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Ein einziger jauchzender Laut, ein flüchtiger Kuß auf das blonde Haar Hildegards – und dann richtete sich Erwin auf, er besann sich, daß er hier nicht als Liebhaber, sondern als Arzt stehe. Die lauter gewordenen Stimmen schienen doch ins Vorgemach gedrungen, Jakob Franke und die Fuldaer Pflegerin traten zu gleicher Zeit ein. Sie hörten Doktor Erwin ruhig sagen:

»Ihr Entschluß, Durchlaucht, ist also gefaßt – wir dürfen alle Vorbereitungen treffen – Sie wollen sich der rettenden Operation unterwerfen?«

»Ja, – ja, Herr Doktor,« entgegnete Prinzeß Hildegard, während ihre bleichen Wangen sich höher färbten. »Ich bin bereit auf Leben und Tod!«

»Auf Leben und Leben, nur Leben!« rief Erwin, Aus seinem Auge glänzte eine Zuversicht, eine Fülle von Verheißungen, der die Kranke nicht widerstand und mit gläubigem, ja frohem Ausdruck lauschte. Erwin wandte sich ihr noch einmal zu, strich ihr sorglich das Kissen zurecht und legte ihren Kopf zärtlich auf dasselbe nieder, dann winkte er Jakob Franke, ihm zu folgen. Was auch noch zu tun und zu fürchten blieb – seine Haltung war die eines Siegers, und doch sprach der letzte Blick, den er von der Schwelle aus Hildegard zuwandte, nur demütigen Dank aus.

Sowie er das Krankenzimmer hinter sich hatte, war der junge Arzt wieder ganz Besonnenheit und Selbstbeherrschung. Dem stürmischen Dank und der schlau fragenden Miene des alten Kammerdieners begegnete er mit der Bitte, jetzt wohl acht zu haben, es sei viel zu tun und vorzubereiten, die Operation müsse morgen in der Frühe stattfinden. Er ging in sein Zimmer, mehrere Drahtbotschaften nach Berlin aufzusetzen, um deren augenblickliche Beförderung zur Bahnstation er bat. Jakob Franke zeigte sich willig und geschäftig. Erwin schrieb in seiner Gegenwart noch einen längeren Brief an Geheimrat Willovius – der alte Mann eilte mit allem davon, und Erwin blieb allein zurück. Er trat still an das Fenster und durchlebte die letzte Stunde und jede Stunde, seit er gestern hier angelangt war, noch einmal. Daß sein Leben, sein Geschick an dem kommenden Tage hing, wußte er wohl – doch er hatte keine Wahl gehabt – wie im Märchen war es über ihn gekommen, daß er dies junge reine Leben retten müsse, auch wenn er sich selbst und seine Zukunft dabei einzusetzen habe. Das war es nicht, was ihn jetzt bekümmerte und in den lichten Glücksschimmer, der auf seinen Zügen lag, einen tiefen Schatten warf. Er allein hatte den Widerstand des Mädchens besiegt, ihm hatte sie vertraut – gleichviel warum, er allein mußte ihr den ärztlichen Beistand leisten. Mit aller Zuversicht, die ihn erfüllte, wußte Doktor Erwin Buchhoff, daß es sich bei dem Bevorstehenden dennoch um Leben und Tod handle, und so kühn und entschlossen er sonst war, so begann der Gedanke, daß seine Hand der kaum gewonnenen Geliebten Tod oder Leben geben müsse, schwer und ernst auf seiner Seele zu lasten. Doch war er entschieden, seinem Paten und Lehrer jede Teilnahme an der Operation zu versagen – und sorglich bedachte er, wie er Heiding mit dem Geschehenen und Beschlossenen versöhnen werde.

So unablässig, so tief sann er, auf die Taxushecken und die steinerne Balustrade zu seinen Füßen herabblickend, der einen Frage nach, daß er weder sah, wie die Sonne sich nach West neigte, noch die lauten Schritte aus dem schweigsamen Schloß vernahm. So kam es, daß sich mit einemmal eine Hand auf seine Schulter legte und daß er, emporblickend, dicht in die Augen des mit Scheu und Sorge Erwarteten blickte.

»Was ist geschehen, Erwin? Was hör' ich vom Kammerdiener des alten Landgrafen? Was planst und bereitest du vor?«

»Die Prinzessin von Grumbach hat in die Operation, die ich ihr nochmals vorschlug, eingewilligt, lieber Professor!«

»Du warst ohne mich bei der Kranken, Erwin – du hast sie bestürmt und ihren Willen nach deinem gelenkt – ? Du scheinst ihr schrankenloses Vertrauen eingeflößt zu haben? – «

»Ich habe ihr meine tiefe Überzeugung, daß ich sie retten werde, noch einmal dargelegt! Ich habe das Mittel gefunden, ihr Verzagen am Leben zu besiegen – «

»Du hast ihr in plötzlicher Leidenschaft dein eigenes Leben zum Opfer geboten!« sagte Heiding ernst, beinahe gramvoll. »Weißt du auch, was du auf dich genommen hast, in welchen Kämpfen und Enttäuschungen deine hoffnungsreiche Zukunft zugrunde gehen kann?«

»Gewiß weiß ich das – ich bin kein Romanheld, der sich über den Ernst und das Gewicht der Weltverhältnisse täuscht. Aber ich habe die Hand nicht nach einer Blüte ausgestreckt, die zu hoch für mich hängt, sondern nach einer, die die Welt unter ihre Füße treten wollte, die von allen, allen aufgegeben war, selbst von Ihnen, lieber Pate! Es kann sein, daß die Hoffnung, die zur Stunde Prinzeß Hildegard und mich belebt, nie Wirklichkeit wird – daß ich jahrelang an der Entscheidung zu tragen habe, die ich mir heraufbeschworen habe. Doch wird mir immer das beglückende Bewußtsein bleiben, daß dies holde Geschöpf nur dadurch gerettet werden konnte, daß ich doch den Willen hatte, sie auf meinen Armen in ein neues besseres Leben hinüberzutragen, und das wird mir Trost und Genugtuung sein.«

Professor Heiding blieb einige Augenblicke schweigend, dann sagte er: »Geschehe das Beste, was du hoffst! Und wie denkst du dir die Operation – wessen Hand soll sie vollziehen?«

»Keine andere als die meine!« entgegnete der junge Arzt fest. »Ich allein habe die Hoffnung festgehalten, mir allein hängt meines Lebens Seele und Seligkeit am Gelingen des entscheidenden Schnittes.«

Er blickte bei diesen trotzigen Worten von Heiding hinweg, der Professor sah wohl den Ausdruck von Mißtrauen, der die Züge seines jungen Schülers entstellte. Er faßte Erwins Arm, so daß ihm der junge Mann sein Gesicht voll zuwenden mußte, und sagte leise, aber nachdrücklich:

»Schäme dich, schäme dich in den Grund hinein, mein Junge. Deines alten Paten Hand wird in diesem Falle sicherer sein als die des Liebhabers, des heimlich Verlobten! Wenn du dich anstellst, als ob in deiner Hand das Leben liege, in meiner der Tod, so glaubst du ja selbst kein Wort davon und weißt, daß Erwin Heiding euch alle noch hinter sich läßt, weißt auch, daß er nicht vergißt, was ihm die Prinzessin von Grumbach jetzt außerdem sein muß! Ich habe dich zu meinem Beistand hierhergerufen – Beistand sollst du mir leisten, mehr aber nicht, Erwin, und ich denke, du gibst dich!«

Erschüttert und überwunden warf sich Erwin in die Arme seines väterlichen Freundes und Lehrers; er wußte, daß dieser der Pate des Lebens und nicht der des Todes sei. Die Umarmung beider Männer wurde durch den plötzlichen Eintritt des Landgrafen unterbrochen, der mit einiger Verlegenheit auf die Ärzte sah und dann ausrief:

»Die Herren verzeihen – aber bei der Nachhausekunft vernehme seltsame Dinge. Meine Schwester Hildegard hat mich rufen lassen – plötzlich anders gesinnt, – will die Operation wagen und leiden. Verstehe nicht, was vorgegangen ist – höre heraus, daß Herr Doktor Buchhoff neue Gründe für die Operation gefunden hat.«

»So ist's, Durchlaucht!« erwiderte Heiding. »Der Beredsamkeit meines jungen Freundes ist heute nachmittag gelungen, was wir noch diesen Morgen umsonst gewünscht haben. Der Jugend gelingt, was uns nicht mehr glücken will. Wir wollen denn auch nicht länger zögern, wollen unsere Vorbereitungen treffen und morgen zum Werke schreiten.«

Der stolze Blick, den Professor Heiding auf seinen jungen Freund und Schüler warf, gab dem Landgrafen zu denken. Er musterte Erwin von der Seite, und dann murmelte er in seiner abgerissenen Weise vor sich hin:

»Wär's möglich? Im Handumdrehen andere Entschlüsse gefaßt? Was sich so ein Mädchen nur denkt! – glaubt, daß die Welt auf dem Kopfe stehen kann! Wird Augen machen, unsere Schwester Luise! Da es denn Hildegard selbst will – Glück zu, tut euer Bestes, ihr Herren, das Nachher wird sich auch finden – wie sich's – lieber Gott – immer gefunden hat!«

*

Frau Hildegard Buchhoff an Professor Heiding, Würzburg.

Berlin, Lessingstraße, 1. Oktober 1889.

Wir sind Ihnen, liebster Professor und Freund, die Nachricht von unserer glücklichen Einkehr in das eigene Nest noch schuldig. Die letzten Tage unserer Hochzeitsreise, bei Ihnen in Würzburg, stehen in so gutem Andenken wie die ganzen goldenen sonnigen drei Monate! Erwin hat die gehoffte Ernennung zum Ordinarius an der medizinischen Fakultät – Sie sehen, daß ich mich schon ganz ausdrücke wie eine Professorsfrau – hier vorgefunden, ist glücklich in seiner großen und segensreichen Tätigkeit. Er meint freilich, eine Kur, wie sie Ihnen und ihm im Schlosse Bergfeld geglückt, werde er nicht zum zweitenmal unternehmen. Er schauert noch immer leise zusammen, wenn er an die Monate des vorigen Herbstes, an die bangen Wochen denkt, die bis zu meiner völligen Genesung verflossen. Umgekehrt denke ich an nichts lieber als an jene Zeit, in der ich meinen Mann erst ganz kennen gelernt und mit jedem Tage mehr empfunden habe, was Sie unbewußt für die arme kleine Prinzeß Grumbach taten, als Sie sich Erwins annahmen. Die schlimmen Tage des vorigen Winters, in denen ich meinen Entschluß, Erwins Frau zu werden, gegen Luise und all meine Umgebung (den treuen Jakob Franke ausgenommen) standhaft zu verfechten hatte, schwinden schon völlig aus meinem Gedächtnis. Sie sind mir, da ich mich geliebt wußte und Erwin liebte, auch nicht allzu schwer geworden. Und vollends habe ich es leicht gefunden, mich in die veränderten Verhältnisse zu schicken. Ich trinke mit durstigen Atemzügen die neue Lebensluft und fühle mich täglich gesunder und glücklicher in ihr.

Mein Bruder, Landgraf Heinrich, hat uns, als er zum Kauf von Jagdpferden hier war, seinen Besuch gegönnt. Er geruht, unsere Einrichtung »scharmant, gar nicht mesquin« zu finden, ist verbindlich und achtungsvoll gegen Erwin, und ich rechne' es ihm hoch an, daß er das immer gewesen. Natürlich findet er es nach wie vor »seltsam«, daß ich lieber Frau Professor Buchhoff als Gräfin Schlichta werden mochte, obschon ihm die Ahnung aufgeht, daß ich das bessere Teil erwählt habe.

Als wir gestern im Tiergarten spazieren gingen, begegneten wir dem Jagdkameraden meines Bruders, dem Oberstleutnant d'Ardenne, der hier Militärattaché bei der belgischen Gesandtschaft ist. Er blieb stehen und redete mich in wunderlicher Verwirrung als »Durchlaucht Frau Professorin« an. Ich bat ihn, es bei der gnädigen Frau bewenden zu lassen, worauf er mir sehr erleichtert die Hand schüttelte.

Nun leben Sie wohl, liebster Freund, lassen Sie Gutes von sich, wie Sie versprochen, alle Monate hören. Ich schreibe Ihnen, wie ich verheißen, wöchentlich, und Sie sollen viel Gutes von uns vernehmen. Es ist gar keine Kunst, Gutes zu schreiben, wenn man Hildegard Buchhoff heißt und an Leib und Seele so gesund ist, wie ich mir niemals hätte träumen lassen, daß ein Menschenkind sein könne!


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