Franz Stelzhamer
Groß-Piesenham
Franz Stelzhamer

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Nicht wahr, mein lieber Begleiter, da sieht es fast ein wenig urweltlich aus. Kreuz und quer schneiden sich tiefe Hohlwege, die sämtlich auf das höher liegende Mitte- und Oberfeld hinausführen. Fast jedes Haus hier steht auf einem eigenen, abgesonderten Hügelchen.

Das dort rechterhand ist das Bäuerlein Schneiderjodl, ein ob des überreichen Kindersegens sorgenvoller, tiefsinniger Mann. Aber Kinder und Alte brave, verehrungswürdige Leute. Voll Liebe und mit rastloser Tätigkeit unterstützt eins das andere, und so bringen sie sich fort und es geht dennoch!

Trillernde Lerche, Marie, mit dem flachslichten Kopf und der rosenschimmerigen Wange, hättest bald mein Herz wachgesungen! Sei in der Erinnerung gegrüßt und freudig aufbewahrt, trillernde Lerche, Marie!

Hinter dem Schneiderjodl diesseits und jenseits des Weges stehen zwei Häusler – ehrlich, still, unbedeutend in Allem und Jedem.

Dafür kommt gleich dahinter ein wichtiger Mann, der Bauer Lidl, braver, geschätzter Obmann und Richter zu damaliger, vielbewegter Zeit.

Guter Mann, du hattest mit deinem Eifer, mit deiner Geltung und Beredsamkeit wohl manche drohende Feindesgefahr abgewendet und ferngehalten von unserem ohnehin glücklich versteckten Waldwinkel.

Habe Dank dafür!

Doch um dein Verdienst diesfalls zu würdigen, müßten meine Erinnerungen nicht die des Kindes sein; mir ist nur deine sonstige Erscheinung merkwürdig geblieben.

Ich habe dich zwar öfter im Rate der Männer das Wort führen – nicht gehört, nein, gesehen; denn was verstand das Kind von eurer Angelegenheit! Die lustigen Soldaten mit ihrem unverständlichen Gewäsch gefielen ihm. Ach, und erst die schweren, schimmernden Reiter! Euch machten sie Angst und Not, ihm Freude und Vergnügen. Das Vaterland mochte ächzen und seufzen; ihm lachte das Herz in immer buntem Wechsel der Dinge. – Glück der Jugend, Unwissenheit, sei gesegnet, du fülltest meine Seele mit unvergänglichem Bilderreichtum und Schmuck!

»Aber warte, du Spitzbube von Franzos’, das sollst du mir nicht wieder tun!«

»Vater, hilf, Vater, der Franzos will mich schießen –Vater!«

Aber der Vater stand auch schon da und drohte dem Burschen. »Du Schlingel, du« – rief der Vater – »was hast du mir denn das Büblein zu schrecken, das dir nichts tut?«

»Ei – ein Spaß war’s, eine mutwillige Schnacke ist’s gewesen!« Der Franzose mochte schon lange nicht mehr geschossen haben, da wollte er versuchen, ob er doch noch gut zielen könnte!

Und da zielte er denn auf das Büblein und fuhr ihm mit seiner Muskete am Wang’ nach, wie es eben mit seinem »Eisstöcklein« den schmalen Schneepfad so über Tischlers Boint dahinlief; nu, und das Bübchen war ich.

Geschossen hätt’ er nicht. Wie hätt’ er denn sonst auf Vaters Verweis so herzlich lachen und das Büblein gleich darauf zu sich erheben und tüchtig abküssen gemocht; wie wären dann die anderen – doch Entschuldigung, lieber Leser, es ist verführerisch, wenn man so mir und dabei war, aber ich will gleich wieder vom Bauer Lidl erzählen!

Lidl war bei aller Energie, die er als Richter und Pfarrobmann entwickelt hatte, ein guter, sanfter, gehaltvoller Mann. Er hatte ein Weib, das vielleicht nicht zu den allerliebenswürdigsten zählte, doch hörte man nie von einem häuslichen Unfrieden. Seine Kinder, zwei Töchter und ein spätgeborenes, frisches Söhnlein, gehörten zu den eingezogensten und bravsten im Dorfe.

Lidls Güte und Sanftmut erstreckte sich herunter bis aufs »liebe Vieh«. Ja, wär’ es möglich gewesen, daß schon damals, lang vor des Münchener Hofrats Perner glorreicher Erfindung, ein Mensch, Landmann und Waldbauer dazu, echt antitierquälerische Gesinnung gehabt und werktätig bewiesen hätte, traun, unserm Nachbar und Dorfinsassen Lidl gebührte die Ehre!

Ach, horch nur und höre!

Frühling ist’s. Der wieder gezähmte Nordwind spielt als lustig mutwilliges Lüftchen mit dem vorjährigen, da und dort versteckten Laub und mit dem aufgetretenen und losgefahrenen Staub auf Wegen und Straßen. Die Felder sind trocken und kleiden sich in jenes bestimmte, dem Auge des Landmannes so wohlgefällige Grau. Es ist an der Zeit, die Sommersaat zu bestellen. Auch Lidl ist daran und eben auf seinem großen Ackerland im »Unterfeld« beschäftigt.

Er ist nur in Hemd und Kniehose gekleidet, und sein Kopf ist ganz ohne Bedeckung.

Seine zwei stattlichen »gescheckten« Ochsen, durch längere Winterruh ein wenig ans Faulenzen gewöhnt, wollen nicht recht Takt halten.

Es geht auch anderen (daneben Beschäftigten) mit ihrem »Man« (Zugvieh) nicht besser. Aber die fluchen und schelten auch wie böhmische Reiter, nützen die Geißel, die Giftigsten werfen mit Knollen, ja mit dem eisenbeschlagenen »Ackerreidel« selbst wie toll um sich.

Und was tut unser Lidl?

Ei, er wird auch laut, fast lauter als die andern, aber er ist nicht böse, nicht unwillig und ergrimmt. Er flucht nicht; im Gegenteile, er ruft »In Gottes Namen!« Er bittet seine Ochsen, »um Gottes willen« schleuniger, vernünftiger zu schreiten und sich und ihm die ohnehin genug beschwerliche Arbeit nicht noch mehr zu erschweren!

»Hi, Scheck!« ruft er – »Hi! So sei gescheit, Scheck! – Der Tausend! – in Gott’snam, wistaha! «

Dann aber geht der folgsame Ochse wieder zu sehr links und er ersucht ihn wieder mit derselben Höflichkeit, mit derselben freundlichen Dringlichkeit, mit unverändertem, mildem Tone, ja doch wieder ein wenig mehr »hott«, d. i. rechts, gehen zu wollen!

Wenn er dann auf diese Weise – wie nicht anders zu erwarten -ziemlich gut ans Ende des Ackers gekommen, erlaubte er seinen »Men« ein wenig Ruhe, belobte sie ihrer Folgsamkeit wegen, nannte sie seine »braven Schecken«, versprach ihnen zu Hause ein gutes Futter, ein gutes, kräftiges »Trank« und dann ging es wieder in »Gottsnam!« nach der andern Seite zu.

»Sieh« – sagten ironisch dazu lachend die Leute auf den andern Feldern, wenn sie das sahen – »sieh, der Lidl hält mit seinen Ochsen wieder Schul’ und Predigt!«

Aber der Lidl machte sich nichts daraus aus ihrem Gespötte. Und wenn es Erntezeit geworden war, hatte er regelmäßig die gesegnetsten, schönsten Felder.

Es ist wohl das »Gottsnam« auch kein eigentlicher Felddünger, aber der Fluch ist es gewiß noch viel weniger!


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