Laurence Sterne
Tristram Shandy
Laurence Sterne

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

113. Kapitel.

Herrgottsakerment! – – – – – – – – – – – – – H—t! rief Phutatorius, halb vor sich hin, – aber doch laut genug um gehört zu werden – und was merkwürdig erschien, er sprach das mit einem Blick und in einem Ton, die die Mitte hielten zwischen Bestürzung und körperlichem Schmerz.

Einige, die sehr feine Ohren hatten und den Ausdruck und die Mischung der beiden Töne so deutlich zu unterscheiden vermochten, wie eine Tertie oder Quinte oder irgend einen anderen Accord, – waren höchst verblüfft, ja verwirrt hierüber. – Die Zusammenstimmung war an sich gut; – aber sie war ganz außerhalb dem Tonschlüssel, und ließ sich durchaus nicht auf den Gegenstand anwenden, von dem eben gehandelt wurde: – so daß sie trotz all ihrem Wissen und Können nicht wußten, was sie daraus machen sollten.

Andere, die nicht musikalisch waren, und ihr Ohr lediglich dem klaren Inhalt des Wortes liehen, glaubten, Phutatorius, der etwas cholerischer Natur war, sei im Begriff, Didius die Peitsche aus der Hand zu nehmen, um Yorick etwas Weniges durchzuhauen; – und das gräuliche Wort H—t sei nur die Einleitung zu einer Rede, die, wie sie nach diesem Muster abnahmen, eine ziemlich brutale Behandlung jenes voraussehen ließ; so daß es meinem Onkel Toby in seiner Gutmüthigkeit vor dem bange war, was Yorick erwartete. Aber als Phutatorius gleich wieder stille war und keine Absicht kund gab fortzufahren, – begann eine dritte Partei zu vermuthen, es sei nur eben ein unwillkürlicher Ausbruch gewesen, der ganz zufällig die Form eines gemeinen Fluchs annahm – ohne daß es so gemeint war.

Doch gab es auch Einige, besonders Einen oder Zwei, die ihm zunächst saßen, die ihn im Gegentheil als einen wirklichen und inhaltsschweren Fluch ansahen, der ausdrücklich auf Yorick gemünzt war, den Phutatorius, wie man allgemein wußte, nicht leiden konnte; – welch' besagter Fluch, wie mein Vater philosophirte, damals gerade in den oberen Regionen von Phutatorius' Schlund wühlte und rauchte. Es war daher ganz natürlich und entsprach vollkommen dem Lauf der Dinge, daß er durch die plötzliche Einströmung von Blut in die rechte Herzkammer des Phutatorius herausgedrückt wurde, als dieser über jene seltsame Predigttheorie außer sich vor Erstaunen gerieth.

Wie fein raisonniren wir oft über Dinge, die wir doch ganz falsch aufgefaßt haben!

Trotz all diesen verschiedenen Meinungen, welche sich über das von Phutatorius ausgestoßene Wort bildeten, gab es doch keine Seele, welche nicht für ausgemacht angenommen hätte und davon als Hauptsatz ausging, daß Phutatorius von dem Gegenstand des Streites, der sich zwischen Didius und Yorick entsponnen, lebhaft in Anspruch genommen und da er zuerst den Einen und dann den Anderen mit der Miene eines Mannes ansah, der dem was vorgetragen wird eifrig lauscht, – so konnte man wol auch auf keinen anderen Gedanken kommen. In Wahrheit aber vernahm Phutatorius nicht ein Wort, nicht eine Silbe von dem, was um ihn vorging; – all sein Denken und Sinnen war vielmehr von einem Vorfall in Anspruch genommen, der in diesem Augenblick innerhalb der Räume seiner Pluderhosen und zwar in demjenigen Theile derselben vorging, den er vor Allem vor Unfällen zu wahren bestrebt war. Ungeachtet er daher mit der scheinbar äußersten Aufmerksamkeit dreinschaute, und allmählich jede Nerve und Muskel in seinem Gesicht bis zu dem höchsten Strich anspannte, den das Instrument ertrug, um, wie Alles glaubte, Yorick, der ihm gerade gegenüber saß, eine scharfe Antwort zu geben, – so war doch in keinem Winkel von Phutatorius' Gehirn ein Yorick zu finden; – die wahre Ursache seines Ausrufs war vielmehr eine gute Elle tiefer unten zu suchen.

Ich will versuchen, Ihnen dies so anständig als immer möglich auseinanderzusetzen.

Sie müssen also wissen, daß Gastripheres etwas vor dem Essen einen Gang nach der Küche gemacht hatte, um zu sehen, wie die Sachen dort stünden. Hier hatte er einen Weidenkorb voll schöner Kastanien auf dem Anrichttisch bemerkt und angeordnet, daß man ein paar hundert rösten und gleich nach dem Essen hereinbringen möchte; – wobei Gastripheres seine Anordnung noch durch die Bemerkung verstärkte, daß Didius und besonders Phutatorius sie gar zu gerne äßen.

Etwa zwei Minuten ehe mein Onkel Toby Yoricks Rede unterbrach, – waren die Kastanien hereingebracht worden; – und da der Kellner sich gemerkt hatte, daß sie ein Leibgericht von Phutatorius seien, hatte er sie noch ganz heiß in eine saubere Damastserviette gehüllt vor diesen hingesetzt.

Da es nun physisch unmöglich war, daß, wenn ein Halb Dutzend Hände zumal in die Serviette fuhren, nicht eine oder die andere Kastanie, die etwas mehr Leben und Rundung als die übrigen besaß, in Bewegung gerieth, – so geschah es, daß eine wirklich über den Tisch hinrollte; und da Phutatorius mit ausgespreizten Beinen da saß, – fiel sie senkrecht in diejenige Oeffnung von Phutatorius Hosen, für welche, zur Schmach und Schande unserer Sprache sei es gesagt, im ganzen Wörterbuch von Johnson kein anständiges Wort zu finden ist; – es genüge, wenn ich sage, daß es diejenige eigenthümliche Oeffnung war, welche in allen guten Gesellschaften nach den Anforderungen der Wohlanständigkeit stets so strenge geschlossen sein muß wie der Tempel des Janus (wenigstens in Friedenszeiten).

Die Vernachlässigung dieser Anstandsregel von Seiten des Phutatorius (es sollte dies für Jedermann eine Warnung sein) hatte jenem Zufall das Thor geöffnet.

Zufall nenne ich es nach der allgemein angenommenen Sprechweise, – will mich aber nicht im Widerspruch mit den Ansichten von Acrites oder Mythogeras hierüber setzen; ich weiß wohl, sie beide waren vollkommen überzeugt – und sind es noch bis auf diese Stunde, daß von Zufall bei dem ganzen Vorfall nicht die Rede war. – daß vielmehr der Umstand, daß die Kastanie jenen eigenthümlichen Lauf nahm und zwar aus freiem Antrieb – und dann in all ihrer Glut gerade auf jenen Ort fiel und keinen andern – eine Art Gottesurtheil gegen Phutatorius wegen der schmutzigen, unanständigen Abhandlung de Concubinis retinendis bildete, die Phutatorius etwa 20 Jahre früher herausgegeben hatte – und von der er gerade in dieser Woche der Welt eine zweite Auflage schenken wollte.

Es ist nicht meines Amts, mich in diesen Streit zu mischen; – es läßt sich unzweifelhaft von beiden Seiten viel darüber sagen; Alles was mir als Geschichtsschreiber obliegt, ist, die Thatsache zu schildern und es dem Leser glaubhaft zu machen, daß der Hiatus in Phutatorius' Hosen groß genug war, um die Kastanie durchzulassen; – und daß die Kastanie senkrecht herabfiel und noch ganz heiß hinein glitt, ohne daß es Phutatorius oder sonst Jemand anfangs bemerkt hätte.

In den ersten 20 oder 25 Secunden war die natürliche Wärme, welche die Kastanie mittheilte, nicht unangenehm; und lenkte Phutatorius' Aufmerksamkeit nur ganz gelinde auf den Punkt: – aber die Hitze nahm allmählich zu und stieg in wenig Secunden zu einer Höhe, die über das Vergnügen hinaus war, ging dann rasch auf das Gebiet des Schmerzes über, so daß die Seele des Phutatorius alle ihre Ideen, Gedanken, ihre Aufmerksamkeit, Phantasie, Urtheilskraft, Entschließung, Ueberlegung, Folgerungskraft, Erinnerung in Verbindung mit zehn Bataillonen animalischer Geister durch verschiedene Engnisse und Umfassungen alle in größter Verwirrung an dem gefährdeten Punkte zusammenliefen und alle oberen Regionen, wie man sich leicht vorstellen kann, so leer ließen wie meine Börse.

Trotz aller Meldungen, welche diese Boten ihm machten, war Phutatorius nicht im Stande zu ergründen, was denn eigentlich da unten vor sich gehe; er konnte sich auch entfernt keine Vermuthung darüber bilden, was zum Teufel eigentlich los sei. Da er jedoch nicht wußte, welche Ursache sich herausstellen würde, hielt er es in der Lage, in der er sich befand, fürs Klügste, – es wo möglich wie ein Stoiker auszuhalten; was er mit Beihilfe einiger verzerrter Gesichter und Zusammenpressungen der Lippen hätte gewiß durchführen können, wenn seine Einbildungskraft dabei neutral geblieben wäre; – aber in Dingen dieser Art lassen sich die Ausbrüche der Phantasie nicht zügeln. – Auf einmal schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, es könnte, obschon er in seiner Pein das Gefühl einer Glühhitze hatte, – gleichwol ebensogut ein Biß als ein Brand sein; und dann wäre es nicht unmöglich, daß eine Eidechse oder Blindschleiche oder sonst ein abscheulicher Wurm an ihm heraufgekrochen wäre und ihn mit seinen Zähnen bearbeitete. Diese entsetzliche Idee, die mit einem erneuerten, peinvollen Brennen, das in diesem Augenblick von der Kastanie ausging, zusammentraf, versetzte Phutatorius in eine jähe Panik; – und in der ersten erschreckenden Verwirrung und Aufregung brachte es ihn, wie es schon den besten Generalen passirt ist, ganz aus dem Concept: – er sprang unwillkürlich in die Höhe und stieß dabei jenen so viel besprochenen Ausruf der Ueberraschung aus, den wir mit H—t! und den langen Gedankenstrichen dahinter bezeichnet haben – welcher Ausruf allerdings nicht ganz kanonisch, aber das Geringste war, was ein Mann in dieser Lage sagen konnte – und den Phutatorius, mochte er nun kanonisch sein oder nicht, ebenso wenig in seiner Gewalt hatte, als die Ursache desselben.

In meiner Erzählung hat dies allerdings einen ziemlich großen Raum eingenommen, in Wirklichkeit aber nahm es nicht mehr Zeit in Anspruch, als Phutatorius dazu brauchte, um die Kastanie herauszulangen und sie heftig auf den Boden zu werfen, – und Yorick, um aufzustehen und sie aufzuheben.

Es ist merkwürdig, was für eine Macht ganz unbedeutende Dinge auf unser Gemüth haben – welches unglaubliche Gewicht sie auf Bildung und Leitung unserer Ansichten über Personen und Dinge üben! wie Kleinigkeiten, leicht wie die Luft, einen Glauben in die Seele wehen, und so felsenfest darin pflanzen – daß, wenn man Euclid's Beweise in Batterie gegen sie aufführen würde, diese durchaus nicht im Stande wären, jene niederzuwerfen.

Ich sagte, Yorick habe die Kastanie aufgehoben, die Phutatorius im Zorn auf den Boden geworfen: – diese Handlung war an sich gewiß unbedeutend; – ich muß mich schämen, nur davon zu sprechen; – er that es – aus keinem anderen Grunde, als weil er dachte die Kastanie sei durch den Vorgang nicht um ein Jota schlechter geworden; – und weil er glaubte, eine gute Kastanie sei schon der Mühe werth, daß man sich deshalb bücke. – Aber dieser Umstand, so unbedeutend er war, wirkte in Phutatorius' Kopfe ganz anders. Er betrachtete Yorick's Aufstehen vom Stuhle und Aufheben der Kastanie als ein klares Zugeständniß, daß die Kastanie ursprünglich sein gehört habe; – und daß es somit der Eigentümer der Kastanie und Niemand anderes gewesen sein müsse, der ihm jenen Streich mit derselben gespielt habe. Was ihn sehr in dieser Ansicht bestärkte, war der Umstand, daß der Tisch ein längliches Rechteck und sehr schmal war, wodurch Yorick, der Phutatorius gerade gegenüber saß, die schönste Gelegenheit erhielt, ihm die Kastanie hinein zu prakticiren; – und demnach hatte er es auch gethan. Der mehr als argwöhnische Blick, den Phutatorius auf Yorick warf, als diese Idee in ihm auftauchte, drückte seine Meinung nur zu deutlich aus; – und da man natürlich annahm, Phutatorius müsse die Sache besser wissen als irgend Einer, so wurde seine Ansicht sofort die allgemeine; und aus einem Grunde, der von allen bisher angeführten völlig verschieden ist, in kürzester Zeit ganz zweifellos.

Wenn auf der Bühne dieser sublunarischen Welt große oder unerwartete Ereignisse eintreten, – so eilt der Geist in seinem Forschereifer alsbald hinter die Coulissen, um zu sehen, welches die Ursache und erste Quelle derselben war. – In diesem Falle dauerte die Forschung nicht lange.

Jedermann wußte, daß Yorick niemals eine günstige Meinung von der Abhandlung gehegt hatte, welche Phutatorius über Concubinis retinendis schrieb, da er fürchtete, dieselbe habe nicht wenig Schaden in der Welt angerichtet: – es war demnach unschwer zu erkennen, daß in Yoricks Streich ein mystischer Sinn lag – und daß sein Schnellen der heißen Kastanie in Phutatorius' †††–††† ein sarkastischer Pfeil war, der seinem Buche galt; – dessen Lehren, wie man behauptete, manchen Mann an dem gleichen Fleck verbrannt hatten.

Diese Idee weckte sogar Somnolentius auf, – brachte Agelastes zum Lächeln, – und wenn sich der geneigte Leser den Blick und die Miene eines Mannes vergegenwärtigen kann, der damit beschäftigt ist ein Räthsel herauszubringen, – so hat er einen Begriff von dem Gesicht, das Gastripheres machte; – kurz viele waren der Ansicht, Yorick habe damit einen Meisterstreich von Witz gemacht.

Dies war nun freilich, wie der Leser des Langen und Breiten gehört hat, ebenso grundlos wie die Träume der Philosophie. Yorick war ohne Zweifel, wie Shakespeare von seinem Ahn gesagt, ein Spaßvogel, aber seine Scherze waren durch etwas gemäßigt, das ihn von diesem und manchen anderen unfeinen Streichen abhielt, die ihm ganz unverdienter Weise zur Last gelegt wurden. – Es war aber sein ganzes Leben lang sein Mißgeschick, daß er tausend Dinge gesagt oder gethan haben sollte, die seiner Natur durchaus ferne lagen (ich müßte mich denn in ihm sehr getäuscht haben). Was ich allein an ihm anzusetzen habe, – oder vielmehr, was ich zwar an ihm auszusetzen habe, was ihn mir aber gerade auch wieder werth machte, war jene Eigenthümlichkeit seines Wesens, die es nicht litt, daß er die Welt über einen Irrthum aufklärte, auch wenn es in seiner Macht stand. Bei jeder harten Beschuldigung dieser Art handelte er genau so wie in der Geschichte mit seinem dürren Gaul. – Er hätte sie sehr gut zu seiner Ehre erklären können, aber er fühlte sich darüber erhaben; und überdies sah er auf den, welcher ein gemeines für ihn so nachtheiliges Gerücht erfand, verbreitete oder glaubte, so tief herab, – daß er es nicht über sich gewinnen konnte, ihn über die Sache aufzuklären; – er überließ es vielmehr stets der Zeit und der Wahrheit, es für ihn zu thun.

Dieser edle Zug hatte aber manche Unannehmlichkeiten für ihn zur Folge; – im gegenwärtigen Fall zog er sich dadurch Phutatorius' Rache zu, der, als Yorick eben mit seiner Kastanie fertig war, sich zum zweiten Male erhob, um ihm dies zu Gemüth zu führen: – er that es mit einem Lächeln und sagte nur, er werde sich bemühen nicht zu vergessen, welche Erkenntlichkeit er ihm schuldig sei.

Der Leser muß jedoch zwei Dinge wohl merken und sorgfältig von einander trennen und unterscheiden: –

Das Lächeln war für die Gesellschaft;

die Drohung aber für Yorick.

114. Kapitel.

Können Sie mir sagen, sagte Phutatorius zu Gastripheres, der ihm zunächst saß, – denn in einer so curiosen Sache konnte er sich doch nicht an den Wundarzt wenden, – können Sie mir sagen, Gastripheres, wie man das Feuer aus einer Brandwunde am besten herauszieht? – Fragen Sie Eugenius, sagte Gastripheres. – Das, erwiderte Eugenius, wobei er that, als habe er das Abenteuer nicht bemerkt, das kommt ganz auf den Körpertheil an. – Wenn es ein sehr zarter Theil ist, und er läßt sich leicht umwickeln – Das ist beides der Fall, erwiderte Phutatorius und legte während er so sprach die Hand mit einem nachdrücklichen Kopfnicken auf den fraglichen Theil, wobei er zugleich sein rechtes Bein etwas in die Höhe hob, um jenen zu erleichtern und zu lüften. – Wenn dies der Fall ist, sagte Eugenius, dann möchte ich Ihnen rathen, Phutatorius, keinen Doctor zu gebrauchen; schicken Sie lieber zu dem nächsten Buchdrucker und curiren Sie sich einfach mit einem weichen Bogen Papier, der eben von der Presse kommt, – Sie brauchen nichts zu thun als ihn herumzuwickeln. – Das feuchte Papier, bemerkte Yorick, der seinem Freund Eugenius zunächst saß, hat zwar allerdings eine erfrischende Kühle, – aber ich glaube doch, daß es eigentlich nur der Träger ist – und daß das Oel und der Lampenruß, von dem es so stark gesättigt ist, die Hauptsache thut. – Ganz recht, sagte Eugenius, auch ist es bei jeder äußeren Anwendung, wozu ich es empfehle, das sicherste und schmerzstillendste Mittel.

Wenn ich in dem Falle wäre, sagte Gastripheres, so würde ich, da Oel und Lampenruß die Hauptsache ist, diese dick auf ein Lümpchen streichen und dieses direct auflegen. – Das würde ja eine Teufelsgeschichte daraus machen, versetzte Yorick. – Und überdies, setzte Eugenius hinzu, würde es dem Zwecke nicht entsprechen, denn es bedarf hier der äußersten Sauberkeit und Eleganz, was nach der Ansicht der Aerzte schon die halbe Cur ist; – denn wenn die Lettern sehr klein sind (was sie eigentlich sein müßten), so entsteht daraus der Vortheil, daß die heilenden Theile, welche in dieser Form mit dem Gegenstand in Berührung kommen, so unendlich dünn und mit solcher mathematischen Gleichheit (Initialen und große Buchstaben ausgenommen) darauf verbreitet werden, wie sie keine Kunst in Anwendung der Spatel gewähren kann. – Es trifft sich sehr glücklich, sagte Phutatorius, daß sich gerade die zweite Auflage meiner Abhandlung de Concubinis retinendis unter der Presse befindet. – Da können Sie jedes Blatt davon brauchen, gleichviel welches, versetzte Eugenius. – Nur darf nichts Schmutziges daran kleben, bemerkte Yorick.

Sie drucken jetzt gerade das neunte Kapitel, fuhr Phutatorius fort, – es ist das vorletzte des Buchs. – Wie ist der Titel dieses Kapitels? – fragte Yorick mit einer achtungsvollen Verbeugung gegen Phutatorius. – Ich glaube: de Re Concubinaria antwortete Phutatorius.

Ums Himmels willen bleiben Sie von diesem Kapitel weg, sagte Yorick.

In alle Wege! setzte Eugenius hinzu.

115. Kapitel.

Wäre, sprach Didius, indem er sich erhob und die rechte Hand mit ausgespreizten Fingern auf die Brust legte, – wäre ein solches Versehen mit einem Taufnamen vor der Reformation passirt – (Es passirte erst vorgestern, sagte mein Onkel Toby bei sich selbst), – wo die Taufformel in lateinischer Sprache gesprochen wurde (es geschah alles auf Englisch, sagte mein Onkel), – so hätten dabei allerlei Dinge zusammentreten können; und man hätte auf Grund verschiedener Bestimmungen die Taufe für nichtig erklären und die Ermächtigung ertheilen können, dem Kinde einen neuen Namen zu geben. – Hätte ein Priester zum Beispiel, was nicht selten vorkam, aus Unkenntniß der lateinischen Sprache ein Kind Tom o' Stiles in nomine patriae et filia et spiritum sanctos getauft, – so wäre die Taufe für nichtig erklärt worden. – Entschuldigen Sie, warf Kysarcius ein, – in diesen Falle, wo der Fehler nur die Endungen betraf, wäre die Taufe giltig gewesen; – um sie ungiltig zu machen, hätte der Fehler des Priesters auf die erste Sylbe jedes Namens, – und nicht wie in dem von Ihnen angeführten Falle auf die letzte fallen müssen.

Mein Vater fand an Spitzfindigkeiten dieser Art das größte Vergnügen und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit.

Gesetzt Gastripheres zum Beispiel, fuhr Kysarcius fort, taufte ein Kind John Stradling's in gomine Gatris u. s. w. Anstatt in nomine Patris u. s. w. – wäre eine solche Taufe giltig? – Nein, sagen die geschicktesten Casuisten; weil hiebei die Wurzel jedes Wortes ausgerissen, der Sinn und die Meinung desselben verlassen und in etwas ganz Anderes verwandelt wurde; denn gomine heißt nicht Namen und Gatris nicht Vater. – Was bedeuten sie denn? fragte mein Onkel Yorick. – Gar nichts, erwiderte Yorick. Ergo ist eine solche Taufe ungiltig, schloß Kysarcius. Natürlich! bemerkte Yorick, in einem Tone, der zu 2/3 Scherz und 1/3 Ernst war.

In dem angeführten Falle dagegen, fuhr Kysarcius fort, wo patriae für patris, filia für filii u. s. w. gesetzt ist, liegt der Fehler nur in der Declination, die Wurzeln der Worte bleiben unberührt, und so können auch die Beugungen derselben in dieser oder jener Richtung in keiner Weise die Taufhandlung beeinträchtigen, da die Worte den gleichen Sinn beibehalten haben wie vorher. – Dann aber, sprach Didius, muß nachgewiesen werden, daß es die Absicht des Priesters war, sie grammatikalisch auszusprechen. – Ganz recht, antwortete Kysarcius, und hievon, Bruder Didius, haben wir ein Beispiel in einem Decret der Decretalen des Papstes Leo III. – Aber meines Bruders Kind hat mit dem Papste nichts zu schaffen, rief mein Onkel Toby; – es ist einfach das Kind eines protestantischen Gutsbesitzers, das gegen den Willen und Wunsch des Vaters und der Mutter und aller Anverwandten Tristram getauft wurde.

Wenn nur, sagte Kysarcius, meinen Onkel Toby unterbrechend, wenn nur der Wille und Wunsch derjenigen, welche mit Herrn Shandy's Kind verwandt sind, in dieser Sache in die Wagschaale fallen, so hat Frau Shandy am allerwenigsten dabei zu schaffen. – Mein Onkel Toby legte seine Pfeife weg, mein Vater aber rückte seinen Stuhl noch näher an den Tisch – um die Schlußfolgerung einer so seltsamen Einleitung zu hören.

Es ist nicht nur unter den besten Juristen und Civilrechtslehrern dieses Landes, Kapitain Shandy, stets eine Frage gewesen, ob die Mutter mit ihrem Kinde blutsverwandt sei, fuhr Kysarcius fort; – sondern dieselbe ist auch nach vielen leidenschaftlosen Erörterungen und Hin- und Herwerfen der Beweise von beiden Seiten – schließlich verneinend beantwortet worden; – das heißt dahin: daß die Mutter nicht mit dem Kinde blutsverwandt sei. – Mein Vater drückte meinem Onkel Toby sofort die Hand auf den Mund, wobei er that, als flüstere er ihm etwas ins Ohr; – in Wahrheit hatte er aber Angst vor dem Lillabullero, – und da er ein großes Verlangen trug, mehr über eine so merkwürdige Beweisführung zu hören, bat er meinen Onkel Toby ums Himmels willen, ihn nicht darum zu bringen. – Mein Onkel Toby nickte – griff wieder zu seiner Pfeife und begnügte sich nun innerlich den Lillabullero zu pfeifen, während Kysarcius, Didius und Triptolemus ihr Gespräch folgendermaßen fortsetzten:

So sehr diese Entscheidung, fuhr Kysarcius fort, dem Strom der allgemeinen Anschauungen hierüber entgegen zu sein scheint, so hat sie doch die Vernunft auf ihrer Seite, und wurde durch jenen berühmten Fall, der unter dem Namen: der Fall des Herzogs von Suffolk allgemein bekannt ist, ganz außer Zweifel gesetzt. – Der Fall ist in Brooke citirt, sagte Triptolemus. – Auch Lord Coke nimmt davon Notiz, setzte Didius hinzu. – Sie finden ihn auch in Swinburn über Testamente, bemerkte Kysarcius.

Dieser Fall, Herr Shandy, war folgender:

Unter der Regierung Eduard VI. hatte der Herzog Karl von Suffolk aus der einen Ehe einen Sohn, aus der anderen eine Tochter. In seinem Testament vermachte er sein Vermögen seinem Sohn und starb; nach seinem Tode starb sein Sohn ebenfalls, – aber ohne Testament, ohne Weib und Kind; – dagegen lebten noch seine Mutter und seine Schwester von Vaters Seite (denn sie war aus der ersten Ehe). Die Mutter übernahm die Verwaltung der Güter ihres Sohnes gemäß der 21. Verordnung von Heinrich VIII., worin bestimmt ist, daß, wenn Jemand ohne ein Testament zu hinterlassen, sterbe, die Verwaltung seiner Güter dem nächsten Anverwandten zu übertragen sei.

Nachdem die Verwaltung so (heimlicherweise) der Mutter zuerkannt war, – begann die Schwester von Vaters Seite einen Prozeß vor dem geistlichen Richter, worin sie anführte, erstens, daß sie selbst die nächste Anverwandte sei, und zweitens, daß die Mutter mit dem Verstorbenen überhaupt nicht verwandt gewesen sei und daß sie dem gemäß den Gerichtshof ersuche, er möchte die Uebergabe der Verwaltung an die Mutter widerrufen und ihr als der nächsten Anverwandten kraft besagter Verordnung übertragen.

Es wurden nun, da der Fall ein sehr wichtiger war und viel von seinem Ausgang abhing – voraussichtlich auch künftig viele Fälle, wo es sich um große Hinterlassenschaften handelte, nach diesem Vorgang entschieden werden konnten – die Gelehrtesten sowol in den Rechten dieses Landes als im römischen Rechte über die Frage zu Rathe gezogen: ob die Mutter mit ihrem Sohn blutsverwandt sei oder nicht? – Worauf nicht nur weltliche, sondern auch geistliche Richter, – Rechtsanwälte, – Rechtsgelehrte, – Civilrechtslehrer, – Advokaten, geistliche Commissäre, die Richter des Consistoriums und die Prärogativgerichte von Canterbury und York, sowie die Obmänner der Facultäten, alle einstimmig die Ansicht aussprachen: daß die Mutter nicht mit ihrem Kinde verwandt sei.Mater non numeratur inter consanguineos. Balt. in ult. C. de Verb. signific.

Und was sagte die Herzogin von Suffolk dazu? fragte mein Onkel Toby.

Die unerwartete Frage meines Onkels Toby verwirrte Kysarcius mehr als der geschickteste Advokat gekonnt hätte. – Er blieb eine volle Minute still und sah meinem Onkel Toby ins Gesicht, ohne eine Antwort herauszubringen; – und in dieser einzigen Minute verdrängte ihn Triptolemus und riß mit folgenden Worten die Leitung an sich:

Es ist ein Grundprinzip im Rechtswesen, sprach Triptolemus, daß die Dinge nicht auf-, sondern absteigen; und ohne Zweifel ist dies der Grund, warum, wenn auch das Kind von dem Blut und Samen der Eltern ist, – doch die Eltern nicht von dem Blut und Samen des Kindes sind, insofern die Eltern nicht durch das Kind erzeugt wurden, sondern das Kind durch die Eltern; – denn es steht geschrieben: – Liberi sunt de sanguine patris et matris, sed pater et mater non sunt de sanguine liberorum.

Dies beweist zu viel, Triptolemus, rief Didius; – denn daraus würde nicht nur folgen, was ja von allen Seiten zugestanden ist, daß die Mutter nicht mit dem Kinde verwandt sei, – sondern auch der Vater nicht. – Man hält dies auch, sprach Triptolemus, für die richtigere Ansicht; weil der Vater, die Mutter und das Kind zwar drei Personen aber doch von einem Fleische (una caroSiehe Brooke's Abridg. tit. Administ. N. 47. ) und demnach nicht miteinander verwandt sind – noch eine solche Verwandtschaft auf natürlichem Wege erreichen können. – Da gehen Sie wieder zu weit mit Ihren Beweisen, bemerkte Didius; – denn der natürliche Weg verhindert nicht – wohl aber das levitische Gesetz – daß ein Mann seiner Großmutter ein Kind erzeugen kann; in diesem Falle wäre dasselbe, wenn es eine Tochter wäre, verwandt sowol mit – Aber wer hat denn je daran gedacht, bei seiner Großmutter zu schlafen? rief Kysarcius.

– Der junge Herr, von dem Selden spricht, erwiderte Yorick, der nicht allein daran dachte, sondern die Sache auch seinem Vater gegenüber durch das Wiedervergeltungsrecht zu rechtfertigen suchte: Du hast bei meiner Mutter gelegen, sagte der Bursche, warum sollte ich nicht bei der deinigen liegen? – Man heißt dies Argumentum commune, setzte Yorick hinzu.

– Ganz nach Verdienst, meinte Eugenius und langte nach seinem Hute.

Die Gesellschaft brach auf.

116. Kapitel.

Sagen Sie einmal, sagte mein Onkel Toby zu Yorick, als dieser und mein Vater ihm gemächlich die Treppe hinabhalfen – nur keine Angst, Madame, dieses Treppengespräch wird nicht so lange dauern wie das letzte – sagen Sie einmal, Yorick, sagte mein Onkel Toby, wie haben denn nun eigentlich jene gelehrten Herren den Fall mit Tristram festgestellt? – Sehr befriedigend, erwiderte Yorick; er geht keinen Menschen etwas an; – denn Frau Shandy, die Mutter, ist gar nicht verwandt mit ihm – und da die Mutter immer noch der sicherste Theil ist, – so hat Herr Shandy natürlich weniger als nichts zu bedeuten. – Kurz er ist mit dem Kind nicht soviel verwandt als ich.

Das mag wohl sein, sagte mein Vater und schüttelte den Kopf.

Die Gelehrten mögen mir sagen was sie wollen, erwiderte mein Onkel Toby, zwischen der Herzogin von Suffolk und ihrem Sohn muß doch irgend eine Art von Blutsverwandtschaft bestanden haben.

Das glauben die gewöhnlichen Leute auch noch bis auf diese Stunde, versetzte Yorick.

117. Kapitel.

Obgleich die Feinheiten jenes gelehrten Gesprächs meinem Vater äußerst wohl gethan hatten – so waren sie eigentlich doch nur eine Salbe bei einem Beinbruch. – Sobald er nach Hause gekommen war, fiel die Last seiner Betrachtungen mit nur um so größerem Gewicht auf ihn, wie dies immer der Fall ist, wenn der Stab, auf den wir uns gestützt haben, unter uns weggleitet. – Er wurde nachdenklich, – spazierte häufig nach dem Fischteich, – ließ die eine Krämpe seines Hutes herab, – seufzte öfters, – fuhr die Leute nicht mehr an, – und da die heftigen Ausbrüche der Laune, wie uns Hippocrates sagt, so sehr die Athmung und Verdauung befördern – so wäre er mit ihrem Aufhören gewiß krank geworden, wären nicht seine Gedanken kritisch in Anspruch genommen gewesen und seine Gesundheit dadurch gekräftigt worden, daß ihm ein Legat von 1000 Pfund von Seiten meiner Tante Dinah eine frische Portion Besorgnisse brachte.

Mein Vater hatte den Brief kaum gelesen, als er die Sache gleich am rechten Ende faßte und alsbald seinen Kopf damit zu quälen und zu foltern begann, wie er das Geld wohl am besten zu Ehren der Familie anlegen könne. – Hundert und fünfzig sonderbare Projecte stürmten ihm nach einander durch den Kopf; – bald wollte er dies thun, bald jenes. – Er wollte nach Rom; – er wollte einen Proceß anfangen; – er wollte Vieh kaufen; – er wollte John Hobson's Gut kaufen; – er wollte seinem Hause eine neue Front geben, und einen Flügel ansetzen, um es ebenmäßig zu machen. – Auf dieser Seite stand eine schöne Wassermühle; deshalb wollte er auf die andere Seite des Flusses als Pendant eine Windmühle bauen. – Vor Allem aber wollte er das große Ochsenmoor einzäunen und meinen Bruder Bobby sofort auf Reisen schicken.

Da aber die Summe eine begrenzte war, und dem zu Folge nicht für alles Mögliche ausreichte; – und sehr wenige der genannten Absichten einen eigentlichen Zweck hatten, so schienen von all den Plänen, die ihm bei diesem Anlaß durch den Kopf gingen, die zwei letzten den tiefsten Eindruck auf ihn zu machen; und er würde sich unfehlbar für beide zugleich entschieden haben, wäre nicht jener kleine eben berührte Uebelstand gewesen, der ihn durchaus zwang sich entweder für das Eine oder das Andere zu entscheiden.

Dies war durchaus nicht so leicht, denn es hatte meinem Vater zwar schon lange am Herzen gelegen, diesen notwendigen Theil der Erziehung meines Bruders nicht zu vernachlässigen, und als ein vorsichtiger Mann hatte er beschlossen, ihn mit dem ersten Geld ins Werk zu setzen, das aus der zweiten Schöpfung von Mississippi-Actien, an denen er sich betheiligt hatte, eingehen würde; – aber das Ochsenmoor, ein schönes, großes, geisterreiches, undrainirtes und vernachlässigtes Grundstück, das zu den Shandy'schen Gütern gehörte, hatte fast ebenso alte Ansprüche; lange war es sein lebhafter Wunsch gewesen, es einigermaßen nutzbringend zu machen.

Da bisher noch nie eine solche Verkettung der Dinge eingetreten war, wodurch es nothwendig gewesen wäre, die Priorität oder die Gewichtigkeit dieser beiden Ansprüche festzustellen, hatte er sich als ein weiser Mann jeder genauen oder kritischen Prüfung derselben enthalten, so daß er jetzt, nachdem er jeden anderen Plan hatte fallen lassen, abermals zwischen jenen zwei alten Projecten, dem Ochsenmoor und meinem Bruder schwankte; und beide fielen bei ihm so gleich schwer in die Wagschale, daß es dem alten Herrn nicht wenig innerlich zu schaffen machte, welchem er den Vorzug geben sollte. Man mag darüber lachen wie man will; – aber der Fall war der: –

Stets war es Brauch in der Familie gewesen, und mit der Zeit nahezu ein Rechtsanspruch geworden, daß der älteste Sohn vor seiner Verehelichung freien Eintritt, Austritt und Wiedereintritt in fremde Länder haben sollte, – nicht nur um seine besonderen Eigenschaften durch wohlthätigen Umtrieb und starke Luftveränderung zu bessern, – sondern auch einfach, um durch den Nimbus, womit das Reisen ihn umgab, seine Phantasie zu ergötzen. – Tantum valet, pflegte mein Vater zu sagen, quantum sonat.

Da dies nun ein ganz vernünftiger und gewiß auch höchst christlicher Brauch war, so wäre er doch zehn Mal schlimmer als ein Türke behandelt worden, wenn man ihn ohne Grund derselben beraubt und an ihm ein Exempel statuirt hätte, in der Art, daß er der erste Shandy gewesen wäre, der nicht in einer Postkutsche Europa durchrasselt hätte und zwar nur weil er ein etwas schwerfälliger Kamerad war.

Aber die Sache mit dem Ochsenmoor war gleichfalls eine dringende.

Abgesehen davon, daß sein Erwerb die Familie 800 Pfund gekostet, – war darum ein 15jähriger Rechtsproceß entstanden, der abermals 800 Pfund aufgezehrt und Gottweiß wie viel Widerwärtigkeiten im Gefolge gehabt hatte. Ueberdies war es seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts im Besitz der Familie Shandy gewesen, und obschon es dem Hause gewissermaßen vor Augen lag, an dem einen Ende von der Wassermühle und am anderen von der oben besprochenen projectirten Windmühle begrenzt, – und deshalb mehr als irgend ein Theil des Gutes auf die Vorsorge und den Schutz der Familie Anspruch hatte, – so war es doch in Folge einer unberechenbaren, aber den Menschen so gewöhnlichen Fatalität die ganze Zeit her wirklich schmählich vernachlässigt worden. Es hatte darunter so gelitten, daß (wie Obadiah sagte) Jedem, der sich auf den Werth des Bodens verstand, das Herz bluten mußte, wenn er darüber hinritt und sah, in welchem Zustand es sich befand.

Da jedoch weder der Ankauf dieses Grundstücks, noch seine Lage auf Rechnung meines Vaters zu setzen war, war er stets der Ansicht gewesen, die Sache gehe ihn eigentlich gar nichts an, – bis vor 15 Jahren jener oben erwähnte verwünschte Rechtsproceß aufbrach (es handelte sich um die Abgrenzung), – der ganz und gar meines Vaters Werk war und deshalb sehr natürlich ganz zu Gunsten desselben wirkte. Und wenn mein Vater all die Beweise zusammennahm, sah er ein, daß ihn nicht nur das Interesse, sondern auch die Ehre nöthige, etwas dafür zu thun und daß jetzt oder nie der Augenblick gekommen sei.

Es war wirklich einiges Mißgeschick dabei, daß die Gründe auf beiden Seiten einander so sehr die Wage hielten. Mein Vater wog sie in allen Stimmungen und Gemüthslagen gegeneinander ab, verbrachte manche qualvolle Stunde im tiefsten, ernstesten Nachsinnen über die Frage, was denn hier das Richtige sei; – las an dem einen Tage Bücher über Landwirtschaft, am anderen über Reisen, – legte jede Leidenschaft bei Seite, – betrachtete die beiderseitigen Beweise in jedem Licht, in jeder Zusammenstellung, – berieth sich täglich mit meinem Onkel Toby darüber, – raisonnirte mit Yorick, besprach die Frage des Ochsenmoors mit Obadiah; – gleichwol ergab sich in all der Zeit nichts, was so entschieden zu Gunsten des Einen sprach, was nicht ebenso auf das Andere anwendbar gewesen wäre, oder durch eine gleichgewichtige Betrachtung so im Gleichgewicht gehalten wurde, daß keine beider Schalen sank.

Denn wenn das Ochsenmoor auch mit gehöriger Nachhilfe und in der Hand des rechten Mannes unzweifelhaft bald eine andere Rolle in der Welt gespielt haben würde, als es bis jetzt that und in seiner gegenwärtigen Verfassung thun konnte, – so paßte dies doch Alles auch ganz auf meinen Bruder Bobby, – mochte Obadiah sagen, was er wollte.

In der reinen Gewinnfrage erschien der Kampf allerdings beim ersten Anblick nicht so unentschieden; denn wenn mein Vater Feder und Tinte zur Hand nahm und die Ausgaben berechnete, welche das Abrasiren, Abbrennen und Einzäunen des Ochsenmoors kosteten, und dann den sicheren Nutzen in Rechnung nahm, der sich daraus ergeben mußte, – so stellte sich letzterer so wundervoll heraus, daß man hätte darauf schwören mögen, das Ochsenmoor werde Sieger bleiben; denn es war ja klar, daß er schon im ersten Jahre 100 Lasten Rübsamen, die Last zu 20 Pfund daraus erlösen würde, – im nächsten Jahre aber würde er eine treffliche Weizenernte bekommen; im dritten Jahre gab es gering gerechnet 100, – wahrscheinlich aber 150, – wo nicht 200 Malter Erbsen und Bohnen und endlos viel Kartoffeln. – Wenn er aber dann bedachte, daß er diese ganze Zeit über meinen Bruder eigentlich nur aufziehen würde wie ein Schwein, um jene zu fressen, – so schlug dieser Gedanke wieder Alles nieder, so daß sich der alte Herr in einem so unschlüssigen Zustande befand, daß er meinem Onkel Toby oft erklärte, er wisse so wenig wie sein Absatz, was er thun solle.

Nur wer es selbst empfunden hat, weiß was für ein qualvolles Ding es ist, wenn zwei Pläne von gleicher Kraft an dem Herzen eines Menschen reißen und es hartnäckig nach ganz verschiedener Richtung zu ziehen suchen; denn abgesehen von dem Schaden, der dadurch bei einiger Consequenz unfehlbar in dem feineren Nervensystem angerichtet wird, mittelst dessen die animalischen Geister und dünneren Säfte vom Herzen nach dem Kopfe u. s. w. geleitet werden, – wirkt eine solche nachtheilige Friction zugleich in hohem Grade auf die derberen und festeren Theile, verbraucht das Fett und mindert die Kraft eines Menschen mit diesem beständigen Vorwärts- und wieder Rückwärtsbewegen.

Mein Vater wäre diesem Uebel gewiß ebenso sicher erlegen als dies bei dem Mißgeschick mit meinem Taufnamen der Fall war, wäre er nicht durch ein neues Unglück davon befreit worden: – mein Bruder Bobby starb.

Was ist das Menschenleben? Ist es nicht ein beständiger Wechsel von Einem zum Andern? – von einer Sorge zur andern? – vom Zuknöpfen einer Unheilsquelle zum Aufknöpfen einer anderen?


 << zurück weiter >>