Franz Stelzhamer
Groß-Piesenham
Franz Stelzhamer

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Die beiden Häuschen samt Gerechtsamen besaß damals ein und dieselbe Familie, alt und jung.

Jakob, der Sohn, ein haspeliger Bursche von wenig Befähigung und noch weniger Geschäftskenntnis, war dazumal gerade auf Freiersfüßen.

Ei, die Füße bei Jakob waren gut, zwischen der schwarzledernen Kniehose und den bedeutend kurzen, fast übersparsamen Stiefelröhren strotzten unter den weißleinenen »Schnürlstrümpfen« ein paar tüchtige, kernhafte Waden hervor; ja, des Freiers Füße waren gut, aber das Freien ging schlecht. Jakob hatte nämlich ein unglückliches Mundwerk; er sprach wohl und meinte es ganz recht, aber es kam ungeschickt heraus. Die Mädchen konnten über seine ernsthaftesten Anträge nur lachen und ein Weilchen Scherz und Schelmerei mit ihm treiben. Ja Manche von überwiegender Schalkhaftigkeit und minder strengen Grundsätzen foppten Jakoben sogar Geld ab, ließen sich von ihm bewirten und zeigten ihm dann lachend den Rücken.

»Gelt, bo da Bierzeisel wäi dar recht, awa bo da Grüna da wars nix!« schimpfte dann Jakob, wenn ihm über die Täuschung die Zornader schwoll; aber, du lieber Gott, ein neues Gelächter, und zwar ein allgemeines, war sein Lohn.

Viele solcher und ähnlicher Sprüche und Redensarten vom Hafner Jakob waren in aller Volksmund und reichten bis zu uns Kindern herab. So mußte Jakob zu jeder Suppe sein »Pfefferstupp« haben, aber er nannte es komisch genug, stets Feffergupp, was in uns Kindern natürlich wieder große Heiterkeit erregte.

Dennoch lief Hafner-Jakob endlich glücklich ein in den Hafen der Eh’ und ersproß ihm daraus ein blaßzartes, wunderholdes Töchterchen, das freilich wir größern Kinder eben dieser Zartheit wegen wieder nur »a, Hefnabööli«, das ist Hafnerbeerlein, nannten.

Auch Jakobs Vater, der alte Hafner, war ein höchst komischer Kauz und, aus dem Nachfolgenden zu schließen, auch kein Kirchenlicht. Der Alte hatte nämlich an der einen Hand einen Stummelfinger, und wie hatte er sich den erworben?

Ach, närrisch genug!

Der Alte war ein kurzer, fast zusammengedrückter Knirps. Schon das bringt auf die Vermutung, daß er sich besagten Stummel nicht selbst und absichtlich in seiner Jugend, wie das bei hübschen Burschen des Militärs wegen öfter geschieht, zubereitet hatte. Ei, Gott, nein! Er war schon alt, wie ihm das geschah.

Man denke, er führte mit seinem braunen Gäulchen vom nahen Walde, wo ein Tonlager ist, für ihre Werkstatt ein Wägelchen solcher Erdmasse nach Hause; bricht ihm aber beim Anfahren eines kleinen Bergleins ein Glied an der Strangkette – da standen sie, er und sein Gäulchen und sein Wägelchen auch dazu.

Was ist zu machen?

Gaul und Wägelchen natürlich wußten das nicht; aber und da fängt der Unterschied an zwischen Roß und Mensch – aber ihm, dem alten Hafnermeister, fiel es nach einigem schwerem Nachsinnen glücklich ein:

»Da ist vor allem das gerissene Glied zu entfernen und die nächsten zwei ganzen guten durch einen eingezwängten Keil oder Kloben zu verbinden!«

Er sah sich um ein derbes Ding in seiner Nähe um. War aber keins zu sehen. – Hm, was braucht es da viel Umseherei und Umsucherei! Einen seiner Finger – biegsam und schmiegsam, wie sie wären – das steckt sich auch viel leichter hinein als starres, ungefüges Holz!

Gedacht, getan.

Die Eisenglieder der Kette waren durch seinen – versteht sich – stärksten und besten Finger in Verbindung gebracht – also Hi, Rößlein! Dazu mit der freien andern Hand einen festen Geißelhieb auf das »Bräundel » und – knack, lag der Finger wie abgeschnitten zu des erstaunten Hafners Füßen. – Nu, es war ja nur der Finger, von fünfen ein einziger! – Wäre die Kette größer gewesen, die Glieder weit genug, gewiß der edle Tondrechsler hätte auch seinen Arm, seinen Fuß, ja selbst seinen Kopf dareingesteckt, dann – wär’ es schlimmer, bedauerlicher gewesen, so war und blieb es nur komisch, lächerlich!

Neben diesen zwei Meistern war in der Hafnerei noch ein drittes, für mich höchst memorables Individuum – der Gesell » Hansel «.

Es war das eine griesgrämige, blaßgrüne, fast spitzig und schneidig dürre Gestalt, welche die ganze Woche in ihren aufgedrehten Hemdärmeln und ihren tonknopprigen, grobleinenen, weißen Höschen an seiner Drehscheibe saß, unten mit den Füßen, obenher mit den Händen arbeitend.

Ach, diesem Hansel, diesem Hansel hätt’ ich doch so gerne einmal recht lang und aufmerksam zusehen mögen!

Sehen und bewundern, wie er aus einem, mitten auf die Scheibe aufgesetzten Tonklumpen bald eine seichte, breite Schüssel, bald aber auch wieder einen Hafen von fast Armstiefe – so kunstreich und richtig! – weiß Gott wie,

zustande brachte.

Aber wie gesagt, der Hansel war ein griesgrämiger, auch nicht mehr junger Bursche und litt es nicht, daß wir Kinder ihm lange zusahen.

»Aus’m Liacht! « schrie er jedesmal mit seiner heiserschrillen Stimme, wenn wir ein wenig durchs Fenster gucken wollten. Dazu schwang er jedesmal sein schlammignasses Formlederchen gegen uns und konnte das so boshaft geschickt, daß wir weghuschend gewiß alle an unsern Gesichtern zu wischen und zu waschen hatten.

Die Folge davon war, daß wir Buben immer neugieriger, sekanter und zudringlicher wurden, des Hansel Grämlichkeit und Bosheit aber uns immer weniger zu sehen und zu profitieren gestattete.

Wenn dann der Hansel recht lange und fleißig seine Scheibe gedreht hatte und der ganze Gartenhügel hintenaus vollgepfropft war von Stellagen mit allerhand Geschirr, daß es an der Sonne und im freien Luftzug trockne, da kam endlich ein Samstag, wo all das Geschirr in den großen Brennofen spazierte und sich in einem schrecklichen, fast höllischen Feuer »ausglühen« und »härten« lassen mußte.

Heisa, da stoben dann, wenn es Abend und Nacht geworden war, die hellen Funken durch den Rauchfang, daß es aussah, als schwärmten recht fleißige, leuchtende Bienen in einem großen Stock emsigst ab und zu.

Es war das für uns Kleine immer ein furchtbar schönes Schauspiel, und wir weilten an warmen Sommerabenden gewiß so lange auf der Gasse, bis der helle Ruf einer Mutter, der grelle Fingerpfiff eines Vaters unweigerlich zum Nachhause- und Schlafengehen gemahnte.

Am Sonntag dann saß der blaßgrüne Gesell Hansel, zwar auch noch blaßgrün, aber in seinem schönsten Feiertagsstaat auf der Sonnbank vor dem Hause, die Arme, daß sie besser ausruhen konnten, ineinander geschlungen und gemütlich sein Pfeifchen tauchend. Er war da sogar gesprächig und mitteilsam und hatt’ es gerne, wenn sich die Vorübergehenden, gleichviel näheren oder ferneren Nachbarsleute, ein Weilchen zu ihm setzten und ihm zuhörten.

Während Hansel so saß, kamen dann schöne, stattliche Bäuerinnen oder lustige, schäckernde Töchter und Dirnen, die aber daheim ernst waren und schon der inneren Hauswirtschaft und Küche vorzustehen hatten.

Alle grüßten den Hansel, ihren langjährigen Geschirrverfertiger, und referierten ihm über die Güte oder Ungüte seiner von ihnen letzterstandenen Ware. Das setzte dann allerlei Spaß und Kurzweil und gab Gelegenheit zu aller Art lustigen und witzigen Ein- und Ausfällen:

An Drög derfst vostehn,
Wanst a Hafner willst wem,
Awa der ‘n vosteht, ‘n Drög,
Den muß ma ehr’n.

trillerte in einer hellen Tanzmelodie eine mutwillige, glühende Brünette, als sie schon ein Stück Weges vom Hansel entfernt war.

Der nicht mehr junge Hansel aber, längst erfahren und immer auf solches und ähnliches gefaßt, pfeift mit seiner schrillen Stimme der schönen Schäkerin nach:

A Höfen, a z’klobns,
Und a Mensch, a vaschobns,
Wirft ma beide bald wög
Und g’hern ar aft zum Drög.

Diesen mehr gepfiffenen Gesang beschloß Hansel erst noch mit seinen bekannten paar Lachstößen, die, dem Geschrei des hungrigen Hühnergeiers nicht unähnlich, nie ihre Wirkung verfehlten.

Die eben aus dem Geschirrladen heraustretenden Bäuerinnen, ihre gekauften Siebensachen an den Henkeln ins Nastuch zusammengefädelt und behutsam neben sich schwenkend, lachten laut auf über Hansels guten »Trumpf«, womit er die vorwitzige Dirne »überstochen« hatte, und der also Belobte war in seiner befriedigten Bosheit gewiß so glücklich, wie ein anderer von guter Gemütsart gewesen wäre, wenn ihm die schöne Schälkin zugerufen hätte: »Jörg, küsse mich!

Ei, die Gustos sind verschieden.

Sieh, und sonderbar, wirklich sonderbar! muß ich zum Schlusse dieses Kapitelchens ausrufen, diesen fast lächerlichen Männern gegenüber stand die alte Hafnersfrau, ein Weib mit unverkennbaren Spuren dagewesener Schönheit und sonst auch ganz anders als sie.

Sie kümmerte sich auch gar nicht um das Treiben der Männer, lebte für sich still und abgeschlossen ihre Tage dahin, tat im Hause die notwendigen Handgriffe, nähte, strickte, spann und – ja, und – was konnte diese eigentümliche Frau noch weiter?

Lieber Leser, ich, dein unermüdlicher Dorfplauderer, habe die Ehre und das Glück, dich diesmal angenehm überraschen zu können! Denke dir, die alte Hafnersfrau konnte singen, sehr schön singen! – Darum das – sieh! Und – sonderbar!

Sie sang zwar nicht mehr oft, weil sie alt geworden war, aber wenn meine Mutter, die damals noch in guten Tagen stand und auch singen konnte und gern sang, wenn die einmal zufällig oder genötigt zur alten Hafnerin kam, wo ich, der »Mutterbub«, dann gewiß auch nie fehlte, ach, da sangen die zwei Weiber, daß ja keines auf der Gasse draußen vorüberging, das nicht eine Weile stehen geblieben und voll Vergnügen zugehört hätte.

Mir aber ist es geradezu unvergeßlich! Und wie ich auch später verschiedene singende Damen gehört habe, die um teures Geld und unter donnerndem Applaus den Leuten im Konzertsaal und im Theater vorsangen, so schön singen, leider! habe ich nicht mehr hören können!

Ruhet sanft, ihr zwo Nachtigallen,
Ihr singet jetzt in Himmels Hallen,
Doch laßt es auf mein Erdenwallen
Noch öfter hell hernieder schallen!


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