Lage sein, der Welt eine bessere Beschreibung von dem Verfall der Uhr zu geben, als ich es von ihrem gesunden Zustande hätte thun können.

Und so eilte ich nach dem Kollegium der Jesuiten.

Nun ist es aber mit dem Plan, einen Blick in die Geschichte von Anna in chinesischer Schrift zu thun, – wie mit vielen andern, welche die Phantasie in der Entfernung erregen; je näher ich der Sache kam, desto kühler wurde mein Blut, – die Grille wurde immer schwächer, und zuletzt hätte ich nicht einen Kirschkern darum gegeben sie zu befriedigen. – Meine Zeit war mir auch so kurz zugemessen, und mein Herz hing ganz an dem Grab der Liebenden. – Wollte Gott, sagte ich, als ich den Thürklopfer in die Hand nahm, der Schlüssel zur Bibliothek wäre verloren gegangen. Es war beinahe so, –

Denn alle Jesuiten hatten die Kolik bekommen, – und zwar in einem Grade, wie es sich der älteste Praktiker nicht erinnern konnte.

241. Kapitel.

Da ich die Geographie des Grabs der Liebenden so gut kannte, als ob ich zwanzig Jahre in Lyon gelebt hätte; nämlich wußte, daß es gerade vor dem Thor nach der Vorstadt Vaise rechter Hand liegen mußte, schickte ich François nach dem Boote, um die Huldigung, die ich jenem seit so langer Zeit schuldete, ohne einen Zeugen meiner Schwachheit darzubringen: – so schritt ich in der größten Herzensfreude dem Grabe zu. – Als ich das Thor sah, das mich noch von dem Grabe trennte, glühte es in mir.

Ihr zärtlichen, treuen Geister! rief ich Amandus und Amanda zu, – lang – lang habe ich geharrt, – um diese Thräne auf euer Grab fallen zu lassen, – ich komme – ich komme –

Aber als ich ankam – da war kein Grab da, auf das ich sie hätte fallen lassen können.

Was hätte ich darum gegeben, wenn jetzt mein Onkel Toby dagewesen wäre und seinen Lillabullero gepfiffen hätte!

242. Kapitel.

Es thut nichts zur Sache, wie und in welcher Stimmung es geschah, – aber ich entfloh dem Grab der Liebenden – oder richtiger, ich entfloh ihm nicht (denn es gab ja gar keines) – und langte gerade noch zeitig genug am Boote an, um mein Fahrgeld zu retten; – und ehe ich 100 Ellen gesegelt hatte, begegneten sich Rhone und Saône und führten mich lustig mit sich fort.

Doch ich habe ja meine Rhonefahrt schon beschrieben, noch ehe ich sie machte.

So bin ich denn jetzt in Avignon, und da es hier nichts zu sehen gibt, als das alte Haus, in welchem der Herzog von Ormond wohnte, und ich nur eine kurze Bemerkung über den Ort zu machen habe, so werden Sie mich in drei Minuten auf einem Maulthier die Brücke überschreiten sehen, neben mir François auf einem Pferde mit meinem Felleisen hinter ihm, während der Besitzer beider Thiere zu Fuß vor uns herschritt, mit einer langen Flinte auf der Schulter und einem Degen unter dem Arm, damit wir nicht zufällig mit seinen Thieren davon gehen sollten. Hätten Sie meine Hosen bei meinem Einzug in Avignon gesehen – Sie hätten sie allerdings noch besser sehen können als ich aufsaß – so würden Sie diese Vorsicht nicht für unnöthig erachtet oder innerlich übel genommen haben; ich für meinen Theil hielt sie für sehr natürlich und beschloß, ihm am Schlusse unserer Reise die Hosen zu schenken, weil sie ihn so in Aufregung versetzt hatten, daß er sich für alle Fälle gegen sie waffnen zu müssen glaubte.

Ehe ich aber weiter gehe, will ich hier noch meine Bemerkung über Avignon los werden, die in Folgendem besteht: – Ich halte es nicht für Recht, wenn man nur deshalb weil Einem am ersten Abend in Avignon zufällig der Hut vom Kopfe geweht wird – behauptet: »Avignon sei mehr als irgend eine Stadt in Frankreich heftigen Winden ausgesetzt.« Ich legte deshalb auf diesen Unfall auch kein großes Gewicht, bis ich den Gastwirth hierüber befragt hatte, der mich ernstlich versicherte, es sei wirklich so; – und da ich überdies hörte, daß der windige Charakter Avignon's in der Umgegend sprichwörtlich sei, – so lege ich die Bemerkung nur deshalb hier nieder, um von den Gelehrten zu erfahren, welches wohl die Ursache hiervon sein könne. Die Wirkungen dieser Windigkeit sah ich selbst: – denn es sind hier lauter Herzoge, Marquis und Grafen, – der Henker hol mich wenn ein Baron in ganz Avignon ist; – so daß man an einem windigen Tage kaum Jemand ansprechen kann.

Mein Freund, sagte ich, seien Sie so gut und halten Sie mir einen Augenblick mein Maulthier; – ich mußte nämlich einen meiner Reitstiefel ausziehen, der mich an der Ferse drückte. – Der Mann stand müßig an der Thüre des Gasthofs, und da ich glaubte, er gehöre zum Hause oder zum Stall, drückte ich ihm den Zügel in die Hand, und ging dann an meinen Stiefel. Als ich fertig war, drehte ich mich um, um dem Mann das Maulthier wieder abzunehmen und ihm zu danken. – Aber Monsieur le Marquis waren hineingegangen!

243. Kapitel.

Ich konnte nun das ganze südliche Frankreich von den Ufern der Rhone bis zu denen der Garonne ganz nach Muße auf meinem Maulthier durchwandern – ich sage, nach Muße, – denn ich hatte den Tod, Gott allein weiß, wie weit hinter mir gelassen! – »Ich bin schon manchem Mann durch Frankreich nachgelaufen, sagte er, aber noch Keinem in diesem schnellen Tempo.« Doch ging er mir noch immer nach – und ich floh noch immer, – aber ich floh in heiterer Laune; – er verfolgte mich zwar noch immer, – immer, – aber wie Einer, der die Hoffnung aufgegeben hat, seine Beute zu erhaschen, – und während er so langsam nachging, milderte sich sein Aussehen mit jedem Schritte. – Warum sollte ich also fortfahren, in diesem Tempo vor ihm davon zu laufen?

Trotz der Aeußerung des Postboten änderte ich daher nochmals meine Reiseweise, und nach jenem eiligen und lärmenden Dahinjagen schmeichelte ich jetzt meiner Phantasie mit dem Gedanken an mein langsames Maulthier und daß ich jetzt die reichen Ebenen von Languedoc auf seinem Rücken so gemächlich durchwandern dürfte, als dieses einen Fuß vor den anderen setzte.

Nichts Angenehmeres für einen Reisenden, – für einen Reisebeschreiber aber nichts Schrecklicheres als eine weite reiche Ebene, besonders wenn sie weder große Ströme noch Brücken aufzuweisen hat und dem Auge nichts bietet als ein unverändertes Bild der Fülle. Denn wenn der Reisebeschreiber einmal gesagt hat, die Ebene sei köstlich oder herrlich – der Boden dankbar, die Natur habe hier all ihr Füllhorn ausgegossen u. s. w. – dann hat er eben immer noch die weite Ebene vor sich, mit der er nichts anzufangen weiß, und die ihm zu wenig mehr nützt, als daß sie ihn nach irgend einer Stadt bringt; und diese Stadt bietet vielleicht auch wenig mehr, als daß sie eben eine neue Station ist, nach der die Ebene wieder beginnt, – und so fort.

Das ist eine fürchterliche Arbeit. Sehen Sie zu, ob ich mit meinen Ebenen nicht besser fertig werde.


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