Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Zweites Kapitel.

  Es ist an verschiedenen Orten – auch hier – der Brauch, daß Bürger und andere gemeine Leute zur dummen und wüthigen Fastnachtzeit auf einen Tag ein SchemenlaufenSchemenlaufen: Maskerade. Das altgebräuchliche Wort Schemen für Larve. Schellenschemenlaufen: die alljährliche Maskerade zu Imst, wobei eine große Anzahl von Schellen und Kuhglocken unerläßlich. belieben. Nun, es mag ihnen vergönnt werden, weil die Vornehmen Jahr aus Jahr ein alla Maschera laufen und sich betrügen mit verlogenen Gesichtern, da man nicht weiß, ob nicht hinter dem alten Mutterl in der schimplichen Barocka ein Teufel, oder hinter dem Narrenbart ein grimmiger Herodes stecke. Aber das Schemenlaufen soll nicht ein Schelmenlaufen seyn . . . ansonst in den Kotter mit euch Tabacksbrüdern und Weinzapfen.«
P. Abraham a Sancta Clara.

Es waren beinahe vierzehn Tage vergangen, und Seraphins einsames Leben zu Tarrenz war immer noch nicht durch einen ihm so erwünschten Besuch unterbrochen worden. Der Meister war freilich einige Mal da gewesen, um nachzuschauen, und dem jungen Vogelwärter seine höchste Zufriedenheit zu bezeigen; auch der Engadiner war ein paar Mal gekommen, und hatte in seinem Kauderwälsch seine fortdauernde Zärtlichkeit dem Seraphin an den Tag gelegt. Aber dem jungen Plaschur war es um die Männer wenig zu thun. Er wünschte aus allen Kräften die liebe Martina herbei, um ihr zu zeigen, welch ein Paradies er seinen befiederten Unterthanen mit geschickter Hand bereitet, und nur ihr wo möglich ein paar Worte des Danks für den Zelten, und die Erlaubniß, 42 denselben anzuschneiden, zuzuflüstern. – Leider zögerte das Glück von Tag zu Tag bei dem armen Schelm einzukehren. Bald war's der Schnee, bald der Wind, bald die Kälte, bald das Thauwetter, die feindlich den wegfertigen Füßchen der Kleinen und ihrer Begleiterinnen neue Hindernisse bereiteten. – Seraphin hielt sich für verlassen von der ganzen Welt. Tarrenz schien ihm hundert Meilen von Imst entfernt. Auch von Augsburg hatte er natürlich keine Kunde. Nicht einmal von Burgeis war etwas zu hören. Es war, als ob dort sein plötzliches Verschwinden gar keinen Eindruck gemacht hätte; denn, so viel er wußte, hatte keine Seele nach ihm gefragt und geforscht. Dieses Vergessen verletzte seine Eitelkeit nicht wenig, obschon auf der andern Seite er sich freute über die Unverletzlichkeit seiner gegenwärtigen Zuflucht. – Wäre der ehrliche Maroner, der Schuhflicker, nicht gewesen, die Langeweile und der Ueberdruß hätten den Knaben verzehrt, wenn er sich auch mit allem Eifer der Pflege seines Federvolks hingab, und in der That in diesem Vizekönigthum des Ruhms viel erntete, da unter seiner milden und geduldigen Verwaltung Alles, was vorhin zu vergehen drohte, wieder frisch aufblühte, und nach langer Verwahrlosung und Seuche die Gesundheit und Heiterkeit in das Volk zurückkehrte.

Endlich, endlich, nach langem Harren – und zwar nicht an einem Sonntag, sondern in der Woche – langte unversehens, bald nach dem Mittagessen, der kleine Reisezug der Tammerl'schen Familie vor dem Vogelpalast zu Tarrenz an. Das Wetter war schön, die Gesellschaft, von dem kurzen Wege, der zurückgelegt worden, aufgemuntert und lustig. Tammerl befand sich in seiner trefflichsten Laune, und ging, seinen Spazierstock in der Hand, dem Zuge voraus. Gleich hinter ihm schritt zierlichst die Jungfer Magdalene, an ihrer Hand die tanzende Martina, deren rechter Arm in dem linken ihrer 43 Freundin Genovefa hing. Diese Freundin, die Tochter eines Gastwirths in Obermarkt, der Magdalenens Haus zu Pacht hatte, war um mehrere Jahre älter als Martina, und so wie die rundlichste Gestalt, so auch das sorgloseste Gesicht, das sich denken läßt. Eine Beweglichkeit sonder Gleichen zeichnete sie aus; nimmer ruhte sie ganz und gar, als höchstens, wenn sie schlief, und neben ihrem drehfertigen Halse, ihren umherblitzenden Augen, ihren rastlosen Händen und Füßen war auch meistens ihre Zunge, wie ein Perpendikel, in ewiger Beschäftigung. Von ihrer Geschwätzigkeit wurde sie im ganzen Markt das »Vesperglöckl« geheißen.

Das Paar, das den jungen und dem alten Mädchen folgte, war die Frau Marianne, begleitet von einem betagten Manne in wohlhäbiger Kleidung. Sein kavaliermäßiges Aussehen – sein Rock hatte goldene Litzen und sein Hut goldene Schnur und Schleife – war nicht ein leerer Schein. Der Herr von Sprenger zählte wirklich zum ächten Adel. Aus Schlesien stammend, war er schon vor geraumer Zeit als ein Verweser des Berggerichts nach Imst gesetzt worden. Gewisse Verdrießlichkeiten, die er mit seinen Vorgesetzten gehabt, machten, daß er nicht die Stelle des Bergrichters erhielt, und die Zurücksetzung kränkte den eiteln Mann dergestalt, daß er von Stund an allen Staatsdiensten entsagte. Inzwischen hatte es ihm in dem Markt und dessen Umgebung so wohl behagt, daß er, sein Geburtsland vergessend, sich zu Imst ansiedelte, unabhängig durch ein ansehnliches Vermögen und einen Eigensinn, der seines Gleichen wohl schwerlich irgendwo fand. Dieser Herr von Sprenger, obschon er vor Jahren in Wien als ein vollkommener Stutzer aufgetreten, und noch neuerlichst, da ihn eine persönliche Veranlassung an den Kaiserhof geführt, nicht anders als nach der strengsten Etikette mit zwei, von weißem Band durchflochtenen Zöpfen dort erschienen war, 44 affektirte eine ungemeine Vorliebe für den Bürger- und Bauernstand. Weil diese Vorliebe erst von der Zeit seiner Zerwürfnisse mit den Herren vom oberösterreichischen Wesen – wie dazumal die Regierung des Landestheils genannt wurde – herstammte, gaben die Leute der vornehmern Stände nicht viel auf die Aufrichtigkeit der Gesinnungen des Herrn von Sprenger. Allein die Folgen waren, wie er sie wünschen konnte. Die feinere und adeliche Gesellschaft zog sich von ihm zurück, der sie gering schätzte; Bürger und Volk kamen ihm dafür entgegen, und ertrugen, um der Gönnerschaft des neuen Patrons willen, die nicht selten vorkommenden störrischen Ausbrüche seiner halbpolnischen Rechthaberei. Er ging in den Häusern der Magistratsmitglieder aus und ein, war wegen seiner Freigebigkeit dem Landvolk willkommen, und galt, namentlich in Tammerls Familie, in vielen Stücken als ein Orakel der Weisheit. – Den Nachtrab der spazierlustigen Gesellschaft machte die alte Frau Wittib Tammerl, geführt von einem hochbejahrten, von allen Geschäften zurückgezogenen Melbler, mit dem sie sich von den alten Zeiten unterhielt, so gut als seine Harthörigkeit es erlaubte.

Seraphin hatte alle Hände voll zu thun, seine Verdienste um die Vogelkolonie in's hellste Licht zu stellen. Er führte wohlgemuth die kletterfähigen Herren und Frauenzimmer in den obern Raum des Hauses, zeigte ihnen die Einrichtung seiner Anstalt, die Reinlichkeit der Kammern, die Käfige, bestreut mit weißem frischem Sande, versehen mit dem passenden Futtervorrath, durchweht von dem balsamischen Duft der allenthalben aufgepflanzten Tannenbüschel. Er erklärte seinen Gästen, wie er schon jetzt Alles für die nächste Brutzeit vorbereitet; wie er es angefangen, die Krankheiten der leidenden Thierchen zu beseitigen. Er schenkte ihnen, schwatzend wie die Zufriedenheit selber – seine liebe Martina ging ja neben ihm und horchte freundlich auf jedes Wort – nicht das 45 Körnchen Hanfsamen, das er verbraucht, nicht den rostigen Nagel, den er da und dort, wo es vonnöthen, in die Trinkgeschirre gelegt hatte. Er machte sie aufmerksam auf das Wohlbefinden der Thiere, denen er Luft gegeben, wo sie früher nur ängstlich athmeten; denen er überall die Sonne zugänglich gemacht, wo sie früher in freudlosem Dunkel gesessen. Da war überall kein Kranker zu sehen; nicht einer, der die Darre oder den Bruch gehabt, nicht einmal ein beschmutzter Phlegmatikus, der mit seiner schläfrigen Stimme einen Mißton in das Freudengezwitscher der übrigen gebracht hätte. Zum Beschluß des feierlichen Umzugs im Reiche der Vögel, und um den zu ebener Erde gebliebenen korpulenten Frauen und dem Melbler das Vergnügen zu verschaffen, die Sänger und Nichtsänger auf einem Fleck versammelt zu sehen, ohne die halsbrecherische Treppe besteigen zu müssen, öffnete Seraphin oben alle Bauer und die Fallthüre in dem Boden der Kammern. Auf einen Pfiff des Schuhflickers flatterte das ganze Volk hernieder und setzte sich in der Runde um den handthierenden Alten. Er klopfte seine Sohlen, sang ein Lied, und durcheinander schrieen und girrten, sangen und gurgelten die heimischen Waldvögel, und die isabell-, bernstein- und goldfarbigen Canarini, daß von dem Verwunderungsausruf der Zuschauer kaum ein Wort zu vernehmen. – Nachdem diese Saturnalie eine gute Weile gedauert und Frau Martha und Jungfer Magdalene schon davon gesprochen, die Ohren verstopfen zu wollen, schwang der Schuhflicker seinen Knieriemen in die Luft, und wie auf den Gertenschlag eines Zauberers rauschten die Vögel alle auf von ihren Sitzen und stürmten durch die Fallthüre in ihre Behausungen zurück, woselbst Seraphin sie fleißig einriegelte, und somit das ganze Schauspiel und den Ohrenschmaus beendigte.

Des Lobens war kein Ziel. Tammerl allein sprach kaum eine Sylbe, ging jedoch mit dem verklärten Blick 46 eines Triumphators von Einem zum Andern, und fragte seine Frau mit stolzen Geberden: »Hatt' ich recht, wie? was sagst Du nun, was? Ist irgend ein gescheiterer Mann als ich, wo?« Er schenkte dem Seraphin etwas an Geld und den Rest, den er in einem Kruge Seefelder Biers gelassen, und erlaubte ihm, am kommenden Sonntag die »Stadt« zu besuchen, und sein Mittagessen im Tammerlhaus zu begehren, welches ihm Frau Marianne nicht verweigern würde. – »Ich bitt' schön,« ersuchte Seraphin voll Freude die Regentin der Familie, und die gute Frau nickte gnädig, und Martina freute sich unbändig, und das Vesperglöckl gab her, was der Freundin an Worten abging. »Der Bub' ist gar nicht zu bezahlen,« plauderte sie: »ich hab' noch niemals Vögel gesehen, die so schön gewesen wären, und der Bub' ist voll Verstand; hat er doch Augen, heller als der fernsichtigste Falk, und sauber ist er auch. Seine Haare sind kästenbraun und viel glänzender als unsers Wachtels – eines Hundes – Fell. Ich werd' auch meiner Gothel und der Stina und der Agnes und dem Humkircher-Joseph und der Frau Mäusl und dem Herrn Ibele sagen, wie er seine Sach' versteht, und daß sie ihre Vögel von ihm sollen abrichten und kuriren lassen. Ich möcht' schon selber ein Kanarienvogel seyn, um von dem Seraphin gefüttert und versorgt zu werden; denn es ist gar zu schön da droben, sauber wie in einer Kirche, und das schöne Singen, und die Taxen, und die schopfeten Vögel und die mit den großen Sporen . . . .«

Veverls Redseligkeit verhallte schon in der Ferne . . . . schon waren die sehnsüchtig erwarteten Besucher den Augen Seraphins entrückt und er stierte noch immer ihnen nach, mit heißem Blicke, alles andere rein vergessend. Auf seine süße Freude folgte leider bittere Wehmuth. Der Besuch war so kurz gewesen wie ein Traum. Gerne hätte Seraphin tausend Worte in Martina's Ohren 47 gezischelt, aber er hatte keine Zeit dazu gehabt. Gern hätte er nur drei Worte oder vier . . . . »Ich bin Dir gut« aus ihrem Munde erlauscht; aber sie hatte ihm nichts gesagt. Zwar hatte sie ihn einmal an der Jacke gezupft, zwar hatte sie, beim Herabsteigen die letzte auf der Leitertreppe, ihm, der sich ihr nachbückte, einen Zwick in die Wange gegeben – seligmachende Liebeszeichen einer beständigen Zärtlichkeit – aber für die vier Worte hätte Seraphin den Zupfer gerne hingegeben, und sogar den Zwicker, der eben nicht allzusanft gewesen und ziemlich wehe gethan.

Indessen – um einzubringen, was er hatte versäumen müssen, und dem Freudensonntag die gebührende Ehre zu machen – wie putzte er sich und schniegelte sich nach seinem besten Vermögen! Wie tummelte er sich, seine Arbeit zu vollbringen! Er war am frühen Morgen des Sonntags schon so flink und behende gewesen, als hätte ihm das Wichtele von StarkenbergStarkenberg: ein altes Dynastenschloß ob Tarrenz im Gebirge. geholfen: der gute Kobold, der mit spitzigem Hütel und steifem KresKres: Krause, gesteifter und gefalteter Hemdkragen. auf einem Ofen in der Burg seinen Sitz genommen, und den Knechten gern in ihren Verrichtungen beigestanden, wenn sie nur freundlich von ihm geredet und seine Gesundheit getrunken hatten. Nachdem der rare Vogelwärter seinem Freund Schuhflicker die weitläufigsten Instruktionen für den ganzen Tag zurückgelassen, flog er in der herrlichsten Gemüthsstimmung von der Welt dem freudenreichen Imst entgegen, und versäumte nicht, vor Allem in die Kirche zu gehen, in den alten, ehrwürdigen Bau, der den glückhaften Bergknappen der Vorzeit sein Daseyn verdankte, und dessen Räume, Fenster und Gemälde von der Anhöhe so stolz niederblickten auf die kleinen, engen Häuser und steinbelasteten Schindeldächer des Obermarkts. Nachdem Seraphin seine Andacht verrichtet, suchte er im Markte das Haus seines Patrons auf, und strich bei der Gelegenheit auf und ab in den beiden Hälften der Gemeinde, weil die elfte Stunde – die des Mittagmahls 48 – noch nicht geschlagen hatte, und er sich schämte, allzufrüh sich einzustellen.

Der Markt Imst sah vor hundert Jahren um Vieles anders aus, als heute, seit dem neuen Aufbau nach dem Brande von 1822. – Der Ort war allerdings, wie noch heute, in den Ober- und Untermarkt abgetheilt, die wiederum unter sich durch eine lange Gasse vereinigt wurden. Aber der Unterschied, oder besser die Unähnlichkeit der beiden Hälften war dazumal sehr grell. Während im Obermarkt die Häuser größtentheils von Holz erbaut und unbequem waren, eigentliche Bauernhäuser, mit Ackerleuten, Viehzüchtern, Handlöhnern und dergleichen besetzt, – prangte der Untermarkt mit Häusern aus Stein, die geräumiger und anmuthiger waren. Sie wurden auch von der Blüthe der damaligen Gesellschaft, von vielen adeligen Familien und den landesfürstlichen Beamten, von den reichsten Bürgern und Magistratsherren bewohnt, die ihre Renten aus Urbarien und Grundstücken, ihre Besoldungen und Pensionen, ihre Kapital- und Handelzinsen, einfach lebend und still unter sich verkehrend, verzehrten. Auch die ansehnlichsten Professionisten, die Kaufleute (man mußte damals unter diesem Namen die Landkrämer verstehen), wohnten im Untermarkt. Zwei Gasthäuser waren im Untermarkt eröffnet und für den Bedarf hinreichend. Im Obermarkt befanden sich dagegen acht bis neun Wirthshäuser, die vollauf zu thun hatten, weil des Volks viel war und die beiden Straßen über den Arlberg nach Schwaben und über den Fern nach Bayern viel Geld und Reisende, geringe Frachtfuhrleute und mehrentheils Säumer brachten. Da für ganz schwere Güterwägen die Landstraßen heillos bestellt waren, so bedurfte man unerläßlich der Säumer, die öfters mit Truppen von fünfzig, siebenzig bis hundert Pferden und Maulthieren, denen ein Leitroß voran klingelte, einzogen: Wein, Salz, Specereiwaaren und dergleichen 49 bringend. Da ferner ein Berggericht und Waldmeisteramt, auch ein Patrimonialgericht zu Imst residirte, und einige einträgliche Jahrmärkte stattfanden, so hatten dort viele Leute von nah und fern zu thun, worunter Bewohner des Landecker-Gerichts, des Oez- und Pitzthals, Bauern vom Lech herauf, und andere mehr; nicht zu vergessen die armen aber genügsamen Thalbewohner von Pfafflar und Gramais, die zu Hause nichts von einer Schenke, nichts von Wein und Bier wissen, denen Brod ein seltener Leckerbissen ist. – Der Verkehr im Obermarkt war daher ziemlich geräuschvoll, und ein Hauptelement des geselligen Lebens in jenen Gasthäusern die Zunft der Vogelträger und Vogelhändler, die zahlreich bestellt war und vor dem eigentlichen Bauer und dem kleinen Handwerksmann sich viel herausnahm.

An jenem Sonntage sah der umherschlendernde und nach dem Engadiner ausspähende Seraphin die vielgereisten, von ihm heimlich so viel beneideten Weltwanderer zum erstenmale in Menge auf den Gassen hin- und herziehen. War gleich vor hundert Jahren die Tracht der Imster noch um ein bedeutendes kleidsamer, als der Oberinnthaler Anzug, wie er heute besteht, so zeichnete sich doch das Gewand der Vogelträger sehr vor der Gesammttracht aus. Sie zogen schmuck und fröhlich daher in ihren blauen, mit Schnüren verzierten Jacken, in ihren Brusttüchern, mit silbernen Knöpfen besetzt, in ihren kunstreich ausgenähten kurzen Lederhosen, mit den langen rothen Schärpen um den Leib, und dem grünen Hut auf dem Kopfe! – Seraphin betrachtete sie mit Vergnügen und hatte so viel Respekt vor dem Egidi, der in der Mitte eines Knäuls dieser Leute stand und eifrig redete, daß er sich nicht unterstand, zum Engadiner hinzulaufen und ihm die Hand zu bieten. Er grüßte ihn nur von fern, und dachte bei sich, wie schön ihm, Seraphin, die rothe Binde zu Gesicht 50 stehen würde, und wie lang es wohl dauern möchte, bis man ihm erlaubte, in aller Herren Länder zu pilgern, keck und geldlustig wie die Leute, die jetzt vor seinen Augen stolzirten.

Solchen Betrachtungen und vor der Hand noch eiteln Wünschen nachhängend, war Seraphin wieder von seinem Wege abgewichen, und gaffte eben mit weiten Augen den viereckigen Thurm des Schlosses Rosenstein an, wo der Pfleger wohnte, und neben ihm der Anwald, der das adeliche Richteramt zu besorgen hatte. Da rief ihn eine, da riefen ihn zwei glockenhelle Stimmen beim Namen. Wie er sich umsah, stand Martina und das »Vesperglöckl« vor ihm, beide kostbar aufgeputzt, als reiche Bürgermädchen, und aus allen Zügen lächelnd vor Muthwillen und Wohlbehagen. »Hast noch keinen Thurm gesehen?« fragte den Knaben die lustige Martina, und erinnerte ihn an den freudigen Augenblick, da ihm auf der Zerzeralp vergönnt gewesen, sie mit Muße zu belauschen. Er zog den Hut und schaute mit vergnügter Blödigkeit auf seine Schuhe, nur dann und wann einen verschmitzten Blick auf des blühenden Mädchens Antlitz schießend.

»Der kluge Seraphin könnte etwas besseres thun, als hier, die Hände in den Taschen, nach den Sternen sehen, und zwar am hellen Tage!« begann Genovefa nach ihrer Weise: »ich dachte, er säße schon hinterm warmen Ofen und wartete auf die Suppe, und betete schon sein hungriges »Aller Augen warten auf Dich!« – »Halten wir uns nicht auf, Veverl,« ermahnte Martina; »der Zeiger steht nah an elf Uhr, und der Vater ist den ganzen Tag verdrießlich, wenn nicht mit dem Schlag das Essen auf dem Tisch steht.« – »Wohl; was fangen wir aber mit dem Buben an, der wie angefroren dasteht?« fragte Veverl. – »Ei, er soll uns fein nachgehen,« erwiederte Martina: 51 »weißt Du was, Seraphin? Du sollst unsern Bedienten vorstellen. Wir werden uns so viel auf Dich einbilden, wie die Frau von Kapeller auf ihr kleines Lauferl, das sie von Wien mitgebracht hat.« Die Lakaienschaft hatte nicht viel Reizendes für Seraphin, und eine andere als seine Martina hätte ihn wohl vergeblich angeredet, in den Scherz einzugehen; aber was konnte er dem niedlichen Mädchen abschlagen? Er nickte daher ziemlich freundlich und ging gravitätisch, das Hütl in der Hand, hinter den lustigen Dirnen her, die sich hoffärtig und kichernd aufblähten, als hätten sie in der That irgend einen bordirten oder dreifarbigen Schuhputzer auf ihrer Ferse. Die Leute, die den Dreien begegneten, sahen den aus dem Stegreif ernannten Leibdiener spöttisch an, und Seraphin war auf dem Punkte, ihnen den Spott, den Mädchen den Spaß und sich selber seine Nachgiebigkeit übel zu nehmen. Da wendete sich Martina, immer mit der Grandezza einer geschmückten Hofdame, halb nach ihm um, und sagte vornehm: »Mach Deine Sachen gescheit, und es soll Dir gut gehen. Ich gebe Dir als Lohn einen Zelten, wie ihn der Kaiser nicht besser kriegt!« – Wie hätte vor solcher zärtlichen Anspielung Seraphins Groll Stand halten können? Mit einer Art von Bockssprung erwiederte er: »Schönen Dank; ich küß' der Jungfer die Hand. Den besten Zelten hab' ich jedoch schon gegessen, und er war mir von lieber Hand geschenkt. Es fragt sich nur, ob die mir ihn verehrt, noch denkt, wie sie gedacht? . . .« – »Wenn sie Dich gern hat, ohne Zweifel,« versetzte Martina, ohne sich zu besinnen, lachte dann hellauf, und sprach zur Veverl: »Du, was sagst Du zu den Vintschgauern? haben sie nicht das Maul auf dem rechten Fleck?« – »Ja freilich, Martina,« entgegnete Genovefa: »aber ich habe nichts von dem verstanden, was der Bub gesagt hat.« – »Ich auch nicht, Veverl; das ist aber grad gleich.« – »Du kleines listiges Schlangl!« 52 dachte Seraphin bei sich; aber die Mund- und Geistesfertigkeit der Kleinen gefiel ihm wohl.

An der Hausthüre des Meisters Tammerl, der auf der Scheide des Ober- und Untermarkts wohnte, wurde Seraphin mit Belobung seines Straßendienstes enthoben, und er schlich, den Mädchen etwas neidisch nachschauend, in die Küche, vermeinend, seine Portion auf dem Anrichttische neben dem Hühnerstall zu finden. Wie angenehm wurde er jedoch überrascht, da Frau Marianne, die Königin des Hauses, die mit blendendweißer Schürze und flammendrothen Wangen den Herd überwachte, ihn anwies, in das Eßzimmer zu treten, dem Meister die Hand zu küssen, und sich bei Tische manierlich aufzuführen. Der großen Ehre war er nicht gewärtig gewesen. Indessen, dem Charakter seines Volks getreu, fand er sich mit passender Dreistigkeit gleich in das, was der Augenblick gebot, trat ungezwungen, wenn gleich nach bäuerischer Sitte grüßend, in die Stube, verrichtete seinen Handkuß, und wartete alsdann in einem Winkel, bis der Hausherr das Zeichen zum Niederlassen gab. Es waren ein paar Gäste da: einer der Rathsherren des Markts, der im schwarzen Mantel und großen Dreispitzhut gekommen war; der Herr von Sprenger, des Hauses Freund, und dann die Freundin der Tochter, die geschwätzige Genovefa. Tammerl behauptete den Ehrenplatz, ihm zur Rechten war Marianne, zur Linken die Mutter. Dann kamen auf jeder Seite einer der geladenen Herren, alsdann Jungfer Magdalene; ihr gegenüber Martina, neben ihr das Veverl. Ganz unten, wie billig, fand Seraphin seinen Platz.

Er hatte noch nie einen Luxus gesehen, der mit dieser Tafel hätte verglichen werden können. Die Speisen, Geschirre und Tischgeräthschaften des wohlhabenden Bürgerhauses schienen ihm königlich, unübertrefflich. Tammerl hatte in Wahrheit seine Pracht ganz geharnischt auftreten lassen, nicht um Seraphins willen, wie sich von selbst 53 versteht, aber wegen der beiden Herren, die gekommen waren, mit dem Meister einen Festtag zu feiern. Tammerl hatte nämlich die Versicherung erhalten, daß er bei der nächsten Rathserneuerung in den Magistrat des Marktes gewählt werden würde. Der mitspeisende Rathsherr verdiente als Haupträdelsführer dieser Wahl eine Auszeichnung. Herr von Sprenger saß dabei als innig theilnehmender Freund. Es war nichts außerordentliches, daß zum Festschmause auch der arme verwaiste Seraphin gezogen wurde. Die Sitten des Landes waren noch so vollkommen patriarchalisch in Märkten und Landstädtchen, daß die Gegenwart eines Bauern, eines armen Studenten, eines Dienstboten am Tisch der Herrschaft oder des Wohlthäters oder des Gutsherrn durchaus keinen Anstoß erregte, war der Tag auch noch so festlich, und noch so gewählt die übrige Gesellschaft.

Seraphin speiste und horchte auf wie Zweie. Er sah auch für Zweie, denn indem er gleichgültig über den Tisch zu schauen vorgab, hütete er mit dem rechten Auge sein Kleinod Martina. Das Mädchen machte es ungefähr eben so, gab nicht viel auf die Schmeichelworte, die der neben ihr sitzende Herr von Sprenger an sie verschwendete; sie wehrte sich gegen seine kindischen Tätscheleien – der alten Herren Brauch, womit sie der Jugend gegenüber, als hinter einer Schäkerlarve, ihre Runzeln zu verstecken suchen – und nahm auf einmal eben von dem Wangenklopfen und Haarstreicheln des Herrn Anlaß, auf eine lustige Weise ihren Platz mit dem der Genovefa zu vertauschen, so daß sie neben Seraphin zu sitzen kam.

Der Stutzer aus Leopoldi Zeiten eiferte über bösliche Verlassung. Munter, wie immer, entgegnete ihm Martina und spitzig: »Weil der gnädige Herr mich nicht mit Fried lassen will, so muß ich schon Platz machen. Der Seraphin da, das hölzerne Mandl, wird mir nichts thun. 54 Gelt, Seraphin?« Sie begleitete diese Worte mit einem vertraulichen Zupfer, den der hohe Tisch der Gesellschaft verbarg, und Seraphin war – ach wie selig! Die Neckereien des alten Gecken hatten ihn nicht wenig verdrossen, und nun saß die Holde neben ihm, und hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, daß sie ihn lieb hatte!

Das Gespräch ging seinen hurtigen abwechslungsvollen Gang. Nach unvordenklichem Herkommen unter den Hauswirthinnen aller Himmelsstriche entschuldigte sich Frau Marianne bei jeder Speise, daß dieselbe nicht gar extra gerathen. Die Polenta war zu weich, die KranewitterKranewitten: Wachholderstauden und die Beeren derselben; ebenfalls werden die Krammetsvögel Kranewitter genannt. waren nicht zu fett; das Wildbret hatte nicht genug Beize, die Pastete war nicht gerathen. Natürlich läugneten die Gäste alle diese Mängel, die Schwiegermutter ausgenommen, die immer der klagenden Wirthin in böslicher Absicht beistimmte. Tammerl lobte dagegen seinen Wein und schenkte tapfer die Gläser voll. Er log in der Geschwindigkeit mehrere Reiseabenteuer zusammen und prahlte mit der weltgeschichtlichen Bedeutung der »Stadt« Imst und ihrer Vorzeit. Die Mama Tammerl erzählte ihre Lieblingsgeschichte vom baierischen Kriege, wie ein hoher Offizier in Max Emmanuels Gefolge sich herzlich in sie vergafft habe, und wie er aus Verzweiflung über ihre patriotische Abweisung seiner Liebe am Pontlatz den Tod gesucht und gefunden. Der Herr von Sprenger berichtete allerlei Wunderdinge von Wien und Breslau, und schimpfte über die elende Regierung der Erbstaaten des Kaiserhauses, wiederholte zum tausendstenmale seine Veruneinigung mit den Häuptern der Verwaltung, und beklagte sich bitter, daß, anderer Beispiele nicht zu erwähnen, ein viel jüngerer Mann als er, der Herr von Dobroslaw, im Begriff stehe, dirigirender Rath zu werden, während er selbst, der Klügere, Gewandtere und Erfahrene, stets auf einer subalternen Stufe habe stehen bleiben müssen. – Bei Erwähnung des Herrn von 55 Dobroslaw ermangelte Frau Martha nicht, ihrem Nachbar bedeutungsvoll auf den Fuß zu treten und mit den Augen nach der wie mit Gluth übergossenen Magdalene zu winken, worauf der Herr von Sprenger achselzuckend und naserümpfend schwieg, und Marianne, ihrer Schwester aus der Verlegenheit zu helfen, wieder eine Küchenbeschwerde aufs Tapet brachte. Die Wendung benützend, sang Tammerl sein altes Spottlied gegen die Innsbrucker, nicht Hohe, nicht Niedrige verschonend, und das »Vesperglöckl« erkundigte sich mit einem Schwall von Fragen nach dem guten Peter, und wie es ihm denn wohl gehe in der verderbten Hauptstadt. – »Wie wird's ihm gehen?« fragte Tammerl ironisch entgegen: »Das Heimweh verzehrt den armen Narrn, er lebt so zu sagen nur von der Luft, die zu Innsbruck auch nicht gar extra ist, und sein Meister macht's mit ihm, wie der schwäbische Bäcker mit seiner Katze. »G'wohns, Mudel, g'wohns!« hat selbiger immer zum Katzl gesagt, als er mit ihm den Ofen auswischte. Nun, um so fröhlicher wird der Peter nach überstandener Lehrzeit seine Heimath wieder sehen. Es gibt doch nur ein Imst in der Welt! nicht wahr, Herr Gevatter?«

Tammerl stieß mit dem Rathsherrn an, dem die Augen beträchtlich vor dem Kopfe lagen, da er sich, wie man sagt, aus der Form gegessen hatte. »Unser Imst,« fuhr Tammerl fort, »ist halt eine Kapital-Stadt. Denn ich mag unser Imst nun und nimmermehr einen Markt heißen, denn es ist eine Stadt, weil der höchstselige Herzog Meinhard und sein Sohn, der fürtreffliche König Heinrich, die beide recht gut wußten, warum sie es thaten, Imst zu einer Stadt erhoben. Es ist eine Schande für unsere Voreltern, daß sie von dem Recht keinen Gebrauch gemacht haben, aber was liegt daran, daß sie es versäumten? Der König Heinrich besaß kein fingerbreit Landes in Böhmen, und hieß dennoch dieses Landes König bis an sein Ende. 56 Eben so halte ich's mit Imst. Wenn ich aber bedenke, was aus unserer Stadt hätte werden können! Innsbruck wäre ein armes elendes Nest geblieben, wenn Imst emporgekommen wäre. Alle Aemter und Stellen wären hier, die Hauptstadt von Tirol wäre da, wo wir sitzen. Gibt's eine lustigere Gegend im ganzen Lande? Gibt's irgendwo ein Volk, so brav und treu und bieder, wie das unsrige? Wir wissen zu leben, wir arbeiten, wo es Noth thut, und genießen unser Leben wiederum, wie sich's gehört. Wenn das Jahr seine Last hat bei uns wie überall, so hat's auch seine Freuden, wie nirgends außer unserem Weichbild.«

»Das muß wahr seyn,« bekräftigte der begeisterte Rathsherr: »fröhlicher ist's nirgends. So haben wir gerade heute wieder das Schemenlaufen für diesen Fasching erlaubt, dem Eifer der Geistlichen und der Mißbilligung der Obern zum Trotz. Ei was, das Volk muß auch seine Lustbarkeiten haben.« – »Ganz aus meiner Seele gesprochen,« nahm Herr von Sprenger das Wort: »das Volk muß zahlen, leisten und steuern, muß sich hudeln lassen von nichtsnutzigen Beamten, da immer die bessern und wohldenkenden Männer zurückgesetzt werden – es ziemt ihm daher auch eine Freiheit im Leben und Verkehr. Ich liebe das Volk von ganzem Herzen, und seine Fastnachtsschwänke machen mir eine weit größere Freude, als ein Hofball zu Wien, oder ein schaales Concert zu Innsbruck, wo die Leute vorgeben, ihr biederes Tirolerdeutsch vergessen zu haben, und nur auf italienisch schwatzen und singen. Was werden denn heuer für Aufzüge im Schellenschemenlaufen vorkommen?« – »Ein recht ergötzlicher Schwank soll ausgeführt werden,« lachte der Rathsherr: »sie wollen den Auszug der alten Jungfern ins Sterzinger MoosSterzinger Moos: ein Moorgrund bei Sterzing, ein Tummelplatz für Rosse, Schweine, Gänse u. dergl., die hier treffliche Weide finden; in der Phantasie der Tiroler der Sammelplatz verblühter Jungfrauen, die keinen Mann gefunden, sey es im Leben oder nach dem Tode, um ihre Schmach zu büßen. Daher vom Mädchen, das bereits die Gränze der weiblichen Blüthe überschritten, der Spruch: »Sie gehört auf das Sterzinger Moos,« oder im weitern Sinne an einen verhaßten »Loser an der Wand« der Trutzknittelreim:

»Geh hin af das Sterzingermoos,
Dorst liegt a toadts Roos,
Is Mösser und Gobel dabei,
Koscht, wo's wol g'sott'n sey!«
                (S. das Land Tirol, zweiter Band, S. 17.)

vorstellen.« – Ein höchst beifälliges Gelächter belobte die Anzeige und den Vorsatz der Maskenläufer. Tammerl und der Rathsherr überwieherten den Beifall, 57 obschon Marianne nun ihrerseits dem Eheherrn auf den Fuß trat, und ihm zuflüsterte: »Denk' doch auf die arme Lenerl!«

Die Tante, von dem unzarten Gelächter verletzt, stand, ohne Aufsehen zu erregen, vom Tische auf und ging hinaus. Während die Zurückbleibenden unter sich noch ferner spaßten und witzelten, fragte Seraphin seine liebe Nachbarin leise: »Warum läuft die Tante davon?« – »Das will ich Dir hernach sagen,« versetzte Martina: »komm nach Tisch dort ins Eckzimmer, hörst Du? Wirst Dich nicht vor mir und der Veverl fürchten?« – »Behüte Gott, seit ich von dem Weihnachtzelten gegessen, fürchte ich mich vor gar nichts mehr in der Welt,« rühmte sich Seraphin, und stand vom Tische auf, da ihn Tammerl in seine Nähe winkte. »Schau ein bissel nach meinen Vögeln,« ermahnte ihn der Meister: »die Nachtigall hat, wie ich meine, den Pips, sieh, was mit ihr zu machen. Du wirst auch Deinen Rothkropf finden, den der Narr zu Burgeis meiner Tina geschenkt hat« –

Seraphin ging gehorsam eben in das Eckzimmer, das ihm Martina bezeichnet hatte. Er war kaum mit der Besichtigung der Nachtigall fertig geworden, und stand vergnügt vor dem Rothkröpfl, das wie ausgewechselt im Bauer hin und her hüpfte, ein Buckerl um's andere machte, und sich anstellte, als erkenne es seinen ehemaligen Herrn und Erzieher mit Haut und Haar wieder, – als die schnellfüßige Martina herein kam. Sie ging, vorsichtig umschauend, auf den jungen Plaschur los, und hielt ihm plötzlich ein Papier, das sie hinter ihrem Rücken verborgen gehabt, vor die Augen. »Kennst Du das?« fragte sie, und durchstach ihn fast mit ihren Blicken.

Seraphin gewahrte zu seinem Erstaunen ein Herz von weißem Papier, und darauf Oswalds Schriftzüge, die da hießen: »Ich gehöre der lieben Martina Tammerl.« – Wenn schon sein eigenes Herz als wie 58 zusammengeschnürt war, so antwortete Seraphin dennoch mit Sicherheit: »Freilich kenne ich das.« – »Wohl?« – »Gewiß und wahrhaftig.« – »Ist das Herz von Dir?« – »Es kommt von mir, wenn schon ein guter Freund für mich die Worte darauf geschrieben.« – »So, so; da fehlt aber noch etwas von Deiner Hand, wenn ich Dir glauben soll.« – »Was denn?« – »Warum wirst Du roth? Kannst vielleicht nicht schreiben?« – »Oho! wär' nicht übel. Bin im Schreiben nie der Letzte auf der Bank gewesen.« – »So schreib' hinzu, was noch auf das Herz gehört. Dort ist der Tante Schreibzeug. Geschwinde nur, ehe Jemand kommt.«

Seraphin lief gehorsam, tauchte die Feder ein, und fragte etwas verlegen: »Was soll ich schreiben?« – »Was Dir einfällt, wenn Du mich gern hast.« – Der Knabe zögerte. Martina blickte ihn etwas meuterisch an und fragte wieder: »Ich gehöre der lieben Martina. Wer ist der Ich?« – Er wollte schon erwiedern: der Rothkropf; aber auf einmal schoß ihm das wahre Licht in den Verstand, und zufrieden lachend malte er unter Oswalds Worte seine Unterschrift: »Johannes Seraphin Plaschur.« –

Entzückt, gehörig verstanden worden zu seyn, riß ihm Martina das Herz aus der Hand, rief: »So ist's recht. Du hast meinen Zelten angeschnitten, und ich hab' Dein Herz; jetzt bin ich zufrieden!« und verbarg das Blatt in ihrem Mieder. Es war Zeit, »denn das »Vesperglöckl« kam wie ein Sturmwind in die Stube. »Wo steckst Du denn?« fragte sie: »Was habt's denn miteinander? Was hat denn der Bub' mit der Dinte zu schaffen gehabt? Er hat ja großmächtige Dintenflecken an seinen Fingern?« – »'s ist nicht wichtig,« antwortete Martina mit bewundernswerther Gegenwart des Geistes: »Der Patscher hat sich am Nachtigallenkäfig die Finger geschürft, und hernach Dinte darauf gepatzt. Bist ein 59 rechter Bauer, Seraphin; pfui, die garstige Dinte auf den Finger zu schmieren! Warte, wenn die Tante erführe, daß Du über ihr Dintenzeug gekommen! Laß Dir etwas um den Finger binden, Du Ungeschickter!« Und alsogleich hatte sie einen Lappen bei der Hand und schnitt ihn zu, und wickelte trällernd den schwarzgefleckten Verräther ein, als wäre er scharf verletzt.

»Das bringt mich auf einen gar schönen Gedanken,« sagte sie kichernd noch während der Arbeit zu ihrer neugierigen Freundin: »aber der Seraphin muß uns den Spaß nicht verderben. Weißt Du, Veverl? die Tante Magdalene hat geweint wegen der Dummheit vom Sterzinger-Moos, die der Gevatter vorgebracht hat. Sie meint immer, man föpple sie, wenn von alten Jungfern geredet wird. Wir wollen auf ihren Verdruß ein Pflaster legen, wie das Bindl da auf des Buben Finger.« Sie zwickte dabei heimlich den Seraphin in die Hand, daß er hätte schreien mögen. »Was meinst Du, Veverl?« fuhr sie fort, »beim Schemenlaufen soll sich der Seraphin als ein Rußler verkleiden, und durch den Rauchfang herab in's Haus kommen, und die Tante brav rußlen! He! wie gefällt Dir das? Sie wird lachen und 's wird ihr gefallen, weil der Spaß nur den jungen Mädeln angethan wird!« –

Genovefa gab ihre Zustimmung mit tausend Kindereien, und Seraphin, der keine Einwendung zu machen sich unterstand, obgleich er nicht wohl begriff, was von ihm gefordert wurde, erhielt die Zusage, daß die Mädchen schon für einen passenden Anzug sorgen würden, und daß es unendlich viel Spaß absetzen würde. – – Es ist von diesem Tage ferner nur zu sagen, daß die Alten lange zu Tisch saßen, daß während dessen die Jungen, worunter Seraphin, die Zeit mit unschuldigen Spielen unter dem Patronat der Tante verbrachten, und daß nach einer angenehmen Merende Seraphin, in 60 Gnaden entlassen, seinen Rückzug nach Tarrenz, zufrieden wie ein Prinz, antrat. – –

Der Unterricht in Handelssachen, den er bei dem Grödner genossen, mochte noch so unvollkommen gewesen seyn, dennoch wußte Seraphin ganz genau, daß wer einmal einen Wechsel auf sich selbst unterschrieben, auch gehalten sey, denselben zu bezahlen. Daher betrachtete er sich von dem Augenblick seiner Namensunterschrift auf dem Herzen von weißem Papier als ein der Martina mit Leib und Seele ergebener Knecht, und eine dereinstige Heirath mit dem Mädchen als die Einlösung des Wechsels auf seine Person. Da es nun, wie er wohl begriff, bis zur Hochzeit noch eine Weile dauern konnte, so fand er sich verpflichtet, einstweilen dem kleinen Bräutchen in allen Stücken zu gehorsamen, und konnte also in seinem Eifer kaum die lustigen Endtage des Faschings erwarten, um sich in eine Larve zu stecken, die er noch nicht kannte, und auf Martina's Befehl einen Spaß zu machen, von dem er nicht ein Wörtchen wußte.

So wie denn nun die Sonne allgemach einen jeden Tag bringt, er sey gefürchtet oder willkommen, so kam auch seiner Zeit der sogenannte unsinnige Pfinztag heran. Seraphin hatte, nach Martinas Belehrung, Jedermann ein Geheimniß aus der Vermummung, die er beabsichtigte, gemacht, und sogar seinem Freund Schuhflicker nur von der Neugierde geredet, die ihn beseele, das berühmte Schellenschemenlaufen mit anzusehen. Der ehrliche Maroner, dem der Fasching keine Freude mehr machte, ließ sich gern bewegen, an Seraphins Statt wieder einmal das Vogelhaus zu hüten und zu besorgen, und Seraphin benutzte demgemäß seine Freiheit, mit dem inbrünstigen Wunsch im Herzen, daß ihm Meister Tammerl nicht irgendwo begegnen möchte, von dem er einen Urlaub nicht erhalten.

Dem Kühnen, pflegt man zu sagen, ist das Glück 61 günstig. Es schien sich nicht minder für den jungen Plaschur vortrefflich anzulassen. Wie ihm befohlen worden, stellte er sich gleich nach dem Mittagmahl in dem Gasthause ein, das Genovefa's Vater hielt. Die Gassen von Imst wimmelten bereits von hin- und herirrenden Schaulustigen. Eine Maske war noch überall nicht zu sehen. Seraphin schlich, wie der Iltis in den Taubenschlag, in das bezeichnete Wirthshaus, und wurde alsogleich von dem »Vesperglöckl« und der Martina, die ihn erwarteten, empfangen. Das Haus war von Besuchern angefüllt; um so unbemerkter gelangte die kleine Gesellschaft in Veverls Kammer, wo für den jungen Vintschgauer das Larvengewand schon bereit lag. Seine Eitelkeit wurde beim Anblick dieses Gewandes beträchtlich herabgestimmt. Statt eines bunten und lustigen Narrenaufzugs fand Seraphin nichts mehr und nichts weniger als das Kleid eines Rauchfangkehrers, schwarz und unscheinbar; daneben einen Ledergürtel, woran eine schmutzige Rußbüchse hing.

»Schau, mein Bub',« hob Martina an, indem sie auf das mein einen gewissen Nachdruck legte: »das Gwandl wird Dir taugen. Leg es geschwinde an, und streich' Dir das Gesicht brav mit dem schwarzen Pulver ein. Los jetzt, was ich Dir sage. Wenn die Schellenschemen zu laufen anfangen, – den ersten Tanz halten sie vor diesem Hause, – so menge Dich tapfer unter sie, und zieh' mit ihnen, die Dich nicht kennen werden in dem Durcheinander, bis an unser Haus. Die Mutter und die Tante pflegen es verschlossen zu halten, weil sie sich vor dem losen Volk und seinen Spässen fürchten; ich werd' aber auf der Paß' stehen, und die Veverl ebenfalls, denn sie geht mit mir. Du wirst sehen, daß die Thür ein bissel klafft, springst dann hinein und ohne Verweilen die Treppen hinauf zum Estrich, von da auf's Dach, von dort in das Kamin, das drei Mauerspitzen hat, streifst 62 dann herunter durch's Kamin bis zum Herdmantel in unserer Kuchel. Dort bleibst Du, und fallst nicht etwa herunter, bis Du uns in der Kuchel spürst, und bis ich sage: »Tante Lenerl hörst Du was?« – »Dann hüpfst Du keck auf den Herd,« nahm das Vesperglöckl das Wort, »vom Herd zur Erd', fahrst auf die Tante los, als wie ein abgelassener Hund, kriegst sie beim Kopfe, und streichst ihr beide Backen mit dem Ruß an, den Du an der Binde trägst. Laß' sie nicht los, und wenn sie noch so viel schreit. Kannst ihr auch mit dem schwarzen Maul ein Bussel geben, daß sie einen Schnauzel kriegt, und machst Dich hernach davon, wie Du kannst. Nicht wahr, so meinst Du's, Tina?«

»Hm, ja,« entgegnete Martina kühl: »bis auf das Bussel, das sich nicht schickt, hörst Du, Seraphin? Die Tante nimmt's so viel übel, wenn gethan wird, was sich nicht schickt. Das thust Du nicht, Seraphin. Mit den schwarzen Backen ist's genug, und spring' nur eiligst weg, und lauf wieder daher. Wir kommen dann schon selber, und auf ein Seidl Wein, Dich aufzufrischen, wird's uns auch nicht ankommen. Schleun' Dich jetzt, die Huttler werden bald auslaufen. Halt' Dich versteckt in dieser Kammer, und in dieser Kammer wollen wir Dich wieder finden.«

Schäckernd und narretheiend stäubten die lustigen Dirnen dem armen Schlucker das Gesicht voll Ruß, und machten sich davon. Seraphin unterzog sich schleunigst seiner Verwandlung. In der That brauchte er dazu nicht lange. Das garstige Gewand war hurtig angelegt, das saubere unter Veverls Kopfkissen versteckt. Die Lederkappe bedeckte flugs Seraphins schöne braune Locken, und seine hübschen Augen waren gleich nicht mehr zu erkennen unter dem schwarzen Graus seines Angesichts. Vollkommen eingeteufelt paßte er, an der verriegelten Thüre lauernd, auf die Schellenschemen und ihren Lärm. – Daneben hatte er 63 Muße, das Kammerl der Genovefa mit der Scharfsichtigkeit des Luchses zu durchspähen. Es war für ihn eine Rarität, er war noch niemals in der Kammer einer Jungfer gewesen. Er konnte sich selber keine Rechenschaft geben, warum jeder Gegenstand in diesem Gemach ihm vorkam, als wäre derselbe einer ganz absonderlichen Aufmerksamkeit werth. Dennoch waren Tisch und Stühle eben so gering und einfach, wie in andern Stuben; die Stubendecke gewölbt, wie anderswo, das Fenster klein und rundscheibig, wie in tausend andern Kammern. Der Sonne Strahl spielte herein, wie zu Tarrenz in die Kanarienbauer; ein willkommener Gegensatz zu der Eiskälte des Ofens, der über den Winter noch kein Stücklein Holz im Brande gesehen, weil rasche Jungfern nichts von Frieren wissen. –

Aber auch dem Späher Seraphin wurde sehr behaglich warm, da sein Blick vom grünen Fenstervorhang zum rothgegitterten Bettvorhang glitt, von dem mit Epheu bekränzten Kruzifix zum Spiegel über den Tisch, woran Genovefa ihren Kopfputz bestellt, ihren Anzug vollendet hatte. Der Kleiderkasten, halbgeöffnet, schien dem lauernden Rußler ein Schrank der Geheimnisse; seine Nase witterte einen ganz besonders würzigen Lavendelduft, der aus dem Kasten strömte. Der feine Geruch erinnerte ihn an den Weihrauch der Kirche; das Muttergottesbild an der Wand sah ehrwürdig, als ob es in einer Kapelle hänge; die Kapuziner-DreikönigkreuzeDreikönigskreuze: am sechsten Januar werden feierlichst an alle Eingänge des Hauses, so wie an dessen Stubenthüren drei Kreuze mit Kreide angemalt, daneben die Buchstaben C. M. B. (Caspar, Melchior, Balthasar). Häufig ist's ein P. Kapuziner, der diese Kreuze anschreibt und ihm folgt dann die ganze Hausgenossenschaft mit Rauchpfanne und Weihwasser von Thüre zu Thüre. an der Thüre mit den heiligen Buchstaben C. M. B. schauten den Betrachtenden an, wie die Anfangszeichen himmlischer Offenbarungen; das kleine Weihbrunngefäß daneben, wie einer unversiegenden Quelle des Heils priesterlich geweihte Fassung. »Ich glaube wohl,« dachte er in seinem Sinn, »daß der leidige Satan über diese Schwelle keine Macht hat, und darum ist mir auch so gut und warm in meiner Haut; denn mit den Jungfern ist's doch immer etwas extra, und bei der Martina muß es akkurat ausschauen, wie da, – 64 nur wär' ich lieber dort, als hier. – Nur wär' ich lieber dort, als hier,« setzte er noch einmal hinzu, indem er, vom Gesammteindruck des Ganzen zurückkommend, auf die Einzelheiten seiner Umgebung zu merken begann.

Der Ordnungssinn, der – ein Erbtheil seiner Mutter – ihm eingeboren war, stimmte schlecht mit dem ordnungslosen Leichtsinn, dessen Spuren das luftige Vesperglöckl überall verzettelt hatte. Der Unterrock, den Veverl gewechselt, lag noch auf der Stelle, wo er fiel, am Boden, wie ein Zauberkreis. Ein Schuh stand unter'm Bett, der andere lag, das rothe Stöckl kläglich gen Himmel streckend, hinterm Ofen. Die Bürste schwamm in der angefüllten Waschschüssel, der Kamm schlauderteSchlaudern: unordentlich umherliegen; auch: eine Arbeit mangelhaft abthun, um nur fertig zu werden. auf dem Fenstersims. Ein Stück Band fuhr da, eine zerzauste Spitze dort im Winkel herum; aus der unbesonnen zugeklappten Truhe hing eines seidenen Kleides Zipfel jämmerlich eingeklemmt hervor; auf der Wasserflasche saß die Nachthaube, das Handtuch hing über den Lichtstumpf her. Das Gebetbuch lag gekreuzt mit dem Buckelkratzer; der Boden funkelte weiß und gelb von hastig verbogenen und zornig weggeworfenen Stecknadeln.

»Nein,« sagte Seraphin zu seiner Ordnungsliebe: »bei Martina muß alles viel reinlicher und aufgeräumter aussehen, es wäre sonst nicht gut. Schaut das liebe Narrl nicht aus, als käme es grad vom Zuckerbäcker, so rund, so rein, so süß und häl? Sie hat an der Tante eine gute Lehrmeisterin; aber, daß Gott erbarm, soll denn wirklich das saubere glatte Madl in einem Kloster versperrt werden?«

Der plötzlich wiedererwachte Schreckensgedanke hätte dem armen Jungen viel zu schaffen gemacht, wenn nicht neben der Kammer, die mittelst einer inwendig verriegelten Thüre mit einem Gemach der Wirthsgelegenheit zusammenhing, ein paar Männer ein lautes Gespräch erhoben hätten. Seraphin spitzte die Ohren. »Der 65 Egidi,« flüsterte er in sich hinein: »und – Gott steh mir bei – der Grödner ist mit ihm!«

»Hab' ich doch seit hundert Jahren Dich nicht gesehen!« sprach der Letztere: »Nun, mich freut's, daß ich Dir begegnete. Komm da herein, in dem Stubel ist kein Mensch. Im ganzen Hause summt es wie in einem Bienenkorb; hier sind wir allein, und ich hab' Dir viel zu erzählen.« – »Caschì, caschì, buon gì,« erwiederte einmal über's andere der Engadiner, dessen Stimme eine ziemliche Verlegenheit verrieth: »Was machst Du hier? Bein, bein, sey gegrüßt, Grödner. Wie steht's a casa?« – »Gut und schlecht, wie Du willst.« – »So, so; nun buon gì noch einmal. Trink' ein Glas. Was macht denn der kleine Spitzbub, der Giuven, der Plaschur?« – »Brr, pfui, pfui! erinnere mich nicht an den undankbaren Buben.« – »Oh, oh, undankbar? parchei? Trink, Grödner! Eccu ün vin cotschen, der sehr gut. Oder beliebst Du vin alv?« – »Das ist mir gleich. Deine Gesundheit, Egidi.« – »Si, si, bevein üna buteglia d'vin ansemen!Bevein üna buteglia d'Vin ansemen: trinken wir mit einander eine Flasche Wein.« – »Gut, gut. Wenn sie mir aber schmecken soll, so bring' nicht wieder die Rede auf den Seraphin.« – »Parchei buc, par amur da Dieu?« – »Pah, er ist ein Halunk, der's nicht verdient« – »Ei, ei, was hat er denn gethan?« – »Was er gethan hat? Er ist mir davon gelaufen.« – »Co! davon gelaufen?« – »Ja, ja, und zwar nachdem er mich bestohlen.« – »Co! ei'gl pusseivel! bestohlen?« –»Wie ich Dir sage. Wenn ich doch den Bursch auf den Händen getragen, ihm ein schön Stück Geld zugewendet, und vom Kopf zum Fuß ihn neu gekleidet habe? Und kaum hat er das Geld und das Gwandl gehabt, fort ist er gewesen, als ein rechter Dieb!« – Egidi brummte allerlei unentschlossen in den Bart. Der Grödner fuhr fort: »Es hat mir schier das Herz abdrucken wollen, denn ich hatte es mit dem Buben gar gut vor. Ich hätt' 66 ihm nachsetzen, ihn mit Steckbriefen verfolgen lassen, wenn mir nicht just wichtigere Dinge im Haus ausgekommen wären. Pah! der undankbare Kerl soll sich meinetwegen henken lassen, wo's ihm beliebt, aber er soll sich nicht unterstehen, jemals nach Burgeis zurück zu kommen. Die Leute sind so aufgebracht gegen ihn, daß es ihm schlimm ergehen würde, und ich helf ihm nicht mit einer Fingerspitze, dem hinterlistigen Gauner und Dieb, der um kein Haar besser ist, wie sein sogenannter Vater, der Landstreicher, der!« –

Der Grödner wäre vielleicht mit seiner erbaulichen Standrede noch lange nicht zu Ende gewesen, wenn nicht eine Erscheinung, auf die er nicht gefaßt, die sprudelnde Anklage auf seiner Zunge fest gebannt und seinen Zorn in Angst und Schrecken verwandelt hätte. Seraphin nemlich, der mit unsäglicher Wehmuth und Erbitterung die Beschuldigungen des Vormunds vernommen, konnte sich nicht enthalten, die Thüre jählings aufzureißen, und außer sich dem Grödner entgegen zu springen mit gerungenen Händen, mit bitterlichen Thränen, und mit dem Geschrei: »'s ist ja nicht wahr, Grödner . . . . grüß Gott, Grödner . . . . Ihr werdet doch nicht so schlecht von mir denken . . . . daß Gott erbarm', Grödner, ich bin gewiß und wahrhaftig kein Dieb . . . . verzeiht mir nur um Gotteswillen, Grödner . . . . ich will's gewiß nimmer thun . . . . aber ich kann nichts dafür, ich kann nichts dafür!«

Wäre der Krämer nicht in einer Ecke hinter dem schweren Tische gesessen, wo eine Flucht nicht wohl möglich, er hätte beim Anblick des schwarzen kleinen Teufels den Wein und den Freund ohne Weiteres im Stich gelassen, um der höllischen Erscheinung zu entrinnen. Auch der Engadiner sprang bestürzt von seinem Stuhle auf, doch erkannte er bald die Stimme des Seraphin, packte denselben, der sich an den abwehrenden Grödner mit aller Gewalt klammerte, beim Kragen, und fragte halb lachend, halb böse: »Oibò, 67 chei Giavel! was soll das bedeuten, Bub? Wie kommst Du daher? Wie kommst Du in die Maschera?« –

Seraphin riß sich unwillig von ihm los, und flehte, ohne aufzuhören, bei dem Grödner um Vergebung, betheuerte seine Unschuld, klagte den Engadiner als den Anstifter alles Uebels an, und bat, wieder in des Krämers Haus umkehren zu dürfen, alles wieder gut zu machen. »Ich bin kein Dieb, und will nicht ein Dieb heißen; ich bin nicht undankbar, und will's Euch beweisen!« schluchzte und tobte er in einem fort, bis dem Krämer die Schuppen des Entsetzens von den Augen fielen, und er zu verstehen begann, wie sich in allen Stücken die Sache mit dem Jungen verhielt. –

Nach den Erläuterungen, die Seraphin herzaufrichtigst gab, und denen Egidi verdrießlich und stumm beiwohnte, drehte sich der Krämer mit ernstem Vorwurf zu dem Engadiner, und fragte: »Wer hat denn Dir das Recht gegeben, mir den Buben zu stehlen, und wie kommt er in diesen wunderlichen Aufzug? Hast Du ihn aus meinem Hause geraubt, um ihn zu einem Rauchfangkehrer zu machen, Du falscher Wälscher?« –

Egidi, der, wie Maroner gesagt, stahlhart und auf jegliches gefaßt war, entgegnete trocken: »Wie der furfant aus einem hundreivel Utschaller ein tschufiger Spazza Camin geworden, weiß ich nicht; aber Du mußt wissen, Mercadont, daß ich bin sein Aug, daß er mein Nepot, daß wir sind von einer Schlatta, und daß ich eher ein Recht auf den Giuven habe, als Du, bei dem immer die höllischen Katzen im Hause losgelassen sind. Verzeih; aber ›tiers igl vin gì ün la vardad‹.« –

Der Grödner machte große Augen, und es entspann sich alsogleich zwischen ihm und dem Engadiner ein heftiges Gefecht mit Worten in romanischer Zunge, dem Seraphin 68 zuhörte, ohne davon mehr zu verstehen, als daß sich beide harte Dinge sagten, und jeder seine Ansprüche auf ihn geltend zu machen suchte. Er forschte daher unruhig in den Zügen der Männer, auf welche Seite die Wagschale sich neigen dürfte, bis endlich der Grödner, von der Zungenfertigkeit seines Gegners überwunden, ermüdete, das Gewehr streckte, wie es schien, und sagte: »Lassen wir's gut seyn, und machen wir die Sache freundlich ab.« – Worauf der Engadiner: »Giè, mien Amig; par mei jau sunt content cun tei;Mieu amig, par mei jau sunt content cun tei: mein Freund, was mich betrifft, bin ich mit Dir zufrieden. wenn Du aber noch hättest Zweifel, und wolltest cun Guault den Giuven in Dein Haus zurückführen . . . .?« –

Der Grödner unterbrach ihn mit Befangenheit: »Nein, nein, das verlang' ich nicht, das will ich nicht. Seraphin, ich bitt' Dir ab, und will Deinen guten Ruf zu Burgeis wieder herstellen, wahrhaftig, das will ich . . . . aber . . . . ich kann Dich nimmer im Hause brauchen, und weil Du ein Glück machen wirst, wie der Egidi sagt . . . .« – »Verzeiht mir doch ganz und gar,« bat der redliche junge Mensch: »verbietet mir Euer Haus nicht, ich will Euch ehrlich dienen, Ihr sollt mit mir zufrieden seyn!« – »Ich glaub's, glaub's wohl, Du Hascher,« versetzte der Grödner freundlichst, und klopfte ihn auf die von Ruß und Thränen marmorirte Wange: »aber weißt Du wohl, ich bin jetzt ganz allein . . . . die Alte ist gleich nach Deinem Abgang auch abmarschirt – in die ewige Ruhe, so Gott will . . . .« – »Desto besser, Grödner, wir wären dann ganz friedlich bei einander.« – »Wohl, wohl; aber schau, Du Tschappel, es wird nicht lang mehr dauern, und es kommt ein anderes Weib in's Haus . . . . weißt Du wohl . . . . die Hocheneckers Christine . . . . und sie wird's nicht leiden wollen, daß . . . . nun, nun, gib Dich nur zufrieden. Wir bleiben jetzt gute Freunde, und damit basta

Ein gewisser Instinkt bestätigte dem jungen Menschen des Grödners Befürchtung, daß ihn ein junges Weib wohl 69 noch unlieber als eine Alte im Hause sehen würde. Zugleich gab sich Seraphin innerlichst das Zeugniß, gegen den Grödner gehandelt zu haben, wie die Rechtschaffenheit es verlangt; denn fürwahr nur mit schwerem Herzen, und gerade nur, um seine befleckte Ehre wieder herzustellen, wäre er aus Martina's Nähe fortgezogen, um den Ladenknecht beim Dorfkrämer zu machen. Daher fand er sich jetzo um so bereitwilliger in des Grödners willkommene Bedenklichkeit, und grübelte nicht den Gründen nach, die Egidi vorgebracht haben mochte, um ihn dem Hause Tammerl zu erhalten.

Sein Wohlbehagen wurde indessen gestört durch die harte Anrede des Engadiners: »Sag jetzt, wie Du kommst in die Maschkra? Schämst Du Dich nicht, die Narradads mitmachen zu wollen, und bist nicht größer als der Pollisch?« – »Oho, oho!« versetzte Seraphin, den das Gleichniß billig ärgerte, weil er schon mit seinem Kopfe beinahe an den höchstsitzenden Silberknopf des Egidi-Brusttuchs reichte: »Das wird doch nicht seyn! Was geht Dich meine Maschera an?« – »Co? mich nichts angehen?« polterte Egidi drohender: »Sag mir das noch einmal und ich geb' Dir eine Schlaffada èlg Grugn, daß Dir der Kopf um und um geht, wie ein Torkel

Was eine Schlaffada bedeute, dolmetschte dem Rußler die Bewegung, die der Engadiner durch die Luft machte. Seraphin duckte sich, und richtete auch dann den Kopf nicht in die Höhe, als Egidi fortfuhr: »Hat Dir der Meister erlaubt, den Spazza Camin vorzustellen? Giè ner na? Ja oder nein?« Der arme Schelm hatte nichts zu antworten, und darum verbannte ihn Egidi mit den Worten: »Marschir, marschir, or cun tei furlant! Auf der Stell' marschir' hinaus in Dein Nest, und wasch' Dich weiß, Du Schmaladieu Neger! Kommst Du mir wieder in's Gesicht, wie Du bist, Veh a ti!« Der Grödner hatte gut vorbitten, Seraphin mußte die Flucht ergreifen.

70 Wo waren aber indessen die tollen Maskenläufer, denen sich Seraphin hatte anschließen sollen, hingekommen? Der Auszug der Faschingsnarren hatte schon längst stattgefunden. Der ganze bunte lärmende Troß hatte sich vor dem Gasthause müde getanzt und geschrieen und geklingelt, und Seraphin hatte – während seiner Verhandlungen mit Egidi und dem Grödner – nicht das Mindeste von dem Getümmel vernommen. Als er nun hinaustrat auf die Gasse, trieben die Schemen schon im Untermarkt ihr Wesen, und der vereinzelte Rußler lief, von einigen Buben verfolgt, die ihm »Spazza Camin« nachschrieen, wie der Engadiner, zwar nicht gen Tarrenz, aber dem Hause zu, wohin er beschieden und vergebens erwartet worden war.

Das Schemenlaufen nahm sich drollig genug aus. Die Helden des Maskenspiels waren größtentheils in abenteuerliche Weiberlarven versteckt. Den Zug eröffnete eine Bande der sogenannten Rollerinnen in kurzen Röcken, überall mit Schlittengeläut behangen. Dieser wunderlichen Musik folgte eine noch auffallendere: ein Trupp von Schellerinnen, noch abscheulicher verkleidet als ihre Vorgänger, und Kuhglocken – manche von einer Schwere von sechzig bis siebenzig Pfund – an Ledergürteln um den Leib schleppend. Der Lärm, den diese seltsamen Instrumente machten, während die Schellerinnen gingen, hüpften oder tanzten, war ein infernalischer Spektakel. Gleich den leichten Truppen in Feld und Plänkelei sprengten zu beiden Seiten der klingenden Larvenmenge die Duxen, ebenfalls Weiberlarven, die Unterinnthalertracht lächerlich nachäffend und mit Säcken, die voll Heu gestopft, auf das gaffende Dirnenvolk schlagend; die Pulgen: verlarvt wie die vorigen, aber mit größern und gewichtiger gefüllten Säcken versehen, womit sie auf die Buben und alles Mannsvolk lospaukten; die Rußler, die den jungen Mädchen nachsetzten, und eine jede, deren sie habhaft werden mochten, schwarz machten, insofern 71 nämlich die Verfolgte den Ruf völliger Unbescholtenheit besaß; so daß zum Ehrenzeichen wurde, was etwa anderwärts zur Schmach gedient hätte; die Maien: wiederum in Weibskleider vermummte Bursche, die sich anstellten, als wollten sie die gerußelten Mädchen dienstfertig abreiben und reinigen. – Diese verschiedenen Truppen verbreiteten ringsum eine solche Verwirrung und ein Getöse dergestalt, daß ein Fremder hätte glauben können, der Markt sey von tartarischen Horden erstürmt worden. Die Gasse hatte kaum Platz für die neugierigen Zuschauer, die beständig vor den Schemen liefen, schreiend, lachend, sich überstürzend, aber eben so flüchtig wieder zusammenflossen, wie gepeitschte Wellen, weil die Neugier und die Scherzlust weit das Ungemach überwog. Die meisten Häuser waren geschlossen, um den zudringlichen Rußlern den Eingang zu verwehren; wo eine Thüre klaffte, drangen sie ein, ein toller Schwarm, und öfters thaten auch andere Masken, als Zigeuner und Diebe verkleidet, dasselbe, und stahlen, was sie erwischen konnten, um die Beute, die übrigens am nächsten Tag zurückgestellt wurde, im Triumph herumzutragen. Hinter den genannten fliegenden Rotten, die den Scherz so eifrig und gewissenhaft trieben, daß man ihn gar oft für bittern Ernst hätte nehmen können, entwickelte sich der lange Zug der alten Jungfern, die auf's Sterzingermoos geschafft wurden. Von Schergen getrieben, und begleitet von einem Gerichtsschreiber in possenhaftem Gewande, der hie und da ein närrisches Protokoll verlas, das nicht glimpflich mit der zärtern Hälfte des Menschengeschlechts umsprang, wanderten die armen Fräulein zu Fuß, mit oder ohne Pantoffeln, zu Esel, zu Wagen, und in Sänften und Kraxen getragen, mit Heulen und Zähnklappern dem feuchten Verbannungsort entgegen; belacht von der Menge, beklatscht, nur nicht bemitleidet. Die Larven aller dieser Schaaren überboten sich in Abscheulichkeit und Verzerrung; doch waren 72 ihrer sehr viele ehrwürdig durch ihr Alter, indem sie wohl vor einigen hundert Jahren schon gebraucht worden. Diese Schemen gehen als ein hochgewürdigtes Erbtheil in den Familien von Glied zu Glied, und es ist schon zu Imst erlebt worden, daß Leute, deren Häuser lichterloh brannten, jene alten Masken, hinter denen schon der Urahnherr seinen Spaß getrieben, vor allem andern Gut gerettet, und sich mit der theuern Schemen Erhaltung über bedeutenden Verlust getröstet haben. Wie noch heutzutage üblich, durchströmte der Zug in brausendem Wirrwarr alle Gassen des Marktes, tanzte vor den Gasthäusern, um eine Spende an Wein und Brod zu verdienen, und vor den Wohnungen der angesehenern Personen vom Adel, vom Beamtenstande und vom Magistrat, um ein Trinkgeld zum Verschmausen zu gewinnen, und rastete nicht, bis zur Abendglocke, die dem Heidenlärm und Fastnachtsschwank ein Ende machte, so wie das Mittagläuten ihm das Zeichen zum Aufmarsch gegeben.

Der ängstliche und gescheuchte Nußler Seraphin rannte, was er konnte, dem Tammerlhause zu. Die Schemenläufer waren schon weit davon. Die Thüre war fest verschlossen. Aber in seinem Eifer, dem Befehl der Martina zu gehorchen, rathschlagte Seraphin nicht lange über die Mittel dazu. Das Nachbarhaus war offen. Er springt hinein, wie ein Pfeil, findet eben so schnell den Weg auf's Dach, schwingt sich nicht ohne Gefahr auf den steilen First des Bäckermeisters, kletternd und hinanstürmend über Schindeln und Schwersteine zum Rauchfang mit den drei Zinnen. Kaum läßt er sich Zeit, einen erfrischenden Athemzug zu thun, und schon fährt er, wie ein gelernter Kaminfeger, in den rußigen Schlot hinab. Es hat ihn niemand gesehen, denn die Imster haben vor der Hand keine Zeit, himmelaufwärts zu schauen, da es auf Erden gerade so lustig zugeht. Ehe 73 einer fünfe zählen könnte, hängt der kühne Kletterer schon über der Mündung des Herdmantels, mit dem rechten Knie an die Rußzacken gestemmt, mit der linken Hand eine Eisenklammer fassend, die so gelegen in der Mauer sitzt, als wäre sie eigens zu Seraphins Bequemlichkeit dort eingeschlagen worden. Von seinem schwarzen Schlupfwinkel herab sieht er schnurgerade auf die abgelöschten Kohlen des Herds, auf eine Menge von Kochgeschirr, das die Magd, begierig, den Huttlern nachzulaufen, wie Kraut und Rüben ungesäubert durcheinander hat stehen lassen. Aber es ist todtenstill in der Küche; die Katze wälzt sich faul und geräuschlos in der Asche, ein bleicher Sonnenstrahl spiegelt sich träge in dem Wasserschaff, das am Fuß des Herds vergessen worden.

»Ich hab's verpaßt»« zürnt Seraphin mit sich selber: »wär' ich nur wieder oben, wo die Luft streicht und das Auge des Gebirgs froh wird. In meinem Leben will ich nicht mehr einen traurigen Rußler vorstellen, der sich im Kamin die eigene Haut schwarz färben muß, weil er niemand anders zum Rußeln findet.«

Schon mißt er mit einem gähen Blick nach oben die Höhe, die er hinanzuklimmen hat, um sich in Freiheit zu setzen, als ein Geräusch in der Küche ihn bewegt, seine Messungen alsbald wieder einzustellen. War's die Thüre, die da knarrte? Sind's Stimmen, die sich unten vernehmen lassen? Wahrhaftig, Stimmen sind es; eine girrende und schnarrende, die sich ungemein schnell durch alle Tonleitern bewegt, und eine, die dem Horchenden schöner klingt wie reinsten Silbers Klang. Martina spricht. Sie sagt mit wehmüthigem Verdruß: »Kannst Du verstehen, Veverl, wo der Seraphin bleibt? Bald hab' ich Angst um den verwünschten Buben, bald möchte ich ihn schopfbeuteln. Er verdient vielleicht nicht, daß ich mich ängstige. Wer weiß, ob er nicht mit den Schellenschemen läuft, mich und seine Bestellung vergessend? Wer 74 weiß, ob er nicht in eine liederliche Gesellschaft gerathen ist, die ihm das Trinken und Spielen beibringt, und das abscheuliche Tabackrauchen?«

»Oho! oho! was etwa nicht alles noch?« dröhnt es dumpf aus dem Kamin, und die Rußstücke regnen herunter, und ein paar schwarze Beine strampeln unterm Herdmantel hervor in der Luft, und einen Sprung thut das Ungethüm herab mitten in das irdene Geschirr, das platzt und kracht und schmettert. Noch ein Sprung, um der Verwüstung zu entrinnen, und das Ungethüm patscht in's Wasserschaff; das Schaff schlägt um, die Fluth strömt aus, die Katze entflieht pfuckend und kreischend vor dem Dämon, der sich in Trümmern wälzt. Das Vesperglöckl macht's in ihrer Herzensangst der Katze nach, und läuft mit einem »daß Gott erbarm!« ohne Ende davon. Die herzhaftere Martina lüpft nur den einen Fuß zum Entspringen, der andere haftet wacker am Boden, wie ihr Auge an dem Rußler, der sich mit den Scherben des stürzenden Geschirrs balgt und mit dem hin und herrollenden Wasserkübel, worein er immer wieder geräth, als ob ein Zauberer ihm beständig das Bein hineinstauchte.

»Ach Du mein Heiland! welch' Unheil richtest Du an, Seraphin!« ruft das Mädchen, den Tappindieschüssel erkennend: »bist Du toll geworden? hast Du den Veitstanz, oder bist Du betrunken?«

»Nicht das, nicht jenes,« erwiedert Seraphin, der sich frei gemacht und Martina bei der Hand faßt: »ich komme nur ein bissel geschwind herab, um Dir zu sagen, daß mir's von Herzen leid thut, nicht zur rechten Zeit da gewesen zu seyn.«

»O Du Leichtsinn, o Du schiecher Bube! laß meine Hand los. Ich glaube Dir kein Wort und verzeihe Dir auch nicht, denn Du hast mir den schönsten Spaß verdorben!«

75 »Du mußt mir verzeihen, ich thu's nicht anders. Liebe, liebe Tina, die ich so viel gern habe, lieber als mich selbst, verzeih' mir und hör' mich an.«

Seraphin hielt fest, Martina wehrte sich; ungeduldig, die Mißstimmung zu beschwören, umschlang er das zornige Mädchen. Weiß kein Mensch, wie's geschah, daß Martina plötzlich zwei, drei oder vier Küsse auf den Wangen spürte, die nicht allein brannten, sondern auch schwarze Male hinterließen, als wäre des Mädchens zartes Weiß mit einem rußigen Kessel in Berührung gewesen. Die Unbill war zu arg; Martina schrie, und in ihr Geschrei mengte sich plötzlich das helllaute Gebell von zwei Hunden und der Tante Magdalene schreckensvoller Ausruf: »Du liebe Frau! was muß ich erleben.«

Im Nu waren Seraphin und Martina auf eine Klafterlänge von einander gewichen. Magdalenens Augen funkelten vor Erstaunen und Erbitterung. Sie drohte dem jungen Menschen mit dem Finger, und sprach zu dem Mädchen, das sich schaamroth an ihre Brust geworfen: »Nimm Dich zusammen, Tina. Ich höre die Mutter draußen. Die Veverl hat's ganze Hans in Allarm gebracht. Die Mutter würde sich erschrecklich ärgern, wenn sie wüßte, was eigentlich vorgegangen. Komm' geschwind mit mir!« – Die gute Tante zog die Nichte mit sich fort, und Seraphin, der wie niedergedonnert dastand, buchstäblich nicht wissend, was sich mit ihm und Martina zugetragen, hörte, wie die Tante draußen sagte: »Schau nur, Marianne, die saubere Bescheerung in der Küche. So kann denn nicht einmal die verschlossene Hausthüre einen Christenmenschen vor der verwünschten Narrheit schützen!«

Hintereinander erschienen nun mit blassen oder feurigen Angesichtern Frau Marianne, die Frau Wittib Tammerl, die faule Magd, die schreiende Veverl, der Herr von Sprenger, welcher dießmal bedeutend hinkte, 76 und, als der letzte, der Hausherr selber. Marianne bejammerte das zertrümmerte Geschirr, und schimpfte bald die Magd, bald den Seraphin aus. Frau Martha klagte die Nachlässigkeit der Schwiegertochter weidlich an. Das Vesperglöckl erzählte allen nach der Reihe, was sie gesehen, wie sie erschrocken, und brachte alles noch mehr in Verwirrung, wie die Magd, die sich vertheidigte, als ob es ihr Leben gälte. Die Herren sahen anfänglich zu, ohne ein Wort zu sprechen. Nachdem aber die Weiber den verdutzten Rußler mit Vorwürfen überhäuft, mit Fragen bestürmt hatten, und nachdem Seraphin, ein bischen die Wahrheit verhehlend, großmüthig vorgegeben, er sey ganz allein an dem Spektakel schuld, indem er auf eigene Faust im Hause habe einen Faschingsscherz spielen wollen, vereinigten sich der Männer grobe Stimmen mit dem Wehegeschrei der Mütter und der Dirnen. »Wär' mir nichts lieber, als wie Du Dich aufführst,« hob der Meister an, indem er sich dazu geberdete, wie ein wilder Mann: »Du könntest mich schon g'freuen, Du thust Dich schon brav anlassen. Das taugte mir ins Haus, das muß ich sagen! Wer hat Dir erlaubt, die Dummheiten mitzumachen? Kaum bist Du von Deinem Dorf in die Stadt gekommen, und schon steigen Dir die Dalkereien in den Kopf? Wart, wart, ich will Dir schon einen Germ in Dein Zuckerbrod backen. Du bist mir schon ein rechter Gutedel, Du!«

Der letztere Ausdruck, einen schlecht gerathenen Menschen bezeichnend, war dem Meister noch von seiner Wanderschaft ins Reich kleben geblieben. Das ironische Wort des weinpflanzenden Volks am Rhein bedeutete bei Herrn Tammerl einen mächtigen Grad von Erbitterung, wenn er's in den Mund nahm. Von dem »Gutedel« bis zu Schlägen war dann nicht weit. Frau Marianne, dieses gar gut wissend, legte sich zwischen 77 Herrn und Diener mit einem begütigenden »Nun, nun . . . . schrei' nicht so laut, Peter!«

»Der Sohn hat Recht,« sagte dagegen Frau Martha gehässig: »Der Dörcherbub' ist ein freches Blut, das abgestraft werden muß.«

»Oho! oho!« redete Seraphin eifrigst ein: »meine Eltern waren keine Dörcherleute und Karrenzieher. Laßt Euch das vergehen, Frau.«

»Der Bub' sagt die Wahrheit,« stimmte Tammerl, seiner Billigkeit gemäß, ein: »Aber doch hätt' er verdient, daß ich ihn niederschlüge.«

»Schäm' Dich, Peter, schäm' Dich!« nahm wieder Frau Marianne das Wort: »Du hast's dem Seraphin jetzt gesagt, und er wird's nimmer thun. Punktum.«

»Was Punktum?« fragte Tammerl rauh, obschon sein Grimm beträchtlich schwand: »Die Schüsseln, die Teller, das zerbrochene Wasserschaff, wer ersetzt mir das? Was? Ich frage hier den Herrn von Sprenger. Er entscheide. Wie?«

»Ihr sollt's nicht hingehen lassen, Meister!« äußerte der Kavalier, und rieb sein Bein: »die verdammten Faschingspossen, der vermaledeite Narrentanz! Das Volk ist glatt verrückt und ausgelassen, wie das Vieh.«

Der bauernfreundliche Herr war, dem Narrentanz zuschauend, von einem mit Sand gefüllten Sack eines Pulgenschemen so schwer in die Kniekehle getroffen worden, daß ihm der volksthümliche Spaß von Stund an vorkam, wie eines entfesselten Pöbels eckelhaftes Rasen. Die Frau Martha, die stets für Strenge und Strafe stimmte, fiel gänzlich dem Herrn von Sprenger bei, indem sie wiederholte: »Der Sohn soll's nicht hingehen lassen. Was krumm werden will, biegt sich bei Zeiten. Jugend will gezüchtigt seyn.« – Alle schwatzten durcheinander, nur die unermüdliche Schwätzerin, Genovefa, war mäuschenstill, denn ihr lief übers Gewissen, daß 78 sie unbesonnen gehandelt, indem sie das Haus in Aufruhr brachte, und daß Seraphin ein wackerer Bursch zu heißen, weil er nicht Martina, nicht Genovefa in den Scherbenhandel verwickelte, sondern alles auf sich nahm.

Seraphin bereute seine Verschwiegenheit keineswegs; das Bewußtseyn, für Martina zu leiden, gab ihm den Muth, den Herrn von Sprenger mit ein paar Blicken zu messen und trocken zu sagen. »Ich kenne den Herrn gar nicht; ich hab' den Herrn nur ein paarmal gesehen, und da ist mir vorgekommen, als gehöre der Herr gar nicht in's Haus. Ich habe Wunder, was der Herr über mich vorzubringen hat. Mich geht aber der Herr von A bis Z nichts an; und ich möchte dem Meister und der Meisterin ein Wörtl im Vertrauen sagen.«

Der Herr von Sprenger war bis in die Halsbinde hinein purpurroth geworden, und zuckte mit dem spanischen Rohr, das er in der Rechten hielt; aber sich eines bessern besinnend, drehte er sich mit verächtlichem Achselzucken um, und bot der Frau Martha die Hand. Die Magd und das Vesperglöckl folgten stumm, und Seraphin sammt Tammerl und Frau Marianne blieben allein.

Seraphin, stolz, den aufgeblasenen Einflüsterer und Dareinsprecher aus dem Felde geschlagen zu haben, sagte mit herzlicher Aufrichtigkeit zu Tammerl: »Ich hab' einen dummen Streich gemacht, verzeih' mir ihn der Meister. Es soll nicht wieder geschehen, was geschehen ist, und ich will von nun an ohne Eure Erlaubniß gar nicht in die Stadt hereinkommen. Das Geschirr hab' ich freilich zerbrochen, laßt mich dafür etwas für's Haus arbeiten, bis ich abverdient habe, was die Trümmer kosten; aber seyd mir nicht böse, und laßt mich nicht von der alten Frau, die ein Maul wie ein Säbel hat, heruntermachen, und noch weniger von dem goldeingefaßten Spanbrenner mit den krummen Haxen. Ihr 79 seyd mein Herr, Ihr seyd meine Frau, und von einer andern Herrschaft mag ich nichts wissen; sonst ging' ich lieber zum Grödner heim, der mich doch wohl noch nähme, wenn ich ihn recht schön bäte.« – Er erzählte nun sein Zusammentreffen mit dem Grödner, und schloß, da Tammerl ihm besänftigt die Hand reichte: »Ich dank' schön für Eure Güte, und der Frau dank' ich für ihre Fürsprache. Mit ein paar guten Worten kann man mich gewiß um den Finger wickeln, aber ich will nicht geschlagen und getrieben seyn, wie ein vierfüßiges Thier, wenn mich auch der Meister hat einfangen lassen, wie einen wilden Hund.« – »Ei, ei, Peter, was hast Du da gemacht?« hob die Frau strenge an, da sie jetzt ungefähr merkte, wie Tammerl zu seinem Vogelwärter gekommen war. – Tammerl ging jedoch nicht auf das Verhör ein, langte dafür in den Sack und gab dem Rußler ein Geldstück mit den Worten: »Nun, nun, es ist jetzt alles recht und vergeben. Ich hab's wirklich nicht gern, daß Du die Narrenspossen mitmachst, Seraphin. Du versäumst mir die Vögel, und möchtest locker und lüftig werden, und es wäre schade um Dich. Bleib' also draußen, und kauf Dir manchmal, was Dir schmeckt. Ich will schon weiter auf Dich denken, wenn Du brav und gehorsam bist, und – Du hast's gesagt – es hat Dir gar niemand zu befehlen, als ich.« Marianne hustete zufällig, und als wie auf ein Schlagwort fügte Tammerl hinzu: »Als ich, und was die Frau will, das thust Du auch, so wie mir. Jetzt geh!«

Seraphin schüttelte sich, aus dem Hause laufend, wie Einer der gefürchteten Schlägen entgangen ist, trollte sich in's Wirthshaus, wo er seine Umwandlung bewerkstelligte, warf mit Verachtung die rußigen Lumpen auf Veverl's Bett, und marschirte seinem Hauptquartier zu. Vor der Hand war er geborgen; doch wußte er nicht, was nachkommen würde, wenn die Tante, wie zu 80 besorgen, die eigentliche schwere Unthat, deren Zeuge sie gewesen, Martina's Eltern gemeldet hatte. Es schwante ihm so etwas von wegjagen und dem ähnlichen. Er fand auf dem Grund seines Gewissens, daß ein solches Urtheil wohl verdient seyn würde, und versprach sich selber und dem Himmel – insofern ihm jetzt noch Gnade werden sollte – mit Martina höchst ehrerbietig zu seyn, und gewiß nicht mehr zu wagen, was er – er begriff selbst nicht, wie er dazu gekommen – in der Küche gewagt hatte. Nicht als ob die drei oder vier Honigproben, die er mit unsauberm Munde von Martina's Wangen genommen, ihm wenig geschmeckt hätten: im Gegentheil, sie schmeckten ihm noch, und viele Monate lang blieb auf seinen Lippen der süße Nachgeschmack. Aber er grämte sich rechtschaffener Weise wegen der Beleidigung, die er seiner Liebe angethan, und mochte sich selber kaum die Sünde vergeben. »Es ist schon, wie der Maroner sagt,« wiederholte er sich oft: »oder es hat's, meine ich, der Jäger-Liebl gesagt: der Teufel steht immer bereit, wo's ein Unglück geben soll.« – Dieser Gedanke quälte ihn unablässig, und er wurde des Vorwurfs erst zur österlichen Zeit ledig, als ihm der Beichtvater, nach dringender Ermahnung zur Besserung, die Sünde erließ und eine ziemliche Buße aufgab, die er gewissenhaft verrichtete. – Der Himmel seinerseits hatte ihm unmittelbar Begnadigung bewilligt, denn von dem Küchenauftritt war überall keine Rede, und die Gesichter des Tammerl'schen Ehepaars zeigten sich dem bereuenden Seraphin heiter und wohlgeneigt.

Zwischen der Tante und Martina war es übrigens auf der Stelle zu Erklärungen gekommen. Während die gute Magdalene mit zitternden Händen das weinende Antlitz der Nichte reinigte, sagte sie: »Weine nicht mehr, mein Kind, und sey froh, daß ich Deiner Mutter die verunstaltenden Mackel habe verbergen können. Der dreiste 81 Bube, wenn Marianne wüßte, was er sich unterstanden, würde mit Schimpf und Schande aus dem Dienst gejagt werden, und seine Rohheit bitterlich entgelten. Doch ist er ein verwaister Junge und die Strafe würde zu groß seyn für einen Frevel, vor dessen Wiederholung Du Dich leicht hüten kannst. Wir wollen ihm vergeben. Erzähle mir aber jetzt aufrichtig, wie er zu dem Unsinn gekommen.« – Martina hatte einige Lust, in ihrer Beschämung dem kecken Rußler gar alles aufzubürden, aber ihre bessere Natur gewann die Oberhand. Sie gestand, daß sie es gewesen, die den Seraphin zu der Verkleidung bewogen; sie gestand, warum. Sie berichtete lauter und rein den ganzen Hergang der Sache, und wie sie an die Frevelküsse kam, bekannte sie ganz ehrlich: »Ich habe geschrieen, liebe Tante Lenerl, und ich schäme mich noch jetzt, aber ich hab' ihm doch nicht zuwider seyn können. Ich hab' ihn so viel gern, und er hat mich lieb, und wir haben einander versprochen, uns zu heirathen, wenn wir einmal groß seyn werden.« – Die Tante schlug die Hände überm Kopf zusammen. »Ei, ihr thörichten, hinterlistigen Kinder!« rief sie einmal über's anderemal. Aber Martina besänftigte sie bald; sie wußte mit schmeicheln sehr gut umzugehen, und die Tante war dafür nicht unempfindlich. »Du hast oft gesagt, liebe Tante, daß Du mich einmal recht glücklich sehen möchtest,« sagte das Mädchen mit unwiderstehlicher Treuherzigkeit: »Du kannst es in einigen Jahren dahin bringen, wenn Du Dich meiner und des Seraphin annimmst. Er ist ein gutes Blut, und wird schon ein ganzer Mann werden; das sagt der Vater selber, und wir haben uns schon versprochen. Dagegen verspreche ich Dir, daß ich mich von heute an in allen Stücken so benehmen will, wie eine Jungfer, die kein Kind mehr ist, und etwas auf sich hält. Seraphin wird seinerseits brav und ordentlich seyn, dessen 82 bin ich gewiß, und wir werden Dir alle Ehre machen, und keine Dummheiten mehr begehen, wie die heutigen, die Du vergeben und für Dich behalten wirst. Nicht wahr, Du schöne, liebe Tante?«

Was konnte die liebe, schöne und eitle Tante solchen Schmeichelworten entgegensetzen? Ein hartes Herz? Aber die Natur hatte gerade ihr das weichste Frauenherz zum Geburtsfeste verehrt; ein Herz voll Liebe und Zärtlichkeit, das mit aller Welt in Frieden leben wollte; ein schwaches Herz vielleicht, aber in seiner Schwäche liebenswürdig und edel. Magdalene umarmte daher die plötzlich aus einem Kinde zur Jungfrauenherrlichkeit erwachsene Martina, und sprach leise, als ob sie sich einigermaßen schämte, in deren abenteuerliche Zukunftsplane einzugehen: »Ihr lieben thörichten Kinder! wenn ich aber Unrecht thue, euern Träumen beizupflichten? Fasse Muth indessen; wenn's an mir liegt, sollst Du glücklicher werden, als ich's gewesen bin. Es kommt nur darauf an, daß Seraphin sich wie ein braver Christ aufführe, und daß euere junge Freundschaft nicht wanke. Daran ist allein zu erkennen, ob der Bund im Himmel geschlossen worden ist, oder ob er nur eine Seifenblase gewesen, die der Wind verträgt.« 83


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