Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

  Der Prophet Ezechiel hat einen Wagen gesehen, an dem ein Ochs und ein Löw nebeneinander gespannt. Ungleiche Thiere sind das gewesen. Die Eheleute werden auch an ein Joch gespannt, dahero sie Conjuges benamset werden, aber gar oft auch ungleich: wo sie sich zusammenschicken wie eine Sichel und Messerscheide; wo ihr Willen weiter von einander als Preßburg und Straßburg; wo die Lieb' so inbrünstig ist, daß man sie ganz sicher könnt' in ein Schaab (Bund) Stroh einsperren. O Bitterkeit!
P. Abraham a Santa Clara.

Der argwöhnische Seraphin würde sehr erstaunt gewesen seyn, wenn er seine ehemalige Braut, die er von der Glorie der Weltpracht umstrahlt wähnte, in ihrer wahren Lage hätte sehen können. Ach, die sparsamen Blüthen ihres Brautkranzes waren schon dürr und abgefallen, vom hochzeitlichen Schmuck ihres Hauses Wände entkleidet, jedwede Freude, noch so winzig, hatte sich getummelt, vor der betrübten Wirklichkeit im Leben der Neuvermählten die Flucht zu ergreifen. – Martina, blaß und leidend, reue- und angstvoll, saß als Wärterin am Lager eines Schwerverletzten. Der arme kranke Mann im hohen Himmelbette, eine verkörperte Litanei aller Schmerzen, war ihr Gatte.

Wie sich's manchmal zuträgt, daß Kinder und einfältigliche Gemüther zum Weissagen kommen, sie wissen nicht wie, – so war's der unbefangenen Martina ergangen. 30 Ihre Prophezeihung, daß Sprenger mit ihr das Glück nicht heirathen würde, war fast urplötzlich richtig geworden. Daß sie, die den Bräutigam beneidet, ihn jetzo beklagten, und andere, die ihn geschmäht, ihn jetzo noch grausamer verlachten, hatte sich also begeben: von den Hochzeitsfackeln begleitet, war die Kutsche mit dem schmollenden Paare vor Sprenger's Hause angelangt; die Bedienten hatten die Schlagthüren aufgerissen, die Musikanten ihren besten Tusch angestimmt. Sprenger, voll von oberherrlichen Gedanken, und in der Meinung, sich als ein recht vollzähliger Mann dem Volk zu weisen, hatte den Arm des Lakaien verschmäht und einen rüstigen Sprung auf's Pflaster gewagt. Doch fiel er plump darnieder, und so gewaltsam auch die Beschämung an ihm zerrte, ihn wieder aufzurichten, dennoch mußte er das Aufstehen bleiben lassen. In sein Gemach hinaufgetragen, und der Besichtigung des anwesenden Doktors Musteratsch unterworfen, mußte er zu seinem Schrecken erfahren, daß er den Schenkelhals gebrochen. In seinem Alter eine schwere Verletzung, und vor hundert Jahren noch um gar vieles schwieriger, als heutzutage. Nicht möglich ist es, einen Begriff von dem Sturm des Grimms zu geben, der in dem leidenschaftlichen Manne losbrach, und nur dazu diente, das Fieber, das ihn bald ergriff, doppelt wild und wüthend zu machen. Mehrere Nächte hindurch fabelte er von allen gekrönten Häuptern der Erde, regierenden und nichtregierenden, von seinen Feinden im oberösterreichischen Wesen, von der Tammerlsippschaft und sogar von Seraphin, den er beschuldigte, ihm vor den Wagen eine Schlinge gelegt zu haben; eine Idee, die er sich sogar bei wacher Vernunft nicht leicht nehmen ließ. Musteratsch, die Unzulänglichkeit seiner wundärztlichen Erfahrungen und Geschicklichkeit offen bekennend, hatte von dem wälschen Arzt gesprochen! Tammerl alsobald den Kölbl versendet, den Wundermann herbeizuholen. Im 31 besten Fall versprach die Heilung nur den allerlangsamsten Fortgang, und mehrere Monate des Leidens und der Unfähigkeit standen unnachsichtlich dem ungeduldigen Kranken bevor. –

Martina, dem wie vom Himmel geschneiten Unglück gegenüber, hatte – sie schämte sich bald nachher des unbarmherzigen Leichtsinns – ein gewisses Frohlocken in ihrer Seele verspürt, als ob das peinlichste Joch mindestens auf eine Zeit von ihrem Nacken genommen worden wäre. Aber, nicht lange, und sie hätte eher alles in der Welt gern ertragen mögen, als die Mitleidenschaft, in welche ihre Pflicht und ihres Mannes Wunsch sie zog. Eine Krankenpflegerin des alten Herrn vorzustellen, war keine Kleinigkeit. Die spitzfindigste Tyrannei hätte lange sinnen müssen, um die Qualen zu ersinnen, die Sprenger, stets hundert Befehle und Vorwürfe im Munde, seiner geplagten Gattin bereitete. – Wenn Martina in den bösen Fiebernächten neben dem vor Schmerz und Jast heulenden und irreredenden Menschen verweilte, wenn sie hörte, wie er ihr selbst alle Schuld seines Elends beimaß und sich und alles auf Erden und im Himmel verwünschte, hunderterlei begehrend und wieder von sich stoßend, der boshaftesten Laune und Wildheit voll, da kam ihr öfters vor, als sey der Teufel alt und gefangen worden, und müsse nun vor ihren Augen auf dem feurigen Rost, den er bis daher für Andere in Gluth gesetzt, alle seine Missethaten abbüßen. – »O Herr!« betete sie dann: »geh' nicht mit ihm in's Gericht, und lasse ihn gesunden, wenn ich jemals ein wenig Gnade vor Deinen Augen gefunden. Denn hart ist mein Loos, und härter noch zehnmal, weil nicht wenig verschuldet.« – Ihr war zum Herzen gedrungen, daß sie grausam vorschnell, und nicht wie die Liebe will, gegen Seraphin und sich selbst gehandelt. –

Da – am Abend war's der Ankunft Seraphins zu 32 Imst – da erwachte langsam der Kranke aus dem bleischwer schlafsüchtigen Zustande, der seit ein paar Tagen die Rebellion in seinem Körper abgelöst hatte. – Mühsam umherschauend: »Ist der wälsche Doktor gekommen?« fragte er. – »Nein;« antwortete Martina: »er schleunt sich nicht, ich muß schon sagen.« – Sprenger lag ein paar Minuten, vor sich hinstarrend. Dann flog ein ängstlicher Krampf über sein Gesicht. – »Wo ist der Rock, den ich am Hochzeittage trug?« – Die Frage geschah hastig, furchtsam – Martina zitterte leicht; dann ging sie, das Kleid herbeizuholen.

Sprenger fuhr unverzüglich in die Tasche des Rocks mit begierig bebender Hand. – »Der Brief?« sagte er. – »Da;« erwiederte Martina, das verlangte Papier aus ihrer Tasche ziehend, und aufs Bett legend. – »Du hast gelesen?« fragte Sprenger verlegen. – »Ja.« – »Gelesen?« fuhr jetzt der Kranke empor: »hast Dich unterstanden . . .?« –

Mit eiskalter Würde stand Martina vom Sessel auf. »Warum nicht? Er gehört meinem Vater. Die Briefe, die an ihn geschrieben, waren mir nie ein Geheimniß.« – »Du weißt also . . .?« – »Daß der Herr an mir unredlich gehandelt hat; denn mein Vater hätte den Brief zu unterdrücken nicht über's Herz bringen können.« –

Sprenger schlug sich vor die Stirne: »Ach, welche Folter innen und außen!« seufzte er: »Im Beine hämmert der Tod, und der Satan in meiner Seele!« – Sanftmüthiger setzte er bald hinzu: »Martina, mein Kind! ich verlange sehr nach dem heiligen Abendmahl; ich hungre nach der Beichte und dem heiligen Gute. Besorge mir doch ohne Verzug das Nöthige.«

Martina beeilte sich, dem Bittenden zu willfahren. Der Geistliche kam; Sprenger blieb eine Weile mit ihm allein. Nachdem alles vorüber, in vorgerückter nächtlicher Stunde, ließ Sprenger seine Gattin rufen. 33 Sie kam ohne finstre Falten auf der Stirne, ohne Verachtung und Vorwurf zu verrathen. Ihre Milde that dem Kranken wohl. Er ergriff ihre Hand, und legte darein den Brief und ein andres versiegeltes Papier. »Du bist ein gutes Weib,« sagte er reuig: »ich aber bin ein schlechter Kerl. Ich will mich nicht mit meiner Lieb' zu Dir entschuldigen. Der Postbube gab mir einen Brief; der andre, der an Deinen Vater, war noch in seiner Hand, ich las aber die Aufschrift und den Ort, wo er postiertPostieren: Postgeschäfte besorgen, Postreiten, etwas per Post abschicken. worden. Was kommt von Frankfurt an den Tammerl? fragte ich mich heimlich, und der Seraphin, der oft wie ein Gespenst in meinem Hirn spuckte, that es auch diesmal fürchterlicher als je. Drum sagte ich zum Buben; gib her; ich gehe just zum Tammerl, löste den Brief, aber auch dessen Siegel, und fand darunter die Anzeige der Wiederkehr des Nebenbuhlers. Ein Wink des Himmels schien mir der Zufall; nicht bedenkend, daß Gott seine unerforschlichen Zwecke gewiß nicht von unreinen Händen und gewissenlosen Werken abhängig machen werde. Dem Seraphin zuvorzukommen, beschleunigte ich unsre Ehe . . . . Dein und mein Unglück. Kannst Du mir vergeben?« –

Martina entgegnete sanft: »Der Herr ist so ruhig und friedsam, daß ich glauben muß, Er sey versöhnt mit Gott. Wie sollte ich denn nicht vergeben, was der Priester vergab? Beruhige sich der Herr, und pflege Er Seine Gesundheit. Die lieben Heiligen werden sorgen. – Was soll ich mit diesem Brief beginnen? wem das andre Papier zustellen?«

Sprenger horchte als wie halbverklärt auf die christlichen Worte seiner Frau, so daß er beinahe das Antworten vergessen hätte. Martina mußte ihre Fragen wiederholen. Hierauf sagte der Kavalier, und zwar ächt kavaliermäßig: »Den Brief Deinem Vater; er soll mir das 34 Böswichtstücklein nachsehen um Deiner Versöhnlichkeit willen, und mich nicht vor den Leuten zu Schanden machen. Das versiegelte Papier gehört jedoch Dein, ist mein Testament, vermacht Dir alles, was ich habe, wenn ich aus dieser Welt gehen werde. Ich meine, es werde nicht zu lange mehr mit mir dauern.«

Mit einer Bewegung des Schreckens wollte Martina das Papier zurückstellen. Sprenger drückte es ihr noch fester in die Hand. »Deine Jugend ist mehr werth als das,« sagte er: »ich darf nichts mehr von Dir verlangen, als ein wenig Geduld.« –

Martina weinte, küßte seine Hände. »Nein, nein!« rief sie: »der Herr wird nicht sterben, sondern gesund werden, lang leben, und mich immerdar getreu an seiner Seite finden.«

»Du bist brav, bist's mehr, als ich erwarten durfte,« versetzte der Kranke gerührt. Gleich darauf heftete sich sein Auge mit besonderer Gewalt auf die so sehr ergriffene Gattin, und er sprach nachdrücklich: »Basta. Das ist abgemacht. Das Papier ist Dein, mein Gewissen befriedigt. Ich spiele nicht mit Dir Komödie. Willst Du mir aber nun zwei Fragen recht aufrichtig, recht von Herzen beantworten?« – »Ach mein, die reinste Wahrheit will ich sagen; rede der Herr nur frisch zu.« –

»Was hättest Du gethan, wenn dieser Brief zur rechten Zeit zu Deiner Kenntniß gelangt wäre?« – »Ich hätte mich nicht zur Heirath bequemt, sondern Seraphins Ankunft und seine Rechtfertigung abgewartet.« – »Ich dachte mir's. Was aber wirst Du jetzo thun, wenn er, wie sein Brief besagt, daher kommt, voll von Hoffnung und Zuversicht?« – »Ich werde ihn nicht sehen; Er, ich bürge dafür, wird mich nicht aufsuchen. Ich weiß, was ich jetzt dem Herrn und meiner gegenwärtigen Lage schuldig bin.« – »Gewiß? Dein Wort, Deine Hand darauf?« – »Hand und Wort.« – »So ist's recht; damit bin 35 ich zufrieden. Du nimmst einen Stein von meinem Herzen.« –

Als hätte ihn die Versicherung erfrischt, schlief Sprenger bis in den hellen Morgen hinein. Als er erwachte, saßen der wälsche Doktor und Musteratsch an seinem Lager, und die Prüfung dessen, was bisher in Betreff der Verletzung geschehen, begann. Sie fiel für den Patienten vortheilhaft genug aus. Er würde geheilt werden können, und nicht allzuviele Unbequemlichkeit ferner am Beine empfinden, meinte der Italiener; doch würde es langsam gehen und viel Ergebung brauchen. –

Martina war von dem edelmüthigen Benehmen ihres Gatten dergestalt hingerissen. daß sie die Kunde von seiner bevorstehenden glücklichen Wiederherstellung ihrem Vater, der sie zu besuchen kam, mit ungeheuchelter Freude mittheilen konnte. – Tammerl, der schon eine sorgenvolle Stirne mit ins Haus gebracht hatte, schien sich weniger zu freuen, als seine Tochter. Da ihm diese jedoch von dem Testament zu ihren Gunsten sagte, wurde des Bäckermeisters Antlitz etwas heiterer, und er gratulirte. »So wird's denn besser ausgehen, als ich fürchtete,« sagte er: »denn entweder stirbt er, und Du sitzest ohne Einbuße in Hülle und Fülle, oder – im Fall, daß er genäse, wäre doch ein bissel mehr auf sein Gemüth zu bauen, nach dieser Handlung zu urtheilen.« – Tammerl seufzte nichtsdestoweniger etlichemal, und ging ganz herabgestimmt in der Stube hin und her. Martina bemerkte seinen Kleinmuth, und bat ihn, ihr sein Anliegen zu offenbaren. Tammerl ging nicht gern mit der Farbe heraus; es ließ ihm jedoch nicht Ruhe. –

»Schau, liebe Sprengerin,« sagte er, die junge Frau auf die Seite nehmend: »ich hab's eigentlich für mich behalten wollen; aber am Ende habe ich doch zu keinem Menschen ein größeres Zutrauen, als zu Dir: nicht zur Nahndel, – sie ist so viel wunderlich; nicht zu der 36 Meinigen – sie ist so viel voll von Vorurtheil; nicht einmal zu der Lenerl, die eine kreuzbrave Person; aber vor ihr schäme ich mich. Dir mag ich's nicht vertuschen: Der Seraphin ist gestern Nacht dagewesen.« –

»Dagewesen?« lispelte Martina sehr erschrocken, und setzte sich geschwinde, fühlend, wie ihre Beine zitterten. »Hm, ja, ja, wie ich Dir sage,« fuhr Tammerl traurig fort: »'s war eine kuriose Geschichte. Laß Dir erzählen.«

Martina sprang auf, hielt dem Vater den Mund zu, und rief: »Bitte, bitte den Herrn Vater gar schön: nichts davon reden! ich will nichts davon wissen, als das Eine: haben wir ihm Unrecht gethan oder nicht?« –

Noch trauriger antwortete Tammerl: »Gott weiß es am besten. Der Mensch hat sich freilich nicht weißgebrannt . . . oho! dazu fehlt viel . . . aber . . . ich weiß nicht . . . ich hab' so meine eigenen Gedanken . . . es könnte möglich seyn, daß . . . aber jetzt ist doch alles vergebens . . . fort ist er endlich, und den, fürcht' ich, haben wir gesehen ein für allemal.«

»Ein für allemal!« wiederholte Martina betrübt; aber schnell gefaßt, setzte sie bei: »'s ist auch gut, wohl noch besser, als wir meinen.« – Hm, wie man will!« entgegnete Tammerl mißmuthig: »Wenn's Dir recht ist, so ist's die Hauptsache; . . . aber ich wollte, ich hätte Augen, wie ein Sperber, und sähe hell. Wenn ich mich an Seraphin's Reden erinnere . . . so scheinen sie mir die pure Wahrheit. Aber warum sind ihm alle andern Stimmen und Umstände schnurstracks entgegen? . . . Nun, die Sache ist, daß ich jetzo dem Peterl und dem Kölbl auch nicht mehr unbedingt traue. Ein Unglück, aber 's ist schon so. Drum hab' ich so eben dem Kölbl ein Stück Geld auf die Hand gegeben und ihn aus dem Dienst geschickt. Er mag ein ehrlicher Kerl seyn . . . aber ich kann nicht helfen; ich bin einmal so. Wie? was?« –

»Der Herr Vater wird wissen, was er zu thun hat!« 37 versetzte Martina, die von Seraphins Brief – sie wollte denselben wie einen letzten Nothpfennig aufheben – kein Wörtchen schnaufte, und eben so wenig ihren Argwohn gegen den Bruder und dessen Konsorten auftischen mochte, damit sie den schwankenden Vater nicht ärgre und verletze.

»Die Tante« – fuhr Tammerl mit Beklemmung fort – »wird Dich ohne Zweifel heimsuchen, Sprengerin. Nun, sie wird Dir erzählen. Ihr Weiber macht eure Sachen gern untereinander ab. – Ich jedoch hab' Dir nebenbei sagen wollen, daß ich auf ein anderthalb oder zwei Tage verreisen muß. Stell' Dir vor: der alte Idelstein hat mich beschickt. Er habe nothwendig mit mir zu reden. und erwarte mich zu Silz. Es sey zwar eine Dummheit, daß er nicht gar nacher Imst hereinkomme; er könne aber durchaus nicht, und ich müsse zu ihm reisen, weil es sich um die ganze Zukunft meines Peterl handle.« –

»Der Peterl?« fragte Martina lebhaft: »ach, was wird noch der Herr Vater vom Peterl hören müssen!« – »Was Gutes gewiß nicht;« meinte Tammerl schwermüthig: »ich fang' an zu glauben, daß an dem Buben alles verloren ist. Du mein Heiland! hätt' ich vor diesem Kreuz Ruhe und den Zoch versorgt, ich wollt' ja gern fortan nur noch Locker abrichten und Leim rühren, und den Paruechieri'sParruchieri: in Trient und Roveredo trieben sie häufig das Nebengeschäft des Abrichtens der Tschaffiten oder Tschuffiten. An den Fenstern ihrer Boutiken sah man gewöhnlich derlei Vögel zum Verkauf stehen. zu Trient ihre schönsten Tschaffitten abhandeln, und auf der Vogelhütte leben und sterben.« –

Tammerl hätte gern – sich an längst vergangene häusliche Verdrießlichkeiten erinnernd, die in der unbegränzten Vorliebe Mariannen's zu ihrem Sohne ihren Grund gefunden – mehreres geschwätzigerweise hinzugesetzt, das etwa nicht zum Ruhme seiner Frau gewesen wäre. Aber sein grundehrliches Gemüth und sein verständiger Sinn legten ihm alsobald die nöthige Zurückhaltung auf. Seine Tochter sollte, aus seinem Munde wenigstens, nicht hören, was ihrer Mutter nachtheilig klang. Noch mehr: er bat sogar Martina, seiner Frau vorläufig nichts von 38 dem Beweggrund seines demnächsten Zusammentreffens mit dem alten Idelstein zu sagen. »Das gute Weib könnte sich unnützerweise zergrämen,« bemerkte er mitleidig. So entfernte er sich, versprechend, bald wieder zu kommen, und wünschend, daß in Martina's Haus und Ehe Alles so gut als möglich ablaufen möchte. »Wir haben etwas übereilt gehandelt,« fügte er hinzu: »vielleicht ist Seraphin – mir wird's sauer zu gestehen, aber ein ehrlicher Mann muß seine Zweifel bekennen – vielleicht ist er nicht so tadelnswerth, als wir meinten . . . er hat doch manches Verdienst um mein Haus, hat mir einmal – Du weißt es – mein Geld vor diebischem Einbruch gerettet . . . ich hätte das nicht so leichtsinnig vergessen sollen . . . aber geschehen ist einmal geschehen, und dem Himmel anheimzustellen, daß er alles zum besten lenke. Darum Geduld, Geduld, Martina, und liebe Deine Eltern nicht minder denn zuvor.« Mit Thränen umschlang ihn die Tochter und beurlaubte sich von ihm mit tausend Betheuerungen unverwelklicher Liebe.

Allein geblieben, merkte sie wohl, daß recht viele ihrer Thränen auch dem Andenken Seraphins floßen. Sie benetzte damit den Brief, der von Stund an ihr bester Schatz wurde. »Wie Du auch gefehlt haben magst,« seufzte sie auf zum Bilde des Geliebten, das schwermüthig vor ihrer Seele stand, »ich darf Dir nicht böse seyn, denn auch ich habe gefehlt, aus Eitelkeit, aus Trotz und Uebereilung gefehlt. Vergib mir daher in der Ferne, und Gott lasse Dir's wohl gehen. Es ist nun schon nicht mehr anders zu machen, als zu ertragen, was da kömmt.« Dann versteckte sie den Brief in ihrem Busen und freute sich seines Besitzes, freute sich, daß sie durch dessen Mittheilung des Vaters Reue nicht verdoppelt, und des Gatten Ehre nicht preisgegeben.

Als wie gerufen, um Martina's Kummer auf einige Minuten zu zerstreuen, stellte sich Genovefa zum Besuche ein. Zu einem Besuche, nicht ohne Absicht und nicht ohne 39 Leidenschaft. Das »Vesperglöckl« sah blutroth bis in die Augen aus, ihr Kopfputz war höchst vernachläßigt, ihre Kleidung unordentlich. Sie hatte vergessen, ihre Schuhe anzulegen und kam in Pantoffeln, ihre Schürze war an der verkehrten Seite umgebunden, des Mieders Silberketten waren wild durcheinander gekreuzt, ungefähr wie in ihrem sturmbewegten Kopfe ihre Gedanken, ihre Vorsätze. Da war auch kein weites Ausholen, kein leeres Gesprächsel, um den Zweck ihres Erscheinens nach und nach anzudeuten. Schnurgrad, wie ein Pfeil, fuhr aus ihrem Munde, was sie anzubringen hatte.

»Guten Tag, Sprengerin; immer wohlauf, gesund? grüß' Dich Gott!« Genovefa machte ein Rhabarbergesicht zu diesen Begrüßungen: »Wie seh' ich aus? wie komm' ich Dir vor? Hast Du schon Eine gesehen, die sich zwischen zwei Stühlen niedergesetzt hat? ein dummes Mensch, das durch die Reitern gefallen? Da schau her. Schau mich an. Nun, 's ist gar aus. Das ist mein End. Wer hat das Schreiben erfunden? Der liebe Gott war's einmal nicht, sondern der Schwarze mit Schweif und Hörnln. Ich möcht' lachen, wie die Schmidin, wenn sie recht giftig ist. Ich möcht' rehren, wie ein Narr, der ich bin, ein armer Narr, den die Kinder auf der Gasse auslachen. Weißt, was mit meiner Hochzeit ist? Nichts ist's damit. Der Zopf vom Herrn Vater hat mir Unglück gebracht. Aus ist's gar aus. Da schreibt mir der Nepomuk, der Idelstein, der Steinesel, daß er sich bedankt, und so weiter. Der Vater, der meinige, ist fuchtig, die Mutter ist toll, ich bin gar aus'm Häusl. Wär' ich eine Hex', ich machte ein Gewitter, daß ganz Tirol hin würde; wär' ich ein Tattermandl, ich bisse mich selbst in den Schweif, bis ich todt wäre. Ach, Martina! das ist 'ne Welt; daß Gott erbarm! mich graust vor der Welt, und vor den Manderleuten am allerersten. Ach, Martina, Du hast's leicht. Du hast einen Mann. Und die Flecklschwestern haben's 40 auch leicht, denn sie haben keine Männer. Du wirst sehen: ich kann's nicht ausderstehen!«

Genovefa marschirte im Zimmer hin und her, dragonerhaft und aufgebracht. Martina ließ sie gewähren. Nur sagte sie mit schmerzlichem Lächeln: »Der Spaß mit dem Zopf war nicht fein; aber daher kommt das Unglück schwerlich. Die Untreu' an Deinem Liebsten hat sich bezahlt gemacht; das ist alles.« –

»Untreu? Untreu? Du darfst noch reden!« zürnte Veverl. Martina senkte den Blick. »Auch mir geschieht recht,« sagte sie mit Demuth: »ich will mich nicht auf's Altarl stellen; ich nicht.« –

Diese Ergebung besänftigte die Freundin ein wenig. Sie setzte sich zu Martina, streichelte ihr Haar und ihre Wangen, und entgegnete: »Nicht bös seyn. Ich bin einmal so 'n z'nichtes, schieches Weibsbild. Geh', mach' nicht Kopf mit mir. Laß gut seyn. Wir sind beide übel daran. Schau; was hab' ich denn thun sollen? Der Oswald spolziert herum, ich weiß nicht wo, und läßt mich allein. Die Eltern haben gemeint, es müßte seyn mit dem Muckerl. Weißt? wir sind doch einmal Bürgertöchter, und können nicht über'n Zaun springen, wie die Prinzessin in der Lenerl ihrem Geschichtenbuch. Vor Lieb' sterben? wär' mir nichts lieber; das ist Dummheit. Oder davonlaufen mit dem Lotter? Das bringt keinen Segen, wenn auch die Ueberreiter nicht da wären. Nach Rom laufen, wie die Dörcher? was käm' dabei heraus? Der heilige Vater thäte schon absolviren, weil er ein altes Mannl ist, das gern Ruh' und Fried' hat, und dann, weil er keine Kinder hat, und nicht weiß, wie es den Eltern daheim um's Herz ist . . . aber zu leben gäb' er uns doch nichts, und von der Lieb ißt man nicht und trinkt nicht, und schafft sich keine Kleider. Also, ich hab' schon zugreifen müssen, und so werden's noch viele Tausende müssen, so lang die Welt steht. Aber – ist's nicht infam von dem Nepomuk? 41 Mir nichts, Dir nichts Ade Pfietigott! Er hätt' sich mit einemmal anders besonnen, der schlechte Mensch; weiter keine Ursach. Und heirathen wird er dechter. Wen? eine rothhaarete mit Sommerflecken und kasigem GefriesGfries: Gesicht (im scherzhaften und im verächtlichen Sinn gebraucht).! Das schreibt er mir noch zum rechten Spott, der himmellange, der storchbeinige, der ruechige Pusterer der. Da ist der Zopf retour, da ist mein Briefl retour, da ist sein miserables Papier. Lies nur, lies, es steht alles haarklein darinnen.«

Martina überlief den Absagebrief, der in der That bauernkavaliermäßig abgefaßt war. Sie fragte: »Wer muß dem Menschen beigebracht haben, Dir die Schande anzuthun?«

»Wer? wer? eine saubre Frage!« erwiederte das Vesperglöckl noch hitziger: »Schau, ich will alle meine Finger verwetten, daß es ein Stückl von Deinem Brüderl, von dem verlognen Peter ist.«

»Mag seyn, Genovefa, mag seyn. Ach, der Peter! er hat viel Unheil für uns alle gestiftet. Ich kann nur nicht begreifen, wie Du, die sonst gar nichts auf dem Herzen behalten kann, nicht zur rechten Zeit meinem Vater erzählt hast, was Dir Dein Oswald anvertraute?«

»Ich? warum nicht gar! Ich wollte der Katz die Rollen nicht anhängen. Hättest es noch eher thun können und müssen, denn ich hatt' es Dir erzählt. Und Oswald, als ein guter Freund des Seraphin, hat es zuletzt wohl auch thun wollen, wenn schon es nicht ohne Gefahr für ihn gewesen wäre . . . . aber es war halt zu spät. Du hattest schon den Kopf aufgesetzt, da war nichts mehr zu machen. Zudem hatt' ich dem Hascher den Abschied gegeben, und das ganze Leben sammt Freund und Feind war ihm verleidet. Obendrein war der Peter nimmer daheim, und es hätte eine lange weitläufige Hin- und Herschreiberei gegeben, und Deine Hochzeit war vor 42 der Thür. Nein, nein. Schieb' nicht auf mich, nicht auf den Walt die Schuld. Du hast sie allein. Jetzt bin ich unglücklich, und der Walt – will's Gott – auch, wenn noch ein bissel Rechtschaffenheit in den Mannsbildern ist, und Du hast auch Dein Theil. Reden wir nicht mehr davon.«

Martina's Stolz fand sich verletzt durch das zweideutige Mitleid der Leichtsinnigen. Trocken sagte sie: »Du bist freilich noch besser daran, als ich; Du bist wenigstens wieder frei und ledig. Aber ich . . . nun, ich müßte lügen, wenn ich sagte, daß es gar so schlimm mit mir stände. Mein Herr wird gesund werden, und er ist von Natur gar nicht so übel, und, wenn ich Dir sagte, Veverl, was er erst vor ein paar Stunden für mich gethan . . .?«

Veverl horchte mit offnem Munde, und Martina war im Zuge, von der Wohlgesinntheit ihres Mannes viel Wesens zu machen, theils um ihrem dankbaren Herzen zu genügen, theils um sich selbst wieder ein wenig über ihre Lage zu täuschen, theils auch, um der Freundin Neid zu erregen, der ihr besser gefiel, als ihr Mitleid. Aber sie wurde alsbald unterbrochen. Sprenger riß wie ein Verdammter an der Glocke seines Krankenzimmers. Magd und Knecht des Hauses schrieen nach der Frau, die der Herr zu sich entbot. Unter diesem Höllenlärm vertagten die Freundinnen ihre Sitzung, und Martina lief, ihre Gehorsamspflichten zu erfüllen. –

Sprenger hatte einen rothen Kopf voll Zorn und Ungeduld. Wohl zu merken: er wußte jetzt, daß er davonkommen würde. – »Wo steckst Du? wo bleibst Du? läßt Dich gar nicht mehr bei mir sehen?« rief er der Frau entgegen. Martina entschuldigte sich, nannte, wer bei ihr gewesen.

»Ich werde Dir die Visiten abthun und niederlegen,« hieß die rauhe Antwort. »die Prinzessin agiren, während 43 der Mann mit dem Tod ringt! Eine brave Aufführung. Warte! ich lasse deine ganze gemeine Sippschaft zum Haus hinauswerfen, wenn sie sich noch einmal beigehen läßt, hier uns zu molestiren. Dein Platz ist da, bei mir, und nicht bei dem Schuster, Schneider und Bäckergesindel. Die Kneipenbekanntschaften müssen aufhören, ich sag' Dir's. Himmel, wie ist man gestraft, wenn man sich mesalliirt und in eine Pöbelfamilie heirathet!«

Die Erzbilder am Maxgrabmahl standen niemals unbeweglicher, wie jetzt Martina, solcher Umwandlung gegenüber.

»Meine Suppe! wo ist meine Suppe? willst Du mich verhungern lassen?« fuhr der Haustyrann fort. – Martina flog zur Küche, brachte in wenig Minuten das Verlangte. – »Eine Ewigkeit bleibst Du außen;« hieß es nun wieder: »Müßigstehen, mit den Mägden ratschen, mir, wo Du kannst, ein Klamperl anhängenEinem ein Klamperl anhängen: einem etwas Uebles nachreden, oder eins auswischen.; das ist deine Sache; gelt, Du zwidre Person?«

Martina hatte sich auferlegt, nicht zu antworten. Das war jedoch des Polterers Rechnung nicht. – »Wer hat die Suppe gekocht?« fragte er, ohne sie zu kosten. – »Die Köchin, so Gott will,« entgegnete Martina nothgedrungen. – »So der Satan will!« schrie der Kranke: »Du selbst solltest sie bereiten, faules Weib. Da!« – Suppe und Tellerscherben lagen am Boden.

Noch einmal nahm sich Martina, wie man zu sagen pflegt, das Herz in beide Hände, und schwieg, und ging und stellte sich mit gluthrothem Angesicht an des Heerdes Glut, den groben Befehl zu erfüllen. – Bald war's geschehen, aber schon ein Dutzendmal hatte die Glocke gerufen, als Martina die von ihr selbst bereitete Suppe hineintrug. – Der Gestrenge versuchte sie, nickte, und sagte: »Besser, besser, aber zu langsam . . . und zu bitter. Warum so bitter?«

Hatte die Sache Grund, und war etwa ein 44 Wermuthtropfen aus Martina's Wimper in die Schale gefallen? Oder vergällte dem Kranken der Zorn die Speise, oder war der Vorwurf erlogen? Gleichviel. Martina begnügte sich, zu erwiedern: »Ich kann's halt nicht besser.« – »Du kannst nichts;« lautete Sprenger's Amen.

Nach einiger Zeit, gefräßig speisend, aber immer neue Tücke sinnend, fing Sprenger an: »Gib mir das Testament zurück. Ich war ein Narr, damit herauszurücken, und Dir den eigensinnigen Kopf zu verdrehen. Auf ein andermal; wenn Du's verdienst, nemlich. Dergleichen Papiere sind für unkluge Kinder schneidende Messer, für den einfältigen Geber wahre Gurgelabstecher.«

Schon lag das Papier neben Sprenger. »Ich hatt' es nicht begehrt,« sagte Martina stolz: »ich hätt' es nicht behalten. Der Herr kann's glauben. Was das Papier enthält, macht mich nicht glücklich.«

»Nicht?« fragte Sprenger spöttisch entgegen, und riß das Papier mitten entzwei. »So, das für den dummen Bauernstolz. He? wie steht's nun, gnädige Frau?«

Verachtend sprach Martina. »Der Herr kann schalten mit dem, was ihm gehört.« –

»Immer noch der Pöbelhochmuth! Warte! Wenn ich einmal wieder aufstehe, will ich Dir schon die Sekten austreiben!«

»Schone sich der Herr nur jetzo. Je mehr Er sich ärgert, je später wird Er gesund.« Mit diesen Worten setzte sich Martina zu einer Arbeit nieder. Nach einer langen Pause hob wieder Sprenger lebhaft an: »Warum sagst Du mir immer Er: warum dutzest Du mich nicht?« – »Das würde sich nicht schicken. Der Herr ist mir so viel respektabel, wie mein eigner Herr Vater . . . .«

45 »Schweige, Schlange!« schalt der brutale Mann. »bist Du nicht mein Weib? Was Vater! was respektabel! Sage mir Du; ich will's haben. Sag' mir Du und Ferdinand. Hörst Du, oder . . .?«

»Das kann ich nicht, und werd' ich nicht!« versetzte Martina entschlossen; »das wär' mir jetzo wider die Natur.«

»Oho! das ist stark; was hör ich da? Gleich auf der Stelle kommst Du her, und küssest mich, und sagst mir Du und lieber Ferdinand!« –

»Nein, nein, nein, und wenn's der Pfarrer selber mir beföhle!« Martina lief davon. »Halt! he! willst Du bleiben!« schallte ihr nach, und ein Kissen, von Sprenger geschleudert, traf sie zwischen Thür und Angel. Demungeachtet floh sie, und ließ den alten Narrn toben und läuten nach Herzenslust. – »Oh! oh! und ich muß da liegen, gleich wie angenagelt!« seufzte Sprenger, ohnmächtig werdend vor Gift und Galle. – »Ach, wie geschieht mir doch so recht!« seufzte zum tausendstenmale Martina. – –

Während dergestalt Sprenger seinen Charakter für's Haus entfaltete, wie, der Sage nach, die Aloe ihre Blüthe: überraschend mit Knall und Getöse – rollte Tammerl auf leichtem Karren, mit einer schweren Bürde von Sorgen, dem Stelldichein in Silz entgegen. Noch bei guter Abendzeit dort angelangt, fand er den Freund Idelstein schon vor, der hin- und herging, ein stillgrollendes Unwetter, das sich nicht verziehen zu wollen schien vor dem weichen und gerührten Angesicht des Eintreffenden. »Was hat Er denn? was will Er denn von mir?« fragte Tammerl und immer finsterer wurde des alten Pusterers Stirne: »Er macht mich ängstlich. Schieß' Er nur loß, wenn's doch etwa in's Herz getroffen seyn muß. Den Peterl – gelt, den Peterl geht's an, was Er mir zu sagen hat?« –

46 Sie waren in ihrer Stube allein und ungestört. Idelstein, der noch kein Wort geredet, nicht einmal die Hand zum Gruße hingereicht, hatte viele Mühe, über sich zu gewinnen, daß er den Mund aufthat. Einmal mußte es indessen doch geschehen, und so faßte er sich nach beliebter Weise recht kurz. »Er hat einen feinen Schmecker!« sagte er, und ließ sich in einen Stuhl nieder. Tammerl stand vor ihm mit ängstlich gefalteten Händen.

»Hätt' ich nicht gedacht!« hob wieder Idelstein nach geraumer Frist an. – »Was nicht? Red' Er doch« – »Mir Seine Tochter abzuschlagen!« – »Ja . . . mein Gott . . .! das hatte seine Nisi . . .!« – »Hat jetzt was saubres angerichtet.« – »Der Peter?« – »Er, Er!« – »Daß Gott erbarm . . .!« – »Der alte krummhaxete Sprenger . . . schäm' Er sich. Da hat Er's nun.« – »Nun, so ist's meine Sache.« – »Und mein Muckerl dagegen . . . ein Kerl, der den Teufel . . . .« – » . . auf freiem Feld fangt; ich weiß schon. Geb' Er einmal 'n Fried'.« – »Sag' Er mir einmal, Tammerl . . . .« – »Was?« – »Wenn Er mir schon seine Tina abgeschlagen . . .« – »Nun?« – »Gäb' Er wohl seinen Peterl meiner ältesten Fräule?« – »Ach! ist's nur das? ach, von Herzen gern.«

Tammerl war glücklich, als käme er aus dem erfrischendsten Bade. Idelstein versuchte ein freundlichers Gesicht. Es gelang nicht zum besten. Dennoch sagte er leutseliger: »So können wir 'was mitsammen reden.« – »Ja, das wollen wir.« Mit heiterer Miene nahm Tammerl nun auch seinen Stuhl und pflanzte sich dem Idelstein gegenüber auf.

»Weiß Er was?« sagte der Pusterer, den gehörigen Nachdruck auf das »was« legend. – »He? was denn?« – »Daß sein Peterl der größte Spitzbub auf Erden ist?« – »Hoi, hoi!« fuhr Tammerl auf, aber die breite 47 Tatze des Idelstein hielt ihn auf dem Stuhle fest. – »Wenn ich's Ihm sage?« – »Es ist nicht wahr.« – »Wenn ich's Ihm aber sage?« – »Sein Wort ist auch noch kein Evangelium, Weiß Er's?« – »Wenn ich's Ihm aber doch sage, als ein Ehren- und Edelmann aus dem Pusterthal, Er zwidrer Imster, Er?« –

Tammerl sprang auf seine Füße. »Beweis?« rief er im Harnisch. – »Fragen;« antwortete der Andre phlegmatisch, wie er im Beichtstuhl zu thun gewohnt, um Gedächtniß und Mundwerck nicht unnöthig anzustrengen. – Tammerl war schon mit dieser Unform seines Freundes bekannt, und – wollte er doch einmal etwas näheres erfahren – mußte er auf das sehr unbequeme Verhör eingehen. »Hat Ihn der Peter belogen?« – »Ja« – »Betrogen?« – »Das mein' ich.« – »Bestohlen?« – »Das versteht sich.« – »Nun, daß Gott erbarm! das ist viel auf einen Hieb.« –

Idelstein zuckte die Achseln. Tammerl fuhr fort: »Geschah's um Geld?« – Idelstein schüttelte das Löwenhaupt. »Gottlob!« seufzte Tammerl aus tiefer Brust: »war's um ein Weibsbild?« Idelstein nickte. »Noch einmal Gottlob, es wird immer besser. »Der Peter ist also in Seine Aelteste verliebt?« – »Ja.« – »Und das ist Ihm nicht recht?« – »Nein.« – »Und doch will Er das Madl dem Buben geben?« – »Ich muß.« – »Warum?« – »'s thut sich nicht mehr anders.« – »I, Du mein Heiland, der Peter wird doch nicht etwa das Madl verführt haben?« – »Ach, b'hüt' Gott!« – »Dann versteh' ich gar nicht. Oder das Madl will selber absolut heirathen?« – »Warum nicht gar! wollt's ihr zeigen!« Idelstein hob bedeutungsvoll die geballte Faust. – »Nu, ich weiß schon, daß Er Herr im Haus ist. Aber . . . ist das Madl etwa krank vor Lieb' und dergleichen?« – »Dummheit; frisch und gesund. Mag ihn nicht, den Peter, ganz und gar nicht, spinnefeind.« 48 – »So so? und dennoch heirathen?« – »Ja, oder ich schlag' den Peter nieder.« – »Oho.« – »Oder ich laß den Muckerl auf ihn los, ein frischer Kerl, der im freien Feld« – »den Teufel fangt;« ergänzte Tammerl abermals, und zerbrach sich den Kopf, bis er durch unablässige Fragen herausgebracht hatte, wie die Sache, die geheimnißvolle, ungefähr zusammenhing. –

Peter, begieriger, sich die Zeit mit Sponsiren zu vertreiben, als die Landwirthschaft zu erlernen – wie er denn überhaupt gar nichts zu erlernen berufen schien – hatte sein Herz bald der Aeltesten der Idelsteintöchter angetragen, und war mit einem unumwundenen Nein heimgeschickt worden. Die Schöne fühlte wohl etwas für einen Andern, und diesem Andern machte Peter in wohlbekannter Gewissenlosigkeit einen Strich durch die stille Rechnung. Er malte des Nebenbuhlers Handschrift nach, und spielte dem Mädchen ein Briefl in den Sack, worinnen um eine Viertelstunde unter vier Augen in des Mädchens Kammer gebeten wurde. Das übelberathne Fräulein war schwach genug, die Viertelstunde vor Sonnenaufgang zuzugestehen, und empfing den gleißnerischen Wolf in ihrer Stube. Ihn erkennend, wollte sie ihn freilich wieder hinaustreiben, aber Peter, ohne sich irre machen zu lassen, orgelte aufs neue seine Erklärungen und Werbungen ab. Da jedoch alles nicht half, war er boshaft genug, den Fensterbalken aufzumachen, und sich an der Schönen Kammerfenster dreist dem ganzen Volk der Knechte und Mägde, die zur Arbeit gingen, zu zeigen. – Nun hatte er seinen Zweck erreicht. Obgleich unter ihnen alles in Ehren zugegangen, so war doch durch den Besuch das Schicklichkeitsgefühl dergestalt in die Enge getrieben, daß gerade nur eine Heirath wieder gut machen konnte, was der Schelm mit Fleiß verdorben. Wollte nun das Mädchen oder nicht, es mußte seine Hand zur Verlobung reichen. Peter selbst wollte nichts 49 lieber, als dieses, und war zufrieden. Der Vater stellte ihn indessen unter Muckerls Obhut, damit er nicht desertire, und sperrte einstweilen seine untröstliche Tochter bei den Klosterfrauen zu Lienz ein. Tammerl durfte seine Einwilligung zur Heirath nicht vorenthalten, wollte er nicht seinen Sohn gewasnet, gescheutert, geästetWasnen, scheitern, ästen: mit Rasenstücken werfen, mit Holzscheitern oder vom Baum gebrochenen Prügeln durchhauen. (Galanterie, die im Unterinn- und Zillerthal nicht selten dem glücklichen Nebenbuhler von dem unglücklichen erwiesen wird.) oder gar todtgeschlagen sehen. Die starken Leute in den Thälern verstanden dazumal nicht viel Spaß, wenn sich's um die Ehre ihrer Töchter und Schwestern handelte. – Sie sind vielleicht heute noch gerade so.

Tammerl, wie gesagt, hatte keine Wahl. Im Grunde war er zufrieden, den Störefried seines Familienlebens durch eine eheliche Verbindung an irgend eine Hufe dauernd zu fesseln; aber, wo in der Geschwindigkeit die Hufe finden? – »Wenn Er einstweilen den jungen Leuten ein Gütl abträte?« fragte er den Idelstein. Worauf die Antwort: »Ich mag nicht.« – »Oder ein braves Stück Geld auf die Hand, damit die Leutln anfangen können?« – »Das mag ich schon wieder nicht.« – »Nun,« – fuhr Tammerl auf – »ich kann es nicht, und so wird sich die Hochzeit zerschlagen, weiß Er?«– »Also karbatsch' ich den Lumpen brav durch, und verklag' ihn bei den Gerichten;« gab wieder Idelstein von sich, der phlegmatische Tansendsappermenter.

»Untersteh' Er sich!« räsonnirte Tammerl. – »Das werd' ich.« – »Das wäre ja die größte Schande für Ihn und Seinen Freund.« – »Eine Mordschande, ja wohl.« – »Er ist ein Grobian.« – »Und Er ein Geizkragen.« – »Ein ungebildeter Mensch!« – »Ein eingebildeter Narr.« – »Halt' Er's Maul.« – »Still, sag ich!«

Tammerl verzweifelte, dem zähen Edelbauer das letzte Wort abzugewinnen. Er besann sich lang, bis er vorwurfsvoll sagte: »Wir sind so lang gute Freunde 50 gewesen!« – »Wir sind's noch alleweil,« versetzte der Andre. – »Warum also immer streiten?« fragte Tammerl wehmüthig. – »Das möcht' ich auch wissen,« entgegnete Idelstein sehr ruhig. – »Die Unglückskinder!« seufzte Tammerl. – »Ha, die Mali wär' schon recht; aber sein Bub' taugt nichts.« – »Er wird noch froh seyn um den Buben.« – »Weiß nicht. Der Andre wär' mir zum Schwiegersohn lieber gewesen.« – »Wer ist der Andre?« – »Der Peter.« – »Welcher Peter?« – »Der Peter Tammerl.« – »Ja, mein Gott, was schwatzt Er denn da? Hat Er einen Branntwein im Kopf? Mein Peter?« – »Ach Du mein Tammerl!« platzte Idelstein mißvergnügt heraus: »muß ich mir heut das Maul zerreißen. Was Sein Peter? Den grünen Peter mein' ich.« – »Nicht meinen Peter?« – »Warum nicht gar. Den grünen, nicht den grauen.« – »Der grüne, der graue? Ich will einen Topf voll Ameiseneier ausessen, wenn ich Ihn capire.« – »Fragen;« lautete die Erwiederung, und ein neues Verhör begann. Das Ergebniß desselben war in Kürze folgendes:

Der Zufall hatte gefügt, daß Joseph Tammerls Sohn vor einigen Wochen sich ebenfalls zum Idelstein in die Lehre begeben hatte. Vielleicht mochte dazu der kurze Aufenthalt, den der Exstudent im verwichenen Herbst in Idelsteins Hause genommen, das Seinige beigetragen haben. Mali hatte einen guten Eindruck auf den jungen Innsbrucker gemacht; ihm war wünschenswerth geworden, die Landwirthschaft und die Liebe an einem und demselben Fleck zu erlernen. Die spröde Schüchternheit der beiden jungen Leute hatte eine Erklärung noch nicht aufkommen lassen. Der leichtsinnigere Imster benutzte diese Zurückhaltung, um seinen bösen Waizen auszusäen, und kümmerte sich wenig um die Mißbilligung seiner Handlungsweise, die ihn überall verfolgte, indem die ganze Pustererwelt lieber den Grünen an Mali's Seite gesehen 51 hätte, als den Grauen. Um die überraschende Aehnlichkeit der beiden Vettern in etwas zu vermitteln, hatte nemlich Idelstein den Innsbrucker in einen grünen, den Imster in einen grauen Kittel gesteckt.

Der Umstand, daß gerade seines Bruders Sohn ein Zeuge und Opfer der Bosheit des schlimmen Peters hatte werden müssen, giftete den guten Tammerl mehr, als die schlechte Handlung an und für sich. »Ach, wie wird auf mich der Joseph mit Fingern zeigen, und sagen: Da haben wir's. Wie kann aus Imst Gutes hervorgehen? – Wahrlich, die zwidern Innsbrucker werden ein Preis- und Loblied auf ihre eigene Rechtschaffenheit loslassen. Das macht mir Galle, Freund Idelstein.« Also seufzte und klagte der feindlichgesinnte Bruder zu wiederholten malen, und immer entgegnete ohne Nachsicht der Pusterer: »Will's glauben. Der Grüne ist auch brav und der Graue nichtsnutz.« – »Red' Er doch nicht so gehässig von seinem zukünftigen Tochtermann!« – »Hat mir die Gitschen in's Geschrei gebracht, muß sie nehmen; ist aber doch nichtsnutz.« –

Tammerl räusperte sich betreten. »Was hat denn des Josephs Bub zu der Geschichte gesagt?« – »Hm, zu Anfang hat er dem Vetter alle Zähne in den Rachen schlagen wollen; – recht wär' es gewesen; ich hätt' ihn nicht abgehalten . . . . aber er ist so viel brav, und so viel verständig; – ist gleich wieder zu sich gekommen, und schaut den Böswicht jetzt nimmer an.« – »So, so.« – »'n braver Bursch, der Grüne, beim Eid!« – »Bleibt er noch bei Ihm?« – »Versteht sich. Ist nicht von denen, die um eine Weibsperson sich ein Leid anthun, unter die Soldaten laufen, in die weite Welt gehen. Macht seine Arbeit fort, und wird auslernen, wie 's recht ist. Der Hochzeit, denk' ich, wird er wohl nicht beiwohnen, aber so lang das Madl aus dem Haus ist, hat's 52 keine Noth.« – »So, so. Mein Peterl lauft also bei dem Menschen keine Gefahr?« – »Pah! der Sprugger ist nicht so schlecht, wie der Seinige.« – Etwas aufgebracht rief Tammerl: »So laß' Er doch einmal ab mit seinem Schimpfen. Hat Er mich von Haus daher kommen lassen, nur um mir lauter Verdruß zu machen?« – Phlegmatisch sagte der Andre: »Er hätt's akkurat so zu Haus haben können, aber ich getrau' mich nicht nacher Imst hineinzugehen.« – »Warum?« – »Weil der Muckerl jetzo die Veverl doch nicht nimmt, wohl aber die rothhaarete Glatzl-Tochter von Vintl. Der Wirth zum rothen Adler und sein Weib rissen mir alle Haare aus, wenn ich mich dort innen sehen ließe.« –»So, so. Ein saubrer Kerl, sein Muckerl.« –»Was geht's Ihn an?« –»Was geht Ihn mein Peterl an, den Er immer ausmacht, als wie einen verstohlnen Hund?« – »Nun steh'n mir alle vierzehn Nothhelfer bei! Wer geht mich denn leider mehr an, als sein schlimmes Früchtl? Er gefallt mir nicht übel, Tammerl, das muß ich sagen!« – Idelstein gerieth beinahe in Zug, recht viel und hitzig zu diskuriren; doch besann er sich schnell und fiel in verstocktes Schweigen zurück.

Tammerl prophezeite sich nichts Gutes aus dem finstern Brüten seines Freundes, und, entschlossen, der Sache ein Ende zu machen, und, wie man sagt, mit beiden Füßen zugleich über den Haag zu springen, hob er barsch an: »Was sagt seine Tochter dazu?« – »Die hat nichts zu sagen,« antwortete Idelstein befremdet. – »So? sie muß also auch, wie ich, wenn sie auch nicht will?« – »Wollen? seit wann haben denn die Gitschen ihren Willen? Wär' mir nichts lieber. Und Er fragt mich, und hat erst selber ein Madl verheirathet?« – Der Vorwurf traf tief. – »Er thut also nichts für die jungen Leute,« fing wieder Tammerl an. – »Vor meinem Absterben, nein.« – »So muß ich Schulden machen, oder 53 mein Herr Schwiegersohn muß mir helfen, dem Buben ein Gut zu kaufen?« – »Ja, ja, mach' Er's so.« – »Die Hochzeit kann also nicht schon morgen oder übermorgen seyn.« – »Es eilt nicht.« – »Ich hab' grad gemeint, daß es eile.« – »Behüte, im Gegentheil. Wenn das Madl ein paar Monate bei den Klosterfrauen geblieben ist, dann wird die Nachbarschaft sonnenklar sehen, daß zwischen ihr und Seinem liederlichen Buben nichts übles vorgegangen ist, und niemand wird der Mali auf 'm Kirchengang den Kranz abthun wollen.« – »Auch recht. Ich will mich gleich umsehen. – Auf Georgi also?« – »Ist noch zu früh.« – »Peter und Paul?« – »Nichtsnutz.« – »Auf den Stephanstag?« – »Meinetwegen. Bis dorthin ist's grad Zeit.« – »Meinetwegen auch; hab' ich selber am Stephanstag Hochzeit gehabt, und die Mali ist an selbem Tage, aber vier Jahre nach der Hochzeit, notabene, geboren worden. Soll auch der Muckerl zur selben Zeit seinen Ehrentag mit der Glatzlin halten.« – »Wie Er will. Die Hand her!« – »Da, zum Glück!« –

Die breiten Hände besiegelten, was die Köpfe der Väter ausgerechnet hatten. Fortan wurde von freundlichern Dingen gesprochen. Tammerl wäre sozusagen erheitert zu Bett gegangen, wenn ihn nicht die bange Sorge gequält hätte, wie wohl etwa der Frau Marianne die Sache beizubringen seyn würde. Idelstein mit seinem viel ruhigern Gewissen, schlief wie ein Drescher, und er war noch nicht aus dem Schlummer erwacht, als schon Tammerl im leichten Karren hinausfuhr in die Welt, um sich ohne langen Verzug nach einem Gütchen für seinen ungerathenen Sohn umzuschauen. – 54


 << zurück weiter >>