Franz Stelzhamer
Groß-Piesenham
Franz Stelzhamer

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Gleichwohl befanden sich die Leutchen, vorzüglich die Alten, gar nicht schlecht darauf und für mich war das Haus wieder eine wahre Fundgrube.

Man denke sich, ich sah da den ersten Webstuhl, dieses wunderbare Gerüst mit lauter beweglichen Armen und Füssen, sah durch die sich kreuzenden Leinfäden das behende Schifflein, bei uns die »Schütze« genannt, fliegen, hörte den taktischen, dumpfen »Schlag«, und – O Wunder über Wunder! – vor meinen staunenden Augen entstand ein langer, langer »Striezel Tuch«, wie man bei uns das fertige Stück Leinwand zu benennen pflegt.

Und das »Tuch« gehörte der Mutter, uns gehörte es, und ich, ich selbst hatte nicht den kleinsten Teil dazu den Winter über zwischen Schul- und Spielstunden mit eigenen Händen gesponnen! – Und die Mutter hatte mir erlaubt, ich durfte heut zum Sonnbauer gehen, nachschauen, wie es mit der Fertigung stehe, und wenn nicht gut, so sollte ich den Sonnbauer mahnen, in ihrem Namen mahnen und bitten, daß er bald darangehe, weil die Märzsonne schon so warm auf unsere »Bleichstatt« zu scheinen angefangen hätte!

»Auf die Woche« – sagte dann der webende Bauer, ohne seine »Schütze« ruhen zu lassen – »auf die Woche die ersten Tage! Ja, sag ich, ja!«

Und dann hätt’ ich mit der Botschaft zufrieden sein und gehen sollen. Der Bauer sah sich nicht gern als Weber begafft. – Aber ich ging nicht. Ging nicht eher, als bis ich mich nicht an der wunderbaren Hantierung satt gesehen und bis in die innerste Seele darüber verwundert hatte.

»Willst du etwa gar ein Weber werden?« fragte dann der Vater, Spaß und Ernst beisammen, wenn ich spät und noch mit sichtbarer Verwunderung auf dem Gesichte nach Hause gekommen war.

Ach, da war dann wie mit einem bösen Zauberschlag wieder alle Bewunderung, alle innerliche Freude über der Menschen wundersames Schaffen und Tun verscheucht, unwiederbringlich dahin und verloren! Ach, ich hätte nur immer alles sehen, alles bewundern und wissen mögen, Aber selber tun – nichts; es selber werden, nein! Wie hätt’ ich denn, wenn ich etwas tue, etwas bin, Zeit und Muße zur Erforschung und Erfahrung all des Übrigen rundherum? –Vater, dein Bube mochte dir Kummer und Sorge genug gemacht haben! – –Das webende Bäuerlein erfreute sich eines bedeutenden Kindersegens, den ihm seine alte Mutter mit unermüdlicher Sorgfalt hütete und pflegte, wofür sie aber – man soll’s kaum glauben – den schlechtesten Dank erntete.

Man denke sich – freilich die beschränkte Lage des Sohnes einigermaßen als Entschuldigung und Milderung annehmend – aber man denke sich, der knopfige, hartherzige Mensch warf der inständig für ihn tätig gewesenen Mutter, kaum daß die Kinder ihren Armen entsprungen waren, unablässig ihr langes Leben vor.

»Heuer«, sprach der häßliche Mensch mit finsterem Gesichte und mit barscher, mürrischer Stimme, »heuer, Mutter, will ich dir deinen Auszug (Austrag) noch geben; aber merk dir’s, es ist das letzte Mal. Darum richte dich wie alle anderen Leute« – der Unmensch deutete nach dem Friedhof zu Schildorn –, »du wirst mich wohl verstehen?«

Dann warf er der Alten, die über solche Rede schluchzte und weinte, das Geld und den Kornsack hin.

Aber Gott mißfällt solche Rede und der sie spricht, den straft er!

Die Alte wurde älter und älter, wurde siech und gebrechlich.

Die Alte hörte und sah nicht mehr. Die Alte fiel und stieß sich an, daß sie immer voll Wunden, voll Schundmal’ und Beulen war, aber sie starb nicht.

Die Alte weinte darüber und bat Gott um ihr letztes Stündlein, aber Gott erhörte sie nicht. Sie wurde uralt, älter als alle Leute im Dorfe, älter als alle in der Pfarrgemeinde, ihre Haut verknöcherte, sie wurde eine wandelnde Mumie, ein rechter Kinderspott; aber sie lebte fort.

Wohl schon zwanzigmal hatte der harte Sohn seine Drohung mit immer geschärfterem Ernst an seine Mutter wiederholt, hatte sie wirklich in ihren rechtmäßigen Ansprüchen und Bezügen schon bis auf das Allernotwendigste, Äußerste beschränkt und reduziert, aber die Alte starb nicht.

»Gott hat mich vergessen!« jammerte sie; weinen konnte sie längst nicht mehr, der Tränenquell war mit allen anderen Säften versiegt und ausgetrocknet. – »Gott hat mich vergessen!« rief sie, die Hände ringend und in ihren wenigen grauen Haaren wühlend.

»Und der Teufel auch!« grinste der böse Sohn, der die von Gott Vergessene fast zu scheuen und zu fürchten angefangen hatte.

Ach, hätte die Unselige nicht andere gute Menschen gehabt, darunter an der Spitze meine Mutter, die ihr zuweilen die Fingernägel abschnitten, den Kopf kämmten und sie sonst ein wenig säuberten, sie hätte ein wahres Scheusal werden müssen.

So aber wurde sie’s nicht, und als sich viele an der Verlassenen teils versündigt, teils gerechtfertigt hatten vor dem Herrn, schickte er eines Tages seinen Todesengel und gleich darauf scholl durch das ganze Dorf und weitum darüber hinaus die gleich einem Mirakel aufgenommene Kunde:

»Die alte Sonnbäuerin hat endlich sterben können!«

Als ich von da an nach gut dreißig Jahren wieder einmal in mein liebes Dorf kam, hieß es auf meine Erkundigungen unter anderem:

Auf dem Sonnbauergütchen hause jetzt der ältere Bub mit dem etwas strupierten Fuß, treibe als Hauptsache neben allerlei Handelschaft die Weberei, sei unverheiratet und so habsüchtig und neidisch, daß er seinen alten Vater fast verhungern lasse!

Ein tiefleises Schauern lief mir über meinen Rücken. Die zwei steinernen Gesetztafeln Moses’ standen vor meinen Augen und es drängte mich schnurstracks aus dem Dorf nach dem Friedhof zu Schildorn, zum Grabe meiner guten, vielgeliebten Eltern.

Habt Frieden, Tote,
Und gießet ihn nieder
Auf mich, den verlassenen Pilger;
Mit jedem Frührote,
Allabendlich wieder
Ergießt ihn, den Kummervertilger!

So sprach ich, eine stille Träne zerdrückend, dann war mir wieder leicht ums Herz.


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