Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3

Seit Neujahr diente auf dem Freirichtergute bei Herrn Wende eine neue Magd. Ihr Zuzug fiel in den Winter. Deswegen kam sie wenigen des Dorfes zu Gesicht.

Ihre Anwesenheit erregte vor allem die liebefähigen, jungen Burschen von Steindorf, und die Forschesten unter ihnen näherten sich ihr, um eine tagesübliche Liebschaft anzubandeln. Nach kurzer Zeit nannten sie das Mädchen eine »tumme Gans« und fluchten laut.

Zu Beginn des Frühjahrs wußte man noch nicht mehr, als daß sie Marie Alke heiße und aus Schlesien stamme. Man nahm ihr das herrische Wesen übel und nannte sie die »schlesche Marie«. Das war ein Schimpfname, denn der Grafschafter meint, alles, was aus Schlesien stamme, sei herzlos und grob.

Marie kümmerte sich nicht im mindesten um diese Treibereien. Sie behandelte das Mitgesinde als ihrer nicht ebenbürtig und sprach zu ihnen, wie aus einem anderen Stande heraus, mit einer zurückhaltenden Freundlichkeit, die ihr den Haß und die Verfolgung der Dienstboten eintrug. Die größten Grobheiten ließen sie anscheinend ruhig.

»Ihr seid ebenst noch awing siehr weit zuricke«, sagte sie achselzuckend und ging.

Als aber das feindselige Treiben der Mitdienenden gemeine Formen annahm, trat sie kurz entschlossen vor den Freirichter und erklärte, den Dienst verlassen zu müssen, wenn er ihr nicht Ruhe schaffe. Wende fuhr mit wütendem »Kreuzverflucht« unter sie. Seitdem wagte sich niemand mehr an sie heran, die, ohne aufzusehen, ihre Arbeit weiterverrichtete und in nichts einen Hohn merken ließ. Sie strengte sich nur noch mehr an und ließ sich von ihrem verdoppelten Fleiße nicht abhalten, obwohl ihr das Titel wie: »Herrnaas« oder »Schlange« einbrachte. Konsequent schloß sie sich von allen Vergnügungen aus, die ihre Mitmägde aufsuchten. Wenn diese nach Beendigung der Arbeit sich mit den Knechten laut lachend in der verrauchten Gesindestube balgten, saß sie an dem mächtigen Tisch und brachte sich beim Schein der kleinen Hängelampe ihre Kleider in Ordnung oder wusch Wäsche.

Nahmen Rede und Spaß dann abstoßend sinnliche Formen an, so verließ sie schweigend den halbdunklen Raum und legte sich zu Bett oder ging auf den Hügel hinter dem Hof, von wo aus man über das Tal hin die tiefe Einschluchtung des Warthapasses sehen konnte.

Stiegen an klaren Abenden aus dem seinen Dunste der Ferne die schattenhaften Umrisse ihrer Heimat auf, dann ward ihr großes, blaues Auge glänzend, und sie beugte sich nieder, brach eine Blume ab und steckte sie sich ins Haar, als müsse sie sich bei den Gedanken schmücken, die dann über sie kamen. Sie sah an solchen Abenden mehr als fernes Land, es stieg mit jener weitabliegenden Gegend ein Leben für sie auf, wonnig und süß, das einst das ihre gewesen war und anders ausgesehen hatte als dies Dasein in der Zwangshöhle der Knechtschaft.

Sie entstammte einer reichen Bauernfamilie des Frankensteiner Kreises. Ihr Vater war von dem Millionenrausch der siebziger Jahre gepackt worden, hatte die ehrliche Lederhose ausgezogen und die kurze Pfeife aus dem Munde gerissen. Fensterwagen und betreßte Kutscher, Jagdvergnügen, Weinjubel; er ritt auf den rollenden Talern durch die tollen Gärten des Genusses, und hinter ihm machte sich schweigend der Konkurs auf und verfolgte ihn. Nach ein paar lärmenden Jahren ward er von ihm eingeholt, und unter dem Hammer zerstoben jäh die Schemen seiner kurzen Lust.

Er verschwand spurlos, und seinem kleinen, zierlichen Weibe grub indessen der Gram in einem Winkel des Friedhofes ein Grab. Als er damit fertig war, an einem dämmerigen Abend war es, kam er von dem Totenacker herein, machte leise die Tür auf und klopfte an ihre linke Brust. Das müde Herz gehorchte eilig und hing sogleich still wie eine verstummte Glocke. Ihr Gesicht lächelte, und die Seele breitete geräuschlos ihre Schwingen aus und floh zum Vater. Der Wind des Schicksals streute die Kinder umher und pflügte in ihre jungen Gemüter mit den Stacheln trüber, freudearmer Jahre herbe Erinnerungen.

Marie, das zweitälteste Kind, war zu jener Zeit erst sieben Jahre, voll der Sonne. Sie fand bei einem Bruder ihres Vaters, einem harten, geizigen Manne, Unterkunft, der sie um der Schuld des Bruders willen verachtete und unterdrückte. Er tat es, um den Leichtsinn aus ihr zu vertreiben, wie er sagte. Das aber war nur ein Vorwand, um ihr das Essen öfters entziehen und sie mit Arbeit überladen zu können. Allein der Stumpfe wußte nicht, daß Kinder von ihrer Seele leben, die auch in der schmutzigsten Ecke ihre schimmernden Paläste errichten kann. So gedieh das Kind trotzdem zu immer größerer Schönheit und Kraft. Diese Schönheit war mit den Jahren noch gewachsen, und Marie hatte all ihr Hoffen auf sie gebaut. Sie sollte ihr in das Leben ihrer frühen Kindheit verhelfen, das ihr wohl nur deswegen so gar begehrenswert erschien, weil sie es nicht bewußt kennengelernt hatte. Darum hütete sie die langen, schweren Goldflechten ihres Haares, setzte das seine, frische Gesicht nie der brennenden Sonne aus und schmückte sich mit all dem billigen Glanz, der von Hausierern feilgehalten wird.

Mit verlangendem Herzen stand sie in dem Winkel ihrer niedrigen Stellung und harrte des Erlösers. Wenn sie mutlos werden wollte, dann durfte sie nur heimlich im Lichte der Dachluke auf ihrer Kammer das Gesicht in dem kleinen Spiegel betrachten, so war sie ihrer Sicherheit wieder gewiß, daß eines Tages der reiche, schmucke Bauer zu ihr treten und sie als Weib in seine Fülle führen werde. Sie kannte ihn nicht, aber er war vorhanden und verlangte geheim nach ihr, und sie machte sich ihm kostbar mit dem Stolz, dem Entbehren aller gewöhnlichen Vergnügen, der Freude an ihrer Schönheit und dem nie erlahmenden Fleiß. Mitten im Sommer sah sie den Mann, an den das Schicksal sie ketten wollte.

Es war zur Zeit, da die Sonnenstrahlen die reifenden Kornähren in ihrer Glut wiegten, eines Sonntagnachmittags. Die Heimchen fühlten schon die Dämmerung und begannen verstohlen zu zirpen; der Wald stand unbeweglich versunken; das Leben lag auf dem Raine und schlief. Da ging Marie zwischen den Feldern hindurch, mutterseelenallein, und sah immer vor sich nieder, wie einer, der erwartet, daß das Glück ihm über den Weg laufe, eilig und unvermutet wie ein weißes Wieselchen. Plötzlich sank ein Schatten in die stillen Halme neben ihr, und als sie erschreckt herauffuhr, stand ein großer, starkknochiger Mann vor ihr, dessen ungewöhnlich langen Beine in blanken, bis an die Knie reichenden Schaftstiefeln steckten. Seine Arme hingen straff an dem kurzen Leibe nieder, als würden sie durch das Gewicht der übergroßen Hände angespannt. In dem fahlen Gesicht stand eine hilflose Freude, die leeren Augen starrten ratlos aus dem gelblichen Weiß, und obwohl um die ganze Gestalt etwas Beklemmendes, Furchterweckendes lag, war Marie doch gegen das Klopfen ihres geängstigten Herzens einen Augenblick angenehm berührt, wegen der stummen Bewunderung, die durch all dieses der häßliche Mensch ihrer Schönheit zollte. Eine seltsame Pein verhinderte, daß sie so schnell, wie sie wollte, an ihm vorüberschreiten konnte. Von einem rätselhaften Krampf befallen, vermochte sie ihren Blick nicht von ihm zu wenden. Erst als das Glimmern seines Auges, kleine Falten um die Lippen und ein unverständliches Murmeln ihr klar bewiesen, daß er sie anreden wolle, fand sie die Kraft, weiterzuschreiten, bemerkte aber noch, wie er einigemal mit dem Kopfe nickte, daß die Schildmütze über seine Stirn fuhr. Diese Bewegung verwandelte plötzlich den ganzen Vorgang für sie in ein komisches Ereignis.

Den stummen Gruß des Mannes vorsichtigerweise leise erwidernd, huschte sie fort. Endlich wagte sie, sich umzublicken. Zwischen den Kornbreiten, schon so weit von ihr entfernt, daß sein Leib nur noch zur Hälfte aus dem reifen Getreide ragte, sah sie ihn sich eigentümlich ruckend fortbewegen. Sein Kopf aber hing dabei auf die linke Seite.

Sie atmete erleichtert auf und lächelte, da sie sich wieder vorstellte, wie er vor ihr gestanden und mit dem Kopf genickt hatte, daß ihm die Schildmütze auf die Nase gefahren war. Es befreite sie jedoch nicht von einem rätselhaften Klammern, einer Furcht, die, so grundlos sie auch sein mochte, doch nicht von ihr wich. Sie zu verscheuchen, bemühte sie sich, an ihre »scheene Zeit« zu denken, an den »langen Sonntag«, wie sie ihre Zukunft nannte. Allein die Bilder, die sie rief, standen nicht auf, die Lieder, die sie ersehnte, klangen nicht. Vom Dorfe herüber hörte sie Kühe brüllen, Kinder zetern, ein Schubkarren quietschte, Hunde bellten, und dazwischen fuhr in Absätzen das Schreien eines zornigen Mannes. Traurig ging sie nach Hause.


 << zurück weiter >>