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Der taunasse Garten, in den man auch aus diesem Gemach hinabsah, ward eben von den ersten Sonnenstrahlen beglänzt, als ein Diener mit der Meldung hereintrat, daß Seine Durchlaucht der Landgraf die Herren im Vorzimmer der Prinzeß Hildegard erwarte. Erwin Buchhoff schnellte aus seinem Sessel empor, während der Professor sich ruhiger und gefaßter erhob. Er schritt dann schweigend neben Erwin durch die langen Gänge und flüsterte ihm nur, als sie vor den Gemächern der Kranken ein paar Augenblicke stillstanden, zu:

»Ich lasse dich sprechen, Erwin – hab' wohl acht, daß du nicht mehr verheißest, als wir verheißen dürfen, und nicht stärker in die Arme dringst, als wir in diesem traurigen Falle verantworten können.«

Der jüngere Mann hatte bei der Wiederkehr dieser Mahnung abermals ein Gefühl, als verschleiere sich sein scharf blickendes Auge und als werde ihm die Zunge zum voraus gelähmt. Zeit zu einer Erwiderung war nicht mehr – eben meldete Jakob Franke sie Seiner Durchlaucht an, und der Herr des Hauses kam beiden Ärzten bis zur Mitte des großen Vorzimmers entgegen. In den ein wenig schlaffen und ausdruckslosen Zügen des Landgrafen Heinrich war heute morgen doch eine gewisse Befriedigung zu erkennen, er reichte mit freundlichem Morgengruß Heiding und danach Erwin Buchhoff die Hand und sagte zu letzterem so laut, daß er auch im Schlafzimmer der Kranken gehört werden mußte:

»Ein neuer Doktor wirkt immer Wunder. Meine Schwester Hildegard hat eine ungewöhnlich gute Nacht gehabt, meine Herren, und fühlt sich kräftiger als seit vielen Tagen.« »Das ist erfreulich zu hören, Durchlaucht,« entgegnete Erwin. »Es wird der Prinzessin und uns die notwendige und entscheidende Untersuchung erleichtern, die jeder weiteren Entschließung noch einmal vorangehen muß. Wird uns verstattet sein, Ihre Durchlaucht zu begrüßen?«

Der Professor vernahm in Erwins Erwiderung einen Klang von drängender Ungeduld, der dem Landgrafen entging. Zuvorkommend sagte dieser:

»Meine Schwester ist bereit, die Herren sogleich zu empfangen. Nur möchte ich bitten,« fügte er leiser hinzu, »mit der Untersuchung so schonend und diskret als möglich zu verfahren; Sie hörten schon von Professor Heiding, daß Hildegard wenig Glauben an ihre Heilung hat.«

»Vielleicht gelingt uns, der Prinzessin ein besseres Vertrauen einzuflößen,« antwortete Erwin rasch, denn er wollte jedem abschwächenden resignierten Worte Heidings zuvorkommen.

Der Landgraf begnügte sich, dem Professor zuzuflüstern: »Gut, daß die jüngeren Männer stärkeren Glauben an die Allmacht der medizinischen Wissenschaft haben als die älteren Meister!« und führte dann die beiden Ärzte selbst in das Zimmer der Kranken ein. Erwin mußte sich besinnen, daß er nicht vorauseilen dürfe – er sah mit so leidenschaftlicher Spannung, so wunderlich verworrenem Gefühl nach dem Lager der Prinzessin hinüber, daß er fast vergaß, die respektvollen Begrüßungen der Wärterin und der Kammerfrau zu erwidern. Er hatte sich vorgesetzt, die nächste Stunde zu nützen – sich selbst durch die Gegenwart des Landgrafen weder hemmen noch befangen zu lassen, und jetzt befing ihn der Anblick der Kranken, ließ ihn verstummen und sich umsehen, ob Heiding ihm zur Seite geblieben sei. Noch eben hatte er gewähnt, daß alles besser stehen werde, wenn er allein versuchen könne, der Leidenden Mut und Hoffnung einzuflößen – und mit einemmal fühlte er, daß der liebenswürdige Gruß der Prinzessin dem Professor und ihm – ja ihm vielleicht nur gelte, weil er seines Lehrers Schüler sei.

Das Morgenlicht fiel durch schleierartige Vorhänge an den Fensterscheiben nur matt gedämpft in den großen Raum, wob einen rosigen Schein um alles, selbst um das bleiche Gesicht der Kranken. Prinzeß Hildegard saß wie gestern an die Kissen ihres Lagers gelehnt, aber sie schien sich heute kräftiger aufrecht zu halten, die tiefen blauen Augen glänzten frischer, die Lippen waren röter als am Abend zuvor, ihr blondes Haar, schlicht gescheitelt und sorglich in einen Knoten geschlungen, umrahmte Stirn und Schläfen sehr anmutig – Erwin ward sich nicht zum erstenmal bewußt, wie schön das junge Mädchen sei, das er so gern dem Tode entrissen hätte. Wiederum durchzuckte ihn die Erinnerung an das Kindermärchen: wie im Märchen stand er zu Füßen des Bettes der kranken Prinzessin – und schier unwillkürlich blickte er zu Häupten – und gewahrte nichts als den blauen Atlas des Betthimmels und die lichte Tapete der Wand. Er raffte sich aus der Traumanwandlung auf, als er Professor Heiding hörte, der zur Prinzessin sagte:

»Wir freuen uns, Sie heute morgen gestärkter zu finden, Durchlaucht. Wir kommen mit der Bitte, uns noch eine eingehende Untersuchung zu gestatten – und Ihnen danach Maßregeln vorzuschlagen, die Ihrer Krankheit ein Ziel setzen. Wie ich Ihnen schon vorgestern sagte, muß ich dabei vor allem auf den Blick, die Erfahrung und die Hand meines jungen Kollegen zählen, der auf eine Reihe von schweren Fällen und glücklichen Heilungen zurücksieht und mit dem ich Ihre Krankheit seit seiner Ankunft durchsprochen habe.«

Erwin erglühte bei diesem Lob seines Paten – es wehte ihn an wie ein Hauch frischer Hoffnung; Prinzeß Hildegard, die im Tageslicht noch besser als gestern abend unterscheiden mochte, wie jung der als erfahren gepriesene Arzt sei, senkte die Augen und entgegnete einfach:

»Der Untersuchung, die Sie für nötig halten, muß ich mich eben unterwerfen, Herr Professor – und – Herr Doktor! Alles, was Sie für meine Genesung tun wollen, danke ich Ihnen von Herzen, muß Sie aber bitten, mir genau und klar zu sagen, was Sie vorhaben, und mich in nichts zu täuschen! Ich sagte Ihnen meine Gründe schon gestern, Herr Professor, und hoffe, Sie haben Herrn Doktor Buchhoff unterrichtet!«

Ehe Heiding zu antworten vermochte, fiel eine dritte Stimme, nicht die des Landgrafen. Plötzlich ein: »Gewiß hast du recht, liebe Hildegard, und es fragt sich sogar, ob die Herren dir die Pein einer erneuten Untersuchung nicht ersparen könnten! Wenn sie dir eine Hilfe vorzuschlagen haben, die dich nicht mit neuen Qualen bedroht, so müßten sie es jetzt vermögen.«

Erwin fühlte sich beim völlig sanften Klange dieser Stimme durchschauert, er blickte von der Prinzessin, auf deren Zügen sein Auge mit teilnehmendem Ernst geruht hatte, hinweg und sah zwischen sich und dem Landgrafen eine Dame stehen, die unhörbar in das Krankenzimmer gekommen war. Sie war eine Frau zwischen dreißig und vierzig Jahren mit nicht unregelmäßigem, aber starrem Gesicht, aus dem ein paar kluge graue Augen lebendig genug hervorschauten, eine hagere Gestalt mit etwas steifer Haltung. Sie trug ein Morgenkleid von grauer Seide mit schwarzen Spitzen und gab durch ihr Äußeres zu dem tiefen Widerwillen und dem Schauer keinen Anlaß, mit dem sie der junge Arzt erblickte. Der Schloßherr deutete sich den Blick Erwins falsch, er beeilte, sich vorstellend, zu sagen:

»Herr Doktor Buchhoff aus Berlin, Professor Heidings Schüler – meine Schwester, die Prinzessin von Heinrichstal Durchlaucht.«

Erwin blieb der Dame die Verbeugung nicht schuldig, die ihrem Rang geziemte, wandte sich aber sofort zu Prinzeß Hildegard zurück und sagte:

»Sie verzeihen dem Arzt, der in seiner Pflicht steht – die erneute Untersuchung ist durchaus unvermeidlich, um uns zu den klaren Vorschlägen zu führen, die Sie fordern!«

Aus Erwins Stimme klang eine innere Festigkeit, der sich die Kranke ohne weiteres fügte. »Gewiß, Herr Doktor, lieber Herr Professor, ich schulde Ihnen ja Dank, daß Sie hierher gekommen sind – ich will Ihnen nicht erschweren, was Sie für notwendig halten. Laß es gut sein, Luise, es wird nicht oft mehr nötig werden,« sagte die junge Prinzessin, die inzwischen ihrer Stiefschwester die Hand gereicht hatte und den mißbilligenden, den Ärzten geltenden Ausdruck im Gesicht der Dame wahrnahm.

»Ich will bei dir bleiben, armes Kind,« versetzte die Prinzessin von Heinrichstal. »Und ich hoffe, da dies nach Gottes Fügung einmal ein schwerer Fall ist – die Herren verschweigen uns nichts, was wir wissen müssen!«

Professor Heiding tauschte mit Erwin einen Blick und sagte dann trocken: »Ew. Durchlaucht können gewiß sein, daß wir Ihnen nichts vorenthalten, was wir nach unserer Pflicht auszusprechen haben. Und jetzt möchten wir gehorsamst bitten, die Gunst der Stunde nützen zu dürfen – mein junger Freund und Kollege legt vor allem Wert darauf, seine Beobachtungen von gestern abend bei Tage zu wiederholen.«


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