Franz Stelzhamer
Groß-Piesenham
Franz Stelzhamer

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Die Leutchen, bereits alt und verbraucht, haben erwachsene Kinder, aber alt und jung sind völlig ohne Ansehen und Beliebtheit im Dorf.

Die ganze Familie, die alte Bäurin ausgenommen, ist mit dem Erbübel des häßlichen Plattfußes behaftet, die eine Tochter noch überdies mit Blödsinn und einem hornartigen Auswuchs an der Stirne, einem Ding, nicht weniger zu eigenem als fremdem Anstoß, vorzüglich für mutwillige Kinder.

Ach, das arme »Klarl« (Klara) hatte viel zu leiden, wenn sie so irrwischartig dahinschwankte oder am Bach und Brunnen hantierte!

Aber den beim gähen Anblick fast unwillkürlich losbrechenden Mutwillen dämpfte stets ein geheimes Grauen – kein Wunder! Denn man munkelte – ach, wer kann gegen den Volksglauben – , die plattfüßigen Leute, wenigstens gewiß alle weiblichen solchen, müßten nachts Drudendienst verrichten! Und die Drude, das muß ich sagen, die stand damals und steht noch bei den Leuten unserer Gegend in festem, hochgefürchtetem Ansehen!

Das arme Klarl, wahrscheinlich geblendet von ihrem Stirngewächs und mit ihren unbehilflichen Platten schon am hellen Tage nur mühsam seine Wege wandelnd, sollte gar noch als Drude zu nächtlichen Wanderungen verdammt sein – 0 du unbarmherziges Schicksal im Gehirn des abergläubischen Volkes!

Anderseits aber, wie schon bemerkt, kam Klaren dieser Wahn auch gut zu statten, er schützte sie nämlich vor tausend Neckereien – wer sollte sich mit einer Drude ernstlich überwerfen und verfeinden? – Und die Unglückliche pilgerte wie jedes Andere, fernerhin völlig unangefochten, ihren engbegrenzten Lebenspfad.

Der alte Rohrbauer, von dem der unselige Plattfuß und ein eigentümliches, wirklich unheimliches »Geschau« herstammte und aberbte, ward auch allgemein der Unredlichkeit auf dem Felde und Wiesgrund geziehen. – Es hieß, er schmälere allenthalben mit seinem Pfluge die Ackerraine, ja verrücke sogar zum Nachteile des Angrenzers die Marksteine. Diese Untat – beiher gesagt – wird aber von unserem Landmann als eine so schwere Sünde bezeichnet, daß sie der unglückliche Begeher im Leben gar nicht abzubüßen imstande sei, sondern dessen arme Seele müßte nach dem leiblichen Ableben so lange an dem verrückten Mark weilen und leiden, bis jemand durch Wiederzurechtrichtung des Steines sie von ihrer Qual erlöse.

Sein Sohn, Michael, dem der Alte endlich das Gut übergeben hatte, bis auf seinen Plattfuß ein völlig untadelhafter junger Mann, mußte sich später doch auch wieder so weit verfehlen und um der Leute gute Meinung bringen, daß er einmal, weiß Gott aus welcher Ursache, seinen alten Vater mit Fäusten schlug, so sehr schlug, daß wir Kinder wie die großen Leute noch am Samstag abend, als wir um das Kornfeld beten gingen, des Alten Gesicht ganz blau und blutrünstig gesehen haben.

Ich erinnerte mich, weil ich damals der Schule schon fleißig lernte, beim Anblick des geschändeten Antlitzes einer drohenden Bibelstelle für diesen Fall und konnte vor innerem Schauder um das ganze Kornfeld keine recht andächtige Sammlung gewinnen.

Später kam von anderswoher eine junge, frische Bäurin ins Haus, die mit ihren äußerst angenehmen, einschmeichelnden Manieren vieles darum und darin änderte und ebnete. An ihren zahlreichen Kindern, wovon ein paar Töchter sehr schön geworden sind, ist auch der fatale Plattfuß wieder zum großen Teil verschwunden. Ein Abkömmling von ihr, der seitdem auch schon wieder das Gut überkommen hatte, konnte sich sogar entschließen, sein väterliches Erbe zu vertauschen, von Haus und Hof zu scheiden und aus dem Unterdorf ins obere aus zuwandern.

Dort gründete er nun als neues Haupt eine neue Familie. Das Rohrbauergut ist ebenfalls von Grund auf neu bepflanzt, aber ich weiß nichts mehr davon.


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