Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Drittes Kapitel.

Nicht lang ist's, daß 's g'regn't hat,
Und 's Dachl tropft noch:
Ich hab' 'n schön'n Schatz g'habt'
Wollt', ich hätt' ihn noch.

Den Schatz, den ich gar nicht mag,
Den seh' ich alle Tag;
Der, so mein Herz erfreut,
Der ist mir gar zu weit;

Daß der Wald finster ist,
Machen die Tannenbüsch';
Daß 's Diendl weit von mir ist,
Das weiß ich g'wiß.

Die neu' Lieb', die wankt gern,
Die steht nicht so fest.
Die alt' Lieb', die rost't nicht,
Ist allweil die best'.

Bayrische Schnodahüpfln.

Ein Fluß hat's gar lustig, wenn er so reizend eingebettet worden, wie der Innstrom; ein Thalherr, der seines Gleichen sucht in deutschen Landen. Sein Gebiet ist viele Meilen lang und ausgestattet mit allen Schönheiten: mit dichten Wäldern, romantischen Felsenmauern, üppigen Almen; mit lachenden Ebenen, heitern Dörfern und spiegelhellen Städten. Da lohnt sich's schon, mit Gletschermilch aufgefüttert worden zu seyn. Der gute Junker Inn, der sein schweizerisch Geburtsland stolz 55 verläßt, um ein Tiroler LandmannTiroler Landmann: der in die Landesadelmatrikel aufgenommene Edelmann. Ein stolzer und gern angeführter Titel, der mehrere Vorrechte verleiht. zu seyn! der als Mitgift seiner neuen Heimath die Forsten seiner Wiege bringt! wohl ist ihm zu gönnen, wenn er, vom Holzschleppen müde, hie und da an seinen sonnigsten Geländen sich breit hinlegt und zu schlummern scheint! Doch schläft der Schelm mit nichten. Er hat stets seine tausend glitzernden Augen offen, und saugt voll Wollust in sie das Himmelblau hoch über ihm, und die grünen Fluren neben ihm, und die ebenfalls grünen Kirchthurmspitzen, und die feierlichen Berge, die Gränzhüter seines wundervollen Reichs. – So liegt er denn und rastet an einer schönen Stelle zwischen Imst und Innsbruck, wo das Thal recht breit und weit, recht bunt und munter. Es ist einige Wochen nach der Zusammenkunft des Tammerl und Idelstein. Die schöne Jahrszeit hat alles ringsumher verjüngt. Ueberall ist alles in fröhlicher Bewegung. Das Laub an den Bäumen zittert unterm Hauch der lindkosenden Luft; die Vögel streichen hin und her, Futter naschend, zum Nestbau heimeliche Stellen suchend. Das silberne Hofgesindel des Innstroms schießt muthwillig in der ruhenden Fluth links und rechts. Auch die Menschen laufen überall umher auf Straße und Steig, in Feldern und Wäldern.

Auf beiden Ufern des Stroms ziehen Reiter daher: sorglose, sonnverbrannte Gesichter. Zwischen ihnen hindurch winden sich zahlreiche Häuflein von Landfahrern und LandgehernLandgeher: gleichbedeutend mit »Laninger« oder »Landfahrer« nur vorzugsweise eine Benennung derjenigen, die ihre Verkaufsartikel auf dem Rücken tragen, und es noch nicht bis zu einem Karren gebracht haben.. Einige derselben haben in Gruppen Halt gemacht. Da und dort rasten sie unterm Schatten des Segeltuchs, das über ihre Karren gespannt gewesen. Da und dort auch halten vereinzelte Reiter neben diesen fliegenden Lagern, und tauschen ein Gläschen Branntwein oder eine Handvoll trocknes Obst gegen italienische Kupfermünze ein. Drei oder vier Bäume bilden irgendwo ein blätterreiches Dach, und daneben sprudelt eine Quelle und einige Laninger Karren verweilen dort. 56 Wenige Schritte vor den braunen Dörchern, ihren Hunden, Krummschnäbeln und Kindern stehen ein paar Rosse angebunden. Ein Reiter, mit dem Gesicht im Grase liegend, schläft so zu sagen unter ihren Hufen eine beneidenswerthe Sieste hin; ein andrer Reitersmann, wohlbeleibt, eisgrau, ein Wachtmeister wenigstens, sitzt wachbar und redselig neben dem murmelnden Brunnen. Er raucht sein Pfeifchen, zehnmal in einer Minute geht es ihm aus, aber unermüdet schlägt er Feuer und gönnt seiner Zunge dabei nicht Ruhe, als hätte er eine Predigt zu halten dem jungen Bauernburschen, der vor ihm kauert, den Hut trübselig in's Gesicht gedrückt, und die Büchse im Arm haltend, als wäre sie nicht eine Waffe, sondern ein Hirten- oder ein Pilgerstab.

»Kopf in die Höhe, sag' ich also;« brummt er gutmüthig seinen Zuhörer an: »die Welt ist rund, das Leben ein Krieg, das Weibsvolk falsch. Ausnahmen gibt's: z. B. Deine selige Mutter. Solch ein Weib bringt aber auch ihren Angehörigen noch über's Grab hinaus Glück und Segen. Du hast's erfahren. Mach' ihr dafür Freude. Sie schaut immer auf Dich herab aus dem Himmelssaal. Mach' ihr Freude, und nimm Dich zusammen. Wenn Dich Andre für schlecht halten, was geht's Dich an, der Du Dich rein weißt? He? Wenn die Landsturmgesellen Dich nicht mehr unter ihnen leiden wollen, weil sie sich einbildeten, Du hättest Deinen Meister bestohlen, . . . was thut's? Herr, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie thun! heißt's da, nach dem Exempel unsers Heilands. Der alte Jäger hatte recht, Dich zu bereden, gutwillig fortzugehen von den wildernden Müßiggängern im Gebirg. Hättest sie alle todtschießen müssen, um ihnen das Maul zu stopfen; sind doch keinen Schuß Pulver vom Deinigen werth. Ist auch keine Ehr' zu holen bei den Lottern, die dort oben Krieg spielen. wo's keinen Feind gibt. Bist alleweg nicht zum Krieg gemacht, denk' ich; 57 darum will ich Dich auch nicht mit mir nehmen. Kannst noch was Besseres anfangen, als Pferde striegeln, Stall ausmisten und auf der Vedette stehen. Sey nicht so vermaledeit traurig bei unserm Wiedersehen. Bin ich doch einer Deiner ältesten Bekannten, he?« –

Seraphin drückte Dominik's Hand recht innig, und antwortete: »Euer Gesicht ist mir – wiewohl nur einmal gesehen – niemals fremd geworden. Mich erquickt Euer Anblick. Ach, wär' ich noch ein Bub wie dazumal, und das Mutterl lebte noch!« – »Dummes Zeug.« – brummte Dominik, seine Rührung hinunterschluckend. »Hin ist einmal hin. Wär' ich der Himmel, ich gäbe Deine Mutter auch nimmer wieder heraus. Gedulde Dich. Mich freuts, Dich zu sehen. Hab' hin und her an Dich gedacht. Schau, mich hat's recht herumgeworfen in aller Herren Länder. Wir kommen jetzt wiederum aus Welschland, und werden zu Imst und Landeck kantoniren; denn bei uns geht's zu, wie's gerad dem Hofkriegsrath einfällt. Viele Köche versalzen den Brei. Der Prinz Eugen hat recht gehabt: eine brave Armee mit tapfern Generalen hätte unsrer Maria Theresia weitaus mehr gefruchtet, als das Geschreibsel zu Regensburg und anderswo. Genug, wir sind wie der ewige Jud: heut da, morgen dort; bald vorne dran, bald hinten draußen; 's ist ein Elend. Nun, ich werd's nimmer lang aushalten, und mir wär's recht, grad zu Burgeis mein Leben zu beschließen, und zwar bei Dir, und Du solltest haben, was ich mir ersparte: ehrliche Dragonerbeute. Was meinst Du? Aber bis ich von der Fahne komme, müßtest Du Dich von Grund aus ändern, und Deine unselige Lieb' an Nagel hängen. Verkauf doch nicht an jenes falsche Weibsbild alle Freuden Deines Lebens. Reite doch nicht immer auf demselben schwarzen Gaul des Kummers und des Herzeleids!«

Seraphin sah den Wachtmeister mit einem ganz 58 besondern Blicke an, der tiefe Empfindung und schalkhaften Vorwurf in sich vereinigte: »Ihr redet gut und schön, Herr Dominik. Sagt mir aber doch einmal: wie seyd Ihr in des Kaisers Rock gekommen? warum habt Ihr mit meiner Mutter geweint? warum mich im Gedächtniß behalten? warum wünscht Ihr zu Burgeis zu sterben, das doch nicht Eure Heimath? warum soll ich, gerade ich, Euer Gut erben?«

Dem alten Mann ging's bei diesen Worten wie ein Schleier an den Augen vorüber; ihm wurde wohl und weh zugleich um's Herz. Er drückte wieder Seraphin's Hand, und versetzte leise: »Ich versteh' Dich. Ich versteh' Dich, weiß es Gott. Ja, ich will's nicht abläugnen. Es mag wohl öfter eine Liebe geben, die unser ganzes Leben erfüllt, die unser Morgen- und Abendgebet, all' unsrer Stunden Geschäft und Lust und Leid . . .; nimm mir's nicht übel auf, Seraphin: Du hast's getroffen; ich will nicht weiter an Dir hofmeistern.«

Die Altmutter der nebenan gelagerten Dörchergesellschaft brachte dem Wachtmeister einen guten Trunk. Freundlich gingen ihre Augen hin und her, vom Unteroffizier auf den Landschützen, und umgekehrt. – Dominik lächelte ihr zu: »Wir kennen uns schon ein bissel lang, Zaya,« sagte er treuherzig: »ich glaub', der Tod wird Dich allgemach vergessen haben, Zaya. Weißt Du noch? in Botzen war's; ich schleppte dazumal noch Kisten und Ballen. Auf der Messe, eines Abends, hast Du mir wahrgesagt?« – »'s ist möglich, gestrenger Herr Offizier; 's wird schon seyn. Doch hab' ich in meinem Leben soviel vielen Leuten ihr Theil gesagt, daß ich mich kaum besinne. Den Jungen da, den kenn' ich schon besser.« – »Ich wollt', ich hätte Dich nie gesehen,« antwortete Seraphin bitter: »hast mir so viel schöne Dinge in den Kopf gesetzt, und jetzt . . . . ach, ich mag nicht daran denken!«

59 Worauf Zaya: »Ungeduldig Blut! will nicht warten, das ungeduldige Blut. Hab' doch viel Vornehmern schon gesagt, was ihrer wartete. Wirst Dich noch wundern, junger Kerl, wirst Dich noch wundern. Laß noch einmal sehen Deine Augen, Deine Hand.« – »Ach, mich nimmt's nicht Wunder, was Du auch daherplauschen magst,« sagte Seraphin kurzab und drehte der Zaya den Rücken zu.

Indessen hob Dominik seufzend an: »Bei mir hast Du's getroffen, Weibele. Hast mir gesagt, ich würde niemals diejenige zum Weibe kriegen, die ich lieber hatte als mein Leben. O, das ist akkurat ausgegangen. Sieh da ihren Sohn, das Kind eines unglücklichen frommen Wesens, das zu gut gewesen für diese Welt.«

»Ihr Sohn?« fragte Zaya mit erneuter Theilnahme: »ha? bildet sich der Mensch vielleicht ein, auch er sey zu gut für diese Welt, weil er nichts von ihr wissen will? Geh, laß Dich anschauen, Bub; nicht alle alten Weiber haben Unglück in den Augen. Aber in den deinigen steckt alles noch voll Glück. Liebe Frau! was ist Dir noch bescheert auf Erden.« – »Laß' mich aus;« antwortete Seraphin unwirrsch, aber der Wachtmeister drehte mit Gewalt sein Gesicht gegen die Zaya und öffnete ihm die Hand wider Willen.

»Ich möchte gern meine Kunst bei dem Buben zu Ehren bringen,« lachte die Alte; »aber er ist bocksteif. Vielleicht hat er selber dem guten Schicksal ein Bein gestellt? Bist Du denn immer wohlthätig gewesen, Seraphin?« – »Nun, ich denk's. Zu meinem Schaden bin ich's gewesen.« – »Nein, nein; Wohlthun bringt niemals Gefahr, die da besteht; und hingegen, wenn noch so spät, viel Segen. Hast Du immerdar Allen verziehen, die Dir Böses gethan?« – Seraphin schaute hoch auf, besann sich, und versetzte: »Oho! das heißt: auf's Gewissen ausgefragt.« – »So antworte mir auf's 60 Gewissen.« – »Ich denk' halt nur an mein Leid, und nicht an die Menschen, die mir Leid zugefügt.« – »Das ist zwar noch nicht das Rechte, aber ein guter Anfang. Sey zufrieden, es wird schon werden. Hast Du Deine Mutter recht lieb gehabt?« – »Ach!« rief Seraphin bewegt: »wie viel, wie sehr, kann ich nicht sagen.« – »Brav; und Deinen Vater?« – Seraphin erschrack ordentlich; dann sprach er: »Ich hab' ihn gern, als kennt' ich ihn.«

– »Nur Muth, nur Muth; halt fest an den drei Stücken. Dir wird's noch wohlergehen!« Mit diesen Worten trippelte Zaya wieder zu ihren Leuten zurück.

»Warum wieder so schwermüthig?« fing Dominik zum Jüngling an. Dieser warf sich an des Reiters Brust, und schluchzte: »Mein Vater! wer sagt mir, was aus dem Vater geworden?« –

»Ach, leider,« entgegnete der Wachtmeister, »weiß ich da nicht zu helfen. Als ich vor fünf Jahren zu euch kam, hatte ich ihn in Italien verlassen. Der gute Herr von Dobroslaw hatte Deinen Eltern eine Summe Geldes geschickt. Der Lenhard war damit über die Berge gegangen; weiß nicht, was er mit dem Geld vorhatte. Leichtsinnig, wie er stets gewesen, hat er's durchgebracht, ist auch zum Theil darum betrogen worden; das ist einmal richtig. In der Verzweiflung fand ich ihn, und verzweifelnd sagte er zu mir: »Dominik, mit meinem und der Cenzi Glück ist's aus und vorbei. Ich bin ein Lump, ein Tagdieb, ein gewissenloser Vater. Ich geh' nach Portugal oder England, um als ein Handlohner dort den Tod zu erwarten, wo mich und meine Schande niemand kennt. Wenn Du in's Vintschgau kommst, so gib der Meinigen den Brief, den ich ihr geschrieben, und grüße sie von mir zum letztenmal.« – Nun, den Brief hab' ich bestellt, das andre weißt Du. In dem Schreiben war lediglich nur die Nachricht, daß Ihr nicht mehr hoffen 61 dürftet, den Vater wiederzusehen, und daß er sich vor aller Welt zu verbergen eile. – Kurze Zeilen, worinnen aber der Tod Deiner Mutter geschrieben stand.« –

»Du lieber Gott! bei Dir ist die Mutter gut aufgehoben; doch der Vater?« schrie Seraphin und drückte beide Hände vor's Gesicht: »Lebendig oder todt! wo ist der Vater hingekommen? In Portugal, das so weit? in England, dem ich so nahe gewesen bin? Ach, dorthin komme ich in meinem Leben nicht mehr! Und er ist vielleicht noch auf Erden, und ich soll ihn nicht mehr, nicht ein einzigmal wiedersehen!« –

Dominik studirte verlegen auf eine Antwort, die den betrübten Sohn, wenn auch nur halbweg, befriedigen möchte; es fiel ihm jedoch nichts ein. So dankte er es dem Zufall, der eine Unterbrechung des für beide Theile peinlichen Gesprächs herbeiführte. Es entstand nemlich ein großer Lärm in der Nachbarschaft des Dörcherlagers. –

Eine Abtheilung des Regiments Neiperg Infanterie, das, ebenfalls aus Italien kommend, statt, wie vorher bestimmt gewesen, nach Salzburg zu marschiren, plötzlich gegen das Vorarlbergische instradirt worden war, hatte, wie die Reiter gethan, eine kurze Station bei den Branntweinfäßchen der Laninger gemacht. Die Rast lief aber stürmisch ab. Wildes Geschrei ließ sich bald vernehmen, und in vollem Jagen kam ein ziemlich lumpenhaft gekleideter Mensch die Straße herangesprungen, hinter ihm ein Feldwebel mit spanischem Rohr, zwei Gemeine mit blankem Seitengewehr.

»Der hat gewiß gestohlen!« rief Dominik, sich erhebend: »Halt' ihn auf, Seraphin; bist flinker als ich und der faule Laslo, der Schläfer!« Seraphin gehorchte, während der Wachtmeister den schlummernden Reiter mit einem Fußstoß weckte, und hielt dem Flüchtling die 62 Mündung seiner Büchse mit einem drohenden: »Halt!« entgegen.

Der laufende Kerl stand auch plötzlich, knickte dann zusammen, als hätte ihm Einer die Kniesehne entzwei geschnitten, und seufzte: »O weh! Sakra! jetzt wird's Matthäi am letzten seyn!« – »Kölbl! vermaledeiter Kölbl! was machst Du hier? was hast Du wieder angerichtet?« rief ihm dagegen Seraphin zu, und hob unwillkürlich den Kolben seines Gewehrs, um dem Sinkenden einen tüchtigen Denkzettel zu geben. Aber es reute ihn alsobald der grausame Vorsatz, und er verharrte nur in der drohenden Stellung, um sich der fernern Unterwürfigkeit des jammernden Buben zu versichern. – Zur gleichen Zeit keuchte auch der Feldwebel heran, und setzte sich in Positur, den Werdenfelser mit dem Rohr zu bearbeiten. Dominik wehrte ihm dieses jedoch, indem er sagte: »Sey doch der Herr Kamerad gescheit und gelassen. Was hat denn der Mensch verbrochen?«

Worauf der Feldwebel, den bald sein ganzes Detaschement neugierig umgab: »Allen Respekt vor dem Herrn Kamerad: Er ist der Aeltere; allen Respekt; aber dieser Spitzbube hat mich bestohlen, betrogen, in Arrest gebracht; aufhenken möcht' ich den Schelm, oder todtprügeln; – alleins.« – »Barmherzigkeit! Ich bin ja nicht derjenige, den Er meint, gestrenger Herr Offizier, oder Obristwachtmeister!« schrie Kölbl dazwischen, die Hände ringend. –

»Den Teufel auch bist Du's nicht, falscher Siebenzehner!« polterte wiederum der Unteroffizier: »ich kenn' Dich noch gut, wenn Du auch jetzt ein Schurkenauge weniger in deinem Galgenschädel trägst. – Wo hast Du's hingebracht, Deserteur? Das war ein Auge, das dem Kaiser gehörte; er hatte es von Dir gekauft, wie deinen ganzen Schelmenleib. Wo hast Du des Kaisers Auge gelassen, Du landstreicherischer Dieb?« –

63 »Nun, nun,« hob Dominik mit Autorität an: »werd' ich einmal hören, was an der Sache ist?« –

»Gar nichts, Herr Kamerad, als daß ich diesen Burschen vor ein paar Jahren dort hinter'm Brenner angeworben habe, ehrlich angeworben, freiwillig, möcht' ich sagen. Er hat des Kaisers Gesundheit getrunken, des Kaisers Feldzeichen aufgesteckt, des Kaisers Handgeld genommen, und ist dann auf dem Transport desertirt, wie ein räudiger Hund. Hab' ich das Geld ersetzen müssen aus meiniger Tasche, und schwitzen müssen im Arrest, und find' ich ihn heut wieder, als einen Strolch, mit einem andern Strolchen diskurirend hinter jenem Karren und in einem Rothwälsch, das der Teufel verstehen mag. Aber meine Augen haben ihn besser verstanden, als meine Ohren, und ich lasse den Spitzbuben zu todt karbatschen; das laß' ich für mein gutes Geld und seinen Meineid.« –

Während der Feldwebel seine Anklage der Länge und Breite nach vortrug, hatte Seraphin Zeit gefunden, dem Wachtmeister einige dringende Worte bittweise in's Ohr zu flüstern. Darum zog Dominik den Kameraden alsobald zur Seite und sagte zu ihm: »Was will der Herr mit dem Kerl anfangen? Hatte er schon feierlich zur Fahne geschworen?« – »Hm, das noch eben nicht, aber der Handschlag und das Handgeld . . . .« – »Mach' Er sich doch keine unnöthigen Geschichten auf dem Marsch. Todtgeprügelt oder aufgehenkt ist Einer bald; aber die Verantwortung, he? Was wollt' Er sonst mit dem Kerl anfangen? Mit einem einzigen Auge kann er doch nicht mehr dienen, und Seinen Arrest, Feldwebel, nimmt Ihm der General selber nicht mehr ab. Das Handgeld aber will ich Ihm ersetzen. Laß' Er den Burschen laufen. Das Volk in Tirol sieht uns fremde Soldaten ohnehin nicht gern . . . hüt' Er sich daher, keine Leidenschaft regieren zu lassen.« –

64 Der Feldwebel wurde in der That geschmeidiger. Noch ein paar Minuten Zuredens, ein paar Groschen auf die Hand, und der gestrenge Mann befahl, den armen Sünder laufen zu lassen, kommandirte sein »Vorwärts, Marsch!« und zog mit seiner Truppe ab. –

Kölbl lief indessen immer noch nicht, hatte er gleich dazu die Erlaubniß. Er hielt sich wie vernichtet zwischen Laslo und Seraphin. Der herbeikommende Dominik drückte ihn bei den Schultern zum Staube nieder. »Ja, rutsche nur vor diesem wackern Menschen auf den Knieen;« sagte er auf Seraphin deutend: »Du hast Ursache, es zu thun. Wär' Er nicht gewesen, an dem Du Dich wie ein Judas versündigt, Du lägest wenigstens halbtodt und krumm und lahm auf diesem Flecke. Weine bußfertige Thränen auf seine Füsse, küsse seine Schuhe, und mach' Dich durch, Du elender Gesell!«

Aber Kölbl weinte nicht, und küßte nicht, sondern erhob sich verstockt, Seraphins Blick vermeidend. Kein Wort kam aus seinem Munde, bis ihn der aufgebrachte Wachtmeister wieder anredete: »Woher gebürtig?« – »Aus dem Freisingischen.« –»Nun denn, dort über jene Berge hinaus geht Dein Weg, und Dein Bischof wird schon irgendwo ein Zuchthaus haben, Dein edles Leben zu verpflegen. Marsch, Deserteur und Verräther, marsch, oder ich lasse Dir mit Steigriemen Füße machen!« Trotzig drehte sich Kölbl um, und ging, wie ein Fuchs, zuerst langsam, dann schneller, dann immer geschwinder, bis er an des Flusses Ufern verschwand. –

Dominik umarmte den Seraphin: »Du bist ein rarer Kerl, Gott beschütze Dich. 's ist mehr als brav, einem bittern Feind so willig zu verzeihen.« – Seraphin lächelte: »Hat mir nicht so eben die Zaya eine brave Lektion gegeben? Wenn's bei dem Kölbl nur was helfen wollte. Ich glaub's nicht. Und Du, Zaya, Du glaubst es auch nicht, wenn ich Dein Kopfschütteln recht 65 verstehe?« Zaya, die sich still heranbegeben hatte, schüttelte wieder das Haupt, und versetzte: »Bubele, Du hast's gottesfürchtig gemeint; aber ich bin halt der Meinung, daß es jetzo besser gewesen wäre, den Wolf in die Eisen zu werfen, als laufen zu lassen. Er führt böse Dinge im Schild. Da ich vor kurzem von euch ging, nach meinen Enkeln zu schauen, hab' ich den Burschen gesehen, wie er im Schatten jenes Karrens lag, und mit einem gewissen Tatzer-Melcher, einem Landgeher von der schlimmsten Gattung eifrig redete. Ich hab mich hinter's Karrenrad gelehnt, und zugehorcht. Der Einaugete schlug dem Melcher vor, beim Tammerl zu Imst einzubrechen, und das Geld und Silber zu stehlen. Schon einmal, sagt er, hab' er's probirt, es sey schon lang her, aber es sey nicht geglückt; ein Vogeltragersbub habe Allarm gemacht, und so weiter. Diesmal sey's aber günstiger. Der Tammerl fahre jetzt viel im Land herum, ein Gütl einzukaufen, und nur Weiberleute seyen im Haus vorhanden. Nun kenn' ich den Melcher, den z'nichten Buben. Er wird sich's nicht zweimal sagen lassen. Doch ehe er Ja oder Nein geantwortet sind die Soldaten dazwischen gekommen, und der Melcher hat Reißaus genommen, wie der andere.« –

»Oho!« rief Seraphin: »geht mir ein Licht auf. So ist's der Kölbl gewesen, den wir dazumal, der Egidi und ich, verscheucht haben? Ei, da ich schon einmal des Tammerl Hab und Gut gerettet habe . . . so möcht' ich's wohl noch einmal thun. Der Tammerl muß gewarnt werden. Ich lauf' gleich, wie ich bin, nacher Imst zurück.« – Da besann sich der arme Tropf und fügte betrübt hinzu: »Nein, nein, ich darf mich ja vor den Leutln nicht mehr sehen lassen. Sie würden glauben, ich käme abermals, sie anzulügen. Die Holländer haben mich sitzen lassen, mein Brieftaschl ist dahin . . . ich 66 kann ja gar nicht beweisen, daß ich die Wahrheit gesagt habe . . . sie ließen mich in die Keuche werfen, daß Gott erbarm!«

»Armes Bubele!« klagte Zaya. Dominik fragte theilnehmend: »Also blieb und ist die Brieftasche verloren?« – »Ganz und gar; 's war völlig nichts davon zu finden,« erwiederte Seraphin noch trauriger, denn zuvor: »aus dem Gebirg herunterkommend, hab' ich mich's nicht verdrießen lassen, den Weg nach Telfs zu nehmen, und beim Fuhrmann anzukehren. Nun, er hat mir's bei seiner armen Seele zugeschworen, daß er von dem Brieftaschl nichts gesehen. Ich muß ihm glauben; – wer weiß, wer's gefunden hat, dem's nichts, auch gar nichts hilft . . . . und mir schadet's doch so viel! 's ist ein Elend, aber mich thut noch etwa mehr bekümmern, daß der Peterl von Operperfuß, den ich doch so schön gebeten habe, auch nicht mit einem Wort beim Fuhrmann nachgefragt hat. Ja, die Welt ist immer ein Krieg, wie Ihr sagt, Dominik und auf die besten Freunde ist kein Verlaß. Fahr hin, Peterl: ich habe auch auf Dich zu viel vertraut.« –

»Nun, er wird halt seyn, wie alle Maulfreunde,« bemerkte Dominik tröstend: »das geht schon auf Erden nicht anders; und am End', da das Brieftaschl sich doch nicht im Wagen gefunden, ist's einerlei, ob der Maulaff nachgefragt hat oder nicht.« – »Ei, es wird Dir noch gut gehen, auch ohne das Brieftaschl,« sagte Zaya aufmunternd und zuversichtlich.

»Meinetwegen kommt's, wie Gott will,« versetzte Seraphin: »aber ohne die Martina wird's schwer angehen, und diese ist für mich einmal für allemal verloren.« – »Willst Du 'was Neues wissen?« fiel Zaya ein: »die Sprengerin ist auch nicht glücklich, und . . . .«

Seraphin hielt ihr den Mund zu. »Um Gotteswillen!« bat er; »nichts mehr davon. Ich will nichts hören und nichts wissen. Laß mich glauben, daß sie glücklich ist. Sie 67 sey es auch in der That, ich wünsche es. Es wär' ein Trost für mich, wenn es so wäre; dagegen ein Leid, haushoch, wenn ich sie leidend wüßte, und ohrfeigen möcht' ich mich selber, wenn mir jemals beikäme, mich etwa zu freuen, weil sie leidet. Nein, nein: laß mir ihr Andenken wie das meines kleinen Schwesterls, rein, engelrein und fröhlich mitten in der Wehmuth. Ich könnte sonst nicht leben, oder müßte leben wie ein zuichter Mensch, der an den Himmel und an's Sakrament nicht glaubt. –

»Brav, brav;« lobte Dominik mit herzlicher Rührung; »was Du da zu sagen weißt, hab' ich mein Lebtag für Deine Mutter selig gespürt in tiefster Seele. Mich freut's, jetzt auch zu hören, was ich gefühlt habe und noch fühle.«

Seraphin wendete sich an die Dörcherin: »Wärst Du so gut – ich bitt' gar schön – dem Tammerl anzumelden, was der Kölbl vor hat? Mir laßt's schier keine Ruhe.«

»Ich möchte wohl, mein Bubele. Doch hab' ich jetzt nicht Zeit. Siehst Du dort am Felsen die Zeichen, die unsre Leute mit Karrensalbe hingeschmiert haben?Die ziehenden Dörcher bezeichnen oft den Nachfolgenden die Richtung ihres Wegs durch gewisse Hieroglyphen auf Wegkapellen, Felsen, Mauern u. s. w. Z. B.: ↕;Ө;∟; u. a. m. Sie bedeuten, daß wir zu Mötz ein Zusammentreffen und Schiedsgericht haben. Ein paar Tage nimmt's schon weg, und wenn auch heute und morgen der Kölbl und der Melcher noch ein'n Fried geben werden, so möcht' ich doch nicht für die nächste Woche stehen, und ich darf meine Kinder, die nach Unterinnthal ziehen, nicht verlassen.« –

68 »Was schadt's?« sagte Dominik: »marschiren wir nicht nacher Imst, und werd' ich nicht bis auf weitre Ordre dort verbleiben? Weißt Seraphin? ich will mich beim Tammerl einquartieren, und bei Gelegenheit Deine Nachricht anbringen. Sey ruhig. Wo ich und Laslo im Quartier liegen, bricht niemand ungestraft ein, und wär's der böse Feind in Person.«

»Ich dank' euch schön viel tausendmal!« rief Seraphin hocherfreut: »da werd' ich mit leichterm Herzen meiner Wege gehen. Sagt nur fein alles mit Bedacht, und grüßt mir dankbarlichst die Tante Lenerl, die mich ausgelassen. Sie hat's noch am besten mit mir gemeint, und ich glaub', sie hat mich noch ein klein bissel lieb. Die Andern hab' ich zwar noch gern, aber sie mögen mich nicht mehr, und darum will ich sie in Frieden lassen. Aber die Lenerl – nicht wahr, Ihr thut mir den Gefallen?«

Dominik bejahte freundlich. »Dort kommen,« sagte er, »die wundgedrückten Pferde und die maroden Reiter, die ich zu kommandiren die Ehre habe. Man hat den Invaliden zu den Maroden gethan; ich merke, daß mein Abend gekommen ist. Wohin aber gehst Du, und lässest Du gar nichts von Dir hören?«

»Ich gehe,« entgegnete Seraphin schwermüthig, »noch weiß ich nicht wohin, eine Zuflucht, eine Arbeit, oder wie Zaya will, das Glück aufzusuchen. Will mich schon bei euch melden, wenn mir merkwürdiges zustößt. Glaubt indessen, daß ich nimmer Eurer Freundschaft und Lehren unwerth seyn will. Ich bin im Kopfe nüchtern geworden, und will mich nicht durch eine Narrheit zum Spott der Menschen machen, nicht durch eine Sünde um den Himmel bringen. Arbeiten und vergessen! das ist mein Wunsch, und mein heiliger Schutzpatron wird mich nicht stecken lassen.«

Dominik reichte dem jungen Mann stumm die Hände 69 hin. Seraphin, damit nicht zufrieden, küßte ihm den Schnautzbart und die Backen vielmals ab. Beide sagten nicht »Leb' wohl,« nicht »Behüt' Dich Gott!« – Sich von dem Dragoner losreißend, der alten Wollhaube mit der Hand zuwinkend, lief Seraphin, was er konnte, davon, stromabwärts, dem Innsbrucker Revier entgegen. – –

Ganz um dieselbe Zeit, in einem niedlichen wohl umschatteten Dörfchen, das nur eine halbe Stunde entlegen von dem Platze, wo die Dörcher und Dominik ihr Lager aufgeschlagen, handthierte mit Kelle und Kalk, mit Pinsel und Bürste, vornehm auf einem Gerüste schwebend, das an dem stattlichen Hause eines wohlhäbigen Bauern angebracht war, der Maler Oswald Holzer, und hatte keine Ahnung, daß sein Freund und Bruder Seraphin ihm so nahe, und sogar mit jedem Augenblick um einen Schritt näher. – Dankbar den himmlischen Fürsprechern, die manches Jahr hindurch seinen Pflug gesegnet, seine Saaten verhundertfacht, Hagelschauer und EngerlingfraßEngerling: schädliches Insekt, das dem Flachs und andern Pflanzen Schaden zufügt. von seinen Feldern abgehalten, war der reiche Bauer zu dem Entschluß gekommen, die heilige Nothburga und den heiligen Ackersmann Isidor auf die Stirne seiner Wohnung malen zu lassen, so bunt und ansehnlich, als nur immer möglich, und daneben so wohlfeil auch, als sich thun ließ. Er hatte seinen Mann und Künstler in dem wackern Oswald gefunden, der dazumal, ein irrender Pinsler und Vergolder, in jenen Gegenden umherstrich und Arbeit annahm, wo er sie nur antraf und zu welchem Preis es seyn mochte, und wie schlecht sie auch ausfiel. Je wohlfeiler, je schneller, je schneller, je ungeheuerlicher gedieh das bestellte Meisterwerk; dieses war einmal Oswalds Gewohnheit geworden. Sorgloser als jemals zu Augsburg, pinselgeschwinder als jemals der fertigste Klexer, tünchte er seine Schöpfungen auf die Mauern, auf Holz und 70 Leinwand nach Belieben, und selten lag zwischen Anfang und Ende seiner Bemühung mehr als ein einziger Sommertag. – So hatte er auch heute mit dem Aufblitzen des Morgenroths den heiligen Isidor vorgenommen, und schon bis Mittag fürtrefflich hingestellt in einem braunen Etschländergewand, mit rothem Hosenträger und schwarzem Bart, und der Pflug war daneben nicht vergessen und nicht die beiden Engel, die den Pflug zogen, und die – sah man genau hin – allerdings von zwei Riesentauben zu unterscheiden waren. Am Nachmittag war flugs die Reihe an die fromme Magd Nothburga gekommen, und als die Schatten sich streckten im niedergehenden Sonnenschein, stand auch die Heilige, bis auf die Sichel und die Flasche fertig da: eine Person von sechs Schuhen, voll und drall mit brandschwarzen Augen und Haaren, die der grelle gelbe Schein um das Haupt noch kräftiger hervorhob. – Im Augenblick der Vollendung jedoch, statt zu jubeln und den Pinsel gegen die anrückenden Sterne zu schleudern, befiel den Maler eine finstre Grille, und er sagte brummig: »Da haben wir's. Da steht schon wieder die Veverl, wie sie leibt und lebt. Ich kann nichts anders mehr machen; ich, der ich sonst nicht die Nase eines andern Menschen abzukonterfeien im Stande war! Immer das Gfries der falschen Veverl, daß Gott erbarm! Der heilige Isidor schaut ebenfalls her wie ihr Zwillingsbruder. Gut, daß er 'nen Bart sich wachsen ließ, sonst kennte man das Mandl und das Weibl nicht von einander.« –

Diese Betrachtungen hatten den Maler unversehens um die kostbare Zeit gebracht, die er hätte verwenden können, um die Flasche und die Sichel, ja vielleicht noch den Lilienstengel, den er sich vorgenommen, zwischen Isidor und Nothburga zu pflanzen, tadellos auf den nassen Kalk zu zaubern. – »Feierabend!« gähnte er, 71 als wäre Haus und Hof und Stadl seines Kunstgönners nur ein Bissen für seinen Mund: »schon wieder ein Tag dahin, Gottlob. Und jetzt frisch hinter's Glasl – mein Bauer hat 'nen guten UeberetscherUeberetscher: Wein aus den Geländen jenseits der Etsch in der Gegend von Botzen. – und hernach zum Nachtmahl, und hernach in's Wirthshaus, und hernach in's Nest schlafen, wenn mit der Kellnerin nichts mehr zu reden ist. Basta, wie der Grödner sagt. Gut' Nacht, ihr Farbentiegel; gut' Nacht, Du dicke falsche znichte Veverl!«

Mit diesen Worten hupfte er vom Gerüst und gerade in die Arme des Herzbruders Seraphin, der schon eine Weile unten gestanden und hinauf geguckt mit scharfen Augen, und nicht gewußt, ob's wahr oder nicht wahr, daß sein Oswald dort oben. Zwar standen auch der Bauer und die Seinigen da, und blinzelten zur Malerei empor, mit entblößten Häuptern die Männer, mit gefalteten Händen die Weiber, und konnten sich nicht genug verwundern über die funkelnden Gesichter des Heiligenpaars, und über den kostbaren Umfang der breiten Patzerei. Aber was ging jetzt den Oswald seiner Kunstbrotherren Beifall oder Tadel an? Hielt er doch den liebsten Menschen auf dem Erdenrund an seiner Brust, blind vor Freud' und Glück, das um so größer, je unvermutheter es aufgetreten!

Da war das Wiedersehen zu Augsburg nur ein kahler Schatten gewesen, das Gespräch bei den sieben Tischen nur ein faules schlaftrunknes Gewäsch. Jetzo ging's von Beider Munde wie Geklapper einer Mühle, sie fochten mit Worten, wie hitzige Gesellen mit dem Degen, wie junge Schüler beim verbotnen Spiel mit ihren Trümpfen. Keiner schien geneigt, dem Andern den letzten Hieb, den letzten Stich zu lassen, und lange dauerte es, in die Nacht hinein sogar, bis die Mühle stand, bis sie rasteten vom Kampfgestrudel ihrer Zungen.

Am nächsten Morgen pflanzte Oswald mit beliebter 72 Eilfertigkeit den bewußten Lilienstengel, übergab sein vollendetes Meisterwerk dem Urtheil der Mit- und Nachwelt, strich seinen kargen Lohn ein, nahm seine Geräthschaften auf die Schulter, seines Freundes Arm unter den seinigen, und wanderte wohlgemuth selbander fürbaß. »Schau!« sagte er mit biederm Vorwurf zu Seraphin: »so wie wir jetzt gehen, hätten wir von Augsburg bis nach Holland gehen sollen. Du wärst meiner nicht ledig geworden. Der Walt wäre nicht in Rotterdam zurückgeblieben, er hätte Dich bis an's End begleitet, und Dir genug mit Aufpassen und Hofmeistern zu thun gegeben, so daß Dir nicht Zeit geblieben wäre, Dich mit dem grauslichen Kölbl herumzutreiben. Alles wäre gut gegangen, Du hättest Dein Madl, ich hätte das meinige oder ein andres, der Egidi säße nicht im Zuchthause . . . . nun, nun, werde nur nicht gleich so wild und verdrießlich. Gethan ist gethan. Schauen wir vorwärts. Draußen beim Vetter hab' ich oft im Kupferstich und in Gyps ein heidnisches Doppelgesicht aus der Römerzeit gesehen; . . . der Vetter hat mir allerlei davon erzählt, ich hab's wieder vergessen – aber genug: das eine Gesicht von dem Doppelkopf war ernsthaft, und das andre hat gelacht, wie ein lustiger Bub' lacht. Laßt uns wie jener alte Doppelkopf ein Stück durch die Welt laufen; Du ernsthaft, ich heiter und leichtsinnig. Wir werden beide von einander lernen. Du wirft ein bissel Munterkeit von mir lernen; ich werde Dir wieder ein bissel Ehrbarkeit abgucken. Ich bin, im Vertrauen gesagt, aus lauter Verdruß über die Veverl, liederlich geworden, und war doch schon Monate lang ein stiller ehrlicher Bursche, wie ein Madl so sanft und verschämt. Ich hab's von Dir und der Veverl gehabt. Wegen der letztern habe ich die Tugend aufgegeben; wegen Deiner will ich dieselbe wieder anschaffen. Bleiben wir bei einander.«

73 Seraphin versetzte mißbilligend: »Wegen einer an sich geringen Störung in unserm Leben sollen wir nicht auf die schlimme Seite schlagen. Trau Dir selber nicht, Du Kräutl Thunichtgut, das rathe ich Dir. Wie aber sollen wir zusammenbleiben? Soll ich neben Dir herdörchern ohne Verdienst, ohne Arbeit? Das will ich nicht, und auch Du wirst es nicht wollen. Du machst, daß den Leuten grün und gelb vor den Augen wird; ich muß mich meinerseits durchzubringen suchen. Es wird hart gehen, aber es muß doch am Ende. Ich hab' kein Handwerk gelernt, bin auch nicht bei der Bauernschaft gewesen, das Viehhüten hab' ich verlernt. Mir dem Vogeltragen ist's aus. Was soll ich denn anfangen? Sie wollen mich nicht einmal bei den Landschützen leiden . . . . der Wachtmeister mag mich nicht unter den Soldaten sehen – ich hab' auch nicht große Lust dazu. Soll ich das Ellenreiten, das ich beim Grödner getrieben, noch einmal anfangen? Oho, nicht rühr' an. Drum denk' ich halt immer: ich will unter die Knappen gehen . . . .«

»O Seraph, Seraph, bist Du denn bei die Groschen? So 'n Scheermausleben, so rußig und schiech und finster und naß? Lebendig begraben seyn tief unter der Erde und dem Sonnenschein!«

– »'s wär' eine billige Vergeltung. Ich hab' zu hoch hinaus gewollt, der arme Bub' des ärmsten Vaters. Hinunter mit mir; es geschäh' mir recht. – Ach, mein Vater!«

Oswald fuhr in seiner Klage fort: »Drei Viertheil des Lebens blind seyn für die bunten Farben der Welt, . . . drei Viertheil des Lebens entfernt seyn von lustiger Gesellschaft . . .! mit jedem Athemzug ein bissel Tod einschlucken! Geh', Seraphin, Herzl, thu' das nicht. Ja, ich wollt' nichts sagen, wenn's noch wäre wie zur alten Zeit, wo ein rüstiger Bergmann Karfunkel fand, noch 74 größer als die Hühnereier, wo die Zaubermandln im Berg herumfuhren mit Kratten und Schiebkarren voll von Schätzen, Perlen und Edelsteinplunder, und den braven Knappen sagten: Herz, was begehrst Du! In jener Zeit würdest Du, rarer Kerl, von den wunzigen Krattlern bald genug gekriegt haben, um den wampeten Tammerl zu bezahlen und Deine Ehr' zu retten; aber heutzutage . . . daß Gott erbarm'! schier verhungern sie auf ihrem Gold und Silber, die armen Heiter von Knappen, und verdienen's auch die meisten nicht besser, denn es sind viele heimliche Lutheraner unter ihnen, und zu denen gehörst Du nicht, Seraphin. Bleib weg von den Weißkitteln, glaub' mir.«

»Du meinst es gut. aber wohl möcht ich mein Lebtag graben und graben wie ein Wühlscheer, wenn ich nur meinen Vater wiederfinden, den Egidi frei machen und meine Rechtschaffenheit vor aller Welt beweisen könnte. Die Martina muß ja alles schlechte von mir glauben, und das thut mir so viel weh, und thut mir wiederum so viel wohl . . .!«

»So viel weh, und doch so vielwohl?« fragte Oswald verwundert. Und Seraphin entgegnete hastig: »Ja freilich; denn wenn sie recht viel Böses von mir geglaubt hat, so hat sie doch wenigstens nicht aus Leichtsinn und Untreue sich an den Andern gehängt.« –

»Nun!« lachte Oswald, »ich muß sagen: Du verstehst Dich zu trösten, wo ich aus der Haut fahren möchte vor Galle und Gift. Du bist wohl brav und christlich, aber ich an Deiner Statt würde viel lieber das falsche Weib vermaledeien, und dem Tammerl seinen Verlust an Geld und Gut herzlich gönnen, und dem Sprenger den Hals umdrehen, und den Kölbl, den Spitzbuben, hätte ich wahrhaftig nicht springen lassen, und dem verlognen Peter schlüge ich bei nächster Gelegenheit den boshaften Schädel ein. Weißt Du was Neues von der Martina?« –

75 Seraphin schüttelte den Kopf. »Nun, ich auch nicht,« fuhr Oswald fort: »und von der Veverl weiß ich auch nichts, denn ich habe das miserable Imst seither gemieden wie ein Pestilenzhaus; aber ich wünsche . . . ich wünsche . . . ich mag gar nicht sagen, was ich den Weiberleuten insgesammt auf den Hals wünsche. Ich habe mit allen das größte Unglück. Meine Mutter sogar, seitdem sie den kleinen Bamms hat, besieht mich kaum mehr; die schöne Trine ist, seitdem sie verheirathet ist, ein zwidriges Weibsbild geworden, und hat mich allweg angeschnauzt, als ob sie nicht meine rechte zweibändige SchwesterZweibändige Schwester: von demselben Vater und derselben Mutter erzeugt, wie ihre Geschwister. Einbändig: Stiefgeschwister. wäre! Das hat mir die Heimath verleidet, und mir wieder Appetit am Herumstrolchen beigebracht. Schau: halt's mit mir. Ein ächter Wein ist ein getreuer Freund; laß uns brav trinken und lustig seyn. 's gibt viele saubre Diendln auf der Welt; laß uns sie bussen nach Herzenslust, aber uns mit keiner mehr verbandeln; so können wir noch fröhliche Tage haben.«

»Ei, pfui Dich an!« antwortete Seraphin unwillig: »Laß mich aus, und red' nicht so frech in den Tag hinein. Hast Du kein Gewissen mehr? fürchtest den Teufel nicht mehr, weil er Dich nicht vom Kartenspiel und Sündengeld hinweggeholt hat? Geh, laß Dich flechten! 's ist Dir nicht halb so viel Ernst, als Du Dich anstellst; schäm' Dich ein bissel, Walt!«

Wunderbar eingeschüchtert, sagte Oswald nach einer Pause: »Ja, es wird schon so seyn. Du hast's halt doch getroffen. Der beste Wein schmeckt mir doch nicht mehr wie ehedem; der leichtfertigen Dirnen Kuß ist mir aber noch bittrer als der Wein! Ich hab' keine rechte Freud' mehr. Wenn ich recht toll und ausgelassen bin, so bild' ich mir ein, ich sey lustig; aber 's ist nicht wahr. – O Veverl, Veverl, ungetreues Diendl!« – Er brach in helles Schluchzen aus, das gewaltsam fortdauerte, und nur langsam dem Zureden des Freundes 76 wich. – »Laß uns miteinander nach Schwatz gehen, und die Knappen in der Nähe anschauen,« sagte er alsdann; »vielleicht ist für uns beide das Bergwerk gut.« – So wanderten sie an Innsbruck vorbei gen Hall, setzten sich da auf's Wasser und fuhren nach Schwatz.

Sie sahen da freilich in der Nähe die überaus zahlreiche Zunft der Kinder des Propheten DanielDaniel in der Löwengrube, der Patron der Schwatzer Bergknappen., sahen sie mit allen ihren guten und schlimmen Eigenschaften, mit ihren Vortheilen und Gefahren. Sie beobachteten dort, wie schon die Kleinen als Kläuberjungen Bruch und Zagel ausschieden, wie sie mit der Bergtruhe aus- und einliefen. Sie sahen dem Treiben der Häuer und Hutmänner, der Herrenarbeiter und LehenhäuerHerrenarbeiter: Arbeiter im Bergwerk, die im Sold der Herrschaft arbeiten. Lehenhäuer: solche, die einen Antheil an der Kuxe haben. zu. Sie traten ein in die Hütten dieses armen Knappenvolks, das sein magres Leben bestritt mit schmaler und sauer verdienter Löhnung, die nicht zugereicht haben würde, wenn nicht die sogenannte PfennwerthshandlungPfennwerthshandlung: diejenige Einrichtung bei den Bergwerken, vermöge welcher der Knappe einen Theil seines Lohns in Naturalien (Tuch, Getraide, Butter u. s. w.) erhält, damit seine Angehörigen nicht Noth leiden, wenn ihn der Leichtsinn veranlaßt, sein Geld im Wirthshause zu verthun. für die Bedürfnisse der Weiber und Kinder besser gesorgt hätte, als der neben seiner Kühnheit so leichtsinnige Knappe und Hausvater zu thun verstand. Sie maßen mit ihren verwunderten Augen die blassen ausgemergelten Gestalten der Bergarbeiter, denen die feuchte Grubenluft und das »böse Wetter« den Keim der Bergkrankheit, der Abzehrung nämlich, unaufhaltsam zutrug. Sie waren Zeugen der ausgelassenen Lustigkeit, womit sich die armen Leute dann und wann ihr Daseyn ausschmückten, um hinterher noch geschwinder zu verfallen; sie standen hin und wieder an Sterbelagern, auf denen die Erschöpften, Jünglinge oder ältere Männer, mit der Ergebung des Lebensmüden den traurigen Bergertod erlitten! – Der eitle Vorsatz der beiden jungen Vintschger, in die Reihen dieser armen Silberdiener des Landes einzutreten, schwand vor 77 der elenden Wirklichkeit, die sich ihnen nackt und bloß zeigte, dahin wie ein Hauch im Winde. Seraphin schaute lange trübselig zu; aber der leichtblütigere Oswald brach schnell den Stab über das so unerquicklich vergeudete Leben jener Leute. »Nein;« rief er: »das ist nichts für Dich und mich. Ein armer ungeschickter Kleckser, wie ich bin, mag ich nicht tauschen, weder mit den Knechten des Bergs, noch selbst mit den Herren; denn auch die letztern sagen nicht umsonst:

Die Hoffnung meistentheils den Berg thut bauen;
Man muß auch haben zu Gott ein rechtes Vertrauen,
Und immerdar zum Beutel schauen!

Seraphin mußte sich endlich wohl einverstanden erklären, und die Thorheit seines Vornehmens bekennen. Er mußte zugeben, daß es sich Zoll für Zoll selbstmorden hieße, wenn er den Vorsatz ausführen würde, sich Leuten zuzustellen, die selbst, wenn sie nur es machen konnten, ihrem Stand entliefen, um einen andern zu wählen. So drängten sich zum Beispiel die Knappen haufenweise zum Kriegsdienst im Lande und im Felde; andere zogen nach Wien, in allerlei Dienste zu treten. Nicht wenige versuchten ihr Glück unter den Laienbrüdern mancher Klöster.

Die Beobachtungen, die zu Schwatz von Seraphin und seinem Freunde gemacht worden waren, hatten ihnen viele Zeit und so ziemlich ihren ganzen Geldvorrath aufgezehrt. Es hieß nun arbeiten. Seraphin fand einen Dienst in der Nähe von Schwatz, Oswald fand Arbeit in dem Kloster auf St. Georgenberg.

Der Zustand eines Dienstboten wollte jedoch dem jungen Plaschur nicht behagen. Am meisten widerte ihn die rohe Gesellschaft an, in deren Mitte er sich bewegen mußte. Es lebte in seinem Kopfe ein besser erzogener Geist; seine ganze Natur hatte zu viel Milde an sich, und ging zu hohen Schritts über dem Geleise des Handlöbnerlebens weg, als daß sie zu der Gemeinheit seiner Genossen sich bequemen, 78 in die Botmäßigkeit einer rücksichtslosen Dienstherrschaft sich fügen mochte. – »Ich habe schon ein Stück Himmel auf dieser Welt genossen;« sagte sich wehmüthig Seraphin, an Imst, das Tammerlhaus und Martina zurückdenkend: »ich mag das schmutzige Joch nicht mehr ertragen« Ging auch eines Tags wohl entschlossen aus seinem Dienst, wo man ihn nur einen Träumer und Weichling gescholten, und begab sich, seinen Oswald auf ein paar Stunden zu sehen, in die Einsamkeit des St. Georgenbergs.

Wer sie jemals gesehen, jene wunderliche, erfrischende und in Wahrheit geheiligte Wildniß, kann leicht verstehen, wie tröstlich sie ein wundes Herz umarmt. Die Seele, die den Muth hat, allein zu seyn, und die Welt mit dem Frieden der Einöde zu vertauschen, findet nirgends ein Fleckchen Erde, wo sie ungestörter ruhen und anbeten, wo sie freudiger ihre Schwingen entfalten könnte. Der steile Felsen in der waldgrünen Schlucht, der gerade nur Platz hat für das Haus des Herrn, scheint eine unbezwingliche Burg irdischer Seligkeit; die Wellen, die seinen Fuß in schwindelerregendem Abgrund bespülen, scheinen der Strom zu seyn, von dem die Alten erzählen, daß er hinwegnahm jeden Schmerz und jede eitle Freude sterblichen Daseyns. Doch über dem Abgrund, der da ist die Gränze der lauten Welt, hoch über dem Gotteshause auf wildem Felsgestein, wölbt sich die Kuppel des Himmels so rein und klar, und die berganstrebenden Wälder, die darüber hinausragenden Gebirgsköpfe und Schneetriften scheinen ebenso viele Stufen zu seyn, die gerade aus in das Land der Verheißung den Weg bahnen. »Hinauf, hinauf zum Lichte!« ruft dort Alles dem rastenden Pilger zu; »unten ist's dunkel, laß' ab von der Finsterniß! Dir bleibt hier kein Pfad, als der nach oben!« – –

Seraphin vernahm was sie ihm zuriefen, die im frischen Winde schwankenden Tannenwipfel, die über der Waldeinsamkeit kreisenden Vögel, die rothen Steinnelken, die prächtige Zierde auf dem nackten Leib der Bergwände. 79 »Hier möcht' ich bleiben!« seufzte der dichterische Geist, der in ihm wohnte, ohne daß er selbst es wußte: »diese Wildniß mit den Schatten meiner Lieben bevölkern, am Altar der Kirche und der Gebirge meine Sehnsucht dem Schöpfer vertrauen, und endlich meinen letzten Athem auf eine Wolke legen, die hinanzieht zu dem blendenden Reich der Sonne.«

Aber eine Gelegenheit, da zu verweilen, wollte sich nicht ergeben, und Oswald, der keineswegs die fromme Schwärmerei theilte, die sich Seraphins zu bemächtigen begann, arbeitete wie ein Rasender, um nur sobald als möglich die Wucht des stillen Einsiedlerlebens von seinem Nacken zu schütteln. – »Ich darf wahrhaftig nicht mehr von Deiner Seite gehen,« sagte er treuherzig zum Freunde: »Du wärst im Stande ein Klausner zu werden; und es wär' doch schade um einen bildsaubern Buben, wie Du bist. Die Weiberleut' sind nicht werth, daß Du um ihrentwillen um Dein frisches Leben kommst, und daß ich an Dir meinen besten Kameraden verliere. Geh, mach' Dich auf; ich bin mit meinen sieben Zwetschgen fertig, hab' eine Empfehlung an den Dechant in Fügen, der noch einen Heiligen für seine Kapelle braucht. Die Kreuzer werden uns nicht ausgehen. Daneben ist dort ein großes Schießen, und Du kannst, wenn Du geschickt bist, mit Deinem Büchsel eben auch ein Geld verdienen, derweil ich pinsle und schmiere über Hals und Kopf. Geh, häng' nicht das Maul und schlag' Dir die Einsiedlerei aus dem Sinn. Laß' sehen, wie uns beiden das lustige Zillerthal anschlagen wird.« – Oswalds Beredsamkeit hatte Erfolg. Sie wanderten in's liederfröhliche Thal ein.

Wie zu erwarten, bekam dem Maler die Reise und der Aufenthalt an der Ziller außerordentlich gut. Die anmuthigen Gegenden, so heiter, so grün, so belebt, weckten sein Herz recht auf. Die schönen Menschengestalten schmeichelten seinem Auge, das Wohlleben, das sich dort ein jeder kaufen konnte, der nur ein paar Groschen besaß, kitzelte 80 seinen Gaumen; der Gesang, der auf der Alm so gut zu Hause, wie im tiefen Thal, erfrischte sein Ohr, und der hübschen Dirnen leichtsinnig und leichtfertig Wesen verführte schnell und genug seine zum Verliebtwerden sonderlich geneigte Natur. – Er schwamm behaglich wie ein Fisch im erwünschten Element, und zum erstenmal seit langer Zeit konnte er mit seinen Geschäften nicht fertig werden, und verstand sich perfekt darauf, einen Tag nach dem andern zu gewinnen, bis beinahe der Sommer schon zur Rüste ging. – Mit Seraphin war's umgekehrt. Zog ihn die patriarchalische Einfalt der Zillerthaler und ihr Frohsinn im Schooß der Armuth freundlich an, so stieß ihn doch das Roblerwesen und die landübliche Lockerung der Sitten völlig ab. Das Treiben der Bursche und Mägde in Dörfern und Einöden eckelte ihn an; der prahlende und ausschweifende Ton der Thalbewohner, die als Mithridatträger und Teppichkrämer in's Ausland gingen und stets verdorbener zurückkehrten, that es nicht minder. Die Schönheit der Mädchen ließ ihn gleichgültig, machte ihm sogar nicht selten Verdruß. Ein jedes blonde Frauenhaar, ein jedes lichte Auge erinnerte ihn schmerzlich an sein verlornes Glück. Sein halbmüßiges Leben, als gewinnsüchtiger Schütze, wenn es ihm auch trotz seiner Unfertigkeit einschlug, oder als untergeordneter Gehülfe und Farbenreiber seines Freundes, widerstand ihm, je länger, je mehr. Die Grille, seinen Theil wo möglich am Klosterleben zu nehmen, die ihn aus St. Georgenberg beschlichen hatte, wuchs unter seinen jetzigen Verhältnissen immer ansehnlicher heran, und zirpte ihm täglich vernehmlicher ihr altes Lied in's Ohr. – »Ich kann nicht mehr in diesem Salzburgerland bleiben,« sagte er oft und stets ungestümer zu Oswald: »hier ist nicht meine Heimath, meine ernsthafte und rechtschaffene Heimath. Mag nicht singen, mag nicht tanzen, nicht liebeln, nicht raufen; es geht mir halt da alles nicht zusammen. Geh 81 mit nach Burgeis, oder laß' uns Abschied nehmen.« – Ermahnungen, denen Oswald eine Zeitlang Widerpart hielt im Ernst und im Scherz; aber denen er sich eines Tags zur Verwunderung Seraphin's plötzlich auf Gnad' und Ungnad' ergab. Mit finsterem Gesicht kratzte sich Oswald am Kopfe und zog die Beinkleider in die Höhe; ein Zeichen unwiderruflichen Entschlusses. »Du hast beim Eid den Zweck herausgeschossen,« sprach er: »der Schwarze hole das Zillerthal, den Salzburger- und den Tirolerantheil. Mag nichts mehr davon haben!« – Vergebens fragte Seraphin nach der Ursache des so erwünschten aber wenig gehofften Entschlusses. Oswald sagte seinem sittlichern Freunde nicht gern, daß er gerade in der Nacht zuvor einer Dirne an den Balken gestiegen, und von eifersüchtigen Nebenbuhlern eine derbe Lektion bis schier zum Lahmwerden erhalten. Dergestalt drollten sich die unzertrennlichen Gefährten von Fügen nach Zell, von Zell nach Mayerhofen, von Mayerhofen nach Finkenberg, und wählten den Pfad durch das Durerländchen, wo nur Winter ist und Sommer, und der letztere nur wenige Wochen dauert. Wieder behagte es dem Seraphin in der Einsamkeit von Hinterdur sehr wohl, die schwarzen Hütten, die schlichte Tracht und Haushaltung der ernsten Durerleute, der in allen Farben blitzende Ferner, der stattlich und drohend hereinschaut in das baumlose Hirtenland, gefielen ihm besser als im Zillerthal Volk und Natur, eines lustiger als das andere. Oswald dagegen konnte nicht genug eilen um über's Joch hinüberzukommen, und niederzusteigen in das romantische Thal von Schmirn, und einzulenken in die Straße die das Wippthal durchstreift; die Regierungshauptstadt von Tirol verbindend mit dem Sitz seines Handels, mit der dazumal noch frischblühenden Meßstadt Botzen. Willens, ihre Richtung gen Burgeis durch die Gebirge auf nähern Wegen zu verfolgen, kehrten die Freunde in Steinach 82 ein, und dort redete Oswald zu Seraphin: »Hör' jetzt, was mir eingefallen, und sage mir, ob Dir ansteht, was ich ausspintisirte. – Vor allem thut's Noth, daß wir zwei beide gar nicht mehr von einander gehen, und gegenseitig aufpassen, daß nicht Einer Dummheiten macht. Ich könnte gar leicht in meinen schwäbischen Leichtsinn zurückfallen bis an den Hals; Du wärst im Stand, Dich in lauter Gottseligkeit und Menschenfeindlichkeit zu vergraben. Besser ist's, daß nicht eins, nicht das andere geschieht. Mich freut doch noch dies und das auf der Welt, so ein armer Narr ich bin; bei Dir hat dagegen alles seinen Werth verloren. Die Sonne macht Dir nicht mehr warm, die Vögel singen Dir nicht mehr. Was Gutes auf der Erde wächst, thust Du verachten, es müßten denn unsrer Frauen Aeuglein seyn, unter denen Du Dir Martina's Augen vorstellst, obschon diese grau sind und nicht blau; – Du bist mit einem Wort eine abgelaufene Uhr, und wer diese aufziehen kann und muß, der bin ich. Jetzt los' zu, und fall' mir nicht in die Rede. Von hier aus – und es liegt nicht viel außer unserm Weg – wollen wir in der Waldrast einkehren. Ich will das Geld, von dem ich Dir sagte, aus den Händen des Paters Philipp wieder zurücknehmen; ein feines Kapital für unser eins. Damit wollen wir einen Bilderhandel anfangen wie die TesineserTesineser Bilderhandel: eine der scheinbar geringen, in der That aber weltdurchschreitenden Industrien des Tirolers. Die Bewohner des Tesinothals, aus den Gemeinden Pieve, Cinte und Castello trieben diesen Handel schon bald zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts nach allen Gegenden der Erde. Den größten Aufschwung nahm er um 1750., und beide zusammen den Verschleiß besorgen, nachher Frankreich, Spanien und Portugal, wohl auch nach England wandern, und das Glück wird uns nicht stecken lassen. Ich treibe daneben meine Profession; Du hilfst mir, oder machst indessen Ausflüge zum Nutzen unsers Handels. Wir werden Geld verdienen, wohl noch mehr als die von Tesino, und wer weiß, ob Du nicht auf diese Weise noch Deinen Vater irgendwo in einem Winkel des Erdbodens auffindest? Dergestalt können wir den Grund zu unserm Wohlstand legen, und 83 die ungetreue Weiberleute werden sich einmal das Fieber an den Leib ärgern, wenn wir in fremden Ländern unsre Niederlagen halten, und eines Tags zum Besuch in die Heimath kommen, ein jeder mit einem spanischen oder französischen Frauele am Arm. He, was meinst Du?«

»Der Gedanke wär' nicht übel,« erwiederte Seraphin nach kurzem Bedenken, »wenn Du Dich nicht schon, und zwar nach Recht und Pflicht von dem schmutzigen Gewinnst losgesagt hättest, den Dir ein böser Geist dazumal zur Versuchung in die Tasche jagte. Die Dukaten, Oswald, hast Du eigentlich nie mit ruhigem Gewissen besitzen und benützen können; viel weniger darfst Du noch jetzt darauf Anspruch machen. Wie ich mir denke, wenn ich alle Deine Erzählungen zusammenhalte, so gehören sie am allernächsten dem guten Meister Tammerl zum theilweisen Ersatz des Geldes, das er an den Feldkircher entrichten mußte, den der schlimme Peterl bestohlen. Nachdem: mit welcher Stirne wolltest Du von dem Serviten zurückfordern, was er, um Dich von der Höllenfurcht zu erlösen, aus Barmherzigkeit an sich genommen?« –

»Du bist gar nicht zu haben mit Deiner erschrecklichen, peinlichen, abgezirkelten Ehrlichkeit!« murrte Oswald sehr mißmuthig: »Was ich dem Serviten sagen werde? Ei, die Wahrheit; gerade, was ich Dir jetzt vorgeschlagen. Und da er ein verständiger Mann ist, wird er sagen: Wohlgesprochen, Oswald Holzer! und das verdächtige Geld wird in einer ehrlichen Sache schon auch ehrliche Dienste leisten. Es ist ja doch am Ende mein mit Fug und Schick; ich habe ja den Spieler nicht darum betrogen, und noch fragt sich's, ob der Tammerlpeter von Imst der Spieler gewesen. Es kann noch einen dritten in der Welt geben, der ihm ähnlich sieht, weil's schon einen zweiten gibt, ihm aus dem Gesicht geschnitten. Und weißt Du, was wir thun, um Dein zartes Gewissen zu beruhigen? Sobald 84 wir einen vollen Zug mit unserm Bildernetz gethan, schenken wir die gleiche Summe von Dukaten, die unsers Glücks Grundstein gewesen, der Kirche oder der lieben Armuth, und fügen meinetwegen noch die Zinsen hinzu. Das wird doch recht seyn, Du trauriger Bub? . . . na, sey nur nicht bös, Du lieber Narr, Du herziger Freund. Mach's aus, wie Du willst; laß' uns nur beisammenbleiben.«

Seraphin war gerührt von der lebensfrischen nachhaltigen Anhänglichkeit seines Jugendgefährten. Aber die schwärmerische Vorstellung, die ihn vom St. Georgenberg überall hinbegleitete, war noch riesenstark. »Thu, wie Du willst,« sagte er schwermüthig zu Oswald: »ich glaube, daß jenes Geld Dir nicht Segen bringen wird. Probir' indessen Dein Glück, wenn Du nicht auf mich hören magst. Was die Waldrast betrifft, so geh' ich gern mit Dir. Der Pater Philipp, wenn er so verständig ist, wie Du sagst, wird Dir die besten Lehren geben können; und mir soll er sagen, ob ich zu einem Klosterbruder was nutz sey, oder nicht. Denn bis dato – ich gesteh' Dir's – ist mein Sinn nur auf die Einsamkeit und das Gebet gerichtet. Es ist, wie Du sagst: mir gefällt nichts mehr in der Welt; was soll ich also noch darinnen, ein unnützes, von den ehrlichen Leuten verachtetes und ausgestoßenes Glied? Gott, der meine Unschuld kennt, wird mich doch etwa aufnehmen in eines seiner Häuser, wird barmherziger seyn als die Menschen.«

»Das ist zum desperatwerden!« zankte Oswald ganz still für sich: »Ist der Mensch müd und zwider. Da platzedert er immer von seiner verkannten Unschuld; aber die Lieb', seine betrogene Lieb' liegt ihm viel schwerer auf dem Herzen, das weiß ich besser. Doch will ich nicht in ihn hineinreden, das würd' nichts helfen. Der Pater Philipp wird schon das seinige thun, und der Verstand wird dem Seraphin doch nicht allweil ausbleiben?« – Zum Seraphin sagte Oswald hingegen laut: »Du bist ein 85 rechter Patsch-UrbelePatsch-Urbele: familiärer Spottname, womit die Vintschgauer einen beschränkten, dann aber auch einen eigensinnigen, sonderlingartigen Menschen belegen.! komm nur, komm. Was Du willst, soll geschehen, Du eigensinnige Kreatur.« – Von Stund an, je trauriger Seraphin, um so aufgeräumter wurde Oswald. Bemerkte der Maler, daß sein Freund, während sie ihre Straße gingen, verstohlen die Augen wischte, so that er einen Schnaggler, daß das Firmament gellte; seufzte der junge Plaschur einmal, sich unbelauscht wähnend: »O Du liebe Martina, wie so viel gern hab' ich Dich, und sey nur immerdar glücklich!« so that Oswald den breiten Mund auf und sang, was er nagelneu aus dem Zillerthal mitgebracht hatte:

»Diendl, Dein Schönheit
Die nimmt bald ein End,
Und 's Blüml auf 'm Feld
Hat der Reif gleich verbrennt!
Und wenn denn, und wenn denn
So heikel willst seyn,
So nimm ein Papierl
Und wickel Dich drein!«

Der gute Oswald hielt mit solcher Leichtfertigkeit seinem schwermüthigen Gefährten in der besten Absicht Widerpart: um ihn zu heilen, nicht um ihn zu verhöhnen. Ihm selber war, so lustig er sich anstellte, keineswegs wohl und frey zu Muth; denn ihn quälte die verschmähte Liebe gar sehr, seitdem er in Fügen seine Schulmeister gefunden, und beträchtlich enge war ihm die Brust, wenn er sein Spottgesangl mit dem Versl oder Gesetzl schloß:

So bist Du das Diendl,
Das die Buben so foppt?
Und ist Dein ganz Herzl
Mit Baumwoll' ausgschoppt?

Aber der verhehlte Schmerz und die vorgebliche Munterkeit, beide vertrieben den Reisenden die Zeit, und sie waren von Matrey aus der Waldrast emporgestiegen, ehe sie sich dessen versahen. –

86 Wie fromme Leute thun, namentlich wenn sie an der Schwelle eines neuen Lebensabschnitts stehen, so thaten auch die beiden jungen Männer: sie besuchten vor allem die Kirche des heiligen Berges. Ein einziger Beter befand sich darinnen: ein schon recht sehr alter Mann, der in Andacht versunken vor dem wunderthätigen Bilde auf den Knieen lag. Man sah ihm schon von weitem an, daß nicht ein freudiges Dankgefühl ihn an die geweihte Stätte gefördert hatte. Seine schlichten weißen Haare fielen längs kummergefurchten Wangen herab; der sich eifrig bewegende Mund lächelte nicht; seine abgemagerten Hände zitterten und schienen sich schmerzlich emporzuringen zum Himmel. Der lange Reisekragen von Wachstuch, die Kürbisflasche an der Seite und der absonderlich geschnitzte Stecken verriethen den Pilger; diesmal nicht einen der jungen heuchlerischen Bengel, die auf Kosten frommer Barmherzigkeit ihren leichtsinnigen Abenteuern durch die Welt nachlaufen, sondern einen gebeugten Altvater, den nur die triftigsten Gründe bewogen haben konnten, seinen Heerd zu verlassen und die ihm fremde Erde zu durchschreiten, um Trost und Hülfe in irgend einem heiligen Wunderhause zu suchen. – Oswald stieß seinen Freund leise an, und flüsterte ihm zu: »Siehst Du den Alten dort? Er trägt schwer, wie es scheint; schwerer als Du und ich, und dennoch geht er rüstig fort im Leben; denkt nicht daran, in einem Kloster sich und seinen Kummer selbander einzumauern.« –

Oswald hatte, dieses sagend, gar nicht viel Geräusch gemacht; dennoch war der Pilger gestört worden, und schaute sich nach den Reisenden um. Sein Gesicht hatte nicht den Schnitt des Landes; es war breit, etwas plump, wenn schon guthmüthigen Ausdrucks. Finstre Brauen hingen über die Augen hernieder, die trotzig, obgleich verweint, unter den grauen Schatten hervorlugten. Nachdem der Pilger seine Nachbarn eine Weile betrachtet, drehte er wieder den Kopf weg und ergab sich von neuem seinem 87 Gebet. – Seraphin achtete seiner weiter nicht, und kniete in einem Klosterstuhl nieder. Aber Oswald blieb stehen, und murmelte allerlei verworrene »Hm, hm!« und »Ei, ei!« die dem Freunde nicht entgingen. – »Gib doch Ruhe!« flüsterte der letztere: »was hast Du denn?«

Nun kniete auch Oswald nieder und sagte dem Gefährten in's Ohr: »Der Fremde dort . . . . hm, mir ist, als hätt' ich schon irgendwo den alten Kopf in irgend einem breiten Großvaterstuhl lehnen gesehen, unwillig brummelnd, und dann wieder schlafend . . . . die staubigen Beine steckten dazumal in sammetnen Hosen, in blaugezwickelten Strümpfen, und ich glaube, seine Schuhe hatten silberne Schnallen.« – »Laß mich aus mit Deinen Narrheiten,« entgegnete Seraphin ungehalten: »stör' mich nicht. Du träumst wieder mit offnen Augen.« – Hierauf wurde es lange still in der Kirche. –

Da näherte sich aus der Sakristei ein langsamer Schritt und das leise Geräusch einer im Gehen flatternden Kutte. »So wahr ich lebe, da ist ja der Pater Philipp, just als wie bestellt!« hob Oswald an, und beeilte sich, dem Ordensmann entgegenzutreten. – Sie begegneten sich an der Kirchenthüre. »Sieh, sieh, unser Meister Raphael!« sagte Philipp scherzend, und reichte dem Maler die Hand zum Kuß: »Was führt Dich abermals in unsre Einsamkeit?« –

Oswald setzte ihm bescheiden und der Wahrheit gemäß auseinander, was ihn bewogen, zu kommen. Als der Pater von den unheimlichen Dukaten hörte, wurde er unruhig, zeichnete wieder Kreuz um Kreuz auf seine Schulter, und antwortete dann: »Allerdings hab' ich noch das Geld in sichrer Verwahrung, und wir wollen nachher in meiner Zelle davon reden, und überlegen, was räthlicherweise damit anzufangen. Der Böse, leider ruht nimmer . . . indessen wir wollen sehen. Jedenfalls bist Du gerade heut zurecht gekommen. Morgen hättest Du mich nicht hier angetroffen. Ich hab' einen kleinen Urlaub erhalten, um das 88 Bad zu Anholz zu besuchen; der Gstirner von Matrey führt mich in seinem Wagen dahin, um Gotteswillen. Gott vergelt's ihm auch, dem wackern Christen. Nachdem, daß mich meine Straße bei dem Herrn von Idelstein vorbeiführt, will ich einer Hochzeit beiwohnen, die eine meinige Verwandte, die Glatzlin, mit dem jungen Idelstein abhält; am gleichen Tag heirathet auch der Tammerlpeter von Imst die älteste von Idelsteins Fräulein. Bin nicht gern bei Hochzeiten.« – Hier wurden wieder ein Dutzend Kreuze gemacht, und das unbekannte feindliche Wesen mit dem ängstlichen »Gehst, gehst!« verjagt. – »Kann's aber dießmal nicht ausschlagen, und deßhalb muß ich schon morgen fort. So, so, mein lieber Maler. Komm gleich mit mir in's Kloster. Wen hast Du da bei Dir?«

Der Pater zeigte auf Seraphin, der mit freundlicher Demuth näher getreten war. »Ein saubrer Mensch, mit unschuldigen Augen!« fuhr der Geistliche fort, Seraphin betrachtend; »solche Freunde zu haben, ist gut; ich wollte darauf wetten. Der paßt ganz für Dich, Du leichtes Tüchl von einem Maler. Aber . . . Holzer . . . was hast Du denn, frag ich? stehst, wie des Loth Ehefrau vor mir? he? wie?« –

Oswald stand auch in der That mit etwas albern geöffnetem Munde, und schaute wechselweise nach dem knieenden Pilger, und in die Luft, und dann endlich dem Pater in's Gesicht, und erwiederte zerstreut: »Mein Freund hat dem Hochwürdigen was vorzutragen: geh' nur mit dem Hochwürdigen, Seraphin. Ich will nicht stören, komme gleich nach. In einer halben Viertelstunde bin ich schon bei der Hand.«

Pater Philipp war indessen aus der Kirche getreten, und wandelte vor Seraphin her bis in seine Zelle. Da setzte er sich in den einzigen Sessel, und sagte liebreich: »Was verlangst Du, mein Sohn?«

Von Vertrauen zu dem ehrwürdigen Manne beseelt, 89 der ihm vorkam wie ein längst bekannter vielerprobter Beichtiger, sagte Seraphin alles heraus, was er auf dem Herzen trug als Leid und als Sehnsucht; bat um wohlgefälligen Rath und um die Gunst, durch des Paters Verwendung, im Kloster als dienender Bruder verbleiben zu dürfen, wenn anders die Verhältnisse es erlauben. – Philipp hatte anfänglich mit väterlicher Geduld zugehört; gegen das Ende der vertraulichen Eröffnung jedoch war eine sanfte Traurigkeit auf seinem Gesichte Meister geworden, und seine Antwort war nicht die von Seraphin erwünschte. Nicht ohne eine gewisse Hastigkeit sprach er unter anderm zu dem Klostersehnsuchtler:

»Mich wundert nicht, daß Du auf den Gedanken gekommen bist, der Welt Valet zu sagen. Alle wohlgesinnte junge Leute, die sich einbilden, an einem unvergänglichen Seelenschmerz zu kränkeln, kommen einmal wenigstens im Leben auf dieselbe Idee. Für manche ist sie ausführbar, Andern muß ein rechtschaffener Priester total abrathen, was sie verlangen zu thun, und Du bist unter diesen letztern. Entweder betrüg' ich mich ganz und gar, oder Du bist zu einem solchen Dienste ganz ungeschickt, oder, wenn nicht das, so würdest Du bald den Schritt mißbilligen, den Du gethan. Gesetzt dann, Du könntest ihn zurückthun, . . . wo wäre da ein Gewinn? Lieber gehe nicht unbesonnen vorwärts. Du trägst in Dir – danke Gott dafür – eine ächte Christenseele, die da thätig seyn kann und wird in Worten und in Werken. Solche Christengemüther sind just in der Welt, wo es zu schaffen, zu helfen gibt, an ihrem Orte. Laß' die unfruchtbaren Seelen dem Kloster. Als ein Priester könntest Du auch von der Klausur aus Gutes stiften; aber Deine Erziehung hat Dich nicht zum Priesterstand geeignet. Zum dienenden Bruder – ich sag' es frei – bist Du zu gut. In einem jungen Menschen sind vielerlei Leben; streite mit ihnen gegen den Hang Deines Geistes, sich wehrlos todtschlagen zu lassen. Was 90 Du verloren, kannst Du hundertmal wieder gewinnen. In dem Verlust ist aber auch Deine Ehre begriffen, und die mußt Du noch im Sonnenschein siegen machen, damit nicht der Feind sage, Du hättest Dich muthlos in's Heiligthum verkrochen. Fasse daher alle Deine Kraft zusammen, werde Deinen Nebenmenschen im Alltagsleben nützlich. Gott übersieht geringere Verdienste nicht, warum solle er in Dir das größere nicht belohnen? und das wird er, indem er in Deine Brust den Keim des Seelenfriedens legen wird, verlaß Dich darauf. Von selbst wird diese Gnade Dir kommen; in der Abgeschiedenheit würdest Du sie mit großem Kampfe nur erkaufen, und wer weiß, ob auf die Dauer? denn vor allem ist zu fürchten die Reue, die gewiß nicht ausbleibt, wo nicht ruhige Ueberlegung, sondern der Gram einer heftigen gestörten Leidenschaft ein junges Leben von seinen Wurzeln in der Welt abtrennte.« –

Philipp hatte sich in Eifer geredet. Er griff mit beiden Händen an seine Brust, als wollte er seinem Athem, dem schnaubenden, einen Zaum anlegen. Sein Blick flog besonders unstät in allen Richtungen umher. Aufstehend fing der Mönch mit unsicherer Haltung in der Rede wieder an: »Schau, mein Sohn: ich hab' an einem Freunde ein traurig Exempel erlebt. Er hatte ein Mädchen gern gesehen, hatte es ihr gesagt, hatte auf sie gezählt, wie auf den eignen Herzschlag. Nun betrog er sich aber in seiner Rechnung. Er hatte mit der Unbeständigkeit einen Bund gemacht, und die Unbeständigkeit blieb ihrer Natur getreu. Eines Tags hatte nicht mein Freund, sondern ein anderer den Schatz. Der Betrogene wollte sich nicht henken, nicht ersäufen, aber einen bitterlebendigen Tod sich anthun; nemlich geistlich werden, in's Kloster gehen. Wenn der arme Narr sein Innres hätte an's Licht drehen können, die Welt hätte ihn für einen Hiob oder Lazarus gehalten, voll Blut und Wunden. So lang nun die Wunden Blut gaben, war es gut und das Studiren ging trefflich; Profeß 91 wurde gethan, alles auf's beste bis über die Zeit hinaus, wo ein Rücktritt möglich gewesen wäre. – Nun, den Rücktritt hatte er dennoch nicht gemacht, denn Gott zürnt dem Meineidigen und die Welt verachtet ihn. Kurz aber: da die Wunden heilten, ging die Reue an, und schilderte dem Geplagten Stunde für Stunde als eine boshafte Malerin, was alles er verscherzt hatte, was alles er verloren. – Auf einmal stand sein Lebensbaum draußen vor dem Klosterthore in Millionen Blüthen, und der Aaronstab im Heiligthum war dagegen um alles Laub gekommen und verdorrt. – Da half freilich anfänglich die Vernunft leidlich; aber endlich mischte sich der Satan hinein, und schickte seine Versuchungen, die den guten einfältigen Priester quälten bis zum Wahnsinn. Eine erschreckliche Zeit!« – Des Paters Augen rollten; verstohlen machte er seine Kreuze, scheuchte er den unsichtbaren Feind von sich. Dann fuhr er fort: »Weiß nicht, was aus ihm geworden wäre, denn er hielt sich trotz seines tapfern Widerstands für verworfen und verdammt . . . wenn nicht ein sanfter Fingerzeig vom Himmel ihn aufgerichtet hätte. Siehst Du dort im Gewölb unter der Grabkapelle die Nische mit dem steinernen Muttergottesbilde? Wie gefallt Dir der kleine Heiland auf dem Arm der Himmelskönigin? Schaut er nicht her, als ob er lebte? Er umarmt die Weltkugel, er drückt sie liebevoll an sein Herz. Nun denk' Dir: dazumal war die Kugel zu Boden gefallen; man hatte dessen nicht geachtet, und siehe: ein Vogel hatte in Jesu Armen dafür ein Nest gebaut, und wie unterm Schutz des göttlichen Kindes gedieh das kleine gefiederte Völkchen. Ein gar schöner Anblick, der meinen Freund erquickte, und in ihm neu erweckte die erbleichende Erinnerung an die unendliche Güte des Herrn, der auch dem geringsten Geschöpf seiner Welten gewogen ist, und keines von sich stößt, wenn es nur sich ihm anvertraut. Seitdem ist mein Freund ruhiger und gelassener geworden, aber dennoch, dennoch, mein Sohn, 92 trotz all seiner Vorsicht und Vertheidigung ist der faule Fleck an ihm nicht ganz vertilgt. Merke Dir's, damit es nicht Dir selber einstens gehe, wie meinem Freund.«

»Ist dieser Freund des hochwürdigen Herrn in diesem Kloster gewesen?« fragte Seraphin ganz unbefangen, ohne Falsch. Mit einem gepreßten Seufzer antwortete Philipp: »Noch – noch heute ist er da; leider, ja, ja, noch heute da.«

Des Paters abermals steigende Unruhe wurde auf einmal beschwichtigt, indem durch die langsam geöffnete Thür der Pförtner sein Gesicht neigte, und halblaut meldete: »Man verlangt den hochwürdigen Pater Philippus.«

»Sogleich. Erwarte mich, Seraphin. Gleich wieder da.« Der Mönch entfernte sich geschäftig, und Seraphin dachte indessen über das Gehörte nach, noch lang nicht überzeugt; doch so tief im Grunde erschüttert, daß Oswalds Plane und Ermahnungen bereits halb gewonnen Spiel hatten. Aber wo blieb nur Oswald? die halbe Viertelstunde war längst verstrichen.

Statt des Malers kam der Pater mit einem Brief in der Hand. Auch er fragte: »Wo bleibt Dein Freund? Ich hätt' ihm etwas mitzutheilen. Sonderbar, daß gerade heute, da der Maler kommt, nach seinen Dukaten zu fragen, auch der Peter Hepperger sich einstellt, sein Geld zurückzufordern, Oswalds Versprechen zufolge.« – »Peter Hepperger?« rief Seraphin voll Erstaunen. – »Nun,« lächelte Philipp, den Brief entfaltend, »wenn nicht gerade er selber in Person, doch ein Bevollmächtigter, und, was noch mehr, derjenige, dem allerdings, so wie die Sachen stehen, das Geld der Billigkeit nach zusteht, indem er für alles haftete, ja alles ersetzte. Der alte Tammerl von Imst schreibt hier, daß sein Sohn unter dem Namen Hepperger das Geld, das er einem Feldkircher entwandte, verspielt hat, und daß er, der Vater nemlich, die Hand darauf lege, um einen Theil seines dem 93 Betrogenen geleisteten Opfers hereinzubringen.« – »Darf ich ein bissel den Brief anschauen?« fragte Seraphin rasch und argwöhnisch. – »Hier.« – »Ei, warum nicht gar? das ist nicht Tammerls Handschrift.« – »So?« – »Wer hat den Brief gebracht?« – »Ein rothbrauner Mensch, sieht aus wie ein vazierender Knecht, trägt unter der Mailänderhaube, glaub' ich, einen Verband; darüber einen spitzen Hut; hat nur ein Auge . . . .« –

»Ach!« schrie Seraphin auf: »den kenne ich! Hüte sich der Herr Pater, das Geld herauszugeben!« – »So? Du meinst . . . .? Ich will ihn heraufkommen lassen.« – »Wenn er von meiner Nähe weiß, so ist er schon auf und davon!« bemerkte Seraphin. Worauf Pater Philipp: »Nicht doch; kein Wort von Dir. Wie sollte ich? Der Kerl weiß noch von nichts, und wir wollen ihm in's Weiße seines Auges schauen. Oeffne mir die Thür, Seraphin.« – Philipp ging hinaus, gab dem Pförtner ein vernehmlich Zeichen, und kaum war er wieder in seiner Zelle und saß auf seinem Stuhle, so klapperten harte Sohlen über den Gang daher. Einen Moment nachher trat Kölbl in höchsteigner Figur zum Mönch in die Zelle. Sein Auge bemerkte nicht sobald Seraphin, als er auch zusammenfuhr, ein wildes »Verdammt!« und »Maledeit!« aus dem Munde stieß, und sich resolut umkehrte, die Flucht zu ergreifen. Doch schloß ihn der nach ihm gehende Pförtner fest in seine gewaltigen Arme, und zum Ueberfluß zeigten sich Oswald und der alte Pilgersmann auf der Schwelle der Mönchskammer, die schier zu enge wurde für so vielen und unruhigen Besuch. Denn Kölbl raufte beinahe mit dem Pförtner; Seraphin schlug die Hände zu wiederholtenmalen höchlich erstaunt zusammen; der Pilgersmann schrie wie außer sich: »Ha, da ist einmal Einer! wo, wo der andre?« und Oswald, den Kölbl beim Kragen nehmend und zum 94 Mönch gewandt, rief ganz rabiat: »Da haben wir's! das sind saubre Geschichten! Laßt's den Schurken nicht aus, Bruder Pförtner. Sag', sag' an, Du schiech's einauget's Schnautzbartl: kennst Du den Alten da? kennst Du das alte Mandl? Jetzt Seraphin, jetzt, Hochwürdiger, wollen wir dem Bruder Freisinger 'nen Tanz aufspielen, und ihm die Kraxer abthun, daß sich die Engel im Himmel freuen sollen. 's ist meine Passion!« 95


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