Franz Stelzhamer
Groß-Piesenham
Franz Stelzhamer

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Des Tobias anderer Nachbar in gerader Richtung dorfaufwärts, von ihm durch einen ziemlich hohen Zaun – jedoch ohne feindselige Bedeutung – geschieden und abgetrennt, ist der Besitzer des ziemlich bunt und kraus aussehenden Kullmanngutes, Eitzinger mit Namen.

Das Gut zählt unstreitig zu den ersten und bessern im Dorfe, aber in seinem Aussehen in und außer Hauses möchte Eins das kaum vermuten. Es herrscht über dem Anwesen seit längerer Zeit nicht der rechte Stern. Des kleinen, fast immer in guter Hoffnung gehenden Weibleins erster Mann war dem leidigen Trunk ergeben und ertrank in einer »Flachsrösse« bei einem nächtlichen Heimgange vom Wirtshause, noch ehe ihn seine drei Kinder recht kannten.

Gott, war das ein Jammer! – Dann dieses jetzigen Mannes Glück und Segen, wie schon gesagt, verwandelte sich an seinem Eheweib wieder nur in lauter – Kindersegen.

Wo man bei Kullmann hinblickte oder hinkam, wimmelte es: in der Stube von Kindern, im Hofraum von aller Art Hausgetier, um das Haus von allerlei Gerät und Untat. Desungeachtet war der Kullmann ein stets wohlaufgelegter Mann, voll Spaß und Schalkheit mit seinen und anderen Leuten. Dabei war der Kullmann duldsam und nachsichtig mit dem Gebaren der jüngeren Generation, was wohl die Ursache sein mochte, daß an schönen Sommerabenden seine »Sonnbank« unter dem »Schrott« und Dachvorsprung vor allen andern im Dorfe gern besucht und voll besetzt war.

Wieviel von diesem Besuch etwa auf Rechnung seiner damals eben frisch und üppig heranblühenden Stieftochter Maria kam, weiß ich nicht wohl zu sagen. Ich war leider zur Zeit, von der ich erzähle, noch viel zu klein und unverständig, um solches zu beurteilen und zu entscheiden. Daß mit aber trotz meines kindischen Unverstandes die schwellende Tochter und das eine stets geschwollene Bein des Vaters doch nicht ganz einerlei waren, muß ich aus einem Akt boshaften Mutwillens abnehmen, indem ich einmal auf Marie zu unserer aller Belustigung eine Satire in Form eines Rätsels gezeichnet hatte, auf des Vaters Dickfuß aber keine!

Die gute schöne Marie war aber auch nicht glücklich, und fiel sie auch nicht, wie ihr unseliger Vater, in eine »Flachsrösse«, so tat sie doch einen Fall und verfiel einem früheren Tode.

Wüßt ich den Vorgang besser und ausführlicher, es wäre gewiß eine Geschichte, ebenso rührend als lehrreich, aber ich weiß sie nicht.

Wie ich später einmal schon auf Studentenferien nach Hause gekommen war, war Marie gestorben und ein weißhaariger Bursche vom Oberdorf, sonst die Fröhlichkeit selber, war still und traurig geworden. Er war, wenngleich der Erstgeborene, seines väterlichen Anrechts verlustig erklärt und mußte später als armer Löhner im nahen Kohlenschacht schwere, niedrige Arbeit verrichten.

Wenn er aber öfter recht ermüdet am Samstag abends von der Grube nach seinem gemieteten Kämmerchen zurückging, begegnete ihm wie zufällig auf dem Kieswege am Ellbrunnen ein junges Mädchen mit brennend schwarzen Augen, aber ebenso weißhaarig, wie er selbst einst gewesen war. Mit diesem seltsamen Mischling von Mädchen sprach er ein Weilchen, steckte manchmal etwas Übergebenes schnell und scheu in seine Brusttasche, ging dann sanft und stillächelnd von dannen und trug sein hartes Geschick ohne Murren und Wehklagen.


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