Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Siebentes Kapitel.

»Was Dir geheim ist, verrath es nicht;
»Was Du gelitten, o klag es nicht;
»Was Dir das Herz schwellt, o sag es nicht;
»Freud' kommt aus Leiden, o zweifle nicht;
»Gott ist Dir nah, o verzage nicht.«
Hausspruch.    

Strenge Herren regieren nicht lang. Davon konnte derjenige vorwitzige Winter, Anno Einundvierzig, zur Genüge erzählen. Ach, wie wurden ihm Haube und Pelz ausgeklopft. Ach, wie schien ihn noch die Spätherbstsonne durch und durch, daß er elender zusammenging als ein Butterballen an der Hundstagshitze! Der schadenfrohe Baumwollenkrämer hatte gar zu frühzeitig die Messe bezogen; sie wurde ihm schmählich verdorben. Nach acht bis zehn Tagen – wie war der ungeheure Schneevorrath geschmolzen! Vergebens hatte der wildschieche Eispandur alle Straßen verlegt, alle Verbindungen unterbrochen. Er mußte in den Bergen der vereinten Menschenkraft weichen; in der Ebene that es schon das Tagsgestirn allein: das Gestirn der muthigen Maria Theresia, die zur selben Zeit begann, mit siegreichen Adlern zu fliegen.

Die Pässe wurden frei und es dauerte lange, bis der gedemüthigte Winter es wagte, sie auf's neue unbrauchbar zu machen. Durch's Pusterthal, über den Brenner, durch die Schlünde von Ampezzo, von den rauhen Pfaden des Monte Braulio ergossen sich noch einmal zahlreiche Wandererschaaren und eine Menge von Rossen und Maulthieren in das Land. Auch der Forno fand wieder seine Hin- und Hergänger, 179 und der erste derselben, der nach Taufers kam, erzählte schon von dem Türken Lenhard Plaschur aus Engadin, der, früher ein Lump, in Constantinopel als Kaffeewirth und Opiumkrämer guten Verdienst gehabt, auch in den Fundamenten seiner Backstube – jeder Bündner ist ein geborner Zuckerbäcker, wie die Leute glauben – einen Topf voll alten griechischen Kaisergelds gefunden. Mit diesem Schatz hab' er sich aufgemacht, um seine daheimgelassene Familie zu Ehren zu bringen aus dem Elend. Jedoch sich fürchtend vor der Landreise, die den Reichen nicht geheuer, sey er zu Schiff nach Smyrna gegangen, und von dort ebenfalls per via di mare nach Italien und zwar nach Genua. Die Alpen habe er sodann zwar erklettert und die Nähe seiner Familienheimath erreicht; aber nur, um, wie Moses, im Angesicht des gelobten Landes zu sterben. Und auf dem Forno sey ihm der Sohn begegnet, der einzige, der geliebte, geschickt von Gott, dem Alten das sterbende Herz zu erleichtern und die müden Augen zu schließen, sanft wie die Liebe es thut. Eine Freude für beide, weil denn doch des Vaters Loos unwiderruflich bestimmt gewesen. Der Sohn werde die geliebte Leiche in Burgeis begraben lassen, auf diese Weise die getrennten Gatten zum zweitenmale und auf ewig vereinen. Mit dem Gelde habe es seine Richtigkeit, und der Sohn trage mehrere tausend Gulden in Wiener Wechseln als Erbe davon. –

Die Neuigkeit galoppirte athemlos, um ja nichts zu versäumen, die Galfa hernieder, setzte sich in Laatsch ab, erreichte in derselben Stunde Glurns und Mals, und als die Malser noch am nämlichen Tage die Geschichte brühheiß nach Burgeis verkaufen wollten, war sie dort schon etwas altes, seit zwei Stunden kursirend und in Aller Munde.

Wiener Wechsel! welch ein Zauber in dem Wort. So viele ihrer seyn mochten, ein jeder war ein ächter Adelsbrief, dem Herzen Seraphin's huldreichst ertheilt von 180 Volkes Gnaden. Die ihn beargwohnt, hatten im Stillen fest auf ihn gehalten; die ihn bemakelt, waren leider schlecht unterrichtet gewesen; die ihn gelästert, hatten Scherz getrieben. Der ungetreue Knecht war plötzlich ein männliches Seitenstück zur heiligen Nothburga geworden; die arme selige Crescenz eine beneidenswerthe Mutter. Sogar der Vater Lenhard fing an, glimpflich wegzukommen: »Er hatte Unglück gehabt, der wackre Mann, hat alles wieder gut gemacht, und ist dem edeln Werk erlegen, nachdem er es vollbracht.« Diese Leichenrede wurde ihm bei der Begräbnißfeier, wobei sich Köpfe drängten, tausend an tausend. Sie vertranken ihren Todten mit Saus und Braus. Sie weinten sehr, und deuteten auf den in wahren tiefen Gram versunknen Sohn, und flüsterten unter einander: »Seht Ihr, wie seine Juppen bauscht? dort steckt die Brieftasche mit den Wiener Wechseln!«

Willkommenere Leute, als diese Geldverehrer, diese Scheinfreunde, die den Mantel hängen, wie man just will, als diese bittersüßlächelnden Neider, die daheim unwillig das Maul zogen, während sie vor dem Volke Seraphin's Glück priesen, – viel willkommenere waren dem jungen Mann diejenigen, die ihm in der That stets treu geblieben waren: der Grödner und Oswald, welcher letztere sich von Chur in ziemlich übler Laune wieder eingefunden hatte, da alle seine Hoffnungen dort zu Wasser geworden. Sich bei dem Krämer wegen seines seltsamen Ausreißens zu entschuldigen, fiel dem Sohne Lenhards nicht schwer. Damals glaubten die Leute noch an plötzliche vom Himmel gekommene Eingebungen, an Fingerzeige des Schutzengels, an bedeutsame Träume, und einer solchen überirdischen Mahnung schrieb Seraphin, um seine stille Freundin Christine zu schonen, seine überraschende Entfernung zu, die ihn geradeaus in des seligen Vaters Arme geführt. Wer weiß auch, ob die Nothlüge nicht im Grunde eine sehr ernsthafte Wahrheit sagte? – Die verzeihliche Neugierde 181 seiner beiden Hauptfreunde befriedigte Seraphin eben auch leicht; denn die Männer waren bescheiden und wußten sehr wohl die Verschwiegenheit des Sohnes zu schätzen, womit er die Zusammenkunft mit Lenhard und dessen letzten Stunden umgab. War doch in den ungewöhnlichen Verhältnissen auf dem Forno der Sohn eigentlich der Beichtvater seines Erzeugers gewesen, und was dieser aus seinem verwundeten, reuigen, nach Hoffnung und Vergebung ringenden Herzen in das des Sohnes niedergelegt, war und blieb billig ein Geheimniß. – Am unschwierigsten wurde dem milden Seraphin, seines Seelenbruders Oswald Unzufriedenheit zu beschwichtigen. »Mach' keinen MutschEinen Mutsch machen: ein verdrießliches Gesicht machen; die Unterlippe hängen lassen. mehr!« sagte er treuherzig zu seinem Walt: »lache das falsche Schweizerglück aus, gib ihm einen Nasenspicker; denn fortan soll wahr seyn, was ich immerdar gewünscht: wir wollen nicht mehr von einander gehen. Was mein, ist Dein, bis Du auf eignen Füßen stehen kannst. Wir sind lang genug in der Welt auf- und abgezogen. Eine feste Heimath wird uns wohl thun, und eine solche wollen wir aufzusuchen gehen. Zuvörderst ruft mich meine Schuldigkeit zu meinem wackern Meister Tammerl. Der Grödner sagt mir, daß meine Aspekten dort ziemlich gut stehen. Anich hat als braver Bursch gehandelt, und der Gouverneur von Surinam als ein Ehrenmann. Wäre jedoch, was er zu meinen Gunsten den gefräßigen Kanzleien abgepreßt, nicht hinreichend gewesen, Tammerls Verlust zu decken, so muß ich jetzo, da ich's kann, drauflegen, was da fehlt. Das ist meine erste Sorge, nachdem ich des lieben Vaters kleine Schulden im Land abgetragen habe. Begleite mich; 's ist Winter, Dein Handwerk feiert, und Deine Anwesenheit bei mir wird mir noch einmal so lieb kommen, als sonst, weil zu Imst manch' schwarzer Kummer mich erwartet. Ach, Walt! ich hab' halt immer noch selbiges Madl, die Martina, nicht vergessen!« – »Wenn's mir doch gerade so mit selbiger Veverl geht?« brummte Walt entgegen: »'s ist keine Red'; ich geh' mit Dir, wär's 182 an das End' der Welt. Mir kommt's auch auf einen Umweg und Abstecher nicht an. Bin ich doch von Augsburg über München nach der Scharnitz gegangen! Das ist mir alleins. Aber . . . . wenn ich halt die gewisse Veverl wieder sehen sollte . . . . ich steh' nicht für mich gut; daß Du's weißt! Entweder werd' ich mit ihr schiech seyn zum Erschrecken, . . . . oder aus mir wird noch einmal ein Haspel, ein Gispel, ein Patscher.« – »Sey ruhig, Walt. Steht mir nicht ebenfalls bevor, meine falsche Martina wiederzusehen? und zwar neben dem Sprenger, wenn sie ihn etwa schon freigelassen haben? Daß Gott erbarm! ich wüßte kein Messer, das schärfer durch's Herz geht. Aber – Schuldigkeit ist Schuldigkeit. Ich muß den Meister sehen, ich muß ihn heimsuchen, es gehe wie ihm wolle. Also, Walt, bleibt's dabei?« – »Nun, das versteht sich doch;« brummte wieder der Kamerad: »aber 's wird hart seyn, wenn mir die Veverl als Jungfer begegnet, und noch härter, wenn sie schon einen Mann hat, wie's leicht seyn kann.«

Der Grödner, der schon vor ein paar Tagen eine Depesche nach Imst gesandt, welche die riesenmäßigsten und fabelhaftesten Schriftzüge, die er je zu Papier gebracht, aufzuweisen hatte, schnaufte kein Wörtl zu den Projekten des Seraphin; im allgemeinen dessen Vorhaben, einen Theil seines unverhofften Erbes bei Tammerl im Vogelhandel zu verwerthen, seinen Beifall gebend. »Das wird Schwung kriegen!« sagte er; »und von Dir ist's recht, den Tammerl in Ehren zu halten, wenn er Dir auch mit der Tochter nicht das Wort hielt. Denn es ist der Menschen Urtheil irrig, und unsre Augen sind lebendiger für 's Böse, als für 's Gute. Wer hätte noch vor einem Monat gedacht, daß ich mit der Meinigen ganz ein Herz und eine Seele werden würde? Doch ist's so, und zusehends gedeiht mein Hauswesen. Darum alles mit Gott. Basta, sag' ich.« – Der Auszug Seraphin's aus dem Dorfe Burgeis war 183 frohmüthiger, als sein Einzug im Gefolge der Leiche seines Vaters. Ohne daß er wußte, wie es zuging und warum, war seine Brust jetzo so frei, so hoffnungsvoll, als sie ihn schwer gedrückt, da er zum Forno anstieg. – Der Grödner, der Pfarrer, der Anwald gaben den Freunden das Geleit bis Nauders. – Und überall auf ihrem fernern Wege war bereits die Wendung, die Seraphin's Geschick genommen, bekannt, und in Landeck begegneten ihnen sogar Leute, die zu der Landschützenschaar unter'm Jäger-Liebl gehört hatten, und die nun freundlich oder respektvoll demjenigen zuwinkten, den sie unlängst aus ihrer Mitte gestoßen, weil sie ihn für einen Schelm gehalten. – Es war wieder um die nämliche Stunde, da vor manchen Jahren der Knabe Seraphin den Markt Imst zum erstenmale betreten, als sie den Ort erreichten, die beiden Freunde. Ihr Wägelein wurde beim »Kitz« eingestellt, und nicht einen Augenblick wollte Seraphin versäumen. Alsobald ging er, Tammerls Haus aufzusuchen. Walt ging mit; an der Hausthüre sagte er jedoch: »Weißt? dort oben wird vielerlei geredet werden, wobei ein Dritter vom Uebel wäre. Besser, ich erwarte Dich hier. Da steht eine Bank, die Sonne scheint wie um Peterlangetz, das Pfeifl hab' ich im Sack, ich werde keine Langeweile haben. Mach' Du beinebst fein geschwind, rehr' nicht viel bei'm Wiedersehen und laß' Dich brav um Verzeihung bitten. Die Leute haben's an Dir verdient.« –

Seraphin stieg die Treppe hinan. Oswald that, wie er gesagt. Er stopfte seine Pfeife, lehnte das Haupt bequem an, streckte die Füße von sich, verschränkte die Arme und dampfte wohlgemuth in den blauen Tag hinein. Seine halbgeschlossenen Augen schielten indessen, sobald ein Stöcklschuh über die Gasse klapperte, rechts und links, und unbeweglich dachte er nur einen und denselben Gedanken: »Ich bin doch neugierig, ob mir 184 das falsche Madl denn gar nicht zu Gesicht kommen wird?« – Die Zeit verstrich; Männer und Weiber gingen an dem Maler vorüber, aber keine Spur von der Veverl. – »'s ist am End' doch erlogen gewesen, daß der Idelstein sie nicht genommen!« sagte Walt in sich hinein: »wenn sie nicht auswärts wäre, im Pusterthal oder Gott weiß wo? wie ging' es zu, daß heut, in dem bildsaubern Sonnenschein, das Quecksilber nicht über die Straße tanzt? Ich hätte schier Lust, am rothen Adler vorbeizugehen, und in's Fenster zu schauen.« – Noch unentschlossen zuckte er doch schon mit dem rechten Fuß, um sich vom Sitz zu erheben, . . . da hört er einen bekannten Laut, ein Kichern, ein helles Lachen. »Hoi, da ist sie!« sagt er und dreht den Kopf nur ein wenig, und sieht die Genovefa wahrhaftig in Lebensgröße, rund, wie ehedem, fröhlich und patzig, wie sonst, ohne Weiberhaube mit blanken Zöpfen, und in denselben nicht ein graues Härchen, der Sorge Lieblingszwiebelgewächs. »Schau, schau!« murmelt er: »glatt wie ein Aal, feist zum anbeißen! ein Teufelsmadl, das!«

Sie kam recht g'schnappig daher, einen Korb am Arm, ratschte mit einer Nachbarin, hielt einen kurzen Landtag vor der Thüre der letztern, trippelte nach ihrer Weise ungeduldig mit den Füßen, ging dann ihres Wegs weiter, hatte den Maler nicht einmal bemerkt. Obschon Oswald sein abschreckendes Gesicht vorgenommen, um ihr recht empfindlich, wenn auch stumm, den Hohn und die Verachtung ihres ehemaligen Bräutigams spüren zu lassen, – so nahm er's etwas übel auf, daß sie ihn nicht beachtet. »Kann seyn, daß sie wiederkommt!« dachte, wünschte er alsdann.

Richtig. Oben bei Tammerl wurde eben von verschiedenen Stimmen etwas laut geredet; – Oswald hatte nicht Muße, darauf zu horchen – als Genovefa wieder die Gasse herantänzelte. Neugieriger als Oswald, 185 – denn jedes Geplauder gehörte in ihren Sprengel – warf des Adlerwirths Tochter ihren Blick auf Tammerls Fenster; sie lauschte ein wenig, den Schritt hemmend, und natürlich dauerte es nicht lang, so fiel ihr Aug' auf das verlegen-spöttisch-trotzig-sirige Antlitz neben der Hausthüre. Sie fuhr zusammen, sie öffnete den Mund, erstickte jedoch klüglich den Schrei der Verwunderung! indessen aber schlugen helle Flammen aus ihrem Gesicht. Sie zu verbergen, suchte sie in ihrem Korb nach dem Schnupftüchl, fand es nicht, weil es nicht darinnen, statt dessen verlor sie die Semmeln, die sie geholt, aus dem Unglückskorbe, und das Gebäck hüpfte weit in die Runde auf den Steinen umher. Sie bückte sich, zum Tode beschämt, und das Schürzenbandl riß; sie kniete, um die gefallne Schürze und eins der Brode zu erwischen; zum größern Jammer sprang ihr die Schnalle vom rechten Schuh. – Und immer höher lächelte des Malers Koboldgesicht, und der ungeschliffene Mensch rührte sich nicht aus seiner bequemen Stellung. Kein Mensch war gerade um die Wege, einen verzwickten Gassenbuben ausgenommen, der zwar lächelnd eine Semmel aufhob, sich aber damit diebisch durchmachte.

»O Du liebe Frau!« seufzte mit Thränen des Zorns in den Augen die unaussprechlich gedemüthigte Veverl, ließ Korb und Semmeln liegen, wo es ihnen beliebte, nahm in die eine Hand die ungetreue Schürze, in die andre den meineidigen Schuh, schimpfte auf den boshaftträgen Oswald hinüber: »Thut ihm das wohl oder nicht, dem znichten Maulaffen, dem schiechen, dem garstigen?« und verließ stolpernd und hinkend, weil ein Fuß auf hohem Stöckl und der andre im Strumpf, den unseligen Wahlplatz. –

Nun stand Oswald auf, sammelte das Brod in den Korb und ging der Fliehenden nach. Sie sah ihn folgen, lief um so geschwinder, sprang hexenflink in ihr 186 Haus, warf die Thüre hinter sich zu. Doch war das Fenster geöffnet, und durch dasselbe in Veverls Arbeitsstube schleuderte mit dorfmäßiger Galanterie der Maler seine Bürde. Gleichsam als Antwort auf die Gabe, flog die zerbrochene Schnalle von Veverls Schuh auf die Straße. Oswald hob sie auf, betrachtete sie, steckte sie in's Brusttuch, und kehrte, nach einem scharfen Blick in's Fenster, wieder um. – »Schau! er hat sie eingesteckt!« lispelte hastig die hinter'm rothen Vorhang Lauschende: »das ist doch gar aus! der Ruech ist doch etwa nicht so z'nicht, wie er herschaut?«

Es war ein Mirakel von Schnelligkeit, wie Genovefa in ihre Pantoffeln fuhr, und auf einmal wieder vor Tammerls Haus erschien, wo Oswald wiederum saß, wie früher. Veverl suchte in der Runde auf dem Boden; sie kam in Oswald's Nähe.

»'s fehlt mir eine Semmel;« sagte sie unbefangen, aber nur mit halb aufgeschlagnem Blick. – »Sie hat dem Buben gut geschmeckt;« antwortete phlegmatisch der Maler. – »Ah? . . . . ich muß mich . . . . bei Ihm . . . . bei Dir schön bedanken?« murmelte das Mädchen.– »Es hat seyn können;« brummte Oswald. – »B'hüt Dich also Gott!« Veverl sah ihn von der Seite halb zärtlich an. – »Laß Dir Zeit,« erwiderte Oswald und lächelte. – Sie ging davon, langsam, Schritt vor Schritt. Er schaute ihr nach, zuerst wenig, dann länger, dann in einem fort. Sie drehte den Kopf hin und her, um sich von seiner Aufmerksamkeit zu überzeugen. An der Ecke nickte sie ihm zu. Er gab den Gruß zurück. Dennoch hatte der Bösewicht eine Minute darnach die Stirn, seinem Freund, der herunter kam, zu sagen: »Hätt'st dabei seyn sollen! hab' ich die Veverl traktirt! Ja, so 'ne Schand' und Spott hat sie noch gar nicht ausgestanden! Ja, ich kann's, wenn mich eine beleidigt, Sapperment!« 187 – Seraphin, der sehr heiter aussah, ging nicht auf des Freundes Prahlereien ein.

»Alles ist gut und glücklich abgelaufen! sagte er fröhlich: »Ja, Walt, meine Ehrlichkeit ist sonnenklar, Gott sey Dank. Der Meister, sein Weib haben mich mit vielen Zähren um Verzeihung gebeten; sogar die Nahndel war nicht gar zu bös. Und stell' Dir vor . . . . wen hab' ich gefunden? Ja, das ist ein Tag voll Glück und Stern! Der Egidi ist da . . . .! Der Gouverneur hat ihn aus dem Raspelhaus gebeten; da ist er, frei und gesund, wenn auch müd und mager, und rehrt wie ein Narr, kann sich gar nicht fassen. Sie haben ihn droben behalten müssen; er wär vor Weinen über die Stiege gefallen . . . . weißt? sein Unglück, und daß er mich wieder hat, und die Nachricht vom Vater . . . . weißt? es ist ihm nicht zu verargen. Er hat ein schönes Stück Geld mitgebracht, das mir der gnädige Herr noch extra zu all' seinen Gutthaten verehrt hat. Walt! ich werd' bald seyn, wie der reiche Mann im Evangelium!« – »Brav, brav, drum laß uns gehen, des Holländers Gesundheit zu trinken. Mir klebt die Zunge im Munde fest . . . . es beißt mich in allen Gliedern . . . . das Veverl . . . .! ich muß eins trinken, das ist schon nicht anders. Mein Herz, . . . . ich weiß nicht, wie 's mir ankommt, aber seit ich dasjenige Madl wiedergesehen habe, macht mein Herz einen HupfaufDas Herz macht mir einen Hupfauf: Das Herz schlägt hoch vor Freude. nach dem andern.« – »Ei so geh, so geh, wohin Du willst. Ich wart auf den Meister; er wird gleich herunterkommen; er zieht sich gerade einen andern Rock an; will mich zur Tante Lenerl bringen. Du! bei der muß ich mich bedanken! Sie allein hat's immerdar mit mir gut gemeint. – »I, wo ist sie denn, die Lenerl?« – »In Sprenger's . . . . in Martina's Hause;« antwortete Seraphin verdüstert: »sie muß dort nach den Rechten schauen, so lang die Martina nicht daheim. Und Gottlob, Gottlob, diese ist noch im Welschland, und der Wachtmeister in Innsbruck wegen seines 188 Abschieds. Gottlob, Gottlob! das hält mir den Kopf sauber, die Brust leicht; denn . . . hätt' ich sie wieder hier getroffen, ich weiß nicht . . .! und hätte mir der Dominik von ihr erzählt . . . ich weiß wieder nicht! Die dort oben schweigen wenigstens von ihr mit langen Gesichtern, daß Gott erbarm! nur der Meister hat von ihr geredet.«

Eben schlenderte der Postjunge daher und ging zu Tammerl hinauf. »Da bringt er vielleicht einen Brief von ihr, oder von dem Alten!« bemerkte Seraphin unruhig: »doch . . . ich will ja nicht mehr daran denken!« setzte er heftig hinzu, und lief ein paarmal vor dem Hause auf und ab. – Indessen kratzte sich Oswald am Rücken, zog die Hosen in die Höhe, schaute hin, schaute her, räusperte sich, und auf einmal schob er sich, wie ein Fuchs thut. Seraphin bemerkte diese kleine Falschheit und rief: »Oho! wohin, wohinaus?« – Immer schneller davonrudernd, rief Oswald gleichsam voll Schaam über die Achsel zurück: »Ein Seitl im rothen Adler! Er ist am nächsten bei der Hand. Will Dich dort erwarten« –

Obschon den Seraphin wieder einmal die bitterste Erinnerung plagte, konnte er sich doch nicht enthalten, nachdem er einen Augenblick sich verwundert, dem Freunde in den Nacken zu lachen. »Ach, mein Walt, mein Walt!« rief er ihm nach: »ist der Vogel schon wieder gefangen? schon wieder so bald? Ei, das sollte mir nicht passiren, mir nicht.«

»Was nicht passiren?« fragte Tammerl, ganz erhitzt neben Seraphin erscheinend: »freilich weiß man nicht, was Einem passiren kann . . . .! 's schaut mancher gut her, und ist doch nicht g'salzen, nicht g'schmalzen. Mancher ist so fastenblöd und durchsichtig, so recht zum Kren reibenEr ist just recht zum Kren reiben: er ist von gar schwächlicher Natur (Kren: Meerrettig)., und dauert doch aus wie ein Gesunder. Komm, Seraphin, freu'n wir uns, daß wir leben; wer lebt, kann noch gut wegkommen. Die Todten – requiescant! Gib mir Deine Hand, Du rarer Kerl. Gib her!« –

Seraphin that's mit Freuden, wenn er auch mit nicht 189 wenigem Befremden gewahrte, wie so seltsam die Röthe in des Vogelhändlers Antlitz auf- und niederwallte, aufblitzte und wieder verging. Den Hut hatte er aufgestülpt, wie der blaue Montag. Seine Weste hing nur zur Hälfte in den Knöpfen; er hatte die Zwinge seines Stocks angefaßt, und focht mit dem Knopfe in der Luft herum. Rasch durch die Gasse eilend, schwänzelte er ungebührlich mit den Rockschößen, pfiff bald, bald sang er, bald redete er abgerissene Worte in seinen Bart, bald sagte er sie zu Seraphin, der nicht wußte, was er zu antworten. Die an ihnen Vorübergehenden betrachteten sehr erstaunt, was der gute Tammerl trieb. »Ein Räuschl oder nicht bei Kopf?« fragten sie einander mit Worten und Zeichen.

Tammerl fragte nicht darnach. – Da stand er vor dem Sprengerhause, zog die Glocke und schob den Seraphin in die Thüre. »Nicht wahr, ein schönes Haus?« sagte er wohlvergnügt: »ein Edelsitz fürwahr. Wenn Imst eine Stadt geblieben wäre und folglich des Landes Hauptstadt, es hätte viele solche Gebäude aufzuweisen. Die Sprugger sollten die Augen aufreißen, die hoffärtigen Windmacher, und auch die Ausländer sollten's, die nichtsnutzigen Schwaben! Doch will ich weder meinen Bruder Joseph noch Deinen Gouverneur gemeint haben! Da – siehst Du die Tante? Lenerl, da bring' ich den Deserteur! Wie? was? he?«

Als hätten sie 's verabredet gehabt, blieben sie nicht einander steif gegenüber stehen. Seraphin vergaß seine Schüchternheit, Lenerl die Würdigkeit der Jungfer. Sie fielen sich geradezu in die Arme, und beide weinten hell auf; beide weinten über dem Abgrund, der ihre liebste Hoffnung verschlungen. Seraphin wußte in seiner Verwirrung nicht, was ihn die Tante fragte. Wie hätt' er wissen sollen, was er antwortete? Aber auf einmal wurde ihm ganz drehend, er wankte an der freundlichen Hand der Tante und starrte in's Zimmer hinaus, als sähe er einen 190 Geist, und dennoch war's ein gutgesinntes Wesen voll von Blut und Leben, das sich ihm näherte, widerstrebend und sehnsüchtig zugleich, geleitet von Tammerl, und zögernd vor Schaam. Und Seraphin seufzte ergriffen und erschöpft: »Ach Tante, ach Meister! warum thut Ihr mir doch so weh! Entweder ist sie's nicht, und ich muß den Betrug verwünschen, oder es ist wahrhaftig und leibhaftig die Martina, und wie kann's dann möglich seyn, daß mir nicht das Herz mitten entzwei springt?«

Wohl war's Martina selbst, und leider Gottes schöner als je, weil nichts auf Erden reizender als die weiße Lilie, die, vom Rosenschein des Abendroths verklärt, das gebeugte Haupt erhebt: der Schmerz im Putz unvorhergesehener Freude. Der Schmuck stand der geprüften Martina gut; nicht minder dem Seraphin das Kleid seiner Trauer ohne Haß. – Lange schon hatte die Tante, von einem Wink des Schwagers aufgefordert, mit Tammerl gleichzeitig das Zimmer gemieden; immer noch stand das Paar sich gegenüber, ohne zu reden mit dem Munde; aber ihre Augen sagten sich so Vieles und so Liebes, daß es gar zu alltäglich klang, als Martina endlich, ihre große Beklemmung überwindend, mit den Worten begann: »Ich habe nicht gewußt, Seraphin, daß Du hier seyst. Ich hätte mich nicht unterstanden, Dir ohne Erlaubniß unter die Augen zu treten. Ich bin gegen Dich in solche Schuld gerathen, daß nicht mein Leben, wär's unglücklicherweise noch so lang, ausreichen würde, sie abzubüßen.« – »Rede nicht so traurig und betrübt, Martina. Ich kann's nicht hören; es zieht mir die Kehle zusammen;« bat Seraphin und betrachtete die Unglückliche voll Mitleid. – »Du sagst's, Seraphin;« antwortete Martina: »das Reden hilft nicht. Alles ist verdorben. Ich habe Dein Vertrauen betrogen. Ich darf von Dir Nichts mehr verlangen, als daß Du mir verzeihest, wie ein Christ. Gelt, Seraphin? O wünsche mir nichts Böses, fluche mir nicht. Du glaubst 191 nicht, wie ich gestraft bin!« – »Ach mein Gott, mein Gott! wüßte ich nur die Kunst, Dir alles von Deinem schweren Herzen zu nehmen, Martina!« rief redlich der Jüngling: »glaub' Du mir auch . . . so wie ich Dich sah auf der Landstraße, neben dem . . . Gott verzeih' mir's, ich hätt' ihn beinahe gelästert, den alten Mann – neben ihm halt, der sich unterstand, gegen Dich die Faust aufzuheben . . . was da in mir vorgegangen . . . . ich kann Dir's nicht sagen!« – »O, das Schlimmste ist noch nicht gewesen;« versetzte Martina traurig: »doch hat er auch – seit dem Unglückstag der Hochzeit – nicht eine gesunde Stunde gehabt; immer elend darnieder liegend, sodann noch obendrein als Arrestant verschleppt und eingesperrt, getrennt endlich von mir, seiner einzigen Pflegerin . .! ich muß ihm viel zu gut halten, Seraphin, und den Rest – nun, in Gottesnamen – ich hab' ihn verdient, verdient, verdient!« – »Ach, liebste Martina . .! hör' auf!« flehte Seraphin, der seine Rührung nicht bemeistern konnte: »schau, Martina . . ich weiß wohl, daß ich Dich nicht mehr dutzen sollte . . . . Du bist eine vornehme adeliche Frau . . . . ich sollte Dir Ihro Gnaden sagen . . . aber weißt? ich kann's halt nicht. Ich hab' Dich zu lieb dazu . . . und verzeih' mir also . . . vor den Leuten werd' ich's schon besser machen . . . doch, wenn wir allein sind, erlaubst Du mir's . . .? schau, ich geh' schon bald wieder fort.« – »Fort, Seraphin, fort?« – »Ei ja, was soll ich denn hier? Meine besten Zeiten hab' ich hier schon gehabt, Martina, die sind vorüber und vorbei.« – »Ja wohl vorüber, ja wohl vorbei!« Martina stützte sich mit beiden Armen auf die Lehne eines Sessels und verbarg ihr Gesicht. Seraphin fuhr fort: »Selbige Zeiten, weißt Du? wo wir nur eine Seel', ein Herz hatten!« – »Guter Seraphin!« schluchzte Martina: »geh, geh, Du wirst noch glücklich werden ohne mich!« – »Das ist, mit Erlaubniß, völlig nicht wahr, 192 Martina. Glücklich ohne Dich? Ich, Seraphin Plaschur, ohne Dich? Wann denn ist jemals mein Glück wo anders gewesen als gerade nur bei Dir?« – »O, bin ich ein schlimmes z'nichtes Geschöpf!« lamentirte Martina. – »Nicht, nicht;« beschwichtigte Seraphin die Klagende: »das hat alles der liebe Gott so gewollt und angeordnet, glaub' mir das. Wir waren so eigenmächtig, haben uns selbst mit Dint' und Federn unsre Herzen verschrieben . . .! da sagt darauf der liebe Gott: Jetzt extra sollen sie sich nicht haben; basta!« – »Ich hab' Dein Herz immer noch!« rief Martina, aus ihrer Trauer auffahrend. – »Und da hab' ich das Deine!« entgegnete Seraphin, und producirte es. – »Das Deinige liegt bei meinen Goldsachen, aber lieber mir als Gold und Alles in der Welt!« – »Gewiß, Martina?« – »Wenn ich Dir's sage, Seraphin? Und einen Deinigen Brief bewahre ich daneben und mache Reu' und Leid, so oft ich ihn ansehe.« – »Du hast mich also noch ein bissel gern?« – »So viel viel gern, ach nur zu viel gern! . .« seufzte Martina, aber plötzlich nahm sie sich zusammen, zog die Hand zurück, die sie dem jungen Mann entgegengestreckt, und setzte lebhaft ihrer Rede bei: »'s ist nicht recht, daß ich Dir's sage, jedoch es ist einmal heraus, und ein Wort läßt sich nicht mehr einfangen, wie ein schappirter Vogel. Damit aber genug. Ich bin einmal verheirathet, und wir müssen einander fremd werden von Person, Seraphin.« – »Freilich, Martina, daß Gott erbarm! freilich ist es so. Von Person gewiß . . . aber in Gedanken, Martina, in frommen ehrlichen Gedanken . . . . laß' uns da immerhin einander angehören! Meine Gedanken, wenn sie Dich angehen, glaub' mir's, sind wie ein Gebet.« – »Du guter Mensch! ja bete immerdar für mich. Ich werd' es nöthig haben. Bald, so muß ich erwarten, kehrt mein Herr zurück, und dann gibt's schwere Stunden, schwere Plage!« – »Wie? er kommt?« – »Ich konnte ihm drinnen in der Festung nichts mehr nützen, weil sie mich von ihm getrennt. So reiste ich über Innsbruck, hab' bei dem Landesgouverneur gebeten und gemahnt; . . . ein Bericht ist nach Wien gegangen . . . . ich hoffe, um seiner Unschuld willen, nächstens auf seine Freiheit . . . .« – –»So werde ich Dich dann nicht mehr sehen dürfen?« fragte Seraphin mit erbleichender Stirne und faltete seine zitternden Hände: »heilige Jungfrau! Dich Martina nicht mehr sehen, und bist mir jetzt in dieser Stunde unendlich lieber geworden, als Du mir je gewesen . . .?« – »Ist's denn wahr? ist's denn wahr?« rief Martina, zitternd wie ihr Geliebter vor Freude und Wehmuth.

Da stand zwischen beiden die Tante; nicht ruhig und blendend weiß, wie gewöhnlich, sondern angegriffen, hochathmend, mit gerötheten Wangen und blitzenden Augen. »Ein Brief!« sagte sie mühsam, als ob die Zunge ihr den Gehorsam verweigerte: »ein Brief von Innsbruck, von der Regierung . . . . vom Gouverneur . . . . was weiß ich? Da, da mein Kind, und bleib' bei Sinnen, liebes Kind!« – Es war richtig ein Brief mit großem Siegel, und da ihn Martina öffnete, den bereits von Tammerl erbrochenen, fiel ein zweiter heraus, schwarz petschirt.

Indessen hatte Tammerl den Seraphin bei'm Kragen und rief ihm ins Ohr: »He? wie? was? ich hab's schon vorhin gewußt . . . .! du rarer Kerl! merkst was? in Wien haben sie ihn freigegeben . . . aber im Welschland war er schon gestorben. Die Martina ist frei, Gott Lob und Dank, und verzeih' mir Gott, daß ich meine Hände hergab, sie in den Malefiz-Käfich einzusperren, meine liebe gute Nachtigall! Todt ist er; was sagst Du, Seraphin? 's ganze Vermögen, schreibt er da in dem schwarzpetschirten Brief, alles hat er dem armen 194 Schafl da vermacht. He? wie? ach, ich kann nicht mehr reden. Die Nachricht hat mir ganz den Athem genommen. Halt mich ein bissel aufrecht, Seraphin!«

Seraphin, verdutzt, bestürzt, erschrocken, erfreut, alles zur gleichen Zeit, unterstützte gern den von seiner schwersten Gewissensbürde entledigten Mann. – Indessen las Martina, wenn ihr schon die Zeilen vor den Augen tanzten, aus dem von Sprenger angefangnen aber nicht beendigten Schreiben: »Ich sterbe; das Fieber würgt mich ab und meine zerbrochnen Knochen fallen auseinander. Du hast viel leiden müssen . . . .. wir haben das Glück nicht erheirathet. Ich schenke Dir im Testament, was ich habe. Wenn ich mich noch jetzt mit irdischen Dingen abgebe, so macht es nur der Verdruß, daß ich Deine Jugend . . . .« – Sie mochte nicht weiter lesen, die jungfräuliche Wittwe. Der Brief flog auf den Tisch, sie selbst in die Arme der Tante, worein sie sich so tief versteckte, daß sie nicht bemerkte, wie die beiden Männer, der ernsthaften Stunde ihre Ehre gebend, still davonschlichen. – –

Binnen kurzer Zeit bestätigte sich der Hintritt des Herrn von Sprenger; zugleich seine völlige Schuldlosigkeit. Martina hatte die Freude, das Andenken ihres Gatten von dem Flecken der Verrätherei befreit, seine Feinde gedemüthigt und bestraft zu sehen. – Auch das Testament des Verstorbenen wurde publizirt. Es fand sich, daß der alte Herr selbst mitten unter den Bedrängnissen seiner Lage und Sterbestunde die gewohnte nachträgerische Tücke seines Charakters nicht hatte überwältigen wollen. Martina war allerdings die Universalerbin, doch nur unter der Bedingung, daß sie unverehelicht bliebe. Ihr Austritt aus dem Wittwenstand sollte den Verlust des Vermögens zur Folge haben, dasselbe milden Stiftungen überantwortet werden. Martha triumphirte wieder im Stillen; Marianne seufzte. Tammerl sprach zur Tochter: »Du siehst, daß alles in Deine Hand gegeben. Du hast uns bisher gehorcht 195 wie eine brave Tochter. Du bist jetzo eine Frau für Dich; handle gerade wie Du willst.« Martina runzelte nicht die Stirne, und ließ die Imsterleute schwatzen, wie ihnen gut dünkte. –

Einige Wochen später – die vorgerücktere Trauerzeit erlaubte es – trat Seraphin an Lenerl's Hand bei der jungen Wittwe ein. Zagend, aber getröstet in seinem rechtschaffenen Gemüth, seiner edlern Absichten sich bewußt, bot er seiner ersten und einzigen Liebe die Hand, mit der Frage: »Magst mich, Martina?« – »Ei, magst denn Du mich noch, Seraphin?« antwortete die Beglückte. – Im Herzen froh, ihrer Neigung Uneigennützigkeit dem Geliebten beweisen zu können, warf sie, ohne sich zu bedenken, den Reichthum des alten Tyrannen weg, der ihr nur eine Last, nicht eine Freude gewesen. – »O wie närrisch!« schalt Martha, spottete die Welt. Aber Tante Lenerl jubelte und rief: »So hat doch einmal wenigstens die reine Liebe gesiegt!« Ihr Roman kam zu einem unverhofft erwünschten Ende. Tammerl und Marianne segneten das Verlöbniß, als gute, zur Vernunft gekommene Eltern. –

Um diese Frist heirathete Oswald, der mit Tammerl's und Seraphin's Hülfe sich als Maler und Vergolder und Meister in tausenderlei Künsten zu Imst niederließ, die wohlbelobte Jungfer Genovefa aus dem »rothen Adler.« Der Verspruch war am Tag, da Seraphin seine Martina als Wittwe wiedersah, ohne vielen Verzug gemacht worden. – –

Und ein paar Monate später gab Vater Tammerl seiner Tochter den zweiten, fröhlichern Hochzeitschmaus. Diesmal saß obenan ein vergnügtes, verliebtes, zärtliches Brautpaar. Martina schaute unter den heitern Bogen ihrer lichten Augen hervor, als säße sie unter lauter Engeln. Seraphin, wenn er ja einmal den Blick von ihr verwendete, nickte froh und selig allen seinen Freunden zu: dem ehrlichen Wachtmeister Dominik, der, vom Kriegsdienst erlöst, bei seinem Erben Plaschur die letzten Tage verleben wollte; dem wieder zu Lust und Wohlstand zurückgekehrten Grödner; dem plumpen aber getreuen Egidi, der seine Raspelhauslaufbahn und was er für Seraphin gethan, ruhmredig der Gesellschaft vortrug, vor allen dem selbst so glücklichen Oswald, der so manche bittre Stunde mit dem Bräutigam getheilt, und immer derselbe erprobte Freund gewesen. Die g'schnappige Veverl ließ ihr Zünglein gehen nach Gefallen; sie hatte diesmal nicht die schwere Verrichtung übernommen, die Braut aufzuheitern. Martina schwatzte heut selbst für Dreie, küßte ihre vergnügte und küchengeschäftige Mutter tausendmal, glättete durch ihren Frohsinn sogar die ernste Stirne der ungefälligen Martha; drückte ihres Vaters Hand dankbar, so oft er mit dem Glase in der Hand den Tisch umkreiste. Am untern Ende der Tafel saßen wohl ein paar getrübtere Stirnen: der Sohn Peter, seine Friedberger Nanni, die auf einem Gütchen in der Nähe hausten, und, obgleich in Eintracht und vernünftig lebend, noch nicht die Wirrnisse der Vergangenheit hatten vergessen können. Aber, um sie dem Vergnügen zugänglich zu machen, hatte der Bruder Joseph von Innsbruck zwischen ihnen seinen Platz erwählt, und gewann durch seine milde Heiterkeit auch die Niedergeschlagnen, sogar den alten Jäger-Liebl, der mehr an seine Verstorbene dachte, als an des Tages Feier, für die Freude der Gesellschaft. Indessen erzählte der unerschrockne Lex, neben dem kauderwälschenden Egidi sitzend, sein Fornoabenteuer laut über den Tisch, und wies die eigens aufbewahrte Bärenpratze vor, die jenes entscheidenden Tags Trophäe geblieben. Der geschwätzige Doktor Musteratsch unterhielt den wie immer einsilbigen Idelstein von den Gefahren des Schenkelhalsbruchs, und wie der famose Kölbl, 197 den sein Unstern nach Meran geführt, dort in einem Auflauf wegen Werbern von einem Stein zu todt geworfen worden. An der Thüre des Gemachs lauschten, nicht weniger mit verklärten Augen, die alte Zaya und ihre ganze landfahrerische Rotte, die heute auf Tammerls Kosten splendid abgefüttert wurden. Wie versteckt, in einer Ecke, am Katzentischl plauderten Maroner und der junge Anich von Oberperfuß von den wackern Eigenschaften des Hochzeiters und der Braut. Daher Spektakel, Gesumme und Getümmel um und um; Gelächter von Geistlichen und Weltlichen; der Gevatter Rathsherr vorne dran mit seinen Spässen. Wohlstudirte Kanarienvögel, – seit Seraphin's Genossenschaft im Vogelhandel des Tammerl, wieder eine Liebhaberei des Letztern – schmetterten von allen Seiten in den allgemeinen Lärm; die Vogelträger, die, im Hof versammelt, tranken, schossen flink und oft Gewehrsalven in die Luft, wie sich's bei einer stattlichen Bürgerhochzeit geziemte. Die Musik der Fiedler und Bläser rastete auch nicht oft. – Doch wie in stiller Majestät, strahlend von Befriedigung, saß in mitten des Freudentumults die Urheberin, die eigentliche Urheberin desselben: die Tante Lenerl, eine Jungfer zwar, aber so vergnügt, als wäre sie selbst eine Braut. Still, wie sie, verwunderter vielleicht als sie, hielt sich in seinem Käfich das alte Mannl, der verhängnißvolle Rothkropf, der trotz des Podagra und grauer Jahre noch den Sieg seiner Werbung erlebt hatte und ihn mitfeiern durfte, prangend mitten auf der Tafel zwischen den Salzfässern von Silber und Porzellan.

Das EhrenkrautEhrenkraut: eine Schüssel voll Sauerkraut, die auf ländlichen Hochzeiten noch heute nicht fehlen darf. wurde aufgetragen. Zwanzig Gewehre auf einmal schnellten, dieser bedeutsamen Schüssel zum Preise. Herr Joseph Tammerl erhob sich, sagte einen schönen Spruch, trank der Braut Gesundheit, und überreichte ihr sein Geschenk, ein Halsband von schönen Steinen. – »Es kam so eilig,« sagte er: »mir blieb 198 nicht Zeit, einen schönen Schlußstein aufzufinden. Ein rother Edelstein, sollte es, meine ich, am besten thun. Aufgeschoben ist drum nicht aufgehoben. Ich werde das Versäumte nachtragen.« – »Vielleicht paßt dieser Stein;« sagte nun Seraphin, und legte den Stein, den er von der Holländerin erhalten, dazu. Musteratsch heftete seine scharfen Augen darauf; Herr Joseph, ein Kenner, schrie auf über die Pracht; es ergab sich, daß der gering geachtete vorgebliche Granat eigentlich ein Rubin von sehr großem Werthe. – »Schau;« versetzte Seraphin lächelnd. »da hab' ich immer einen Reichthum mit mir herumgetragen und hab' ihn nicht gekannt?«

Worauf Tammerl mit jener unübertrefflichen Gutmüthigkeit, die sich selber Freude macht, wenn sie Andere hoch beloben darf: »Du hast wohl größere Reichthümer in Deinem Herzen herumgetragen, ohne ihrer eitel bewußt zu seyn!« – »Unerschütterliche Rechtschaffenheit!« rief der Grödner. »Die geduldigste Freundschaft!« rief Oswald. »Versöhnlichkeit mit Deinen Feinden!« rief der Jäger-Liebl. »Barmherzigkeit mit den Armen!« schrie Zaya zur Thüre herein. »Die getreuste Liebe von der Welt!« flüsterte Martina ihrem Gatten zu. Und dieser schloß bescheiden, beschämt von so vielem Lobe: »Den Segen meiner Mutter!«

»Ja, auch der Mutter Segen baut Häuser, und nach Stürmen folgt immer wieder Sonnenschein!« begann der Guardian der Kapuziner mit frommer Salbung. – »Da fällt mir wieder ein,« nahm eifrig Tammerl das Wort, »wie mein Vater selig in Person mir diesen Seraphin in's Haus geführt, wodurch allerdings mir großer Nutzen ist erwachsen.« – »Pst, pst, Gevatter!« winkte der Rathsherr, um den Meister zum Schweigen zu bewegen. Marianne zupfte ihn unwillig am Rocke. – »Ei was!« rebellirte Tammerl: »alle diese Gäste wissen nichts von der Geschichte, und so merkwürdig, wie sie . . . .« – »Dummheiten!« brummte Idelstein. »Unterbrecht ihn, sonst redet er uns 199 todt!« schrie der Rathsherr – und alle, wie aus einem Munde fielen ein: »Das Brautpaar hoch!« Noch einmal donnerten die Gewehre; der Pfarrer öffnete schelmisch den Deckel des BeschauessensBeschauessen: ein Backwerk, das bei Hochzeitschmäusen vor die Braut gestellt wird, und in der Regel irgend einen Schabernack für die Braut verbirgt., und zog – nach altem Spaß und Brauch – an rosenfarbigen Bändern eine lange Reihe von Kinderpüppchen hervor, der Braut auf den Teller. – Martina verbarg ihr erröthend Antlitz an Veverls Halse, bis auf die Straße schallte der Gäste muthwilliges Gelächter; die Musikanten spielten: »Und was wir wünschen, das werde wahr!«


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