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Mit diesem wunderlichen Trostspruch geleitete er den jungen Arzt durch einen Seitengang und eine lange Galerie mit zahlreichen Bildern des achtzehnten Jahrhunderts nach der Bibliothek, die Erwin gestern abend zuerst betreten hatte. Wie er den stillen Raum durchschritt, fühlte der Erregte, daß er denselben nie vergessen werde, ob er ihn nun wieder erblicke oder nicht. Ein inneres Fieber der leidenschaftlichen Spannung, ein dunkles Gefühl, als werde er unwiderstehlich getrieben, während er doch klar zu wissen meinte, was er wolle und was seine Pflicht sei, ließ ihn die Zuflüsterungen des alten Franke völlig überhören – seine Seele wie seine Augen eilten den Füßen vorauf, und als er mit seinem Begleiter über die Schwelle des Krankenzimmers trat, hatte er das blasse, liebliche Gesicht durch Mauern und Vorhänge hindurch schon längst erblickt. Was er nicht erblickt hatte, war ein Ausdruck anmutiger Verlegenheit und ein Hauch von Munterkeit auf dem leidenden Gesicht, ein Lächeln, das zu anderer Stunde und an anderem Orte ein fröhliches geheißen hätte. Die Prinzessin von Grumbach hatte sich, als ob sie trotz des Hochsommers fröstle, in einen Schal gehüllt – Erwin sah in diesem Augenblick nur ihren Kopf, um den das blonde Haar wirklich wie ein Glorienschein lag. Ehe er mit ehrfurchtsvoller Verbeugung näher trat, rief sie ihm bereits entgegen:

»Mein alter Jakob vertraut mir, daß Sie sich um meinetwillen sorgen und quälen, Herr Doktor, sich wohl gar vorwerfen, daß Sie mir eben nicht helfen können. Da habe ich Sie denn doch noch sehen und Ihnen zeigen wollen, daß mir nicht schlimm zumut ist, daß Sie um meinetwillen getrost von hier weggehen, in Ihr schönes Leben, Ihren hohen Beruf zurückkehren dürfen –«

Wie um sich selbst Mut zu machen, lächelte sie jetzt noch heller, und in ihrer Stimme war ein Klang, der Erwins Mark durchrieselte. Er fühlte, daß er hier keine Minute in unnötigem Gespräch verrinnen lassen dürfe, er fiel ihr rasch ins Wort:

»Ich bin geblieben, Prinzeß, weil ich noch einmal alles versuchen möchte, um Ihren Entschluß zu erschüttern, zu wenden. Von meinem Leben habe ich kein Recht zu reden, aber ich sage Ihnen, wenn mir mein Beruf der hohe bleiben, wenn ich ihn lieb behalten soll, wie ich muß, so senden Sie mich nicht von hier mit dem Gefühl hinweg, daß ich da nicht helfen durfte, wo es mir vom höchsten Wert für alle Zukunft gewesen wäre, mich bewährt zu haben.«

Die bleichen Wangen Prinzeß Hildegards wurden von einem flüchtigen roten Schimmer überhaucht:

»Sie sprechen ja, als ob ich Ihnen ein Unrecht zufügte, Herr Doktor, weil ich mich zu dem nicht entschließen kann, was Ihre Wissenschaft in meinem traurigen Falle rät. Ich wiederhole Ihnen, es ist kein Mißtrauen gegen die Wissenschaft, keines gegen Ihre Kraft! Ich glaube Ihnen gern, daß Ihre Kunst mir helfen würde – und wenn ich Ihnen dies sage, so scheiden Sie vielleicht zufriedener und ehren schweigend auch meine Empfindung.«

Erwins Züge verdüsterten sich – er mußte sich einen Augenblick wegwenden, die Unterredung nahm wieder die Wendung zum trostlosen Verzicht auf Leben und Gesundheit. Dann sagte er langsamer, als er bis jetzt gesprochen, und nachdrücklicher: »Wenn ich dächte, Durchlaucht, daß es Ihren letzten Entschluß günstig beeinflussen könnte, so sagte ich, Sie tun mir unrecht!«

»Ich will Ihnen aber keines tun! Ihnen, dem ich nur zu Dank verpflichtet bin, wahrlich nicht!« versetzte Prinzeß Hildegard lebhafter.

»Das hilft mir nicht!« antwortete er und vermied es, sie dabei anzusehen, um nicht von den bittenden blauen Augen entwaffnet zu werden. »Wenn mir in meinem Sinn kein Unrecht geschehen soll, müssen Sie sich retten lassen! Ich scheue jedes frevle Wort – aber ich muß Ihnen sagen: niemals zuvor bin ich so sicher gewesen, daß meine Hand glücklich sein, daß alles, alles wohl gehen wird, als in Ihrem Falle, Durchlaucht.«

»Und wenn alles wohl geht – wer sagt Ihnen denn, daß es mir wohl tut?« fragte die Kranke plötzlich. »Was wissen Sie davon, wie ich zur Überzeugung gekommen bin, daß ich diese Krankheit nicht überstehen werde?«

Jetzt mußte er aufsehen und den zürnenden Blick aushalten, der doch auch aus diesen sanften Augen leuchten konnte. Aber er holte leichter Atem – die schöne Feindin, die ihm sein Leben zu zerstören drohte, hatte jetzt selbst den Streit auf ein Feld gespielt, von dem ihn Ehrfurcht und innige heilige Scheu und noch etwas, das seit Stunden in seiner Seele immer stärker gewachsen war, seither zurückgehalten hatten.

»Vielleicht weiß ich auch davon,« entgegnete er zögernd. »Vor uns Ärzten birgt sich ja kein Geheimnis! Aber Sie verzeihen mir, Prinzeß, ich bin aus härterem Stoff als mein geliebter Lehrer! Ich weiß, worauf Sie hindeuten, und beklage Sie tief, daß Ihr junges Leben Ihnen schon so herbe Erfahrungen gebracht hat. Dennoch sage ich Ihnen: eben darum möchte ich, muß ich Sie retten, damit Sie erfahren, wieviel Gutes, Großes, Schönes Ihnen das Leben noch bringen kann.«

»Ich wußte nicht, daß ich zum berühmten Chirurgen auch einen Seelenarzt vor mir hätte,« sagte die Prinzessin, und jetzt war es ein unselig bitteres Lächeln, das sich über ihre Züge stahl. Gleich darauf senkte sie wie ermattet das Haupt und streckte die Hand nach Erwin hin. »Nein, nein, verzeihen Sie mir, Herr Doktor. Ich fühle es, wie edel teilnehmend Sie sind! Aber dies Gespräch kann zu nichts führen; wenn die Kranke dem Arzt glauben muß – muß nicht auch einmal der Arzt der Kranken glauben?«

»Nein, Durchlaucht, er muß nicht, wenn er tief wie ich überzeugt ist, daß auch die Lebensfurcht und Sehnsucht nach der letzten großen Ruhe, die uns allen früh genug kommt, krankhaft sind,« erwiderte Erwin und trat dem Lager der Prinzessin näher, als er seither gestanden hatte. »Er muß nicht, wenn er weiß, daß seine Kranke nur zu wollen braucht, um mit der Gesundheit jedes Gut und neues Leben zu gewinnen.«

Prinzeß Hildegard sah das Gesicht und die mahnenden bittenden Blicke Erwins bei diesen Worten nicht, sie hatte sich halb zurückgelegt und die Augen geschlossen, die Bilder, die der junge Arzt beschwor, schienen ihr Schmerz zu bereiten. Ihre Hände winkten ihn hinweg, er blieb wie gebannt und starrte auf das Kissen und das leidende Gesicht herab, das plötzlich in Tränen gebadet war. Als sie merkte, daß er nicht wich, hauchte sie wieder: »Sie haben getan, was Sie konnten, Sie werden dennoch versuchen müssen, mir zu glauben!«

»Ich werde es nicht, Prinzeß, bis ich noch eins gesagt! Sie müssen meinem Schmerz um Sie, der tiefen Sehnsucht, Sie zu retten – die Kühnheit verzeihen! Mir ist seit heute zumut, als wäre es meines Lebens höchste Aufgabe, Ihnen zu helfen, als hätte ich keine andere mehr –«

Er hielt inne, die Kranke richtete ihr Haupt empor, aus seiner zitternden Stimme hatte ein Ton geklungen, der sie den Sprecher aus großen Augen halb erschrocken, halb zweifelnd ansehen ließ, und ehe er weiter zu sprechen vermochte, sagte sie: »Ich danke Ihnen, danke Ihnen tausendmal – doch es muß bleiben, wie es ist – ein armes verlorenes Leben!«

Erwin aber ließ sich jetzt weder durch erschrockene Blicke, noch durch bittere Worte mehr aufhalten – er hatte auf den Grund ihrer Seele hinabgeblickt, ein heißer Schauer neuer Lebenshoffnung ging über ihn hin und strömte von ihm aus, er faßte die Hände Prinzeß Hildegards zwischen die seinen und hob noch einmal an:

»Sie fürchten, Prinzeß, daß auf der weiten Welt keine Seele lebt, die Ihnen ganz zugetan, ganz zu eigen sei – Sie sehen der Zukunft freudlos entgegen, und ich, der Fremde, muß Ihnen sagen, daß Sie irren, daß Sie vielleicht nicht einmal ahnen, welch wahrhaftes überschwengliches Glück Sie zu geben und zu gewinnen vermögen.«

»Sie träumen, Herr Doktor!« sagte Hildegard matt. Sie hatte nicht mehr die Kraft oder den Willen, ihre Hände aus denen Erwins zu lösen. »Bitte, lassen Sie dies Gespräch enden, es schmerzt mich tiefer als meine Krankheit! Wo lebt der Mensch, der mich in ein neues Leben tragen, mir nur den Pfad dazu zu zeigen vermöchte?« »Er lebt, lebt vielleicht tausendmal!« rief der junge Arzt, »Da es mein Geschick oder Glück gewollt hat, daß ich Ihnen nahen, in Ihr Leben und Ihre Seele blicken durfte, so bin ich der Mann! Ist Ihnen das Opfer meines Lebens, meiner Zukunft nicht zu schlecht, Hildegard, müssen Sie nicht die Prinzessin von Grumbach bleiben – ich legte so gern alles zu Ihren Füßen, was meine Kraft, mein reiner Wille im Leben erreichen und erobern mag! Doch auch wenn ich Ihnen der Mann nicht bin, nehmen Sie das Gefühl, das Sie in mir erweckt, und meine tiefe, alles vergessende Sehnsucht als ein Unterpfand, daß ein Besserer, viel Besserer kommen wird – gönnen Sie mir das Bewußtsein, Ihre holde Jugend, Ihr Leben gerettet zu haben!«

Die Prinzessin schauerte unter dem Strom dieser flehenden Worte zusammen; aber es war ein süßer Schauer, der sie ergriff; sie schlug die geschlossenen Augen wieder voll auf und flüsterte leise: »Wenn Sie mich denn retten wollen, so retten Sie mich für sich!«


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