Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Drittes Kapitel.

Hui! wie lustig ist mir's Leben,
Wie ist's wieder nett und fein!
Abschied ist dem Winter g'geben,
Wieder ruckt der Langets ein.
Feld und Rain sind wieder sauber,
Schon dem Joch zu geht der Schnee:
Außer schießen schon die Lauber,
Außer schaut der junge Klee.

Alles ist so frisch und selig,
Wald und Felder, Bach und Thier,
G'rad die Leut' sind nicht gar fröhlich,
Sind mit nichts zufrieden schier.
Allweil sorgen, allweil graben,
's ganze Jahr und Tag und Nacht,
Und kein' Glaub'n an d' Vorsicht haben,
Die ja doch für alle wacht!

Lieber Gott! all's hat sein' Winter,
Niemand Langets 's ganze Jahr,
Doch sind wir ja Himmelskinder,
's Leiden wird bei allen gar.
Wenn D' auch meinst, mußt gar verzagen,
Geht's Dir krumm im Feld und Haus;
Darfst nur Wurm und Käfer fragen:
Ostern bleibt Dir g'wiß nicht aus.

Tirol. Frühlingslied nach Lutterotti.

Wie auf den Larventanz die lange bleiche Fasten, so folgte auf Seraphin's verwegenen Tag eine unübersehbare Reihe von entbehrungsvollen Tagen. Obwohl mit dem täglichen Brod reichlich begabt, vermißte der gute Junge 84 doch das Himmelsbrod für seine Seele, den Anblick und den Umgang Martina's mit schmerzlichen Gefühlen. Er sah das Mädchen wunderselten, und wenn's geschah, so mußte er kläglich wahrnehmen, daß eine ganz andere Person aus ihr geworden. Ihre Munterkeit hatte sich in Ernst, ihr ausgelassenes Wesen in eine verzweifelte Ehrbarkeit verstellt. Veverl redete in fünf Minuten mehr zusammen, als Martina im ganzen, jetzt schon wieder langauswachsenden Tag; für Seraphin hatte sie besonders grade nur etwa ein »Ja« oder ein »Nein,« oder ein »Hm, hm!« als Antwort auf seine spärlichen Demuthsfragen in Bereitschaft. Hätten nicht zu Zeiten – selten genug – Martina's Augen so gewiß geleuchtet, als sprächen sie: »Bist doch mein lieber Bub', und hab' nur Geduld!« Seraphin hätte sich der schwärzesten Niedergeschlagenheit ergeben müssen. Zwar suchte er sich zu zerstreuen. Die Zeit, da die Vögel in die Hecke geworfen werden, war da, und gab viele Beschäftigung und Sorge. Eine ganze Menge von jungen Canarini sollte zu Specialvögeln dressirt werden, und der Schulmeister hatte mit Orgel und Pfeife alle Hände voll zu thun. Aber Martinas Bild schwebte vor Seraphins Sinnen hin und her, hoch über allen glatten und gehaubten Canaris, über dem melancholisch flötenden Schwarzplattl, über dem wie ein fernes Mühlrad klappernden Weißbartl, über dem Fliegenspeisenden Schmittl und allen Gesellen dieser gefiederten Künstler. Seraphin hätte wohl selber, statt eines Einsiedlers zu Tarrenz, ein recht hübscher, bunter, süßplaudernder Vogel seyn mögen, um der spröden Martina zuzufliegen; er hätte sogar den Käfich des Rothkröpfls nicht verschmäht, um nur in der Nähe seines Lieblings zu seyn, und manchmal von ihm besucht zu werden. Wie es nun dahin kam, daß endlich nur etwa alle vierzehn Tage einmal die Sonne für ihn aufging in Martina's Person, da wußte er sich schier nicht zu helfen. Der Wonnemond 85 nahte mit Macht; der liebe Gott schickte nach dem strengen Winter einen frühzeitigen überaus weichen Lenz, wie er in Nordtirol eigentlich nicht zu Hause ist: einen Lenz, mild wie süßes Oel, den sausenden Winden streng den Sack zubindend, in aller Friedfertigkeit entgegensprossend dem Mai, der da ist die Krone des Frühlings. Was nützte aber dem geplagten und bekümmerten Seraphin die segenvolle Mündigkeit des Jahresfürsten? So zu sagen geschieden von seiner unschuldigen Liebe, wurden die Tage seiner Sehnsucht zu lang, die Nächte zu kurz seinem Schlummer. Der verstorbene Winter in seinem rauhen Kittel hatte es väterlicher mit ihm gemeint, als der neue Regent, der blumengeschmückte Prinz. – Seraphin hatte nun wohl auch Stunden, in denen ihn die geduldige Hoffnung verließ, und der Trotz beschlich. Er wäre kein Zögling des Gebirgs gewesen, wenn er nicht Anwandelungen von kecker Selbstüberschätzung gehabt hätte. Dann plünderte er freilich den Liederschatz des leichtsinnigen Kölbl, und sang mit verwegenem Hohn:

»Diendl, gib acht,
Wenn D's Vogerl siehst flieg'n,
Und so wen'g als Du's Vogerl fangst,
So wen'g sollst mich krieg'n!«

Oder:

»Wenn D' mich liebst, ist mir's recht,
Liebst mich nicht, ist mir's gleich;
Weil D' nicht lustiger bist,
Diendl, g'rath ich Dich leicht!«

Aber wann und wo und wie lang hat der Zorn der Liebe Bestand? Mitten im Spott quoll die Thräne, die allem Hader ein Ende macht, aus den Augen des Sängers. Der Trutzgesang erlosch in der Klage, und aus der Klage erwuchs wieder die Hoffnung, aus der Hoffnung die Geduld. Der ehrliche Schuhflicker, der 86 Seraphins Trübsinn auf Rechnung des Heimweh's schrieb, that sein möglichstes, um seinen jungen Gefährten aufzuheitern. Er erzählte ihm von der alten Zeit; das verfing aber nicht. Seraphins Gedanken waren beständig auf die Zukunft gerichtet. Besser gefielen ihm die Mährchen von den Pützen, deren es in der Gegend von Imst und im Oetzthal eine unbeschreibliche Menge gibt; bald feurig wandelnd wie der Nauderer Lork, bald als ungeheuerliche Thiere umherstreifend. Am besten schlugen die Geschichten von den neckischen oder freundlichen Kobolden an; von den Wichtelen, die sich mit dem Menschen abgeben, die ihm helfen, sein Tagwerk zu vollbringen, die ihm Schätze graben, und Ehrenstellen verschaffen; die ihm nicht selten, dem geringen Bauer, zu einer vornehmen Braut, einer Edeldame, wo nicht gar zu einer Prinzessin den Weg bahnen. Diese Historien waren auf Seraphins Mühle das treibendste Wasser; er hätte gern eines der seelenguten Wichtelen zum Freund gehabt. Warum? läßt sich wohl denken.

Maroner that Vernünftigeres, als Mährchen erzählen. Er brachte seinem jungen Freunde die Ueberzeugung bei, daß Arbeitsamkeit aller Betrübniß Meister wird, und daß niemals ein ruhigeres Herz mit dem Menschen zu Bett geht, als nach einem fleißig verbrachten Tage. Seraphin ließ sich dieß gesagt seyn, und richtete sein Leben darnach ein. Er fing an, sogar die Feierstunden zu benützen, las und schrieb und rechnete, lernte so gut italienisch, als Maroner es selbst konnte, unterrichtete sich bei dem Alten in allerlei Vortheilen des Handels und Gewerbs, in Handwerks- und Reisegebräuchen; lauter Dinge, die ihm, wie er sich einbildete, in der Folge ersprießlich seyn würden. Maroner konnte vielerlei, und theilte seinen Handwerkschatz willig mit, und nicht nur willig, sondern faßlich und schnell. Er gehörte zu den Leuten, die, unvermögend, ihr eigen Glück zu schmieden, 87 gern bei andern den Grund dazu legen; ein Sämann auf fremdem Acker, ein Erzhäuer in fremden Schachten. – Seraphin gedieh mit seiner Hülfe im Innern wie im Aeußern. Den Sehnsüchtigen mitunter zu zerstreuen, waren ihm einige Ueberraschungen bescheert.

Eines Abends kam der Engadiner nach Tarrenz heraus. Buona saira, Giuven; buona saira, Cuntscha Calzèrs! Komm heraus, Giuven, ich hab' mit Dir zu reden, komm!« – Sie wanderten mit einander gegen das Schloß Starkenberg. Sie fanden unter blühendem Schlehdorn ein heimliches Plätzchen, und setzten sich daselbst nieder. Egidi begann mit ernsthaftem gesammeltem Wesen: »Du hast Dich verwundert, daß ich Dir in der Maschkra eine Schlaffada angeboten habe? Wenn ich sie Dir gegeben hätte, so würdest Du nicht beim Meister die Ramùr gemacht haben, wie ich gehört habe. Ich hatte ein Recht zu der Schlaffada. Hör' die Raschun parchei.« – »O sey still von der Maschera!« – »Bein; aber hör' nur. Ich will Dir gestehen, daß ich bin Deines Vaters Bruder.« – »Ach mein, laß' mich aus.« – »Ich will Dir ein Sacrament darauf ablegen, daß ich sage, was wahr ist.« – »Geh, geh, Du lügst mich an. Weißt Du wohl, daß mein Vater nur einen Bruder gehabt hat, der in die weite Welt gegangen ist vor langen Jahren? Er hat oft von dem Bruder geredet, aber immer nur wie vom bösen Feind. Es macht Dir keine Ehre, Dich für denselben auszugeben. Da hast Du meine Meinung.« – »Gie, gie, schon gut; aber doch ist's wahr; ich bin sein frar d'üna Vart, sein Stiefbruder. Ich habe gesündigt gegen ihn; ich bin gewesen ein Rubader da la sia Hierta, ein Dieb an seinem Erbgut. O sönch spindrader! ich bin Ursache, daß er ist ausgewandert und elend geworden. O Dieu! ich hab' viel gesündigt und bereut; aber Rauba dilg Giavel va en Criscas! Unrecht Gut 88 gedeiht nicht. Hab' alles verloren, bin aus einem Tagliacrapp ein Utschaller geworden, und hab' mit vieler Mühe wieder ein paar Hrizer ersparen können. An Dir will ich gut machen, was ich am Vater gefehlt habe. Du sollst seyn mein Sohn, mein Freund, mein hartavel, alles haben, was mein ist, wann ich sterbe.« –

Die Zähren, die über die harten Gesichtszüge des Engadiners herabflossen, machten dem jungen Menschen, der so unversehens zu einem Onkel kam, glaublich, was er staunend anhörte. – Es war eine Geschichte von Stiefbrüdern, wie sie in der Welt häufig vorkommt. Einer hatte den andern bei der schwachen verwittweten Mutter um Gunst und Erbtheil verkürzt. Lenhard war davongelaufen, sein Bruder hatte Alles durchgebracht, und sich endlich, wie der Erstere, nach Tirol gewendet, und dem Vogelhandel sich ergeben. Egid Flugi, wenn schon bereuend und zahm geworden, hatte kein Bedürfniß gefühlt, den zürnenden Bruder in Botzen aufzusuchen, wohin sein Weg ihn niemals führte. Als den Lenhard seines Lebens Ereignisse nach Planail versetzt, war Egid stets besorgt gewesen, ihm nicht unter die Augen zu kommen. Darum hatte er's immer eingerichtet, daß er zur Nachtzeit in Burgeis eintraf; darum hatte er, aus Furcht, dem Plaschur etwa zu begegnen, seine Herberge bei dem Grödner genommen, der, ein Verwandter der Crescenz, mit Plaschur sehr übel stand, und von der Verwandtschaft zwischen ihm und Egid nicht das geringste ahnte, weil in Graubündten eine Menge von Leuten denselben Familiennamen führen, ohne im Mindesten sich näher anzugehören. Zudem hatten Lenhard und Crescenz, die den bösen Stiefbruder nur aus ihres Mannes Erzählungen kannte, immer geglaubt, der ehemalige Steinmetz sey als Soldat in fremde Länder verschlagen worden, und sein Gebein bleiche schon in irgend einem Winkel jenseits der Alpen oder gar jenseits des Meers.

89 Die Geschichte war für Seraphin – so einfach sie erzählt werden mochte – eine bittere Pille. Die Wurzel des Unglücks, das Plaschurs Leben vergiftet hatte, schmeckte dem anhänglichen Sohne schlecht. Doch rief er seine Gutmüthigkeit zu Hülfe, erinnerte sich der Ermahnung jener alten Dörcherin, Allen zu verzeihen, die ihm Uebles bereitet, und gab dem Onkel die versöhnliche Hand. »Der Vater ist todt,« sagte er, »ich darf wohl nicht daran zweifeln?« – Egidi senkte das Haupt, zuckte die Achseln. – »Aber ich zweifle auch nicht,« fuhr Seraphin fort, »daß er schon vor seinem Ende Dir vergeben hat, und daß er im Himmel für Dich ein gutes Wort reden werde, wenn Du Wort hältst, und mir ein getreuer Freund bist. Schau, Du hast gut angefangen, weil Du mich vom Grödner wegnahmst. Verlaß mich ferner nicht mit Rath und That, und ich will für Dich beten und im Alter für Dich sorgen, wenn ich's zu etwas bringe in dieser Welt.«

»Curascha!« rief Egidi erfreut, seines Neffen Hand dankbar schüttelnd: »so thust Du mir gefallen. Ja, ja: igl mund ei s'cüna scala, die Welt ist wie eine Treppe; der Eine geht ansì, der Andere angiù. Du wirst hinaufsteigen, und ich hinunter. Denk': ich hab' einen Plan mit Dir, und um ihn auszuführen, wollen wir, wie ich bisher gethan, von unserer Parentella schweigen. Cludeit la bucca! verstanden?« – »Laß mich den Plan wissen.« – »Wir haben in Engiadina ein Sprichwort: Una bona Maridotta paga tutt la spesa; eine gute Heirath bringt Alles wieder ein, zahlt alle Kosten.« – »Eine Heirath?« – »Sieh, ich hab' mir in den Kopf gesetzt, einen Mann aus Dir zu machen, der findet seinen Platz in der flur da Marcaù.« – »Wie das?« – »Ich will Dich in zehn Jahren zum Schiender von Meister Tammerl machen.« – »Zum . . .?« – »Zu seinem Tochtermann.«

90 »Oho! oho!« platzte Seraphin heraus, und musterte argwöhnisch seines Oheims leichtfertiges Gesicht, in der Meinung, der abgedrehte Engadiner habe seine innersten Gedanken unbarmherzig ergrübelt. Bald sah er jedoch, daß dem nicht also war. Denn, an den Fingerspitzen zählend, rechnete ihm Egid mit der Selbstgefälligkeit eines ersten Erfinders die günstigen Aussichten her, die sich ergeben möchten, Seraphin zum dereinstigen Schwiegersohn des Meisters zu befördern: die außerordentliche Vorliebe Tammerls für den jungen Vogelwärter; die Erfolge, die Seraphin, von seinem erfahrenen Onkel unterstützt, im Vogelhandel, als Reisender und Verkäufer, erzielen werde und müsse; die hübsche Persönlichkeit, die sich in Seraphin entwickle; die Zuversicht, die Egid habe, den glücklichen Vogelhausirer einst als Mitgenossen in Tammerls Handel zu begrüßen; zum Schluß endlich die Gelegenheit, schon zur Stunde durch ein gefälliges und dienstfertiges Benehmen die Gunst der Frauen in Tammerls Hause zu gewinnen, und selbst im Herzen der aufblühenden Martina einen Vorsprung vor allen zukünftigen Freiern zu erobern. Egidi redete von den tausend und abertausend Beispielen, wie ein armer Junge zum Glück und mit der Tochter seines Padrone zum Altar gekommen, und endigte seine lange Rede mit den Worten: »Merk wohl, ich will nicht, daß Du mit der Juventschella spielen sollst eine fabla romana; das hilft zu nichts. Du sollst handeln wie ein kluger Purschell, im Aug haben das Geld und ein sorgenfreies Alter, und benutzen die Qualitades, die dir an Leib und Seel' der Himmel gegeben, um zu nehmen die Fortuna p'ils Capells. Du wirst sagen, das seyen abenteuerliche Gedanken; aber nein: ich baue nicht Castells e'gl Luft, ich mein' nur, daß ein kluger Mensch schon in der Frühe sein Bett machen soll, um sich hineinzulegen a temps. – Adieu; schlaf' über Alles wohl und 91 folg' mir als ein Sohn. Vorzüglich schweig' vom Aug und vom Nipote. Ich hab' die Spargaments nicht gern. Wir können uns besser helfen, wenn wir uns für fremd ausgeben. Adieu, buona noic, Giuven!« –

Seraphin hatte gar nichts gegen die Luftschlösser und abenteuerlichen Gedanken seines unternehmenden Onkels einzuwenden. Er betrachtete ihn als einen willkommenen Verbündeten. Eine Hülfe wie die seinige that dem jungen Ehrgeizigen Noth. Zwar gefiel ihm nicht, daß er seine Verwandtschaft mit Egid verheimlichen sollte; er – gänzlich verwaist in den Augen der Welt – hätte gern mit einem handfesten, wohlversuchten Oheim ein bischen geprahlt; doch ehrte er die Gründe, die Egidi haben mochte, und that nach seinem Willen. Es sollte ihn aber bald eine zweite Offenbarung und Ueberraschung heimsuchen.

Nur ein paar Tage nach den vertraulichen Eröffnungen des Engadiners klopfte Jemand an's Fenster des Hauses von Tarrenz. »He, Seraphin!« rief der Schuhflicker in die Vogelkammern hinauf: »komm geschwind herunter; 's ist ein Vintschger da, der mit dir reden will!« – »Ein Vintschger!« wiederholte Seraphin erfreut: »gleich, gleich!« stand auch in der nächsten Sekunde mit fröhlichen Augen vor dem Landsmann, dessen Anblick ihm tausend Vergnügen machte. – Die Werktagstracht der Obervintschgauer war dazumal weder bunt, noch malerisch, aber dem Sohn des Plaschur gefiel sie doch, als ob sie das schönste auf der Welt wäre, da er jetzt, nach geraumer Zeit, ihrer wieder ansichtig wurde. Der Bursche, der zu ihm redete, steckte im sogenannten Wollenhemd von schwarzgrauem Loden mit rothen Aufschlägen; Brusttuch, Hosen und Strümpfe waren von demselben Stoff, mit Leder gebunden; eine Lederbinde ging um den Leib, ein breiter Hut saß auf dem Kopfe des Burschen. Der ganze Anzug war von der Art, daß 92 ein Schneider bequem in einem Tage den Kunden kleiden konnte. Aber Seraphin hätte einen von Gold starrenden Lakaien oder Portier gar nicht angeschaut neben dem lodenen Kerl aus der Heimath. Es war ein Bruder der Hochenecker-Christine von Burgeis. »Du!« sagte er; »der Grödner will heut' nach dem Essen zu Dir herauskommen. Daß Du fein zu Haus bist! Er hat Dir was zu geben. Leb wohl unter der Zeit.« – »Oho! wohin so geschwind? Hast Du Eile? Erzähl' mir noch ein Bissel von Burgeis!« – »Das wird schon der Schwager thun; ich muß geschwind zum Büchsenmacher oben im Dorf. Hab' da ein Gewehr, dem's wo fehlt, und es sollte doch bei der Hochzeit recht schnellen.« – »Welche Hochzeit?« – »Ei des Grödners, mit meiner Schwester. Uebermorgen über vierzehn Tage.« – »So, so. Was sagt der Maurer-Wastl dazu?« – »Hm, es ist ihm recht. Der Grödner hat ihm weiß gemacht, er und der Grödner seyen Einer und derselbe. und da komme es auf Eins heraus, ob Der oder Jener die Christine heirathe. Behüt' Gott den armen Narr'n. Leb' wohl, Seraphin!«

»Das Heirathen muß doch ein apartes Ding seyn, weil der Grödner so geschwind wieder dazuthut,« bemerkte sich Seraphin, nachdenkend an sein Geschäft zurückgehend. »Ich wollte, der Krämer brächte mir auch etwas Apartes.«

Christinens Hochzeiter ließ sich nicht lange erwarten. Er stellte sich ein mit dem zufriedenen Gesicht eines Menschen, der auf Erden alles, was er gewünscht, erreicht hat. Der Schuhflicker war ausgegangen, um eine Arbeit fortzutragen; daher machte sich's der Grödner auf dem Dreibein so bequem als möglich, belobte Seraphin wegen seines gesunden Aussehens, und sagte nach den ersten Fragen hin und her. »Du weißt, daß ich wieder Hochzeit mache. Es liegen mir jetzt so viele Dinge im Kopf 93 und auf dem Hals, daß ich mich nicht länger mit der Aufbewahrung der Siebensachen, die ich nach dem Tode Deiner Mutter für Dich vorgefunden, beschäftigen mag. Ich will sie nicht dem Egidi geben, der sich stellt, als wäre er mit Dir nahe verwandt, was ich aber nicht glaube, indem er es nicht wissen lassen will; – ich glaub's auch aus andern Gründen nicht – und eben so wenig mag ich mit dem Tammerl etwas zu thun haben, da er mir nicht einmal das Wort um Dich gegönnt hat. Zudem bist Du selber klug und anstellig, und wirst merken, was Dir frommt. – Da hast Du, erstens, den Trauschein Deiner seligen Mutter und ihren Ring. Zweitens hast Du hier Deinen Taufschein, den ich zu Botzen selbst erhoben, und der, wie Du siehst, um ein Jahr älter ist, als der Trauschein Deiner Mutter – merke wohl auf diesen Umstand. Ferner übergeb' ich Dir da ein paar Gulden, die aus der Verlassenschaft der Seligen gelöst worden sind, und zwei funkelnagelneue Dukaten, die von dem Dragoner kommen. Endlich hier ein Packl Briefe an Deine Mutter, da sie noch ledigerweise in Botzen in Diensten gestanden, und dieses Schächtelchen mit einem schweren goldenen HalsbatzlHalsbatzl: Halsgeschmeide; ein Schloß zu einer vier- oder achtfachen Reihe von Granaten und Perlen.. Die Briefe und das Batzl sind Hauptsachen für Dich. Schau den Seitenfleck an, womit das Kleinod umwickelt ist: kannst Du lesen, was darauf geschrieben steht mit einer Dinte, die für die Ewigkeit gemacht ist?« – »Ja, warum nicht, Grödner. Die Schrift heißt: »ein Andenken für die tugendhafte Jungfer Crescenz H. von ihrem dankbaren E. v. D.« – »Ganz recht. Bemerkst Du, daß das Datum um ein gutes älter ist, als der Trauschein, und ungefähr zusammenfällt mit demjenigen Deines Taufscheins?« – »Ja, Grödner, das seh' ich.« – »Jetzt schau diese paar Briefe fleißig an. Die einen sind von früher und von Botzen selber ausgestellt, sind zärtliche Briefe; der letzte ist von Innsbruck datirt, und später als Dein Taufschein?« – »Nun ja. 94 Aber was gehen mich die Briefe an?« – »Schau ferner die Unterschrift Eugen von Dobroslaw? Es ist dieselbe wie auf dem Halsbatzl. Du kurzsichtiger Bub! der Herr ist Dein eigentlicher Vater.« – »Grödner! das wird nicht seyn!« – »Warum erschrickst Du? Thut Dir nicht etwa leid, daß Du der Sohn eines vornehmen Herrn bist?« – »Um mich thut's mir nicht leid, aber um meine arme selige Mutter.« – »Warum denn, Tschoggl? Solche Zufälligkeiten sind überaus häufig in der Welt, und wenn Deine Mutter selig eine Sünde begangen hätte, so wäre dieselbe schon lang abgebüßt. Die arme Haut ist schon während ihres Ehestands bei lebendigem Leib im Fegfeuer gewesen. – Ferner hab' ich mich erkundigt: der Herr von Dobroslaw ist zu jener Zeit als ein Marschoffizier in Botzen lange Zeit gewesen; er hat Deiner Mutter den Hof gemacht. Die ersten Briefe reden nur von Liebe und Zärtlichkeit, und klagen, daß Crescenz seit einiger Zeit nicht so vortheilhaft gestimmt sey, wie wohl früher; dann kommt das Halsbatzl als ein Geschenk des dankbaren Herrn. Merk' wohl auf. Er war dankbar, daß Crescenz ihm Gehör gegeben. Von Innsbruck, wohin ihn der Dienst gerufen, betheuert er nochmals, Deine Mutter habe ihn glücklich gemacht und seine Erkenntlichkeit werde nicht aufhören. Ob er nachher noch oft geschrieben, oder wie er sich wegen Deiner mit Deiner Mutter oder dem Lenhard abgefunden, der mit vielem Geld nach Planail aufzog, das ist mir nicht bekannt geworden; aber ich hab' erfahren, daß der Herr noch heute zu Innsbruck befindlich ist, und will Dir rathen, einmal mit dessen Briefen in der Hand ein Recht als Sohn bei demselben anzusprechen.« – »Ihr macht mich ganz verwirrt. Steht denn in den Briefen, daß ich der Sohn des Herrn sey?« – »Das wohl eigentlich nicht; doch geht's aus kluger Betrachtung aller damaligen Dinge und Begebenheiten klar hervor, und ich selber würde bei 95 dem Herrn eine Anfrage gestellt haben, wenn mich einmal mein Weg nach Innsbruck geführt, und wenn nicht jetzo meines eigenen Hauswesens Veränderung mich angespannt hätte, wie einen Ackergaul in den Pflug. Genug: Du wirst selber einmal in die Welt gehen, und da vergiß nicht, Dein Glück beim Schopf zu fassen. Wenn jener Herr nur ein bissel väterlich gegen Dich gesinnt ist, wenn er je Deine Mutter selig lieb gehabt hat, so schaut gewiß für Dich so viel heraus, daß Du mit einem wohlstehenden Bauer gleich und gleich spielen kannst. Ich hoffe auch, Du werdest alsdann meiner nicht vergessen. Ich hab' viel Sorg' und Mühe mit Dir gehabt, viel von meiner Alten wegen Deiner leiden müssen; hab' manchen Brief nach Botzen geschrieben, um alle Umstände zu erheben, und nicht wenig baare Auslagen gehabt. Ein Handelsmann muß in die Zukunft sehen; ich rechne auf Deine Dankbarkeit und wünsche, daß Du mir einst mit billigen Zinsen vergelten mögest, was ich bisher für Dich gethan. Gelt, Seraphin, Du versprichst mir das in die Hand?« – »Das will ich wohl in jedem Fall, wenn mir der Himmel zu einem Glück helfen sollte. Aber am unliebsten käme es mir von jener Seite; von dem Herrn von Dob . . . Dob . . .« – »Dobroslaw, Du närrischer Bursch, der sich mit Grillen quält, die einem falschen Ehrgeiz, einem wahren Hochmuth die Flügel verdanken.«

Seraphin schüttelte traurig den Kopf, betrachtete das Kleinod verdrießlich, und entgegnete: »Nein, Grödner, meiner seligen Mutter Ehrwürdigkeit ist nicht eine Grille oder ein Gespenst. – Jedoch, weil sie in ihrer bittern Armuth das goldige Stück in Ehren gehalten und aufgehoben, ob sie gleich öfters hungerte, so mag auf dem Gold schon etwas besonders seyn, und deßwegen will ich's ebenfalls nicht weggeben, sondern von heut an auf der Brust tragen als ein Amulet. Sorgt nicht, Grödner, daß ich's je verspiele oder vertanze oder verhandle. Es soll mir heilig seyn um der Mutter willen; denn ich meine, es sey ein Andenken an irgend eine rechtschaffene Handlung von ihr, und nicht eine Belohnung für ein leichtsinniges Werk. Sie wird ja doch nur aufgehoben haben, was sie mit Freuden hat ansehen können, und jener Herr – wenn alles so wäre, wie Ihr sagt – würde ihr ein Dorn im Gewissen gewesen seyn. Die Briefe mag ich jedoch gar nicht lesen, und will sie in einem Winkel gut aufheben, daß nicht Sonn' nicht Mond darauf scheint; denn ich kann den Schreiber unbekannterweise schon nicht leiden, den Herrn Offizier, den Herrn von . . . .«

Seraphin wickelte die Briefe rasch zusammen, indem er zwischen den Zähnen brummte: »Ich möchte wohl wissen, wo mir der Polackenname schon vorgekommen ist?« – Der Grödner, der mit Verwunderung der grundehrlichen und kindlichfrommen Rede des jungen Plaschur zugehört hatte, konnte der Rührung nicht widerstehen. Er umarmte seinen ehemaligen Mündel, und sagte aus der Tiefe seines Herzens heraus: »Wahrlich, Bub', Du hast ein superfeines Gemüth, so viel verständig, so viel brav und gottesfürchtig, wie es wohl wenige gibt, die, so zu sagen, in der Wildniß, sich selber überlassen, emporschießen, wie die kerzengeraden Tannen. Ich mag mit meinen Gedanken und Vermuthungen Deine Gesinnung nicht aus dem Geleise bringen. Unser Herrgott sey mit Dir, und lasse Dich nicht in Deinem schönen Wachsthum verkrüppeln. Ich weiß gar nicht, wer auf Erden Glück haben soll, wenn nicht Du, Du rarer Kerl. Schau, ich schäme mich jetzt beinahe, daß ich Dir zugerathen habe, wie ein eigennütziger Mensch. Ich kann halt manchmal das Rechnen nicht lassen, und ein bissel Schmutzerei ist mir von der Alten anhängen geblieben. Aber – kannst Dich darauf verlassen, daß ich von Dir gehe als ein wahrer Freund, als wärst Du von meinen Jahren, und als wär' mir's recht, wenn wir Haus und 97 Hof und Felder miteinander gemeinschaftlich hätten. Gott behüte Dich, er führe, er segne Dich. Wenn Du nach Burgeis kommst, jung oder alt, arm oder reich, krank oder gesund – geh' des Grödners Thüre nicht vorüber; und wär' der alte Grödner nimmer auf Erden, so geh' nicht vorüber seiner Grabstätte. Deine Fürbitte wird ihm nützen am Tag des Gerichts.« – Der gute Mann, vergessend seiner Bräutigams- und Reichemannshoffart, weinte in den Armen des Seraphin und fragte ihn: »Sag, wackerer Kerl, womit kann ich Dir eine Freude machen?« – Worauf Seraphin, bewegt wie er, ihm zutraulich antwortete: »Ihr habt von Euerm Grab gesprochen, Grödner, und das war viel zu früh. Der Herr wird Euch noch lang und zufrieden am Leben lassen. Aber – Grödner – Ihr wärt so viel brav, und ich hätt' Euch so viel lieb, wenn Ihr meinem Mutterl ein feines Kreuz auf dem Gottesacker setzen ließet . . . .! thut das, ich bitt' Euch schön, thut's bald, eh' das liebe Grab zusammensinkt, das hölzerne Kreuz verfault, und am Ende niemand mehr weiß, wo es gestanden. Thut's! ich komm' vielleicht lange nicht mehr in's Vintschgau; aber, wenn ich komme, so bring' ich, wär' ich übrigens auch noch so arm, gewiß so viel mit, daß ich Eure Unkosten ersetzen kann; – oder, wißt Ihr was? nehmt gleich diese Dukaten, dieses Gold als einen Abschlag auf das Kreuz von Stein für die brave Frau.«

»Behüte, behüte!« rief der Grödner: »behalte Du die Dukaten, und leg' sie an, daß sie Dir Glück bringen. Was Du wünschest, soll ohnehin geschehen. Ich verspreche nichts, das ich nicht zu halten entschlossen bin, und damit basta! Leb wohl!«

Nachdem sich Grödner und Seraphin unter gegenseitigen Glückwünschen getrennt, und die aufgeregte Empfindung des letztern etwas verkühlt, überlegte er, einsam 98 spazierend, was ihm abermals begegnet war, und das Ergebniß seiner Betrachtungen war: »Wenn ich schon nichts davon plaudern darf, daß Egidi mein Onkel, so will ich um so weniger mich breit machen mit dem Herrn Vater, den mir der Grödner zum Präsent gemacht hat. Ich schäme mich aber für beide Männer, daß sie, gerade nur wo möglich von mir in der Zukunft etwas Gutes zu genießen, – wenn anders mir armen Schelm selber was Gutes bevorsteht – mir ihre Freundschaft und ihr Vertrauen geschenkt haben. Doch ist der Egid, wie der Grödner, was sie einen »braven Mann« heißen. Wie müssen aber erst die schlechten aussehen, wenn schon die »braven« so hinterlistig und verschlagen und auf ihren Vortheil bedacht sind? Es wird am Ende nicht übel seyn, wenn ich des Maroner fürsichtiges Sprichwörtl annehme: Trau, schau, wem? – Das will ich, und gar keinem Menschen recht zuversichtlich vertrauen, nicht einmal der herzigen Martina, die mir jetzt vorkommt, wie ein falsches Vögelein, das gerade dann, wenn ich ihm noch so wehmüthig sein Stückl pfeife, oder noch so geduldig zurede, den Schnabel nicht aufmacht, als nur um leichtsinnig in den Wald zu schreien, oder das herumhüpfend sich anstellt, als ob's auf meine Musik gar nicht horchte.«

Am künftigen Sonntag, da er wieder einmal Erlaubniß hatte, gen Imst zu kommen und in Tammerls Hause sein Mittagsmahl zu verzehren, wollte er sein Mißtrauen walten lassen, und mit kaltem, aber durchdringendem Auge erforschen, wie es Alle dort im Hause wohl mit ihm aus dem Grunde ihrer Seelen meinten. Der arme Narr! Seine junge Wissenschaft wurde alsobald zu Schanden. Mit Tammerl hatte er leichtes Spiel; der Meister war ihm redlich zugethan, lobte ihn nach seiner Weise, und gab ihm auf, drei schöne Spezialvögel auszusuchen, die ein Handelsmann von Innsbruck für einige Damen jener Stadt expreß bei ihm bestellt hatte. – »Der Meister hat 99 mich aufrichtig lieb,« sagte sich der Forscher Seraphin im Stillen. – Dagegen traute er der Frau Martha eine mildere Gesinnung zu, weil er so glücklich gewesen, ihren alten fetten Hund von einem Anfall des Podagra vorläufig zu befreien. Aber gerade im Gegentheil grollte ihm die Mama noch immer, wenn sie auch gleißend mit ihm that. – Martina war erschrecklich kalt und einsilbig, und Seraphin verlor wieder einmal alle Hoffnung; dennoch war ihm das Mädchen gut, wie sie noch gar nie gewesen, und hätte ihn gern umhalset und für ihre Sprödigkeit um Verzeihung gebeten. Der Tante und ihrem kühlen Gesichte traute er am allerwenigsten; demungeachtet war sie freundlicher mit ihm beschäftigt, als er sich einbildete. – Einen kleinen Ersatz für so viele Kälte und drohenden Ernst bot dem jungen Vogelwärter die besondere Gutmüthigkeit, die Frau Marianne, auf deren Gunst ihm viel ankam, dem schüchternen Menschen erwies. Aber – wie tief wäre sein Zutrauen gesunken, wenn er, nach Tisch gen Tarrenz eilend, um die bestellten Vögel auszuwählen, sich hätte träumen lassen sollen, von welcher Art eine Unterredung war, die ungefähr zur selben Zeit, während Martina zu Veverl auf Besuch gegangen, Frau Marianne mit ihrer Schwester Magdalene im Kämmerchen der letztern hatte.

Die Tante war beschäftigt, einen Brief zu schreiben. Ihre Arbeit lassend, fragte sie die eintretende Marianne: »Willst Du mich zur Kirche abholen?« – »Laffen wir heute die Kirche bei Seite,« erwiederte Frau Tammerl, indem sie sich matt und müde in den Armsessel versenkte: »Bleiben wir zu Hause. Meine Glieder sind wie abgeschlagen.« – Sie faltete die Hände über dem Gürtel, woran sie die Schlüssel des Hauses trug, und seufzte einigemal ziemlich schwer. Die Tante, die sie genau kannte, wußte nun schon, daß sie etwas auf dem Herzen hatte, womit 100 sie nicht zögern würde, anzurücken. – In der That hob bald Marianne an, um den Brei zu gehen, und warf hin: »Du bist glücklich, Lenerl. Du hast einen Frieden, wie ich mir ihn wünschte.« – »Das ist nicht Dein Ernst, Marianne,« versetzte die Tante ruhig. Die Tammerl redete weiter: »Grad jetzt hab' ich einen Augenblick zum Verschnaufen. Der Herr schlaft wie gewöhnlich; die Frau Mutter betet und läßt mich ungeschoren; die Martina . . . . schwatzt mir auch die Ohren nicht voll, weil sie nicht daheim ist . . . . jetzt könnte ich mir, frei vom Hausgeschäft, etwas Gutes thun; aber . . . .« – »Aber, liebe Marianne?« – »Wenn die Sorgen nicht wären, liebe Magdalene!« – »Kein Mensch ist ohne Last und Plage,« sagte Lenerl, die nun ihrerseits auf den Busch schlug: »Du bist besser daran, als viele andere. Was kann Dir so schwer im Sinne liegen?« – »Ach, schau, Lenerl, die Kinder, die Kinder sind das lebendige Kreuz für die Mutter!«

Da Frau Tammerl, obgleich sie die rechte Saite angeschlagen, nicht für gut fand, darauf fortzuspielen, stellte sich Magdalene geschickt an, als ob sie von selbst darauf einginge, und versetzte: »Nun ja, da haben wir wieder das alte Lied von dem Peter in der Fremde. Ich wünschte bald selbst, daß der verdrießliche Junge endlich einmal aus der Lehre käme, wenn schon er sie kaum angetreten, damit nur Deine Kümmerniß um ihn ein Ende hätte!« – »Nun, warum soll ich nicht bekümmert seyn um den guten Peter, da er doch einmal mein Sohn ist, und am Heimweh fürchterlich leidet? Es ist ein Unglück, daß ihr ihn nicht leiden mögt, weder Du noch der Alte selber, und daß ihr behauptet, mein Peterl sey ein Strohkopf, und habe ein schlimmes Gemüth. Das macht mir auch gar oft Verdruß und Kummer, denn das Peterl ist ein braves Kind; ich kenne ihn besser. Aber für den Augenblick liegt mir weniger der Peter am Herzen, als die Martina, die von euch allen verzogen und verhätschelt wird, und die 101 übertriebene Vorliebe gar nicht verdient.« – »Das wäre zu beweisen, Marianne. Was gibt's aber mit der Martina?« – »Hm, sie wird eben doch ein paar Jahre aus dem Hause müssen, so schwer es mich ankommt, von all meinen Kindern mich zu trennen.« – »Ei, ei! wohin soll sie?« – »Ich denke, nach Meran, zu den englischen Fräulein. Sie seyen gar zu brav, hat man mir geschrieben und gesagt von allen Seiten. Erst kaum zehn Jahre sind sie zu Meran, und haben sich schon alle Achtung und Liebe erworben, zählen etwa sechzig Schülerinnen, und erziehen sie vortrefflich.« – »Gib das Vorhaben auf, Marianne. Die Martina taugt nicht in's Kloster. Ihr lebhafter Geist würde dort Anstoß, vielleicht Aergerniß geben, oder würde sich verheucheln und verwandeln, wie Du selbst es nicht gut heißest.« – »Pah, das sind eitel Vorurtheile und irrige Gedanken, Lenerl. Es können nicht alle Mädchen in gräflichen Häusern erzogen werden, und was dabei herauskömmt . . . .«

Marianne verschluckte den Schluß ihrer Anspielung, weil sie sich erinnerte, daß Kränkung aus Schwestermunde sehr weh thut, und weil Magdalenens Blick sich still zu ihr aufrichtete, mit einem sanften Vorwurf, der sie schweigen machte. – Nach einer Pause sagte Marianne entschlossen: »Und doch muß das Madl aus dem Hause, und zwar je eher, je lieber.« – »Sie ist Dein Kind, Marianne. Dein Herr und Du, ihr habt zu befehlen. Sag mir indessen, was das arme Ding verbrochen hat, daß sie von den Eltern, aus der Heimath in die Fremde und zwar ins Kloster versetzt werden soll?«

Frau Tammerl nahm einen Anlauf, und stieß mit nicht geringem Kampfe heraus: »Daß Gott erbarm'! es ist eine Schande es zu sagen; aber . . . . stell' Dir vor: das kleine Weibsbild, der Fratz, der noch nicht trocken hinter den Ohren ist . . . ., sie ist verliebt, verliebt, die abscheuliche Kreatur!« –

102 Die Tante fuhr zusammen. Wie hatte die Mutter das erfahren? Was hatte sich wieder ereignet? Was hatte sie gethan, die ungerathene Martina, die seit dem unsinnigen Donnerstag von ihrer Tante gehütet worden war, wie ein Ei, wie ein Auge, wie ein Heiligthum? Martina, die ihrer Tante die beste Aufführung, die größte Zurückhaltung versprochen hatte? »Das wird nicht seyn!« stammelte Lenerl wahrhaft entsetzt, und der Aechtheit dieses Entsetzens vertrauend, ging Marianne unverholen mit der Farbe heraus.

»Der wunderliche Tiefsinn des Mädels,« sagte die Mutter, »war mir schon lang aufgefallen. Ich meinte jedoch, es habe damit eine andere Bewandniß. Nun komme ich aber gestern, die Langschläferin aufzuwecken, damit sie die Kirche nicht versäume; da schläft sie fest, als wie ein Stück Holz und rührt sich nicht. Aber, so bald ich sie nur ein wenig angeschaut, fängt sie an, die Arme auszustrecken, und im Schlaf zu sagen. »Küsse mich noch einmal! he?« –

»Ha, ha, ha!« lachte die Tante, wenn ihr schon nicht viel um's Lachen war: »da haben wir's. Auf das leere Wort hin willst Du das Kind, das blutjunge Mädchen, beschuldigen? Das ist wahrlich nicht zum verantworten. Muß die Martina grade von einem Mannsbild geträumt haben? Warum nicht von Dir selber, oder von ihrem Vater, oder von mir, der sie gar oft ihre Küsse anträgt?«

»Weiß mich nicht zu besinnen, daß weder mein Alter, noch Du, noch die Frau Mutter, noch meine Wenigkeit selber den Namen »Seraphin« in der Taufe erhalten hätten.« – »Seraphin!« – »Ja doch, ja doch, Küß' mich noch einmal, Seraphin! hat das gottvergessene Kind gesagt, so deutlich, als ich Dir's jetzt wiederhole. Und hat dabei gelacht, als verdiene sie dafür eine Belobung; als legte sie sich damit das schönste Bildl bei 103 ihren Eltern ein! Und als sie erwachte auf mein Anrufen, so wußte sie noch perfekt, was sie geträumt hatte, denn sie wurde plötzlich, da sie mich sah, wie, wie . . . . ein Granatapfel hat nicht röthere Backen!«

Die Tante hatte, während die Mutter ihrer Redseligkeit den Lauf ließ, nachdem das Eis gebrochen, sich von ihrem Schrecken erholt. »Geh, geh,« sagte sie, eine verdrießliche Miene vornehmend, »ist das gescheit? Was können wir denn für unsere Träume? Und träumen wir nicht gerade am häufigsten von Dingen, woran wir im Wachen nicht denken? Soll das Madl da für einen Traum büßen! Hast sie gewiß gleich angefahren nach Deiner Art, Du böse Mutter, die den falschen Peter zum Herzblattl erwählt hat, und das saubre Dirnl ungerechterweise nicht ausstehen kann?«

Nicht zu beschreiben ist der feine gesalzene Spott, mit welchem Frau Tammerl aufstand, das Fürtuch auseinander spreitete, den kleinen Finger jeglicher Hand äußerst geziert ausstreckend, einen tiefen Knix vor der mißbilligenden Schwester machte, und triumphirend lächelnd sagte: »Küß die Hand, liebste Jungfer Lenerl, bin aber nicht so einfältig gewesen, wie Du mir's zutraust. Ich habe nichts, gar nichts gesagt; ich habe niemand, gar niemand angefahren, und Dein Herzblattl würde noch ferner in Ruhe schlafen können, und meinetwegen vom Prinzen Eugen sich küssen lassen nach Gefallen, wenn ich nicht – nach einem nähern Beweis stöbernd – tief unter der Martina Sachen versteckt – in einer niedlichen Schachtel dieses Herz gefunden hätte, welches Dir bezeugen mag, daß der geträumte Seraphin lebt in Fleisch und Bein, und daß zwischen den Fratzen ein, will's Gott unschuldiger, aber doch nicht zu duldender Techtelmechtel stattfindet.«

Siegreich legte Marianne das bewußte papierne Wechsel-Herz vor Magdalenen's Augen nieder. Die Tante 104 las, ärgerte sich, lächelte dann über der Kinder Einfalt, wurde dann von der Zuneigung, die sich in Beiden so früh entwickelt hatte, gerührt, so daß sie mit feuchtem Blick und scherzendem Munde zur Schwester sagte: »Ja, gewiß setze ich für die Unschuld des kleinen Techtelmechtls meinen Kopf zum Pfande. Die Kinder lieben sich vielleicht herzlich, und das kommt aus ihnen selber; das hat ihnen niemand eingeblasen. Wer weiß, was ihnen die Zukunft bescheert?« – »Wohlgesprochen, aber die Gegenwart will versorgt seyn.« – »Man hat Exempel, liebe Marianne . . . .« – »Exempel hin, Exempel her. Nimm mir's nicht übel, Lenerl. Du bist etwas leicht in Deinen Gedanken, und träumst von allerlei wunderlichen und seltsamen Begebenheiten, die alle tausend Jahre einmal oder besser gar nicht vorfallen; die nur in denen dicken Büchern stehen, von denen hin und wieder der Pater Guardian predigt, und zwar nicht zu ihrem Vortheil; in denen Büchern, die von müßigen und nichts nutzigen Fabelhansen geschrieben werden, um den Leuten das Hirn zu verwirren. Gott sey Dank! in unser Haus sind sie noch nicht gekommen, und haben noch nicht die Legende und das Betbuch ersetzt. Wir Bürgersleute leben noch mit der Welt, wie sie ist, fürchten Gott, ehren unsere Eltern und wachen über unsere Kinder. Das will ich thun, Lenerl, und niemand soll mir darein reden.« – »Nun, nun, Marianne, sey gut: Ich meinte nur, daß die Kinderei nicht verdient, daß Spektakel deßhalb gemacht werde.« – »Ich will auch nicht Spektakel machen; ich will die Wurzel des Uebels im Stillen ausgraben. Das kürzeste wäre, den Buben wegzujagen; aber dazu bin ich zu barmherzig, und der Bub' ist, seine Dummheit mit dem Madl abgerechnet, zu brav. Also ist's am besten, daß die Martina Platz mache. Ein Jahr oder anderthalb – das ist eine lange Zeit für die 105 Jugend. Aus den Augen, aus dem Sinn . . . . Gib mir doch das saubre Herzlein wieder, Lenerl.«

Die Tante suchte vergebens darnach. »Der Luftzug muß es zum Fenster hinaus geweht haben,« sagte sie ruhig. – Desto unruhiger erwies sich Marianne. »Eine schöne Geschichte!« rief sie: »da liegt die Bescheerung auf der Gasse, und mag sie finden, wer da will, so ist in einer Viertelstunde die ganze Dummheit in den Mäulern aller Leute!« – Sie eilte hinaus, das Papier von der Gasse aufzuklauben; doch war es nirgends zu sehen. Ungeduld und Verdruß wollten ihr schon zu Kopfe steigen, als sie Magdalene hörte, die leise aus dem Fenster rief: »'s ist nichts, komm nur herauf. Der Piratl hat das Ding gefressen!«

Als Marianne wieder bei Lenerl erschien, war richtig der kleine Hund beschäftigt, Papierschnitzel zu verzehren, und Marianne hatte nur die Nachlässigkeit der Schwester und die Gefräßigkeit des Thiers zu bedauern, da ein kostbares Beweisstück durch sie zu Grunde gegangen. – »Das thut jedoch nichts,« sagte sie, bald gefaßt: »besser daß der Hund es gespeist, als daß es im Markt herumgeschleppt worden. Weiß ich doch, was ich weiß, und meine Anstalten werden bald getroffen seyn.« – »Uebereile Dich nicht mit dem Kloster,« ermahnte die Tante nochmals: »beschaue Dir die Sache von allen Seiten, ehe Du etwas, das im Grunde kein Verbrechen, erst schlimm machst.« – »Das werd' ich,« lautete die Antwort: »ich werde überlegen und reiflich überlegen, wie's einer Mutter zusteht. Weil Du jedoch eine Jungfer von Ehre und Zucht und Frömmigkeit bist, so fordere ich Dich auf, meinem Beispiel folgend, der Martina nichts merken zu lassen.« – »Das soll seyn, ich gebe Dir die Hand darauf.« – »Und daß der Bube nichts erfahren darf, versteht sich per se.« – »Das mein' ich auch,« versicherte die Tante ernstlich, und Marianne 106 entfernte sich, um über die Sache weiter nachzudenken, mit dem nochmaligen Versprechen, den Handel und ihren Beschluß nicht über's Knie abzubrechen, und jedenfalls letztern zuvor der Tante mitzutheilen, ehe er zur Ausführung käme.

Wie geneigt indessen Marianne war, ihren Beschluß alsogleich vorzubereiten mit dem nächsten besten Mittel, das ihr der Zufall, oder was der Tag brachte, liefern mochte, stellte sich noch an demselben Abend heraus, und zwar in einer Verhandlung mit ihrem Mann. Sie war Selbstherrscherin genug, um ihre jetzige Beschwerde ganz für sich zu behalten und Herrn Tammerl zu verhehlen, der entweder einen unnöthigen furchtbaren Lärm gemacht, oder, je nachdem gerade seine Laune beschaffen, sein Herzblattl vertheidigt und mit den Besorgnissen der Mutter allerlei Scherz und spöttische Kurzweil getrieben haben würde. Doch bot sich ihr eine allzugute Gelegenheit dar, ihr Trennungsprojekt und daneben so ganz von ferne die Zurückberufung ihres geliebten Peterl einzuleiten, als daß sie versäumt hätte, sich ihrer zu bemächtigen. – Herr Tammerl stand eben entzückt vor den drei Canarienvögeln, die mittlerweile Seraphin von Tarrenz hereingebracht hatte. Der arme Narr hatte sein zweistündiges Hin- und Herlaufen nicht mit einem freundlichen Worte Martina's vergolten gesehen. Er hatte das Mädchen zwar an Veverls Fenster bemerkt und ehrerbietig gegrüßt; aber kaum hatte sie vornehm genickt, und wie mit einem Messer im Herzen war er nach Tarrenz zurückgekehrt. –

Vor den Vögeln stand also Tammerl und sagte mit vergnügten Blicken: »Schau, Marianne, Vögel wie diese gibt's weit und breit nicht mehr, und der Seraphin hat an ihnen ein Meisterstück geliefert, womit mein Correspondent gewißlich mehr als zufrieden seyn wird. Das ist ein Schlag, so glatt und gleich, als wie geschmiert, und ein jeder pfeift ein andres Stückl; der den Schützenmarsch 107 – hör' nur einmal zu, Marianne – he? dieser das ungarische Husarenlied, – horch, da fehlt auch keine Note. aber der dritte, der schwarzbehaubete . . . . es ist schon eine Pracht . . . . der macht den Zillerthaler Hosennaggler auf, daß einem das Feuer schier in die Zehen spritzt, und daß ich gerad die Füße auflupfen möchte!«

»Geh, Peter, geh, schäm' Dich; das würde zu Deinem Alter und wampeten Wesen nicht zum besten stehen! Ich finde, daß Du im Winter wieder gewaltig zugenommen hast.«

»So?« fragte Tammerl mit einem besorgten Blick auf seine Korpulenz – er fürchtete Schlagfluß und Wassersucht: »ich mache mir eben viel zu wenig Motion.«

»Das könntest Du besser haben, Peter. Wir sind jetzt in der schönsten Jahrszeit. Wenn Du täglich zweimal nach Tarrenz hinausgingst und wieder herein, und Deine Vögel selbst besorgtest . . . . Du solltest schon sehen, daß Dir bald das Gewand weiter würde. Glaub' mir, und probire dieses nur ein acht oder vierzehn Tage lang.«

»Wär' mir nichts lieber,« sagte Tammerl, indem er seine Ehefrau mit großen Augen ansah: »Was fällt Dir ein? Wozu hätt' ich den Seraphin, wenn ich selber draußen den Vogelwärter vorstellte?«

»Du sollst es ja nicht für alle Ewigkeit, Peter: höre, was mir einfällt. Der gute Kerl, der Seraphin, könnte auch wohl einmal für alle seine Plage und guten Dienste eine kleine Freude haben.« – »Meinetwegen. Welche?« – »Mit welcher Gelegenheit willst Du die Vögel da nach Innsbruck schicken?« – »Uebermorgen mit dem Silzer Fuhrmann. Von Silz wird sie alsdann der Wörle-Hoisal in die Stadt tragen.« – »Gib acht, Du hast mit den Vögeln Unglück. Was weiß der Ruech von Fuhrmann von der Abwart, die sie brauchen? Dann bleiben sie vielleicht in Silz mehrere Tage stehen, bis der Hoisal eintrifft; und im Wirthshaus, bei versäumtem Fressen und Saufen, 108 und getratzt von allen neugierigen Gästen, möchten sie leicht verderben, oder, was sie können, liederlich vergessen.« – »Hm, das wär' nicht unmöglich. Aber was meinst Du eigentlich, Weib?« – »Ich hätte so gedacht: laß den Seraphin die Vögel nach Innsbruck tragen. In fünf oder sechs Tagen kann er wieder recht bequem zurück seyn. Wahrend dessen würdest Du Dich etwas ausmagern, und der Bub' hätte die Freude, ein Stück von der Welt und die schöne Stadt zu sehen, einen Tag oder zwei dort zu rasten, dem Peter die Strümpfe und die Schlafhauben, die ich für ihn verfertigt, zu überbringen, und ihm haarklein zu erzählen, was in seiner Heimath vorgegangen ist. Denk' Dir des Peterl Vergnügen, mit einem Menschen seines Alters von Imst schwatzen zu dürfen! das würd' ihn kuriren und aufmuntern, und der Seraphin würde nachher noch einmal so fleißig und brav seyn. Was meinst jetzt Du, hm?« – »Der Spaß würde mich viel mehr kosten, als die Fracht an den Silzer und den Wörle-Hoisal« – »Schäm Dich, ein Kümmelspalter zu seyn, wenn's darauf ankommt, Deinem eigenen Kind und Deinem braven Dienstbuben ein Vergnügen zu machen. Meinetwegen jedoch. Laß' indessen nur gleich den Bader kommen. Dein Angesicht gefällt mir ganz und gar nicht, roth und aufgetrieben, wie es ist.«

Frau Marianne stellte sich an, als wollte sie hinausgehen. Tammerl hielt sie auf. »Was Du immer mit meinem Gesichte und dem Bader hast!« zürnte er; aber sein Zorn war nur die Maske seiner Angst: »Das ewige Blutlassen! Ich werde noch die Wassersucht kriegen. Der schwäbische Doktor von drüben aus dem Voralberg hat mir freilich lang gesagt, das Wassertrinken und eine starke Bewegung wären mir gesünder, als Dein unaufhörliches Aderlaffen; aber ich hab' ihm nicht recht getraut. Die Ausländer alle sind falsche Christen und arge Windbeutel; ich kann sie nicht leiden. Indessen mag der Schwab doch 109 nicht so unrecht haben. Und der Seraphin – ich möchte ihm wohl ein Spaziment gönnen, wie mir eine bessere Gesundheit. Aber schau, Weib: das sind drei Kapitalvögel; Spezialvögel sind's. Das hat gar viel auf sich. Wenn der Bub' sie leichtsinnig hinwerden ließe . . . . wenn er sich die Vögel stehlen ließe . . . . drei Spezialvögel . . . . wenn er das Geld für die Thierchen verlöre . . . . oder gar verwixte . . . .?«

»Nun, nun, bist Du bald zu Ende?« fragte die Frau, ihres Siegs gewiß: »es ist eine Schande, Dich so reden zu hören. Du erbarmst mich! Ist Seraphin nicht rechtschaffen und klug, wie ein Alter, ja noch klüger? Willst Du ihn nicht einmal, wie die andern Vogeltrager, auf viele hundert Meilen hinausschicken, mit dreihundert Vögeln und noch mehr, mit Geld und Waare, und willst ihm jetzt nicht einmal auf einen Katzensprung von dreizehn Stunden oder weniger die paar Vögel und ein paar Gulden anvertrauen? Meinetwegen. Aber hör', was ich Dir sage: Wenn Du den fleißigen Buben noch lang als wie einen Gefangenen draußen in Tarrenz halten willst, ohne ihm ein bissel Freiheit zu vergönnen, so wird er sich durchmachen bei der ersten Gelegenheit, und all' Deine wunderlichen Hoffnungen auf ihn sind alsdann in's Wasser gefallen, wo's am tiefsten ist.« –

Ob nun Tammerl alsobald nachgab, oder ob er sich noch eine Weile wehrte, ist zu wissen unnöthig; aber gewiß ist, daß er noch am nämlichen Abend Bericht nach Tarrenz schickte, der Vogelwärter habe am nächsten Morgen ganz frühe bei ihm zu erscheinen, und sich auf eine kleine Fußreise vorzusehen. Wenn schon von seiner Frau gebeten, kein Aufhebens von der Vergünstigung zu machen, konnte sich Tammerl doch nicht versagen, die Schwägerin zu fragen, ob sie nichts nach Innsbruck zu bestellen habe. Seraphin würde hingehen und alles bestens besorgen. Die Tante erwiederte erröthend: »Ei ja, ich hab' 110 etwas für ihn. Schick' mir der Schwager den Buben nur so früh als Er will in meine Stube. Ich werde aufgestanden seyn, und ihm einhändigen, was er für mich bestellen soll.«

Wie die Tante Lenerl es gewünscht, so geschah es auch. Seraphin stellte sich bei ihr ein, zu einer Stunde, da noch wenige Jungfern von Imst ihrem Bette entschlüpft waren. Aber bereits war Magdalene sauber und zierlich angekleidet, als hätte sie einen halben Vormittag vor ihrem Spiegel zugebracht. Der junge Bursche bemerkte diese Ordnung und Sauberkeit mit Vergnügen. Er fühlte seine Angst, vor der Tante unter vier Augen zu erscheinen, schnell dahinschwinden. Seine Zuversicht wuchs. Die Morgenrosen auf seinen Wangen erblühten noch schöner, noch munterer wurden seine Augen, die nicht von fern ahnen ließen, daß ihr Besitzer eine ganz schlaflose Nacht hingebracht habe. Freilich war sie schlaflos gewesen vor Zufriedenheit, vor Entzücken; denn wie vom Himmel gefallen, und zwar wie eine vom Himmel gefallene Wohlthat, wie eine vielverspätete, aber doppelt reich eingebrachte Niklausbescherung, war ihm der Befehl zur Wanderschaft in seine begnadigte Kammer geregnet. Er verwußte sich nicht vor Freuden, und der Freudenschimmer machte ihn so hübsch, daß er sogar der strengen Jungfer Magdalene gar wohl gefiel. Sie redete ihn daher freundlich an: »Willst Du mir einen kleinen Dienst erweisen, Seraphin? – »Ei,« antwortete er treuherzig: »zwanzig für einen, und immer einen lieber als den andern, Jungfer Lenerl« – »Ist das auch Dein völliger Ernst?« – »Oho, ich lüge nicht. Es sollte mir um einen Finger an jeder Hand nicht leid thun, wenn mir bei der Jungfer etwas einschlüge.« – »Was denn?« – »Daß Sie mir ein bissel gut wäre.« – »So? glaubst Du denn das Gegentheil?« – »Hm, ich sollt's fast meinen. Die Jungfer hat mir immer noch nicht die Dummheit vom Fasching 111 verziehen, und die Martina, fürchte ich, hat's auch nicht gethan, und – schau die Jungfer, ich bilde mir halb ein, daß die Jungfer daran schuld ist.« – »Du bist ein Narr. Ich bin Dir vielleicht mehr zugethan, als Du Dir vorstellst.« – »Das sollt' mir lieb seyn. Aber das ist gleich: ich will jedenfalls treulich verrichten, was mir die Jungfer auftragt.« – »Gut, nimm dieses Päckchen. Wem es gehört, ist darauf geschrieben. Gib das in Innsbruck fein ab. Du wirst entweder dort oder dann von mir eine gute Belohnung erhalten« – »Ach mein, das braucht's nicht. Ich will's schon verrichten.« – Seraphin schob das Päckchen in die Reisetasche, die ihm Tammerl umgehängt hatte, und worinnen allerlei für den Sohn Peter enthalten war. Die Biederkeit und das verständige Wesen, das sich in Seraphins Zügen und Benehmen kund gab, gewann ihm Lenerl's Gunst immer mehr. – »Reise glücklich und komm bald wieder,« sagte sie gütig, und als der junge Mensch noch immer zögerte, fragte sie: »Hast Du mir noch etwas zu sagen?«

Seraphin knetete sein Hütl hin und her und erwiederte verschämt: »Ich hätt' eine gar schöne Bitte.« – »Welche?« – »Wenn die Jungfer Tante die Ma . . . . Ma . . . . Martina ein bissel von mir grüßen wollte . . . .?« – Dem armen Buben kam das Wasser in die hellen Augen, und der empfindsamen Tante wär's bald nicht besser ergangen, indem sie bedachte, was ohne Zweifel baldigst den beiden unschuldigen Herzen bevorstand. Schnell entschlossen entgegnete sie: »Wart ein bissel, ich komme geschwind.«

Sie verließ hastig die Stube, und ehe noch der gute Knabe dem Himmel hatte danken können, daß er die Tante so gut und freundlich hatte aufstehen lassen, war sie wieder da, an ihrer Hand Martina, die von der eiligen Tante dem Morgenschlummer entrissen worden war. »Da,« sagte 112 Lenerl bewegt: »da, gebt euch die Hände, sagt euch ein Lebewohl. Martina, der Seraphin geht auf ein paar Tage nach Innsbruck; Seraphin, Du wirst die Martina einige Zeit nicht sehen. Sagt euch ein frommes ›behüt Dich Gott! . . . .‹ und betet für einander um ein fröhliches Wiedersehen.«

Die Tante vermochte kaum, mit Fassung zu endigen, und drehte sich ein bischen zum Fenster, daß nur der Morgenstrahl ihr feuchtes Auge sah. Die Unbefangenheit der kindlichen Verliebten gestattete ihnen keine ernstere Deutung des Abschieds. Sie gaben sich herzhaft die Hände, und blickten sich an mit klarer unschuldiger Zärtlichkeit, ohne Rückhalt, ohne Furcht vor zukünftigen Ereignissen. »Bleib' gesund, denk' an mich, komm' bald wieder!« sprach Martina. – »Die Zeit wird mir lang werden, aber ich bin geschwind wieder da,« sprach Seraphin. – »Ich will Dich in mein Gebet einschließen, vergiß mich nicht,« sagte wieder Martina. – »Es wird mir wohl gehen, weil Du mir gut bist,« sagte alsdann Seraphin: »vergiß auch Du mich nicht, und wenn das Rothkröpfl singt, so stell' Dir vor, ich sey's.« – »Geschwinde, geschwinde, ehe die Mutter nach Dir ruft!« ermahnte die Tante ihre Nichte. – Nun gaben sich die Beiden beide Hände, und drückten sie, und sagten wie aus einem Munde: »Auf glückliche Wiederkehr, auf glückliches Wiedersehen!« und in den paar Worten verstand ein jedes von ihnen so viel, als hätten sie einen ganzen Tag lang mit einander geredet. – Seraphin ging seiner Wege. Martina schlüpfte mit der Tante wieder in ihre Kammer.

Bald war Seraphin gerüstet, hatte die kleine Kraxe mit den Vögeln auf dem Rücken, den Wanderstab in der Hand, eine warme Suppe, die ihm Frau Marianne gekocht, im Magen, und wanderte getrost aus dem Hause. Ueber seinem Haupte klöpfelte es am kleinen Fenster, 113 hinter dem Zipfel des geblümten Vorhangs nickte ihm noch einmal die schöne Frühlingsblume zu, die ihm so wohl gefiel; er schwenkte sein Hütl . . . . und nach wenigen Schritten war er schon auf der Straße in die Welt hinaus.

Tammerl wartete seiner vor dem Markte und begleitete ihn bis zum Brennbüchl. Dort versah er den Wanderer noch mit manchem Unterricht, munterte ihn auf, und versprach ihm alles Gute, wenn er seine Geschäfte gut verrichten und sich tauglich erzeigen würde zu dem Leben, wozu ihn Tammerl bestimmt hatte. – Hierauf, nach wenigen Minuten, war Seraphin allein; hinter ihm lag Imst mit seinen Hoffnungen, mit seiner Liebe, aber vor ihm, der jugendlichen leichtbeweglichen Seele zum Trost, lag die ganze Welt mit ihrem reichen Schatz von Freuden. Traurige Gedanken kamen nicht in Seraphin auf. Die Sonne schien hell, die Lerchen sangen munter, die prächtigen Gebirge standen heiter umher, der Strom wälzte frisch die schaukelnden Wogen durch's Land: alle diese herrlichen Erscheinungen fanden einen Wiederhall, einen Abglanz in des gesunden Burschen Kopf und Brust. Die Bürde auf seinem Rücken war federleicht, noch leichter sein Blut. Es könnte ihm nicht fehlen, sagte er sich fröhlich immer wieder, und hätte nicht getauscht mit der jubelnden Lerche, nicht mit der schnellen Woge; war er doch frank und frei wie sie.

Den Menschen fällt ihr Erdenloos ungleich. Bevorzugt erscheinen, oberflächlich betrachtet, die Kinder der fetten Ebenen, wo das Korn wächst und auf unermeßlichen Wiesen die Heerden und ihr Futter zugleich gedeihen, wo die leichte Mühe mit dem reichen Ertrag nicht im Verhältniß. Glücklich nennt sich auch der Bewohner der Flußgebiete und der Meeresküsten, der nur sein Netz zu werfen braucht, um mit dem Segen der Fluth schwerbeladen 114 heimzukehren, der nur seines Leuchtthurms Lampen anzuzünden, nur seiner Häfen Ketten zu öffnen hat, um aller Welttheile Kostbarkeiten um sich versammelt zu sehen, von denen er spielend goldenen Zoll erhebt. Wer priese nicht, als lustiger Wanderer an Rebenhügeln vorüberziehend, auf welchen die freudenbringende Traube glüht, wer priese nicht den Herrn jener Nektarquellen, den fröhlichen Weinerzeuger, dem die Sonne stets in's Auge lacht, der singend ihre Strahlen eingefangen hat in's dunkle Faß, in's helle Glas? Nicht Einer von den Dreien, nicht der Mann aus dem Flachland, vom Meeresstrand, aus dem Gau der Reben – wenn schon nicht gar so glücklich, als die von ferne schauende Menge wohl glauben mag – würde tauschen mit dem armen Sohn der Gebirge, der sein Brod nur kärglich baut, der seine Hütte an die Felswand klebt, wie eine Schwalbe ihr Nest an den Kirchthurm, der auf der Alpe verwildert, der allen Elementen zugleich die Stirne bieten muß, der acht Monate Winter hat, und die andern vier Monate kalt. – Freilich ist er arm, freilich unwissender oder roher; aber was ihm, dem im entlegenen Thale zwischen Eis und Schnee und Wildbächen Begrabenen an Kenntnissen und an Weltton mangelt, wird ihm ersetzt durch jenes ruhige geprüfte Selbstvertrauen, das einem Jeden wird, der mit gesunden Sinnen der Dürftigkeit nicht achtet, und auf jegliche Gefahr vorgesehen ist. Der dreiste Muth, die täglich rüstiger angespannte Kraft, der gerade Sinn und Verstand des Gebirgbewohners sind Reichthümer, die allen klingenden die Wage halten. Er lebt von Entbehrungen und hat daran sogar Freude; umzwingelt von drohenden Wettern, steilen Felsspitzen und Ungemach jeglicher Art, scherzt er mit der Gefahr wie mit einer glatten Schlange. Der schwindelnste Pfad ist seinem heitern Kopf gerecht; bei Tag und Nacht, im Schneesturm und Sonnenbrand, ist er zu jeder Stunde bereit, zu gehen, wer weiß, wie weit. Die Finsterniß wie die 115 Sonne ist seine Freundin; er klettert, wo das Wild kaum aufzutreten wagt; Wald oder Heustadel, Bärenhöhle oder Sennhütte sind ihm gleich liebe Nachtlager; ein Bündel Gras oder ein Felsklumpen zum Kopfkissen fehlt ihm nirgends, und bevor er sich niederstreckt, nicht den Dieb, nicht den Luchs fürchtend, nicht die Lawine, nicht den Murbruch, nicht den Waldstrom, der sein Bett überraset, spricht er sein Nachtgebet, und juchzet, noch ehe er die Augen schließt, daß Berg und Thal Kunde erhalten von dem einsiedlerischen Schläfer. Wer über die krachenden Fernen schreitet mit sicherm Fuß, wer aus den wirren Schluchten des Felsgebirgs eine verirrte Ziege heraufholt, ohne fehl zu gehen und die Geduld zu verlieren, wer seines Hauses Zimmermann und Maurer, Dachdecker und Kellergräber, Tischler und Schlosser ist, wer nicht achtet, daß mehrere Monate hindurch seine Hütte eingeschneit liegt, wer trotz Regen, Sturm oder Wintergraus allsonntäglich mit Lebensgefahr zur Kirche wandelt, und lächelnd dem mitleidigen Fremden, der schon vor der Erzählung dieser Schrecknisse sich entsetzt, erwiedern kann: 's ist halt einmal nicht anders, und das thut uns nichts; der ist gewaffnet gegen alle Mühseligkeiten des Lebens. »Gott hilft dem, der ihm vertraut!« hat ihm die Mutter über der Wiege gesungen. Seiner Kräfte bewußt geworden, sagt er sich später: »Gott hilft dem, der sich selber hilft;« und in diesem Satz liegt das Geheimniß des todtverachtenden Muths, des fröhlichen Beiderhandseyns, der hohen Vaterlandsliebe aller Gebirgsvölker. Mit Unrecht erstaunt der Fremdling über die letztere; mit Unrecht nennt er das Heimweh nach dem kargen Lande eine seltsame unbegreifliche Erscheinung. Die strengsten Eltern sind meistens die geliebtesten; ihre Strenge entwickelt in den Kindern Eigenschaften, die reiner Gewinn für's Leben sind. Wie sollte der Mann 116 der Alpen sein Vaterland nicht innigst lieben, das ihm den männlichen Muth bei der Geburt schon zum Geschenke macht; das Vaterland, von dem er den Stolz lernt, der ihm verbietet, vor den Mächtigen der Erde zu zittern! Innerhalb der Riesenmauern der Gebirge gilt ein König nur wie ein anderer Mann; der Richter und der Pfleger müssen sich das gemeine »Du« gefallen lassen. Von der rauhen Heimath hat auch der Gebirgsmann die gestählten Sinne, den schnellgefaßten Geist, einen nüchtern gewöhnten Leib und einen freien starken Willen. Nicht mehr bedarf's, um der Lebenszukunft Herr zu seyn. Darum sind die Bergsöhne in allen Sätteln gerecht, spannen ihre Unternehmungen, klein oder groß, über weites Land, über ferne Meere, und, ob sie ihr Ziel erreichen mit derber geradaus den Weg brechenden Beharrlichkeit, ob sie dahin kommen mit List und Verschlagenheit – wie sie daheim der übermächtigen Raubthiere Meister werden – immer ist's die Eigenthümlichkeit ihres Wesens, ein Erbtheil ihres Vaterlands, die ihnen den Erfolg erzwingt und Glück bescheert.

Seraphin war keine von den hochbegabten Menschennaturen, denen riesengroße Entwürfe im Gehirn keimen, oder die mit Heldenlust und Kraft das Schicksal unterjochen, aber dennoch genoß er in bescheidenem Maaße der Vortheile seiner armen Geburt auf armer Erde. Kaum dem Knabenalter entwachsen, war er schon geschickt genug, mit eigener Hand sein Steuer zu führen. In den Jahren, da ein im Wohlleben aufgesäugter Mensch noch bei jedem Schritte eines Helfers bedarf, war er schon Selbstherr seines Kopfs und seiner Glieder. Mit munterer Dreistigkeit ging er dahin, seinen Antheil von der Welt zu nehmen, und zählte sich nicht als eine Null in der Schöpfung. Das biedere Herz in seinem Leibe, die aufrichtige Zunge in seinem Munde, das Gottvertrauen in seiner Seele, dachte er, sollten 117 schon etwas werth seyn. Zudem begleiteten ihn Martina's hoffnungsreiches Andenken und der Mutter Geschmeide, das er in der That um seinen Hals gebunden wie einen Talisman, und sein Schutzengel – so glaubte er fest – mußte auch irgendwo in seiner Nahe seyn; er hatte sich des Engels nicht unwürdig gemacht.

Dergestalt ausgerüstet, wanderte er wohlgemuth den beschwerlichen Karreserberg hinan und hinab, ruhte unter dem traulichen Schatten der Obstbäume von Heiming, rastete in dem gastlichen Wirthshause von Silz. Wäre ihm nicht Pflicht gewesen, seine drei gelben Gefährten, die Spezialvögel, sorgsam zu verpflegen, und nicht von ihnen zu weichen, damit kein Mißgeschick in Gestalt einer Katze oder eines schlauen Diebs über sie käme, so hätte Seraphin in seiner heitern Laune nicht unterlassen, das alte Schloß Petersberg zu besuchen, das unfern von Silz auf einem mäßigen Hügel, umschattet von uralten Lindenbäumen, emporragt. So mangelhaft des jungen Vogelträgers Geschichtskenntniß, so war ihm doch nicht fremd geblieben, daß vor grauen Zeiten die Gräfin Margaretha, die als »Maultasche« im Munde des gesammten Tirolervolks noch heute lebt, auf dem Petersberg gar oft ihren Hof gehalten, und daß sie ebendaselbst von den Böhmen gefangen gehalten worden, die ihren unbeugsamen Stolz in Kerkereinsamkeit zu brechen vermeinten, was ihnen jedoch nicht zum besten gelang. – Seraphin zog für heute vor, bei guter Zeit Stamms zu erreichen, das hochberühmte Kloster, von dem er in seiner Heimath schon Wunderdinge gehört hatte. Mit gläubiger Ehrfurcht betrat er die Kirche des Stifts, unter deren Steinpflaster so manche tirolische Fürsten den ewigen Schlaf schlummern, und betete lang um einen glücklichen Ausgang seiner kleinen Wanderschaft. Erst nachdem er das Gotteshaus begrüßt, und staunend die herrlichen Stiftsgebäude umkreist, suchte er das Wirthshaus auf, wo er 118 sein Nachtlager zu nehmen gedachte. – Der Abend war unaussprechlich mild, die Luft erquickend, und tausendfältiges Leben rege und wach in Bergen und Wäldern, auf Fluren und Triften. Die Kanariensänger, die sich ungemein wohl befanden in dem warmen durch ihren Käfich spielenden Hauch des Innstroms und der Berge, wollten ihr plauderhaftes Concert nicht einstellen, und auch ihr Träger dachte nicht von ferne an Essen und Trinken und Schlaf. Er saß auf der Bank vor dem Nachtquartierhause, und zählte begeistert die glühenden Spitzen und Kegel der Gebirge, und versenkte seinen frischen Blick in das feurige Meer des Abendroths, das den Himmel überströmte. Schöner als heute hatte er noch nie die Sonne ausbrennen gesehen. – Da kam auf einem Feldweg von Inn herauf ein ärmlich gekleideter Bauernknabe, der alle Augenblicke stehen blieb, sich, wie Seraphin that, nach dem Himmel und Abendroth umzuschauen. Dann machte er immer ein paar Schritte mit gesenktem Kopfe, und als er an den Vogelträger herantrat, bemerkte dieser, daß dem fremden Buben die Zähren über die Backen liefen. Sobald er jedoch gen Himmel sah, lächelte er wieder, und so, bald weinend, bald zufrieden dreinschauend, setzte er sich neben Seraphin nieder, und sprach seufzend; »Auweh, ich bin steinmüd!«

Dieser einfache Versuch zu einer Unterhaltung wurde von Seraphin gut aufgenommen, und er fragte den steinmüden Jungen: »Woher Du?« – Der andere deutete über den Fluß, nach Landesweise kurz erwiedernd: »Von oben herab.« – »Wohin?« – »Auf Oberperfuß.« – »Wie weit?« – »Sechs Stunden und drüber.« – »Wo wirst Du heut über Nacht liegen?« – »Gar nirgends.« – »Oho!« – »Ich will die Nacht durch marschiren.« – »Warum?« – »Ich gehe gern zur Nachtzeit. Ich hab' den Mond und die Sterne und den 119 blauen Nachthimmel so viel gern.« – »Das wird schon seyn. Aber sagtest Du nicht, Du seyst müde?« – »Ganz gewaltig müde, ich hab' über den ganzen Tag nichts gegessen, und das thut den Beinen weh.« – »Du armer Narr, wo fehlt's denn?« – Der Fremde kehrte zur Antwort seine Taschen um, die völlig leer waren. Dieser stumme Bericht machte Seraphin's Herz auf der Stelle mürbe. »Oho!« sagte er: »da schaut nicht viel heraus? Bist Du schon weit gelaufen?« – Der Bube mit der leeren Tasche nannte ein Dorf an der bayerischen Gränze. – »Bleibst Du dort?« – »Nein, ich bleibe zu Oberperfuß. Mein Vater ist dort zu Hause.« – »Bist gewiß ein Dörcherbub', und bettelst unterwegs, was Du brauchst, zusammen?« –»Der Fremde erwiederte böse: »Ich werd' Dir gleich eins auffi geben, Du spöttischer Kanarivogel! Willst's Maul halten? Mein Vater ist ein ehrlicher Bauersmann, und wenn ich keinen Kreuzer im Sack habe, so ist niemand daran schuld, als gerade ich selber. Weißt's wohl, Du Kraxenbub'?« – »Du bist schon ein rechter Limmel!« erwiederte Seraphin, der sich schon geneigt fühlte, mit dem »Auffi geben« selbst den Anfang zu machen. Doch besann er sich bald, daß er durch ein unüberlegtes Wort dem kecken Nachbar einen Anlaß zum Zorn gegeben, und daß ihm selber – es war noch nicht so lange her – ein ähnliches Wort aus dem Munde der Frau Tammerl Wittib nicht gar besonders wohl in die Ohren geklungen hatte. Daher setzte er gemäßigter hinzu: »aber mit einem Heiter, wie Du bist, muß man's nicht so genau nehmen. Ich hab's schon selbst gemerkt, und werd's vielleicht noch manchmal spüren, wie Einem, der nichts hat, zu Muthe ist. Erzähle mir also, was Dir begegnet ist, und ich will sehen, ob ich für Deine Grobheit Dir mit etwas besserm vergelten kann.«

Der Nachbar ließ sich nicht lang bitten. »Du wirst 120 mir freilich nicht helfen können,« sagte er: »aber 's ist keine Schande, die ich zu erzählen habe, wenn schon der Vater mir den Taglohn auf den Buckel messen wird, wie ich nicht zweifle. Der Vater ist ein braver Bauer, und daneben ein Drechsler. Ich hab' das Handwerk ein bissel von ihm gelernt, und wir haben miteinander eine Arbeit für den Zoller dort drüben gemacht, die ich demselben hingetragen. Der Zoller bat mich ehrlich und rechtschaffen bezahlt, und ich bin noch am Abend wieder weggelaufen, um recht bald zu Hause zu seyn, und meinem Vater, der's braucht, das Geldl zu bringen, ohne etwas davon zu verzehren. Das war gestern. Ich bin munter durch's Gebirg getrollt, und bin so gegen zwölf Uhr in der Nacht etwa über einen Jochsteig gekommen, wo es gar zu schön war. Die Sterne funkelten, wie sie heut thun werden, in ihrer ganzen Pracht, und der Mond stolzierte mitten unter ihnen, wie der Herr Curat, wenn er bei der Prozession das allerheiligste Sakrament des Altars umträgt. Nun, weißt Du wohl? bin ich ein großer Liebhaber von dem Himmel und seinen Gestirnen. Wenn ich auf der Alm das Vieh gehütet hab', bin ich oft ganze Nächte hindurch auf dem Rücken gelegen, im Freien, ohne zu schlafen, und hab' den Herrn Mond betrachtet, wie er als ein himmlischer Hirt die silbernen Schäflein auf der blauen Weide trieb. So ist er mir ein guter Bekannter geworden, und von seinen Lampeln kenne ich ihrer auch viele und kann sie rufen bei dem Namen, den ihnen die andern Leute geben, oder bei dem, womit ich selber sie getauft habe. Also auf dem Jochsteig war's gar schön, und am Himmel hat's gewimmelt und gestrahlt – es war gar aus. Da hab' ich mich hingesetzt und geschaut, und meine vielen Bekannten aus den Gestirnen richtig herausgefunden, und da muß ich drüber eingeschlafen seyn. Denn es ist auf einmal ein schwarzer Mann bei mir gewesen – hat ausgesehen wie 121 ein Jesuiter – der hielt mich freundlich an der Hand, und zeigte bald da- bald dorthin, und sagte zu mir: »Schau Peterl, alles, was dort oben steht und glitzert, und alles, was auf Erden um Dich herliegt, als Berg und Kofel, oder als Feld und Au, das mußt Du noch viel besser kennen lernen, und ich will Dir's anzeigen, wenn Du Lust hast.« – »Versteht sich,« hab' ich gesagt, und bin mit dem Mann gegangen, und er hat mir viele wunderbare Dinge gezeigt, und ich hab' seine Gelehrsamkeit recht gut verstanden, wenn ich auch jetzt kein Wörtl mehr davon weiß. Das Ende aber ist gewesen, daß ich erwacht bin, und statt des Monds hat mir die lichte Sonne auf die Nase geschienen, und es muß jemand an mir vorbeigegangen seyn, der auch kein Geld hatte und eins brauchte. Kurz, mein Sackl war leer, und nicht ein Vierer mehr darinnen geblieben. Zuerst hab' ich gemeint, ich hätte etwa das Geld verzettelt, und hab's heute im Gebirg' hin und her gesucht, bin schier bis zum Zoller zurückgelaufen; aber nichts da. So hab' ich den ganzen Tag mit Auf- und Absteigen vertrendelt, und hab' froh seyn müssen, daß ein paar Leute, die in einer Zillen übers Wasser gefahren sind, mich aus Barmherzigkeit umsonst herübergenommen haben. 's ist zwar kein Spaß, ich werd's schon spüren, wenn der Vater über mich kommt; aber ich kann nichts dafür, und die himmlischen Gestirne habens auch nicht verschuldet. Ich will sie nicht verschörgen, und sie immerdar lieb behalten, die herzigen Edelsteine. Ich wollte auch gern die Prügel aushalten, zwei- oder dreimal, wenn ich nur den ehrwürdigen Jesuiter irgendwo fände, der mir in der Nacht so väterlich zugesprochen hat, daß ich nicht anders glaubte, als der Himmel und die Erde seyen mir auf einmal ganz und gar aufgeschlossen, und der liebe Gott hätte für mich kein Geheimniß mehr.«

Seraphin war im Begriff, die mißtrauische Frage zu 122 stellen: »Ist alles dieses auch wahr, Peter?« Aber sein Auge blieb erstaunt auf dem Antlitz des Nachbars haften, der mit einem wunderbar sinnigen und verklärten Ausdruck gerade jetzt wieder himmelan blickte, und in seinem geliebten Sternenbuch zu studiren schien. Neben aller Einfalt einer ächten Dorfphysiognomie sprach aus Peters Angesicht eine so klare Besonnenheit, und daneben eine so andächtige Sehnsucht, in die Wunder der Schöpfung einzudringen, daß an seinen schlichten Worten nicht zu zweifeln war. Es ging durch Seraphins Seele eine Ahnung, als sitze er neben einem zu hoher Bestimmung berufenen Menschen; als berge der kleine Kopf des unmündigen Sternguckers selbst ein großes Wunder, wie es manchmal vom Allgewaltigen verkörpert zur Erde gelassen wird, um Zeugniß zu geben von seiner Macht, die den Staub unendlich verherrlichen kann, wenn sie es für gut findet. Die stille Ahnung war ein beredter Advokat für den Peter von Oberperfuß, denn Seraphin sagte, ohne viel zu zögern: »Weißt Du was? Mir ist auch einmal geschehen, daß schlimme Buben mein Branntweinfassel ausgetrunken haben, ohne zu zahlen, und daß ein guter Freund mir mit einem Lepoldithaler aus der Patsche geholfen. Ich will heute Dein guter Freund seyn, wenn das verlorene oder gestohlene Geld nicht gar zu viel ausmacht. Sieh, da ist mein ganzer Reichthum. Nimm davon, was Du brauchst; ich komme schon noch unverhungert mit meinen Musikanten nach Innsbruck.«

»Je, Du Narr,« hob der andere zutraulich an: »was ich verloren, beträgt nicht einmal ein Drittel von Deiner Baarschaft, und ich würd's herzlich gern von Dir leihen, denn der Vater hat kein Geld im Haus, wenn ich nur wüßte, wann und wo ich Dir's zurückgeben kann.« – »Oho, oho, das hätte noch Zeit,« bemerkte Seraphin, der ganz glücklich war, dem sonderbaren Sternbuben aus der Noth zu helfen: »ich stehe beim Tammerl zu Imst 123 in Diensten, und Du kannst mir das Geliehene einmal bringen, oder ich hole es bei Dir ab, und das wird nicht so bald geschehen, denn ich hab noch ein paar Gulden daheim, und auch ein paar Dukaten, die ich dem Meister zum Aufheben gegeben habe.« – »Du bist reich,« seufzte der Oberperfußer: »wenn ich Dukaten hätte, ich ginge heut noch tapfer auf SpruggSprugg: Abkürzung von »Innsbruck«; den Landleuten des nördlichen Tirols fast allenthalben geläufig. los, und gäb' mich dort bei einem gelehrten Herrn in die Lehre. Bin zwar des Vaters einziger Sohn, hab' nur noch ein paar Schwestern, und werd' einmal das Gütl übernehmen; ich hab' das Vieh gern und mag den Feldbau wohl leiden; aber mir ist halt immer um's Herz, als müßt' ich was anders werden, als nur ein Bauer.« – »Nun, wie dem auch ist, nimm's, was Du brauchst, nimm's geschwind, eh' es mich reut.« –

Der Knabe blickte dem Seraphin lächelnd tief in die Augen, und antwortete vergnügt: »Ja, es ist Dein Ernst, Du machst mit mir keinen Spaß. So nehm' ich's denn an, und Gott vergelt's derweilen. Wenn Du das Geliehene in einem Jahrl' oder in ein paar Jahrln brauchst, so klopfe bei mir an. Mein Vater ist der Ingenuin Anich zu Oberperfuß und ich bin sein Sohn Peter.« – »'s ist schon recht; Du bist mir ein viel lieberer Peter, als der, den ich zu Innsbruck aufsuchen soll. Bist Du in der Stadt bekannt?« – »Ein bissel, ja. Ich bin ein paarmal hingekommen, wenn die Mutter Haar hineingetragen hat, um es zu verkaufen. Wir sind allemal beim Bäckermeister Wohlrauch eingekehrt.« – »Hoi! just zu dem Wohlrauch hab' ich zu gehen. Dort lernt der Peter, von dem ich gesagt habe.« – »Den kenn' ich nicht; aber der Meister ist ein wohlbesetzter Mann, ist brav und reich, und macht, glaube ich, die besten Paarln in der ganzen Stadt.« – »Schön, dann hab' ich meine Vögel beim Handelsmann Lengrießer abzusetzen. Weißt Du, wo er bleibt?« –»So halb und halb: beim 124 Seilergassel, oder dort herum. Du! der ist ein wunderlicher Heiliger. Sie heißen ihn nur »die theure Zeit und die lange Geduld,« denn er ist ein rechter Hellerkratzer, und wenn man bei ihm etwas zu kaufen oder zu suchen hat, so dauert's eine Ewigkeit, bis man's nur kriegt. Aber die Leute gehen doch gern zu ihm, weil er so viel fromm ist, und sie meinen, in seinem Gewölb sey alles besser als anderswo.« – »Nun, nun, ich werd' schon sehen, wie ich mit ihm auskomme. Es ist nicht heikel, hab' ich doch nicht viel bei ihm zu thun. Aber ich freue mich, die Stadt zu sehen.« – »Das glaub' ich. Ist auch eine schöne Stadt mit Thürmen und prächtigen Kirchen, und das goldne Dachl . . . . Du, wenn wir das abraumen dürften . . . . da wollt' ich bald viel besser wissen, wie's am Himmel und auf Erden ausschaut. In der Stadt blieb' ich nicht; 's wär' mir dort viel zu dumpf und unlustig. Die Stadtleute sind freilich geputzt und wohlhabend, und sie schmausen und spielen und spolzierenSpolzieren: begreift in einem spazieren und stolziren. wie die Storchen; aber auf'm Land, auf'm Mittelgebirg oder auf der Alm ist's alleweil schöner. Da spürt man den warmen Wind nicht, der die Stadtleute närrisch macht, wenn er geht; da ist's nicht so heiß und schwül, und der Himmel ist einem um viele Klafter näher, als in den engen und fünfstöckigen Häusern.« – »Du bist ein Narr, Peterl; der Himmel ist dort wie hier, und die Erde geht uns Menschen auch etwas an.«

»Ja freilich,« erwiederte Peter Anich mit schwermüthigem Ernst: »die Erde gibt uns zu essen, aber der Himmel ist doch immer unser Ziel. Der liebe Gott hat nicht umsonst seine goldenen und silbernen Zeichen darauf geschrieben, die immer auf- und abgehen, und uns zuwinken, als sagten sie: komm' herauf, herauf, komm' bald! Gelt, ein müder Wanderer sieht mit Freuden in der Nacht die Lichter des Wirthshauses, wo er ruhen und sich erquicken will, ihm entgegenblinzeln? Gerade 125 so, mein' ich, soll's uns mit den Himmelslichtern gehen. Die Erde ist gut zum bauen, zum erndten: ist gut, daß man auf ihr gehe und fahre, daß man ihr das todte Erz aus dem Schooße nehme; sie ist die große Werkstatt, die den Menschen ernährt, und seinen Leib, wenn die Zeit um ist, mitleidig zudeckt, damit seine Verderbniß vor lebendigen Augen versteckt werde. Es ist daher recht fein, die Erde kennen zu lernen, um sie auszumessen, einem Jeden sein Platzl einzugrenzen und zu wissen, wo wir daheim sind. Aber der Himmel ist doch etwas Apartes, und zu beneiden sind die Leute, die schon im Voraus – ehe noch ihre Seelen hinauf gehen – ein bissel von den Sternenwelten verstehen, die ober unsern Häuptern sich drehen. Der Herr Pfarrer sagt wenigstens, dort oben seyen auch Geschöpfe Gottes zu finden, und ich glaub's gern, da mir oft zu Muthe ist, als müßte ich mit Fleisch und Blut hinaufreisen, und schauen und dort alles finden, was ich wünsche. Aber leider hab' ich keine Flügel, wie Deine Vögel, und mein Kopf ist nicht gescheit genug, um die Flügel zu ersetzen.« – »Ich versteh' nur wenig von dem, was Du sagst,« entgegnete Seraphin: »aber meine Vögel schlafen, und ich denke, wir gehen da hinein und thun dasselbe, nachdem wir gegessen haben werden. Wenn Du gescheit bist, so bleibst Du heut Nacht in guter Ruhe bei mir.« – »Ich will's thun, weil ich so viel müde bin; sonst . . . .« – Peter deutete wieder begeistert nach den Gestirnen. – »Laß mich aus,« sagte der Vogelträger: »die Sterne sind recht schön, aber wenn sie uns so viel bedeuten, als Du behauptest, warum scheinen sie zu einer Zeit, da die Menschen schlafen?« – Peter Anich zuckte die Achseln und versetzte kurz: »Es sind in der Welt nur Wenige zum Wachen berufen. Weißt Du die Geschichte von den klugen und den thörichten Jungfrauen?« 126


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