Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

»So hab'n wir die Leut' grad für'n Narren,
Und leben grad lustig frisch auf;
Der Spitzhund lauft neb'n unserm Karren,
Ein Krummschnabel hängt hinten drauf.
Der Karren, der ist unsre Hütt'n,
Unser Vich ist der Vogel und Hund;
So bleib'n wir mit Finden und Bitten
So reich und so lustig und gsund!«

Dörcherlied.

Der romanische Gast war ein hochgewachsener Mann mit wohlgefärbtem Gesichte und kohlschwarzen langen Haaren. Er mochte fünf- oder sechs und vierzig Jahre zählen. Seine Kleidung war die eines Hausirers. In seinen Händen trug er einen eisenbeschlagenen Stock und ein ziemliches Sportele mit Limonien; auf dem Rücken eine Kraxe, die einen ungeheuern Vogelbauer bildete; um den Leib eine lange rothe Neapolitanerbinde. Der Käfich war gegen Wind und Regen fest mit Tuch und Flanell verwahrt, darüber hing die blaue Jacke des Trägers; ein kleiner zottiger Hund, von einer Race, die den Katzen am feindseligsten ist, begleitete den Mann, der kein Anderer war, als der seit mehreren Tagen schon erwartete Egidi.

Der häusliche Sturm hatte sich bei seinem Erscheinen alsogleich gelegt; Waffen und Thränen waren zur Seite gethan worden, Wirth und Wirthin des Hauses erschöpften sich in Aeußerungen eines freundlichen Willkomms. »Glückliche Ankunft!« rief die Grödnerin mit ihrer 87 süßesten Stimme. »Bist Du einmal da?« fragte der Krämer mit einem derben Händedruck. Egidi machte sich's auf dem Fleck bequem, stellte die Kraxe ab, legte Hut und Stock weg – die Limonien hatte die Grödnerin alsogleich in Verwahrung genommen – stülpte seine Nachtmütze auf den Kopf und setzte sich auf den Ehrenplatz am Tische. – »Bist Du recht müde?« fragte der Krämer. »Willst Du geschwind was essen?« fragte das Weib. »Ca nun,« antwortete Egidi dem ersten; »o, caschi!« der letztern. – »Was willst Du essen? Ove di Schmaunz?« fragte die Grödnerin, auf möglichste Sparsamkeit bedacht. Aber der Engadiner schüttelte lachend den Kopf, erwiedernd: Ich mag nicht. Gebt mir meine Lieblingskost; Du weißt wohl, Frau?« – »Bazokles in latt!« befahl der Grödner, und das Weib entfernte sich, innerlich grollend ob der Leckermäuligkeit des Vogelträgers und ob der Mühe, die sie sich zu später Abendzeit mit der Bereitung der geliebten Milchnudeln aufbürden mußte.

Seraphin der den Egidi zum ersten Male sah, und aus seinem und des Grödners Munde jenes Kauderwelsch vernahm, das er in frühester Jugend in seiner Eltern Hause oft, und später dann und wann auf dem Tartscher Markt, wo die Engadiner viel einsprechen, gehört hatte, war, ohne Interesse an der Unterredung, in die Nähe des Vogelbauers geschlichen, und plötzlich von dem dabei aufpassenden Hunde in die Wade gezwickt worden, daß er laut aufschrie. – »Chiou, chiou!Chiou! still! (im Romanischen werden alle Buchstaben ausgesprochen; das ch wie tch, das g häufig wie dg.« schrie nun auch der Egidi: »Bub, was hast Du bei die Utschal zu machen?« –

»Geschieht ihm recht,« sagte der Grödner, nahm den Schlüssel zum Keller und ging, Wein zu holen.

»Was bist Du für ein Bub?« fragte Egidi verwundert; »hat Grödner einen Sohn bekommen? oder was bist Du?«

Seraphin gab Bescheid. Egidi ließ, da er den 88 Lenhard Plaschur nennen hörte, das Messer fallen, womit er ein Stück Käse anschneiden wollte. »Söncha Maria!Sönch, Söncha: heilig, heilige.« rief er: »ist Lenard dein Vater, und gestorben? Hm, hm, hm! Ei'gl pusseivel! Gestorben, und deine Mutter auch todt, und Schwester auch? O ti malvantireivel!« Mit einem ganz besondern, mit einem innigen Blick sogar betrachtete Egidi den Burschen, faltete dann die Hände, legte den Kopf hinein, und sprach lange Zeit nichts mehr.

Der Grödner blieb immer noch außen, nichts rührte sich in der Stube, als die hölzerne Uhr und dann und wann ein Vogel, der in der Kraxe auf und nieder flatterte, oder pipte. Dem Seraphin wurde ängstlich um's Herz; er zupfte den Engadiner am Ermel, und fragte den Aufschauenden: »Was fehlt Dir denn? Sag', hast Du meinen Vater gekannt?« – Egidi nickte nach einigem Besinnen. »Auch die Mutter?« Egidi verneinte. »Du bist ganz das Ebenbild von Deinem Vater!« sagte er dann, den Buben an sich ziehend. »Nicht wahr, Grödner? Der Giuven ist ganz die Sumeglia von seinem Vater?«

Der Grödner, der von der Abstammung seines Mündels ganz andere Gedanken hegte, schüttelte den Kopf und sagte: »Nicht ein Zug!« – »O Du Tschantschader!« begann Egidi eifrig: »setz auf Dein' Spiegel de Nas, setz auf, und laß' Dich nicht auslachen; wie kommt der Giuven in Dein Haus?«

Der Grödner erzählte. Aufmerksamst hörte der Engadiner zu. Dann sprach er: »Du machst Dich gern groß mit Deiner RaschunRaschun: Vernunft, daher raschonig: freigebig, honett., Grödner; das ist so Deine Schwachadad, aber der Bub ist nicht gut bei Dir.« – »Was sagst Du da, Egidi? ist das Dein Ernst?« – »Senza Zwifel, und ich will Dir sagen, parchei

Der Grödner gab dem Seraphin einen Wink, hinauszugehen. Egidi hielt den Jungen zurück, und 89 diskurirte lebhaft romanisch darauf los, wovon Seraphin gar nicht viel verstehen konnte. Indessen fand er, daß der Engadiner wohlthat, dem Vormund auf den Zahn zu fühlen, und wünschte seinen Bemühungen gutes Gedeihen. – Nachdem die Männer hin und her geredet – der Grödner sprach nämlich von gewissen Absichten, die er mit dem Mündel hätte, und der Engadiner lachte über die Wichtigkeit seiner Erwartungen, so wie über die Versicherung, die der Krämer von sich gab, daß er eigentlich und wahrhaftig Herr im Hause sey, – ging der Grödner wieder in ein christliches Deutsch über, indem er sagte: »Du bist halt ein ungläubiger Thomas, mit dem nicht zu reden ist.« Worauf der Egidi seufzend: »O Sönch Spindrader! mit Deinem Eigensinn ist nichts zu schaffen. Nun, wir haben par Narradads geredt, und damit basta.« – »Hast Du den Lenhard gekannt?« fragte der Grödner etwas ungläubig: »ich denke Nein?« – »Caschì, caschì,« versetzte Egidi etwas befangen: »par gwiss, ich hab' ihn gekannt in Italia, hab' ihn dort gesehen vor anderthalb Jahren, Securameing!« – »Woher des Wegs grad jetzo?« fragte wieder der Krämer. – »Weit, weit da lunsch, von Smyrna in Levante. Hab' gute Geschäfte gemacht.« Egidi wies auf eine stattlich gefüllte Geldkatze, die des blauen Brusttuchs respektable Länge verbarg. – »Oz avont quindisch gis, heut vor vierzehn Tagen bin ich in Livorno an Land gestiegen, habe ein fünf und zwanzig Stück Canarini von der Insel Elba in Empfang genommen, weil die Utschals zu Hause durch Mausern viel gelitten, und bin mit das Procaccio bis in Mailand gefahren, alsdann über MaleujaDer Berg Maloja, eine Grenze des Oberengadin gegen Italien, im ladinischen Maleuja. in Engiadina, terra fina se non fosse 90 pruina! Durch's Münsterthal heraus auf Laatsch und in bekannten Wegen hieher. Ecco« – »Haben die Vögel auf der schnellen Reise und über den Berg nicht gelitten?« – »Zund bucca. O, ich habe sie eingepackt giust sco las puppas d'affont. Willst Du Canarini sehen, Giuven?« –

Die freudige Neugier, womit Seraphin, Schläge und Müdigkeit, ja selbst Martina und sein Rothkröpfl vergessend, der Einladung folgte, machte ihm einen noch bessern Platz im Gemüthe des Egidi zurecht. Dem Menschen ging nichts über seine Kanarienvögel; er liebte und hätschelte sie, und auch an jenem Abend, wo sie ziemlich frostig auf ihren Stangen saßen und sich ungern stören ließen, wurde Egidi nicht müde, die Schönheit seiner kleinen Sänger zu preisen. »Igl meister mi ven a ludar, der Meister wird mich loben,« sagte er selbstgefällig, die Schaustellung endend und den Flanellvorhang schließend. –

»Ei, was mir just brühheiß einfallt'« unterbrach ihn der Grödner: »Der Padrone ist ja eben zu Burgeis!« – »Hoi gie! ist's wahr?« – »Gewißlich er hat im Kreuz eingestellt.« – »Alla crusch alva?« – »Mit dem frühsten Morgen wird er heimreisen; wenn Du eiltest, könntest Du ihn noch sehen.« – »Na ei mia ura da sacc?« Nachdem er auf die Uhr gesehen, sprach Egidi phlegmatisch: »Jetzt ist nichts mehr zu machen. Er liegt immer mit der achten Stunde Abends in seinem Bett. Es eilt auch nicht.« – »Ei, wenn der Padrone wüßte, daß sein bester Handelsmann anwesend, so würde er sich doch eine halbe Stunde vom Schlaf abbrechen?« – »O canùn! amicizia si, amicizia giù, Freundschaft hin, Freundschaft her. Du kennst ihn nicht, el ei ün hum curious a singular. Es ist auch besser, ich treffe ihn erst daheim an. Vor den Fremden würde er mich halten sco ün fumeilg, wie einen Knecht; a casa bin 91 ich ihm ein Bruder, und ich liebe das mehr, als das Andere. Auch könnte ich mit die Canarini ein Unglück haben. Der Sohn des Meisters, der schlimme Peter – el ha ün oelg malign – er könnte mir die Utschals – wie sagt ihr? incantar, verhexen, und was mir auf der Strada krepirt, das krepirt mir und nicht dem Meister. Aber – setzte er, abermals seine Sackuhr betrachtend, hinzu – chei Giavel! es ist schon spät, sie läuten schon auf der Turr dils Zenns, und Spisa, la dulscha Spisa bleibt immer noch aus. Wo fehlt's, wo fehlt's Du Herr im Hause?«

Der Grödner sah verlegen auf die Uhr an der Wand, ging dann in die Küche. Egidi zog auf's Neue den Buben an sich und fragte ihn rasch und theilnehmend. »He, paupretto! sie halten Dich wohl elend, miserablameing?« Seraphin bejahte traurig, zeigte pantomimisch, daß man ihm mehr Schläge als Brod verabreicht habe. – Egidi wurde blaß vor aufwallendem Mitleid. »Geduld!« sagte er: »das soll anders werden. Ich kenne wohl der alten Mumetta ihre . . . . wie heißt's z . . . . ihre Spargneivladad . . . . ihren Geiz . . . . und er, er, der arme Schocher zittert vor ihr sco ün Schneder. Ich weiß wohl . . . . aber Geduld, Giuven . . . . um Deines Vaters willen . . . . warte nur, seigias ti consolau . . . . wir werden helfen . . . .«

Dem Engadiner standen Thränen im Auge, und Seraphin wußte gar nicht, was das bedeuten möchte. Egidi wischte sich die Augen mit dem Schneiztüchel ab, und nahm seine heitere Miene vor, als der Grödner etwas bestürtzt in die Stube trat. Es mußte ihm die Frau mit dem Rußbesen über's Gesicht gefahren seyn, denn er war schwarz getiegert, und meldete sehr verduzt, sein Gast möge Geduld haben; gut Ding wolle Zeit und Weile! – Da lächelte nun freilich Egidi dem beschämten Prahlhans fein unter die Nase, und fragte 92 pfiffig: »Ta tschapp jon cou? ertapp' ich Dich da, Du Gloriandus?« Als der Krämer sich mit dem Handtuch die Nase abrieb, machte Egidi dem Seraphin ein Zeichen, von dem, was er ihm früher gesagt, unverbrüchlich zu schweigen.

Endlich kam die ersehnte Spisa. Die Köchin war mit den Zuthaten wenig freigebig gewesen. Demungeachtet schmeckte auch die karg bestellte Kost dem Hunger vortrefflich; und der Hunger war in zweifacher Person vorhanden, da Egidi den jungen Plaschur zu seinem Mahle einlud, theils um dem Buben eine Gutthat zu erweisen, theils um die böse Frau gründlich zu ärgern; welches letztere ihm so gut gelang, wie das erstere. Seraphin schmauste nach Herzenslust und trank von Egidi's Weine; die Grödnerin sah, brummend und giftig auf der Bank hin und her wetzend, dem Schmause zu. Kaum war jedoch die Schüssel leer, als sie schon mit gellender Stimme anhob: »Wird sich der Freßsack nicht einmal in's Nest scheeren?« Und der Grödner wiederholte als ein getreues Echo: »Jetzt bedank' Dich, Seraphin, und packe Dich hinaus.« – Es war umsonst, daß der Engadiner noch ein paar Worte der Fürsprache für den kaum gesättigten Jungen einlegte. Das Ehepaar bestand darauf, denselben zu Bett zu schicken. »O Madringna, o Padraster!« schalt Egidi seine unerbittlichen Wirthe, steckte dem Buben noch ein Stück Käse und Brod zu, und beurlaubte sich von ihm, ungern zwar, mit einem herzlichen »Schlafwohl, und laß' Dir Gutes träumen!«

Seraphin war zum letztern gar wohl aufgelegt. Die Art und Weise, wie der Engadiner sich gegen ihn benommen, die unerwartete Gönnerschaft, die er bei Jenem gefunden, zusammengehalten mit den Prophezeihungen der alten Wollhaube bei den wilden Fräulein, versetzte den Knaben in die heiterste Stimmung. Jetzt stand ihm ja die Welt nach zwei Seiten hin offen; er hatte zwei 93 Freunde gefunden, die für sein Fortkommen sorgen wollten; und schon neigte sich seine Vorliebe mehr zu Egidi als zum Oswald. Jener war der Herr von gelben Vögeln, die Seraphins Glück begründen sollten, wenn sich auf dieselben des alten Weibes Vorhersagungen bezogen; Egidi war auch der Diener des Mannes, der Martina's Vater war, und Seraphin konnte nicht von dem Gedanken lassen, daß jeder Glücksfall seines Lebens abhängig seyn müsse von den Vögeln, von Dukaten und von der lieblichen Martina. Er hüllte sich daher, zufrieden wie ein Domherr, in die grobe Decke, die über seinen Laubsack gespreitet war, und schlief, von Freude, Speise und Prügeln satt, in der Träume goldnes Land hinüber. Ja; Gold war alles, was er träumte; er jagte sich mit goldenen Vögeln, er war an Martina gefesselt mit einer Goldkette, die schwerer war als die an der Kirche des heiligen Leonhard zu Laatsch aufgehängte; er schlug Purzelbäume auf Dukatenhaufen; sein Walt, der ihm zwischendurch begegnete, hatte Augen wie die goldne Sonne; ja, auf seines Rothkröpfels Brust glänzte ein goldiger Stern. Der Glückliche!

Aber Nacht und Traum gingen vorüber. – Die Zuchtmeisterin des Hauses war Gottlob wieder einmal von ihren Schmerzen heimgesucht worden, und lag zu Bett; der Grödner war mit dem vor Tagesanbruch weiter gewanderten Egidi bis auf die Haid gegangen, um ihm das Geleit zu geben. Seraphin hatte ein Stündchen für sich. Sein erster Gang war, am weißen Kreuz zu spioniren. Oh weh! die Freundin seines Herzens war auch schon im Morgendunkel mit ihren Eltern abgereist. Verdrießlich schlug er den Weg zu seinem Oswald ein. Da begegnete ihm die schöne Trine, Oswalds Schwester, den Weißkopf an der Hand. »Ist der Walt daheim?« – »Was nicht etwa noch gar? fort ist er, fort. Der Herr von Augsburg, der hat 94 schnell verreisen müssen, hat ihn noch in der Nacht holen lassen, und alle zwei sind jetzt schon auf dem Weg nach Botzen, denn sie wollen oder müssen über Brixen und Innspruck.« – »Ach, Du mein Gott! Verlaßt mich denn alles auf einmal? Trine, sag' mir; wie hat der Walt verreisen können, ohne mir ein Wörtl zu sagen?« – »Wenn er doch um zehn Uhr noch an euerm Haus war, und die Grödnerin hat ihn nicht mehr eingelassen?« – »Ha, das schieche Weibsbild!« – »Ich soll Dir ein schönes Lebewohl sagen, Seraphin, und Du wirst schon was hören vom Bruder, hat er gesagt, und was Du ihm geschafft, sey ausgerichtet, hat er gesagt.« – »So, so? Schön Dank, behüt Dich Gott, Trine.« –

Jetzt hüpfte der Knabe mehr als er ging. Der Vogel war also richtig an Ort und Stelle gekommen. »Mich wundert nur, zu hören, wie's der Bub gemacht hat,« lachte er in sich hinein, der kleine Liebhaber. – Kaum gedacht und gelacht, sollte er's erfahren. Die Wirthin zum weißen Kreuz kam stattlich daher aus der Kirche. Sie winkte dem Seraphin freundlich. »Du,« fragte sie, »weißt Du schon, was mit Deinem Rothkröpfl passirt ist?« – Dem Jungen ging der Mund weit auf vor Erstaunen und Bestürzung, denn jetzt erst fiel ihm ein, daß ungefähr das ganze Dorf seinen Vogel und dessen Käfich kannte. Ohne ein Wort zu finden, schüttelte er verneinend den Kopf, der Knabe mit dem schlimmen Gewissen. –

»Gelt?« fuhr die Wirthin fort: »Du hattest den Vogel dem Oswald geschenkt?« – Seraphin bejahte schüchtern. – »Nun denk' Dir, stell' Dir vor: Der Leichtsinn hat ihn geschwind wieder weggeschenkt.« – Seraphin's Herz klopfte in freiern Schlägen. »Was? wem?« fragte er. – »'s ist zum Lachen, und wieder zum Weinen. Er hat ihn an das Madl von dem Imster Herrn verehrt, ist in ihre Kammer geschlichen, hat den 95 Käfich auf den Tisch gestellt, und dabei ein Herz von Papier, worauf gestanden ist – ich weiß nicht mehr was. Drauf ist der Walt wie ein Narr davongelaufen, aber der Stachus und die Mala, die an der Hausthüre gewesen, haben ihn wohl erkannt. Das hat ein Fragen und Gered' gegeben! daß Gott erbarm! Die Mutter hat den Vogel zum Fenster hinauswerfen wollen, aber die Martina hat so schön gebeten, und wie der Alte dazu gekommen, ist völlig nichts aus dem Hinauswerfen geworden. Denn, weißt Du, die Imster sind halt Alle rechte Vogelnarren, und der Tammerl ist einer von den ersten vorne dran. Der hat kaum den Vogel gesehen, so ist er völlig verliebt in ihn worden, und hat den Vogel behalten, und hat ihn heute mit dem Käfich eingepackt und mitgenommen.« Seraphin kannte sich nicht vor innerlicher Freude. Dennoch, um etwas zu reden, fragte er stammelnd: »Ei, das wird nicht seyn? Was hat denn der Walt demjenigen Madl den Vogel zu schenken?«

»Ach du liebe Frau!« seufzte die kreuzbrave Wirthin mit einem frommen Blick nach oben: Das ist nun freilich ein großes Unglück. Du weißt, daß der Walt von dem fremden Herrn ist zur Nachtzeit abgeholt worden? Nun, der Walt wird uns freilich lang nicht selber sagen können, wie das Ding zusammenhängt, aber doch ist's klar wie der Tag. Du kennst ja wohl den Maurerwastl, den g'streichtenG'streicht seyn: einen Sparren haben, »er hat heut sein'n Streich!« Ein G'streichter: ein Halbnarr, ein Mensch mit wunderlichen Launen, fixen Ideen u. s. w. Menschen? Nun, der ist gestern – gegen alle seine Gewohnheit – schier den ganzen Abend bei uns gesessen; hat sich auch in's Hinterstübel hineingemacht, und an einem fort die kleine Martina angeschaut, als wenn er sich die Augen aus dem Kopfe sehen wollte. Das hat gedauert, bis die Imsterleute schlafen gegangen sind. Wie hernach das Spektakel mit dem Vogel ausgekommen, ist mein Wastl nicht mehr da gewesen, und da war's heraus, da haben wir gleich gewußt, wo's 96 hapert. Du weißt: der Wastl – er ist ein rechtes Kreuz für die Eltern, er ist ein Bissel verruckt, und absonderlich in die Weiberleut' geschossen. Mit der Hochenecker-Christine hat er's grad gemacht, wie mit der Martina, und auch selbigsmal ist der Walt sein Bot' gewesen. Nun stell Dir vor, das Unglück für den saubern Menschen von kaum neunzehn Jahren! Da sieht man wohl, wie die Mannen verrückt werden können über eine thörichte, närrische Lieb', von der niemand was haben will. Ist's denn möglich, daß ein solcher Bursch', nachdem er der Christine viele Wochen wie ein TschogglTschoggl: ein (figürlich) blinder, verblendeter Mensch; vom romanischen tschogg, blind. nachgelaufen, ist's möglich, daß er sich in einen Fratzen verlieben kann, der noch nicht trocken hinter den Ohren? Daß Gott erbarm, die Zeit ist recht verderbt worden, merk' Dir das, Seraphin, und nimm Dir's einmal zum Exempel. Grad komm' ich aus der Kirche, und hab' den Wastl gesehen, und hab' ihm gesagt, was sich gehört; . . . . aber, du heiliger Geist! das ist, als ob man zu der weißen Wand redete. Der G'streichte hat mich angesehen, als wie die Kuh das Stadelthor, hat's Maul aufgerissen grad wie Du, und hat gar nichts, keine Silbe geantwortet. Darauf ist die Christine aus der Kirche gekommen, und der ist er wohl geschwind wieder nachgelaufen, als wie ein Hundl. – Aber, hab' ich mich einmal wieder verplaudert mit dem Buben da! Leb' wohl, Seraphin; grüß' mir fein den Grödner, und sey brav und geduldig. Wirst Beides brauchen können, Du guter TschappelTschappel: ein gutmüthiger Mensch, der sich Alles gefallen läßt.

Die ehrliche Frau klopfte wohlwollend des Knaben Wangen, und ließ ihn gehen. Er war seelenfroh, daß der Handel, dessen er sich jetzo – seit den letzten Worten der christlichen Frau – auf einmal von Herzen schämte, eine solche Wendung genommen. Doch blieb ein Widerhacken in seiner Brust zurück. Der arme Maurerwastl, der nun im ganzen Dorfe die Schuld der albernen 97 Begebenheit tragen mußte, ging dem reuevollen Seraphin nahe. Hatte doch der arme Teufel schon übrig genug des Spottes auszustehen, weil er die Christine liebte und zwar hoffnungslos, und zwar bis zum Unsinn liebte.

Man sollte, das Landvolk obenhin betrachtet, nicht von ferne glauben, daß es unter allen Leidenschaften der Welt, gerade von der Liebe am meisten ergriffen werden könnte. Aber nicht selten gibt es unter jenen Leuten Individuen, die es, vom Liebestaumel gepackt, entweder dem ehrsamen Junker de la Mancha noch zuvorthun, oder besser geradeaus ohne seltsame Abentheuer dem Irrenhaus zusteuern, wenn sie den Gegenstand ihrer Neigung nicht zu erreichen vermögen. Der Maurerwastl war ein Beispiel der letztern Gattung. Er begegnete dem tiefsinnig dahinschlendernden Seraphin auf dem Heimweg. –

Der gute Sebastian hätte eine der blühendsten Gestalten in der Gemeinde aufzuweisen gehabt, wenn nicht von der sehnsüchtigsten Liebe diese Blüthe vernichtet worden wäre. Er, dessen Wangen einst von Jugend und Gesundheit prangten, schwankte jetzo wie ein Schatten einher. Die Strümpfe schlotterten um seine Beine; seine lange grüne Wolljacke hing gleich einem weiten Mantel über seine Schultern; unter dem breitkrämpigen Hut, der dazumal ungefähr gewesen wie eines Meraners Hut noch heutzutage, verschwand schier sein blasses, abgemagertes Gesicht; das schwarze Seidengeflecht mit langen Quasten, das den Hut des Jünglings verzierte, glich einem Trauerbehänge. – In diesem Aufzuge aber, sein Sonntagskleid, hatte der arme Bursche der geliebten Christine Bekanntschaft gemacht. Er hielt dafür, daß ihm das Kleid vortrefflich stehe, und daß, wenn ihm Christine bis daher nicht geneigt worden, gerade nur sein Werktagkittel daran schuld gewesen seyn müsse. Darum hatte er eines Tags 98 zur Verwunderung seiner Eltern und Geschwistern die Arbeit liegen lassen, und erklärte, er werde von nun an auf unbestimmte Zeit Sonntag machen, und die Arbeit freue ihn so wenig als das Leben, und das letztere werde ihm ganz und gar verleiden, wenn nicht Hocheneckers Christine ihm das Jawort gäbe. Bei dem Entschluß war er seither geblieben, und alle Ermahnung des Pfarrers, des Vaters Drohung und Befehl, der Mutter und der Schwestern Bitten und Zureden hatten ihn von dem Entschluß nicht abbringen mögen. Morgens in der Frühe ging er aus, und setzte sich auf eine Bank oder auf den Brunnenrand, dem Hocheneckerhause gegenüber, und starrte festen Augs, mit verschränkten Armen, lächelnd bald wie der irrsinnige Schmerz, bald traurig blickend, ein lebhaft Bild des Elends, hinauf an's Fenster, wo die Auserwählte saß, die ihn nicht leiden mochte, die sein Werben verächtlich von sich gewiesen, die sein Geschenk, das Staarl, verhöhnt und wieder zurückgeschickt hatte. Das Mädchen war eine Näherin und Strickerin, und manchen Tag im Jahr zu Hause. So hatte sie immer des Liebhabers Leid vor Augen, und wenn sie schon bisweilen auf Arbeit gegangen war, so wußte Sebastian ihren Aufenthalt zu entdecken, und dort Schildwache zu stehen, wie vor ihrem eignen Hause. Läutete die Glocke den Mittag ein, so ging der Maurerwastl zum Essen. Ohne ein Wort zu sprechen, verschlang er sein Mahl, und kehrte flugs auf seinen Posten zurück, bis die Dämmerung kam und die Nacht. Die Abendglocke trieb ihn manchmal heim, doch nicht immer. Nicht selten harrte er aus bis Mitternacht in Regen oder Wind. Christine hatte oft schon ausgeschlafen und der Wastl starrte noch immer empor zu ihrem Fenster. Ein trauriger Wahnsinn allerdings, der den guten Wastl zum Gespött des Dorfs und zum Aergerniß seiner Familie machte, da er, der einzige Sohn und Haupterbe, den Faullenzer spielte, und dabei dennoch 99 für sechs gute Arbeiter essen konnte. Die Liebe hatte mit seinem Appetit nichts zu thun, aber nur mit Leidwesen gibt der Bauer demjenigen, der nicht arbeitet, zu essen. Da nun dem Sohn und Erben die Kost nicht versagt werden konnte, so würzte man sie ihm wenigstens mit Verachtung, und ließ ihn gehen und stehen, wo er wollte, ohne sich mehr um ihn zu bekümmern. Seine Herzensangelegenheit nahm dabei keinen bessern Fortgang. Christine war zäher und eigenwilliger Natur, ihre Empfindsamkeit äußerst gering, und zudem hatte sich, wie man hie und da behaupten hörte, während der Krankheit der Grödnerin zwischen ihr und dem Krämer ein Verständniß, wiewohl in allen Ehren, angesponnen, das den Wünschen des Maurerwastl schnurgerade zuwider seyn mußte.

Dem unglücklichen Liebesnarren begegnete also der reuevolle Seraphin. Indem dieser den armen Menschen von oben bis unten aufmerksamer als sonst betrachtete, fielen ihm die Warnungen der Wirthin, so wie seines geliebten Walt, felsenschwer auf's Herz, und er leistete sich selber muthig das Versprechen, seine Gedanken von der Martina abzuwenden, damit es ihm nicht einmal gehen möchte, wie dem unglücklichen Opfer der Weiberliebe, das vor seinen Augen dahinsimpelte. >Ich will mir mein Lebelang die drei Stücke merken,« sagte er sich selber in's Ohr und Gewissen: »ich will wohlthätig seyn und meinen Feinden verzeihen, wie die fremde Alte es befohlen, und nach einem Mädel nicht mehr aussehen. Darum will ich meinen Dienst thun, wie sich's gebührt, meinen Gedanken nicht nachhängen und mit Geduld erwarten, wie es dereinst mit mir werden mag. Der liebe Walt werden mir schon weiter helfen, besser als Egidi, der Prahlhans, und Martina, die mich zum Narren machen könnte!«

Diese trefflichen Vorsätze erstarkten in dem jungen 100 Menschen. Der Lohn war indessen anfänglich nicht allzureizend. Seraphin begegnete seiner Vormünderin mit einer Liebe, die sie keineswegs verdiente, und erntete dafür nur üblere Behandlung, Hunger und Ueberdruß. Dem Zägerler, dem er einmal in den Weg kam, bot er die Hand und sagte ihm: »Du hast mich oft geschlagen, hast meines Herrn Branntwein hinterlistig getrunken und mir dadurch viel Ungemach bereitet; aber ich verzeihe Dir von Herzen.« Worauf der Lex ihm in die Zähne lachte, und mit einem rohen: »Laß mich aus, Du Steinesel!« hinter die Ohren schlug. – Als der Grödner auf die Botzner Messe gegangen war, und Seraphin, bei andauernder Kränklichkeit des Weibes, den Laden verwalten mußte, bewies er sich freigebig gegen die Armen, erließ ihnen etwas am Preise der Waaren, gab ihnen dies und das umsonst, und freute sich seiner Wohlthätigkeit. Aber die Armen lachten ihn aus, und erzählten überall von seiner närrischen Weichherzigkeit; die Grödnerin erfuhr's durch ihre einzige Freundin, eine gewisse Rosa Stampfer, ein Ausbund von Klatschhaftigkeit und Verläumdung, und die Folge war, daß Seraphin aufs Neue Schläge bekam, und ein Dieb am Herrn gescholten wurde. – Seinen neuen Grundsätzen getreu, war ferner der junge Plaschur trotzig und ungeschlacht mit dem jungen Weibervolk geworden, und jene Dirnen, die früherhin den hübschen Knaben wohlmeinend gehätschelt und belobt, fingen an, ihm mit aller möglichen Tücke und Geringschätzung seine rauhe Abneigung zu vergelten. Lügen aller Art kamen über den Armen in Umlauf. Er wußte von den meisten derselben nicht ein Wort, aber täglich mehr stand er vereinzelt da, und die Meinung fing im Dorfe an, sich festzusetzen: der Seraphin sey halt seines nichtsnutzigen Vaters allerähnlichster Sohn, und von bösem Gemüth, wie jener.

Nur der Grödner allein hielt dem Knaben die Stange. 101 Mit allerhand geheimnißvollen Worten gab er zu verstehen, er sey in Botzen wegen seines Mündels auf die rechte Fährte gekommen. Derselbe sey wohl aus besserm Blute, als die Lenhards, und die Zeit würde hievon mancherlei lehren. Daneben hielt er jedoch den Knaben strenge zu seinen häuslichen Dienstleistungen an, und verhieß ihn im nächsten Jahre nach Meran in's neuerrichtete Gymnasium und zwar unter haarscharfer Aufsicht zu schicken. Diese Verheißung kam dem Weibe und dem Seraphin gleich ungelegen. Der letztere wollte und mochte nicht studiren; sein Sinn stand nach der Fremde. Die erstere bejammerte jeden Heller, den der Bube kosten sollte. Sie mißgönnte ihm das bischen Leben. Sie unterließ nicht, es ihm je länger je saurer zu machen, und die Gewalt dazu hatte sie vollauf, da in neuester Zeit der Krämer sich wenig um's Hauswesen bekümmerte, sondern vorzog, halbe Tage lang mit dem liebeskranken Wastl auf der Bank oder am Brunnenrande zu verkehren, unter dem Vorwande, den armen Schlucker durch vernünftiges Zureden auf bessere Gedanken zu bringen, in der That jedoch, um selber mit Muße in der Christine Fenster schauen zu können. Der gute Wastl ahnte freilich von dem heimlichen Nebenbuhler nicht das geringste; er litt nicht nur den pfiffigen Krämer in seiner Nachbarschaft, er wurde sogar gewissermaßen mit ihm eins, so wie hin und wieder ein geisteskranker Mensch sein eigen Ich in einer andern Person wiederfindet. Meinte der Grödner, die Sonne scheine ungewöhnlich warm, so wischte sich Wastl den Schweiß von der Stirne; beklagte sich der Grödner über Kälte, so schob der Wastl die Hände in seine Taschen. Sagte jener: »mich hungert«, so lief dieser zum Essen; rauchte jener seine Pfeife, so sagte dieser: »mein Taback ist vortrefflich«; kratzte jener sein linkes Bein, so sprach dieser: »mich beißt's auch noch am rechten Fuß.«

102 War gleich diese Selbstverwechslung sehr possierlich für den Grödner, für Christine, für das ganze Dorf, so mißfiel sie doch der Krämerin ganz und gar. Ihre neu erwachenden Leiden bannten sie in's Haus, sie konnte nicht mehr wie früher den Ehemann auf Schritt und Tritt verfolgen. Machte sie's ihm zu bunt im Hause, so salvirte er sich in's Freie, und wußte sich vor ihr sicher. Die gute Hälfte ihrer Herrschaft war eingebüßt, sie mußte sich's gestehen; aber wo einmal böses Blut in den Adern steckt, da ruht es nimmer, und die Bosheit nimmt zu in Einsamkeit und Ohnmacht.

So hatte denn die Grödnerin einmal in Abwesenheit ihres Mannes ihren großen Rath um sich versammelt: die Rosa Stampferin und den Jäger Liebl. Die alte Jungfer Rosa hatte ihr wichtiges Gesicht mitgebracht, und saß wie eine aufgeblasene welsche Henne da, vollgestopft mit bedeutsamen Orakelsprüchen. Der Jäger war dagegen unbefangen und nicht vorbereitet auf das, was kommen sollte. Nachdem die Krämerin mit manchem Seufzer und Augenverdrehen vorausgeschickt, daß eine unglücklichere Frau als sie auf Erden nicht existire, redete sie von der Erkaltung ihres Mannes, von seiner Unbotmäßigkeit, und von den Ursachen, die etwa dieser gänzlichen Charakteränderung des Grödners zu Grunde liegen mochten. »Ich habe,« schloß das Weib den Vorbericht, »meine gute Freundin, die von allerhand geheimen Dingen weiß, inbrünstig gebeten, mit Fleiß nachzuforschen, woher das Uebel entstanden und wie es zu heben sey. Du, alter Freund, sollst zuhören und Deine Meinung dazu geben, daß einmal Fried' werde in meinem elenden Hauswesen.« – Der Jäger nickte, spöttisch lächelnd, die Stampferin räusperte sich, wischte die Nase und die Augen mit dem Aermel ab, und antwortete. »Der Grödner ist aus einem guten und gehorsamen Mann gleichsam ein Ruech, ein höllischer Teufel geworden. Warum? wollt ihr's wissen? 103 Der Maurerwastl hat ihn angesteckt. Der z'nichteZ'nicht seyn: im Kopf verwirrt seyn; wohl auch dann und wann: böse seyn von Natur. Mensch ist von einem bösen Geist besessen und der Geist ist eigentlich der Liebhaber der Christine, und bringt alle Leute um ihren Verstand, auf die sie's abgesehen hat; und die Verrücktheit steckt an, wie's Fieber oder die Blattern. Ich hätte nun wohl dem Unsinnigen helfen können, denn ich weiß ein gutes Trankl gegen solche Zustände, und ein geweihtes Pulver wär' auch nicht aus. Aber der Wastl hat nichts von mir annehmen wollen, und seine Leute sind halbe Unchristen, die nichts glauben. Nun, 's ist genug, daß auch an ihrem Haus das Andreas-Kreuz stehtDas Andreaskreuz am Hause haben. Man sieht in der That noch heutzutage dergleichen Kreuze an manchen Häusern in Vintschgauischen Gemeinden. Die Sage will, daß zur Zeit der Engadinerkriege die Anhänger der einfallenden Schweizer jene Kreuze an ihren Wohnungen angebracht hätten, um den Feinden anzudeuten, wo ihre Freunde hausen., daß Gott erbarm'! – Nun, der Grödner ist nicht wenig vom selben Schlag; er wird auch vom Satan nichts glauben, bis er ihn einmal selber sieht!«

Der Jäger schlug plötzlich auf den Tisch, und rief mit verzerrten Mienen: »Halt's Maul, Stampferin. Red' nicht so dumm. Weißt Du nicht, daß man den Teufel nicht an die Wand malen soll?« Dabei sah er sich um, als säße der Schwarze neben ihm auf der Bank.

Rosa und die Krämerin waren schlimm erschrocken; doch kamen dergleichen Aufloderungen den alten gefürchteten Grießgram nicht selten an, und man getraute sich nicht, dieselben zu wiederlegen. Rosa begnügte sich daher, ein begütigendes »Nun, nun« zu erwiedern, und fuhr in ihrer Rede fort: »Mit Ansprache und Vernunft ist also, wie ich glaube, bei dem Grödner nichts zu richten, denn er ist eigentlich behext. Worinnen sitzt jedoch der böse Samen? Wie kann man wohl verhindern, daß er sein Hauswesen zu Grunde richte und sein armes Weib? Ich hab' alles wohl überlegt, und hab' mich nicht gescheut, darüber eine kleine Kunst zu machen, die ich von meiner Mutter selig gelernt habe. Da ist nun nach drei- und neunmaliger Probe herausgekommen, daß Alles wieder in's alte Gleis kommen werde, wenn erstens die 104 Grödnerin ihre Gesundheit wieder erlangt, und wenn zweitens ihre Ehe abermals mit einem Kindlein gesegnet wird.«

Der Jäger schnitt ein sehr ungläubiges Gesicht, und die Grödnerin seufzte eben so ungläubig. Um so eifriger wandte sich die Stampferin zur Freundin, mit Vorwurf und Ermunterung: »Ach mein, ach mein, liebe Frau, geberde Dich nicht verzagt und verzweifelnd. Gottes Barmherzigkeit ist groß. Man muß sie nur beim rechten Ende anfassen. Vertraue Dich mir an; ich hab' wohl schon Andern geholfen. Laß die Bader und Doktors schmieren und salben rechts und links, und wirf Dich in meine Arme. Ehe wieder der Langets kommt, sollst Du frisch und gesund sein, wie die Forelle im ReschenseeReschen-, Graun- und Haidersee: drei fischreiche Seen zwischen Nauders und Burgeis.. Du wirst blühen und gedeihen, ich will's schon machen, und alsdann ist's bis zu einem kleinen Buben nicht weit. Gib acht, wie der Grödner Dich hernach auf den Händen tragen wird! Aber . . . . aber . . . . noch etwas muß zuvor geschehen, sonst hilft die Gesundheit nicht, und nicht das herzlichste Vertrauen.« –

»Was denn? geschwinde Rosa!« fragte die Grödnerin begierig und eben so hoffnungsreich, als sie vor einer Minute arm an Muth gewesen war.

Die Stampferin öffnete die Augen weit, rümpfte die Nase, wie sie gewöhnlich that, wenn etwas recht Außerordentliches aus ihrem Munde kommen sollte, agirte feierlichst mit beiden Händen, und sprach langsam: »Es ist Jemand in eurem Hause, dessen Anwesenheit ein Gift für euer Glück und ein Nagel zu Deinem Sarge. Ich sage nicht, wer, ich will's nicht wissen; aber drei- und neunmal hat meine Kunst den unglückbringenden Menschen bezeichnet. Bevor nicht derselbe aus dem Wege geräumt worden, ist alle Hoffnung umsonst. Aber eine jede Erwartung wird befriedigt seyn, wenn der heimliche Drach' bei Seite geschafft wurde. Sieh jetzt zu mit 105 offenen Augen, Grödnerin, und handle unverzagt; Du hilfst Dir damit selber zu Kraft und Wohlseyn. Rechne aber dabei nur auf Dich selber, hoffe nicht auf eine Hilfe Deines Mannes. Behexte und verderbte Leute sträuben sich, die Ursach' ihres Elendes abzuthun. Wäre einmal der schwerste Stein gehoben, dann ist alles Uebrige nur Kinderspiel, und ich, Rosa Stampferin, stehe Dir mit meiner ganzen Lebenszeit für die Wiederherstellung Deines Glücks. – Nun aber muß ich mich schon beurlauben. Die Strassersleute haben ein krankes Roß, dem Schmied und Wasenmeister nicht haben helfen können. Sie haben am End' zu mir geschickt, und ich will bald sehen, ob ich gescheider bin, als die Dummköpfe von Viehdoktoren. Du mein Gott! an die Rosa Stampferin kommt doch immer am End' die Reihe!« –

Nachdem die Nothhelferin hinweggegangen, sah die Grödnerin den Jäger lang an, und fragte: »Was sagst Du zu der Rosa Bescheid?« – Der alte Liebl wiegte den Kopf hin und her, erwiedernd: »Wer daran glaubt, ist selig. Laß mich aus mit dem Taas, den die Alte vorgebracht hat.« – »Nun, ich glaub' hast einmal an die Stampferin,« sagte die Grödnerin eigensinnig und giftig: »sie hat immer Recht in Allem, was sie angreift, und sie weiß Sachen, von denen Andere gar nichts merken.« – »Zwegen meiner,« brummte der Jäger, stand auf und hing sein Gewehr um. Seine Gleichgültigkeit verdroß das Weib. Sie fragte spitz: »Gehst Du schon, ohne mir einen Rath da zu lassen?« – »Hast ja schon Dir selber gerathen? was brauchst noch mich?« – »Freilich brauch' ich Dich. Weißt Du, wer derjenige böse Geist ist, der meinen Mann unsinnig und schlecht macht? Der Bub', der Seraphin ist's, und mein Mann ist des Buben Vater, ich laß mir's nicht nehmen, und ich will ihn nicht mehr leiden, und fort soll er mir, und Du sollst und mußt mir dabei helfen.« – »Meinst Du?« – 106 »Du hast mir's schon versprochen, Liebl.« – »Ja, das hab' ich, denn wo 'ne Weiberzunge bittet und bettelt, sagt ein dummes und schwaches Mannsbild nur gar zu bald »Ja« und »Meinetwegen« . . . . aber ich hab' mir's überlegt, und – weißt Du wohl, Du? – es geht gegen das Gewissen, was Du von mir gewollt hast.« – »Gegen das Gewissen, wo es um meine Gesundheit, mein Glück und Leben geht?« schluchzte das Weib. – »Warum hast Du nach der Branntweingeschichte Deinem Mann nicht besser eingeheitzt?« fragte der Jäger; »ich hatte das so gut ausgedacht. Mein Lex ist ein Teufelsbub, ein rechter Radlführer, wenn's einen Schwank gilt. Er hat seine Sachen brav gemacht, und hättest Du Deine Schuldigkeit gethan, so wär' der Bub' schon dazumal aus dem Haus gesprungen.« – »Du kennst den Grödner nicht,« sagte wieder das Weib; »er ist wie das Blatt am Baum, läßt sich hin und her wehen. Es hat Alles nicht geholfen; ich bin um meinen Enzian, und der Donnerbub' ist noch im Haus, und mein Mann läuft außer'm Haus den Dirnen nach.« – »Es thut Dir vielleicht um den Enzian mehr leid, als um alles Uebrige,« spottete der Jäger. Worauf die Frau mit entschiedener Drohung: »Ich will Dir sagen, warum mir leid ist: um die vielen Gutthaten, die ich Dir noch hätte zuwenden können, wenn Du mir den Gefallen thätest, und die ich jetzt sein bleiben lassen werde. Verstehst Du mich? Du hast mir zu einer guten Heirath verholfen, und darum hab' ich Dich immer unterstützt; aber mit durch Deine Schuld ist mein Stern und Glück dahin, und jetzt behalt' ich mein bissel Gut für mich selber. Weißt Du's? Magst hernach schauen, wie Du mit Deiner Wirthschaft auskommst.«

Die Grödnerin drehte ihrem ehemaligen Schatz im Zorn den Rücken zu. Der Jäger stand eine Weile unschlüssig. Mancherlei Vortheile, die er in der That bisher genossen, waren auf dem Punkt, zu Wasser zu 107 werden. Liebl strich sich den Schnauzbart hin und her, kämpfte ein bischen mit sich selber; alsdann klopfte er der Grödnerin auf die Schulter: »Du,« sagte er, »'s steht Dir nicht schön, wenn Du Kopf machstKopfmachen: schmollen. Mocken: dasselbe.. Sey nur zufrieden. Ich will schon sehen. Heut' über acht Tage gehe ich auf die Gemsen. Schick' mir den Buben nach Schleiß hinüber. Der Häuter hat mir freilich gar nichts zu leid gethan, . . . . aber Dir zu Gefallen . . . . überleg's indessen noch ein wenig . . . . des Menschen Sinn ist veränderlich . . . . geh' fein zur Kirche, ehe Du mir den Buben zuschickst, hörst Du?« – Die Grödnerin lachte ihn an mit einem zornheitern, boshaft siegreichen Angesicht. Indem sie nachdrücklich auf den Tisch klopfte, sagte sie: »Los', das sind nur Faxen von Deiner Seite. Du hast, wie sie sagen. noch gar viel Anderes gethan, als ich von Dir verlange. Ich hab' aber in Gottesnamen keine Wahl zwischen dem Buben und meinem eigenen Leben. Du hast gehört, was die Stampferin gesagt hat. So lang der kleine Drachensohn nur mit einem Strohalm noch an dem Grödner und meinem Hause hängt, hab' ich nicht Gesundheit und nicht Frieden zu erwarten. Zudem ist er mir verhaßt, und ich wüßte gar nicht, warum ich mich selber nicht lieber haben sollte, als den hinter der Hecke Gebornen. Heut' über acht Tage schick' ich Dir den Unglücksvogel. Behüt' Dich Gott, Liebl, und halt' Wort!«

Seraphin ahnte nicht das mindeste von den wider ihn angezettelten Verschwörungen. Der Geist der Geduld und Versöhnlichkeit hatte in ihm die Oberhand gewonnen. Er setzte voraus, daß die Grödnerin unmöglich einen so unbezwinglichen Widerwillen gegen ihn gefaßt haben würde, wenn nicht er selber einen Anlaß dazu gegeben hätte. Daher bewies er sich, aller Kränkungen ungeachtet, gehorsam, zahm, sogar zuvorkommend. Dem Grödner zu gefallen, rechnete er fleißig, und schrieb, und 108 plagte sich mit dem Kram von tausend Artikeln. Er hatte einsehen gelernt, daß die Freigebigkeit auf Kosten des Herrn nicht statthaft sey, daß auch nicht nöthig, dem weiblichen Geschlechte ungeschliffen zu begegnen, um sich von ihm entfernt zu halten. Darum machte er sich manierlich, und wenn ihm dann und wann die Last und Plage zu arg werden wollte, so lief er auf ein paar Minuten zum Grabe seiner Mutter und Schwester, und die lieben Gestorbenen flüsterten ihm aus dem kahlen Hügel in's Ohr: »Hab' Geduld, Geduld; wir im Himmel werden Dich nicht verlassen.«

Indessen war hauptsächlich seiner guten Vorsätze und seiner Geduld Stütze und Stab die Hoffnung auf den Jugendfreund. Seraphin sah mit täglich wachsender Sehnsucht einem Brief seines lieben Walt entgegen. Aber der Brief zögerte immer. Das Jahr stand schon wacker im letzten Viertel; das Vieh wurde von der Alpe heimgetrieben, nach überaus langem schönen Nachsommer. Der Heimfahrttag war ein Tag des Jubels für's ganze Dorf. Von Schellenklang und Jucheyen wiederhallte das Thal. Die Hauptkühe zogen stolz an der Spitze ihres gehörnten Gefolges heim, die Senner, ihre Hüte verziert mit Edelweiß und andern Alpenblumen, die von der Jahrszeit verschont geblieben, prangten daher in ihren schönsten Kleidern und Hemden, mit glänzenden Hosenträgern und Halstücheln, mit flatternden Bändern und nickenden Sträußern. Die Straßen zum Dorfe und darinnen wimmelten von zulaufendem Volk, das sein Vieh gleichsam im Triumph nach Hause brachte, oder den Sennern fröhlich entgegenjubelte mit trockenem oder nassem Munde, mit nüchternem Handschlag, oder tanzend, die Weinkanne im Arm. – Seraphin stand auf der Schwelle des Grödners, wie andere Leute auf der ihrigen, und schaute mit jugendlicher Neubegier dem Segen des Landes entgegen. Und wie er so da stand, und die bunten 109 Thiere zählte, und wie er in seiner geheimsten Gehirnkammer den Wunsch erschuf, einmal reich zu werden an Rinder- und Ziegenreichthum und enthoben zu seyn des langweiligen Gymnasiums, womit ihn der Grödner zu Zeiten bedrohte, bemerkte Seraphin ganz zu Ende des Alpenheimfahrtzugs eine Erscheinung, die ihn plötzlich in Anspruch nahm, und von dem Schauspiel des Tags ganz ablenkte: einen Reiter nämlich, der unwillig genug dem Schwarm des Rindviehs den Vorrang lassen mußte, und nur mühsam nach und nach sich hindurchkämpfte. Der Reiter war aber ein Postknecht und derselbe, der wöchentlich einmal oder zweimal, wenn's hoch kam, von Landeck und Nauders die Briefe spedirte, die in's Vintschgau und Etschland bestimmt waren. Dieser Mann kam heute dem Seraphin so eilig vor, . . . . in seinem Auge lag, wie der Knabe meinte, eine solche Ungeduld, daß sie sich nur durch eine höchst wichtige Depesche erklären ließ, und wer in ganz Burgeis erwartete wohl den wichtigsten Brief?

»In dem Felleisen des Postreiters steckt dieser Brief,« sagte sich der hoffnungsreiche, »und auf dem Brief wird stehen: An Seraphin Plaschur, und der Walt hat ihn geschrieben. Darum flink zum Kreuzwirthshause, das Papier alsobald in Empfang zu nehmen!« – Wie ein Blitzstrahl fuhr der Knabe durch die Menschenmenge und das blöckende und mäckernde Vieh, kroch wie ein Aal zwischen den Beinen der vor dem weißen Kreuz müßig aufgestellten Trinkgäste hindurch in's Haus und paßte auf mit unruhigem Herzen und unstät umherschießenden Blicken. Der Postknecht stolperte endlich heran; schwerfällig langte er ein kleines Paket aus seinem Felleisen in's Haus. Der Wirth, der die Briefe in Dorf und Gegend zu besorgen hatte, bezahlte den Knecht, öffnete den Pack, mehrere Briefe fielen heraus. Der Wirth rief einen seiner Söhne: »Heda, trag' schnell die Briefe aus; zwei Stück an den gnädigen Herrn Rentmeister, diesen 110 einen großen an den Herrn Prälaten Johannes Murr im Kloster, den kleinen an den Bader, den da endlich, siehst Du, an den Vitus Holzer . . . . und . . . .« Seraphin, unter des Wirths Arm durchschauend, sah und hörte zu voll banger Erwartung – »und,« fuhr der Wirth fort, »und damit basta. Das Ganze macht einen Gulden fünfundzwanzig Kreuzer, und – was ich sagen will – borge dem Vitus und dem Bader nicht. Man kömmt bei den Leuten später so schwer zum Gelde und der Vitus hat ohnehin des Geldes nicht allzuviel.« – Der Sohn ging mit den Briefen fort. Seraphin, erstarrt und verdutzt, konnte nicht begreifen, warum der Wirth nicht auch für ihn ein Schreiben hergegeben. »Du, wo ist denn mein Brief?« fragte er, den Mann am Aermel zupfend. Der Wirth begriff lange nicht, was er wollte. Da aber die bereits von Seraphin halb in's Vertrauen gezogene Wirthin dazu kam, erklärte sie leicht des Knaben Angst und Hoffnung. »Er wird schon kommen, Du armer Narr,« sagte sie, Seraphins Haar glatt streichend: »er wird schon kommen, der Brief. Hab' nur Geduld, morgen ist auch ein Tag.«

Morgen war freilich ein Tag, aber nicht der Posttag. Dieses wissend, lief Seraphin zum alten Holzer und fragte nach. Vitus war außer sich – nicht vor Freude über die glückliche Ankunft seines Aeltesten in Augsburg, aber wohl vor Aerger und Verdruß über den Siebenzehner, den der Brief gekostet. Es war nicht viel Gescheidtes aus dem Manne zu bringen. Die besonnenere Mutter des Oswald berichtete dafür dem Frager, daß ein Gruß an denselben im Briefe stehe, aber weiter nichts. »Ein Gruß und weiter nichts!« wiederholte Seraphin wohl fünfzigmal, gesenkten Hauptes nach Hause schleichend; »und morgen ist kein Posttag! Wie soll ich acht Tage überdauern, ohne zu vergehen vor Ungeduld und Furcht?« – Nun hob auch in der That ein 111 wahres Fieber der Sehnsucht an, den jungen Menschen zu plagen. Sein goldner Schlummer war dahin. Wo er ging und stand, sah er eine gelbe Postjacke wie ein Gespenst um ihn hergaukeln. So oft er die Augen zumachte, und etwas einduselte, meinte er, einen mächtigen Brief in der Hand zu halten. Aufgewacht fand er immer sich betrogen. Zugleich quälte ihn eine neue Angst. »Wo nehm' ich einen Siebenzehner für den Brief her?« fragte er sich: »der Wirth borgt nicht, und der Grödner darf nichts vom Brief wissen.«

Gerade an dem Tag, der kein Posttag war, . . . horch, was trabt so rüstig durch's Dorf? was bedeuten die schmetternden Töne des Posthorns, die in der Straße gellen? Seraphin fährt auf aus dumpfem Brüten. Was kann's seyn, als ein Brief von Oswald?« fragt er neu belebt, und zürnt dem spektakelnden Postknecht, der sein Geheimniß so pflichtvergessen in die Welt trompetet. Abermals läuft er dem Wirthshause zu, streckt schon von fern die Hand aus, um nach dem ersehnten Papier zu greifen . . . . ach, wieder vergebens ist seine Freude, seine Zuversicht ist abermals getäuscht. Der gelbe Reiter bringt die Botschaft vom Frieden! Der Kaiser hat Frieden gemacht. Friede! Friede! das Zauberwort fliegt von Mund zu Mund, schneller als das Pferd des Boten weiter gen Mals und Schlanders rennt. Die Bauern jauchzen, sie umarmen sich auf der offenen Gasse, sie schreien ein Vivat nach dem andern dem geliebten Kaiser. Und Seraphin . . . . kehrt wieder entmuthigt, niedergeschlagen und trostlos heim. Was geht ihn der Friede, was der Kaiser an? Ein Brief von Walt wär' ihm theurer als ein hundertjähriger Friede in der Christenheit; – aber der Brief bleibt aus, und kein Gebet hilft, und die Unruhe des Wartenden steigert sich immer mehr.

Am nächsten Tage – es ist ein feuchtes regnerisches Wetter – die grauen Nebelmäntel hängen dick und näßlich 112 über den Bergen – bildet sich Seraphin ein, es müsse die Post kommen, . . . . sie sey schon auf dem Wege . . . . er sieht im Geiste, als wie in weiter Ferne, den vorwärts strebenden Reiter! Dem ungestümen Drängen seiner Phantasie gehorchend, eilt er der Post entgegen, die Haide hinan, bis zur Hochbrücke, wo das Gericht von Nauders anhebt. Ach, wiederum vergebens hat er seine Beine, seine Augen angestrengt. Schon ist der Abend da, und nirgends ein Pferd zu sehen, nur hie und da vereinzelte Wanderer, die vor dem drohenden Regenschauer einem gastlichen Dach entgegen ziehen. Seraphin muß umkehren, umnebelt von dem Grauen des Herbstabends und von abergläubischer Furcht; denn an jener Brücke wandelt zur Nachtzeit der furchtbare Lork von Nauders, ein gespenstiger Spuck, dessen Gestalt einem Heuschober ähnelt, mit Augen, die da leuchten wie ungeheure Laternen. Seraphin flieht das Revier des Kobolds, aber die Haide hinab, zur Rechten, zur Linken, am Bette der sausenden Etsch, an den aufsteigenden Wänden des Thals flattern und tauchen Flammen auf und nieder: die berüchtigten feurigen Mandln, die Gespenster der unglücklichen Streiter, die auf der MalserhaideDie Malserhaide: Auf derselben wurde die blutige Schlacht (1499) geschlagen, die Tausenden von Tirolern und Schweizern das Leben kostete, und worinnen die erstern, eines bessern Looses würdig, überwunden wurden. gefallen sind in der ewig denkwürdigen Schlacht. – Gehetzt wie ein Wild, kommt Seraphin zurück in's Haus, wo neue Vorwürfe und Mißhandlungen ihn erwarten, und kriecht, erschöpft vom Lauf und von der Züchtigung, in sein elendes Bett, das er alsdann mehrere Tage nicht verlassen kann, gemartert von schmerzlicher Krankheit, die seiner Einbildungskraft regelloses Walten über den ermüdeten Körper verbreitet hat. – Aber manchmal sind auch Krankheiten Geschenke einer barmherzigen Vorsehung; öfters verhütet ein vorübergehendes Uebel das drohendere Unheil, und der Kampf, den die ungeschwächte Natur muthig ausficht, erobert nicht selten dem Körper und Geist ein beneidenswerthes Gleichgewicht. – Seraphin genaß, und zwar so 113 vollkommen, als ein junger Bursche zu genesen vermag. Er hatte das Verdienst diese Genesung ganz allein sich selber zuzurechnen; denn der Bader hatte ihn behandelt wie ein Pferd, das man auf Tod und Leben traktirt, und die Grödnerin hatte es an der strengsten Vernachläßigung nicht fehlen lassen. Seraphin war auch während der Heilung ein ganz anderer Mensch geworden. Die stürmische Jast in seinem Blute hatte sich gelegt, sein Kopf hatte sich klar gemacht. Die paar Tage der heroischen Krankheit schienen ihn um eben so viele Jahre an Besonnenheit und Verstand weiter gebracht zu haben. Er wußte sich auf einmal in den finstern Tyrannen des Menschenlebens, in's Unvermeidliche zu finden; er grämte sich nicht mehr ab um des Augsburger Briefs willen, der durchaus nicht kam; er grübelte nicht mehr nach den Ursachen der Feindschaft, die ihm die Grödnerin erwies, statt der Pflege. Seine Ergebung in die Dinge, wie sie einmal bestanden, war nicht mehr Schwäche und ängstliche Schweigsamkeit; der Knabe stand erhaben über seiner Sklaverei, und kalten Bluts begann er zu berechnen, wie lange sie noch dauern müsse, wie bald er sich ihr entziehen würde können. – Getrost sagte er sich Morgens beim Erwachen, Abends vor dem Einschlafen: »Den Winter hindurch ist's klug, noch auszuhalten; wenn aber einmal die Blumen aus dem Schnee brechen und die Lerchen in hoher Luft singen, wollen wir's schon anders machen, so Gott will.« Und dieser Hoffnung gläubig hingegeben, that er, was ihm geheißen wurde, ohne Murren, und überhörte alle Spottreden, die von diesem oder jenem gegen den »wilden Prinzen« des Grödners vorgebracht wurden. – »Unkraut verdirbt nicht!« sagte wohl zehnmal im Tage die Krämerin, auf den Knaben zeigend, dessen frisch aufblühende Wangen der Hoffnung spotteten, die jene sich auf seinen Tod gemacht hatte. 114 »Du wirst sehen, aus dem Buben wird noch etwas Rechtes,« erwiederte dann wohl der Grödner, und lächelte dabei, wie Einer, der um ein wichtiges Geheimniß weiß. Die Frau ärgerte sich dann gelb und grün; aber Seraphin blieb kalt bei ihrer Galle, wie bei des Grödners räthselhaften Sprüchen. »Freilich,« lachte er in sich hinein, »will ich schon noch was Besseres werden, als er glaubt und sie fürchtet; aber wohl auf eine andere Weise, und nicht als ein »wilder Prinz.« Denn meine Mutter ist ehrlich gewesen, und ich bin gewiß und wahrhaftig meines Vaters Lenhard Sohn, und das ist mein Evangelium. Mögen sie reden, was sie wollen; ich werd' schon einmal thun, was mir gefällt.«

Du sagte eines Tags – schon hatte sich der Winter leise eingestellt – die Grödnerin zum Knaben: »Ich hab' dem Liebl lang versprochen, ihm Kugeln und Schrot zu schicken. Deine dumme Krankheit hat's aufgeschoben. Geh' heut nach dem Essen nach Schleiß, und trag dem Jäger den Sack in's Haus.« – »Kann schon seyn,« antwortete Seraphin kaltblütig, verzehrte sein schmal zugeschnittenes Mahl, und trollte davon, die kleine Last auf dem Rücken. Das Wetter war hübsch kalt, der Wind ruhte, der Pfad war grieselich bestreut mit dünnem Schnee, die Pfützen und Bachrunsen waren überfroren. Seraphin schritt und glitschte munter dahin, schaute wohlgemuth an der Fürstenburg empor, und seufzte mit stillem Herzensdank: »Gottlob, daß die Buben des gnädigen Herrn nach Chur gekommen sind, um was zu lernen; so hab' ich doch nicht nöthig, wie ein Maulaff mit ihnen herum zu ziehen, und dem langweiligen Instruktor nachzubeten. Sie haben bald gemerkt, daß ich nicht eigentlich für sie taugte. Ich denke auch, der gnädige Herr hat mich nur anfangs als ein Spielzeug kommen lassen, und ist selber meiner bald satt geworden. Desto besser, desto besser!« – Und der Knabe pfiff und sang, und schliff weiter und 115 weiter auf den Eisbahnen, die nicht selten den Weg durchschnitten.

In dem Dorfe angelangt, sucht er des Jägers Wohnung. Der Alte hatte eine Stube und Kammer bei einem Bauer zur Miethe genommen. »Wenn ich den Lex antreffe?« fragte sich Seraphin mit einiger Besorgniß. Alsobald faßte er sich jedoch, schaute auf seine während des Fiebers stark aufgeschossenen Gliedmaßen, denen Wamms und Beinkleider ziemlich zu kurz und eng geworden waren, und schnalzte, auf Alles vorbereitet, muthwillig mit der Zunge. »Der Lex wird mich jetzt nicht mehr fressen!« sagte er herzhaft und tappte ohne alle Beklemmung in des Jägers Stube.

Ach, wie heimelich war ihm darinnen zu Muthe! Am Fensterchen saß des Jägers zweite Frau, ein junges Weib mit einnehmenden Zügen, und spann fleißig. Zu ihren Füßen, neben einem Schemel, kauerte ein kleines Mädchen, Liebl's jüngstes Kind, und zupfte Wolle. Seraphin glaubte einen Augenblick, seiner frischlebendigen Mutter, seiner kleinen Anne gegenüber zu stehen. Das Weib erwiederte seinen Gruß mit freundlicher Stimme und fragte nach seinem Begehr. Schon lange hatte der arme Bursche eine freundliche Weiberstimme nicht vernommen, schon lange nicht in milde Augen geblickt. Er fragte sich selber ganz leise, ob dieses Gemach in der That des gefürchteten Liebl Wohnung sey? Die größte Sauberkeit herrschte an den Wänden, auf dem Fußboden; der Ofen war gut erwärmt, Weib und Kind wohl gekleidet, die Flinte über'm Bett blankgeputzt, der Hund des Jägers glattgestriegelt. Seraphin hatte gefürchtet, in der Behausung des alten Hexenmeisters über Todtengebein zu stolpern, grimmige Katzen auf dem Sims gelagert zu finden, und in jedem Winkel nur Moder und Graus und blutige Waffen.

116 »Wo ist der Jäger?« . . . . fragte er, verzagt ob seiner Täuschung. »Drinnen!« hieß die Antwort des Weibes, das nach der Kammer deutete, »mußt aber warten. Er betet.« – »Er betet?« wiederholte Seraphin staunend, und blieb auf seinem Fleck wie angenagelt, betrachtend bald die heitere Gruppe von Mutter und Kind, bald den ausgestopften Steinmarder über der Thüre, und das schöngefaßte Kruzifix über dem handgroßen, aber krystallreinen Spiegel. Es trat ihm das Wasser in die Augen. »Mutter und Schwester am Leben, ein Stübel, so traulich wie dieses, und genug zu essen und zu trinken . . . . wer auf Erden wär wohl glücklicher als ich?« Dieser Gedanke erfüllte die Seele des Knaben, und er gab nur dürftigen Bescheid mit Worten auf die ausfragenden Anreden der Jägerfrau, die an Neugier keiner andern etwas nachgab, wenn sie schon an Herzensgüte vor Tausenden viel voraus hatte. – Mittlerweile gab's Geräusch in der Kammer; mit dem Rosenkranz in der Hand trat der Jäger in die Stube. Das wetterzerfurchte Antlitz des Mannes hatte in diesem Momente einen Abglanz von höherer Weihe. Das Gepräge dreister Verwegenheit war darauf gemildert; in den Iltisaugen spiegelte etwas wie feuchte Zerknirschung. Man sah ihm an, daß der Mann ernsthaft mit seinem Gott geredet.

Betroffen schaute er den Kugelträger von Kopf zu Füßen an. »Was? he, Du? Du bist noch am Leben?« – »Ja freilich, Jäger. Die Frau schickt mich . . . .« – »Die Frau hat Dich zum Teufel geschickt, als ich's letztemal mit ihr geredet. Sie hätte auf Deinen Tod das Abendmahl genommen.« – Seraphin zuckte die Achseln: »Ich kann nicht dafür, daß ich nicht gestorben bin.« – »Du kannst dafür, dummer Bube, Du kannst dafür. Wer nicht dafür kann, ist die Grödnerin.« – »Meinetwegen. Da ist der Sack, und lebt wohl alle miteinander.« – »Halt, Seraphin. Laß Dir sagen: richte der Grödnerin einen 117 Gruß aus, und ich ließe sie fragen, ob sie denn noch nicht zu Verstand gekommen sey?« – »Das mögt Ihr selber ausrichten; mein Rücken will Ruhe haben.«– »Hast Recht; so sag' ihr denn: es sey die Gemsenzeit vorüber; der Berg und Fels hänge voll von Eis und Schneeschildern. Es sey jetzt kein Wetter mehr, zu den Fernern aufzuklimmen. Sie hätte das verpaßt. Zudem sey Freitag, hörst Du? Freitag, und am Freitag rühre der Liebl keine Flinte an.« Der Jäger unterbrach sich hier selber ein paar Athemzüge lang, mit einem Gesichte, als ob ein gewaltiger Schmerz seine ganze Gestalt von der Zehe bis zum Wirbel durchschütterte. Das Weib betrachtete ihn ängstlich, aber bald glich sich der qualvolle Zustand im Jäger aus, und er setzte seinen Worten bei: »Sie muß warten bis auf gelegenere Zeit, wenn sie etwas von mir will. Für Kugeln und Schrot werd' ich mich selbst bedanken.«

Die sonderbaren Reden des Liebl begleiteten den Knaben auf der Heimkehr, wie eben so viele unbekannte Leute, deren Namen und Herkunft er gern hätte wissen mögen. »Ein kurioser Mensch!« murmelte er in einem fort, und daneben trug er in seinem Kopfe das Bild von dem stillen reinlichen Haushalt des Jägers mit hinweg, und konnte nimmer und nimmer begreifen, wie der verrufene Waidgesell zur gottseligen Andacht und zu einem so wonnevollen Frieden im Hause gekommen. Bei der Grödnerin war freilich wieder ein anderer Tanz. »Du bist schon wieder da?« fragte sie den Knaben verwundert; und als er ihr gemeldet, was ihm der Jäger aufgetragen, zerschlug sie im aufschäumenden Zorn ein paar Töpfe, und wetterte dabei: »Freitag, Freitag! was hat der falsche Dieb mit dem Freitag zu thun? Wart, wart, Liebl! aber ich muß mir schon selbst helfen!« – »Sie hat schon wieder ihren Streich,« meinte Seraphin, und ließ sie brummen und poltern nach Herzenslust.

118 Nun hob für's ganze Land eine lange Reihe übler Tage an. Der grelle Winter trat plötzlich in seinem vollen Schneepanzer aus den Gebirgen in's Thal. Wer je einen scharfen Vintschgauer Winter erlebt hat, weiß davon zu erzählen. Die kurzen Tage des trübseligen Advents trugen das ihrige zum allgemeinen Ungemach bei. War eine lange Nacht vorüber, so kam ein trauriges Zwielicht, indem das dichteste Schneegestöber den Morgen und Mittag verdunkelte. Und kaum war der Mittag vorbei, so stellte sich wieder die Finsterniß ein. Lange Eiszapfen schoßen an den Dächern an, wenn der Schneefall etwas nachließ, die Etsch schob sich unter Eiskrusten fort, daß nur eine schmale Rinne für den tobenden Fluß als offene Bahn übrig blieb. Der Haiden-, Graun- und Reschensee fror zu, und die Bewohner der drei Gemeinden schafften die stärksten Holzlasten aus den Bergforsten schnurgerade über die Seen in ihre Häuser. Auf diese Eismassen fiel wieder und abermals und immer von neuem Schnee, so daß er in den Dörfern aufgethürmt lag gleich hohen Mauern, und nur zu oft den Eingang in die Wohnungen wild verrammelte. Es wurde zu gewissen Zeiten eine schwere Aufgabe, von Burgeis nach Mals oder nach Haid die verhältnißmäßig kurze Strecke zurückzulegen. Die Seitenthäler waren vom Verkehr der Landstraße ganz und gar abgeschnitten, aber auch im Hauptthal kostete es die höchste Anstrengung, eine Verbindung unter den Ortschaften zu erhalten. Es war keineswegs lustig, die Haide zu durchstreifen, mochte es hell oder finster am Himmel seyn. Die Straße war von den Feldern nicht zu unterscheiden, überdeckt von Schnee; der Rauch (Nebel), der den Reisenden blind macht, stieg von der Etsch auf, von den Bergen hernieder; der rasende Nordostwind, der über die Multen – eine ungeheure Wiesenbreite auf dem linken Ufer des Flusses – beinahe unaufhörlich in's Thal stürmte, oder von Nauders herab die Haide fegte, stürzte die 119 Schneestangen um, wehte den Schnee in dichten breiten Wolken hernieder, daß er die Stellen verschüttete, wo des Menschen Fuß zu wandeln pflegt. Vor dem Heulen dieses andauernden Sturmes verstummten selbst die hungrigen Wölfe, die sich, vereinzelt, von Noth getrieben, aus dem Hochgebirge in das Land geflüchtet hatten. Jenes entsetzliche Windbrausen wurde nur unterbrochen von dem Krachen der gefrornen Seen und von dem seltsamen Gestöhne ihrer gefesselten Fluthen, oder vom Fall und Niedersturz der Schneeschilder, die ihre eigene Schwere von den Felsen riß, oder von dem Wuthgeprassel, womit die Etsch von Zeit zu Zeit ihre Eishülle sprengte, und in Trümmerblöcken weit in's Ufergelände hineinschleuderte. Kein Sonnenstrahl brach durch die finster durcheinander wirbelnden Gewölke. Des Himmels Decke schien bis auf der Berge Gürtel gesunken zu seyn, und schüttelte weißer Flocken eine Menge nieder und konnte kaum damit fertig werden, oder wechselte ab mit tüchtigem Regen, der Berg und Thal mit Eisblattern überschoß, oder drückte eine Kälte, die das Herz hätte erstarren mögen, auf Land und Leute herab. Der Frost spaltete dann Bäume und Steine, tödtete die wenigen Vögel in der Luft, und sobald er wich, regierte wieder die Windsbraut, sprühte der Schnee. – Es war recht traurig, daß neben der scharfen Winterplage auch die Noth und der blasse Mangel in den Hütten der ärmern Leute einriß.

Unter diesen Umständen kam der Weihnachtabend heran. Die festliche Zeit wurde im Grödnerhause durchaus nicht mit den Vorbereitungen begrüßt, die in wohlhabenden Wirthschaften stattzufinden pflegten. Die Krämerin hatte seit einigen Tagen ein mürrisch-verschlossenes Wesen angenommen, sorgte kaum für Küche und Herd, stellte sich kränker als sie je gewesen, und legte sich zu Bette. Der Grödner ließ dießmal ihrem Geiz den vollen Lauf, mit dem Vorsatz, sich auswärts schadlos zu halten. 120 Er ertheilte dem Seraphin die Erlaubniß, der wohlgemeinten Einladung der Kreuzwirthin zu folgen, die ihm während der vorgeblichen Unpäßlichkeit der Grödnerin einen Platz an ihrem Gesindtisch angeboten hatte. Seraphin war munter und eßlustig bei dem Mittagsmahl erschienen, hatte mit vielem Appetit seinen Antheil an dem sogenannten Kästenbrei – eine dicke Suppe von Fisolen, Gerste und Kastanien – genossen, und sich die darauf folgenden Nocken trefflich schmecken lassen. Er war gerade auf einen Augenblick zum Krämer zurückgelaufen, um zu fragen, ob es nichts zu thun gäbe, und wollte ins Kreuz umkehren, die einfache Lustbarkeit nicht zu versäumen, womit die Stunden bis zur Christmette hingebracht werden – da beschied ihn die Krämerin an ihr Bett, und sprach zu ihm: »Nimm dieses Medizinglas und geh' nach Mals hinüber, und besorge, daß die Arznei bereitet werde. Der Bader soll nichts davon wissen. Verliere den Zettel nicht. Bis gegen Abend wird der Trank fertig seyn, und dann lauf' und bring' mir ihn geschwind.«

Seraphin warf einen traurigen Blick durch's Fenster in das unheimlich drohende Gewölk, versuchte indessen keine Vorstellung bei dem grämlichen Weibe, und ging mit der Flasche im Sack davon. »Je geschwinder ich in die Apotheke komme, je geschwinder komme ich dann heim,« kalkulirte er bei sich selber; »ich will schon wieder zur rechten Zeit da seyn, um die Nüsse und den Wein nicht zu verpassen.« –

Da er beim weißen Kreuz vorüberging, stand der alte StachusStachus: Diminutiv von Eustachius, wie Stasl von Anastasia, Mala von Amalie, Simele von Simon, Kölbl von Coloman u. s. w. unter der Thüre, und fragte: »Wohin, Seraphin?« Und als der Knecht alles vernommen, kopfschüttelte er und sprach weiter: »Wie kann nur das Weib in einem Wetter wie heut, einen Menschen auf die Straße hinausschicken? Bleib' da, Seraphin.« – »Was nicht etwa noch gar, Stachus? Ich möcht's nicht probiren. 's thut nichts, bin bald wieder da.« – »Hm, hm, Seraphin, 121 weißt Du wohl? es kommt ein abscheulicher Sturm. Ich versteh' mich auf die Witterung. Es sind schon Manche bei solchem Gewölk ausgegangen und nimmer wieder heimgekommen« – »Da wär' mir nichts lieber!« lachte der Knabe ungläubig; »'s wär' mir schon recht, wenn ich nicht umzukehren brauchte, aber das Wetter thut mir nichts. Leb' wohl, Stachus, und heb' mir ein paar Nussen auf, hörst Du?«

Fort war er mit der Geschwindigkeit eines Pfeils. Bis vor die Brücke hinaus hatte es keine Noth. Draußen sah es jedoch bedenklicher aus. Der Schnee lag so tief, daß Seraphin bis an die Kniee hineinstapfte, und schon bei der Michaels-Kapelle eine lange Rast machen mußte, um aufzuathmen und seine Glieder ruhen zu lassen. »Wenn der Stachus Recht hätte!« seufzte er, und schaute besorgt an den Bergen herum, so weit dieselben vor den niederhängenden Wolken gesehen werden konnten. Ueberall kein Zeichen, daß sich der Himmel aufhellen würde; dagegen manchmal, was man auf dem Meere eine Windklaue zu nennen pflegt, die, neckend, bald aus dieser, bald aus jener Schlucht hervorstieß und eine Unzahl scharfkantiger Schneekrystalle übers Land verstreute, daß Stirne und Wangen des jungen Wanderers funkelten und brannten, während seine schlechtversorgten Füße im acht Zoll tiefen Schneebade eiskalt und naß hinpatschten. – Wenn er auf diese Weise hundert Schritte gemacht hatte, war er müde, als hätte er die höchste Tanne bis zum Wipfelstrauß erklettert. Wohl drehte er dann die Augen oft nach dem stattlich in der Höhe stehenden Benediktinerstift, und wünschte, zum erstenmal im Leben, ein gelehrter Herr und zwar ein Klosterherr zu seyn, der in seinem geistlichen Schlosse, am warmen Ofen, bei überguter Kost und allerlei Gemächlichkeit, des Winters Last und Plage abwarten kann. Wenn aber die Augen Seraphins auf den spitzigen Kirchthurm 122 von Burgeis und tiefer noch bis zur Kirchhofmauer niederglitten, die von einem hochanlaufenden Schneewall umgeben schien, da wünschte Seraphin freilich noch viel mehr und etwas weit besseres: er wünschte zwei Herzen, die ihn geliebt, in's Leben; er wünschte, für diese arbeiten und schwitzen zu dürfen, und wäre gern Tage lang bis an den Hals im Eis gestanden, wenn er dieses hätte bewerkstelligen können. Aber die Winde spotteten seiner Thränen, und leckten sie weg mit rauher Zunge. Indessen beschäftigte die Wehmuth seine Seele dergestalt, daß er darüber die Mühsal des Körpers vergaß, und wacker darauf loswatete, bis er vor dem Thore des Fleckens ankam, müd und matt, jedoch erhoben durch den Gedanken an die Seinigen. Denn, bekümmerte ihn gleich die Vorstellung, daß ihre sterblichen Hüllen grausam von ihm getrennt lägen unter der Erdenrinde und einer Wucht von Eis und Schnee, wie auch ihre Seelen weit von ihm geschieden waren durch die ungeheuern Wolkenmassen und des Himmels ferne ferne Pforten, so beruhigte ihn doch und tröstete ihn wundersam der fromme Glaube, daß sie lebten, wenn schon hoch oben über allen Lüften, und daß er's dahin bringen würde können, sie wiederzufinden, durch ein ehrliches Leben und einen gottseligen Tod. – Gleich darauf indessen – so veränderlich ist junges Blut – schüttete er das Wasser aus seinen Schuhen und lachte über den Tod und über des alten Stachus Bedenklichkeiten, und meinte, die Müdigkeit verschlage einem so wohl aufgelebten Buben gar nichts, und er wolle sich das Sterben fein vom Leibe halten in Ewigkeit. –

Nachdem er sich in einer windfreien Ecke gerüttelt und geschüttelt, die Eiszäpfchen aus dem Haar gerauft und das Hütl abgeklopft, ging er zur Apotheke. Leider war die kleine Spelunke voll von wartenden Kundleuten, und der gravitätische Provisor – in seinem 123 breitaufgeschlagenen schwarzen Rocke, mit den schmutzigen Manschetten und den tellergroßen Glasknöpfen an der dunkelgelben Weste – war nicht geneigt, der Reihenfolge der Wartenden Gewalt anzuthun. »Alles zu seiner Zeit,« brummte er aus blassem Munde und schüttelte drohend seine doppelknotige Perrücke. Der bescheidene Seraphin sah nachgiebig zu, wie sein Arzneiglas ans Ende der langen Zeile von Gefässen gestellt wurde, die auf Beförderung harrten. Er erlaubte sich um so weniger eine Widerrede, als ein ganz anders wichtiger Mensch vom unerbittlichen Apotheker eben so gut und hart zurückgewiesen wurde, ja noch härter, als Seraphin selber. Es trat nemlich der Jäger Liebl ein, und verlangte schnell ein Pulver für sein erkranktes Weib. – »Die Andern gehen vor,« erklärte der Provisor. Der ungeduldige Alte versetzte: »Wer geht einer Frau vor, die als wie am Sterben ist? es eilt, es eilt, Herr.« – »Es eilt nicht,« behauptete der Provisor: »eilt um so weniger, als Du ohnehin dieses Pulver erst bekommen kannst, wenn Du die schon gelieferten Medikamenta bezahlt haben wirst.« – »Wenn ich doch kein Geld habe, in aller Teufel Namen? wenn doch der Verwalter zu Lichtenberg ein geiziger boshafter Hund ist, der mir in der Winternoth keinen Heller vorstrecken will? Wenn doch mein Weib seit dem letzten ErchtagErchtag: Dienstag. Pfinztag: Donnerstag. Der letzte Donnerstag im Fasching heißt der unsinnige Pfinztag. krank liegt am Husten und Gliederweh und am bittern Mangel?« – »Und wenn auch,« versicherte der Apotheker gelassen: »es wird dir nicht mehr geborgt, und wenn Du's Geld in der Hand hättest, bekämst Du Deine Pulver nicht, bevor nicht die Andern ihre Arzenei haben; Punktum.« –

Der Jäger sah eine kurze Weile drein, wie einer, der alles zusammenschlagen will, doch besann er sich eines Bessern; warf's Rezept auf den Tisch, und ging mit nassen Augen und grimmigen Zügen von dannen. Wer in der Apotheke war, schaute ihm verwundert nach, denn 124 niemand hatte den Jäger irgend so verstört gesehen. Der Mann war, seitdem ihn Seraphin besucht, ein ganz Anderer geworden, eine Beute von schweren Leiden, eine Beute vielleicht des Hungers und des Kummers um sein Weib, das er mit jener Leidenschaft liebte, die er auf alles, was sein Gemüth beherrschte, übertrug. – Die Leute schüttelten die Köpfe ob seines Aussehens und Betragens. »Na,« sagte einer, »wer heute dem da in die Hände fällt . . . .!« und Alle riefen wie das »Amen« ihr: »daß Gott erbarm'!«

Seraphin beschäftigte sich nicht lange mit dem Jäger; der Frost, der ihn nun überkam, da er ruhig auf dem Flecke stand, zerstreute ihn, wenn gleich auf unangenehme Weise. Er beschloß, ein gastliches Küchenfeuer zu suchen, um sich zu erwärmen. Eine gutmüthige Magd, seine unmittelbare Vorgängerin am Bethesda-Teich der Apotheke, wies ihn in den »Bären« hinüber, und versprach, ihn zu benachrichtigen, sobald die Reihe an ihn gekommen seyn würde.

Das Gasthaus war mit Fremden angefüllt. Fuhrleute mit wälschen Zottelmützen und Frachtkarten, Säumer mit Rossen und Weinfäßchen, Handwerksbursche mit langen Degen und leichten Bündeln, Studenten, die heut ihre Heimath, wo sie die Feiertage zubringen wollten, nicht mehr erreichen konnten, buntes Volk von allerhand Zunge und Sitten, hatten ihre feste Einkehr über den Christabend im Wirthshause genommen, und sich's bequem gemacht, wie's anging. Wer Degen oder Mantel trug, saß in der Stube, wer im Kittel oder Janker ging, in der Küche vor dem Wein und Branntwein; die Hungrigsten liebäugelten mit den im Schmalz zischenden Fischen, oder mit der Mehlspeisfülle des Festtags; die Leckermäuler getrösteten sich der Fleischgerichte, die nach der Mette ihnen aufgetragen werden sollten, und gleichsam im Verborgenen schmorten und würzigen Duft 125 versendeten. – Seraphin konnte sich gemächlich unter das Getümmel mischen, aber sein Vorwitz hielt ihn, trotz des Frostes und der Müdigkeit, noch eine Weile an der Stallthüre fest. In das Gewölbe des Pferdestalls hatte eine Karrenzieher- oder besser, eine Landstreicher-Familie von denen, die im Vintschgau oder Oberinnthal hin- und herwandern, und Lahninger oder DörcherDörcher: Heimathlose Landfahrer, auch »Laninger« genannt. Sie ziehen noch heute in Oberinnthal truppweise auf und ab, Kessel flickend, Obst karrend, und ähnliche Geschäfte verrichtend. geheißen werden, ihr wanderndes Haus, den Karren, geschoben, und die Familie lagerte neben der Deichsel im Stroh. Sie war zahlreich, wie gewöhnlich: ein Mann, der sich mit Hafenbinden und Löffelgießen abgab; seine Frau, oder besser, die Mutter seiner Kinder, deren ein halbes Dutzend war; die Mutter jener Frau, die Kundschaftbringerin, Ausspäherin, Probebettlerin, Wahrsagerin und des Hauses Rathgeberin in einer Person; ferner ein Kreuzvogel, der in einem Heunest hockte, mit hochaufgeblasenen Federn, und ein schmieriger, einäugiger Spitzhund, der häßlichen häßlichster, aber treu wie Gold, und abgerichtet, Silber und Kupfer zu apportiren, wo es auch liegen mochte. Diese Familie wollte ebenfalls den heiligen Abend und das Christfest in dem Markt zubringen, wie es schien; denn sie hatte sich's bequem gemacht, und aus dem Segeltuch des Karrens schauten einige hochfarbige Festtaglumpen und eine Zither, die am zweiten Feiertag die Kosten des Aufenthalts verdienen sollte. Auf den musikalischen Erwerb schien's besonders gemünzt zu seyn, sonst hätte die wandernde Familie die Liegerstatt in eines Bauern Scheune genommen, statt im Gasthaus zu verweilen, wo man sie nur ungern rasten ließ, und wenn's geschah, gerade nur aus Furcht vor Diebstahl oder Brandlegung –

Diese Familie war Seraphins Augenmerk, denn in der erfahrenen Rathgeberin und Großmutter, die just mit ihren Enkeln so gemüthlich spielte, glaubte er die Alte von den »wilden Fräulein« zu erkennen. Es war dieselbe Wollhaube, derselbe Wiefling, dieselbe Jacke; die Beine 126 waren zwar nicht nackt, sondern mit derben Wasserstiefeln bekleidet, aber dafür war's das Gesicht der Kräuterglaunerin mit Haut und Haar, mit Runzel und Warze, mit Bart und Kropf. Sie selber hatte dessen gar kein Hehl denn, sobald sie einmal zur Seite geblickt, den jungen Menschen bemerkt und erkannt hatte, strampelte sie hastig von der Streue auf, und bewillkommte den Freund von der Alpe mit einem grinsenden »Grüß' Dich Gott, schöner Bub.« –

Der Herr Schwiegersohn, der seiner Frauen Mutter die größte Freiheit ließ, sah eben nur mit halbem Aug' hinüber, und duckte sich dann wieder in's Stroh. Die Tochter sah sich gar nicht um, mit ihren Kindern beschäftigt. Seraphin war jedoch wie von Herzen erfreut – ohne daß er gewußt hätte, warum – der Alten so unverhofft zu begegnen. Fragen und Gegenfragen wickelten sich schnell nach einander ab. »So wie wir da sind,« sprach das Weib in der Schwatzerhaube, »kommen wir aus unserm Revier, weil uns die Kälte fortgetrieben hat, und wir trachten nach Meran oder Umgegend, um's wärmer zu haben. Mein Sohn ist ein braver Musikant und Kesselarbeiter, die Tochter singt gar schön und versteht Kastanien zu braten, wie keine Andere; die Kinder alle betteln perfekt, und die alte Zaya hilft halt aus, wo sie kann. Wo hast Du jedoch heute Deinen Branntwein?« – Seraphin sagte, warum er zu Mals sey. Die Zaya fragte wieder: »Bist Du ein Sohn vom Grödner?« Und als sie des Burschen Herkunft erfahren, klatschte sie mit großer Verwunderung ihre großen magern Hände zusammen, machte ein Gesicht wie ein Murmentl, das aus dem Winterschlaf geprügelt wird, nemlich süß und sauer, weinend und lachend zumal, und ließ sich auch in Worten sehr erstaunt vernehmen. »Nun, was habt's denn?« fragte Seraphin unwillig: »Wollt's nicht auch verschnappen und verkommen, wie der Egidi, der Maulmacher? Was ist denn Sonderbares an mir und meines Vaters Namen, daß die Leute davor erschrecken, sich 127 verwundern und die Hände über'm Kopf zusammenschlagen?« – »Du bist ein Glückskind, ein gewaltiges Glückskind,« versetzte das Weib, und zerrte ihn hastig aus dem Stall und in die Hausthüre. »Komm, komm, daß meine Kinder nichts merken.« – Seraphin wurde um nichts sanftmüthiger, denn er sagte voll Zorn: »O schweig' still mit Deinem Glück, Du Lügnerin! Hast mir meinen Enzian mit Wind bezahlt, mit falschem, grundfalschem Gelde. Hat er Dir geschmeckt, mein Enzian? Du verlogne Gurgel! Wahrlich, ich hätte den Branntwein brauchen können, mir noch am selben Abend den Buckel einzuschmieren, so heillose Schläge hat mir Dein saubres Glück gebracht!«

»Sey gut, gib Ruh', gib Fried',« beschwichtigte den Zürnenden die Alte: »glaub' mir, das Glück kehrt bei Dir ein, und über Nacht wird's kommen, im weißen Winter und im grünen Sommer, zu jeder Jahrszeit, denn es leuchtet Dir aus Aug' und Antlitz. Schau, heut' schon kommt's zu Dir, und ich will Dir damit das Maul stopfen. Du kleiner Zoch' und Zänker. Ist's nicht ein Glück, zu finden, was eigentlich schon verloren war? He? komm, komm, laß Dir den Mund verschließen. Glaub' mir, die alte Zaya ist sonst nicht geschwind bei der Hand, etwas herauszugeben, was sie schon im Sacke hat. Aber Dir, Dir, lieber Bub, g'schieht von mir Alles zu Gefallen, denn Du bist wohlthätig gewesen, Dein Enzian war gut, und die alle Zaya hat gedurstet, wie ein Fisch.«

Bei diesen Worten zog die Alte aus dem schier bodenlosen Abgrund ihrer Tasche ein längliches, in schmutziges Papier gewickeltes Ding hervor, und als sie das Papier zurückgeschlagen, war darinnen – ein ZeltenZelten: Weihnachtsbrod von trocknem Obst, von sehr verschiedener Form und Güte. Lebzelten: Pfefferkuchen., ein Weihnachtzelten von Teig und Mandeln, und Hutzeln und Zibeben. Seraphin wurde noch verdrießlicher, schob das Backwerk von sich, und rief: »Laßt's mich aus mit euerm dummen Spaß!« wollte auch davongehen, als ihn die Alte aufhielt, und halblaut sagte: »Was? wenn doch der Zelten 128 von des Tammerl Tochter ist, die mir ihn gegeben hat, um ihn zu Burgeis dem Seraphin Plaschur als ein Andenken für den Vogel zu überbringen?« – »Wie? Zaya, ist das wahr?« – »So wahrhaftig, als der Wind, von dessen Brausen jetzt grad Dach und Rauchfang erzittert. Die Martina – ich kenn' sie wohl, mein Sohn kommt alle Jahr in Tammerls Haus, das Geschirr zu flicken – sie hat gewußt, daß wir durch Vintschgau reisen, und ist heimlich an mich gekommen und mit dem Anliegen hervorgerückt; aber der Vater und die Mutter und kein Mensch sollten was drum wissen. Nun sind wir heute Morgen zwar durch's Dorf gezogen, und ich hab' gefragt und gefragt, und immer hat's geheißen, man wisse nicht, wo der Seraphin gerade sey. Da hab' ich den Zelten in Gottes Namen behalten und heute Abend mit meinen Kindern essen wollen. Jetzt kommst Du auf einmal daher, und bist der Seraphin selber, und ich kann nicht dem Gelüste widerstehen, Dir zu geben, was Dein gehört. Ich hoff', Du wirst ein paar Kreuzer nicht ansehen, um die alte Zaya für ihre Ehrlichkeit zu belohnen.« – Seraphin suchte eiligst das Geld, das er für die Arznei bei sich trug, und gab der Alten einen Theil davon. Sie dankte sehr und sagte beim Fortgehen: »Noch eins. Die Martina hat gewollt, Du sollest heut' den Zelten anschneiden, als wenn sie dabei wäre, und der Branntwein, den Du dazu trinken wirst, soll seyn, als hätte sie ihn mitgetrunken.«

»Juh! juh! Madl, dreh' Dich rund um und um!« sang Seraphin mit geschwenktem Hut. Er kannte hinlänglich die Sitte des Zeltenanschneidens im Ober- und Unterinnthal, wenn sie gleich im Vintschgau nicht herkömmlich war. Darum strich er schnell in's Gewühl der Küche, ließ sich ein Glas Wein in einen warmen Winkel stellen, und setzte sich dazu, vergnügt, wie ein König, denn Martina hatte ihren Platz in seinem Herzen siegreich wieder erobert, und zwar einzig nur durch die bedeutsame Botschaft, die 129 auf einmal den Knaben zum Jüngling und zum Liebhaber, zum begünstigten eines herzenswilligen Mädchens erhob.

Es wäre für einen mit der Sache vertrauten Beobachter eine artige Unterhaltung gewesen, dem jungen Plaschur seine Aufmerksamkeit zu schenken, wie er in seinem stillen Winkel so selig dasaß, und sein Glück genoß, während sich Alles in seiner Umgebung mit lautem Geschwätz, Gelächter und Geräusch ergötzte. Mit lebhaftester Einbildungskraft zauberte Seraphin an seine Seite das Konterfei der guten Martina, über sein Haupt das Dach einer einsamen Hütte im Gebirge. Eine klare Mondnacht malte er sich vor das Fenster der kleinen Hütte und einen dünn beschneiten Pfad, den er, um sein Liebchen zu besuchen, gegangen war, wer weiß, wie weit. Sie plauderten so traulich und kindlich mit einander, die Besuchte und der Besucher! Sie hatte mit reinlichem Linnen den Tisch bedeckt, und den Zelten, den ihre Hände verfertigt, und des Pfarrers Segen geweiht, feierlich aufgesetzt. Sie hatte ihm erlaubt, ein Zeichen ihrer Liebe, ihn anzuschneiden; er that's mit Entzücken, füllte ihr den rothen Mund mit dem ersten leckern Bissen, aß dann den zweiten, und bei einem jeden hieß es hin und her: Ich hab' Dich gern, ich hab' Dich lieb, und dieses Mahl soll unsere Liebe heiligen! – Dann bot er zur Vergeltung der Freundin den süßen Labegeist, den er mitgebracht, und sie trank mit ihm, sie nippte ihn so freundlich, als nähme sie ihn von seinen Lippen. Eine süße, niegekannte Wonne beschlich den guten Seraphin, und wer weiß, wie lang der holde Traum im Wachen noch fortgedauert haben würde, wenn nicht die Stimme des alten Jägers unfern sich hätte vernehmen lassen. »He, Du, wie steht's?« hatte ihn ein Bekannter von Mals gefragt. – »Schlecht, schlecht, ich bin zu Tartsch gewesen, weil mir einer dort schuldig ist. Aber nicht ein Heller ist mir geworden. Sie haben mir zu trinken gegeben, daß mir der Kopf schwindelt, aber nicht 130 ein Kreuzer baar fiel ab. Das Weib stirbt mir weg, und ich kann's nicht ändern!« – Der Liebl sah aus wie die leidige Desperation, und sein vorhin noch so bleiches Angesicht glitzerte kupferroth. – »'s ist Schade,« erwiederte der Freund: »ich selbst kann's Geld nicht missen, aber nimm einen Trunk von mir!« – »Gib her, und sollte ich mir damit die Lunge anbrennen. 's geht doch nicht mehr besser in diesem elenden Leben!« – Sie verschwanden in der Menge.

»Das war nicht des Jägers Freitagsgesicht,« bemerkte sich der junge Plaschur: »aber der Mensch hat mir in's Gedächtniß gerufen, daß ich schier mein ganzes Geldl weggegeben habe. Wie jetzt die Arznei von dem Provisor kriegen, der nicht borgt?«

Der bange Zweifel und der Vorwurf war kaum ausgesprochen, so schob sich eine feiste Figur vor den Knaben hin, schaute ihm in's Angesicht, und fragte: »Du, wo hast Du den Grödner?« – »Daheim« – »Ei was, ei was, das kommt mir ungelegen. Ich bin ihm schuldig; es macht drei Gulden und fünfzig Kreuzer. Jetzt schau: behalt' ich das Geld über die Feiertage, so geht's dahin wie's Wasser in dem Bach. Möchtest Du so gut seyn, und es zu Dir stecken?« – »Das kann schon seyn, Michel Punt.« – »Bist brav, bist brav; hast auch eine Tasche, die nicht zerrissen?« – »Ach, behüte Gott. Du kannst ruhig seyn. Ich trag' das Geld geschwind hinüber.« – »So, paß auf,« versetzte der ehrliche Schuldner, und zählte das Geld bedächtig, wie der Bauer pflegt, dem jungen Menschen in die Hand. Es liefen wohl einige Brodkrumen mit; das hatte aber nichts auf sich, denn Seraphin, seines Geldmangels ledig, empfing die Zahlung mit Freuden und schob sie in die Tasche und achtete in seinem Vergnügen gar nicht auf den gierigen Blick, den ihm der arme Liebl zuwarf, welcher in seine Nähe gekommen war. Auf dem Absatz drehte sich der Jäger flink um, und wurde bald im Wirthshause nicht mehr gesehen.– Dafür kam die gutmüthige Magd, die dem Seraphin versprochen hatte, nach ihm zu schauen, und 131 berichtete, die Mixtur werde so eben gebraut. Seraphin, den Ueberrest seines Zelten unterm Arm, folgte ihr auf die Gasse, und gewahrte zu seinem Schrecken, daß es heftig windete und schneite, und die Dämmerung eilfertig über die finstern Wolkenstufen herniederkletterte zur Erde. – »Du,« sagte er etwas kleinmüthig zu der ehrlichen Dirne: »kannst mir nicht eine Laterne leihen? ich find' sonst nicht Weg noch Steg.« – »Daß Gott erbarm'! hast Du keinen Schlitten bei Dir? Du armer Bub, wie willst Du in der Nacht ohne Unglück hinaufkommen nach Burgeis?« – »Ich komm' schon hin, aber ich bitt' Dich schön, gib mir eine Laterne.« – »Sollst sie haben; Gott will, daß Du mir sie lebendig wiederbringst. Sieh', wär' ich ein Mannsbild, ich thät' Dich schon ein Stück Wegs begleiten, aber so getrau' ich mir's nicht.« – »Macht nichts, der liebe Gott und die heilige Mutter werden mich nicht stecken lassen, Du braves Dirnl.« – Die geschäftigte Martha holte die Laterne, Seraphin empfing die wohleingewickelte Arznei, und machte sich, ein herzhaftes Vaterunser und Ave Maria betend, beinebst aber auch mit süßer Eitelkeit an seine, seine Martina denkend, vor den Flecken hinaus. Er hatte seine Schuhe und Strümpfe ganz abgezogen, die Laterne in die linke Hand genommen, und in die rechte einen derben Knüppel.

Hu! wie der Wind ihn packte, als er kaum den Ort verlassen! wie das arme Lichtlein flackerte und niedertauchte und in ohnmächtigem Ringen mit dem wilden Feind sein Flämmchen links und rechts warf! Wie der Schnee sich bauschte unter dem zagenden Fuße des Wanderers, und die vom Himmel stürzenden Flocken ein weißes Gitter auf pechschwarzem Grunde vor seine Augen webten! Die Nacht sah aus wie eine Nacht des Verderbens. Es war als ob die finstern Mächte nicht eilig, nicht dicht genug das Leichentuch wirken könnten, worunter sie die Erde ersticken wollten. Tausend erschreckliche Stimmen heulten über das 132 Land. Jeder Berggipfel schien seinen besondern Kriegsruf, jede Thalschlucht ihre eigne Klage herzzerreißenden Jammers durch die Welt zu versenden. Schauerlich klang der Donner der Berge, zermalmend der pfeifende Wehruf der Thäler, aber am entsetzlichsten drang durch des verwirrten Hörers Ohr und Gebein das gellende Wiehern und scheußliche Hohngelächter des Sturms, der ruckweis über die Multen daherteufelte, wie ein Verkündiger der letzten Stunde. Seinen Wuthstößen widerstand nichts. Er jagte die Schneewehen heran, daß sie, Lawinen gleich, über den Pfad rollten und ihn verschütteten, oder er blies die Massen vom Boden auf, daß nacktes Eis da hervorschaute, wo einen Athemzug zuvor noch eine dichte weiße Decke gelegen. Dann peitschte der Orkan wieder, als wie mit rastlosen zischenden Geißelstreichen, einen Wirbeltanz von Schneeflocken auf, der mit sich fortriß, was in sein furchtbares Drehen gerieth.

Seraphin hatte noch nicht den vierten Theil des Wegs zurückgelegt, und schon war er ein paarmal gestürzt, über einen im Nu dahergeführten Schneehaufen oder auf einer im Nu entblößten Eisblatter. Sein Licht war erloschen, die Laterne zertrümmert, aber Martina's Geschenk und seinen Stab hielt er fest, wie ein Riese gethan hätte. Unglücklicherweise spürte er jedoch eine Abnahme seiner Kräfte, die ihn sehr beängstigte, der Athem wurde ihm bleischwer, die Füße versagten öfters den Dienst. Wenn er eine Klafter weit gekommen war, so mußte er stille halten und Gesicht und Körper gegen den Boden senken, um nicht erstickt zu werden von dem Sturmwind. Dann überfiel ihn wieder eine stäubende Schneewand, die ihn vom Wege in den Graben warf, und er hatte von vielem Glücke zu sagen, daß er beständig, wie durch ein Wunder, wieder die rechte Fährte errieth, da, wo keines Pfades Spur mehr war.

»O Du liebster Heiland! hat mich denn die Grödnerin in den Tod geschickt?« fragte er einmal, gleichsam sich selber aufgebend, und kraftlos umherwatend in der 133 fürchterlichen Einsamkeit. Da sah er links, als wie aus grauer Ferne, einen Stern durch das flirrende Gestöber strahlen. »Marienberg! will's Gott, Marienberg!« seufzte er aus hoffnungsschöpfendem Herzen. – Da ließ sich, ihm zur Rechten, ein Geräusch vernehmen, wie ein dumpfes Schnaufen oder Schnarchen, oder Röcheln. Seraphin erschrack zum Tode, nach der kurzen Hoffnungslust. »Ein Wolf . . . . oder ein höllisches Gespenst!« Nur eins von beiden hielt seine Furcht und Einfalt für möglich. Aber, scheu zur Seite gewendet, halb versunken im blendenden Winterschaum, sah er eine schwarze Säule gen Himmel ragen, und bald erkannten seine scharfen Augen das »hohe Kreuz,« das die ungefähre Mitte des Wegs zwischen Mals und Burgeis bezeichnet.

»Gott sey gelobt!« ächzte er, des Wolfs und des Teufels in der Nähe des heiligen Zeichens vergessend. Aber noch ungeheuerlicher ließ sich jener Laut vernehmen, der ihn zuvor erschreckt hatte. Abermals zagend, wiewohl schon muthiger, stieß er mit dem Stock nach einer, wie er selbst, halb im Schnee vergrabenen schwarzen Gestalt, deren unvollkommene Umrisse seinen Blicken sich enthüllten. – Ein dumpfer Laut, klingend ungefähr wie der Seufzer: »Ach, Jesus!« aus einer rauhen, aber ermatteten Brust gestoßen, antwortete der unsanften Berührung, und gleich darauf kam der Ruf noch deutlicher. »Ein Mensch, ein Mensch!« rief jetzt der Knabe neugestärkt und belebt, so von Mitleid, so von Freude, nicht allein zu stehen im Sausen des Sturms. Er kroch dem zur Hälfte eingewehten Menschen entgegen; er betastete ihn, fühlte Schultern und Hände, einen Kopf, bedeckt mit einer Pelzmütze, aber die Hände ragten steif, der Kopf hing schlaff zur Brust nieder. Des Knaben Herzensangst erneute sich: ein Sterbender kauerte neben ihm, er zweifelte nicht daran. Mit einer Art von Wuth machte sich jedoch der junge Samaritaner über die Wangen des Elenden her, rieb sie mit Schnee, und also Stirn und Augen und Ohren und den Hals, bis 134 ihm trotz Wind und Wetter die Hände glühten, und eine laue Wärme in den Halbtodten wiederkehrte. Dieser lallte unverständliche Worte; Seraphin, der sich nicht anders zu helfen wußte, klemmte seine Finger zwischen die Lippen des Erwachenden, und schüttete ihm in Gottes Namen, auf alle Gefahr hin, die Mixtur der Grödnerin ein. Das Medikament mußte nicht angenehm geschmeckt haben, denn der damit heimgesuchte Mann stieß ein eckles »Brr!« und einen wirren Fluch aus dem Munde.

»Da haben wir's! Das ist der Jäger, der Liebl!« seufzte Seraphin, und verdoppelte seine Bemühungen. Zur selben Zeit kam ein bedeckter Schlitten von Mals herauf, und fuhr hastig, so gut's ging, die Straße. »Halt, halt!« schrie Seraphin, aber umsonst; vorbei ging's im Galopp. Die Pferde setzten gut durch den Schnee, und zwar so gut, daß ein paar hundert Schritte weiter der Schlitten sich überstürzte und mit Mann und Maus einen kleinen Rain hinunterrutschte. – Indessen hatte Seraphin mit Bitten, Stoßen und Zerren den erwachenden Liebl in die Höhe gebracht und sich unter ihn geschoben, und ihn so fortgezogen und getragen durch die Wüstenei der Straße. Schwer und doch unsicher war die Last, aber Seraphin ließ nicht nach im guten Werke, und that über seine Kräfte. Dafür belohnte ihn das Geschick auf der Stelle. Er kam mit seinem Patienten dem Schlitten nahe, als dieser gerade aufgerichtet worden war. – Der Drang des Augenblicks ließ den jungen Menschen den Aufzug der Schlittenfahrer übersehen, und er bettelte bei ihnen, wie er bei andern Leuten gethan haben würde, um die Aufnahme seines Halbtodten. Er hätte auch – abgesehen davon, daß gerade das erst erlittene Mißgeschick der Reisenden dieselben nachgiebig machen mußte – sich in der That an keine würdigere Gesellschaft wenden können; denn sie bestand aus der Jungfrau Maria mit dem Kinde, dem heiligen Joseph und zwei Engeln in Person. – 135


 << zurück weiter >>