Laurence Sterne
Tristram Shandy
Laurence Sterne

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86. Kapitel.

Gleichviel! – als Zugehör zum Nähen mochte der Garnwickel für meine Mutter von einigem Werthe sein; – als Zeichen im Slawkenbergius war er für meinen Vater werthlos. Slawkenbergius war ja auf jeder Seite ein reicher Schatz unerschöpflichen Wissens für meinen Vater; – er konnte ihn nicht aufschlagen, ohne etwas für sich zu finden; und oft, wenn er das Buch schloß, pflegte er zu sagen: Wenn alle Künste und Wissenschaften auf der Welt nebst den Büchern, die von ihnen handelten, verloren gingen, – wenn die Weisheit und Kunst der Regierungen jemals, pflegte er zu sagen, durch Mangel an Gebrauch vergessen werden könnte; und ebenso alle Staatsmänner, welche über die starken und schwachen Seiten der Höfe und Reiche geschrieben, – und nur Slawkenbergius übrig bliebe – so würde man in ihm, pflegte er zu sagen, in jeder Richtung soviel finden, daß man die Welt wieder in Gang bringen könnte. Er war somit wirklich ein Schatz, eine Vorschrift, die Alles enthielt, was über Nasen und sonst zu wissen nothwendig war: – Morgens, Mittags und Abends war Hafen Slawkenbergius seine Erholung und sein Ergötzen: er war beständig in seiner Hand: – man hätte darauf schwören mögen, es sei ein kirchliches Gebetbuch, – so abgenützt, so geglättet, so verrunzelt und so von Zeigefinger und Daumen abgearbeitet war es von einem Ende zum andern.

Ich bin kein solcher Anbeter von Slawkenbergius, wie mein Vater: – er hat ohne Zweifel viel Gutes; aber das Beste, ich will nicht sagen das Nützlichste, jedoch das Unterhaltendste in Hafen Slawkenbergius sind meiner Ansicht nach seine Erzählungen: – und wenn man erwägt, daß er ein Deutscher war, sind manche nicht ohne Phantasie. – Sie bilden sein zweites Buch, beinahe die Hälfte eines Foliobandes, und sind in zehn Dekaden abgetheilt, wovon jede zehn Erzählungen enthält. – Man baut Philosophie nicht auf Erzählungen; und deshalb hatte Slawkenbergius gewiß nicht recht, daß er sie unter diesem Namen in die Welt schickte! – Auch finden sich in seiner 8., 9. und 10. Dekade mehrere, die, ich muß sagen eher muthwillig und scherzhaft als speculativ sind; – im Allgemeinen aber betrachten die Gelehrten sie als ein Detail von ebensoviel voneinander unabhängigen Thatsachen, die sich aber alle auf die eine oder die andere Art um seinen eigentlichen Gegenstand als Kern drehen, die mit großer Treue gesammelt sind und seinem Werk zahlreiche Erläuterungen über die Lehre von den Nasen beifügen.

Da wir gerade übrige Zeit haben, – so will ich hier, wenn Sie erlauben, verehrte Leserin, die 9. Erzählung der 10. Dekade geben.Ende des 3. Bandes der 1. Auflage.

 

Leben und Meinungen
des
Herrn Tristram Shandy.
Slawkenbergii Fabella.
        Da Hafen Slawkenbergius de Nasis sehr selten ist, so wird es dem gelehrten Leser nicht unangenehm sein, wenn er hier ein kleines Muster vom Urtext erhält. Ich enthalte mich jeder Bemerkung hierüber, und möchte nur sagen, daß seine lateinische Erzählung gedrängter ist als der philosophische Theil des Buchs, und wie ich glaube, auch mehr Latinität enthält.
Die Erzählung des Slawkenbergius.
   Vespera quadam frigidula, po-
steriori in parte mensis Augusti,
peregrinus, mulo fusco colore in-
sidens, mantîca a tergo, paucis in-
dusiis, binis calceis, braccisque
sericis coccineis repleta, Argento-
ratum ingressus est.
   Es war an einem kühlen, er-
frischenden Abend am Schlusse ei-
nes schwülen Tags gegen Ende
August als ein Fremdling, auf
einem dunklen Maulthier. mit ei-
nem kleinen Mantelsack hinter sich,
der ein Paar Hemden, Schuhe und
ein Paar rothseidene Hosen ent-
hielt, in die Stadt Straßburg einzog.
   Militi eum percontanti, quum
portus intraret, dixit, se apud Na-
sorum promontorium fuisse, Fran-
cofortum proficisci, et Argentora-
tum, transitu ad fines Sarmatiae
mensis intervallo, reversurum.
   Er sagte der Schildwache am
Thor, als sie ihn examinirte: er
komme vom Vorgebirge der Nasen,
reise jetzt nach Frankfurt und werde
in einem Monat, nach seiner Wan-
derung zu den Tataren der Krim,
wieder in Straßburg sein.
   Miles peregrini in faciem su-
spexit: – Di boni, nova forma
nasi!
   Der Soldat sah dem Fremd-
ling ins Gesicht: so eine Nase hatte
er Zeit seines Lebens nicht gesehen.
   Ad multum mihi profuit, in-
quit peregrinus, carpum amento ex-
trahens, e quo pependit acinaces:
loculo manum inseruit, et magna
cum urbanitate, pilei parte inte-
riore tacta manu sinistra, ut ex-
tendit dextram, militi florinum
dedit, et processit.
   Sie ist mir schon sehr nützlich
gewesen, sagte der Fremdling, und
indem er das Handgelenk aus der
Schleife eines schwarzen Bandes
zog, an dem ein kurzer Säbel hing,
steckte er die Hand in die Tasche,
und mit der linken Hand mit großer
Artigkeit an den Schirm seiner
Mütze greifend, strebte er die Rechte
aus, gab der Schildwache einen
Gulden und ritt weiter.
   Dolet mihi, ait miles, tympa-
nistam nanum et valgum allo-
quens, virum adeo urbanum vagi-
nam perdidisse: itinerari haud
poterit nuda acinaci; neque vagi-
nam toto Argentorato habilem in-
veniet. – Nullam unquam habui,
respondit peregrinus respiciens –
seque comiter inclinans – hoc
more gesto, nudam acinacem ele-
vans, mulo lente progrediente, ut
nasum tueri possim.
   Schade, sagte der Soldat zu ei-
nem kleinen krummbeinigen Tam-
bour, daß dieser höfliche Mann
seine Scheide verloren hat, er kann
nicht mit dem bloßen Säbel reisen;
und doch wird er in ganz Straß-
burg keine passende Scheide finden.
– Ich hatte nie eine, erwiderte
der Fremdling, indem er sich zu-
rückwandte und höflich verneigte,
– ich hielt ihn so, sagte er, indem
er den bloßen Säbel in die Höhe
hielt und langsam auf seinem Maul-
thier weiter ritt, um meine Nase
zu beschützen.
   Non immerito, benigne pere-
grine, respondit miles.
   Sie verdient es auch, edler
Fremdling, erwiderte der Soldat.
   Nihili aestimo, ait illo tympa-
nista, e pergamena factitius est.
   Sie ist keinen Groschen werth,
bemerkte der Tambour, es ist ja
eine falsche Nase aus Pappe.
   Prout Christianus sum, inquit
miles, nasus ille, ni sexties major
sit, meo esset conformis.
   So wahr ich ein Christ bin, rief
die Schildwache, es ist eine Nase,
wie die meinige – nur sechs Mal
größer.
   Crepitare audivi, ait tympanista.
   Ich hörte sie knittern, sagte der
Tambour.
   Mehercule! sanguinem emisit,
respondit miles.
   Donnerwetter – erwiderte die
Schildwache, sie blutete ja.
   Miseret me, inquit tympani-
sta, quin non ambo tetigimus!
   Schade, schade, sagte der Tam-
bour, daß wir sie nicht Beide be-
fühlten.
   Eodem temporis puncto, quo
haec res argumentata fuit inter mi-
litem et tympanistam, discepta-
batur ibidem tubicine et uxore sua,
qui tunc accesserunt, et peregrino
praetereunte, restiterunt.
   Zu derselben Zeit, als sich die-
ser Streit zwischen der Schildwache
und dem Tambour erhob, wurde
der gleiche Gegenstand zwischen ei-
nem Trompeter und seiner Frau
erörtert, die dazu gekommen waren
und den Fremden hatten vorüber
reiten sehen.
   Quantus nasus! acque longus
est, ait tubicina, ac tuba.
Benedicite! Welch' eine Nase!
sagte die Frau des Trompeters, die
ist ja so lang wie eine Trompete.
   Et ex eodem metallo, ait tubi-
cen, velut sternutamento audias.
   Und aus dem gleichen Metall,
sagte der Trompeter, wie du am
Niesen hören kannst.
   Tantum abest, respondit illa,
quod fistulam dulcedine vincet.
   O weit entfernt, erwiderte sie,
sie thut so sanft wie eine Flöte.
   Aeneus est, ait tubicen.
   Sie ist von Messing, sagte der
Trompeter.
   Nequaquam, respondit uxor.
   Fällt ihr nicht ein, erwiderte
seine Frau.
   Rursum affirmo, ait tubicen,
quod aeneus est.
   Und ich sage dir, sie ist von Mes-
sing, wiederholte der Trompeter.
   Rem penitus explorabo; prius
enim digito tangam, ait uxor, quam
dormivero.
   Ich werde die Sache näher un-
tersuchen, sagte die Frau, ehe ich
heute schlafen gehe, muß ich sie
mit meinem Finger berühren.
   Mulus peregrini gradu lento
progressus est, ut unumquodque
verbum controversiae, non tantum
inter militem et tympanistam, ve-
rum etiam inter tubicinem et uxo-
rem ejus, audiret.
   Das Maulthier des Fremdlings
schritt so langsam vorwärts, daß
er jedes Wort des Streits sowohl
zwischen dem Soldaten und dem
Tambour als zwischen dem Trom-
peter und dessen Frau hören konnte.
   Nequaquam, ait ille, in muli
collum fraena demittens, et ma-
nibus ambabus in pectus positis
(mulo lente progrediente) nequa-
quam, ait ille respiciens, non ne-
cesse est ut res isthaec dilucidata
foret. Minime gentium! meus na-
sus nunquam tangetur, dum spi-
ritus nos reget artus – Ad quid
agendum? ait uxor burgomagistri.
   Nein, sagte Jener, indem er
dem Maulthier die Zügel auf den
Hals legte und beide Hände über
der Brust kreuzte (während das
Thier langsam weiter ging). Nein!
sagte er, indem er zurücksah, es ist
durchaus nicht nöthig. daß diese
Sache aufgeklärt werde. Nein!
Niemand soll meine Nase berühren,
solange der Geist mir die Kraft
verleiht – Wozu? fragte die Frau
des Bürgermeisters.
   Peregrinus illi non respondit.
Votum faciebat tunc temporis sanc-
to Nicolao; quo facto, in sinum
dextram inserens, e qua negligen-
tei pependit acinaces, lento gradu
processit per plateam Argentorati
latam, quae ad diversorium tem-
plo ex adversum ducit.
   Der Fremdling gab ihr keine
Antwort. Aber er that ein Ge-
lübde zu St Nicolaus; dann steckte
er die Rechte in den Busen, an wel-
cher nachlässig sein Säbel hing und
ritt langsam durch die Hauptstraßen
Straßburgs bis zu dem großen
Gasthof auf dem Marktplatz gegen-
über von dem Münster.
   Peregrinus mulo descendens
stabulo includi, et manticum in-
ferri jussit; qua aperta et coccineis
sericis fermoralibus extractus cum
argenteo laciniato Περιζομαντὲ,
his sese induit, statimque, aci-
naci in manu, ad forum deambu-
lavit.
   Sobald der Fremdling abgestie-
gen war, befahl er sein Maulthier
in den Stall zu führen und seinen
Mantelsack hineinzutragen. Dann
öffnete er diesen und nahm seine
rothseidenen Hosen mit silberbe-
franztem Lätzchen oder Schürzchen
heraus, und spazierte dann mit dem
Säbel in der Hand auf den Pa-
radeplatz.
   Quod ubi peregrinus esset in-
gressus, uxorem tubicinis obviam
euntem aspicit; illico cursum flec-
tit, metuens ne nasus suus explo-
raretur, atque ad diversorium re-
gressus est – exuit se vestibus;
braccas coccineas sericas manticae
imposuit mulumque educi jussit.
   Der Fremdling war kaum hier
eingetreten, als er die Frau des
Trompeters ihm entgegen kommen
sah. Alsbald drehte er um, da er
befürchtete, daß seiner Nase eine
Untersuchung drohte und kehrte
nach dem Gasthof zurück. Dort klei-
dete er sich um, packte seine roth-
seidenen Hosen wieder in den Man-
telsack und befahl sein Maulthier
vorzuführen.
   Francofurtum proficiscor, ait
ille, et Argentoratum quatuor ab-
hinc hebdomadis revertar.
   Ich reise nach Frankfurt, sagte
der Fremdling, und werde von heute
über vier Wochen wieder in Straß-
burg sein.
   Bene curasti hoc jumentum?
ait, muli faciem manu demulcens
– me, manticamque meam, plus
sexcentis mille passibus portavit.
   Ich hoffe, ihr habt dies Thier
gut verpflegt, setzte er hinzu und
strich dem Maulthier mit der Lin
ken über das Gesicht, – es hat mich
und meinen Mantelsack über 600
Stunden weit getragen.
   Longa via est, respondit hos-
pes, nisi plurimum esset negotii. –
Enimvero, ait peregrinus, a Naso-
rum promontorio redivi, et nasum
speciosissimum, egregiosissimum-
que, quem unquam quisquam sor-
titus est, acquisivi.
   Das ist ein weiter Weg, meinte
der Gastwirth, da muß man schon
wichtige Geschäfte haben. – Aller-
dings, erwiderte der Fremdling,
ich komme vom Vorgebirge der Na-
sen und habe mir dort eine der
schönsten, trefflichsten Nasen ange-
schafft, die jemals einem Sterbli-
chen zu Theil geworden ist.
   Dum peregrinus hanc miram
rationem de se ipso reddit, hospes
et uxor ejus, oculis intentis, pe-
regrini nasum contemplantur. –
Per sanctos sanctasque omnes, ait
hospitis uxor, nasis duodecim ma-
ximis in toto Argentorato major
est! – estne, ait illa mariti in
aurem insusurrans, nonne est na-
sus praegrandis?
   Während der Fremdling so Re-
chenschaft von sich gab, betrachteten
Wirth und Wirtin die Nase des
Fremdlings mit gespannter Auf-
merksamkeit. – Bei allen Heiligen!
rief die Wirthin – diese Nase ist
zwölf Mal größer als die größten
in ganz Straßburg! – Nicht wahr,
flüsterte sie ihrem Mann ins Ohr,
es ist eine herrliche Nase?
   Dolus inest, anime mi, ait hos
pes – nasus est falsus.
   Da steckt eine Spitzbüberei da-
hinter, mein Schatz, erwiderte der
Wirth, – die Nase ist offenbar falsch.
   Verus est, respondit uxor. Ex
abiete factus est, ait ille, terebin-
thium olet.
   Sie ist ächt, erwiderte die Wir-
thin. Ich sage, sie ist aus Kiefern-
holz, entgegnete er, sie riecht ja
nach Terpentin.
   Carbunculus inest, ait uxor.
   Es ist ein Karbunkel daran,
sagte die Wirthin.
   Mortuus est nasus, respondit
hospes.
   Es ist eine todte Nase, versetzte
der Wirth.
   Vivus est, ait illa, – et si ipsa
vivam, tangam.
   Nein, sie ist lebendig, sagte sie,
und so wahr ich selbst lebendig bin,
ich werde sie anrühren.
   Votum feci sancto Nicolao, ait
peregrinus, nasum meum intactum
fore usque ad – Quodnam tem-
pus? illico respondit illa.
   Ich habe eine Gelübde bei dem
h. Nicolaus gethan, daß Niemand
meine Nase berühren darf bis –
Bis wann? fragte jene.
   Minime tangetur, inquit ille,
manibus in pectus compositis, us
que ad illam horam — Quam ho-
ram? ait illa. — Nullam, respon
dit peregrinus, donec pervenio ad
– Quem locum? obsecro, ait illa.
– Peregrinus nil respondens mulo
conscenso discessit.
   Niemand soll sie berühren, ver-
setzte er und kreuzte die Hände über
der Brust bis zu der Stunde –
Bis zu welcher Stunde? fragte jene.
– Zu keiner, erwiderte der Fremd-
ling, gelange ich selbst nicht an –
An was? ich beschwöre euch? rief
jene. – Der Fremdling erwiderte
nichts, bestieg sein Maulthier und
ritt weiter.

Der Fremdling hatte auf seinem Wege gen Frankfurt noch nicht eine halbe Stunde zurückgelegt, als bereits ganz Straßburg wegen seiner Nase in Aufruhr war. Die Abendglocken läuteten und riefen die Straßburger, um die Pflichten des Tags mit Gebet abzuschließen: – aber keine Seele in Straßburg hörte sie, – die Stadt war wie ein Bienenschwarm, – Männer, Frauen und Kinder rannten dahin und dorthin (während die Betglocke fortwährend bimmelte) – zur einen Thüre hinein zur andern hinaus – kreuz und quer, die eine Straße hinauf die andere hinunter – in jenes Gäßchen hinein, aus diesem heraus. – Habt ihr sie gesehen? Habt ihr sie gesehen? Habt ihr sie gesehen? O habt ihr sie gesehen? Wer hat sie gesehen? Wer hat sie gesehen? Um Gottes willen, wer hat sie gesehen?

Ach du meine Güte, ich war gerade in der Vesper! – Ich war beim Waschen, beim Stärken, beim Scheuern, beim Nähen. – Ach du lieber Gott, ich habe sie nicht gesehen! – habe sie nicht berührt – o wäre ich doch die Schildwache gewesen, oder der säbelbeinige Tambour, oder der Trompeter oder die Frau Trompeterin, so rief und jammerte es durch alle Straßen und Gassen von Straßburg.

Während diese heillose Verwirrung und Unordnung in der großen Stadt Straßburg triumphirte, war der artige Fremdling auf seinem Maultier so harmlos Frankfurt zu geritten, als ob ihn die ganze Sache nichts anginge, – dabei sprach er den ganzen Weg über in abgebrochenen Sätzen bald mit seinem Maulthier, – bald mit sich selbst, – bald mit seiner Julia.

O Julia, meine holde Julia! – Nein, ich kann nicht halten bleiben, damit du diese Disteln abfrissest. – Daß die verwünschte Zunge eines Nebenbuhlers mich eines solchen Genusses berauben konnte, als ich gerade auf dem Punkte stand ihn zu kosten.

Oh! – es sind nur Disteln – laß sie stehen; – du sollst heute Abend ein besseres Fressen haben.

Aus meinem Vaterlande verbannt, – von meinen Freunden getrennt – von dir!

Armer Teufel! du scheinst sehr ermüdet von deiner Wanderung! – Komm! – schreite etwas rascher aus – es ist ja nichts in meinem Mantelsack als zwei Hemden – die seidenen Hosen – und das Ding mit den Franzen – theure Julia!

Aber warum nach Frankfurt? – gibt es denn eine unsichtbare Hand, die mich geheimnißvoll all diese Schlangenpfade durch harmlose Länder führt?

Es stolpert bei jedem Schritt, bei St. Nicolaus! – Wenn es so fort geht, wird es Nacht bis wir hinkommen –

Geh ich dem Glück entgegen – oder ist es mir beschieden, vom Schicksal und von der Verläumdung mißhandelt zu werden? – soll ich unüberwiesen – ungehört – ungerührt weiter getrieben werden? – Warum blieb ich dann nicht in Straßburg, wo die Gerechtigkeit – aber ich hatte es geschworen! – Komm, du sollst saufen – bei St. Nicolaus – O Julia! – Warum spitzest du die Ohren? Es ist nur ein Mann u. s. w.

Der Fremdling ritt weiter, indem er sich bald an sein Maulthier, bald an Julia wendete, – bis er an seinem Gasthof ankam, wo er alsbald abstieg, dafür besorgt war, daß sein Maulthier, wie er es versprochen hatte, gut verpflegt wurde, – seinen Mantelsack mit den rothseidenen Hosen abschnallte und eine Omelette zum Abendessen bestellte. Dann legte er sich gegen zwölf Uhr zu Bett und war nach fünf Minuten in Schlaf versunken.

Um dieselbe Zeit etwa legte sich die Aufregung in Straßburg für diese Nacht, – die Straßburger gingen ebenfalls zu Bett – aber weder ihre Körper noch ihre Geister genossen der gleichen Ruhe wie der Fremdling. Die Feenkönigin hatte sich der Nase des Fremdlings bemächtigt und sie, ohne daß dadurch ihr Umfang gemindert wurde, in so viele Nasen von verschiedenem Zuschnitt und Form verwandelt, als es Köpfe in Straßburg gab. Die Aebtissin von Quedlinburg, die mit den vier Großwürdenträgerinnen ihres Kapitels, der Priorin, der Dekanin, der Untersängerin und der Oberkanonissin in dieser Woche nach Straßburg gekommen war, um die Universität in einer Gewissensfrage in Betreff ihrer Unterrockschlitze zu Rathe zu ziehen, – war die ganze Nacht krank.

Die Nase des artigen Fremdlings hatte sich auf die Zirbeldrüse ihres Gehirns gesetzt und in den Phantasieen der vier Großwürdenträgerinnen ihres Kapitels einen solchen Aufruhr erregt, daß sie die ganze Nacht hindurch kein Auge zuthun konnten; – sie vermochten kein Glied ruhig zu halten: – kurz als sie aufstanden, sahen sie wie Gespenster aus.

Die Büßerinnen von der dritten Ordnung des h. Franciscus, die Nonnen vom Calvarienberg, die Prämonstratenserinnen, die Clünianerinnen,Hafen Slawkenbergius versteht darunter die Benedictiner Nonnen von Cluny, deren Orden im Jahr 940 durch den Abt Odo von Cluny gestiftet worden war. die Karthäuserinnen und alle strengeren Nonnen-Orden, welche in jener Nacht auf Leintüchern oder härenen Ziechen lagen, waren in einer noch schlimmeren Lage als die Aebtissin von Quedlinburg; indem sie sich die ganze lange Nacht hindurch von der einen Seite ihres Bettes nach der andern warfen und wälzten. Die verschiedenen Schwesterschaften kratzten und prügelten sich fast zu Tode; alle glaubten, der h. Antonius habe sie mit seinem Feuer heimgesucht, um sie zu prüfen; kurz sie hatten von der Vesper bis zum Morgen kein Auge zugethan.

Die Nonnen der h. Ursula handelten am klügsten; sie machten gar nicht den Versuch zu Bett zu gehen.

Der Dekan von Straßburg, die Domherren, die Kapitelherren und Domiciliare, die am Morgen als geistliches Kapitel zusammengetreten waren, um die Frage der Butterwecken in Betracht zu ziehen, wünschten sämmtlich, sie hätten das Beispiel der Ursulinerinnen befolgt.

In der Aufregung und Verwirrung, in der sich in dieser Nacht Alles befunden hatte, hatten die Bäcker total vergessen, ihren Hefenteig anzumachen; – so gab es in ganz Straßburg keine Butterwecken zum Frühstück. – Der ganze Dombezirk befand sich in beständiger Bewegung: – eine solche Ruhelosigkeit und Erregung, ein so eifriges Forschen nach der Ursache dieser Ruhelosigkeit war in Straßburg nicht dagewesen, seitdem Martin Luther die Stadt mit seiner Lehre auf den Kopf gestellt hatte.

Wenn sich die Nase des Fremdlings so die Freiheit nahm, sich in die SpeisenHerr Shandy's Glückwunsch an die Redner! – es ist ihm sehr leid, daß Slawkenbergius hier sein Gleichniß verändert hat – woran er allein die Schuld trägt; – Herr Shandy als Uebersetzer that die ganze Zeit her, was er konnte, um sich genau daran zu halten – hier aber war es unmöglich. der religiösen Orden zu mischen, welch' einen Carneval mußte sie nicht unter denen der Laien anrichten! – Das ist mehr als meine stumpfgeschriebene Feder zu schildern vermag; doch erkenne ich an (ruft Slawkenbergius in einem heitereren Gedankengange als ich von ihm erwartet hätte), daß es gegenwärtig viele gute Gleichnisse auf der Welt gibt, die meinen Landsleuten einige Idee davon geben könnten. Wäre es aber am Schlusse eines solchen, ihnen zulieb geschriebenen Foliobandes, worauf ich den größten Theil meines Lebens verwendet habe, – wenn ich auch zugebe, daß es ein solches Gleichniß geben mag – nicht unvernünftig von ihnen, wenn sie erwarten würden, daß ich übrige Zeit und Lust habe, um ihm nachzuspüren? Es genüge, wenn ich sage, daß die Verwirrung und Unordnung, die dasselbe in den Phantasieen der Straßburger anrichtete, so allgemein war, – alle ihre geistigen Fähigkeiten in so überwältigender Weise beherrschte, – daß so viele seltsame Dinge mit gleicher Zuversicht von allen Seiten und mit gleicher Beredsamkeit an allen Orten hierüber besprochen und betheuert wurden, daß der ganze Strom der Unterhaltung und Verwunderung in dieser Richtung floß. Jede Menschenseele, die Guten und die Bösen, die Reichen und die Armen, die Gelehrten und die Ungelehrten, Doctoren und Studenten, Frauen und Mädchen, Edle und Bürgerliche, Nonnenfleisch und Weiberfleisch in Straßburg brachte die ganze Zeit damit zu, Neues hierüber in Erfahrung zu bringen; – jedes Auge in Straßburg schmachtete darnach die Nase zu sehen, – jeder Finger, jeder Daumen in Straßburg brannte sie zu befühlen.

Was aber dieses heftige Verlangen noch steigerte, wenn es überhaupt noch dessen bedurfte, war, daß Schildwache, krummbeiniger Tambour, Trompeter, Trompeters Weib, Bürgermeisters Frau, Wirth und Wirthin, wie weit sie auch in ihren Beschreibungen der Nase des Fremdlings auseinander gingen, – alle in zwei Punkten vollkommen miteinander übereinstimmten: – nämlich daß er nach Frankfurt gegangen sei und in Monatsfrist nach Straßburg zurückkehren werde; und zweitens, daß, mochte seine Nase nun eine ächte oder falsche sein, der Fremdling selbst eines der vollkommensten Schönheitsmuster – der feinste Mann unter der Sonne – der edelste, – der freigebigste – der artigste in seinem ganzen Wesen, der jemals Straßburg betreten, gewesen sei; – daß wie er so mit dem Säbel leicht am Handgelenk hängend durch die Straßen geritten – wie er in seinen rothseidenen Hosen über den Paradeplatz gegangen sei – er dies mit einem milden Ausdruck sorgloser Bescheidenheit und doch zugleich so männlich gethan habe, – daß er (falls seine Nase nicht im Wege gestanden wäre) das Herz jeder Jungfrau, die das Auge auf ihn geworfen, in Gefahr gebracht haben würde.

Ich kann ein Herz, welches dem Pulsiren und Schmachten einer so erregten Neugierde fremd ist, nicht auffordern die Aebtissin von Quedlinburg, die Priorin, die Decanin und die Untersängerin zu entschuldigen, weil sie Nachmittags nach dem Weibe des Trompeters schickten. Letztere schritt mit der Trompete ihres Mannes in der Hand durch die Straßen von Straßburg – es war dies der beste Apparat, den ihr die Kürze der Zeit – sie konnte nicht länger als drei Tage bleiben – gestattete, um ihre Theorie zu verdeutlichen.

Und die Schildwache und der säbelbeinige Tambour! – O diesseits des alten Athen kam ihnen nichts gleich; sie hielten ihre Vorlesungen an alle Kommenden und Gehenden unter den Stadtthoren und mit derselben Würde wie ein Chrysippus, ein Crantor unter seinem Porticus.

Der Gastwirth mit seinem Hausknecht zur Linken hielt seine Vorlesung in dem gleichen Stil – unter der Halle oder dem Thorweg seines Stallhofes; – seine Frau die ihrige etwas abgeschlossener in einem hinteren Zimmer. Jedermann strömte zu ihren Reden; nicht untereinander – sondern bald zu dieser bald zu jenem, wie dies bei solchen Dingen stets der Fall ist, wo Glaube und Leichtgläubigkeit führten. Mit einem Wort jeder Straßburger drängte sich nach Wissen, und jeder Straßburger erhielt auch das Wissen, dessen er bedurfte.

Für alle Beweisführungen aus der Naturphilosophie ist die Thatsache bemerkenswerth, daß sobald das Trompetersweib die Privatstunde, welche sie der Aebtissin von Quedlinburg gab, beendigt hatte, und nun öffentlich zu sprechen begann, was sie von einem Stuhl in der Mitte des Paradeplatzes aus that – sie die anderen Redner dadurch wesentlich beeinträchtigte, daß sie sofort das feinste Publikum von Straßburg um sich versammelte. – Freilich (ruft Slawkenbergius aus) wenn ein über Philosophie Sprechender über eine Trompete verfügt, wie kann da ein Nebenbuhler in der Wissenschaft beanspruchen, sich neben ihm noch Gehör zu verschaffen?

Während die Ungelehrten mittelst dieser Kanäle der Mittheilung auf den Grund des Brunnens zu kommen bemüht waren, wo die Wahrheit ihren kleinen Hof hält, – versuchten die Gelehrten es auf ihre Weise sie durch die Röhren dialektischer Induction herauszupumpen; – sie befaßten sich nicht mit Tatsachen, – sie raisonnirten.

Kein Beruf würde auch wirklich mehr Licht über diese Sache verbreitet haben als die Facultät, – wären nicht alle ihre Disputationen in Fleisch- und Wassergeschwülsten verlaufen, die sie um Alles in der Welt nicht vermeiden konnten. – Aber des Fremdlings Nase hatte weder mit Fleisch- noch mit Wassergeschwülsten etwas zu schaffen.

Doch wurde zur Genüge nachgewiesen, daß eine so gewaltige Masse heterogenen Stoffes sich, solange sich das Kind noch in utero befand, nicht an der Nase sammeln und vereinigen konnte, ohne das statische Gleichgewicht des Fötus zu zerstören und ihn neun Monate vor der Zeit mit einem Ruck auf den Kopf zu stellen.

Die Opponenten gaben die Theorie zu, – aber sie bestritten die Folgerungen.

Und, sagten sie, wenn nicht ein gehöriger Vorrath von Blut- und Pulsadern u. s. w. für die richtige Ernährung einer solchen Nase schon in die ersten Stamina oder Grundzüge ihrer Bildung gelegt worden wäre, ehe sie zur Welt kam, so hätte sie (den Fall einer Fleischgeschwulst ausgenommen) später nicht regelmäßig wachsen und unterhalten werden können.

Dies wurde in einer Dissertation über die Nahrung und die Wirkung, welche die Nahrung auf die Ausdehnung der Gefäße, sowie auf das Wachsthum und die Verlängerung der Muskeltheile der größten Größe und denkbarsten Ausdehnung übe, widerlegt. – Im Uebermaß dieser Theorie verstiegen sie sich zu der Behauptung, es liege in der Natur kein Hinderniß vor, warum eine Nase nicht so groß werden könne, wie der Mensch selbst.

Die Gegner überzeugten die Welt, daß ein solches Ereigniß nie eintreten könne, solange ein Mensch nur einen Magen und ein Paar Lungen habe; – denn, sagten sie, da der Magen das einzige Organ zur Aufnahme der Nahrung und Verwandlung derselben in Milchsaft, und die Lunge die einzige Maschine zur Blutbereitung sei, – so könne jener nicht mehr verarbeiten, als ihm der Hunger zuführe; und wenn man auch zugebe, daß ein Mensch seinen Magen überladen könne, so habe die Natur doch der Lunge Grenzen gesetzt, – diese Maschine sei von einer bestimmten Größe und Stärke und könne in einer gegebenen Zeit nur eine gewisse Menge verarbeiten, – das heißt, sie könne eben nur soviel Blut bereiten, als für einen einzigen Menschen hinreichend sei und nicht mehr; so daß wenn die Nase so groß wäre wie der Mensch, nothwendig der Eine oder die Andere zu kurz kommen müsse; und da Beide unmöglich erhalten werden könnten, müsse entweder die Nase von dem Menschen abfallen oder der Mensch von der Nase.

Die Natur bequemt sich Notfällen immer an, riefen die Widersacher, was würde denn sonst aus einem ganzen Magen und einer ganzen Lunge in einem halben Menschen, das heißt, wenn ihm unglücklicherweise beide Füße abgeschossen wären?

Er stirbt an Plethora (Ueberfülle), erwiderten jene, – oder er spuckt Blut und stirbt nach vierzehn Tagen oder drei Wochen an der Auszehrung.

Das geschieht aber nicht, entgegnen die Ersteren.

Aber es müßte geschehen, sagten die Letzteren.

Die wißbegierigeren und energischeren Forscher auf dem Gebiete der Natur und ihrer Thaten gingen zwar eine gute Strecke zusammen, doch trennten sie sich über die Nase selbst fast so weit als die Mitglieder der Facultät.

Sie sprachen sich freundschaftlich dahin aus, daß in den verschiedenen Theilen des menschlichen Körpers eine richtige, geometrische Ordnung und Auftheilung im Verhältniß zu ihren verschiedenen Bestimmungen, Zwecken und Obliegenheiten bestehe, über die sie nur innerhalb gewisser Grenzen hinausgehen könne; – daß die Natur sich allerdings Spiele erlaube – aber doch nur innerhalb eines gewissen Kreises; – freilich über den Durchmesser dieses Kreises konnten sie sich nicht vereinigen.

Die Logiker hielten sich strenger an den vorliegenden Fall als die übrigen Classen der Literaten; – das Wort Nase war ihr erstes und letztes Wort; und hätte sich nicht einer ihrer fähigsten Köpfe gleich bei Beginn des Kampfes in eine petitio principii verrannt, so wäre der Streit sofort festgestellt worden.

Eine Nase, folgerte der Logiker, kann nicht bluten ohne daß sie Blut, – und zwar nicht nur Blut – sondern darin circulirendes Blut hat, um jene Erscheinung in einer Folge von Tropfen zu bewirken – (ein Strom ist nur eine raschere Folge der Tropfen, und somit darin einbegriffen, sagte er) – da nun der Tod, fuhr der Logiker fort, nichts anders ist als das Erstarren des Bluts –

Ich läugne diese Begriffsbestimmung: – der Tod ist die Trennung der Seele vom Körper, sagte sein Gegner. – Dann sind wir über unsere Waffen nicht einig, erwiderte der Logiker. – Dann hat auch der Streit ein Ende, versetzte der Andere.

Die Verfechter des römischen Rechts waren noch schneidiger, was sie vorbrachten war mehr eine Art Beschluß – als eine Disputation.

Wenn, sagten sie, eine so ungeheuerliche Nase eine wirkliche Nase gewesen wäre, so hätte man sie nicht in der bürgerlichen Gesellschaft dulden können; – war sie aber falsch, so war der Versuch, die Gesellschaft durch solche unächte Zeichen und Erscheinungen zu täuschen, eine noch stärkere Verletzung ihrer Rechte und hätte um so weniger Gnade verdient.

Der einzige Einwurf gegen diese Aufstellung war, daß, wenn sie etwas bewies, sie bewies, daß des Fremdlings Nase weder ächt noch falsch war.

Hierdurch ward Raum zur Fortsetzung des Streits gewonnen. Die Anwälte des geistlichen Gerichtshofs stellten den Satz auf, daß nichts im Wege stehe, hierüber ein Decret zu erlassen, da der Fremdling ja ex mero motu zugestanden habe, er sei auf dem Vorgebirge der Nasen gewesen und habe dort eine der schönsten erhalten u. s. w. – Hierauf wurde erwidert, es sei gar nicht möglich, daß es ein Vorgebirg der Nasen gebe, ohne daß die Gelehrten wüßten, wo es läge. Der Commissär des Bischofs von Straßburg griff die Anwälte an und erklärte die Sache in einer Abhandlung über sprichwörtliche Phrasen, worin er zeigte, daß das Vorgebirg der Nasen nur ein allegorischer Ausdruck sei, der nicht mehr heißen solle, als daß die Natur ihm eine lange Nase verliehen habe: zum Beweis dafür führte er mit großer Gelehrsamkeit die hier untenNonnulli ex nostratibus eadem loquendi formula utun. Quinimo et Logistae et Canonistae. — Vid. Parce Barne Jas in d. L. Provincial. Constitut. de conjec. vid. Vol. Lib. 4. Titul. 1. n. 7. qua etiam in re conspir. Om. de Promontorio Nas. Tichinate. ff. d. tit. 3. fol. 189 passim. Vid. Glos. de contrahend. empt. etc. necnon J. Scrudr. in cap. §. refut. per totum. Cum his conf. Rever. J. Tubal, Sentent. et Prov. cap. 9. ff. 11, 12, obiter. V. et Librum, cui Tit. de Terris et Phras. Belg. ad finem, cum comment. N. Bardy Belg. Vid. Scrip. Argentoratens. de Antiqu. Ecc. in Episc. Archiv, fîd. coll. per Von Jacobum Koinshoven Folio Argent. 1583. praecip. ad finem. Quibus add. Rebuff in L. obvenire de Signif. Nom. ff. fol. et de jure Gent, et Civil, de protib. aliena feud. per federa, test. Joha. Luxius in prolegom. quem velim. videas, de Analy. Cap. 1, 2, 3. Vid. Idea. bezeichneten Autoritäten an, welche den Streitpunkt unzweifelhaft entschieden hätten, hätte es sich nicht gezeigt, daß ein Streit in Betreff einiger Freiheiten von Dekanats- und Kapitel-Gütern 19 Jahre früher gleichfalls dadurch entschieden worden war.

Es geschah nun – ich kann nicht sagen zum Nachtheil für die Wahrheit, weil diese dadurch in einer anderen Richtung wieder verstärkt wurde, – daß die zwei Universitäten Straßburgs, – die im Jahr 1538 durch den Rathsherrn Jacobus Sturmius gestiftete Lutherische, – und die durch den Herzog Leopold von Oesterreich gegründete Katholische, – damals gerade die ganze Tiefe ihrer Gelehrsamkeit (mit Ausnahme desjenigen Theils, der durch die Unterrockschlitze der Aebtissin von Quedlinburg in Anspruch genommen wurde) darauf verwendeten, – sich über Martin Luthers Verdammniß endgiltig auszusprechen.

Die katholischen Theologen hatten es unternommen, a priori zu beweisen, daß Luther in Folge des notwendigen Einflusses der Planeten am 22. Tag des Octobers 1483 – da sich der Mond im zwölften, Jupiter, Mars und Venus im dritten, Sonne, Saturn und Merkur im vierten Hause befanden, – selbstverständlich und unvermeidlich verdammt sein müsse und daß seine Lehren deshalb in direkter Schlußfolge gleichfalls verdammte Lehren sein müßten.

Aus der Betrachtung seines Horoskops, wobei fünf Planeten zugleich mit dem ScorpionHaec mira, satisque horrenda. Planetarum coitio sub Scorpio asterismo in nona coeli statione, quam Arabes religioni deputabant, efficit Martinum Lutherum sacrilegium hereticum, Christianae religionis hostem acerrimum atque profanum, ex horoscopi directione ad Martis coitum, religiosissimus obiit, ejus anima selectissima ad infernos navigavit, — ab Alecto, Tisiphone, et Megara flagellia igneis cruciata perenniter. (wenn mein Vater dies las, pflegte er stets den Kopf zu schütteln) im neunten Hause, das die Araber der Religion zuweisen, im Einklang waren, – ergab sich, daß sich Martin Luther keinen Deut um die Sache kümmerte; – und aus dem in Conjunction mit Mars gebrachten Horoskop wiesen sie gleichfalls klar nach, daß er unter Flüchen und Lästerungen sterben müsse; und daß dann seine Seele mit solchem Mehlthau belastet (und in Schuld getaucht) vor dem Wind in das Meer des höllischen Feuers segeln müsse.

Der kleine Einwurf, den die lutherischen Doctoren hiegegen erhoben, bestand darin, daß es ganz sicher die Seele eines anderen am 22. October 1483 geborenen Mannes sein müsse, die auf diese Art vor dem Wind dahin zu fahren genöthigt sei, – insofern aus den Geburtsregistern von Eisleben in der Grafschaft Mannsfeld sich ergebe, daß Luther nicht im Jahr 1483 geboren sei, sondern 1484; und nicht am 22. Tag des Octobers, sondern am 10. des Novembers, am Vorabend des Martinstags, woher er auch den Namen Martin erhalten habe.

(– Ich muß meine Uebersetzung hier einen Augenblick unterbrechen; denn thät ich es nicht – so bin ich überzeugt, würde ich meine Augen ebenso wenig schließen können wie die Aebtissin von Quedlinburg. – Ich muß dem Leser nämlich sagen, daß mein Vater diese Stelle aus Slawkenbergius meinem Onkel Toby niemals ohne triumphirenden Ausdruck vorlas, – nicht über meinen Onkel Toby, denn dieser erhob niemals eine Einwendung dagegen, – sondern über die ganze Welt. Du siehst jetzt, Bruder Toby, pflegte er zu sagen, indem er die Augen zum Himmel erhob, daß Taufnamen keineswegs so gleichgiltige Dinge sind; – hätte Luther einen anderen Namen bekommen als Martin, so wäre er in alle Ewigkeit verdammt worden; – nicht daß ich Martin für einen besonders guten Namen hielte, pflegte er hinzuzusetzen, – weit entfernt, – er ist etwas besser als ein gleichgiltiger, aber nicht viel – aber so wenig er auch zu bedeuten hat, so kann man doch sehen – daß er Luthern von Vortheil war.

Mein Vater wußte so gut wie der beste Logier, wie schwach dieser Pfeiler seiner Hypothese war, – aber so ist nun einmal die Schwäche des Menschen: da er ihm gerade in den Weg kam, so hätte er sich um sein Leben nicht enthalten können, Gebrauch davon zu machen; und gewiß geschah es aus diesem Grunde, daß, obschon es in Hafen Slawkenbergius' Dekaden noch viele Erzählungen gab, die ganz ebenso unterhaltend waren wie die, welche ich hier übersetze, mein Vater doch keine derselben auch nur mit halb dem Vergnügen las wie diese; – sie schmeichelte zugleich zweien seiner seltsamsten Hypothesen – der Namen- und der Nasen-Hypothese. – Ich darf sagen, er hätte alle Bücher der Alexandrinischen Bibliothek lesen können, – wenn nicht das Schicksal anderweitig über sie verfügt hätte, – ohne daß er ein Buch oder eine Stelle in einem Buche gefunden hätte, die so wie diese zwei Nägel mit einem Schlag auf den Kopf traf.)

Die zwei Universitäten Straßburgs arbeiteten stark an dieser Schifffahrt Luther's. Die protestantischen Doctoren hatten nachgewiesen, daß er gar nicht vor dem Wind segelte, wie die katholischen behauptet hatten; und da jedermann wußte, daß man dem Wind nicht gerade entgegen segeln kannte, so waren sie im Begriff festzustellen, um wie viel Striche er, falls er überhaupt segelte, außerhalb der Linie gewesen sei; ob Martin das Cap umsegelt oder an einer Küste unter dem Wind Anker geworfen habe; und da dies ohne Zweifel eine höchst erbauliche Forschung war, wenigstens für diejenigen, welche sich auf diese Art von Schifffahrt verstanden, wären sie trotz der Größe der Nase des Fremdlings damit vorgegangen, hätte nicht die Größe der Nase des Fremdlings die Aufmerksamkeit der Welt von dem abgezogen, bei dem sie gerade waren; – es war daher ihres Amts, der Welt zu folgen.

Die Aebtissin von Quedlinburg und ihre vier Würdenträgerinnen konnten sie nicht aufhalten; denn da der ungeheure Umfang der Nase des Fremdlings ihre Phantasien ebenso sehr beschäftigte wie jener Gewissensfall – so erkaltete die Sache mit den Rockschlitzen; – mit einem Wort, die Setzer erhielten die Weisung ihre Lettern abzulegen: – alle Streitereien hierüber wurden einstweilen bei Seite gestellt.

Man konnte eine viereckige Mütze mit einer silbernen Troddel darauf gegen eine Nußschaale wetten, wer errathen würde, auf welche Seite der Nase sich die zwei Universitäten spalten würden.

Das geht über die Vernunft, riefen die einen Doctoren.

Nein, unter die Vernunft, sagten die anderen.

Es ist glaubhaft, behauptete der Eine.

Possen sind's, sagte der Andere.

Möglich ist's, rief dieser.

Es ist ganz unmöglich, erwiderte jener.

Gottes Macht ist unendlich, erklärten die Nasenmänner, er kann Alles.

Er kann keinen Widerspruch gegen sich selbst begehen, sagten die Antinasenmänner.

Er kann machen, daß der Stoff denkt, sagten die Nasenmänner.

Ja, so gut ihr aus einem Schweinsohr eine Sammtmütze machen könnt, erwiderten die Antinasenmänner.

Er kann aus zwei Mal zwei Fünf machen, versetzten die katholischen Doctoren.

Nichts nutz! entgegneten die Lutherischen.

Allmacht ist nun einmal Allmacht, sagten die Doctoren, welche für die Wirklichkeit der Nase einstanden.

Die bezieht sich nur auf mögliche Dinge, versetzten die Lutheraner.

Bei Gott im Himmel! schrien die katholischen Doctoren, Er kann, wenn er es für passend hält, eine Nase machen, so groß wie der Straßburger Münsterthurm.

Da nun aber der Straßburger Thurm der dickste und höchste aller Kirchthürme der Welt ist, so läugneten die Antinasenmänner, daß man eine Nase von 575 geometrischer Fußlänge tragen könne, wenigstens nicht ein Mann von mittlerer Größe. –

Die katholischen Doctoren schwuren, er könne es: – die lutherischen sagten: Nein, er könne es nicht.

Hieraus entspann sich ein neuer Streit über die Ausdehnung und die Beschränkung der moralischen und natürlichen Eigenschaften Gottes, den sie längere Zeit verfolgten. – Der Streit führte sie ganz natürlich zu Thomas Aquinas, und von Thomas Aquinas zum Teufel.

In diesem Streit hörte man nichts mehr von der Nase des Fremdlings; – sie that jetzt nur noch den Dienst einer Fregatte, welche jene in den Golf der scholastischen Theologie schleppte, und dann segelten sie alle vor dem Wind.

Je weniger wirkliches Wissen, desto mehr Hitze und Aufregung.

Der Streit über Attribute, – statt die Einbildungskraft der Straßburger abzukühlen, – entflammte sie im Gegentheil in einem außerordentlichen Grade. – Je weniger sie von der Sache verstanden, desto größer war ihre Verwunderung darüber; – sie sahen sich in allen Nöthen unbefriedigten Verlangens – sahen ihre Doctoren, die Parchmentarier (Pergamentisten), die Brassarier (Messingisten), die Turpentarier (Terpentinisten) auf der einen Seite, – die katholischen Doctoren auf der andern, wie Pentagruel und seine Gefährten im Suchen nach dem Orakel der Flasche,Rabelais Liv. IV. Chap. 1 etc. sämmtliche außer Sicht in See.

Und die armen Straßburger standen am Ufer und hatten das Nachsehen. Was war da zu thun? – Man durfte nicht säumen; – die Aufregung stieg – Alles war aus Rand und Band – die Stadtthore standen offen.

Ihr unglücklichen Straßburger! im Magazin der Natur, in der Rumpelkammer der Gelehrsamkeit, im großen Arsenal des Zufalls war auch nicht ein einziges Werkzeug, das nicht benutzt worden wäre, um eure Neugierde zu quälen, euer Verlangen auf die Folter zu spannen, das die Hand des Schicksals nicht gegen eure Herzen gerichtet hätte! – Ich tauche keineswegs die Feder in meine Tinte, um eure schließliche Ergebung zu entschuldigen, – nein, sondern um euer Lob zu singen. Man zeige mir eine so von Erwartung gefolterte Stadt, – die 27 Tage lang nicht aß, nicht trank, nicht schlief, nicht betete, nicht auf den Ruf der Religion und Natur hörte, und die es einen Tag länger ausgehalten hätte.

Am achtundzwanzigsten hatte der höfliche Fremdling versprochen, nach Straßburg zurückzukehren.

Siebentausend Kutschen (Slawkenbergius hat ohne Zweifel in seinen Zahlen einen kleinen Irrthum begangen), 7000 Kutschen, – 15,000 Einspänner, – 20,000 Leiterwagen, so voll gepfropft als möglich mit Senatoren, Rathsherren, Syndicis, – Beguinen, Wittwen, Frauen, Jungfrauen, Domherren, Konkubinen, alle in ihren Kutschen: – die Aebtissin von Quedlinburg, mit der Priorin, der Dekanin, und der Untersängerin an der Spitze des Zugs in einer Kutsche, der Dekan von Straßburg mit den vier Großwürdenträgern seines Kapitels zu ihrer Linken, – die übrigen Einwohner untereinander hinterdrein, Einige zu Pferde, – Andere zu Fuß, – Einige geführt, – Andere gezogen, – ein Theil auf dem Rhein, – ein Anderer auf diesem und jenem Wege – Alle, Alle zogen vor Tagesanbruch aus, um dem artigen Fremdling unterwegs zu begegnen.

Nun rasch zur Katastrophe meiner Erzählung, – ich sage Katastrophe (sagt Slawkenbergius), da eine richtig gefügte Erzählung sich nicht nur der Katastrophe und Peripeitia eines Drama's erfreut (gaudet), sondern auch aller andern wesentlichen und integrirenden Theile eines solchen: – sie hat ihre Protasis, Epitasis, Katastasis, ihre Katastrophe oder Peripeitia, wobei die eine aus der andern nach der zuerst von Aristoteles festgestellten Ordnung hervorgeht, – ohne welche man lieber gar keine Erzählung macht, sagt Slawkenbergius, sondern sie bei sich behält.

In allen meinen zehn Erzählungen, in allen meinen zehn Dekaden habe ich, Slawkenbergius, jede Erzählung so fest und genau an diese Regel gebunden, wie die vorliegende von dem Fremdling und seiner Nase.

– Die Protasis oder die Einleitung geht vom ersten Gespräch mit der Schildwache bis zu seinem Verlassen der Stadt Straßburg, nachdem er seine rothseidenen Hosen wieder ausgezogen hat; – hiebei werden die Charaktere der personae dramatis leicht skizzirt und der Gegenstand selbst sachte begonnen.

Die Epitasis, worin die Handlung schon energischer auftritt, bis sie den Zustand oder die Höhe erreicht, welche Catastasis heißt, und die gewöhnlich den zweiten und dritten Act einbegreift, ist in jener thätigen Periode meiner Erzählung zwischen dem ersten nächtlichen Aufruhr wegen der Nase bis zu dem Schlusse der Vorlesungen der Trompetersfrau hierüber in der Mitte des großen Paradeplatzes enthalten. Die Zeit von der ersten Einschiffung der Gelehrten des Streits wegen bis zu ihrem schließlichen Wegsegeln und Zurücklassen der Straßburger in Noth am Ufer, heißt die Catastasis oder das Heranreifen der Ereignisse und Leidenschaften bis zu ihrem Losbrechen im fünften Act.

Dieser beginnt mit der Ausfahrt der Straßburger auf der Straße nach Frankfurt und endet mit dem Entwirren des Labyrinths und dem Verbringen des Helden aus einem Zustand der Aufregung (wie es Aristoteles nennt) zu einem solchen der Ruhe und des Friedens.

Dieser Act, sagt Hafen Slawkenbergius, bildet die Catastrophe oder Peripeitia meiner Erzählung, und diesen Theil derselben werde ich nun vornehmen.

Wir ließen den Fremdling schlafend hinter dem Vorhang; jetzt tritt er auf die Bühne.

Weshalb spitzest du die Ohren? – Es ist nur ein Mann zu Pferde, – war das letzte Wort, das wir von dem Fremdling hörten.

Es war damals nicht am Platze, dem Leser zu sagen, daß das Maulthier seinem Herrn glaubte und ohne weitere Wenn und Aber den Reisenden und sein Roß vorüber ließ.

Der Reisende beeilte sich sehr, um noch in dieser Nacht nach Straßburg zu kommen. Welch' ein Narr bin ich doch! sagte der Reisende zu sich selbst, als er etwa eine Wegstunde weiter geritten war, daß ich durchaus noch heute Nacht nach Straßburg gelangen will! Nach Straßburg – dem großen Straßburg! – Der Hauptstadt des Elsasses! nach Straßburg, der kaiserlichen Stadt! nach Straßburg, der freien Reichsstadt! in der 5000 der besten Truppen der Welt liegen! – Ach! selbst wenn ich jetzt vor den Thoren von Straßburg stünde, ich käme nicht für einen Dukaten hinein, – nein! nicht für anderthalb Dukaten: – es ist zu viel – besser ich kehre wieder nach dem letzten Gasthof zurück, in dem ich war – als daß ich mich wer weiß wo niederlegen, – oder wer weiß was zahlen muß. Nachdem der Reisende bei sich selbst diese Betrachtungen angestellt hatte, wendete er den Kopf seines Pferdes um und langte drei Minuten, nachdem man unserem Fremdling sein Zimmer gewiesen hatte, gleichfalls in demselben Gasthofe an. – Wir haben Schinken im Hause und Brod, sagte der Wirth; – und bis heute Abend 11 Uhr hatten wir auch drei Eier; aber ein Fremdling, welcher vor einer Stunde anlangte, hat sich einen Eierkuchen daraus machen lassen, und jetzt haben wir nichts.

Ach, sagte der Reisende, ich bin so ermüdet, daß ich nur ein Bett brauche. – Ich habe ein so weiches als irgend eins im ganzen Elsaß, erwiderte der Wirth.

Eigentlich, fuhr er fort, hätte der Fremdling darin schlafen sollen, denn es ist mein bestes Bett, aber es ging nicht wegen seiner Nase. – Er hat wohl einen rechten Schnupfen? sagte der Reisende. – Ich wüßte nicht, erwiderte der Wirth; aber es ist ein Feldbett und Jacinta, fuhr er fort und sah das Zimmermädchen an, meinte, er werde darin nicht Platz haben, um seine Nase umzudrehen. – Wie so das? rief der Reisende und fuhr in die Höhe. – Seine Nase ist so gar lang, erwiderte der Wirth. – Der Reisende schaute auf Jacinta, dann auf den Boden, – kniete dann auf sein rechtes Knie und legte die Hand auf die Brust. – Scherzt nicht mit meiner Angst, sagte er dann und erhob sich. – Es ist kein Scherz, erwiderte Jacinta, es ist eine wundervolle Nase! – Der Reisende fiel abermals auf sein Knie, – legte die Hand auf die Brust – und sprach, indem er das Auge zum Himmel erhob: Dann hast du mich an das Ende meiner Wanderschaft geführt – dann ist's Diego!

Der Reisende war der Bruder derselben Julia, die der Fremdling während er auf seinem Maulthier von Straßburg herritt, so oft angerufen hatte; er kam in ihrem Auftrag, um den Fremdling aufzusuchen. Er hatte seine Schwester von Valladolid über die Pyrenäen durch Frankreich begleitet und hatte in seiner Verfolgung durch die vielfachen Krümmungen und schroffe Absprünge, wie sie der Dornenpfad eines Liebhabers mit sich bringt, manchen Knäuel abzuwickeln gehabt.

Julia war den Anstrengungen erlegen, – in Lyon vermochte sie keinen Schritt weiter zu reisen; sie erkrankte hier an den vielen Unruhen eines zärtlichen Herzens, von denen Alle sprechen, – die aber nur Wenige fühlen, – hatte jedoch noch soviel Kraft, um einen Brief an Diego zu schreiben; und nachdem sie ihren Bruder beschworen, nicht wieder zu ihr zurückzukehren, bis er ihn aufgefunden und ihm den Brief übergeben hätte, legte sich Julia auf das Krankenlager.

Fernandez (dies war der Name ihres Bruders) konnte in seinem Bett kein Auge schließen, obgleich es so weich war wie irgend eines im Elsaß. – Sobald der Tag angebrochen war und er hörte, daß Diego sich erhoben hatte, trat er bei ihm ein und entledigte sich des Auftrags seiner Schwester.

Im Brief stand Folgendes.

Herr Diego,

Mag mein Verdacht in Betreff Eurer Nase ein berechtigter gewesen sein oder nicht, – darum handelt es sich jetzt nicht; – es ist genug, daß ich nicht Entschlossenheit genug besaß, um es näher zu untersuchen.

Wie habe ich mich doch so wenig gekannt, als ich meine Duenna zu Euch schickte, um Euch zu verbieten, je wieder unter mein Gitter zu kommen? Und wie habe ich Euch so wenig gekannt, Diego, daß ich glauben konnte, Ihr würdet auch nur einen Tag länger in Valladolid bleiben, um meine Zweifel zu heben? – Mußtet Ihr mich verlassen, Diego, weil man mich getäuscht hatte? oder war es freundlich, mich beim Wort zu nehmen, mochte nun mein Verdacht gerecht sein oder nicht, und mich zu verlassen, wie Ihr thatet, eine Beute so großer Ungewißheit und Betrübniß?

Wie schmerzlich Julia dies empfunden hat, – wird Euch mein Bruder erzählen, wenn er diesen Brief in Eure Hände legt; er wird Euch sagen, wie bald sie die übereilte Botschaft, die sie Euch sandte, bereut hat, – in welch' wilder Hast sie nach ihrem Gitter stürzte, und wie viel Tage und Nächte sie unbeweglich auf ihrem Ellbogen lehnte und nach dem Wege ausschaute, woher Diego zu kommen pflegte.

Er wird Euch erzählen, wie sie, als sie hörte, Ihr seiet abgereist, fast den Verstand verlor, wie ihr Herz litt, – wie jämmerlich sie klagte, – wie tief sie den Kopf hängen ließ. O Diego! wie manchen sauern Schritt machte ich an der Hand meines mitleidigen Bruders, um Euch wieder zu finden! wie hat die Sehnsucht mich soviel weiter geführt, als meine Kraft ging! – wie oft bin ich unterwegs ohnmächtig geworden und ihm in die Arme gesunken, nur noch fähig zu rufen. O mein Diego!

Wenn Euer Herz Eurem edeln Wesen entspricht, so werdet Ihr jetzt ebenso rasch zu mir fliegen, als Ihr mir entflohen seid: – aber eilet so sehr Ihr möget – Ihr werdet doch nur kommen, um mich sterben zu sehen. – Das ist ein bitteres Tränklein, Diego; aber ach! es wird dadurch noch bitterer, daß ich sterben soll ohne –!«

Sie konnte nicht weiter!

Slawkenbergius ist der Ansicht, sie habe schreiben wollen: »ohne mich überzeugen zu lassen«; aber ihre Schwäche ließ sie den Brief nicht vollenden.

Als der artige Diego den Brief las, ging ihm das Herz über: – er befahl, daß man alsbald sein Maulthier und das Pferd des Fernandez satteln solle; und da bei solchen Herzensstürmen – wo der Zufall, der uns ebenso oft zu einem Heilmittel als zu einer Krankheit führt, uns ein Stück Holzkohle in das Fenster schleudert – uns die Poesie weit mehr Luft macht als die Prosa, griff Diego zu der Holzkohle; und während der Hausknecht sein Maulthier fertig machte, erleichterte er sein Gemüth durch folgenden Vers, den er an die Wand schrieb:

Ode.
        Hart erklingt das Notenheer der Liebe,
Bis den Schlüssel meine Julia faßt;
Ihre Hand nur darf den Theil berühren,
Dessen süße Triebe
Unser ganzes Herz verführen,
Hin uns reißen in sympath'scher Hast.
2.
O Julia!

Diese Zeilen waren so natürlich – denn sie paßten gar nicht für den Fall, sagt Slawkenbergius, und es ist wirklich Schade, daß es nicht mehr waren; aber entweder war Herr Diego etwas langsam im Versmachen – oder der Hausknecht besonders flink im Satteln von Maulthieren, – die Sache ist nicht klar gestellt; gewiß ist nur, daß Diegos Maultier und Fernandez' Pferd vor der Thüre des Wirthshauses bereit standen, ehe Diego mit seinem zweiten Vers fertig war. So stiegen sie, ohne die Vollendung der Ode abzuwarten, auf, ritten hinaus, passirten den Rhein, ritten durch das Elsaß, richteten ihren Marsch auf Lyon, und ehe die Straßburger, und die Aebtissin von Quedlinburg ihren Auszug angetreten, hatten Fernandez, Diego und seine Julia bereits die Pyrenäen überschritten und waren glücklich in Valladolid angelangt.

Wir brauchen den geographiekundigen Leser nicht erst zu belehren, daß, während sich Diego bereits in Spanien befand, es nicht möglich war, dem artigen Fremdling auf der Straße nach Frankfurt zu begegnen. Es mag genügen, wenn ich sage, daß, da von allen unruhigen Begierden die Neugierde die gewaltigste ist, – die Straßburger die ganze Macht derselben empfanden; und daß sie von der stürmischen Wuth dieser Leidenschaft drei Tage und Nächte auf der Frankfurter Straße hin- und hergeworfen wurden, ehe sie sich entschließen konnten wieder umzukehren; – wo sie ach! ein Ereigniß erwartete, welches das traurigste ist, das ein freies Volk treffen kann.

Da diese Umwälzung der Dinge in Straßburg vielfach besprochen aber wenig verstanden worden ist, so will ich, sagt Slawkenbergius, der Welt eine Erklärung derselben geben, und damit meine Geschichte schließen.

Jedermann kennt das große System einer Universalmonarchie, welches auf Befehl des Herrn Colbert verfaßt und im Jahr 1664 im Manuscript Ludwig dem Vierzehnten vorgelegt wurde.

Eine der vielen Consequenzen dieses Systems war bekanntlich die Besitznahme von Straßburg, um jeder Zeit das Einrücken in Schwaben zu erleichtern und die Ruhe in Deutschland zu stören; – und in Folge dieses Plans fiel Straßburg unglückseligerweise endlich in die Hände der Franzosen.

Es ist nur Wenigen gegeben, die wahren Beweggründe dieser und ähnlicher Umwälzungen aufzuspüren; – die Masse sieht darüber hinaus – die Staatsmänner schauen darunter hinweg, – die Wahrheit liegt gewöhnlich in der Mitte.

Wie verhängnißvoll kann der Volksstolz für eine freie Stadt werden! sagt ein Geschichtsschreiber. – Die Straßburger hielten es für eine Schwächung ihrer Freiheit, wenn sie eine kaiserliche Garnison aufnähmen; – so bekamen sie eine französische.

Das Schicksal der Straßburger, sagt ein Anderer, mag eine Warnung für jedes freie Volk sein, mit seinen Gelde sparsam umzugehen. – Sie verbrauchten ihre Einkünfte zum Voraus, – mußten sich mit Steuern belasten und dadurch ihre Kraft aufzehren, und wurden schließlich so schwach, daß sie nicht mehr stark genug waren, um ihre Thore zu schließen; und so stießen die Franzosen sie auf.

Ach nein! ach nein! ruft Slawkenbergius, es waren nicht die Franzosen, ihre eigene Neugierde stieß sie auf. – Als die Franzosen, die immer auf der Lauer standen, freilich sahen, daß sämmtliche Straßburger, Männer, Weiber und Kinder auszogen, um der Nase des Fremdlings entgegenzugehen, – brauchten sie nur ihrer eigenen nachzugehen und einzurücken.

Handel und Gewerbe sind seitdem dort immer mehr zerfallen und herabgekommen, – aber nicht aus den von Handelsgrößen bezeichneten Gründen; sondern einzig deshalb, weil den Straßburgern die Nasen beständig so im Kopf herumgingen, daß sie ihren Geschäften nicht mehr recht nachkamen.

Ach, ach! ruft Slawkenbergius noch einmal aus; – es ist nicht die erste – und ich fürchte sehr auch nicht die letzte Festung, die durch Nasen gewonnen – oder verloren wurde!

Ende der Erzählung des Slawkenbergius.


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