Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Viertes Kapitel.

  In das Haus eines wackern Burgers gehören drei Pfennige: der Gottespfennig für die Armuth; der Nothpfennig für die unsichere Zukunft; der Ehrenpfennig redlicher getreuer Sitte. Wer diese drei Pfennige besitzt, ist gerade so reich, als der Reichste auf Erden.«

Die Frühlingsabende folgten einander mit derselben Lieblichkeit. Ganz ungewöhnlich für diese Jahrszeit war das herrliche Innthal nicht windlaut. Weder der Sirocco, der aus dem brennenden Afrika über's mittelländische Meer und das schöne Italien seinen Weg so oft nach den Ufern des tirolischen Innstroms sucht, noch der strenge Ostwind, der noch öfter vom »wilden Kaiser« herauf durch das gesegnete Thal stürmt, zerrütteten den stillen Einklang der wunderlieblichen Witterung. Die wenigen Wölkchen, die wie muthwillig ausgesprudelte Blasen von den Bergen aufstiegen, um im Aether zu vergehen, waren rund und anmuthig gestaltet, statt in der Form von straffen langen Schwertfischen sturmverkündend über'm Land zu stehen. Das junge Laub in den Auen am Strom, wie auf den Höhen des Mittelgebirges, der lustigsprossende Keim des Türkenkorns auf den weiten Feldern von Wilten spiegelten freundlich im rothen Schein der Abendsonne, die sich hinter den Oberinnthalergebirgen zur Ruhe legte, und mit ihren Strahlen sogar die grauen Hauben der Salzberge bei Hall anmuthig vergoldete, daß man sie mit Vergnügen in's 127 Auge fassen mochte. – Kein Wunder, daß auch die Bewohner der Hauptstadt Tirols das Freie suchten, um sich zu ergehen auf der fruchtbaren Ebene, oder längs der angenehmen Hügeln von Amras und Weiherburg. Es war eine feierliche Pracht über die Stadt und das ehrwürdige Stift Wilten ausgebreitet, und die Glocken, die zu den Abendandachten in den Kirchen riefen, klangen schwellend und dennoch weich über das ganze reiche Landschaftsbild hinaus, gerade als hätte nur der linde Hauch der Sonnenuntergangslüfte den Dienst der Meßner übernommen.

Zur selben Stunde wanderte Seraphin auf der Höttinger Anhöhe, wo dazumal die Heerstraße auf dem linken Ufer des Flusses gen Innsbruck führte, Schritt für Schritt näher an die Herrlichkeit der Hauptstadt hinan. Der Wandertag war einer der glücklichsten seines jungen Lebens gewesen. Er hatte das uralte Flauerling mit seinem schloßähnlichen Pfarrwidum gesehen, die reizenden Fluren von Polling durchschritten, das wunderthätige Muttergottesbild zu Inzing verehrt, an der Brücke von Zirl von seinem Oberperfußer herzlich Abschied genommen, das Bewußtseyn einer braven Handlung im Busen, und von dannen allein den Weg gesucht zu der sagenstolzen Martinswand. Daselbst war ihm freilich eine gute Spanne Zeit müßig hingeschwunden, an der Straße sitzend, und die mächtige Felswand mit ihrer vielbekannten Höhle anstaunend; aber seine rüstigen Füße brachten die Versäumniß bald wieder ein. Der Gedanke, dem Ziel seiner Reise so nahe zu seyn, spornte ihn an, wie einen Lauferlehrling. Seine Vögel schienen nicht minder Begierde zu tragen, bald in die schönen Hände ihrer zukünftigen Besitzerinnen zu kommen, und das Paradies eines gefangenen Kanari zu gewinnen. Sie ruhten nicht mit ihren zahrten Kehlen. Hatte der Hansl von dem Orte an, wo der bairische Graf Arco dem 128 Martinsberger-Jäger Anton Schandl neben seinem Churfürsten, für den er gehalten worden, erlegen war, nicht aufgehört, den Oberinnthaler Schützenmarsch zu pfeifen, so versah es auch der Putzl nicht, je schneller Seraphin ging, das Husarenlied zu jubeln, und der Schwarzhaubete, da er durch die auf- und zufächelnde Decke des Käfichs die Thürme der Stadt, die Gärten und Felder, die Menge von Spazierenden inne geworden, that endlich auch den Schnabel auf, und spielte den drolligen Hosennaggler so oft und begeistert ab, als wäre er von den reichsten und muthwilligsten Burschen des Zillerthals angefrümt worden.

Die Vögel hatten gar lustig seyn. Ihrem Träger wäre aber bald Angst und bange geworden, als er nach einer kurzen Verirrung in dem Dorfe Höttingen gegen die Innbrücke herabkam, und sich auf einmal unter einer Menge von hin- und herlaufenden Leuten befand. Die Brücke wimmelte von Spaziergängern und heimkehrenden Handwerksleuten. Seraphin hatte noch nie so viele Menschen auf einem engen Raum versammelt gesehen, wann es nicht etwa einen Jahrmarkt oder eine Prozession gegolten; aber von einem solchen Anlaß war hier gar nichts zu sehen, und die Menschen kamen doch dem Vogelträger immer auf den Leib, wie sorgfältig er sich auch bemühte, ihnen auszuweichen, und er hatte alle Mühe, seine Spezialvögel vor dem Untergang zu retten. Da gähnte vor ihm das Brückenthor. – Innsbruck war damals nicht die heitere frohmüthige Stadt, wie sie heutzutage sich darstellt, entledigt von dem schweren Mauerpanzer einer alten schlachtfertigen Zeit. Die innere Stadt war damals noch eingefangen von Gräben, Ringwehren und mit Thoren und Thürmen versperrt. – Unter'm Brückenthor schaute ein Unteroffizier vom Regiment Migazzi auf die bestaubten Schuhe Seraphins und auf die Kraxe, und fragte barsch: »Woher, Du Landfahrer?« – Seraphin 129 faßte sich bald. »Das will ich Dir sagen,« erwiederte er, und wie ein Blitz ging ihm vom Munde, woher, wohin, was er zu Innsbruck zu schaffen. Die Soldaten lachten über seine ländliche Dreistigkeit, und würden mit vielem Vergnügen des Putzl ungarisches Husarenlied angehört haben; aber der eigensinnige Putzl wollte unter'm finstern Thorbogen, der niemals von einem Sonnenstäubchen erhellt oder erwärmt worden, vom Singen durchaus nichts wissen. So entließ denn endlich die Guardia den unbefangenen Buben, und der Trommelschläger zeigte ihm noch obendrein das unfern von der Ottoburg gelegene Haus des Bäckers Wohlrauch. – Der Meister stand unter der Thüre, kaum zu unterscheiden von einem Bäckerknecht, mit aufgestreiften Hemdärmeln, umgeschlagenem Kragen, die nackten Füße in schlechten Pantoffeln. Aber der selbstbewußte Blick, die stattliche Korpulenz und die feine Sammetkappe auf dem gewichtigen Kopf verriethen schon zur Genüge, daß der Mann nicht auf einen Wochenlohn gesetzt war, und daß er, wenn er auch noch mit Eifer arbeitete, dennoch das Arbeiten konnte bleiben lassen, wenn es ihm beliebte. – Dieses Alles begriff Seraphin im Nu, und redete den Bäcker an: »Grüß' Gott, Meister. Sey so gut und sag' mir, wo der Peter Tammerl zu finden, oder lass' mir ihn rufen. Ich hab' einen Gruß vom Vater an Dich, und einen Brief und ein Packl mit Schlafhauben an den Peter.« – Der Meister, statt der treuherzigen Anrede freundlich zu antworten, sah stolz und verdrießlich auf den Buben herab, und ließ, wie ein geiziger Zahler das Geld aus seinen Händen, so die zögernden Worte von seinen Lippen gleiten: »Kannst nur wieder hingehen, wo Du hergekommen. Bei mir findst Du den faulen Peter nicht mehr; seit dem Morgenessen ist der Kerl nicht mehr zum Vorschein gekommen; und käme er, ich wollte ihm 130 gleich den Lehrbrief auf den Buckel schreiben und ihn damit als einen ausgelernten Taugenichts in die Welt hinausschicken.« – »Was sagt der Meister? Wär' der Peter davon gelaufen?« – »Ich mein's nicht anders. Es hat mir immer so etwas geträumt. Der Bub' hat nicht gelernt; das Schlafen war alleweil sein liebster Zeitvertreib; essen und trinken hat er auch wohl mögen, und die Gesellen durcheinanderhetzen, und mich anschwärzen bei der ganzen Nachbarschaft. Meine Geduld ist nicht zehn Ellen lang, und ich hab' den grundbösen Buben traktirt, wie er's verdient. Weil er mit den Augen das fichtene Holz nicht vom harten hat unterscheiden können, so hab' ich's ihm auf dem Fell zu kosten gegeben; und das hat dem Muttersöhnl nicht gefallen, und heut – ich zweifle nicht – ist er durch wie ein Holländer oder ein andrer falscher Hund. Geh' nur und sag's dem Vater wieder, so brauch' ich nicht lang zu schreiben; und sag' ihm auch, daß ich vom Lehrgeld nicht einen Pfennig herausgeben werde; ich hab's an dem Hackstock und Giftmichel sauer genug verdienen müssen.« – Hierauf ranzte sich der Meister aus, als hätte er gewaltig Schlaf und Langeweile, zog sich die Schürze fest um den Leib, und latschteLatschen: träge, als wie in Pantoffeln, herumgehen. ohne »Gute Nacht« oder »Pfietigott« in's Haus. Seraphin sah ihm mit offenem Munde nach. »Na, der ist schon ein Meister in der Grobheit,« sagte er verwundert: »mit ihm würde der Tammerl selber nicht auslangen. Aber der Peter ist auch ein rechter Galgenstrick, daß er seinen Eltern das Herzleid macht, davon zu laufen wie ein Narr oder Bösewicht. Wenn ich nur wüßte, wo der Ruech steckt; ich wollte ihn bei den Zotteln derwischen, und gern oder ungern heimschaffen. Das wollte ich. Aber vor der Hand sollten wir uns ums Nachtlager beim Lengrießer umschauen.«

Vom Hause des Bäckermeisters Wohlrauch bis zum Gewölb des achtbaren Herrn Lengrießer, oben am 131 Seilergassel, war keine Tagreise, kaum ein Katzensprung. Seraphin schob sich fragend und erkundigend durch die düsternden Schwibbogen des Stadtplatzes, lenkte in das Seilergassel ein, und sah bald die Lampen in Lengrießers Gewölb brennen, spärlich zwar und matt, aber dennoch willkommene Lichtpunkte dem von Sehen und Gehen ermüdeten Wandergesellen. Hastig wurde die Schwelle des Ladens erobert, die Thüre geöffnet, die Klingel schlug Lärm wie ein widerbellendes Weib, das kein Ende finden kann; – Seraphin befand sich an Ort und Stelle.

Der Aufenthalt war fürwahr nicht reizend. Das Gewölbe des Spezereihändlers in der Hauptstadt unterschied sich gerade nur durch die größere Räumlichkeit von den halb unterirdischen Verschleißlokalen zu Mals, Burgeis und Imst. Man hätte nur den Ladentisch und die Waaren daraus entfernen dürfen, um das Gewölbe zu einem festen und dunkeln Kerker umzugestalten. Die Abendbeleuchtung – zwei trübe, karg genährte Ampeln – diente nur dazu, den Graus und Gräul recht anschaulich zu machen. Das feuchte, an vielen Orten ruinirte Pflaster des Bodens trug zu der Mühseligkeit dieses Aufenthalts das seinige bei. Die Gerüche aller Gattungen, die in jedem Spezereiladen einander feindlich entgegenströmen, schienen in Lengrießers Gewölbe einen außergewöhnlichen Grad von Dichtigkeit und Sättigung gewonnen zu haben. Hoch über allen, als ein entschiedener Sieger, schwebte der Geruch des Schnupftabaks, dessen Verbreitung damals just anfing, auch im Gebirge allgemein zu werden, wenn gleich vor der Hand nur in den ansehnlichern Orten. In entlegenen Gemeinden des Landes kannte man nur den Rauchtabak, und mancher dort lebende Seelsorger, der dem Schnupftabak huldigte, mußte Anstand nehmen, öffentlich zu schnupfen, was seine Beichtkinder noch für ein Aergerniß gehalten haben würden.

132 Lengrießer war für die Stadt und einen großen Theil des Innthals der Hauptlieferant des Schnupftabaks. Sein Absatz in diesem Artikel war außerordentlich. Man erzählte sich im Scherz, er gebe der Geistlichkeit sammt und sonders die Waare gratis, unter der Bedingung, daß sie im Beichtstuhle seinen Tabak empfehlen möchte. Doch war's nur Scherz; denn Niemand erinnerte sich einer Gelegenheit, da Lengrießer etwas verschenkt hätte. – In diesem Spezereigewölbe also, worin der Tabak eine Hauptstelle einnahm, hauste ein fabelhaft abgemagerter Gehülfe oder Ladendiener als erster Minister und als einziger seines Gebieters. Seit unbegreiflich langen Jahren führte der gute Mensch ein Leben, demjenigen zu vergleichen, das die Knappen in einer Quecksilbergrube führen. Täglich stand des Ladendieners physische Existenz, sein eigentliches thierisches Leben, in Frage. So oft er Abends, nach dem vorgeblichen Nachtessen, – das im Grunde nur bis zur leeren Ceremonie herabgeschwunden war, – so oft er sein Talgstümpfchen nahm, um seine Liegerstätte aufzusuchen, durften seine Freunde mit Recht fragen: »Wird er auch den morgenden Tag erleben? Wird ihn nicht der chronische Hunger wegraffen noch in dieser Nacht?« Aber – wie es denn geht – die Krankheiten, woran der menschliche Körper sich zu gewöhnen das Glück hat, verkürzen nicht das Leben, sondern sie wachsen sich in dasselbe als ein so zu sagen nothwendiger Bestandtheil ein. Der Ladendiener Lengrießers hatte sich nach und nach dergestalt abgehärtet, daß die strengste Nüchternheit seine Gesundheit wurde, und daß ihn der plötzlichste Tod gewiß nicht verschont haben würde, wenn er sich nur einmal in der That satt gegessen hätte. – Dieses Gespenst eines Ladenburschen hatte, zwischen Büchsen und Schachteln mit halbem Leibe auf den Zahltisch hingekauert, die lange Nase in das schmutzige Sudelbuch 133 gesteckt, als die Klingel Sturm läutete, und Seraphin hereinstolperte. »Hoi, hoi!« fragte der überraschte Diener, aufschauend: »Wer kommt noch so spät? Was willst Du? Geschwinde nur. Der Herr wird gleich aus dem Segen nach Hause kommen, und wir machen alsdann Feierabend.« – »Hoi, hoi,« antwortete Seraphin: »ich will nichts kaufen; ich bringe etwas.« Er entledigte sich seiner Kraxe und lüpfte ein wenig die Decke derselben. – »Vögel? Vögel?« – »Ja doch, Vögel von Imst, die der Lengrießer bei meinem Meister bestellt hat.« – »So, so. Es ist schon recht. Geh' wieder in Gottesnamen und laß die Vögel da. Kannst morgen wieder anfragen.« – »Morgen? Du hast gut reden. Der Meister hat mir gesagt, ich würde wohl in Euerm Hause über Nacht liegen können, und eine Mahlzeit kriegen. Ich kenne mich in der Stadt nicht aus, und hab' kein Geld für's Wirthshaus.« – »Das wird schlecht ausschauen. Der Herr ist kein Liebhaber von fremden Leuten, die in seinem Hause schlafen wollen. Indessen . . . . da hör' ich ihn selber. Mach's mit ihm aus.« –

Der Prinzipal ließ sich wirklich draußen vernehmen mit einem langen scheppernden Husten, und glitt dann in Person durch die Thüre: ein unendlich großer Mann in einer sträubigen Wildschur, die er gemeiniglich zum Kirchgang anlegte, sogar an wärmern Tagen, um sich vor Erkältung zu schützen. »Benedikt!« kreischte er mit der Stimme eines Geiers: »Ausziehen! Warum hast Du noch nicht jene Lampe ausgelöscht? Wirst es nie vom Heller zum Gulden bringen, unhauslicher Mensch. Wer ist das? Was will der Mensch da?«

Benedikt zog dem Patron gehorsam die Wildschur ab, blies die Lampe aus, die den stinkendsten Oeldunst entwickelte, und gab während dieser Beschäftigungen Bericht von Seraphins Geschäft und Begehren.

Herr Lengrießer, der sich nach Ablegung der Wildschur 134 in einem rothbraunen, bis an den Hals zugeknüpften Rocke, nach der Mode, die unter Ludwig dem Vierzehnten in Frankreich einheimisch gewesen, darstellte, konnte einige Bewegungen der Ungeduld nicht verbergen. »Wie die Leute so überlästig seyn können!« sagte er: »nicht genug, daß Tammerl so verschwenderisch seyn mag, wegen dieser paar Vögel einen besondern Träger an mich abzufertigen, so schiebt er mir auch noch dessen Verköstigung auf den Hals. Es ist ein Unglück, wenn ein Kaufmann weitschichtige Verbindungen hat. Er kann sich der Zudringlichkeiten seiner auswärtigen Freunde kaum erwehren. Was fangen wir mit dem Buben an, Benedikt?« – »Das wird die Jungfer Agnes wohl wissen,« erwiederte der Ladendiener, und deutete auf eine Figur, die eben in der Thüre des Ladenstübchens erschien. – Es war Lengrießers einzige Tochter, die Erbin seines bedeutenden Vermögens, die an jeder Fingerspitze ein Dutzend von Bewerbern hatte, deren Herz aber noch bis dato unempfindlich geblieben war in dem Busen, hart wie Marmor, wenn schon nicht so weiß. Die tugendsame Jungfer schien lange Zeit in einer Rauchkammer behandelt worden zu seyn, war wo möglich noch magerer als ihr Vater, trug ein rothbraunes Kleid wie er, die Haare etwas unbildlich, und ihr Auge – sie hatte in der That nur eines; das andere schlief lange schon unter dem niedergesunkenen Augenlied – blickte entsagend mehr in's Jenseits als ins Jammerthal hienieden. Dagegen war ihre Stimme die durchdringendste im Hause, und mit derselben klaren Stimme protestirte sie alsobald gegen die Beherbergung des ungebetenen Vogelträgers. – Seraphin, dieses anhörend, sagte halb spöttisch, halb weinerlich, wie er's von dem Onkel Engadiner gelernt hatte: »Jau stunt frese! jetzt bin ich sauber angekommen!« und aus seiner ganzen Haltung redete eine dergestalt störrische Betrübniß, daß, wenn nicht 135 Jungfer Lämmchen, doch Papa Geier davon gerührt wurde. Er sprach mit ungewöhnlicher Milde: »Lass' gut seyn, Agnes. Der Bursche scheint mir genügsam, und wir können wohl einmal eine Ausnahme von der Hausregel machen, in Anbetracht des Geschäftsfreundes zu Imst, und der späten Abendstunde.« – »Wie der Herr Vater befiehlt!« entgegnete Agnes bissig, und schlug ihr Auge nieder. Der Ladendiener brummte aber aufräumend zwischen den Zähnen: »Dies irae, dies illa!« denn ihm war nicht anders zu Muthe, als stände er am Sarge seines Herrn, weil nach dem Volksglauben die unvorhergesehene Freigebigkeit eines Geizigen, dessen baldigen Tod bedeutet. Indessen hatte der wackere Benedikt im Verlauf des Gesprächs Grund genug, seine böse Ahnung Lügen zu strafen. Herr Lengrießer fuhr fort, indem er mit dem Zeigefinger zierlich in die ausgelöschte Lampe tippte, und sein glatt in einen losen Zopf gekämmtes Haar leicht einölte: »Draußen im Gange steht noch die lange Waarenkiste, und sie ist halb voll mit Zuckerpapier und Kaffeesäcken. Ein herrliches Lager für frische, junge und müde Glieder. Ich habe viele hundert Male auf den Botzener Messen in einer Waarenkiste geschlafen, um das Quartiergeld zu ersparen, und es hat mir trefflich bekommen. Das wäre also abgemacht. Jetzt zur Hauptsache. Du wirst nebst der Müdigkeit einigen Hunger im Leibe haben, Bursche?« – »Recht viel Hunger,« antwortete Seraphin höchst aufrichtig. – »Da wäre allerdings ein feistes Nachtessen sehr am Platze,« setzte Lengrießer seine Rede fort: »Was stehst Du da, Benedikt, und kauest Luft, und thust, als ob Dir's Wasser im Maul zusammenliefe? Mach' das Gewölb zu!« – Benedikt gehorsamte mit freudig pochendem Herzen. Die Phantasie des Nüchternen – in diesem Zustande am lebendigsten – gaukelte ihm die abenteuerlichen Umrisse einer vollen Schüssel vor. Indessen redete Lengrießer väterlich lächelnd immer 136 weiter: »Was meinst Du, Agnes? dieser fröhliche Wanderbursche könnte schon einen tüchtigen Wolkenbruch vertragen? oder besser einen fetten Christenwürger? oder noch besser einen recht steifen und nahrhaften Vitzthum?«In der trivialen Sprache der gemeinen Leute von Innsbruck bedeutet »Wolkenbruch« eine Einbrennsuppe; »Christenwürger« einen Griesschmarren; »Vitzthum« ein Gemisch von Bohnen, Gerste und Kastanien. –

»Aber, Herr Vater . . . .!« unterbrach Agnes mit ihrer Warnungsstimme den Alten. Noch einmal intonirte unterm Gerassel der Eisenstäbe der Ladendiener sein »Dies irae, dies illa!« mit einer so gewiß schauerlichen Lustigkeit; Seraphin rieb sich vergnügt die Magengegend, und meinte: »Das wär' gar nicht aus. Weißt was? ich bin mit Allem zufrieden!«

Und beifällig sprach wieder der Kaufmann, ihm die Hand auf den Kopf legend, wie ein Segnender: »Brav, mein Sohn, brav geredet. Der genügsame Mensch ist Gott lieb. Da hast Du, meine Tochter, die Einfalt des Landlebens, die reinen Sitten des Volks, das nichts von Fraß und Völlerei wissen will, und sich gern bescheidet. Du hast Recht, Seraphin. Der Wolkenbruch würde Dir den Magen blöd machen; der Christenwürger möchte Dir allzuviel Durst verursachen; der Vitzhum vollends, die schwere Patzerei, würde Dich um allen Schlaf bringen, und Deinen von der Reise angegriffenen Eingeweiden ein wahres Gift seyn. 's ist daher ungleich gesünder, weitaus zuträglicher, wenn Du Dich mit einem Stück grauen Käse und wohlausgebackenen Brods begnügst. Du wirst alsdann nur gerade thun, wie wir; denn ich habe mir heute Mittag an dem Gstraunfleisch 137 den Magen verdorben, und Dir, Benedikt, geht, wie ich aus Deinem wiederholten Schluchzen entnehme, die fette Speise ebenfalls noch nach; und überhaupt ist es bei mir Regel, mit kalten Speisen zu Nacht vorlieb zu nehmen. Nicht wahr, Agnes, Du hast nicht etwa andere Vorkehrung getroffen?«

Die Verklärung des holden Mädchens dankte dem Vater inbrünstig für seine Rückkehr zu den wahren Grundsätzen nach der kurzen fantastischen Ausschweifung seiner leckerhaften Beredtsamkeit. »Alles steht schon auf dem Tisch,« sagte sie freundlich: »und wenn der Bauer da mithalten soll, meinetwegen. Er wird schon vorlieb nehmen.« –

Seraphin stand zwar versteinert vor den Trümmern seiner Hoffnungen; doch machte er keinen Einwurf. Durch das Gewölbe schallte aber ein Seufzer, wie von Einem, dem das Herz bricht. Lengrießer sah sich verwundert um, und da er bemerkte, daß Benedikt den Seufzer losgelassen, sagte er mitleidig: »Siehst Du, Benedikt, wie das geile Mittagsmahl unserm Magen mitspielt? für die Zukunft, Agnes, kein Gstraunfleisch mehr, überhaupt so wenig Fleisch als möglich, Agnes. Der Mensch ist ja kein Wolf, kein Tigerthier, und je gelassener sein Blut fließt, desto glückseliger sein Leben.« – Benedikt fühlte sich verstohlen den Puls, um zu erfahren, ob sein Blut überhaupt noch fließe; indessen gingen die Uebrigen zu Tische. – Da stand auf fahlem Tischtuch der hölzerne Teller, worinnen einige Brocken des mißfarbigen Käse, und auf dem Platze eines Jeden lag ein steinhart gebackenes flaches Brod, das zugleich Teller und Nahrungsmittel vorstellte. Dem unvorhergesehenen Gaste brach Agnes die Hälfte von Benedikts Brod, und eröffnete alsdann das Tischgebet, das so lange und eifrig fortgesetzt wurde, als sollte damit ein Wunder, die Verdreifachung der vorhandenen Speisen, 138 bezweckt werden. Dem war freilich nicht also; die Brocken wuchsen nicht an, das winzige Glas mit Wein, das vor Herrn Lengrießer stand, dehnte sich nicht zur Flasche aus; die Kerze, die den Jammer beleuchtete, brannte nicht heller, wohl aber immer kürzer. – Nachdem das Gebet vollendet, sagte Lengrießer herzhaft: »Na, setz' Dich jetzt, als ob Du zu Hause wärst, Seraphin, und laß Dir's schmecken.« Hierauf nahm er für sich das größte Stück Käse, gab das zweitbeträchtlichste seiner Agnes, und deutete den übrigen an, sich aus dem zu drei Viertel geleerten Holzteller zu bedienen. – Ein Elend, wie dieses, war dem Seraphin noch nicht beim ärmlichsten Todtentrunk des nackendsten Landstreichers vorgekommen. Aber sein froher Muth nahm daran keinen Anstoß. Vor einigen Minuten hätte er weinen mögen; jetzo schwang sich seine Laune im Spott über den Mangel empor. Er erzählte munter von den Kunststücken seiner Vögel, von der Freude, die ihm ihr Unterricht gemacht, und äußerte die Hoffnung, daß die armen Thierchen doch in gute Hände kommen würden.

»In die besten von der Welt,« versicherte Lengrießer: »Ich selbst und meine Tochter Agnes . . . .« – Er hustete, und Seraphin, der seine Worte mißverstand, zitterte schon für das Leben seiner Zöglinge, wenn sie bestimmt waren, in dem Hungerthurme zu verbleiben. Aber Lengrießer beruhigte ihn alsobald: »Ich selbst und meine Tochter,« sagte er, »behalten keinen dieser Vögel; wir können die gefräßigen und schmutzigen Thiere nicht haben.« – »Pfui,« bekräftigte Agnes: »wär' mir nichts lieber. Das erschreckliche Geschrei, die Unsauberkeit und der kostbare Unterhalt! Ich dürfte auf dem Platze grad nur das Beste einkaufen, um es den Schreiern in den Rachen zu stopfen.« – »Versteht sich, Agnes. Also: diese Vögel sind für drei von 139 unsern hiesigen adeligen Damen bestimmt. Der eine für die Frau Gräfin von Rechtenfeld; der andere für die verwittwete Frau Baronin Neuhof; der dritte für die Tochter des seligen Husaren-Obersten, das hochwohlgeborne Fräulein von Cibulka. Ich werde Dir erlauben, Seraphin, morgen die Vögel den Damen in's Haus zu tragen, damit Du den Letzteren auch sagen kannst, wie die Vögel traktirt werden müssen. Die Gräfin zahlt zwei Dukaten für den ihrigen, die Baronin ebensoviel. Aber für den dritten werde ich Dir drei Dukaten berechnen, weil er ein Geschenk von einem reichen Herrn ist, der das Fräulein gern zur Ehe nehmen möchte. Du wirst wohl thun, zur Gräfin Rechtenfeld, wenn sie schon die Vornehmere ist, zuletzt hinzugehen – gegen die Mittagsstunde – weil sie schwerlich versäumen wird, Dich am Bediententisch essen zu lassen, wo Du jedenfalls besser traktirt werden dürftest, als bei mir, denn wir haben morgen einen strengen Privatfasttag. Nicht wahr, Agnes? nicht wahr, Benedikt?«

»Gewiß wieder ein Familiensterbtag?« fragte der Ladendiener dumpf und unterwürfig, und schüttelte sich dabei, an verdorbene Stockfische und strebelnde Eier denkend. – Mit der zerknirschtesten Miene erwiederte Lengrießer: »Der Sterbetag meiner unvergeßlichen Urgroßtante, die, wie ich immer gehört habe, sich um meine Mutter selig ungemein verdient gemacht haben soll.« – »Tröst' sie Gott!« setzte Agnes feierlich hinzu, und noch einmal so düster flackerte die Kerze des Mahls. – Seraphin, den Trauergedanken eine bessere Wendung zu geben, nahm dem trüb schauenden Benedikt das letzte Stück Käse unter dem Messer weg, und sagte: »Ich will gern mit meinen Vögeln von Haus zu Hans wandern, wenn sie's nur gut kriegen. Den Putzl mit dem Husarenlied geben wir dem Husaren-Fräulein, und die Andern sollen wählen nach Gefallen. Morgen werd' ich aber schon den ganzen Tag hier bleiben müssen.« – 140 »Soll mir nicht darauf ankommen,« entgegnete Lengrießer großmüthig: »bist auf den Abend wie heute willkommen; will Dir nur bemerken, daß wir an einem Sterbetag gar nicht zu Nacht speisen . . . . aber die Waarenkiste steht Dir auch morgen noch zu Diensten, wenn Du Dich heute darinnen gut aufführst.« – »Das werd' ich schon, will ich hoffen; braucht Dir nicht bange zu seyn. Mir ist nur darum zu thun, die Stadt zu besehen, und, wenn möglich, den Peter Tammerl, der vom Meister Wohlrauch davongelaufen, wieder aufzustöbern.« – »Ei, ei, das ist eine böse Geschichte mit dem Peter,« bemerkte Lengrießer gleichgültig.

Den jungen Plaschur wunderte diese Gleichgültigkeit. »Bist des Meisters Tammerl Freund, und hast nach dem Peterl nicht umgeschaut?« fragte er mißbilligend. – »Das geht mich nicht an,« hieß die Antwort. – »Hast dem Meister auch nichts davon geschrieben?« – »Das liegt nicht in meinen Gewohnheiten. Ich schreibe keine Briefe, und nehme keine Briefe an; bin kein Wechsler von Amsterdam, kein Seidenhändler von Augsburg und dergleichen. Meine Geschäfte machen sich glatt ab durch Fuhrleute, Boten und ähnliche Leute. Ich gewinne somit an Zeit, und erspare alle Jahre ein Beträchtliches an Porto.« – In der That sagte der Mann hiemit die Wahrheit; nicht nur die Stadt, das ganze Land – und darüber hinaus erstreckte sich nicht sein Wirken – wußte um diese Eigenheit des Originalmenschen, und wenn Tammerl und andere ihn bisweilen ihren Correspondenten hießen, so geschah es nur im Spaß, denn außer einem Frachtzettel oder seiner Namensunterschrift unter einer Rechnung u. dergl. schrieb Lengrießer nicht einen Buchstaben.

Seraphin setzte indessen im sorglichsten Anliegen für Meister Tammerl sein kleines Verhör fort: »Ist denn der Peterl Dir nicht anempfohlen worden von seiner 141 Mutter oder vom Vater?« – »Tammerl hat mir in Bezug auf ihn nur eine Weisung gegeben; nämlich, ihm kein Geld zu verabreichen. Dieses zu thun ist nun kinderleicht, und der Peter hat mir's noch leichter gemacht: er hat nie ein Geld von mir verlangt. Ich hab' ihn nie gesehen, daß ich wüßte. Ich bin nicht der Mann der Welt; entweder arbeite ich zu Hause, oder ich bete in der Kirche. Am Abend suche ich weder Spiel noch Trinkgesellschaft: denn wir widmen uns – wir Dreie – unter einander der Fröhlichkeit und dem bescheidentlichen Genuß der Gottesgabe. Nicht wahr, Agnes? Nicht wahr, Benedikt?« – »Ach ja,« gähnte Agnes. – »Mein Gott, ja,« seufzte Benedikt.

Auch den unerfahrenen Seraphin überlief die Gänsehaut bei der Vorstellung, die er sich von der allabendlichen Fröhlichkeit in Lengrießers Fastenzwinger machte. Auf den ihm wichtigern Gegenstand zurückkommend, fragte er: »Wie ist's aber? Kümmert sich denn Niemand um den entsprungenen Buben? Wenn ihm nun ein Unglück begegnete, oder wenn er, irgendwo versteckt, und ohne etwas zu beißen und zu nagen, krank oder gar vor Hunger des Todes würde?«

Den Kaufmann beschlich bei dieser Rede irgend ein ernster Gedanke. Die hartherzige Agnes versetzte bitter: »Hier zu Lande stirbt keiner Hungers.« – Den Ladendiener warf's ein paar Zoll hoch vom Stuhle auf, und er bestätigte wie ein vom Grab Erstehender: »Ach nein, sie halten's aus, so lang's geht.« – »Das wird wohl so seyn,« sagte Seraphin mit einem verdrießlichen Blick auf die einäugige Hauswirthin. Lengrießer war indessen mit seinem ernsten Gedanken auf's Reine gekommen. »Geh,« sagte er zu Agnes: »geh' und spinelleAnspinellen: mittelst eines Bohrers ein Faß vorläufig anzapfen. einmal das Branntweinfassel I B draußen hinter der Thüre an. Mir ist grade eingefallen, daß mit dem Branntwein etwas vorgegangen seyn möchte. Das Säumervolk hat 142 kein Gewissen im Leibe. Zieh' immerhin ein Frackl heraus, und laß uns kosten.«

Benedikt schmatzte. Agnes zog ein garstiges Gesicht, wie immer, wenn ihr etwas aufgetragen wurde, und ging. Indessen fragte Seraphin abermals. »Wird denn auch der Bruder des Tammerl nichts für seinen Brudersohn thun?« – »Ei, ei, Tschappel, was fällt Dir ein? Du kennst den hiesigen Tammerl nicht. Er ist ein Mensch wie ein Elephant, ohne Herz, ohne Schmerz, ohne Rechtschaffenheit und – was das Schlimmste – ohne alle Frömmigkeit. Er besucht nur die Frühmeß in der Pfarrkirche – so im Zwielichte – wo ihn die ehrlichen Leute kaum zu Gesicht kriegen, und wenn er sich von einer Prozession losschrauben kann, so thut er's mit Freuden. Dafür ist er aber am Abend regelmäßig im Wirthshause, häufig Nachmittags in einem BuschenBuschen: ein Trinkhaus, das an manchen Orten noch jetzt durch einen ausgesteckten Tannenbüschel bezeichnet wird. auf dem Lande, trägt sich in der Kleidung wie ein allamoda. putzt sein Weib, die Heugeige, närrisch heraus, läßt seinem leichtsinnigen Buben Alles hingehen und seinem Fratzen von Madl hält er einen Meister auf dem PantalonPantalon: ein kolossales Hackbrett, von Hebenstreit erfunden, und bald wieder in Abgang gekommen.! Auf dem Pantalon! O Du heilige Mutter, ist das eine Narrheit, eine gottvergessene Narrheit! Kurz, an dem Joseph Tammerl ist Chrysam und Tauf verloren. Wie lang, und er hat sich um sein Geldl gebracht, und aus der Narrethei ist geworden eine Armethei? – Agnes, wo bleibst Du? Benedikt, geh' hinaus. Mir ist, als wäre die Agnes draußen in Versuchung gerathen.«

Der mißgünstige Ladenbursche folgte wie ein bissiger Hund dem Befehl des geizigen Vaters, um die Jungfer Agnes beim Kosten des verbotenen Guts zu überraschen. Mittlerweile sprach Lengrießer weiter: »Du wirst nicht glauben, daß ich aus Neid dem Tammerl seine Fehler herzähle; etwa, weil er auch mit Spezereien und Farbwaaren handelt, gerade wie ich? Gott behüte mich; das wäre mir als Kaufmann und noch mehr als Christ viel 143 zu schlecht. Die paar Pfunde Kaffee und Saffran, womit er die Leute betrügt, schaden mir, Gott sey Dank, nicht im Geringsten. Mein Heiland, wie oft habe ich ihm mit ein paar Loth Ingwer und einem Stänglein Zimmet ausgeholfen, daß er nur seine wenigen Kunden bedienen konnte. Bei mir ist halt der Schnupftabak Herr, den ich gebe rein und unverfälscht, wie der betrügerische Tammerl noch gar nichts hergegeben hat. Du siehst also, daß ich ihn in seiner Ehrlichkeit unangetastet lasse, und nur auf seinen leichtsinnigen Lebenswandel aufmerksam mache. Hoffe also von einem Menschen der Art nicht, daß er sich um seinen Nepoten bekümmere. Er will vom Vater nichts wissen, geschweige denn vom Sohne. Dennoch wollte ich, Du brächtest den Imster Peter wieder zum Vorschein, daß Dein Meister sähe, welch' ein redlicher Kerl Du für ihn bist. Das gefällt mir gar zu wohl an Dir; und wenn Du Lust hättest, den Dienst zu wechseln, Seraphin – schau', ich könnt' mich wohl entschließen, Dich als einen getreuen Lehrjungen zu mir zu nehmen. Ich wollte das Lehrgeld schon billig stellen, Wäsche und Gewand fielen Dir zur Last, und im Uebrigen weißt Du jetzo, wie wir leben; einfach, aber anständig. Wo Dreie essen, wäre auch wohl für den Vierten der Tisch gedeckt. He, was sagst Du zu meinem annehmlichen Vorschlag?«

Seraphin war im Begriff, dem Herrn Lengrießer in's Gesicht zu lachen, und ihm zu sagen, daß er lieber sein Leben lang ein Wildemanns-Gewand von Baumbart tragen, und Kranewittbeeren speisen wolle, als der Firma Hungerleider und Comp. beitreten; aber der Spezereihändler vergaß schnell auf den Antrag, den er gemacht, und auf den Bescheid, den er erwartet, weil eben Agnes und Benedikt hereintraten. Es war zwischen ihnen zugegangen wie im Volksliede mit dem Pudel und Prügel, die einander nachgeschickt wurden und selbander nicht nach Hause kamen. Benedikt hatte allerdings seine junge 144 Prinzipalin in der Versuchung befangen und Branntwein nippend gefunden. Statt jedoch ein blinder Vollstrecker seines Befehls zu seyn, war er geschwinde denselben Versuchungsstricken erlegen, und hatte Schluck für Schluck dem Beispiel des Lämmchens gehuldigt. Nun kam er mit gläsernen Augen, Agnes mit leicht gerötheter Nasenspitze. Sie setzten ein Frackl auf den Tisch, und sagten einstimmig: »Der Branntwein schmeckt nach dem Faß.« – »Wohl und gut!« zürnte der scharfsichtige Lengrießer: »das hab' ich mir gedacht. Was ich mir aber nimmer eingebildet hätte, ist, daß Ihr Beide nach dem Branntwein schmecken würdet! Ist das eine Aufführung am Vorabend des Sterbetags meiner Urgroßtante? Pfui, pfui! So muß ich denn alle Schlüssel des Hauses an meinem armen Leibe herumtragen? so darf ich nicht einmal meiner Tochter anvertrauen, was ich habe? Ihr werdet mich noch aus einem freigebigen Manne zu einem Geizkragen machen, Ihr leichtsinnigen Leute. Aber Strafe muß seyn. Für Deinen Fehler, Benedikt, wirst Du drei Tage lang nicht frühstücken, und weil Du nicht der Agnes vernünftig zugeredet – was Deine Schuldigkeit – weil Du also ihres Fehltritts Urheber gewesen, sollst Du auch an weitern drei Tagen des Frühstücks entbehren. Punktum; ich will Euch lehren! Indem jedoch immerdar, um die Fehler der Bösen auszugleichen, die Gerechten leiden müssen, so befehle ich, daß dieser Branntwein wieder ins Faß gegossen werde, oder besser: ich werd' es selbst thun. Auf diese Weise ist der Ausfall wenigstens zur Hälfte ersetzt, und ich habe, beim Eid, keinen Durst mehr, und Du auch nicht, Seraphin?« – »Behüte, behüte Gott!« lachte der Gefragte, der während Lengrießers Sentenz als wie ein ächter Enzianbruder auf gut roblerisch zugelangt, und ein paar tapfere Züge gethan hatte. Er hatte zur Genüge begriffen, daß in einer nothigen Wirthschaft, wie die des Lengrießer, nur ein dreister Handstreich hin und wieder ein Loch in das 145 langweilige Hungertuch aller Tage zu reißen vermochte. – Lengrießer beachtete nicht die Verminderung des Stoffs im Frackl, oder stellte sich, als hätte er sie übersehen, und schickte seine Hausgenossen zu Bette. Er selbst geleitete den müden Seraphin an die Waarenküste, und hielt geduldig das Licht, bis der gute Kerl sich halb und halb entkleidet, und in die sonderbaren Elemente, die sein Lager bildeten, versenkt hatte. Vorsichtig hatte Seraphin, was er am Geld noch besaß, nicht sehen lassen; er traute dem Geizhals zu, daß er wohl etwa zur Nachtzeit kommen dürfte, um den schlummernden Gast leichter zu machen, so fremdartig kam, selbst nach den Mangelzeiten der Grödnerin, dem Knaben das Treiben in diesem finstern Hause vor. Den Vogelkäfig zur Seite, streckte sich Plaschur in seiner Kiste aus, und stammelte eine »Gute Nacht.« Lengrießer schloß den Gang mißtrauisch zu, und ging zu Bette. Seraphin überlegte noch, ob er seinem bellenden Magen nicht das hartgesottene Ei opfern sollte, das er aus dem Mittagquartier mitgenommen, um seine Vögel zu füttern? Die Liebe zu den Thierchen und die Gewißheit, in dem Hause des Kümmelspalters ein anderes Ei für die Vögel nicht zu finden oder zu bekommen, überwand Seraphins Appetit. Er beschloß, die gelben Sänger stattlich zu füttern, bevor er sie ihren neuen Herrschaften zutrug, damit sie mehr Muth und Ehrgefühl bekämen, und ihren Gesang zur Zufriedenheit der Hörer erschallen ließen. Zunächst beschäftigte den Entschlummernden noch die Sorge, den Ausreißer Peter einzufangen. »Die Frau Marianne würde mir's ewig Dank wissen, und wie gut könnte Martina, könnte ich einmal ihre Güte brauchen?« Diese Frage begleitete Seraphin in seine Träume hinüber. – Er wachte auch mit ihr, die sich seiner ganz bemeistert hatte, wieder auf; denn die Nacht war ziemlich kurz, und die 146 verzweifelte Stimme des hungernden Benedikt weckte in aller Frühe das ganze Haus auf. Mit dem schmählichsten Spektakel wurde das Gewölbe eröffnet; an eine Ruhe war ferner nicht zu denken.

Seraphin brachte seine geräderten Gliedmaßen nothdürftig in Ordnung, putzte sich heraus, soviel in seinem Vermögen stand, um seine Besuche nicht als ein schmutziger Landstreicher abzustatten, fütterte seine Vögel, nahm vorläufig von ihnen zärtlichen Abschied, genoß ein mit der Observanz des Hauses übereinstimmendes Frühstück, ein Glas frischen Wassers, und wanderte in den heitern Morgen hinaus. Lengrießers Wohnung mit dem Rücken anschauend, sagte er zu sich selber: »Ja wohl theure Zeit; ja wohl lange Geduld! Wenn alle Menschen in der großen Stadt beschaffen sind wie dieser Spezereikrämer, so mag ich nichts mehr von ihnen wissen, und es thut mir leid, mein liebes Imst verlassen zu haben.«

Es blieb ihm Muße genug, Innsbruck von allen Seiten zu betrachten. Vor Allem suchte er die Hofkirche auf, um darinnen seine Messe zu hören, und ein glückliches Ergebniß seiner heutigen Verrichtungen zu erflehen. Die Pracht des Kaisergrabmals blendete und ergriff ihn dermaßen, daß er sich lange nicht zu fassen wußte, und es kam eine feierliche Andacht über ihn, die seine Begierde, den entlaufenen Sohn seiner Dienstherrschaft um jeden Preis wieder herbeizuschaffen, verdoppelte. Seine Seele wußte nicht mehr sich mit andern Dingen zu beschäftigen. Ihm war, als dürfte er nicht nach Imst zurückkehren, ohne der zärtlichen Mutter ihr Kind in die Arme zu führen, und als ob von diesem Liebesdienst das Glück seiner ganzen Zukunft abhinge. Alles, was sonst in seiner Erinnerungskammer aufgehoben, trat vor diesem einzigen, sehnsüchtigsten Wunsch in den Hintergrund. Wer sollte ihm jedoch Anleitung 147 geben, den Wunsch in's Leben treten zu lassen? Er kämpfte mit den wunderlichsten Plänen, die Straßen durchstreifend, von Kirche zu Kirche wandernd, bis die vorgerückte Morgenstunde ihm erlaubte, der ersten von den Damen, die er zu besuchen hatte, seine Aufwartung zu machen. Der Sillgasse am nächsten, fragte er sich bis zum Hause, worinnen das Fräulein von Cibulka wohnte. Fußend auf den Unterricht des Meisters Tammerl, der ihn belehrt hatte, daß die Herrschaften in der Stadt an der unbefangensten Treuherzigkeit der Landleute ihre Freude hätten, schritt Seraphin ohne Furcht in das schöne Gebäude ein. Er hatte das dritte Stockwerk zu erklimmen. Auf jeder Treppe begegneten ihm Lakaien oder Dienstmädchen der andern vornehmen Parteien, die im Hause logirten, und des Fragens auf grobe oder spöttische Weise war schier kein Ende. Seraphin ließ sich indessen nicht irre machen, und als hinter der Treppenthüre des dritten Stocks eine alte, verrunzelte und nicht gar sauber gekleidete Dame ihm den Käfig abnehmen wollte, um ihn zum Fräulein hineinzutragen, sagte er standhaft: »Nein, nein, lass Du die Hand von der Kraxen. Ich muß schon selber mit dem Fräulein reden.« – »Ei, ich bin des Fräuleins Mutter!« – »So, so? Aber doch muß ich mit ihr reden, hab' ihr etwas zu übergeben.« – »Aber, dummer Bursche, sie hat gerade Besuch.« – »Das thut nichts; ich bin auch ein Besuch, und, will's Gott, einer, der ihr Freude macht.«

Mit diesen Worten die alte Dame auf die Seite schiebend, öffnete Seraphin die vor ihm prangende Flügelthüre, und stand in dem Zimmer des Fräuleins. Das Gemach war groß und hoch, einfach möblirt, und ein erfahrenerer Blick hätte darinnen eine seltsame Verschmelzung von arm und reich wahrgenommen. Für den Vogelträger war es eine Staatskammer. Auf der Bergère unter dem 148 Spiegel saß, in hochrothe Seide gekleidet, das hübsche und junge Husarenkind; eine bräunliche Schönheit von untersetztem Wuchs, wie Husarenschlag es mit sich bringt, mit perlweißen Zähnen, die sie immer lächelnd zeigte, und die noch einmal so angenehm auffielen, da sie von frischen Lippen eingefaßt und von einem leichten Bärtchen beschattet wurden, das abermals an die Abstammung des Fräuleins erinnerte. Etwas wunderlich stach dagegen die leicht durchpuderte Frisur des Fräuleins ab; jedoch merkte man nicht sehr auf den Kontrast, da des Fräuleins neckische und immerdar lustige Beweglichkeit im ersten Augenblick schon fesselte. – Zur rechten des Fräuleins auf einem breiten Sessel blähte sich ein rothbestrumpfter Prälat; zu ihrer Linken stand ein Kavalier in Uniform, mit goldenen Troddeln auf der Achsel.

»Ach, ach, ach!« lachte die Cibulka, »wer kommt denn da so frank und frei, uns Gesellschaft zu leisten?« – Sie musterte mit wachsender Lustigkeit den ländlich zugeschnittenen Besuch, der seinerseits einen Kratzfuß nicht versäumte, und mit dem Hütl wedelte. »So grüß' Dich Gott, Fräulein,« sagte er unverdrossen: »ich bring' Dir etwas Schönes, und hab' Dir ein Wörtl allein zu sagen.« – »Allein? nun, das wird etwas Rechtes seyn!« lachte wieder das Fräulein.

Indessen hatten sich die Herren dem Vogelträger genähert, und der Prälat fragte in gebrochenem Deutsch: »Wer bist Du, Bubbe?« – »Meines Vaters und meiner Mutter leiblicher Sohn,« antwortete Seraphin, unterließ aber nicht, dem Geistlichen den Rock zu küssen. – »Wie eissest Du?« fragte der Prälat weiter. – »Das ganze Jahr Seraphin.« – Der leutselige Herr wendete sich zum Fräulein und sprach: »Ein gommischer Mensch; hat sbei Augen voll Spißbubberei.«

Dagegen bemerkte der andere Herr mit verächtlicher Miene: »Ein grober Bursche, der eine Lektion verdiente. 149 Sag' mir, Tölpel, wer ist dümmer als ein Bauer?« – Ohne mit dem Aug' zu zucken, antwortete ihm Seraphin trotzig: »Du selber; denn Du fragst mich um etwas, das Du nicht weißt.« – Entsetzt trat der Herr in Uniform ein paar Schritte zurück, aber das Fräulein gebot ihm mit einem Blicke Schweigen. »Was bringst Du?« fragte sie. – »Einen Kanari und etwas Geheimes.« – »Ich habe keinen Vogel bestellt.« – »Das ist eben das Geheime.« – »So so? komm' mit mir.«

Sie führte ihn in's anstoßende Schlafzimmer, neigte ihre hohe Frisur zu ihm herab, und sagte: »Rede geschwind.« – »Ich soll Dir sagen, daß ein Herr, der gehört hat, wie Du Dir einmal einen gelernten Kanari wünschtest, Dir den Vogel zum Geschenk macht. Da hast Du ihn; er heißt Putzl, und ist gar ein gutes Vichl. Pfeif, Mandl, pfeif, Mannerl.«

Putzl gehorchte und zeigte sich guter Laune. Das Lied machte Eindruck auf die Schöne; sie setzte alsobald das Thierl in einen hübschen Käfig, und trug ihn selber zu den Herren hinaus. »Ich hoffe,« sagte sie, »daß mittlerweile der Herr Prälat den Herrn Obristwachtmeister besänftigt haben werden.« – »Già, già,« versetzte der welsche Hochwürdige: »Alles is wieder in besten Schusand.« – Der Major nickte finster. »Wer schickt dem gnädigen Fräulein diesen kleinen gelben Husaren?« fragte er dann mit süßem Munde, aber mit einem Blick voll von Spannung und Eifersucht. – »Etwas Gewisses weiß ich nicht,« entschuldigte sich die Cibulka: »doch meine ich, die Galanterie kömmt vom Herrn von Dobroslaw, gegen den ich wirklich einst geäußert, daß mir ein Vogel dieser Art lieb seyn würde.« – »Ah, ah, ah! von dem Errn von Dobrosla?« lachte der Prälat, wie närrisch: »von dem Cassandro, dem Narcisso von sexig Jahre?« – »Nun, nun, das hat wohl nichts auf sich!« stimmte der Major etwas gezwungen bei, und die 150 Cibulka wiederholte, ihm mit absonderlichem Ausdruck in die Augen sehend: »Nein, nein, mein gestrenger Herr, das hat gewiß nichts auf sich, und der kleine niedliche Musikant mag mir wohl gegönnt seyn, nicht wahr?« – Der Major verbeugte sich. Der Prälat, dem, weiß Gott warum, die flüchtige Vertraulichkeit der Dame mit dem Offizier nicht gefiel, runzelte die Stirne, und sagte zu Seraphin: »Geh', geh', mein Sohn. Man brauchen Dir nix mehr hier.« Der junge Mensch, der beim Namen »Dobroslaw« plötzlich in tiefe Gedanken versunken war, fuhr daraus empor, und stammelte: »Das wird schon seyn. Behüt' Dich Gott, Fräulein,« und nahm seine Kraxe wieder auf. Die Cibulka suchte verlegen in ihren Taschen. »Man sollte doch dem Buben ein Trinkgeld reichen,« sagte sie kleinlaut. Mechanisch, ohne jedoch viel darauf zu geben, streckte Seraphin die Hand aus, aber er dachte nur in einem fort an den Polakennamen, der unversehens wie ein Gespenst ihn überfallen hatte. Die Herren hatten nicht Lust, der Verlegenheit des Fräuleins mit der That zu Hülfe zu kommen. Der Major sagte brummig: »Geh' hin zu dem, der Dich geschickt, und laß Dir von ihm den Gang bezahlen.« – Der Prälat machte es milder ab, reichte dem Träger seine fette weiße Hand zum Küssen, mit der andern nach der Thüre zeigend. Seraphin, in seiner Zerstreuung, schüttelte die dargebotene Hand, als wäre sie des Engadiners gewesen, und zog ab unterm Gelächter der drei Herrschaften.

»Ich meine,« sagte er auf der Straße vor sich hin, »daß die Stadtleute noch gröber sind, als wir draußen auf dem Lande. Doch ob sie mich nun auslachen oder nicht, ob sie mir ein Trinkgeld geben oder nicht, das ist mir gleich, wenn ich nur wüßte, warum der Polak mir immer und ewig in's Gedächtniß gerufen werden muß! O, Grödner, Grödner! Du hast mir einen Floh in die Ohren, einen Wurm an's Herz gesetzt, daß Du's vor Gott nicht 151 verantworten kannst. O meine arme Mutter! Könntest Du mir nur aus Deinem Grabe heraus ein einziges Wort sagen! – Wozu aber? ich glaub' ja nichts Unrechtes von Dir, und der Egidi sagt ja, ich sähe meinem Vater aufs Tüpfel ähnlich. Was geht mich also der Dobroslaw an, mit dem mich der böse Feind alleweil neckt und tratzt?«

Der Weg zu der Frau Baronin Neuhof, den er jetzt unter die Füße nahm, zerstreute ihn ein wenig. Die Dame wohnte außer der Innbrücke in einem wohlgelegenen Hause, woran ein hübscher Garten stieß. Das Haus hatte nur ein Stockwerk über dem Erdgeschoß; das Zimmer der Besitzerin war daher nicht wohl zu verfehlen. Es verschlug dem muntern Seraphin wenig, daß das Hausgesinde sammt und sonders in einer Küchenstube einen ziemlich geräuschvollen Landtag hielt, und daß kein Mensch um den Vorüberschlüpfenden sich bekümmerte. Des tausendfältigen Fragens und Hin- und Herüberredens müde, trappelte er wohlgemuth die Treppe hinan, auf den Gang, vorbei dem leeren Bedientenstübel, und machte, des Anklopfens nicht gewöhnt, die ansehnlichste Thüre, die ihm in's Auge fiel, bescheiden auf. Ach, da sah es wohl schön aus! Von Gold und Elfenbein strahlte das prächtige Sitzzimmer, über den ganzen Boden hin lag ein weicher Teppich, worauf zu gehen, wie auf einem glatten Rasen, so fein und leise. Aber in dem Zimmer war kein Mensch. Nachdem sich Seraphin geschwinde in dem Dutzend Spiegeln, die in den Wänden saßen, angestaunt und bewundert hatte, schlich er auf den Zipfelzehen einem Seitengemach zu, worinnen sich etwas wie eine Menschenstimme vernehmen ließ. Auf der Schwelle behutsam angelangt, stieß er die halb zugelehnte Pforte auf, und hätte bald Hut und Kraxe zur Erde fallen lassen vor Schrecken. Denn auch in dem Toilettezimmerchen wurde ein Schrei des Schreckens laut. Eine lange, schlanke Dame in einem durchsichtigen Négligémantel fuhr bestürzt vom Spiegeltische auf, und ein Herr, der vor ihr auf einem Knie lag, und einen bloßen Degen in der Hand hielt, schaute sich erblassend, wodurch sein Gesicht eine wackere Aehnlichkeit mit dem Antlitz eines alten Schafbocks bekam, nach dem höchst unzeitigen Störefried um. »Gelobt sey Jesus Christus!« stotterte der verzagende Störefried. – Statt dem frommen Gruße zu antworten, wie sich's gehört, sprang die Dame hastig auf Seraphin los, und überschüttete ihn mit Redensarten, wie sie aus einem schönen und vornehmen Munde gemeiniglich nicht erwartet werden. – Der Herr erhob sich etwas schwerfällig aus seiner gewagten Positur, steckte den Degen einigemal in der Verwirrung neben die Pergamentscheide, bis er ihn endlich versorgte, wo er am Platz war, und ging mit großen Schritten auf und ab, der Dame die Verständigung mit dem Bauer überlassend.

Nachdem die Frau Baronin sich hinlänglich überzeugt hatte, daß sie eine harmlose Einfalt vom Lande vor sich, und ihr zur Seite einen Poltron vom ersten Kaliber habe, ließ sie die Maske des Zorns fallen, und suchte durch einen vorgeblichen Anfall von Nervenschwäche sich aus dem Spiele zu bringen. »Weh' mir!« seufzte sie, in ihren Sessel zurücksinkend, »ich bin unglücklich, unglücklich, aber wieAber wie!: ein bekräftigender Beisatz, z. B. »ich hab' mich lustig gemacht, aber wie!« – »ich hab' mich geschämt. aber wie!«! Die grobe Gestalt dieses Bauern beleidigt meine Augen, seine heillose Sprache mein Ohr, seine gräuliche Anwesenheit meine Sittlichkeit, und Sie, mein Herr, haben nicht einmal ein Wort des Schutzes für mich! Sie wollen mich glauben machen, daß Sie sich in Ihren Degen stürzen werden, und Sie prügeln nicht einmal mit der flachen Klinge diesen Grobian aus meinem Heiligthum?«

Der Herr mit dem Degen schien den nachdrücklichen Aufforderungen der schönen Wittwe Gehör geben zu wollen, aber nun sperrte Seraphin, der wohl errieth, was ihm bevorstehen sollte, den Mund auf, und sagte trocken zu dem Aufgereizten: »Du, lassen wir's gut seyn; 153 laß Du's nur bleiben, und halt' Deine FlitschenFlitschen: Flederwisch; spöttisch für: »Degen oder Säbel«. in Ruh'! Schau, ich bin noch so viel jung, und Du bist nimmer grün, aber Du kämst doch im HaggelnHaggln: mit den Fingern in sich ineinander hacken, um zu sehen, welcher von den beiden Hagglern stark genug, den andern vom Platz zu bringen; im umfassendern Sinn: »zanken, streiten, sich zu Leid leben.« zu kurz. Was macht's auch für'n Spektakel? Ich will Dir ja nichts stehlen, Frau. Ich bring' Dir ja nur den Schwarzhaubeten, den Du beim Lengrießer bestellt hast. Hab' ihn aparte und extra für Dich ausgesucht, den Tanzmusikanten, denn Du hast, wie ich merke, viel Galle und großen Verdruß, und bist dabei krank und schwach; und solchen Leuten muß immer ein lustig's Stückl aufgespielt werden.« –

»Der Bube hat uns ein wenig zum besten,« sagte die Baronin halblaut zu ihrem Gesellschafter: »Wir haben's jedoch selbst verschuldet. Den Vogel hab' ich wirklich bestellt.« – Und mit einer Ruhe, als ob sie in ihrem Leben sich nicht erzürnt und niemals einen Nervenanfall auszuhalten gehabt hätte, betrachtete die Frau von Neuhof den Kanariensänger, schwatzte mit ihm, ließ ihn mehrere Male sein Stückchen pfeifen, klatschte ihm Beifall, reichte ihm Zucker, und ließ sich auf's Umständlichste über die Pflege und Wartung des Thierchens ein. Nachdem Seraphin seine Weisheit ausgekramt und seinen Zögling warm empfohlen, beurlaubte er sich, und erhielt von der beschwichtigten Dame eine stattliche Verehrung für seinen Unterricht und seine Mühe. Er küßte der Dame den Rock, kümmerte sich nicht um den in der Ecke schmollenden Herrn, der nicht ein Wort zum Gespräch gegeben hatte, und ging, mit seinen Geschäften zufrieden, wieder in die Stadt zurück. – »Diese waren ein paar Narren,« bemerkte er sich lächelnd: »Weiß Gott, was sie mit einander vorhatten, als ich ihnen so zu sagen vom Himmel gefallen bin; doch ist das Fräulein oder die Frau endlich vaschonig geworden, und das ist die Hauptsache. Der Herr von Oelgötz geht mich nichts an. Jetzt wird's Zeit seyn, zu der gnädigen Gräfin zu 154 marschiren. Welch' ein Gewächs wird wohl diese seyn? Du armer Hansl, bist jetzt ganz allein, und wie bald, so hast Du auch Deinen Hofmeister zum letzten Mal gesehen! Wenn Gott will, wirst Du's jedoch besser kriegen, als Deine Kameraden. Das Husarenfräulein, der Schußbartl, wird sicherlich den Putzl vor Hunger krepiren lassen, und der g'wohnt's nicht, wie der Benedikt. Und den Schwarzhaubeten wird die durchscheinige Frau im Verdruß den Hals umdrehen, wenn der gewisse Herr sie einmal wieder mit seinem dünnen Flederwisch geärgert hat. Ich wünsch' Dir ein besseres Glück, und mir auch, lieber Hansl, denn es wär' doch gar so viel fein, wenn ich den z'nichten Peterl noch wo auffischen könnte!« – Unter diesem und ähnlichen Selbstgesprächen war Seraphin in der Vorstadt angelangt, woselbst die Frau Gräfin von Rechtenfeld, zunächst an der Plottnerei, wohnte. – Die schöne breite Straße, die nur durch die dazumal noch offenen Ritschen entstellt wurde, gefiel dem Fremdling aus Imst, als ein heiterer Gegensatz zu der dumpfigen innern Stadt, und Paläste, wie die Häuser in der Vorstadt, hatte Seraphin noch nie gesehen. Das Haus der Gräfin war eines der schönsten, und gerade nur von ihr und von ihrem Gemahl bewohnt, welcher letztere irgend ein Amt bei dem oberösterreichischen Wesen – der Regierung oder Hofkammer – bekleidete. Ein dicker Schweizer lungerte hoffärtig unterm Einfahrtsthor und machte die Polizei. Ein grämlicher Hektikus in Livree saß oben an der Treppe, und gab den Kommenden, wenn sie geringe Leute waren, eine fürnehme Vor-Audienz, oder katzbuckelte vor denen, die mit Titeln, Ordensbändern und ähnlichen Auszeichnungen sich einstellten. –

Dem Vogelträger wurde nicht Katzbuckel, nicht 155 Audienz. Schon der Schweizer hatte ihm grob gesagt: »Marsch hinauf!« und die Schwindsucht in Livree hüstelte ihm zu: »Aha, aha. Nur warten; Geduld haben. Keinen Lärm machen.« – Zog darauf eine Klingel, auf welches Zeichen eine spitznäsige Kammerzofe ihr Gesicht hinter der Glasthüre zeigte. Der Lakai wechselte ein paar Worte mit ihr. Sie betrachtete geringschätzig den Ueberbringer des Vogels, zuckte die Achseln, und sagte zu dem Lakai: »Die gnädige Frau haben just Gesellschaft bei sich. Solches Volk kann man nicht vorstellen.« – Worauf Seraphin, feuerroth vor Aerger und ohne sich zu bedenken: »O Du meine liebe Miedel! möcht' mir schier übel werden vor Deiner Glori! Bist doch auch nicht von Seiden gewebt, oder aus Zucker gebacken! Wie kannst nur so buchsbaumen reden, und bist selber eine Bauern-Dirn von Haus aus?« – Das Mädchen lief zornig und scheltend in's Innere des Stockwerks zurück. Der Hektikus rieb sich indessen mit boshaftlächelnder Miene das Schienbein, und ließ sich gnädig also vernehmen: »Du bist ein grober Gesell, mein Bub'; aber Du hast's bei der Affel auf den Zweck getroffen, und mich freut's. Komm' ein andermal; dann führe ich Dich selber zur gnädigen Gräfin hinein.« – »Thu's gleich, lieb's Mandl; ich thät' recht schön bitten; denn schau', ich thu vielleicht heut' Abend schon wieder verreisen, und kein Mensch wär' da, um der gnädigen Frau zu berichten, wie man den Hansl zum Singen bringt, und wie er standesmäßig unterhalten werden muß. Die Folge wär', daß der Vogel halt lang stumm bliebe, etwa sein Stückl vergäße, erkrankte und krepirte, ohne daß ihm ein Doktor dabei geholfen hätte.« – »Das geht mir ein,« erwiederte der Lakai auf die treffende Bemerkung Seraphins, die dem Hunger und der Aussicht auf eine brave Mahlzeit am Gesinde- oder Gesindeltisch ihre Entstehung verdankte: »Du bist ein 156 närrischer Kerl, und die Herrschaften können euch Lustigmacher wohl leiden. Wart' ein bissel. Der spitznaseten Fledermaus zum Trotz sollst Du gleich vorkommen.« – Der gefällige Neidhammel ging alsobald, um sein Versprechen in Erfüllung zu bringen. Seraphin sah ihm etwas scheel nach, und meinte still für sich, daß er dem sirigen Rockausklopfer schon gern etwas auf den »Lustigmacher« herausgeben würde, wenn er ihm just nicht so nothwendig wäre. Ein Hannswurst zu heißen, war dem Vogelträger unausstehlich; doch erinnerte er sich der Lehre Tammerls: »Nimm die Leute, besonders die vornehmen, gerade wie sie sind; mit allem Verdruß wirst Du sie dennoch nicht anders machen!« und schwieg klüglich, des fernern gewärtig.

Nicht lange darauf öffneten sich für Seraphin die Pforten, die ihm die Spitznase gern verschlossen gehalten hätte. »Sey nur ganz wie zu Hause,« raunte ihm der Hektikus zu: unsere Herrschaft lacht gern, wenn sie auch zu andern Zeiten recht schiech thun kann, und die andern gnädigen Damesen sind gar nicht heikel, und warten jetzt auf einen Spaß.« – »Den kann ihnen ein anderer vormachen,« brummte Seraphin in den keimenden Bart, und schlenderte lustig auf die Thüre zu, die der Lakai vor ihm weit aufmachte. Er trat in einen schönen hohen Saal, marmorweiß mit Gold verziert. Viele Fenster ringsum; an jedem Pfeiler ein Marmortischchen und ein langer Spiegel; auf jeder Wandfläche ein oder ein paar große Medaillons, aus deren Goldrahmen die abgeleibten Rechtenfelder männliche und weibliche, mit Küraß und Allongeperücke, mit Silberhauben und Brokatmiedern in die Wirklichkeit herniederschauen. An der Decke des Saals, ein Meisterstück des welschen Stuccadors, tummelte sich eine Armee von Liebesgöttern, blind und sehend, mit Pfeilen und mit Tauben, mit dicken Köpfen und geschwollenen Beinen. Ein ungeheurer Kronleuchter schwebte über 157 dem Saale, der Fußboden war spiegelblank und glatt. An der Ehrenseite des Saals lief ein Gewölk von Seidenstoff und Franzen hin, und darunter, auf einer niedrigen Estrade, um einen langen sammetbedeckten Tisch saß in üppigen Lehnstühlen eine zahlreiche Damen-Gesellschaft.

Den guten Seraphin überlief ein bischen Schauder, denn auf diesen Anblick war er nicht vorbereitet gewesen, und seine Füße glitschten auf dem hälen Boden aus, daß er unwillkürlich ein paar Kniebeugungen machen mußte, als ob er einem Altar gegenüber stände. Die Damen saßen da, als hielten sie ein Gericht; ihre Zungen, die bisher wacker an der Arbeit gewesen, rasteten plötzlich, und Aller Augen wendeten sich steif dem Vogelträger zu. Ihre Häupter, hoch frisirt und mit dem winterlichen Puderschnee der Mode gewaltig ausstaffirt, mahnten den Vintschger an den Suldner-Ferner, an den Ortler und seine weißen Kameraden. Dagegen waren die Backen der alten und jungen Herrschaften in seltsam leuchtendes Roth getaucht, und nicht eine einzige war gegenwärtig, die nicht – wie der einfältige Bauer meinte – wenigstens mit zwei oder drei Muttermälern im Gesichte gezeichnet gewesen wäre. Alle Gestirne des Firmaments schienen sich in schwarzen Verkleinerungen auf das Antlitz der Damen herniedergelassen zu haben. Dem Seraphin war's ein wunderliches Schauspiel, vor dem er seine Augen noch obendrein verschämt niederschlagen mußte, denn unter dem mannigfaltigen Schmuck von schwarzen und diamantenen Halsbändern, von Perlschnüren und Spitzentand leuchteten so viele nackte Reize hervor, daß er unfreiwillig der vorletzten Bitte im Vaterunser gedachte. – Seraphins Haltung war gewiß eine ergötzliche; ein kicherndes Rauschen lief bald durch die ganze Gesellschaft. Indessen erhob sich aus dem größten Sessel die Dame des Hauses, eine stolze und feiste Figur in unendlich weit ausgestreiftem Reifrock, und segelte mit wehenden 158 Bändern und Schleifen dem jungen Menschen entgegen. »Was hast Du da, Kleiner?« fragte sie herablassend. – Wenn schon geärgert, daß die bildsaubere Frau ihn den »Kleinen« nannte, zögerte Seraphin nicht, ihr zu erwiedern: »Bist Du die Gräfin, der ich den Hansl da übergeben soll?«

Nun war's, als ob vor einem unbefangenen Wanderer plötzlich ein ganzes Volk von Vögeln aus dem Busch aufflöge; alle Fächer der Damen rauschten zumal auf, und wedelten heftig hin und her, und hinter denselben verbargen sich die zum hellen Lachen gereizten Schönheiten, und die Zitternadeln in ihren Frisuren nickten wie die Halme, die der Ostwind bestreicht. »Nun?« fragte Seraphin, nachdem er seine Bestürzung überwunden: »Da ist nicht zu lachen. Der Hansel ist ein Kapitalvogel, und wenn ös still seyn wollt's, so will ich enk»Oes« und »enk«: in der tiroler Bauernsprache: »Ihr« und »Euch«. sein Liedl zum Besten geben.«

Noch eine Salve von Gelächter und Fächerschlagen, dann wurde es ruhig. »Lass' hören,« sagte die Gräfin. Seraphin setzte ohne Umstände seine Kraxe auf den Tisch, und ermunterte seinen Liebling, der nach manchem ablehnenden »Piep, piep!« den Schützenmarsch anhob, und ohne Stocken feierlichst bis zu Ende ausführte. Das Stück machte seine Wirkung. Die Damen trugen unter ihren Fischbein-Harnischen im Busen patriotische Herzen, und der einfache Freuden- und Schlachtgesang des kriegsfertigen Tirolervolks erregte ihren lauten Beifall. Die unscheinbare Kraxe mit dem wohlgeschulten Sänger ging von Hand zu Hand; es war ein Gelock und Reißen um den Vogel, daß dem Lehrer desselben vor Vergnügen die Augen übergingen. Er selbst wurde gehätschelt und angeredet und examinirt von allen Seiten, bis seine einfache Lebensgeschichte ihm ganz und gar abgefragt worden. Eine alte Dame nannte ihn zuerst einen »herzigen Affen,,« eine jüngere fuhr ihm mit der von Ringen 159 blitzenden Hand durch die seidenen Haare; eine noch jüngere meinte, er habe Augen wie Karfunkeln, und es sey schade, daß er gerade nur ein Bauer. Die Gräfin stopfte ihm den Mund aus ihrer Bonbonbüchse, und er schluckte geduldig, obschon er gern das parfümirte Zeug ausgespieen hätte. Er befand sich ungemein wohl, war recht artig, ohne es zu wissen, nachte Scherz, ohne es zu wollen, und freute sich der Zukunft seines Hansl, die sich unter den besten Vorbedeutungen ankündigte. Die Gräfin gab wirklich alsobald Befehl, einen prächtigen Käfig herbeizuschaffen, bezahlte den Vogel freigebig, und ließ ein erkleckliches Trinkgeld in die Tasche des Vogelträgers fließen, dem einige von den Damen einen nicht unbeträchtlichen Zuschuß beifügten. –

»Das nenn' ich einmal raschonige vornehme Leute,« flüsterte Seraphin sich zu: »für so viel Güte kann ich ihnen schon das bischen Lachen verzeihen. Sie verstehen's halt nicht besser, und wenn sie in ihrem Aufzug nach Planail oder Burgeis kämen, so würden sie halt auch ausgelacht, und somit geht Eins von Eins auf.« – Mittlerweile verflog indessen die Zeit, die Kutschen und Tragsessel der Damen wurden nach einander angemeldet, die Herrschaften nahmen von einander den zärtlichsten Abschied, machten Bestellung über Bestellung bei dem »herzigen Affen« und trippelten in langer Reihe auf ihren fünfzölligen Stöckeln unter'm Geleit der Gräfin von dannen. – Die letztere hatte, wie Lengrießer vorausgesehen, zu Seraphin gesagt: »Geh' hinunter in die Küche, sie sollen Dir etwas zu essen geben.«

Er ließ sich's nicht wiederholen, und begab sich in den Schutz seines hektischen Freundes. – Als die Eßglocke angezogen wurde, fand der Hungrige unten am Tische der Dienstleute ein kleines, gar bescheidenes Plätzchen. Ein gewisser Triumph war ihm vorbehalten. Sein Plätzchen suchend, war ihm das bewußte 160 Kammermädchen begegnet, und hatte sich erzürnt von ihm zum offenen Fenster gewendet, mit den Worten: »Pfui, schon wieder der bäurische Flegel! in dieser Gesellschaft werd' ich heute nichts essen können!« – Seraphin war guter Dinge, und zum Spotte aufgelegt. Mit einem Blick auf die zum Fenster hinaus lehnende Zofe hatte er weg, daß ihr Strumpf einige lückenhafte Maschen aufwies. Er zupfte daher die Schmollende bescheidentlich am Kleide, und da sie sich zürnend umdrehte, und fragte: »Was soll's, was gibt's?« langte er in die Tasche, zog ein Stücklein Geld hervor, und antwortete mit falscher Demuth: »Sey nicht böse, Miedl. Hab' Dir nur einen Kreuzer zu einer Seide schenken wollen, damit Du das Loch in Deinem Strumpf flicken kannst.«

Das Dienstvolk wieherte laut auf, und zum Glück streckte der Hektikus zur selben Frist die Nase neugierig über Seraphins Schulter, denn auf diese Weise bekam er die Ohrfeige der Kammerkatze, die auf Seraphin gemünzt gewesen war, und verdoppelte die allgemeine Fröhlichkeit. Während er fuchswild der Davonspringenden nachlief, setzte sich die ganze ehrenwerthe Gesellschaft zur Tafel nieder, an deren Ehrenplatz der Portier als der Aelteste den Präsidentenscepter führte. Nachdem das Voressen verzehrt worden, sollte Seraphin gehänselt werden; aber er gab den Föpplern so treffend heraus, daß sie es unterließen. – Nach dem Gebratenen sollte er betrunken gemacht werden; er wies jedoch den Wein von sich, und trank nur Wasser; und als die Suppe aufgetragen wurde – damals die letzte Speise an ähnlichen Tischen – waren schon alle Beisitzer darüber einig, daß der Vintschger ein vernünftiger Kerl und somit in Ruhe zu lassen sey. – Neben Seraphin hockten zwei junge Menschen in kahlen Kleidern, die offenbar nicht zum Hause gehörten, mit denen keine Bedientenseele eine Sylbe redete, die ihre Ellbogen nur gar demüthig rührten, und sich kaum 161 unterstanden, einander ein paar Worte, und zwar lateinisch, zuzuwispern. Daß sie lateinisch sprachen, errieth Seraphin geschwind, denn er war daheim ein eifriger Ministrant bei der Messe gewesen. Die schwäbischen Mantel, die von den beiden Kahlmäusern an die Wand gehängt worden waren, brachten Seraphin auf die Vermuthung, daß die stillen Esser etwa Studenten seyn möchten. Dem war auch also. Sie gehörten zu der armen Klasse, die irgend ein mageres Stipendium genoß, aber, um sich durch's Studentenleben zu schlagen, auf schlechtbezahlte Instruktionen und auf Freitische angewiesen war. Adeliche und bürgerliche Familien zu Innsbruck hatten stets für dergleichen Musensöhne gewisse Kosttage ein- oder zweimal in der Woche zur Verfügung. und diese Freimahlzeiten waren allerdings eine Vorschule der Demuth und Selbstverläugnung für die Jugend, die sich für den geistlichen oder den Beamtenstand zu qualifiziren suchten. Gewöhnlich mußten sie. ohne Ansprache und Ermunterung, das Silentium der Karthäuser beobachten, dem Hausherrn und der Hausfrau, insofern diese mit zu Tische saßen, beim Kommen und beim Gehen die Hand küssen, und, um die Wohlthat des Freitisches dauernd zu erhalten, mit gewissenhafter Treue zu jeder Zeit die besten Schulzeugnisse beibringen. Einem selbstständigen Charakter ist bisweilen vorgekommen, als ob diese oft sehr weit getriebene Abhängigkeit des Studirenden von seinen Nährvätern und Tischmüttern nicht die besten Folgen für den jungen Menschen haben dürfte, allein es sind dennoch so viele ausgezeichnete Köpfe und Biederseelen aus derlei Verhältnissen an's Licht der Welt gestiegen, daß dieser Verhältnisse Vortheile ihren Nachtheilen die Waage zu halten scheinen. –

Seraphins Nachbarn waren vom besten Schlage: heitere, rosenfarbige Gesichter; der Eine von den jungen 162 Leuten namentlich hatte Züge um den Mund, die da verriethen, daß er auch von Lachen und Fröhlichkeit etwas wisse. Seraphin sah ihn gern an, und meinte, daß er ihn schon früher einmal gesehen. Nach einigen halblauten Fragen kam heraus, daß der Student ein Landsmann Seraphins war, ein gewisser Mayr-Michael, ein Vetter des vor zehn Jahren blühenden damaligen Gemeindesaltners von Burgeis, des wohlbekannten Oswald Bliem, der ein Schalk und Leutanführer gewesen, wie selten einer, und von dem das Lugeneck zu Burgeis den Namen erhalten, weil er an selbigem Platze gewohnt war, den leichtgläubigen Bauern allerlei Mährlein aufzuheften, immer eines toller als das andere. Michael stand im Rufe, da er noch daheim zur Schule ging, von seinem Vetter Oswald das schnackige Wesen gelernt zu haben, und wohl eher zu einem Cortisan zu passen. als auf die Kanzel, wohin ihn seine Angehörigen zu stellen gedachten. – Daher verwunderte sich Seraphin über das gar stille und zimperliche Betragen des vordem so aufgeweckten Menschen, und fragte nach der Ursache. Michael stieß ihn aber, in der Runde gäh umschauend, ob niemand die unbescheidene Frage gehört, mit dem Fuße an, und murmelte über seinen Löffel hin: »Halt's Maul, wir sind hier strenger daran, als im Kloster. Die Gräfin dürfte nichts merken, oder . . . .« –

Seraphin schüttelte den Kopf, und fragte sich nun selber, was Schlimmes daran sey, wenn ein junger Mensch seinem Muthwillen ein wenig den Lauf ließe. Dann sagte er: »Du, ich hab' Respekt vor der gnädigsten Gräfin, ein schöneres Weibsbild hab' ich gar noch nicht gesehen, und sie hat ein Herz wie Butter so mild und gut. Sie kann gewiß keinem Hundl ein Leid anthun, und ihre Augen scheinen so sanft in die Welt 163 hinein, daß man grad' d'rinnen sitzen möchte als wie in einem weichen Bettl. Gewißlich hat sie in ihrem Leben noch keine Galle gehabt, just als wie ein Täubl ohne Falsch.« – Dem verschlagenen Michael spielte das Lachen noch bemerkbarer um die Lippen. Er zuckte die Achseln, und murmelte wieder über den Löffel: »Das von den Tauben ist erlogen; sie sind die allerbösesten Thierlein, und wenn sie noch so häl und lieblich ausschauen.« –

In demselben Augenblick hob der Portier die Tafel auf und alle verließen ihre Stühle. Die beiden Studenten griffen wie auf's Kommando, sobald das Gebet gesprochen, nach ihren Mänteln, und Seraphin besann sich, was jetzt für ihn zu thun sey, als die Thüre des Bedientenzimmers aufging und die Gräfin in Lebensgröße hereinkam. Das Bedientenvolk entfernte sich ehrerbietig, die Studenten hielten betroffen still, und bückten sich tief. Die Gräfin ging höchst leutselig auf Seraphin zu, und fragte: »Wie ist Dir's ergangen? Haben sie's Dir an nichts fehlen lassen?« – »Warum nicht gar!« – erwiederte Seraphin dankbar und spiegelte sich in den blauen Augen, die ihn wohlwollend anschienen wie zwei Sonnen. »Du bist halt eine gute Gräfin, ein Mensch, so herzensgut als sauber dabei, und ich dank' Dir gar schön für das brave Essen. Jetzt kann ich den Lengrießer und seinen Fasttag auslachen.« –

Auch die Gräfin lächelte angenehm, und duldete gern, daß ihr der junge Plaschur den Rock küßte. Die Studenten näherten sich, der Gönnerin dieselbe Huldigung darzubringen. Sie streckte die Hände hin, und sprach den Gefährten des verschlagenen Michael an: »Sag' Er mir, was ist an der Komödie, die heute von denen Studenten aufgeführt wird? Die ehrwürdigen Väter der Gesellschaft Jesu versäumen keinen Anlaß, uns ein 164 Vergnügen zu machen.« – »Excellenz,« erwiederte der Student: »das Stück ist vortrefflich, das Laster wird bestraft und die gemißhandelte Tugend erhöht. Der reverendissimus Pater Rector selbst hat die Chöre im Text verfaßt, und sie sind in Musik gesetzt worden von dem ehrwürdigen . . . .«

»Also trefflich, schon gut,« unterbrach die Gräfin den Weitschweifigen, drehte sich dann zu dem nebenstehenden Michael, und fragte wieder: »Was hab' ich denn so eben hören müssen?« – Michael wechselte die Farbe. Seraphin verstand nicht, warum. Die Gräfin, ohne davon Notiz zu nehmen, fuhr fort: »Der Oberist, der Luigi Maratti, soll sich heute früh selbst entleibt haben?« – »Leider ist's so, gnädigste Excellenz,« antwortete Michael, der mit Vergnügen vernahm, daß die Gräfin keinen Verweis gegen ihn in petto hatte: »der Mann hat sich mit einer Pistole todt geschossen.« – »Ja, ja, so ist dieses Volk,« nahm die Gräfin wieder das Wort: »in Sünden gelebt und in Sünden gestorben.« – »Ich glaube, daß Kränklichkeit und Dürftigkeit an der vorschnellen That schuld gewesen,« bemerkte Michael unterthänig. Worauf die Gräfin streng: »Wie? Er nennt vorschnell, was eine gräuliche, ja die gräulichste Sünde ist? Schäm' Er sich. Laß' Er mich das nicht wieder hören. Wer hat Ihm gesagt, daß der Maratti wegen Kränklichkeit und . . . .« – »Ich hab's von einem seinigen Kameraden . . . .« sagte Michael, verwirrt werdend. »Wie kommt er mit selbiger Bagage zusammen?« fragte die Gräfin unerbittlich weiter. Immer verwirrter stotterte Michael: »Nicht ich selber, Excellenz . . . . nicht ich . . . . die dritte Hand . . . .« – »Schweig' Er. Er sollte von einem miserabeln Theatersänger ums Geld nicht das geringste wissen.« – »Vergeben Eure Excellenz,« fuhr Michael unbesonnen heraus: »der Luigi Maratti ist nicht ein miserabler Sänger gewesen, sondern ein Sänger von 165 viel Stimme und Musik; man wußte zudem gar nicht, worinnen er wohl mehr sich hervorthat, in der Action oder im Gesang. Ich versichere Eure Excellenz, wenn er heraustrat als Raimundo in seinem Harnisch, ganz von Silberflindern und mit dem stolzen Federhut . . . .« Plötzlich, aber leider allzu spät, hielt der hingerissene Sprecher inne, und Seraphin gewahrte mit bangem Schrecken, daß der Gräfin Taubenaugen sich in solche verkehrt hatten, wie die selige Grödnerin sie führte, oder wie noch ein einziges in Lengrießer-Lämmchens Antlitz vorhanden.

Mit der heftigsten Erbitterung blitzten diese Augen den ertappten Studenten schier zu Boden. Der Donner blieb nicht aus, und rollte folgendermaßen aus der sanften Gräfin Munde: »Er impertinenter Bursche, Er: Heuchler und Lügner! mußte es so kommen, daß ich Ihn endlich ertappe? Woher weiß Er, wie der Maratti ausgesehen, wie er gesungen? woher Seine Begeisterung, wenn Er nicht den Komödianten auf den Brettern gesehen hätte? So ist also wahr, daß Er in die Oper geht, die da ist ein höllischer Abgrund für alle jungen Leute? Und nun glaub' ich erst von Herzen, was mir schon zu Ohren gekommen, daß Er sich hin und wieder nicht entblödet, in besagter Opera für Geld, und um der Liederlichkeit zu fröhnen, den EssigkrugEssigkrug: Scherzname der in den Jesuiten-Komödien vorkommenden Statisten. zu machen. Ja, ja, läugne er nicht, halt' Er das Maul. Er weiß, daß im gräflich Rechtendorf'schen Hause für die armen Studenten-Kostgänger ein Gesetz ist, weder Schenken noch am allerwenigsten das Theater zu frequentiren. Er hat dagegen gesündigt, und von heut' an in diesem Hause nichts zu suchen. Scheer' Er sich augenblicklich hinaus, und Er, Gabriel, wenn Ihm an der gräflich 166 Rechtendorfschen Gunst etwas liegt, nehm' Er ein Beispiel, und eine Warnung sey Ihm dieses heuchlerischen Komödianten Exempel!«

Da war nicht zu handeln, nicht zu markten; es mußte dem Befehl gehorcht werden. Einige falsche Thränen im Auge schob sich Michael aus der Thüre; Gabriel folgte mit zerknirrschter Reverenz, und so wie öfters, wenn ein Knabe davongejagt wird, auch die andern sich durchmachen, in der Meinung, die Reihe werde noch an sie kommen, so wollte Seraphin ebenfalls gekrümmten Rückens den Studenten nachschlüpfen. Aber die Gräfin, die schnell ihre Taubenaugen wieder gewonnen hatte, rief ihn zurück, und sagte ihm: »Du Patscher, das geht Dich ja nicht an. Hie und da muß man schon mit den abgedrehten Schmarotzern auf solche Weise abfahren. Das hat aber nichts auf sich, und ist gesund für die Herren aus der Schule. Was Dich betrifft, so geh' jetzt in Frieden und Gottesnamen, wenn Du willst. Hast Du einmal wieder etwas Schönes, so komm' dreist, es mir zu zeigen. Dein Hansel ist schon im Käfich wohl aufgehoben, und die Kraxe wirst Du beim Portier finden.« So entließ die Gräfin Seraphin aufs anmuthigste.

»Potz Stern!« sagte Seraphin, davongehend: »Da hab' ich mich geschnitten mit den Tauben und mit der Sanftmuth. Die gnädige Gräfin kann ja, wenn sie will, so gemein seyn, wie die gemeinen Leute. Wer hätte das gedacht?« – »Ja wohl,« sagte ihm eine Stimme in's Ohr. Es war der Hektikus, der neben ihm stand. »Wer hätte auch gedacht, daß ich heute statt Deiner eine Maultasche würde einstecken müssen, Du Rebell und Malkontenter?« – »He! was heißt das Alles?« fragte Seraphin, und der Andere versetzte: »Das heißt, daß Du in einem vornehmen Hause nicht mehr laut denken sollst. Wenn die Fledermaus Deine letzten Worte gehört hätte, 167 Du würdest nur mit blauem Buckel davonkommen. Ich will ihr aber keine Freude machen, und darum geh' in Frieden, und danke dem Himmel, daß heute der Büchsenspanner mit dem Grafen über Land ist, sonst hättest Du der Spitznase das Loch in ihrem Strumpf nicht unvergolten vorgeworfen. Er ist ihr Liebhaber und salva venia Bräutigam, und führt eine respektable Faust. Adieu, Kleiner.«

Seraphin schlenkerte die leere Kraxe auf seine Schulter, pfiff vor sich hin, und sein Liedlein klang: »Das ist ein schönes Gesindel übereinander; Schuhbürste und Besen können sich nicht leiden, ist Eines so schlimm als das Andere. Und die Herrschaften . . . . daß Gott erbarm'! Der arme Landsmann ist sauber in die Patsche gerathen. 's geschieht dem falschen Bruder schon ein bissel Recht, aber doch nicht ganz. Ein wenig Nachsicht würde der Gräfin fein angestanden haben, und es sollte ja in der vornehmen Zucht selber liegen, daß sich die Herren und Damen nicht so blank und gäh dem Zorn überlassen, wie die armen und dummen Leute. Aber nach der Erziehung wird, wie es den Anschein hat, nicht viel gefragt; die Hauptsache ist, von Adel und Ansehen zu seyn. Die Tante Lenerl zu Imst wäre eine weitaus manierlichere und christlichere Gräfin geworden, als die Rechtenfeld'sche.«

So wie der Name der Tante Martinas ihm beifiel, stand Seraphin betroffen still, schlug sich wie ein Vergeßlicher, der sich auf das Versäumte erinnert, vor die Stirne, und suchte alsdann hastig und unruhig in seinem Hängranzel. »Es kann doch in ganz Schwabenland einen heillosern Drottel nicht geben, als ich einer bin,« zankte er sich aus: »Da lehne ich schon vierundzwanzig Stunden lang in der Stadt herum, in allen vier Ecken und Weltgegenden, laufe von Haus zu Haus, balge mich in Gedanken mit der garstigen Raupe, dem Peter 168 Tammerl, herum, denke nur halb an mein liebes Schatzl, und habe die Tante Lenerl ganz und gar vergessen. Wo ist denn das Packl von der Tante?« Er suchte fleißiger, und fand es unter den für Peter bestimmten Schlafhauben versteckt. »Ich will gleich bestellen,« sagte er: »wohin gehört's denn?«

Eine Adresse befand sich auf dem kleinen Päckchen, und sie war recht leserlich geschrieben, die Adresse: dennoch sah es aus, als könne Seraphin sie nicht entziffern. Er las und las wieder, und drehte das Päckchen hin und her; immer blieb die alte Aufschrift, wie sie gewesen, wurde nicht länger, nicht kürzer. Seraphin mußte sich endlich gestehen, daß er nicht träume oder konfus im Kopfe sey, und daß eben in Wirklichkeit die Aufschrift lautete: »An Sr. Hochwohlgeboren, den gnädigen Herrn von Dobroslaw, abzugeben im Frieger'schen Hause nächst Mariähülf.«

Seraphin starrte die vertrackte Adresse noch lange an, und rief im hellen Zorn: »'s ist viel, wenn das nicht ein höllischer Spuck von der Grödnerin oder vom Hexenmeister Liebl ist, um mir allen Appetit an der Stadt Innsbruck zu verderben! Muß denn der verwünschte Name mir überall vor die Augen kommen? Kann ich's denn nicht dahin bringen, dem Herrn, den ich einmal nicht leiden kann, auszuweichen? Da möchte Einer doch gleich . . . .!« Wenn auch der gut christliche Plaschur die Verwünschung verschluckte, die sich ihm auf die Zunge gedrängt hatte, so war doch keineswegs seine Gesinnung friedfertiger geworden. Er warf murrig seine Kraxe in Lengrießers Gewölbe ab, und wollte schon dem hungrigen Benedikt einen Kreuzer schenken, damit jener den Brief bestelle. Aber plötzlich reute ihn der Entschluß, sein Ehrgefühl behielt die Oberhand; er wollte selber ausrichten, wozu er sich anheischig gemacht, und sich nicht mehr kindisch ärgern und fürchten. »Der Mann kennt 169 mich ja nicht,« sagte sich Seraphin zum Troste: »weiß gewiß kein Wort von des Grödners abenteuerlichen Grillen . . . . und was fürchte ich denn eigentlich? daß er in der That seyn möchte, wofür ihn der Grödner ausgeben will? Pfui, Seraphin. Deiner Mutter Andenken sollte Dir heiliger seyn, als daß Du nur eine Minute lang zugäbest, was der Grödner in den Tag hinein diftelt und platzedert. – Ha, ha, ich freue mich sogar, einmal den Herrn zu sehen. Ist er nicht der alte Schatz von der Tante Lenerl? Richtig; und haben nicht heute die Herren bei dem Husarenfräulein von ihm geredet, und zwar, wie mich dünkt, nicht sehr zu seinen Gunsten? Ha, ha, ich könnte ihm nebenbei ausrichten, wie das Fräulein sein Geschenk aufgenommen? Aber pfui doch, was geht das mich an?«

Die Sache war, daß sich allerdings Seraphin noch immer vor einer Entdeckung fürchtete, die ihn bedrohte, wie ein gräßliches Gespenst; daß er innerlichst wünschte, den fraglichen Herrn gar nicht zu Hause zu finden; und daß er seinem Ziele zuschlich, wie ein Lamm der Schlachtbank. – Das Frieger'sche Haus lag sehr ländlich und angenehm, etwas oberhalb der Mariähilfkirche, die als ein Denkmal des Danks der tirolischen Landstände für die glückliche Abwehrung der Kriegsplage zur Schwedenzeit und für die Wohlthat des westphälischen Friedens errichtet worden ist. Ein anmuthiges Gärtchen umgab das Haus, mit Gängen von Rebenlaub beschattet. In dem Gärtchen saß eine schwarzäugige, etwas leichtfertig sich geberdende Frau, ein Stück von Haushälterin, und schwatzte traulich mit einem vor ihr stehenden jungen Mann, den der bunte Troddelsack unterm Arme als einen ehrsamen Badergesellen auswies. Auf die Frage Seraphins nach dem gnädigen Herrn erwiederte die Frau mit einem flüchtigen, aber wohlgefälligen Blick auf Seraphin: »Geh' nur hinauf. Der gnädige Herr ist gerade zu Hause und zu 170 sprechen.« – Seraphin entgegnete wieder verlegen: »Schau', 's wär' mir halt so viel lieb, wenn Du so gut wärst, und wolltest dem Herrn das Packl hinauftragen.« – »Schau',« entgegnete ihm ihrerseits die Haushälterin, »schau', wie ein junges Blut so faul seyn kann, die Beine über die Treppe zu schonen! Spring' nur hinauf, und mach' Dir selbst den Kammerdiener. Bist nicht zu gut dazu!« –

Es blieb in Gottesnamen nichts Anderes übrig; in den sauern Apfel mußte gebissen werden. Seraphin murrte hinansteigend mit seinem Geschick: »Ist denn dieses nicht zum Zerspritzen vor Aerger? 's ist die verkehrte Welt. Ueberall, wohin ich heute gewollt habe, bin ich abgewiesen worden oder zur Unzeit gekommen, und hier, gerade hier, wo mir das Abweisen recht gewesen wäre, eben hier finde ich alle Thüren im Voraus offen!« Trutzig streifte er seine Schuhe vor der obern Stube ab, trutzig nahm er das Hütl unter'n Arm und das Päckchen in die Hand; mit dem verdrießlichsten Gesicht ging er zu dem gefürchteten Herrn hinein.

Es sah doch nicht so furchtbar und entsetzlich in der Wohnung des Herrn von Dobroslaw aus. Im Gegentheil war Alles darinnen und daran sauber, reinlich und von übertriebener Nettigkeit. In dieser Beziehung hätten der gnädige Herr und die Tante Lenerl überaus trefflich zusammengepaßt. Da war nicht ein Stäubchen zu sehen, nicht ein Federchen klebte an irgend einem Gegenstand. Der Schreibtisch glänzte, wie das Kanapé; die Falten in den Vorhängen waren noch so unberührt, als wären die Vorhänge erst von der Nadel gekommen; die Gefässe an den Fenstern, worinnen Hyacinthen und Tulpen blühten, schienen eben erst aus dem Ofen des japanischen Porzellankünstlers gezogen worden zu seyn. Das Schlafzimmer zur rechten Hand hätte mit dem einer Stutzerin um den Rang streiten können; das Schmollzimmerchen 171 zur linken Hand war von Seide von oben bis unten und ein herrlicher Winkel zum Faullenzen und zum traulichen Gespräch. – Als Seraphin in die stille und nette Behausung trat, befand sich der Herr derselben wirklich faullenzend im Schmollwinkel, und streckte sich behaglich auf dem türkischen Divan, entledigt von der Stadtkleidung und angethan mit einem weißen Kamisol, das von rosarothen Bändern zusammengehalten wurde. – »Was bringst Du mir, Junge?« fragte er, des Boten ansichtig werdend, heraus.

Seraphin zuckte auf, als hätte ihn Martina gezwickt. Mit gespitzten Ohren sagte er, noch im mittlern Zimmer verweilend: »Ich hätte da etwas von Imst für den gnädigen Herrn.« – »Gib's nur herein,« hieß die Antwort. Neugierig tappte Seraphin in das Kabinet, überreichte sein Päckchen, und trat wieder bescheiden in's Mittelzimmer zurück. An's schnelle Fortgehen dachte er jetzt nicht mehr. Eine gewisse Ueberraschung, aber auch eine gewisse schadenfrohe Heiterkeit strahlte aus seinen Augen. Indessen zog der Herr von Dobroslaw, um die Depesche zu öffnen und zu lesen, den niedergelassenen Vorhang auf. Seraphin, im beständigen stillen Zweisprach mit sich selber, nickte zufrieden, nachdem er den Herrn noch einmal angeblickt, und sagte: »Jetzt bin ich schon ruhig. Die Mutter hat im Leben etwas Besseres zu thun gewußt, als sich in den alten Heiter da zu verlieben. Mag freilich dazumal noch jünger und sauberer gewesen seyn, das rare Mandl, aber gewiß nicht weniger ein hasenfüßiger Komödiant, wie er heute gewesen. Denn, ich irre mich nicht, das ist dasselbe alte Herrl mit der Flitschen, das heut' am Morgen dem durchsichtigen Weibsbild so viel Galle gemacht hat. Schau', schau, wie die Leute zusammenkommen! O Du traurig's Mannerl! o Du dalketer Grödner!«

Auch wenn diese Betrachtungen laut ausgesprochen worden wären, hätte Dobroslaw sie schwerlich gehört, denn er war ganz versunken, wenn nicht gerade in Lenerls Brief, so doch im Anschauen der kostbaren Beinkleiderschnallen, die sie ihm als ein Geschenk zu seinem jüngstverwichenen Geburtstage in den zärtlich freundschaftlichen Brief eingeschlossen hatte. »Die Steine sind schön, die Fassung ist reich, die Geberin hat Geschmack,« äußerte Dobroslaw in seinen Gedanken: »der Brief ist, wie er seyn soll, wenn eine alte Jungfer, die ihre Strenge bitter bereut, ihn einem Manne, wie ich bin, schreibt. Auf dieses hin könnten wir fußen und zu erreichen suchen, was uns fehlt.« – Mit einem obenhin entworfenen Plan im Kopfe trat Dobroslaw zu dem Briefboten. »Gehst Du bald wieder heimwärts?« fragte er denselben. – »Morgen.« – Der gnädige Herr fing an, den jungen Menschen bedächtig von Kopf bis zu den Füßen zu betrachten. Zögernd fuhr er inzwischen fort: »Wolltest Du auch mir einen Brief an die ehrsame Jungfer Prombergerin bestellen?« – »Das kann schon seyn.« – »Du scheinst ein rüstiger Bube zu seyn. Wir kennen uns schon, wenn ich nicht irre?« – »Ich glaub's.« – »Ja, ja, ich besinne mich. Du bist heute bei der Frau von Neuhof eingetreten, und hast mich in einer verdammt lächerlichen Stellung gefunden.« – »Ja wohl, zum Lachen war's.« – »Weißt Du, wie ich dazu kam?« – »Nein.« – »Ich will Dir's sagen, damit Du es der Jungfer Prombergerin erzählen kannst.« – »Ei, das geht mich nicht an. Ich bin nicht so gemein mit der Jungfer Lenerl.« – »Desto besser,« murmelte Dobroslaw in seine weit vorstehende Hemdkrause, setzte aber nichtsdestoweniger seine Rede fort: »Ich wollte mich eben niedersetzen, da brach mein Degengürtel, die Klinge stürzte aus der Scheide, und, schnell gebückt, sie aufzuraffen, fiel ich selber halb zu Boden. Der ungebetene Spaß hat mich mein schönes blauseidenes Beinkleid gekostet, das auf dem Knie zerplatzte.« – »Mußt halt ein 173 andermal den Bratspieß fester anbinden,« erwiederte Seraphin trocken. Die Erzählung kam ihm sehr glaublich vor. Was wußte er auch von den überschwenglichen Liebeserklärungen auf einem oder auf beiden Knieen, mit dem bloßen Degen in der Faust abdeklamirt? Derlei ist von jeher nur in Städten Sitte gewesen. Das Volk auf dem Lande kniet nur vor Gott, am Sterbebette seiner Blutsfreunde und vor dem Feinde, wenn um »Pardon« geschrieen werden muß, welches Letztere den Tirolern nicht oft begegnet ist.

Der gnädige Herr las die Unbefangenheit des Vintschgers mit leichter Mühe von dessen Stirne, und hob abermals viel gefaßter an: »Thut nichts, ich bin Dir dennoch gut, wenn Du mich schon in der lächerlichen Positur gesehen hast. Weil Du aber morgen schon zurückgehst, und der vielgeehrte Brief der Jungfer Prombergerin mir große Freude gemacht hat, so halte ich es für meine Pflicht, ohne Verweilen eine Antwort darauf zu geben. Setz' Dich indessen ohne Umstände in jenen Stuhl; ich bin in kurzer Zeit fertig.« – »Kann schon warten, wenn's nicht gar zu lang dauert.«

Dobroslaw begab sich an den Schreibtisch, und Seraphin, statt Platz zu nehmen, betrachtete neugierig das blanke und geschniegelte Hausgeräth des gnädigen Herrn, der selber, in seinem koketten Négligé, das Muster eines ächtzünftigen Mitihmsalters, wie eine alte verkleidete Jungfer im Mittelpunkt seines zierlichen Nestchens saß. Alles an dem guten Herrn hatte den Anschein des Künstlichen. Seine rothen Bäckchen waren wie geschminkt; seine wohlbesorgten Zähne hätte man leicht für falsche halten können; man fühlte sich versucht, seine Waden mit der Stecknadel zu sondiren. Was von den Vorzügen einer jugendlichern Zeit ihm übrig geblieben, stimmte 174 nicht mehr zu der trippelnden Ohnmacht des verbrauchten Lebemannes. Seraphin fühlte das, ohne sich dessen deutlich bewußt zu seyn, und immer stolzer nahm in ihm die Zuversicht, dieser Mann könne nun und nimmermehr sein Vater seyn, ihre Ehrenstelle in seiner Seele ein. Da kehrte er sich einmal, den Blick von den gestreiften Tulpen abwendend, dem Kanapé zu, und ein Bild über demselben fiel ihm in's Auge: das Bildniß eines Offiziers in stattlicher weißer Uniform mit grünen Klappen. Ei, das war ein Mann! so unähnlich dem am Schreibtisch Sitzenden, und dennoch ihm wieder so ähnlich. – Die Grundzüge im Antlitz des Schreibenden waren auch die des Gemalten, aber wo in den erstern Schlaffheit, lag in denen des Andern eine große Thatkraft; die Augen des Porträts waren nicht feucht und verglasend, sondern feurig und durchdringend, der Mund kühn aufgeworfen und nicht verderbt durch fader Gemeinplätze und Süßlichkeiten unaufhörliche Ergießung. Stirne und Kinn waren voll von Zeichen der Kraft einer markigen Natur. Ein Anflug von Schwermuth verdüsterte die erstere, kriegerisch sprang die letztere hervor. Des schreibenden Dobroslaw Stirne hingegen war ein unbedeutendes Rechenbrett von Elfenbein; sein Kinn das neugierig gestreckte einer klatschenden Base.

Dennoch sagte der gnädige Herr, der sich eben einmal nach Seraphin umgedreht hatte, mit Wichtigkeit und Stolz: »Das Bild stellt meinen Bruder Eugen vor. 's ist hübsch gemalt; was meinst Du?«

Den armen Jungen überlief es heiß. Da war auch der Vorname jenes Offiziers, den er fürchtete. Das war also der Mann, der jene Briefe geschrieben, der das Geschenk gespendet, das jetzo feurig wie eine Kohle in Glut auf Seraphins Brust lag! Dieser Mann hatte also Seraphins Mutter geliebt; von diesem Manne also behauptete der Grödner . . . .? – Hastig fragte der junge 175 Plaschur: »Wo ist denn jetzt Dein Bruder? Lebt er noch, oder . . . .?« – Ihm wäre recht gewesen zu vernehmen, daß der Offizier in irgend einer Schlacht ehrenvoll geblieben, aber der Herr Bruder antwortete gleichgültig: »Freilich lebt er, und hat's ungemein gut getroffen; nachdem er vor Jahren lange zu Botzen sich aufgehalten, hat er eine reiche Heirath gemacht, ein Rittergut in Mähren gekauft und den Dienst verlassen. Nach dem Tode eines Onkels seiner Frau ist er, die reiche Erbschaft einzusammeln, nach Holland gegangen, und so viel ich weiß, daselbst verblieben.« – »So viel Du weißt. Ihr seyd Brüder, und doch einander fremd.« – »Ach Du Narr! wie es eben geht in der Welt. Das verstehst Du nicht. Wir sind halt von einander verschieden, wie das Feuer vom Wasser. Haben uns nichts von Belang zu sagen. Warum also schreiben? Das Bild ist von einem berühmten Maler gemacht, und ein wahres Kapital, wenn ich einmal einen Liebhaber dazu finde.«

Dobroslaw schrieb noch eine Weile fort, und Seraphin hatte Zeit, sich Gedanken zu machen über die Kälte und Lieblosigkeit der vornehmen Stadtleute, und über die seltsame Hartnäckigkeit, womit das Schicksal oder die Macht des Zufalls darauf bestand, ihm ohne Unterlaß den Namen und das Bild und Gedächtniß eines Mannes vor die Seele zu führen, von dem er gar zu gern nicht das geringste jemals gehört zu haben wünschte. – Indessen, wie Alles in der Welt, so ging auch des Herrn von Dobroslaw Brief zu Ende, wurde noch einmal stille überlesen, mit billigendem Kopfnicken approbirt, gesiegelt mit einem ansehnlichen Wappen, und mit den besten mündlichen Komplimenten, auch einem ziemlich anständigen Präsent an den Ueberbringer zur fernern Bestellung übergeben. – Seraphin machte, daß er geschwinde aus dem Eau de hongrie duftenden Dunstkreise des gnädigen Herrn kam; es war ihm schwül 176 und ängstlich zu Muthe geworden neben dem jugendheuchelnden Cassandro, und vor dem lebenskräftigen Bildniß, das gleich wie mahnend und herausfordernd den guten Jungen angesehen hatte. Aber auf der freien Straße, unter dem reinen golddurchfunkelnden Himmel angekommen, warf Seraphin schnell seine Sorgen und Befürchtungen mit jugendlicher Schnellkraft über Bord, und widmete sich ausschließlich dem Bestreben, wo möglich noch etwas von dem Peterl Tammerl zu erfahren, und seinen Heimzug vorzubereiten.

»Noch einmal denn zum Bäcker Wohlrauch!« sagte er: »der Mann ist zwar grob, aber nur von ihm kann ich vielleicht noch hören, was mir taugt. Ein rupfenes Hemd ist auch grob; es hält aber dechter warm.« – Auf dem Wege zum Hause des Bäckermeisters mußte er die Brücke passiren. Da stutzte auf einmal des ehrlichen Knaben Fuß und Auge. – Ein paar Schritte von ihm entfernt, spazierten im Nachmittagssonnenschein in ihren gravitätisch umgeschlagenen Philosophenmänteln mehrere Studenten, und hörten eifrig der Erzählung zu, die Einer aus ihnen eifrigst und gestikulirend vortrug. Der Erzählende war der Mayr-Michael, und was er berichtete, unfehlbar die traurige Geschichte seiner Verweisung aus dem Rechtenfeld'schen Hause. – Aber nicht dieses Michaels Anblick war's, der Seraphins Aug' und Ohr und Fuß stutzen machte, sondern die Figur des Studenten, der auf dem rechten Flügel ging, und zu dem vorzugsweise der Michael redete, beschäftigte ihn ganz und gar. Denn – es war nicht zu läugnen – selbiger Student war der Peter Tammerl mit Haut und Haar, vom Scheitel bis zur Zehe, nur um ein gutes Stück größer geworden seit der Begegnung auf der Zerzeralp, deren sich Seraphin wohl erinnerte. Aber wie ein junger Mensch binnen acht oder neun Monaten aufschießen kann, wußte Seraphin von sich selber zu sagen. – Wie kam 177 jedoch der Peter aus dem Bäckerhemde in den Studentenmantel, unter den kleinen dreispitzigen Hut, in die zierlich gestärkte langzipfliche Halsbinde? Das Räthsel zu lösen, mit Herzpochen und wachsender Begierde, folgte Seraphin den steif spazierenden jungen Herren in die Stadt hinein. Der Peter ging dreist an des Wohlrauch Behausung vorüber, den Stadtplatz hinauf, als wäre ihm gar nichts Uebles beigefallen, und der Michael würgte noch immer an seiner Leidensgeschichte Vortrag, und konnte dessen kein Ziel und Ende finden, so daß die innere Stadt von der Gesellschaft durchschritten, und bereits die heitere Neustadt erreicht war, ehe noch der redselige Michael zum »Amen« gekommen. – Ungeduldig wie Seraphin, der nur dieses »Amen« erwartete, um vermittelst eines beliebigen Vorwands die Gesellschaft der Studenten anzureden, unterbrach der Peter Tammerl den Mayr-Michael, und sagte kurz: »Nun, nun, nun, was ist denn daran? Ist da etwas zu lamentiren? Die Gräfin ist nicht die Welt und für den Kosttag will ich schon sorgen, wenn Du kein anderes Haus weißt. Ich sage meinem Herrn Vater nur ein Wort, und damit basta. Du kommst wenigstens bei uns nicht an einen Tisch, wo der Hauspummerl den Vorleglöffel führt.« – Seraphin, diese Worte hörend, gab seine letzten Bedenklichkeiten auf. Ja, das war des Peters Stimme, die bald im hellen Diskant redete, bald in den rauhen Hochbaß überschlug, ja, das war seine Manier, zu sprechen, kurz und herb und abgestoßen, als ob er mit seiner Zunge GsottGsott: der zum Abbrühen und zum Viehfutter bestimmte Abfall von ausgedroschenem Getreide. schnitte. – Von diesem Augenblick an konnte Seraphin sich nicht mehr halten. Ohne ferner vor dem Studentenmantel sich zu scheuen, voll von Eifer, seiner Herrschaft einen wichtigen Dienst zu leisten, drängte er sich zwischen den auf gut spanisch aufgestemmten Ellenbogen der jungen Herren hindurch, und fiel den Gegenstand seiner 178 Beobachtung mit der Freundlichkeit eines Hundes, der seinem Meister unverhofft begegnet, an: »Ach, so grüß' Dich Gott, Peter Tammerl! find' ich Dich endlich nach mancher Sorg' und Pein? Ei, wo treibst Du Dich herum, daß die ganze Welt Dich für verloren ausgeben muß?« –

»Mein, mein, wer ist denn der Bub', was will der Narr?« fragte der Angeredete entgegen, und wußte nicht. ob er zu lachen, ob zu schelten habe. »Er heißt Seraphin, und ist ein Vintschger, mein Landsmann just, von dem ich Euch erzählte,« antwortete der Mayr-Michael: »ein wunderlicher Kauz voll Salz und Einfalt.« – »Thust Du nicht verwundert, und wir haben uns doch auf der Zerzeralp gesehen, es sind kaum drei Vierteljahre vorüber? Hast ein kurz Gedächtniß, aber ich kenne Dich ganz wohl, hast auch von meinem Enzian getrunken, wenn schon nicht gar viel. Sag geschwind, daß Du mich kennst, Peterl.« – Worauf der Andere mit Gelächter: »Nun brav, meintwegen, 's wird schon seyn. Sey nur zufrieden, Seraph, und sag mir, was Du willst.« – »Für's Erste soll ich Dich grüßen von Deinem Vater, und alsdann noch etwas besser von der Mutter, und da hab' ich einen Brief von ihr an Dich und ein paar Schlafhauben und einige paar Strümpfe. So. Die Martina hat mir nichts für Dich aufgetragen und die Tante Lenerl auch nicht. Es ist mir auch nicht befohlen worden, Dich auszumachen; die guten Leute dort haben halt noch nicht gewußt, was Du angefangen, und daß Du vom Bäckerofen weg unter die Studenten gegangen. Nun, Gott sey Dank, daß Du noch wenigstens unter halbehrliche Leute gerathen bist; Du hättest es noch weit ärger treffen können, und es hätten Dich etwa die Ueberreiter beim Schopf, und quartierten Dich als einen Landläufer beim Prügelvater ein. Aber dennoch kann ich's nicht lassen, Dir den Leviten 179 herunterzulesen, sobald Du nur einmal den Brief zu Dir genommen haben wirst.« – Seraphin bemerkte in seinem Eifer nicht, daß die Studentengesichter um ihn her mit krampfhaften Zuckungen kämpften, bald roth, bald sogar blau anliefen, und nur mit äußerster Mühe das allgewaltige Lachen zurückhielten, das rebellisch aufpuffte, und gänzlich auszubrechen drohte. Der Peter allein behielt sein Phlegma bei. »Weil Du es so haben willst, werde ich den Brief meiner Frau Mutter alsogleich aufbrechen,« sagte er, und that, wie er gesagt. – »O Du Narr,« raunte Michael dem Seraphin zu: »wohin denkst Du? den Brief hättest Du ihm nicht geben sollen.« – »Warum denn nicht?« fragte Seraphin laut entgegen: »ist er denn nicht der Peter Tammerl?« – »Ja freilich ist er's,« rief Michael, riefen die Andern. – »Nun denn, was für ein Maul hat also der Mayr-Michel? Du bist halt doch der verschlagene und abgedrehte Gesell, den die Burgeiser aus Dir machen, tragst auf beiden Achseln, und schießest aus jedem Büchsel, wenn's nur schnellt.« – Das Gelächter der Studenten wollte heftiger werden; Peter hob indessen an, den Brief laut vorzulesen, und mit der Aufmerksamkeit stellte sich Ruhe ein. – »Herzliebster Sohn Peter! Du glaubst nicht, wie verzagt mein mütterliches Herz geworden ist, seitdem Du hast von Imst verreisen müssen. Ich habe nichts von Dir bei Handen, als zerrissene Kleider und schmutzige Fetzen, aber so oft ich sie ansehe, möchte ich Blut weinen. Was ist denn an einer Mutter, die ihr liebstes Kind nicht mehr an der Seite hat? Ich schließe Dich alltäglich in meine Andacht ein, und habe mich wegen Deiner einstigen glücklichen Anherkunft der heiligen Mutter-Gottes und Wunderthäterin von Trens verlobt. Sie ist die hülfreichste unter allen Muttergottesen auf viele Meil' Wegs um und um. Sey nur ruhig, Peterl, Du wirst 180 schon bald wieder heimkommen, ich will's schon machen. Es ist nur eine von Deines lieben Vaters Sekten, daß er Dich das Bäckerhandwerk will erlernen lassen. Zu welchem Ende? frage ich. Ich wollte eher, daß Du studiren möchtest . . . .« – »Das thu ich ja,« schaltete der Leser ein, und die Zuhörer trippelten vor Lustigkeit, und Seraphin war von der Zärtlichkeit des Briefs tief gerührt – »wenn wir nur hier zu Imst Gelegenheit dazu hätten; denn ich lasse Dich nun und nimmermehr von meiner Seite fort, wenn Du einmal zurückgekehrt seyn wirst. Wie gesagt, ich will's schon machen, und weil Du mit der Schwester bis dato noch nicht gut auskommen magst, werd' ich Dir einen Platz rein kehren, damit Du nicht sekkirt werdest.« – »Hab' ich doch bis jetzt noch nicht gewußt, daß ich mit meiner Schwester über's Kreuz bin!« unterbrach sich der Leser abermals. – »Weiß ich doch jetzt noch nicht,« wurde der Lesende seinerseits von einer tiefen Männerstimme unterbrochen, »wo Du gelernt hast, einen armen Buben boshaft zum Gespött zu machen, und dir Briefe zuzueignen, die nicht für Dich geschrieben wurden.« –

Zwischen dem erschreckten Seraphin und dem erblassenden Peter stand ein ansehnlicher Mann, der sein ursprünglich gutmüthiges Gesicht in ein recht drohendes verzogen hatte, und dem ertappten Muthwilligen die Epistel unwillig aus den Händen riß. – »Geschwind in's Haus herein!« befahl er: »ich will nicht den Passanten einen mit Recht erzürnten Vater voragiren! Komm auch Du herein, Du einfältiges mißbrauchtes Schaf.« – Seraphin folgte verdutzt der strengen Einladung. Beim Auftritt des ungebetenen Zuhörers hatten die schwarzbemantelten Essigkrüge der Straßenkomödie sich flugs nach allen Seiten zerstreut, und daher befanden sich nur die beiden Hauptakteurs in dem Hinterstübel eines Spezereigewölbs vor dem Richterstuhl des Herrn Joseph Tammerl; denn 181 kein anderer als eben er war der zornige Vater, und der Student sein leiblicher Sohn. – »Peter, Peter, was hast Du gethan? Schämst Du Dich nicht von Herzen vor diesem armen Burschen?« fragte Herr Joseph mit allem Gewicht der Betrübniß, die seines Sohnes unzeitiger Spaß ihm machte. »Der Herr Vater wolle mir verzeihen, ich will's gewiß nicht wieder thun,« entgegnete der Sohn unterwürfig. Aus seinem Gesicht sprach die aufrichtigste Reue und der Schmerz, des Vaters Unwillen verdient zu haben. – »Jetzt seh' ich wohl, daß Du der rechte Peter nicht bist,« sagte Seraphin treuherzig: »so gut und ehrlich, wie Du jetzo aussiehst, vermag der Peter, den ich meine, schwerlich auszuschauen. Aber geh! eine solche Aehnlichkeit, wer hätte sich dieses einbilden können? Verzeih' der Herr nur immerhin dem Muthwillen. Ich selber hab's an den Peter da gebracht.« – »Du bist eine gute Seele,« versetzte Joseph Tammerl: »der Bursche hat sich bei Dir zu bedanken. Ich habe freilich auch schon gehört, daß er meinem Brudersohn sehr ähnlich seyn soll. Nun, mein Bruder und ich sind auch so ziemlich von einer Positur. Wären wir nur einerlei Sinnes gewesen von jeher! Aber da hat's allerlei Hacken gegeben, von frühester Jugend an, und aus den Hacken ist eine tüchtige Feindschaft geworden, ich weiß nicht recht warum und wie? Ich wäre schon längst geneigt gewesen, den Frieden herzustellen, aber mein Bruder hat niemals die versöhnliche Hand reichen wollen. Nun, wenn's Gottes Wille ist, wird's doch noch vor unserm beiderseitigen Ende geschehen. Wie geht's denn dem Bruder und der Frau Mutter, und der Schwägerin und meiner kleinen Nichte? Ich habe die Kinder noch mit keinem Auge gesehen. Der Imster-Peter hat nicht einen Fuß in mein Haus gesetzt; es wird ihm verboten gewesen seyn. Doch kann ich mir das 182 Kreuz denken, das sein Davonlaufen den Eltern machen wird.« –

Seraphin gab, wie er's vermochte, Bescheid von den Imster-Verhältnissen, und zum Dank traktirte ihn Herr Joseph mit einer wackern Merende, bei welcher das Ebenbild des schlimmen Peterl recht gut Freund mit dem Vintschger wurde. Auch die Frau des Spezereihändlers und seine Tochter Pauline wurden herbeigerufen, und unterhielten sich angelegentlich mit dem Boten, der ihnen so viel Neues von ihren nahen und dennoch feindlichen Verwandten zu erzählen wußte. Seraphin hatte nebenbei Gelegenheit, sich zu überzeugen, daß »die theure Zeit und lange Geduld« keineswegs die Wahrheit von Herrn Joseph und seiner Familie gesagt hatte. Joseph war ein schlichter Biedermann, sein Weib eine ehrliche stille Frau, der Sohn dem Vater liebevoll anhänglich und die Tochter recht hübsch, verständig und wohlerzogen. »Es ist gut,« gestand sich Seraphin etwas verwirrt, »daß die Pauline der Martina nicht so ähnlich sieht, wie ihr Bruder seinem Vetter; sonst weiß ich nicht, ob ich mehr aus diesem Hause und aus Sprugg gehen möchte?« – Die gefällige Pauline spielte dem neugierigen Fremdling ein paar Stückchen auf dem Klavier vor, das Herr Lengrießer aus eigener Autorität für ein lärmendes Pantalon ausgegeben; der Bruder schenkte ihm, seine Narrheit wieder gut zu machen, einige feinere Wäsche, und der Vater zeigte ihm mit einiger Selbstgefälligkeit die saubere Einrichtung und die großen Vorräthe seines Gewölbes, worinnen zwei Ladenbursche beschäftigt waren, die unaufhörlich ab- und zugehenden Kunden zu bedienen. »Du magst es wohl meinem Bruder und meiner Frau Mutter und etwa auch Deinem Herrn Lengrießer sagen,« äußerte sich Herr Joseph Tammerl, »daß auch mein Gewerbe einen guten Boden hat. Ich versorge die angesehensten Herrschaften der Stadt, und bin 183 niemals genöthigt gewesen, zu einer Aushülfe von dem Lengrießer meine Zuflucht zu nehmen. Mein Geschäft geht auf zwei Beinen, und eben darum halt' ich nicht für nöthig, mir und den Meinen allen Lebensgenuß abzuschneiden und zu kargen, wie ein Geizhals. Sollte ich denn, nach dreißig oder vierzig Jahren jammervollen Darbens und Schabens, mich unmuthig zum Sterben hinlegen, und trauern, meinen Mammon verlassen zu müssen? Wofür hätte ich dann gelebt, und mich und mein Weib und meine Kinder gekreuzigt, wie die Märtyrer? – Ein ächter Bürger ist meines Bedünkens im Lande, um sein Haus zu pflegen, seine Kinder zu versorgen, seiner Wittwe einen Ehrensitz zu hinterlassen, aus seinem Groschen einen Thaler zu machen, oder mehr, je nachdem ihm das Glück will. Aber er muß nicht seyn, wie ein Schwamm, der alles einfangt und alsdann vertrocknet, wenn ihn nicht eine harte Hand auspreßt. So er von seinen Mitbürgern leben will, muß er auch dieselben leben lassen; muß auch der Armuth gedenken und zwar nach Kräften, denn es ist die Armuth Vieler, die ihm erlaubt, reich zu seyn. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, aber gebt auch Gott, was Gottes; das ist mein Wahlspruch, und doch bin ich kein Betbruder, der Kirchen bereichert und dafür seine Familie verkürzt, bin kein Mangia Paradiso, wie die Lengrießer und Consorten. Aber ich will an jenem großen Tage, dem wir alle entgegengehen, mit dem Meister der himmlischen Waage schon eben so gut auskommen, wie diejenigen, die mich etwa verlästern, weil sie's nicht besser verstehen. Nun aber basta; ich bin da in's Predigen hineingekommen, und bin doch sonst kein aparter Freund davon. Die Hauptsache wäre, Du getreuer Seraphin, zu wissen, wohin der leichtsinnige Peter gekommen, denn ich gäbe schon etwas darum, wenn ich dazu helfen könnte, meinem Bruder, den ich gewißlich von Herzen liebe, wenn er184 auch mich nicht leiden mag, zu seinem Sohne zu verhelfen, ehe derselbe in böse Gesellschaft geräth und etwas anstellt, das ihn vielleicht sein Lebenlang gereuen dürfte.« –

Einer der Ladendiener, der in der halboffenen Thüre stand, und die Rede des Prinzipals vernommen hatte, sagte: »So eben hält ein Nolesiner vor dem Gewölbe, der einige Kisteln nach Matrey mitnehmen will. Er sagt, der junge Mensch, von dem der Herr spricht, sey gestern mit ihm und zwar bis Matrey gefahren; er habe sich zu ihm unterwegs als Passagier auf den Bock gesetzt und sich bald zu erkennen gegeben, viel über den Wohlrauch geklagt und geäußert, er wisse eine seinige Base zu Matrey, bei der er bleiben wolle, bis ihm sein Vater, dessen Zorn er fürchte, erlauben würde, wieder nach Hause zu gehen.« – »Der Kutscher ist ja gerade wie auf Himmelsbefehl hier angefahren!« rief Herr Joseph voll Freude; »er soll hereinkommen. Wenn der Peter sich noch zu Matrey befände . . . ich weiß, dort wohnt ja die alte Sabina Feilig, eine unserer Verwandten, aber leider eine schier blödsinnige Person . . . es wäre möglich, daß der Peter dort noch aufzutreiben . . .!« – »Ja, wenn das wäre,« rief auch Seraphin freudig und schnell entschlossen: »wenn das ist, so weiß ich, was ich thue. Ich liefe vom Fleck weg dem Peterl nach, und wollt' ihn schon wieder umkehren machen.« – »Eine Gelegenheit wäre da,« sagte der herbeigekommene Nolesiner lächelnd: »kannst nur grad aufsitzen. Ich fahre leer, und so wie aufgepackt ist, geht's fort!« – »Ich thu's, ich thu's; es geht mir im Geiste vor, faß ich den Buben beim Flittich derwische! wart' nur, Fuhrmann, wart', bis ich vom Lengrießer zurück bin!« Seraphin tanzte vor Freuden und bat den biedern Joseph inständig, bei dem Kutscher alles aufzubieten, daß er warte. – »Versteht sich,« antwortete Tammerl: »schleune Dich nur, es dem Lengrießer zu melden. Ich selber bezahle Deinen Platz 185 und wünsche Dir gutes Glück.« – »Und ich würde Dich begleiten,« fügte der Sohn Peter hinzu, »wenn ich nicht heute Abend in der Komödie singen müßte.« – »Viel Dank, viel Dank!« entgegnete Seraphin diesen freundlichen Reden: »aber ich bin mir schon selbst genug, und es wird gehen, ich spür's in allen Gliedern. Aber, wenn ich's bedenke, so hab' ich gar nicht zum Lengrießer zu gehen, wenn's der Herr Joseph ihm sagen lassen will. Ich lasse lieber das Geld, das ich eingenommen, in des Herrn Josephs Verwahrung, als bei der »theuern Zeit,« und morgen bin ich ja schon wieder da, zu Fuß oder zu Pferd. Der Lengrießer wird mich nicht mangeln, und in seiner Kuchel ändert mein Wegbleiben auch nichts. Mich pitzelt's jedoch in Händ' und Füßen, und ich wollt', ich wäre schon dem Dickkopf, dem Peter, auf dem Absatz. So, den Brief her, das Packl her; mein Ranzl ist immerdar fertig. Lebt's wohl, ihr guten Leutln.« – Was ihm Joseph und dessen Familie noch nachriefen, bekümmerte ihn nicht, ja er hörte es nicht einmal. Sein heißester Wunsch war, daß die schwerfällige Kutsche einmal sich in Bewegung setzen möchte, und das that sie auch endlich. Der Kutscher klatschte mit der ungeheuern Peitsche, die schellenbehangenen Gäule zogen an, die Achse seufzte: die Reise war angetreten. – – 186


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