Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Fünftes Kapitel.

»Wo isch der Weg zu Fried' und Ehr',
Der weg zum gueten Alter echt?
Grad fürsi goht's in Mäßigkeit
Mit stillem Sinn in Pflicht und Recht.«

»Und wenn denn emme Chrüzweg stohsch,
Und nümme weisch, wo's ane goht,
Halt still und frag' di G'wisse z'erst:
's cha dütsch, Gottlob, und folg si'm Roth.«

Hebel.

Nachdem sie die Gastfreundschaft des Servitenklosters auf der Waldrast nur für die Dauer einer Nacht in Anspruch genommen, waren Seraphin und Oswald, ihrem Plan und ihrer Richtung getreu, fürbaß gewandert. Sie hatten das Stubaythal durchmessen, auf nicht gefahrlosem Pfade am Rande des Ferners, der das Thal verschließt, den Uebergang in's Selrain gewagt, von dannen über Küetbay und Ochsengarten das Oetzthal besucht. Den Gletscherstock bestreichend, der dort in großen wüsten Eisfeldern sich ausbreitet, und den Zusammenhang der Gebirge des Nordens und des Südens vermittelt, waren sie hinübergeklettert in das wilde Thal von Schnals, die Einsamkeit der Karthause begrüßend. Trotz der üblichen Ermahnung der Wanderleute, die ihnen begegneten: »laßt's euch Zeit!« hatten sie wenig gerastet, und sich dagegen beeilt, in das heitre sonnenreiche Leben des Etschthales hervorzutreten, flußaufwärts die Straße nach der Heimath verfolgend. So waren sie 118 gen Tartsch gekommen und nicht säumig gewesen, den Bühl zu erklimmen, wo die alte Kirche, nach der Sage aus der Heidenzeit stammend, weit hinausschaut in's gesegnete Thal des Vintschgaus. – Dort lagerten sie sich – just läutete im Pusterthal die Glocke zur Vermählung des jungen Idelstein mit seiner Glatzlin, und zur Verkündigung des grünen Peters und der Fräule Mali; just wallte Tammerl mit seinen Begleitern dem feindlichen Bayerlande entgegen, und Kölbl, der geprellte Schalk, landstreicherte trostlos, Gott weiß wo und wohin – sie wußten aber von all diesem nichts, und waren versunken im Anschauen des vielgethürmten Mals und der Berge, an deren Fuß ihr liebes Burgeis gelegen. Aber keineswegs freudig leuchteten ihre Augen, ihre Stirne war nicht heiter, ihr Mund nicht beweglich zum fröhlichen Geplauder, wie wohl sonst der Fall ist bei jungen Gesellen, die aus der Fremde kommen im Staub ferner Länder, um zu ruhen im Schatten der heimischen Bäume, und in vollen Zügen zu trinken die heimische Luft. – »Du weißt ja gar kein Wörtl,« hob Seraphin trübselig zu seinem Genossen an: »Wie ist Dir denn zu Muth, so nahe bei Burgeis?« – »Ach mein Seraphin, wie wird mir seyn?« versetzte der andre: »die Heimath macht mir jetzo wenig Freud'. Der kleine Bamms in Vaters Haus, die schlimme Trine, die mir Kreuz und Gall' macht, der leere Beutel, den ich heimbringe, und keine Aussicht auf Verdienst . . .! was soll ich da sagen? Deine Ehrlichkeit, Seraphin, war recht schön; dem Tammerl gehören wohl eigentlich die Krampusdukaten . . .. aber uns, uns Bedürftigen wären sie halt gar so wohl angestanden, und mit dem Bilderhandel hätt' sich's auch gemacht. Wenn Du mir wenigstens erlaubt hättest, den Kölbl recht z'leihen zu nehmen, 's wär' eine Passion gewesen, und doch ein bissel etwas zur Entschädigung. Aber Du bist halt immer der barmherzige Samariter, und schier wär's besser, Dein Feind zu seyn, 119 als Dein Freund. Na – mir wär' der freche Dieb und Falschschreiber nicht ungeschlagen ausgekommen, – doch, basta, wie der Grödner sagt: es ist einmal geschehen, und soll Dir Rosen bringen, und nicht Hagebutzen. Aber, noch einmal: mich g'freut die Heimath jetzt gar nicht. Mir kommt's vor, als hätt' ich dort große Güter gehabt, und sie wären mir alle verlumpt und durchgebracht worden, und als erwartete mich in meiner Hütte der grobe Exekuzi, um mich selber bei'm Schopf zu nehmen und einzustecken. Da weißt Du's jetzt.«

Darauf antwortete Seraphin nur: »Um's grad herauszusagen: mir geht's auch nicht anders. Meine Lungel treibt so schwer, als käm' mir ein großes Unglück entgegen. Ach je, hab' mich g'freut auf die Heimath! Aber mir war viel besser dort oben in der Wüstenei der Ferner, wo die Gamsln spielen, und der Speik blüht, neben dem Edelweiß. Dort war's fein und spiegelheiter. Hier unten ist's so dumpf und schwül, 's ist gar aus.«

»Ja doch;« bemerkte Oswald, der sich an der Niedergeschlagenheit des Freundes wieder aufrichtete: »was aber hilft's? Das Zittern hilft nicht für den Frost. Wenn ein Unglück seyn soll, so fallt sich die Katz vom Stuhl herab zu todt. Wir können nicht da liegen bleiben. Muthig auf und davon, mitten in die Heimath hinein! Werden schon finden, was unser dort wartet. Mein Hauptunglück ist, daß ich kein Geld habe. Ich hätt' nicht gemeint, daß mir's so gehen würde, denn ich habe meine Groschen im Sack brav geschüttelt, da ich den ersten Kuckuck heuer schreien hörte. Hat nichts geholfen; aber die Hitz' und die Schwüle machen mir auch nichts aus: 's kommt halt ein Wetter, und bald bald ein frühzeitiger Winter, wie der Pater Philipp gesagt hat. Da können wir uns nur wie die Murmelen in 'n Schatten legen und an den Pratzen saugen, und schlafen 120 und träumen von den Dukaten, die wir Bettelleute dem reichen Tammerl geschenkt haben.«

»Tröste Dich doch,« ermahnte Seraphin: »Du spürst in Dir selber, daß ich recht gethan habe, und eine jede rechtschaffene Handlung bringt ihren Lohn. und eine jede unredliche ihr Leid.«

»'s wird schon seyn;« brummte Oswald, indem er sein Bündel wieder aufhuckte: »nichts G'wisses weiß man nicht!« – Ohne ferner ein Wort zu reden, spazierten die Freunde den Bühl hinunter, und befanden sich in kurzer Zell auf der heißen Landstraße zwischen Tartsch und Mals. –

Eine Kutsche zog ihnen langsam entgegen, eingehüllt von einer breiten Staubwolke. Zu beiden Seiten der Kutsche tauchten hin und wieder ein halb Dutzend Pferdeköpfe aus der weißgrauen Wolke, und darüber hin blitzte es zuweilen wie von Säbelglanz. – Die Kutsche hielt, da Seraphin und Oswald nur noch einige Schritte davon entfernt waren. Dragoner auf braunen Pferden wurden als Eskorte des Wagens sichtbar. Der erste der Reiter rief dem Seraphin zu, ein Trinkgeschirr herniederlangend: »Du, fülle einmal das Glas dort am Brunnen.« – Es stand ein Brunnen am Wege; heute ist er nicht mehr zu sehen. – Seraphin that mit Freuden, was ihm befohlen, und reichte den perlenden Trank dem Reiter hinauf. Das Pferd desselben scheute ein wenig vor dem Sonnenstrahl, der an dem Geschirr herumfunkelte, und der Reiter hatte mit dem Gaul zu thun. Darum sagte er zum Mundschenk von Ungefähr: »Dort im Wagen haben sie Durst. Geh' hin!« –

Seraphin, gefällig, wie zuvor, stieg auf den Tritt: am Schlage, in der Meinung, irgend einen General mit Stern und Band erquicken zu dürfen. – Aber in der Kutsche lag ein kranker alter Mann leidend auf Polstern, und eine junge Frau neben ihm streckte die weiße Hand 121 nach dem Glase aus, dem Kranken die Labung zu reichen. Nun zitterten aber die Finger des jungen Mannes dergestalt, daß die hellen Tropfen an dem Becher niederstürzten, und die junge Frau hastig sich vorbeugte, ein Wort des Vorwurfs auf der Zunge, und geschäftig das Glas ergreifend, ehe sein Inhalt ganz verzettelt wurde. – Der Vorwurf verwandelte sich in ein »Ach« der Ueberraschung. Seraphin fand nicht einmal einen Seufzer. – Dagegen krächzte eine rauhe Stimme ungeberdig, »Wird's bald? nun, Tina, wird's bald?«

Die Frau stammelte ein paar unverständliche Worte über ihre schneebleich gewordnen Lippen, mit einem Blick auf Seraphin, der ihn bat, sich zurückzuziehen; allein auch von Seiten des ungeberdigen Kranken war ein Blick, schief und scharf, nach den Beiden geschleudert worden, und was er sah, entlockte dem Alten einen wahren Raubvogelschrei: »Vermaledeiter! Du auch da? Noch nicht Unsegen genug? fort mit Deinem Gift!« – Becher und Wasser flogen über des zurückspringenden Seraphin Haupt zum Wagen hinaus. Der Wurf hatte ihn nicht getroffen, aber leider hatte er sehen müssen, wie der wüthende Sprenger, mühsam ein wenig aufgerichtet, auch einen Schlag gegen Martina's Gesicht probirte. »Falsches Weibsbild!« kreischte der zorngierige Greis, und die Kutsche rumpelte davon, als ob die Tarantel die Pferde gestochen hätte. Lange Zeit verhallte das »Heda! Ach! Halt! und O weh!« des Kranken ungehört, bis endlich der Kutscher wieder den Leichenschritt einhielt, und die gerade jetzt so wohlverdiente Marter des alten Zornnickels endigte. – Aber schon weit war der Wagen von Seraphin entfernt, und die Dragoner flogen nach; der letzte, ein Böhme, mit dem Hohnruf: »Alter Geisbuck! Kupp seiniges quanti verdrahti! Hussah.«

Seraphin schaute trostlos den flimmernden Rädern der Kutsche, den glitzernden Waffen der Galoppreiter nach, 122 dem Staubgewölk, das die Hufschläge der Rosse aufwühlten . . . . »Hast Du sie gesehen?« fragte er seinen Oswald schmerzlich. – »I freilich;« sagte Walt kurz und mürrisch hierauf, und dann noch leiser: »daß sie alle doch der leidige Schwarze davon trüge! Gott verzeih' mir's; ohne Weiberleut' wär's viel feiner in der Welt.« –

»Hoho!« rief jetzt ein tüchtig schwitzender, obgleich im Schritt reitender Kavallerist, den Hinstarrenden vom Gaul herunter an: »weiß Gott! Por Dio! sind wir's, Serafino? Grüß' Dich Gott, lieber Junge. Hast sie gesehen? was hat's gegeben?« – Hinter dem Schweißtüchlein hervor, womit der Reiter seine nasse Stirn bearbeitete, schaute das gutmüthige Antlitz des Wachtmeisters Dominik, und seine steif behandschuhte Faust ließ vom Zügel, und öffnete sich gegen Seraphin zum derben Männergruß. – »Herr Jesus! seyd Ihr's?« entgegnete Seraphin, und tätschelte freundlich den pfundledernen Stiefel seines alten Bekannten: »ob ich sie gesehen habe? Ach, ich wollte, es wäre nicht geschehen. Die arme Haut! Geschlagen hat sie das Unthier! geschlagen! das vergeß' ich dem Burschen im Leben nicht!« –

»Ei was! Sie hat's selber also haben wollen!« griesgramte der Wachtmeister: »Jetzt hat sie's auch, und weiß noch gar nicht recht, wie hart. Weißt Du, was es ist? Der Sprenger hat ein paar gute Freunde gehabt, – verstanden? wie's ihrer nur zu viele gibt; die ärger sind als die Panduren und Mörder. Die haben ihn höhern Orts angezeigt, als einen Volksaufwiegler, als einen Adels- und Beamtenfeind, und als Einen, der zur jetzigen Kriegszeit wohl mit den Preußen im Komplott stehen möchte, indem er so viele Briefe aus Schlesien empfing. Der alte Narr wußte davon nichts, und ließ an seinem morschen Bein doktern, aber es ging nicht damit, hat's noch immer nicht zum Aufstehen bringen mögen; bis ich ihm aus dem Bett habe helfen müssen. 's ist 123 nemlich Befehl gekommen, den Sprenger unverzüglich, ohne Gnad' und Aufschub an den Gardsee auf die Festung zu bringen, und mein Rittmeister hat mich dazu kommandirt. Vorgestern hab' ich's ausgeführt, und die Herren Commissarien haben derweil alle Papiere bei ihm ausgeräumt und versiegelt. Als eine große Gunst hat die Frau erhalten, daß sie ihren Herrn begleiten durfte. Sie weiß aber nicht, daß sie vor der Festung wird umkehren müssen. 's ist strenger Befehl da. Na, sie wird's zeitig genug hören. Da hast Du jetzt die ganze Pastete, Seraphin. Zugleich aber vernimm' was fröhlicheres. Wenn ich zurückkomme, erhalte ich, wenn auch Krieg ist, meinen Abschied, vor der Hand als einen Urlaub. Der Regimentsfeldscheer meint, ich könnte keine Kampagne mehr aushalten, und ich laß' ihn gern auf seiner Meinung. Dann, lieber Bub', wollen wir beisammenbleiben. – Und zweitens: Deine Unschuld kommt zu Imst immer kreideweißer an den Tag. Ich hab' nicht Zeit, Dir Alles haarklein zu sagen, . . . ich muß meinen Kerls nachreiten . . . aber, wenn ich wiederkomme, laß' Dich sehen, hörst Du? Und – was ich noch rapportiren wollte . . . mit den Burgeisern gib Dich nicht viel ab; sie verdienen's nicht an Dir, kannst es glauben . . . Potz Donner! schon seh' ich meines Arrestanten Kutsche nicht mehr. Vorwärts denn, marsch! addio! addio! ein andermal mehr!«

Das Pferd griff aus; der Wachtmeister trabte rasselnd davon . . . . bald war er nur ein Schatten im Staubwirbel; dann um die Ecke, wo die Straße in's Dorf verschwindet . . . . er selbst verschwunden alsobald. – Was er zuletzt geredet, wie ein eitler Schall war es an Seraphin's Ohr vorübergeklungen. Seraphin's Gedanken, flüchtiger als die Dragonerrosse, hatten sich getummelt, den Gardasee zu erreichen, um die Geliebte dort zu empfangen, zu trösten, schirmend zu begleiten. Sein inneres Auge sah 124 jene Gegenden durch und durch: den breiten Seespiegel, Cypressen und Citronenbäume an den Ufern, das fatale Schloß mit kanonengespickten Bastionen, Städte und Märkte voll lebendig schnatternden Volks – Fülle des Glücks und Wohlseyns überall – nur sie, die Geliebte, unglücklich auf jenen gesegneten Gestaden, nur für sie kein Segel bereit, dem Jammer sie zu entführen! Seraphin war zum dichterischen Seher umgestaltet; aber der ungebildete Natursohn wußte seinen Zustand nicht anders zu beschreiben dem Freunde, der ihn nordwärts zwang zu gehen, als mit den Worten: »Weißt? es sitzen mir zwei Augen im Genick, und sie schauen viel schärfer das Land hinunter, als das andre Paar unter der Stirne gen Burgeis.« – »Wenn sie doch nur schon schliefen, die Gucker im Genick!« seufzte Oswald: »jetzt ist der arme Kerl wieder auf lange Zeit verdorben.«

Wohl gelangten beide nun in's heimathliche Dorf. Kaum schenkte aber Seraphin unterwegs dem hohen Kreuz, wo er seiner Jugend Ehrenschlacht dem grimmigen Winter geliefert, einige Aufmerksamkeit. Er schaute sogar kaum links zum Stephanskirchlein empor, zur Pfarrkirche und zum Gottesacker hinunter; dennoch lag dort sein Allerliebstes in der Erde. – »Da sind wir endlich!« rief Oswald mit traurigen Vorgefühlen. Seraphin fing an, seine Umgebung zu erkennen. Wohl waren da die alten wohlbekannten Häuser noch auf den Beinen, und die Etsch purzelte nach wie vor durch's Dorf, und die Brücke war's, und die Hudergasse, und die Fürstenburg, und des Anwalds Wirthshaus; aber dennoch war alles dieses miteinander nicht mehr das alte ächte, rechte Burgeis. Warum? vermochte Seraphin nicht deutlich zu sagen. Die Berge so traurig, die Luft so matt; absterbend schien ihm alles, Freude nirgends zu seyn. –

Es sollte noch besser kommen. Seraphin – er hatte 125 ja nirgends ein Obdach, ihm eigen – kehrte im Kreuzwirthshause ein. Vordem sein Lieblingsaufenthalt, schien es ihm jetzt so finster, so ungastlich. Das schien nur; aber eine nackte grausame Wahrheit bot sich dem Fremdling im Vaterlande unverweilt dar. – Die Gesichter der Leute, die einst den jungen Seraphin geliebt, waren die alten für die ganze Welt, nur nicht für ihn; und ihre Gesinnung vollends hatte sich verändert, wie ihr Betragen. Sogar die wohlwollende Wirthin, das behagliche runde menschenfreundliche Weib, war, Seraphin begrüßend, so steif, so unschlüssig! Der arme Bursch konnte sich glücklich schätzen, ein Nachtlager zu erhalten. Der Anwald maß ihn von oben bis unten, räusperte sich ein paarmal verdächtig, ehe er seinem Weib die Erlaubniß ertheilte, den alten Bekannten zu beherbergen, und machte kurze Worte. Nun, dem Seraphin war auch nicht um viele Worte zu thun, sondern eher um einen stillen Winkel, worinnen er die Begebenheiten des Tags wieder an sich vorüberspazieren lassen konnte. – Der Winkel wurde ihm auch mitten in der belebten Zechstube. Seraphin, in tiefen Gedanken, gewahrte nicht, wie alle von seinem Eckplatz sich entfernten, die an dem Tische gesessen hatten; wie es leer um ihn wurde, als wäre ein unsichtbarer Pestkordon durch die Stube gezogen, um gerade ihn und seine Ecke von allem Volke abzuschneiden. Sogar die Neugier des weiblichen Geschlechts, der Wirthin, der Kellnerin, begehrte nicht den Bann zu brechen. Ach, die Leute wußten schon genug, nur allzuviel von dem arglos sinnenden Landsmann, und hatten sich über ihn tausenderlei zuzuflüstern, und deuteten auf ihn, und zersäbelten ihn mit ihren Zungen nach Gefallen. Er wehrte es ihnen nicht; er wußte nichts davon; merkte nicht einmal, daß auch die Thüre des Honoratiorenstübl nicht selten aufging, und daß bald der gnädige Herr vom Schlosse, bald der Richter, bald der Barbier 126 herausschauten, ihn musterten, die Köpfe schüttelten, und sich wieder zurückzogen ohne Wort, ohne Wink, ohne Gruß. –

Oswald, die praktische Natur, hatte die Stimmung gleich weg. Als er, der gegangen war, seine Leute zu bewillkommen, wieder kam, wenig erfreut von dem Empfang, den er zu Hause gefunden, sah er mit einem Blick, wie die Sachen standen, woher der Wind blies. »Hast Du mit den Menschen da Händel gehabt?« fragte er. Seraphin verneinte staunend. »Nun, Du siehst doch, wie g'spreizt und fremd sie thun?« – »Ich seh's zum erstenmale.« – »Und hörst auch nicht, wie sie wispeln und Dich brav ausmachen?« – »Mich?« – »Nun, ich will's meinen.« Mit diesen Worten legte sich Oswald über den Tisch, klopfte mit der Faust auf, daß Ruhe wurde, und rief trutzig in den Schwätzerhaufen hinein: »Ist der Seraphin Plaschur Einem von Euch 'was schuldig? Hat er von Einem 'was geliehen und nicht zurückgegeben? hat Er Einem 'was gestohlen? Heraus damit. Eins, zwei, drei. Nichts da? Nun, so habt meintwegen Maulaffen feil – noch größer, noch größer! wer aber von nun an noch etwas über meinen Freund sagt, daß ich's höre, wie ich's gerade jetzt erst habe hören müssen, den schlag' ich auf's Maul; verstanden?« Und zur größern Deutlichkeit trommelte er auf der Tafel und gab ein zillerthal'sches Trutzg'sangl zum besten, dessen mildestes Gesetzl das folgende:

»Ein frischer Bub' bin ich,
Hab' drei Federln auf'm Hut.
Und den möcht' ich seh'n,
Der mir die abi thut.«

Gewann auch für jetzt die Parthie, der eisenfeste Freund. Die Wispler und Lispler gaben Fried, und 127 ließen's bei einigen Seitenblicken und etwas Achselzucken bewenden. – »Der Wachtmeister hat wahr geredet« sprach Oswald, verächtlich die Lippen aufziehend: »die Bagage da möchte gern an Dir keinen guten Faden lassen. Haben von Imst herauf was läuten gehört, wissen nicht, wo die Glocken hangen. Pfui, Bagage! Siehst Du, Seraphin: mit all diesem Volk bist Du seiner Zeit freundlich gewesen, wie ein Engel; hast jenem 'was geschenkt, diesem 'was wohlfeiler verkauft. Da hast Du's jetzo. Der Struzzer zu Sprugg hat ein salomonisches Wort gesagt: »'s gibt gar keine Dankbarkeit auf Erden.« Die Ruechen sagen Dir dennoch nach, Du hättest den Tammerl um sein Geld betrogen, und sie hätten's schon Anno so und so viel gemerkt, als Du mit des Grödners Waaren so freigebig umgingst.« –

»Laß sie reden,« versetzte Seraphin geduldig: »es wird doch einmal an Tag kommen, was recht und wahr ist. Oder wollen wir gehen, den Grödner aufsuchen? Mein erster Gang gehörte billig dem Grabe meiner Mutter, . . . aber ich möcht' es mit ruhigerm, gefaßterm Herzen besuchen.« –

Der Grödner schritt so eben in die Zechstube ein. Gott segne den Mann! er war zwar von außen nicht das Gleichniß von dem, was er vor ein paar Jahren noch gewesen: er ging gebückt, als trüge er einige Zentner auf dem Genick; seine Nase war spitziger geworden, die Falten in seinem Gesicht länger und tiefer, das Silberfadennetz des Herbstes hatte seinen ganzen Kopf umsponnen; aber in der langsamer athmenden Brust war doch noch der Kern frisch und roth und unverändert geblieben.

Nach einem flüchtigen Blick auf die Gesellschaft in der Stube, näherte sich der Grödner unverzagt und mit Zeichen lebhafter Freude dem guten Seraphin, der sich von diesem freundlichen Entgegenkommen so erfrischt 128 fühlte, als hätte die heilbringendste Quelle des Gebirgs ihren Sprudel über sein Haupt ergossen. »Mich g'freut's, na, mich g'freut's herzlich!« sagte der Grödner bieder und aufrichtig: »hab' schon gehört, daß Du angekommen. 's Dorf ist schon voll von der Neuigkeit. Brav von Dir, daß Du Deine Heimath nicht vergessen; brav, daß Du mit aufrechtem Kopf und offnen Augen zurückkommen magst. Manch Andrer, von dem nicht so viel gefabelt wird, wie von Dir, wär' nicht zurückgekehrt, wie Du. Hab' erst vor kurzer Zeit viel von Dir geredet, und zwar mit dem Herrn Tawack von St. Maurizen im Engadin – er bleibt aber jetzt in Chur – Du! er hat Deinen Vater vor ein paar Jahren gesehen; zu Neapel hat er ihn gesehen – hatte dort eine Kaffeeschenke, ging nicht zum besten – hat sich nach Frau und Kindern erkundigt – aber der Tawack konnte leider nichts davon sagen . . . oder desto besser; der arme Mann hatte Herzeleid genug, Dein Vater nemlich.« – »In Neapel?« fragte Seraphin erfreut und betrübt zugleich: »dahin ist's weit, nicht wahr?« – »Das mein' ich. Ist schon mancher Landsmann dort am VerdrußVerdruß: (Vintschgau) das Heimweh. »Es verdrießt ihn da oder dort;« er hat Heimweh. gestorben. He, bist auch aus Verdruß heimgekommen?« – »So halb und halb. Aber, Grödner, mir g'fallt's nicht gar gut hier zu Burgeis.« – »Glaub's, glaub's, mein Hascher. Hat sich vieles verändert. Die Menschen werden immer schlechter, immer unliebsamer, immer vorlauter mit der Zunge, und wissen doch nicht, was sie eigentlich wollen. Nun, basta mit dem schlimmen Kapitel.« –

Der Grödner seufzte, nippte am Glase; Oswald stieß seinen Freund bedeutsam mit dem Ellbogen an. Seraphin verstand nicht, was er wollte. Indessen kam die Wirthin und forderte den Maler auf, in's Honoratiorenstübl zu treten. Der gnädige Herr verlange nach ihm, sagte sie. 129 – »Ich komme geschwind,« sprach Oswald zur Wirthin und zum Freund, und ging, wohin er gerufen war. –

»Was haltest Du von dem Walt?« fragte der Grödner seinen ehemaligen Mündel im Vertrauen. Seraphin wiederholte, was er schon oft vom Freund gesagt: »Einfältig wie ein Kind, in der Ehrlichkeit ein uralter Mann.« – »Ja, ich weiß, Du redst von niemand übles; wenn es nur die Leute auch so mit Dir hielten! Nun basta. Aber der Walt hat große Fehler und Sekten an sich.« – »Weiß nicht.« – »Das ist erlogen; Du weißt's wohl, aber willst's nicht zugeben, weil er Dein Freund.« – »Nun, Grödner, und wenn's so wäre? Gott verzeiht's schon, wenn gute Freunde mit einander recht partheiisch sind, und einer auf den andern nichts kommen lassen. Eine laue Freundschaft soll mir vom Hals bleiben. Wir alle haben unsre Fehler und Makel.« – »Ja wohl, ja wohl!« gab der Grödner zu, und seufzte abermals beweglich – »Nun, Ihr sagt mir gar nichts von Euch, Grödner? wie geht's denn Euch?« – »Passirt,« antwortete der Krämer trocken, und drehte sich, ein ander Gespräch auf's Tapet zu bringen, nach dem Fenster: »'s wird ein Wetter absetzen, Seraphin. Wollen wir nicht geschwind, ehe es losbricht, den Gottesacker besuchen? Ich habe gethan, wie Du gewünscht, und Deiner Mutter selig ein stattliches Kreuz gepflanzt.« – »Ihr habt mich froh gemacht durch Euer Wohlwollen,« versetzte der junge Mann: »ich hab' wieder etwas vom Vater gehört. Jetzt will ich gern mit Euch gehen, da ich einen heitern Sinn und neue Hoffnung zum kühlen Bettl meiner Mutter zu tragen habe.« – »Ja, ja, die Hoffnung gehört zu den Gräbern;« meinte der Grödner, und ging voran.

Auf der Straße hing er sich aber in den Arm seines jungen Gefährten, und sagte lächelnd: »Die ausrichterischen Mäuler sollen spüren, daß ich mich nicht schäme, mit 130 Dir zu gehen.« – »Mein Herr und Heiland! denken sie denn gar so viel schlechtes von mir?« – »Nicht wenig, grad heraus gesagt. Ich kenn' aber meinen Seraphin besser, und Dir soll niemand was zu leid thun, und wär's der gnädige Herr selber mit seinem Pardieu und Parbleu. Basta; da sind wir zur Stelle. Du weißt wohin zu gehen? Ich will mich indessen auf einer andern Seite verweilen.«

Allerdings wußte Seraphin, wohin zu gehen; dennoch hätte er beinahe nicht gefunden, was er suchte; seiner Lieben Ruhestätte. Wie war seit seiner Entfernung von Burgeis der geweihte Grund durchschaufelt worden! Wie fleißig hatte leider der Tod seine Arbeit verrichtet! Hügel an Hügel, frisch und nackt, eiserne Kreuze ohne Rost, Weihbrunnschalen, neu und blank! ein breites Lager der Vergänglichkeit umkreiste Creszentia's und Annele's Schlummerplatz, daß des Sohnes und Bruders Fuß wie durch ein Labyrinth dahin den Pfad suchen mußte. Von fern erkannte er die Stätte nicht; sie war so vornehm geworden; ein dichter Rasen deckte sie, wie grüner Sammet nicht besser gethan haben würde; das Kreuz von weißem Stein leuchtete majestätisch erhaben über dem Grabe der mühebeladenen Bettlerin. »Gott vergelt' Dir's, braver Grödner!« betete Seraphin aus dem tiefsten Grunde seines andächtigen Gemüths, ehe er seinen lieben Heimgegangenen erzählte, was ihn betroffen, fern von der Heimath.

Indessen sank die Sonne, die Wetterwolken stiegen; die Vögel verstummten, der Wind wurde laut. Leise beginnend, aber lauter und lauter werdend, kam das Geheul hungriger Wölfe von Süden heran, und doch waren schon überall die Wölfe vor der Wetternähe in ihre Schlupfwinkel gekrochen. Es war aber der Sturm, der ihre Stimmen nachäffte, und dann wieder in das Wimmern ungebärdiger Kinder verfiel, und plötzlich aufschnaubte, wie Blasbalg in der Esse. Sein Schnauben schürte auch die 131 Glut im Gewölke; es rang, es braute, es kämpfte, bis aus dem Streiten und Reiben und Ringen hervorschoß der Blitz und darnach das Donnergebrüll: die grollende Verwünschung, die den Messerstoß des Feindes begleitet. – Seraphin übersah den Flammenstrahl, obgleich die Fackel das ganze Vintschgau beleuchtete, er überhörte das gellende Kesseln aus nachtschwarzen Wolken. Aber das Getümmel herbeistürzender Leute störte ihn, riß ihn aus seiner Betrachtung. Sie kamen, dem Wetter zu läuten, die schlichten Söhne des Dorfs. Seraphin nahm vor ihnen die Flucht. Da er sich nach dem Grödner umschaute, stand dieser kerzengerade mit gefalteten Händen, ein Bild des entgeisterten Kummers, vor dem Grabe seines ersten Weibes, und sein Gesicht rieselte voll von Tropfen. Dennoch hatten die Wolken noch kein bischen Regen herunterfallen lassen. – »Ich bin auch da,« sagte Oswald, dem Freund auf die Schulter klopfend: »hab' mir schon eingebildet, wo Du zu finden.« – »Sieh nur, Walt, wie fleißig der Grödner für seinen alten Drachen betet. Ist das ein braver Mann oder nicht?« – »Hm; er möchte die Alte epper herausgraben mit seinen Nägeln, wenn er sie lebendig machen könnte;« versetzte Oswald ernsthaft. – »Oho! wie Du auch redest!« – »'s ist schon so. Seine Gramniß ist dorfbekannt. Du wirst's bald hören. Die Christine . . . nun, Du erinnerst Dich – die Christine ist zwar jung, sauber, ist sogar jetzt noch sauberer, und ein tolles Weib geworden, aber . . . puhuh, das war ein Schlag und Strahl. komm, komm! jetzt hebt das grobe Wetter an!«

Eben kam der Grödner auf sie zu, schob den Rosenkranz in den Sack, und redete den Seraphin an: »Geh' mit mir heim; mir ist nicht gut unter den bösen Mäulern im Wirthshaus. Ich weiß wo eine gute Flasche Wein steht; wir wollen sie miteinander ausstechen.« – »Gute Nacht also!« sagte Oswald hierauf. – »Wie, gehst Du 132 nicht mit zum Padron?« fragte Seraphin. Der andre versetzte, indem der Grödner seinen Mündel leislich zupfte: »Meine Leute geh'n früh schlafen, und ich will keine Unordnung anrichten. Wir kommen schon morgen wieder zusammen.« Ging, und ließ die beiden ihre Straße ziehen.

»Ei, wir brauchen keinen dritten,« meinte der Grödner, sein Haus aufschließend. »Du bist's, der mich was angeht; der Holzer-Walt nicht ein bissel.«

Der Krämer schlug Licht und ging dann in die Kammer, den Seraphin allein lassend. Mit Wehmuth und Vergnügen begrüßte der Letztere alle Gegenstände in der Stube, die ihm so wohlbekannt, so wohlbefreundet waren. Da stand noch der gute alte Tisch, an dem Egidi seine Milchnudeln gespeist; da hing noch an der alten Stelle das Handtuch, womit der Grödner den Ruß seiner Kuchelhexe vom Gesicht gewischt. Da klebte noch am selben Platz wie ehedem der Bauernkalender mit seinen Heiligen, seinen geheimnißvollen Zeichen, und dem ganzen ergötzlichen Bilderkram, der den Landmann an seine täglichen Verrichtungen erinnert. Da war noch der dunkle Schmollwinkel mit dem Spinnrade, wo die böse Grödnerin so manchen Faden in Gift und Galle abgerissen; dort der Stuhl, den die Geheimeräthin der Hausfrau, die Rosa Stampfer einzunehmen im Brauch hatte; hier die Bank am Ofen, worauf der Jäger-Liebl gefaulenzt; dort der Sims, von dem der Grödner die Elle nahm, seinen Pflegsohn gleichsam wider Willen durchzugerben. Das Kruzifix, zu welchem Seraphin oft die Hände erhoben, mit der Bitte, ihn vom Uebel zu erlösen; der Schemel, den er oft mit Thränen benetzt; das Schiebfenster im winzigen Erkervorsprung, aus dem er seinem Walt so oft zugewinkt . . . alles, alles war noch vorhanden, eine unverwüstliche Chronik der alten Zeit, die dem Knaben so schlimm gedünkt; die dem jungen Mann jetzt freundlicher dünkte, als die traurige Gegenwart. Er hatte keine 133 Langeweile, obschon der Grödner ziemlich lang ausblieb, bis er endlich mit Flasche und Gläsern wieder eintrat.

»Die Frau ist in's Bett gegangen; wir wollen jetzt guten Muths seyn. Das Wetter, Gottlob, zieht vorüber, der Regen plätschert auf der Gasse; mich dünkt's hier recht fein; setz' Dich her Seraphin. Da, iß ein Stück Brod, gutes, ehrliches Vintschgerbrod; da, trink' Dein Glasl Wein. 's zwar ein welscher, aber nicht falsch, nicht ungerad. Ich bring' Dir's zu.«

Seraphin gab sich zur Unterhaltung getreulich her, und weil zwei biedre Seelen da miteinander redeten, machte der Regen eine angenehme Musik dazu, und der Donner murmelte so anständig und freundlich, daß sie ihn nicht ungern als den dritten Mann im Gespräch zuließen. – Unter anderm sagte der Krämer: »Deine Mutter selig hat's nicht nöthig, daß wir auf ihre Gesundheit trinken; sie hat jetzt alles vollauf; 's geht ihr beim Herrn des Himmels und der Erde nichts ab. Aber auf Deinen Vater wollen wir trinken, der etwa noch irgendwo am Leben. Du, ich hab's Dir abzubitten, daß ich Dich für eines gnädigen Cavaliers Sohn gehalten. Nimm mir's nicht übel. Ich habe gefehlt. Weißt? Dein Taufschein, den ich mir aus dem Kirchenbuch ausschreiben ließ, ist fehlerhaft ausgefallen; der junge geistliche Herr, der's für den Pfarrer besorgte, hat vielleicht während der Arbeit an andre Dinge gedacht, und Dich geradezu um ein Jahr älter gemacht. Im Kirchenregister steht's aber, wie's seyn soll, mit Vater und Mutter, wie sich's gehört. Ich hab's – noch ist's nicht gar lange her, selbst gesehen und gelesen. Der Lenhard ist also gewiß Dein Vater, basta. Und wenn er noch lebt, so lassen wir ihn auch leben, den guten Mann!« – »Da trink ich mit Freuden;« entgegnete Seraphin mit freudigen Augen. Aber schnell verstimmt, hing er an den Trunk die Frage: »Wie soll ich's aber machen? Neapel so weit und ich so arm? Ich könnte freilich das Halsbatzl der 134 Mutter verkaufen, aber dann hätt' ich nichts mehr von ihr, als Papiere, die gar schnell dahinmodern, und wer weiß, ob der Verkauf des Kleinods nur hinreichte, mich nacher Neapel zu schaffen und wieder zurück?« – »Natürlich, und zuvörderst wirst Du mit dem Tawack sprechen müssen; Neapel ist groß; könntest Monate lang darinnen herumsuchen, und doch den Alten nicht finden.« – »Wohl, wohl; aber derselbige Tawack . . .?« – »Wart' nur, auf's Jahr im Mai kommt er nach seinem Haus in St. Maurize; da suchen wir ihn auf, und er wird Dir gern des Lenhard Adresse geben.« – »Wär' schon recht; aber Du liebe Frau! wo bin ich etwa im Maien? wo wird mein gutes Halsbatzl seyn? Werd's verkaufen müssen, um mir Brod anzuschaffen; denn ich bin so gut wie ausgeraubt und abgeraumt. In ein paar Tagen wird mir allgemach der Hunger aus den Fenstern schauen . . .« –

»Basta, basta; nichts da, potz Schlapperment, was soll das heißen!« fuhr der Grödner auf, und packte Seraphins Hände, daß der junge Mann schier erschrack: »Untersteh' Dich! wär' mir nichts lieber. Untersteh' Dich, zu hungern, und Dein Kleinod zu verkaufen, wie man sein altes G'raffl weggibt. Nein, daraus wird einmal nichts. Basta. Da müßt' ich bitten. Weißt? ich hab' Dir a tempo vorschlagen wollen . . . mußt's aber annehmen, oder ich verzeih' Dir's nimmermehr: komm wieder zu mir in Dienst oder Condition, wie Du's heißen willst. Komm, so lang und groß und breit Du gewachsen bist. Ich brauch' jetzo nothwendig einen Helfer . . . denn schau: ich werde so zerstreut, gerade wie der Maurer-Wastl gewesen ist.«

»Ei so!« lachte Seraphin, der sich auf die Possierlichkeiten des Wastl besann: »Denkt Ihr noch an den armen Kerl?« – »Ich glaub's, ich glaub's!« antwortete der Grödner hastig, rückte unstät auf der Bank, schielte bald rechts, bald links: »wie kommen wir aber nur auf den Wastl . .? wo bin ich denn geblieben? Siehst Du, daß 135 es wahr ist: das Gedächtniß laßt mich sitzen, aber wie! Darum brauche ich Einen, der für mich rechnet und im Laden steht, . . . und Du weißt noch deinen Platz von ehedem; he? Gibst Du mir die Hand? Gleich morgen kannst Du einstehen, he?«

»Lieber, lieber Grödner mein! Ihr seyd halt ein rares Mandl!« rief Seraphin und fiel frohlockend dem Padrone um den Hals: »je, gewiß nehm' ich's an. Freilich wohl bin ich zufrieden. 's ist ein Glück für mich; ein Reichthum, im Sand gefunden. So werd' ich doch wieder eine Arbeit und ein Obdach haben! ein Daheim, ich armer angeschwärzter Bursche, dem alles treulos geworden ist.«

»Basta, basta; also ist's fertig und ausgemacht,« unterbrach ihn der Grödner: »Dein Obdach wird Dir jetzt schon besser gefallen, als vor Zeiten. Ich hab' auf dem Estrich bauen lassen. Dein Kammerl ist – wie Du selber – auseinandergegangen, hat sich ausgewachsen; schaut jetzt her wie ein Schloßstübl, das will ich meinen; im ganzen Haus hat's nicht so viel Sonne, als dort oben. Und – oho – Dein Rothkröpfl kannst wieder hinaufhängen . . . der eisgraue Heiter wird's besser bei Dir haben, als bei den Holzerleuten, wo der Walt den Vogel eingethan hat.«

Auf einmal wurde des Grödners Gesicht sehr lang. Er sagte nach einer Weile: »Ich hab' Dir den Walt nicht zu verbieten, aber in's Haus sollst Du ihn nicht zügeln . . . hörst Du? – Nun, er wird schon selber nicht darauf antragen.«

»Was habt Ihr denn mit dem Walt? warum könnt Ihr ihn nicht leiden?« fragte Seraphin. – »Hat er Dir's noch nicht gesagt?« – »Nein.« – »Gewiß nicht?« – »Wenn ich's sage!« – »Ich glaub' Dir, und 's war recht von ihm. Ich sage Dir's ein andermal.« Jetzt fragte Seraphin: »Gewiß?« – »Ganz gewiß.« – »Ist's auch wahr?« – »Nun, wenn ich Dir's sage!« –

136 Der kleine Zwischenfall wurde somit bei Seite geschoben; aber nach ein paar Minuten fing Seraphin an: »Nehmt's nicht übel, Grödner: ich hab' auch mein kleines Bedenken. Wie sieht's mit Euerem Weib aus? wird sie nichts gegen mich einwenden?« – »Ach nein, ach nein, Seraphin. 's ist schon mit ihr ausgemacht.« Der Grödner fügte zögernd bei: »Es ist nicht so wie mit der Alten. Die Meinige ist freigebig, ja, sehr freigebig . . . . sie macht sich nichts aus dem Handel . . . er ist ganz meine Sache. Nun – weißt? Sie ist halt jung, für mich noch recht jung . . . . ich muß ihr schon 'was zu Gefallen thun . . . .« Der Grödner stellte sich an, als suche er etwas unterm Tisch, und da war's kein Wunder, daß er mit brandrothem Gesicht wieder zum Vorschein kam.

Dem Seraphin ging eine dunkle Ahnung durch den Kopf. Er hatte, was man einen Merker nennt; aber seine Vorstellungen waren undeutlich. Indessen sammelte sich der Grödner, und fuhr fort: »Laß Du immerhin mein Weib gehen, wie sie mag. Weißt? die Weiberleut' haben Sekten, die eine so, die andre anders. Du bist vernünftig; also kein Ratschen, kein Herumtragen; 's kann nicht immer schön Wetter im Haus seyn . . . . nur nicht den Aufpasser machen, hörst Du?«

»Oho, was denkt Ihr von mir?« – »Alles Gute, und darum wollen wir auch miteinander gut seyn und bleiben. Ich werde alt; Du wirst mich unterstützen. Ich geh' nicht mehr gern in's Wirthshaus; Du bist auch kein Freund davon. Lieber setzen wir uns Abends mit der Meinigen hin und karteln um einen Kreuzer; oder Du erzählst mir von Deinen Reisen und Begebenheiten, und die Winterzeit wird dergestalt vorbeigehen, daß es eine Freud' ist. 's bleibt also dabei, nicht wahr?«

»Amen; gar gern!« erwiederte Seraphin, und hiemit war beiderseitig der Handel geschlossen. –

»Da bin ich wieder angelangt, von wo ich ausging;« 137 sagte Seraphin am andern Tage zu sich selber. »Was mich während fünf Jahren erfreut und geschmerzt, käme mir vor, als wär' mir's gar nicht passirt, wenn nicht das bittre Andenken zurückgeblieben wäre. Besser, ich hätte als ein Murmentl die Zeit verschnarcht! Nun, der liebe Gott wird ja wissen, warum er's so gemacht hat. Sein Wille geschehe, und der Herr thue mir nur in einem Stücke den meinigen: Er gebe mir Ruhe und Frieden in's Herz, daß die Arbeit mich zerstreue, daß ich vergessen möge, was ich doch nicht mehr erreichen kann. Dann wird das stille Loos, im stillen Dorf, am stillen Grab der Mutter, mir ein leichtes Joch seyn!«

Dieser Meinung war nun Oswald ganz und gar nicht. »Du bist ein besser Schicksal werth;« meinte er: »wer weiß, ob Du's nicht verdalkst, wenn Du als Ladenknecht beim Grödner einstehst? Ein dummer Streich für einen so viel gescheiten Buben; glaub' mir's. Und schau: was Du mir anthust! Ich kann nicht mehr ohne Dich leben . . . da, jetzt muß ich von Dir scheiden. Der gnädige Herr auf Fürstenberg hat mir eine einträgliche Arbeit in Chur verschafft. Ich gehe dahin, und hatte mir schon ausgerechnet, Dich mitzunehmen . . . wer weiß, welch ein Glück Dir dort blühte, Du mein Tschoggl!« – »Wie?« fragte Seraphin etwas beleidigt: »Solltest Du meinen Ernährer machen? sollte ich von dem Pfenning leben, den Du selbst nothwendig brauchst?« – »Hoi, nur nicht so harb und hantig, bitt' ich mir aus!« erwiederte Oswald derb: »bist wieder herrisch und vornehm? wer hat denn mir in Donauwörth so viel Gutes erwiesen, das ich nimmer werde vergelten können? Ist das ein Mensch! und ich meyn's gut mit ihm, will ihn von dem Ort entfernen, wo er nichts als Kreuz hat, er mag mitten hinein, oder gen Imst, oder nach dem Gardsee schauen! He, Du! ist denn nichts mehr abzuändern? hast Du dem Grödner Deine Seel' unwiderruflich verschrieben?« – 138 »Unwiderruflich. Du bist jedoch ein Limmel, daß Du den bravsten Mann auf Erden, meinen einzigen Gönner und Wohlthäter, hinstellst, als wär' er der böse Feind und machte Jagd auf arme Seelen!« –

»Nun, nun,« ließ sich Oswald begütigend vernehmen: »hab's nicht so gar böse gemeint. Ein Spaß, weiter nichts. Aber – wenn schon der Grödner ein braver Mann – er zahlt, was er schuldig ist, gibt den Armen, geht fleißig Kirchen, hat's Nuster allweil in der Tasche – so ist er doch nicht – wie sag' ich gleich? so ist er doch nicht umsonst, nicht um nichts und wieder nichts brav. Er muß mit Dir 'was vorhaben, ich laß' mir's nicht nehmen; etwas Geheimes vorhaben, sonst . . . . aber Du schnarchst mich schon wieder an, und glaubst mir nicht . . .! Und dann . . . . und wenn Du noch sieriger herschautest, ich muß es doch heraussagen: und dann ist's ein viel zu großes Mirakel, daß er Dich, einen jungen, saubern Menschen in sein Haus nimmt, als daß nicht dahinter 'was stecken sollte.«

»Und was denn, Du weiser König aus dem Morgenland? Du bist ja so klug geworden . .! treibst alle Dreizehne . .! wenn Du mit Gott Vater äßest, müßtest Du einen größern Löffel haben! was denn? 's wird wieder etwas herauskommen, wie dazumal, wo Du mir den Egidi verdächtig machen wolltest, und ist doch ein ehrlicher Mann gewesen, und sitzt wegen meiner im Raspelhaus! Ach, da gehen wieder alle meine Bresten auf! der arme Egidi, mein Vaterbruder!«

Oswald traute sich lang nicht, zu antworten. Endlich aber mußte er's doch thun, und that es glimpflich: »Weißt, Seraphin, weißt, wir wollen nicht in Unfrieden gerathen. Mit dem Egidi hab' ich's zwar nicht getroffen, wie's scheint, . . . aber ein Schütz hat drei Schuß frei – wenn er sie gekauft hat – und wenn er um des Fürsten lederne Hosen schösseUm des Fürsten lederne Hosen schießen: Vor Zeiten gaben die bayerischen Fürsten zu den Freischießen in ihren Städten einen besondern Ehrenpreis, der immer in einer Lederhose – ein von dem Landvolk sehr begehrtes Kleidungsstück – bestand.. Drum ist's noch einmal 139 an mir. Ich will Dir nur sagen, daß der Grödner, der mit Hocheneckers Christine recht gut zu fahren vermeinte, es recht übel mit ihr errathen hat. War's ihr als eine Jungfer eine Freud', den Maurer-Wastl um seinen Verstand zu bringen, so möchte sie jetzo als Frau gern allen Mannsbildern den Kopf verdrehen. Derweilen ist sie selbst ein Narr: ein Kleidernarr, ein Spolzirnarr, ein Ratschnarr, ein Fensternarr. Mit dem Jungfernkranzl hat sie auch alle Arbeitsamkeit niedergelegt. In der Kirche stolziren, wie eine Docke, das Geldl für Tand und Dalkereien wegwerfen, bei allen Lustbarkeiten seyn, von früh bis spät am Fenster sitzen, und den jungen Burschen zunicken, und zwinkern und winken, als wollte sie sagen: Seht's nicht, daß ich eine junge Frau bin, die einen alten Tattl zum Mann hat, daß Gott erbarm? das ist, was die Christine jetzo treibt und thut, und warum des Grödners Haushalt vorwärts geht wie ein Krebs, wie ein Seiler. Der Grödner ist nicht dumm; er weiß schon, wo ihn der Schuh drückt, und weil er doch nun einmal zu schwach ist, Ordnung zu machen, ist er noch weiter in's Unglück gerathen. Nemlich: er eifert, wie ein Türk, und das nimmt ihm am Tag den Muth, in der Nacht die Ruh. Wirst ihn oft sehen können, wie er an allen Klumsen horcht, wie er auf den Zipfelzehen hin und wieder schleicht, in den Winkeln auf'm Anstand steht, und allen jungen Mandern schon von fern ein Gesicht macht, wie ein Löw. Ich selber, wie ich dastehe, hab' die Ehre, bei ihm auf der schwarzen Tafel zu stehen, weil mich sein Weib ein paarmal freundlich angelacht, und mir ist's doch nicht eingefallen, mit ihr zu sponsiren. Ich bin ja noch ein kleiner Bub' gewesen, als ich für den Maurerwastl das Staarl zur Christine trug, und seither ist sie ja auch, wie ich, alle Jahre um eins älter worden; weißt?«

Seraphin schaute zwar auf dieses seinem vielverliebten Halbschwaben scharf in's Gewissen; aber der Walt 140 schien diesmal doch im Recht zu seyn, denn er schlug nicht die Augen nieder, verfärbte sich nicht, kratzte sich nicht am Rücken. So sprach denn auch Seraphin, des Freundes Unschuld anerkennend, mit einem ernsthaften Blick zum Himmel: »Es wird demnach alles schon hier auf Erden vergolten, und – merkst Du, Walt? – jedem Fehltritt folgt die Strafe bald.«

»Wird schon seyn;« versetzte der andre: »die Veverl wird schon 'was gespürt haben. Warum hat auch der Grödner selbiges leichtes Weibsbild, die Christine, genommen?«

»Ei, das hat er wohl thun müssen, nachdem er sich vor aller Welt mit ihr eingelassen; aber, daß er bei Lebzeit seiner Seligen dem Maurer-Wastl in's Revier ging, das war schwach, das war unrecht von ihm. Ich weiß wohl noch, wie mir's als einem Buben nicht wohl gefiel, wenn der Padrone auf dem Brunnenrand saß, und den armen Wastl tratzte, und zur Christine hinauf Augen machte, wie sie auf ihn herunter. Ich konnte dazumal nicht begreifen, warum mir das an dem Mann nicht fein vorkam; jetzt versteh' ich's besser. Untreu' bringt nicht Segen. – Ja, ja, werde nur roth, Walt, und kratze Dich; 's ist schon so, und wenn Du mit der Veverl noch zurecht kommen willst, so magst Du nur Reu' und Leid machen. Weißt Du? im Zillerthal, und Gott weiß wo noch, war's halt nicht richtig mit Deiner Beständigkeit. Merk' Dir das für Chur, mein lieber Bub', und, was ich Dich bitt', hänge Dich nur nicht an eine Calvinische; das wäre noch das Aergste vom Argen.« – Worauf Oswald mürrisch, weil getroffen und verlegen: »Du bist eine müde Hack', Seraphin. Passe nur Du auf, Du selber, daß Dir bei'm Grödner nichts zustoßt. Ich glaube, daß die Frau Dich nicht in Ruhe lassen wird, wenn gleich Dein Herz bis dato noch von der Martina angefüllt ist, wenn Du gleich in jedem FrauenschühleinUnsrer Frauen Schühlein: Frauenschuh. 141 ihr rares Füßl, in unsrer Frauen AeugleinUnsrer Frauen Aeuglein: Vergißmeinnicht. ihre Augen siehst. Aber auch die Christine hat Augen, und welche! flankirt damit herum wie eine Mordbrennerin, und . . . . nun basta, wie der Grödner sagt. 's bleibt einmal dabei, daß er nicht umsonst sich untersteht, Dich in sein Haus zu nehmen, und nur dieses hab' ich Dir beweisen wollen.« – »Hast aber nichts bewiesen,« entgegnete Seraphin spöttisch: »und was die Grödnerin angeht, so laß Dir Zeit und mach' Dir um mich nicht Sorge. Ich trage zwei Amulete auf meiner Brust, die mich vor der Versuchung und der Sünde wohl beschützen werden: der Mutter Ehrenzeichen, und das Herzl der Martina.« – »Ein Herzl von Papier!« lachte Oswald: »das Konterfei von einem Herzen, das ein andrer hat?« – Seraphin schüttelte den Kopf. – Oswald fuhr fort: »Du Heiter, Du Nachtwandler am hellen Tag! Heb' nur selbiges Herzl auf! ein schönes Andenken! wenigstens dient es, stündlich Dich zu erinnern, daß die Weiber falsch und untreu und verlogen; und als Warnung mag das Papierschnitzl gut seyn.« – Seraphin ließ ihn reden, und wie immer, wenn er's so machte, schwieg auch heute Oswald bald von dem unangenehmen Kapitel. Sie gaben sich die Hände, getrösteten sich des Wiedersehens im Winter, und verließen sich, ein jeder unzufrieden mit der Trennung, und wünschend, daß es dem andern wohl gehen möchte.

Indessen saß der Grödner daheim über Papier, Feder und Tinte, und Oswald würde recht zufrieden gelacht haben, wenn er hätte lesen können, was jener schrieb. Der Brief wäre Wasser auf seine Mühle gewesen; denn er lautete in aller Kürze: »Der geehrtesten Jungfer Prombergerin zu melden, daß unser Mann endlich hier angekommen, und ich nach Dero Vorschrift gesucht, ihn festzuhalten, was auch gelungen; zwar mit einiger Aufopferung von meiner Seite, denn Feuer und Stroh nebeneinander in einem Hause sind gefährliche Dinge; doch 142 alles, um der Jungfer insgeheim zu dienen, weil Sie doch nicht haben will, daß der Seraphin wisse, wie soviel Sie sich um ihn bekümmert. Wünsche, daß bald auf Ihrem Platze die Sachen sich ausgleichen, und der arme Tropf bei Ihrem Herrn Schwager wieder zu Gnaden aufgenommen werden möge. Erwarte baldigst Dero weitere Befehle.« – Schrieb's, der Grödner, trug die Depesche selbst zur Post, und holte wiederum selbst nach einigen Tagen die Antwort aus dem Kreuzwirthshause ab. Die Tante Lenerl sagte darinnen, daß noch nichts offen zu thun sey. Es habe abermals ein großer Verdruß die Familie betroffen, und den Meister Tammerl veranlaßt, eine weite Reise in's Bayern zu unternehmen, die wegen der Kriegsläufte gefährlich und wenigstens langwierig ausfallen könne. In des Meisters Abwesenheit könne übrigens, trotz aller Beweise für Seraphin's Unschuld, die Lenerl in Händen habe, zu Gunsten des jungen Mannes nichts geschehen, da seine Feindinnen noch nicht versöhnt schienen, wenn auch auf dem Wege dazu. Der Grödner möchte also um Gotteswillen die Ueberlast noch etwas ertragen, und gegen Seraphin verschwiegnen Mund beobachten, damit derselbe nicht durch irgend einen raschen Schritt selbst seiner Sache schade. – Der Grödner ergab sich in den Aufschub, denn er war mit allen seinen Schwächen ein herzguter Mann, und liebte den jungen Plaschur mehr, als irgend ein andres Mannsbild auf Erden.

Natürlich konnte Seraphin nicht in seines Padrone Seele lesen und ahnte daher nicht im mindesten die Geheimnisse, womit sich der Grödner trug. Plaschur that seine Schuldigkeit schlichtweg, ließ sich nicht irre machen durch das lauernde Mißtrauen, das ihm die Dorfbewohner zu vermerken gaben; nicht abschrecken durch die vornehme Kälte der Honoratioren, die ihm einst so zugethan gewesen. Er benahm sich, als hätte er nur auf 143 ein paar Tage seinen Dienst verlassen gehabt. Alles war ihm noch frisch im Gedächtniß. Der Krämer konnte sich auf ihn verlassen, besser als auf seine rechte Hand, und benützte insgeheim die Zeit der Muße, die ihm durch den Adjunkt wurde, seine Eifersucht fleißiger und regelmäßiger Schildwacht stehen zu lassen. Seraphin, durch Oswald aufmerksam gemacht, gewahrte bald, daß vieles, was der Maler gesagt, seine Richtigkeit hatte: der Grödner stand nicht mehr so gut, wie ehemals; die Frau war eitel, putzsüchtig, müßiggängerisch. Sie ließ sich's nach einer Jugendzeit voll Müh und Noth, recht wohl seyn, und fragte nicht, ob's der Mann just so vermochte, wie sie's trieb. Dagegen war der Mann so schwach, ihr nicht die Wahrheit zu sagen, und sie in dem Glauben zu befestigen, daß sie einen Goldschacht auszubeuten habe, während es in der Wirklichkeit nur eine Kupfergrube war und täglich mehr sich minderte. Dazu half denn auch die einreißende Sorglosigkeit des Grödners selbst, der lediglich nur mit seiner Eifersucht, der leidigen Handelsgenossin, Geschäfte machte, und darüber Ladentisch und Ladenkassa versäumte, seine Rechnungen nicht mehr einhielt, auf den alten Kaiser hin borgte, Waaren verderben ließ, und Zug für Zug dem Ende seines Wohlstandes näher kam.

Dem treuen Diener wurde bei solchen Aspekten das Herz verzagt. Dennoch war im Hause selbst noch sehr viel gut zu machen, wenn der Grödner es verstand. Christine war nicht böse, und wiewohl gefallsüchtig im hohen Grade, doch nicht untreu. Wie gewöhnlich, war die Hälfte von dem Geschwätz, das im Dorfe über sie ausging, nicht wahr. Seraphin, der einestheils ihr Thun und Lassen genau beobachtete, anderntheils sich überzeugte, wie apart sie von dem ruhelosen Grödner gehütet wurde, konnte nicht anders, als ihr das beste Zeugniß geben, und er that's so gerne! War er doch selbst 144 unter der Zahl der auf Erden Verkannten. Der Werth Christinens stieg in seinen Augen im Verhältniß zu der Verläumdung, womit man ihren Ruf gern zu bemakeln suchte. Nichtsdestoweniger wollte gerade zur nemlichen Zeit Christinens Werth, bis dahin im Kern unerschüttert, wankend werden, und der junge Beobachter – merkte gleich der Bescheidene in seiner Seelenreinheit nicht eine Spur davon – trug selbst die Schuld dieses Wankens im Geleise der Pflicht.

Wie das Wohlgefallen an einem unverdorbenen jungen Mann, das Mitleid mit dessen standhaft getragner Trauer, wie der leicht erregte Wunsch, einem Verlassenen die Liebe zu ersetzen, die ihm treulos den Rücken gewiesen, ein weibliches Gemüth und weibliche Sinne umstricken, berücken, verhexen können, mußte leider die Grödnerin seit Seraphins Eintritt in ihr Haus empfinden, und an einem schönen Morgen wahrnehmen, daß ihr kaltes Herz warm geworden und ihre Gefallsucht ganz den Ton geändert. Das stolze Allegro, womit sie vordem alle Männer, die ihr gefielen, schon vornhinein versagend, aufgefordert, hatte sich in ein demüthiges Lied verwandelt, in ein Bettlerlied. Christinens unversehens aufgeschossene Liebe stand schüchtern, wie eine zu aller Demuth bereite Magd vor der Schwelle des Jünglings, den sie als Meister verehrte, und der Jüngling hörte nicht einmal ihr leises Klopfen, der Undankbare!

Dennoch war er der stillen Freundin zugethan, denn sie sorgte für ihn und ging mit ihm um, wie eine ältere Schwester mit ihrem jüngern Bruder. An der Stelle, wo die erste Grödnerin den Knaben fast hinsterben ließ an Hunger und Fieber, wurde der Jüngling wohl gepflegt, gütig angesprochen und behandelt, als gehörte er zu der Familie. Das that allerdings sehr wohl, just in diesem Hause, wo der Knabe gelitten, unaussprechlich wohl. Schon darum hielt Seraphin große Stücke auf 145 Christine, und wünschte einzig, der Grödner möchte einmal einsehen, wie er's zu machen, um den Frieden und das Glück in's Haus einzuführen, und darinnen festzuhalten, wie einst der Kapuziner ein Gespenst im Sack fing, und Idelstein's Nepomuk den Teufel im freien Feld.

Indessen verging aber die Zeit, und Seraphin's heimliche Sehnsucht, den Wachtmeister oder die liebsame Martina selbst aus Italien zurückkehren zu sehen, blieb getäuscht. Er fand sich einsamer, unbefriedigter, verdrossener als je.

Da traf es sich – die Ungarn hatten just in Preßburg ihre Säbel einmal zur rechten Zeit gezogen, und ihr neues Evangelium: »Moriamur pro rege nostro Maria Theresia!« war schon, auf gut deutsch übersetzt, die Donau heraufgeschwommen und bis in's Herz der Alpen gedrungen, als eine wahre gute Botschaft – die Burgeiser machten einen Feiertag deßwegen und wiederholten im Wirthshaus den Ungarnspruch, bis ihnen die Augen übergingen, und der Grödner hatte willig oder nicht willig die Einladung des Anwalds zu einem kleinen Abendtrunk im Herrenstübl annehmen müssen, – da traf es sich, daß am spätern Nachmittag die Frau Christine und Seraphin Plaschur zu Hause saßen, und hatten Karten gespielt, und waren des Spiels überdrüssig geworden. So sagte die Grödnerin zu dem Ladendiener: »Weißt was, Seraphin? Erzähl' mir 'was von Deinen Reisen. Du kannst alles so fein vorbringen; ich hör' Dir so viel gern zu!« –

Worauf der junge Mann: »Ich hab' der Frau schon nach der Schnur alles erzählt, weiß nichts neues mehr.«

Worauf die Grödnerin: »Was gilt's, Du hast noch gar viel im Vorrath? Von einem Kapitel hast Du auch nicht ein Wörtl angegeben.«

146 Worauf der junge Mann: »Was für ein Kapitel meint die Frau?«

»Ei nun, das von der Lieb' meine ich.« – »Davon kann ich einmal nichts derzählen. Meine Lieb' war in Imst, eine andre für mich nicht auf der Welt. So reist' ich ohne Lieb', wie ohne Roß. Und als ich heim kam, – siehe: war meine Lieb' indessen gestorben und begraben. – Die Frau weiß ja schon die Geschichte.«

»Ja wohl, ja wohl, Du guter, armer Seraphin. Es muß recht traurig seyn, zu verlieren, was man von Herzen gern hat.« – »Nun, das versteht sich. Geb' Gott, daß die Frau es nicht einmal erfahren muß. Aber reden wir von 'was anderm.«

»Meintwegen. Erzähl' mir denn von der Lieb' bei andern Leuten. Ihr Vogeltrager sollt – man hat mich so berichtet, weiß nicht, ist's wahr? – Ihr sollt hie und da in großen Städten gebraucht werden, um Briefl'n zu tragen und Bestellungen zu machen. Ist das wahr, und ist Dir nicht auch dergleichen passirt?«

»Ja freilich ist's wahr; und mir selber ist schon ein paarmal solch ein kleines G'schaftl vorgekommen. Hab's meistens ausgeschlagen; ein einzigmal hab' ich's nicht abschlagen mögen. 's war so ein blutjunger und höflicher Herr . . . . die Gutheit hat ihm aus den Augen herausgeschaut. Es war in Amsterdam. Er hat mich auf der Prinzengracht – wie sie's dort heißen – angetroffen, flugs angeredet und zwar deutsch, den schönsten Vogel, den ich trug, mir abgehandelt um einen raschonigen Preis, und mir ein ansehnlich Präsent noch obendrein versprochen, wenn ich einer Jungfer, die er mir bezeichnen würde, einen Gruß und ein paar geschriebne Worte von ihm bringen wollte. Er hat so wehmüthig 147 gebeten; es war ihm so viel viel Ernst; ich war dazumal auch noch ein Bräutigam und hätte gern die ganze junge Welt miteinander copulirt gesehen, mich vornedran mit selbigem Madl, das die Frau weiß . . . . kurz, ich hab' Ja gesagt, und bin in das Haus der Jungfrau hineingegangen ohne Furcht und Herzklopfer. Wir Tiroler haben im Reich und in aller Herren Länder das Privilegi, gradaus gehen, und wie uns der Schnabel gewachsen, reden zu dürfen. Die fremden Leute nehmen's nicht übel. noch mehr: sie glauben nicht, daß wir ächte Tiroler sind, reden wir nicht brav grob und dutzen wir sie nicht, und geh'n wir nicht gradzu ohne anzuklopfen. Nun, ländlich sittlich. Ich geh' also zu der Jungfer hinein. Die Frau kann sich nicht vorstellen, wie schön und prachtvoll es dort aussah. Der Vater von selbiger Person ist ein großes Thier bei der indianischen Kompagnia gewesen; sie heißen's dort Bewindhebber. Aber wahrlich ist ihr Reichthum nicht Wind und Blendwerk. Die Fußböden waren vom rarsten Holz und farbig eingelegt, die Fenster von Spiegelglas, die Fürhangln von purer schwerer Seide, und was überhaupt an unserm Hausrath Holz und Tuch ist, das war in selbigem Haus von Gold und Messing und Sammet: Herz, was begehrst Du? Du kriegst's. Mein junger Herr hat seinerseits von all' den Wundersachen nichts begehrt, als sein Diendl, die freilich etwa das Schönste im Haus gewesen ist; so weiß und rein, so sauber und freundlich hat sie hergeschaut, und Geschmuck an ihr gehabt für viele tausend Gulden, sollt' ich meinen. – Ich hab' meinen Auftrag ausgerichtet und das Briefl übergeben, wie mir geschafft war, und in meinem Leben vergeß' ich die Freud' nicht, die das arme liebe Mauserl gezeigt hat. Sie hat das Briefl gebußt und mir die Hand gedrückt, – ja, ja, die Hand, warum schaut die Frau so finster her? da die 148 rechte Hand ist's gewesen; – hat in einem Schachterl herumgesucht, und mir alsdann einen großen Granatstein verehrt. Weiß die Frau? so groß, wie ihn oft bei uns zu Land die Schützen als Flintenstein aufsitzen haben. Nun: ist, wie ich glaub', die Verehrung nicht gar stattlich gewesen, so hat sie mir sie doch mit ihren weißen Handln gegeben; noch mehr: sie hat auf meine Bitt' den Stein auf meiner Mutter Halsbatzl geheftet, und ich hab' ihn also noch als ein Andenken. Gott geb's, daß die beiden Leutln zusammengekommen sind. Glücklich werden sie schon geworden seyn, und ich gönn's ihnen, wenn ich's auch selber nicht bin.« –

»Ich hätt' Dir 'was bessres gegeben zum Postertrinkgeld, als den einfältigen Granat;« sagte die Grödnerin mit einem scharfen Blick. – »So? was denn?« fragte Seraphin.

Die Grödnerin sagte schelmisch: »Los'; ich will Dir auch eine Geschichte erzählen. Es ist einmal eine Königin gewesen, die gar schön von Gesicht und Gestalt war, und keine Eltern mehr hatte. Sind die Herren von ihrem Hofstaat gekommen: der Pfleger und der Anwald und alle Dorfmeister, und haben ihr zugeredet, sie möchte doch heirathen, und sie wüßten einen raren Prinzen, der sie zur Ehe verlangte. Meintwegen, hat die Königin gesagt, und – wie's bei vornehmen Majestäten Schick und Brauch ist, hat's nicht lang angestanden, so ist ein Kurier gekommen, und hat der Königin das Bildniß von selbigem Prinzen gebracht, und gefragt, ob's was mit der Hochzeit werden sollt' oder nicht. Da hat die Königin sich nicht lang besonnen und zur Antwort gegeben: »Mit der Hochzeit ist's nichts, und ist doch wieder etwas; denn der Kurier gefallt mir besser als der Prinz, darum laß' ich den Prinzen bei Seiten, und heirathe den Kurier. Es ist auch also geschehen.«

149 »Gut für den Kurier;« lächelte Seraphin, da er eine Weile vergebens auf eine Fortsetzung der Geschichte gewartet hatte: »was kommt aber weiter?« – »Nichts, als daß die Leutln wohl recht fein mit einander gewesen und selig gestorben sind;« erwiederte die Grödnerin, und sah ihren Zuhörer abermals mit spitzigem Blick an.

»Amen; aber was will denn die Frau eigentlich mit der Historie?« fragte Seraphin befremdet. – »Ich will damit nur sagen, daß mir, am Platz der holländischen Jungfer, der Briefbesteller lieber gewesen wäre, als der junge Herr. Weißt Du's nun?« – »Ich?« – »Du.« – »Die Frau sagt's im Spott.« – »Nein, 's ist mein Ernst.« – »Wo denkt die Frau hin? ein armer Vogeltrager und ein reicher junger Herr . . . .« – »Seraphin, Du Patscher: wer Augen im Kopf hat, wie Du, und so ein lieb's G'sichtl und Gemüth, der ist reicher als ein goldner Stadtherr.«

Jetzt ging dem ehrlichen Seraphin ein Licht auf, und zur Fakel wurde es, da ihn die Grödnerin auf einmal bei der Hand erwischte, und ihm sagte: »Schau nicht so traurig her; ich kann nichts dafür; ich hab' Dich halt so viel gern!«

Seraphin sprang in die Höhe; nicht allein aus Schrecken vor der Leidenschaft, die ihm so plötzlich ihre Maschera in's Gesicht warf, sondern im Schrecken vor sich selber, denn er wußte nicht wie ihm geschah, berührt von Christinens weicher Hand, angeblitzt von ihren ausdrucksvollen Augen. Die Gefahr ahnend, die gählings wie eine Schlange mit aufgesperrtem Rachen vor ihm in die Höhe stieg, verstand er sich nicht anders zu helfen, als indem er grob wurde, und zwar um so gröber, je weniger er sich selbst in dem verführerischen Handel zutraute. –

»Wär' mir nichts lieber! da müßt' ich schon bitten!« stotterte er wild heraus, seine Schwäche in die 150 Löwenhaut vermummend: »ist die Frau bei Kopf? hat da einen Mann, den besten auf der Welt, und der Mann ist mein zweiter Vater, und Sie schämt sich nicht, und ich soll mich auch nicht schämen, und . . .? ich mag's gar nicht ansprechen! Steckt hinter Ihrer Gutheit denn der leidige Satanas? weiß Sie denn nicht, daß unser Herrgott da von der Mauer auf Ihre Praktiken herunterschaut? Wenn er schon von Holz ist, so müßt' er seine Augen verkehren, wenn ich mir einfallen lassen könnte . . . .! ich dank', Frau . . . ich dank' . . . aber bewahr' mich Gott vor der Sünde!«

Aengstlich hatte ihm anfangs die Frau zugewinkt, daß er schweigen möchte! aber die Eitelkeit überwog bald bei ihr die Angst. Es schien ihr unerträglich, von dem jungen Mann verschmäht zu werden; darum entgegnete sie bissig, bei der ersten Pause, die er machte: »'s ist schon recht, 's ist schon gut. Ich bitt' Dich, keuscher Joseph, sey still. Das ist mir einmal in der Welt passirt; es soll mir eine Warnung seyn; ich werd' gewiß nimmermehr mein gutes Herz einem Ruechen von Mannsbild aufthun; gewiß nicht mehr.« –

»Das wird grad recht seyn;« entbot ihr Seraphin, noch immer wild, weil feig, und auf sichern Rückzug denkend: »das kann Ihr schon eine Warnung seyn, . . . und wenn ich der keusche Joseph bin . . . nun, so ist's erst nicht so übel, und besser ist's, man laßt den Mantel im Stich, als die arme Seele . . . und . . . wo ist denn mein Hut . . .? ja, wo find' ich meinen Hut? Wir dürfen einmal nicht mehr beieinander seyn im Dunkeln und so ganz allein.«

Der armer Schelm suchte seinen Hut vergebens, obgleich derselbe vor ihm auf der Bank lag, oder am Nagel hing. Es war dunkel zwar, doch nicht stockfinster, und Seraphins Auge gewöhnlich falkenhell. Dießmal 151 hatte ihm's indessen die Hexe angethan; er schoß umher, ein stürmischer Vogel im engen Käfich, und überall leider, in jedem Winkel sah er leuchtend aus der Dämmerung der Grödnerin verliebtes Gesicht, ihren runden Nacken, – kurz alles, was ihm an ihr auf einmal so unbändig wohl gefiel, daß er vor Angst außer sich kam. – Die Grödnerin ihrerseits sah auch nur ihre Schmach vor Augen, und weil die Dämmerung ihre Schamröthe verbarg, traute sie sich, ihren Verdruß recht herauszusagen: »Stell' Dich an, wie Du willst, wirst mich doch nicht glauben machen, daß Du ein Stück Holz seyst. Aber ich weiß schon: ich gefall' Dir nicht; kannst mich nicht gern haben: bin schon zu alt für Dich. Wär' ich ein Fratz von sechzehn Jahren, sollte mir die Schande nicht begegnet seyn!«

Worauf Seraphin mit einem Eifer, der einen unbetheiligten Zuhörer in das ausgelassenste Gelächter versetzt haben würde: Ach mein, Plitschles-pletschles! das weiß die Frau besser; das sagt sie grad' nur mit Fleiß. Wär' Sie schiech wie die alte Grödnerin, so thät' ich mich vor ihr schrecken wie vor einem grauslichen Beißwurm, oder ich thät' ihr unter die Nase lachen . . . . aber eben weil Sie sauber ist, sollt' Sie einen ehrlichen Kerl nicht in Angst setzen, und ihm ein Aergerniß geben. Und es hilft doch nichts, gar nichts; ich lauf' eher davon. Ich wollte, Sie wäre so recht von Herzen schön, wie es von unsrer Landesfürstin heißt; ich wollte, Sie wäre die Schönste auf der Welt, daß ich recht beweisen könnte, wie so viel Ernst mir's ist mit dem, was ich sage. Und wär' die Frau unsre Königin selber, ich könnte halt' nicht anders; denn ich hab' nur einen Gott und eine Lieb', denen bin ich treu, und will mein Gewissen nicht beschweren. Heb' Sie das ihrige fein auf; es ist Ihr schier in die Schuhe gefallen, und geh' 152 die Frau in sich! – Ha, da find' ich mein Hütl. Nichts für ungut, Frau, und leb' Sie wohl. Ich hätte nicht gedacht, daß mich einmal die Lieb' aus diesem Hause werfen würde; aber so man lang lebt, so man alt wird, und täglich lernt man neues. B'hüt Gott die Frau!« – Seraphin schoß wie ein Pfeil aus der Stube, auf die Gasse. Die Grödnerin wollte ihm nachschreien: er war über alle Berge. –

Ein Glück, daß der Krämer mit einem kleinen Stieber heimkam. So bemerkte er nicht die rothgeweinten Augen seines Weibes. – »Wo ist Seraphin?« fragte er. – »Ich weiß nicht,« lautete die kleinmüthige Antwort. – Der Grödner suchte seinen Diener auf dessen Kammer; alles still und leer. »Was gilt's, der Bub' thaut auf, und fensterlt irgendwo?« – »Ich weiß nicht,« hieß es wieder. – »Ich weiß aber, daß Du heute erschrecklich langweilig bist, Christine.« – »Es wird schon seyn.«

Die Frau sagte dieses mit der Demuth eines bösen, aber empfindlich gewarnten Gewissens. Sie hatte es, nach Seraphins Wunsch, wieder aus dem Sande aufgefischt, und alsbald sich das Versprechen geleistet, zu ihrem Nutzen zu verwenden, was Seraphin in seiner Erbitterung ihr dick und dünne herausgesagt. »Das soll mir nicht noch einmal passiren!« gelobte sie sich im vollsten Ernst. »Der grobe kalte Schroll!« schimpfte die Eitelkeit. – »Und doch möcht' ich keinen andern!« setzte das bessre Gefühl hinzu.

Seraphin kam am folgenden Tage nicht mehr zum Vorschein. Wohin er gekommen? niemand bis auf Einen wußte davon Bescheid zu geben, und der Eine war stumm wie das Grab. »Ist der Mensch fortgelaufen als ein Narr?« fragte der Grödner. – Christine schnaufte nicht ein Silbchen. Noch einige Tage 153 flossen hin, – keine Nachricht. Der Winter, der überraschend frühe und verheerend einbrach, beschäftigte bald alle Leute, und Seraphin wurde, wie es zum wenigsten schien, von ihnen vergessen. Von der Grödnerin ist mit Ehren zu melden, daß sie in der That des jungen Bußpredigers Ermahnungen sich zu Herzen nahm, aus lauter Verdruß ihren Mann zu lieben anfing, und daß sich dabei Handel, Acker, Haus und Wiege wohlbefanden. 154


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