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Landgraf Heinrich und der alte Kammerdiener, den die Sorge um Prinzeß Hildegard gleichfalls ins Zimmer getrieben hatte, zogen sich sogleich in das große Nebengemach zurück, die Schwester der Kranken, die Wärterin und die Kammerfrau schickten sich an, den Ärzten beizustehen. Doktor Erwin hatte den Frauen und seinem älteren Freunde zartsinnig alle Vorkehrungen überlassen, er war an das Fenster getreten, und sah mit stummer Sorge für den Verlauf der nächsten Stunde auf die zierlichen Anlagen und Blumenparterres hinaus, die sich zu beiden Seiten der Freitreppe an der Vorderseite des Schlosses hinzogen. Der schöne Sommermorgen mahnte ihn an den gestrigen, den er in glücklicher Freiheit auf dem waldstillen Rennsteig verbracht hatte, aber kein anderer Wunsch regte, sich mehr in der Seele des jungen Arztes, als hier bleiben und helfen zu dürfen. Wunderliche Bilder mischten sich in die Gegenstände, die er vor Augen sah; so fest er sich vorgesetzt hatte, ganz klar, ganz bei der Sache zu sein, so schreckte ihn der Anruf Heidings: »Erwin!« dennoch aus träumerischer Selbstvergessenheit. Indem er sich umwandte, begegnete sein Blick einem Augenaufschlag der Prinzessin, der ihn aufs schmerzlichste ergriff – so viel stumme Duldung, so schmerzvolle Ergebung meinte er in ihm zu lesen. Er eilte seinen Platz neben dem Lager der Kranken einzunehmen und in der nächsten halben Stunde, in der er nur einzelne Worte mit dem Professor tauschte, in seiner nächsten Aufgabe unterzugehen. Er fühlte sich jetzt wieder im Vollbesitz seiner eigensten Kraft, er war ganz scharfes Auge, ganz sichere, rasch erwägende und vergleichende Beobachtung. Leicht und unmerklich handhabte er seine Instrumente. Er flüsterte Heiding, der mit der Schreibtafel neben ihm stand und kniete, für die Frauen unverständliche Zahlen und Silben zu. Wenn von Zeit zu Zeit das unregelmäßige Atmen der Kranken, oder ein halb unterdrückter Seufzer an sein Ohr drang, so beirrte ihn dies heute nicht und dünkte ihm eine unwiderstehliche Mahnung zu rascher Hilfe. Er sah die meisten der verdrossen geringschätzigen Blicke nicht, mit denen die Prinzessin von Heinrichstal seine wie Heidings ernste Bemühungen begleitete, und wenn er ab und zu einem dieser Blicke nicht entging, so ward ihm der unverhohlene Widerwille der Dame nur zum Sporn stiller Sorgfalt und ernsten Eifers. Er überließ es Heiding, mit einem stummen Wink die Untersuchung für beendet zu erklären, und zog sich mit ihm in das Vorzimmer zurück, in dem der Landgraf in gespannter Erwartung und sichtlicher Ungeduld auf und ab ging, Er trat den beiden Ärzten entgegen und suchte, schon ehe sie gesprochen hatten, von ihren Lippen zu lesen: »Sind die Herren einig – was haben wir zu hoffen oder zu fürchten?«

»Einen Augenblick noch, Durchlaucht!« entgegnete Erwin Buchhoff. »Vielleicht haben Sie die Gnade, uns drinnen zu erwarten – wir werden uns sogleich erklären. Wir haben nur noch unsere Beobachtungen in ein paar unwesentlichen Punkten zu vergleichen.«

»Verstehe – verstehe – Kunstgeheimnisse!« sagte der Herr lächelnd und rief über die Schwelle des Krankenzimmers hinüber: »Ist's erlaubt, liebe Hildegard?«

Die junge Prinzessin, die wieder wie vorhin unter ihren Decken und an die Kissen ihres Lagers gelehnt saß, winkte ihrem Bruder zu kommen, Erwin Buchhoff war währenddes seinem Lehrer in eine Ecke des Vorzimmers gefolgt, wo ein rascher Meinungsaustausch, unhörbar für die im Schlafzimmer Prinzeß Hildegards Versammelten, vor sich ging.

»Ich habe keinen Zweifel mehr, lieber Meister,« hob Erwin an. »Nicht den leisesten. Es handelt sich um den Leberwurm, und eine augenblickliche Operation ist die einzige Hilfe.«

»Und du hegst keine Furcht, gibst keine Möglichkeit zu, daß eine Geschwulst vorliegt, die nicht zu operieren ist?« fragte Heiding, blickte aber dabei wohlgefällig in das kluge und entschlossene Gesicht des jungen Arztes.

»Nein, und aber nein! ich war meiner Sache nie gewisser!« versetzte Erwin. »Und auch Sie, Professor Heiding, würden keinen Zweifel hegen, wenn es Ihnen nicht wie eine Beruhigung erschienen wäre, daß Ihre klare Erkenntnis doch ungewiß sein könnte!«

»So sprich denn, wie du es für geboten hältst,« sagte Heiding. »Die Entscheidung steht bei der armen jungen Dame; gebe das unerforschliche Schicksal, daß sie für sich die rechte trifft.«

Erwin vernahm das Wort und den Ton, in den es gesprochen ward, mit geheimem Unmut. Er erkannte deutlich den Punkt, bis zu dem der väterliche Freund mit ihm gehen wollte. Doch blieb jetzt keine Zeit zu Erörterungen, und mit Heiding zugleich trat er wieder in das Krankenzimmer und vor das Bett der Prinzessin.

Neben diesem standen Landgraf Heinrich und seine ältere Stiefschwester – die Krankenpflegerin und die Kammerfrau hatten sich bescheiden in den hinteren Teil des großen Gemachs gezogen, blieben aber nahe genug, den Ausspruch der Ärzte hören zu können. Prinzeß Hildegard blickte mit einem Ausdruck von Ruhe und mildem Gleichmut den Wiederkehrenden entgegen, und doch meinte Erwin ein leises schmerzliches Zucken der Lippen und jenes Licht in den Augen zu erkennen, mit dem die verlöschende Hoffnung noch einmal aufzuleuchten pflegt. Er war in einer Stimmung, die ihn noch an keinem Krankenbett überkommen hatte, der Anblick des leidenden und doch so lieblichen Mädchens ergriff ihn mit unwiderstehlicher Rührung und weckte selbst eine leise Sehnsucht in seiner Seele, die Entscheidung noch verzögern zu können.

Doch wußte Erwin Buchhoff zu gut, was seine klare Pflicht sei, und mit einer Stimme, aus der nur sein alter Lehrer und vielleicht die junge Kranke selbst eine ungewöhnliche Bewegung heraushörten, sagte er einfach:

»Durchlauchtigste Prinzessin – Professor Heiding und ich haben nach sorgfältiger Untersuchung und nach Austausch unserer Beobachtungen keinen Zweifel mehr, daß ein Leberechinokokkus Ursache Ihrer Leiden ist. Eine schleunige Operation erscheint uns geboten, und da wir zuverlässig versichern können, daß die Mehrzahl dieser Operationen glückt, und ich sagen darf, daß ich einige glückliche Erfahrungen habe, so bitten wir Ew. Durchlaucht, sich der Notwendigkeit zu unterwerfen, die Ihnen volle Genesung in Aussicht stellt.«

Ohne daß er es wußte und wollte, hatte Erwin seine Ansprache mit einem bittenden Blick begleitet, den Prinzeß Luise mit ihrem geringschätzigsten Lächeln vergalt. Prinzeß Hildegard erbleichte, als das gefürchtete Wort Operation fiel – ihre Augen senkten sich, aber sie blickte alsbald wieder auf und fragte, beide Ärzte fest ansehend:

»Und die Operation, die Sie vorschlagen, ist sie gefährlich und sehr schmerzlich?«

»Wir dürfen nicht sagen, Prinzeß, daß sie völlig gefahrlos sei, aber Professor Heiding wie ich würden sicher alles aufbieten, was unsere Wissenschaft uns an die Hand gibt und wir haben ein Recht, den glücklichsten Ausgang zu hoffen. Auch die Schmerzen lassen sich mindern und mildern – und Durchlaucht haben viel härter gelitten und würden schwerer zu leiden haben, wenn Sie die Operation versagen wollten.«

»Und – und ist keine Aussicht auf meine Wiedergenesung, wenn ich mich der gefährlichen Operation nicht unterwerfe?« fragte Prinzeß Hildegard.

»Die sicherste Aussicht ist die Operation, Durchlaucht,« entgegnete Erwin rasch. »Und Sie stellen sich die Gefahr größer vor, als sie ist; mit Mut und Vertrauen, bei Ihrer Jugend, werden Sie die Tage der Krisis leicht bestehen und – durch ein gesundes glückliches Leben belohnt werden.«

Es war wunderlich, wie diese eindringlichen und mit einer bittenden Miene gesprochenen Worte klangen – der junge Mann, der sie sprach, erschauerte beinahe selbst vor ihnen. Die Prinzessin von Heinrichstal hatte den Arm zärtlich um die kranke Schwester geschlungen, sie redete ihr mit weichem Ton, aber ohne daß ihre starren Züge weicher wurden, vernehmbar zu:

»Laß dich zu nichts drängen, zu nichts überreden, liebste Hildegard, wenn dein Gefühl widerstrebt! Die Herren wissen nicht, was eine Frau, ein junges Mädchen zumal, opfern und überwinden muß, um ihren Ratschlägen zu folgen. Wenn du Furcht hegst, gib dich in Gottes Hand – du kannst gesund werden ohne die schwere Gefahr und Qual, die man dir ansinnt.«

Prinzeß Hildegard schüttelte leise das Haupt; Erwin, der in fieberhafter Spannung den ganzen Vorgang verfolgte, sah, daß in ihren Augen Tränen standen, der Landgraf, der in den Zügen des Arztes und in den ruhig erwartenden Professor Heidings mehr las, als ihm lieb war, zog den Arm seiner älteren Stiefschwester zurück und rief:

»Nicht zusprechen, nicht abraten, Luise! Hildegard muß allein entscheiden. Wird schon selbst das Rechte treffen – wär' vielleicht besser, wir ließen sie mit den Ärzten – mit dem Professor allein – hat vielleicht ein oder die andere Frage –«

»Wo denkst du hin, Heinrich?« rief Prinzeß Luise. »Die Herren könnten sie gegen ihr eigenes Gefühl überreden. Ich leugne es nicht, daß mich der bloße Gedanke an diese Operation mit Abscheu erfüllt. Und Hildegard, die gestern so sehr dagegen war, scheint heute wankend – willst du wirklich dem gewissen Tod selbst die Hand bieten, Kind?« Aber die Kranke machte eine heftige verneinende Bewegung und richtete sich von den Kissen wieder empor, auf die sie einen Augenblick ihr blondes Köpfchen gelegt hatte. Sie winkte den beiden Ärzten näher zu treten, und sagte dann mit bebender Stimme:


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