Franz Stelzhamer
Groß-Piesenham
Franz Stelzhamer

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Der Schuster hat erst vor kurzem sein altes, eingesunkenes Haus ganz niederreißen und sich aus klingtrockenen Baumstämmen vom gravitätischen Patichamer Zimmermeister und von seinen ditto ernsthaften Gesellen ein neues, frisches aufsetzen lassen.

Das neue Haus hebt sich nun in seiner blanken Holzhelle recht artig ab von dem dunklen Hintergrund der dicht mit Bäumen besetzten Hausleiten.

Das Fenster vor seiner »Schuhbrück« – so heißt bei uns sein und aller Schuhmacher Werkstätte – hat er sich des besseren Lichtes wegen als die andern größer machen, und an die Balken – bei uns »Liendel« genannt – hat sich der Meister seine Handwerkszeichen: Leisten, Schuh und Stiefel von unserem kunstreichen Dorfschreiner, Johann Ludwig, anmalen lassen, was uns Kindern der Neuheit wegen ganz außerordentlich wohlgefiel.

Interessante Leute waren noch im alten Hause die Bewohner des Hinterstübchens gewesen: ein uralter Mann in einer fast endlos lang schößigen dunklen »Tuchjoppe«, dafür aber so kurzen Kniehosen aus Leder, daß, wenn er an den Hüftteilen nebst Umgebung nur noch etwas zu verlieren gehabt hätte, er es unzweifelhaft müßte verloren haben!

So meinten nämlich wir Kinder, weil damals gerade die in den Schneiderjournalen denkwürdige Kleiderrevolution eingebrochen kam, wo sich plötzlich, wie auf ein tyrannisches Machtgebot, bei Männlich und Weiblich die Taille fast bis unter die Achseln verkürzen und dafür der ganze Unterleib um ebensoviel verlängern mußte.

Diese Revolution hat aber mein guter Alter im düsteren Hinterstübchen nicht mehr überleben können, daher ich auch nichts eigentlich Faktisches von ihm erzählen kann. Aber es ist das schade, sehr schade – für mein Buch nämlich –, denn ich weiß, daß von dem Alten etwas wie ein vergessenes Schauermärchen in der dunkelsten Tiefe meines Gedächtnisses begraben liegt.

Er hat etwas getan,
So schwer wie Leben und Tod,
Doch weiß ich nicht mehr, wann,
An wem, wie und wo!

Jonikls altes sowie auch wieder das neue Haus litten aber an einem für ihn ebenso fatalen als für uns Kinder lustigen Erdübel. Es brach nämlich oft plötzlich, wenn auch die schönste trockenste Witterung herrschte, in dem Hintergemache, bei uns schlechtweg »Kammer« genannt und bestimmt, in seinen kühleren Räumen, besonders in dem kleinen, ausgemauerten Kellerchen, das sich gleichfalls gerne darin vorfand, den Küchenbedarf und all und jeglich, was mehr Kühle und Ruhe braucht, daselbst zu bergen und aufzubewahren – in dieser Kammer also brach öfter plötzlich, wie durch einen bösen Zauber, eine mächtige Quelle von schmutzigem, gelblichgrauem Wasser hervor.

Dieses tückische Wasser, eh’ sie ihm dann im neuen Haus einen stets offenen Abzugskanal gewährten, hatte den armen Meister Jonikl mitsamt seinen Habseligkeiten oft förmlich inundiert. Dafür denke man sich aber die Freude der stets zahlreichen Dorfjugend, die nun jählings mitten im Orte ein lebendiges Bächlein hatte, in welchem sie herumplätschern und sich nach Herzenslust bespritzen und besudeln konnte!

Allein, jäh wieder einmal – da half weder unser Betrübnis noch Jonikls Frohlocken – wie der geheimnisvolle »Fluß« gekommen, so war er auch wieder verschwunden. – Ganz heimlich hielten es die Dorfleute, vielleicht auch die Schusterischen selbst, für eine Strafe Gottes, weil im Hause öfter viel ärgerlich Ding passierte, dazu jederzeit auch sündhaft stark geflucht wurde.

Mag sein: Gott straft die Sünde, das ist gewiß, und fragt uns niemals – wie?


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