Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Viertes Kapitel,

 

Junker. Sieh einmal zu, Rüpel, wie sie mit den Händen ficht, und Luft schnappt. Ich fürchte, sie wird sterben, wie der Fisch umsteht, den man aus dem Wasser zog und auf den Sand warf.

Rüpel. Behüte, Euer Gnaden. Sie bildet sich's nur ein.

Junker. Du grober, unbarmherziger Knecht. Sie stirbt, und zwar aus Liebe zu mir stirbt sie, ich sag' es Dir.

Rüpel. Geh'n wir vorüber und kehren wir nach ein paar Wochen um. Ihr werdet sehen, wie ihr der Haber schmeckt.

Junker. Weil Du ein paar Zoll Fett zwischen Deinen Wanst und die Menschheit gelegt hast, meinst Du Andere seien feisten Herzens, so wie Du?

Doktor. Der Narr hat Recht, mein schöner Ritter. Aus dem Berge Mons wächst noch manche Radix, die der Jungfern Siechthum heilet, der Kräuter zu geschweigen. Hier wird die Maaslieb, oder wenn Ihr wollt die Mannslieb' Wunder thun.

Altes Schauspiel vom Junker Kybiz.

Die Jugend ist nun einmal – nicht Einer läugnet's – ein gar herrliches prächtiges Ding. Sie gibt ihrem glücklichen Volke wachsweiche Glieder und federkräftige Herzen. Sie spottet der Krankheit, sie lacht dem Tod in's Gesicht, und hält ihn für ein fabelhaftes Gespenst, von dem nur abergläubische Mährchen erzählen. Ihre Verzweiflung sogar ist schon mit den Lorbeern eines künftigen Siegs 127 über allen Jammer gekrönt. Wer jung ist, und seinen Kummer nicht am Ende überwindet, ist gerade nur selber daran schuld. Die Natur will nicht, daß ihre Blüthen umkommen; sie geizt nach vollem Leben, nach Knospe und Frucht. – Tammerls Martina war auf der Gränzscheide angekommen, wo der Mensch die Wahl hat, sich selber zu verlassen und aufzugeben, oder sich zu ermannen und als ein Wundervogel aus Gluth und Asche hervorzusteigen. Es war geschehen, was der Herr von Sprenger scharfsinnig prophezeit hatte. Martina war von der Trauer in das Welken, von dem Welken in's Verschmachten gerathen, sie hatte sich niedergelegt, um nicht mehr aufzustehen, wie sie meinte. Einige Wochen waren vergangen seit der unheilvollen Ankunft Peterls, und der armen Eltern Besorgniß hatte den Gipfel erreicht. Sie hofften nicht mehr auf eine Besserung der Schwererkrankten. Der Aberglaube Tammerls, der nun mit Gewalt hervorbrach, und alle seine übrigen Eigenschaften, Liebhabereien und Erwartungen aus dem Feld trieb, sammelte mit grausamem Selbstbehagen Vorzeichen um Vorzeichen eines nur zu bald zu befürchtenden Trauerfalls. Der Herr von Sprenger – die betrübten Weiber nicht zu erwähnen – war dermaßen erschüttert und geängstigt, daß er einen geschickten Arzt aus dem Reich hatte kommen lassen, und einen wälschen Doktor, der bei einer adelichen Familie zu Imst eingetroffen, ebenfalls beredet hatte, am Krankenbette im Tammerlhause niederzusitzen und mit dem schwäbischen Kollegen Konsultation zu halten. Der Schwabe und der Wälsche waren zufällig derselben Meinung: die Kranke würde sich auflösen, dachten sie. Diese Uebereinstimmung war vielleicht des Mädchens Rettungsanker; die gelehrten Herren erachteten eine ärztliche Behandlung, eine Bestürmung mit Pillen und Latwergen, überflüssig und ersparten der Patientin den Kampf mit der Medizin. – So lag sie, hoffnungslos wie es schien, bereits versehen mit den Stärkungsmitteln der Religion, 128 und brütete und düsterte hin, wie eine, die den Tod erwartet. Ergiebiger Schweiß rieselte von ihrer Stirne; beschwerlich ging der Athem aus und ein, ruhelos legte sie ihre kalten Hände hin und wieder, faltete den Mund in jenem peinlichen Lächeln, das nicht guten Zeichens ist, wie man sagt. Sie sprach nicht mehr, schien kaum der vielen kummervollen Leute zu achten, die an ihrem Lager saßen und standen. Der Herr von Sprenger, der wie die ganze Familie lange nicht von ihrem Bett gekommen war, konnte endlich seinem Posten nicht mehr treu bleiben. Um nicht selber einer Ohnmacht zu unterliegen, schlich er mit gesenktem Haupte fort. Da sagte die Großmutter Martha, seine Freundin, und die robusteste Seele unter den Weibern, die für Martina beteten und sorgten, der Kranken gleichsam mit einem Vorwurf in das Ohr, ungewiß, ob sie es verstehen würde: »Ach Du böses unglückliches Kind! wußtest Du, was sogar der Fremde, was dieser gute Herr von Sprenger um Dich zu leiden hat! Bliebest Du am Leben, würdest Du gesund, Du würdest seine Frau werden, und hättest Glück und Freude in der Welt vollauf. Aber Du gehst dahin wie eine Blume über Nacht, und wie bald wird er, wie bald werden wir Alle Dir folgen müssen!«

Die Anrede der Großmutter war allerdings nicht zart ersonnen; auch erfüllte sie die Anwesenden – Tammerl nicht gerechnet, der wie halb in sich verloren da saß – mit gründlichem Unwillen. »Aber Frau Mutter!« ermahnte Frau Marianne kopfschüttelnd. »Ist das ein Reden!« murmelte die Tante Lenerl, ihr Gebetbuch zuklappend und gen Himmel blickend. »Das könnt' ihr gerad den Tod bringen auf'm Fleck,« eiferte Veverl und raschelte unruhig hin und her, und beugte sich voll Sorge über die Freundin. Martha schaute die mißbilligenden Weiber giftigen Blicks an, aber Niemand gab auf sie acht, denn Martina, die plötzlich die Augen groß öffnete und die Großmutter fest anstarrte, beschäftigte die Aufmerksamkeit Aller. »Hm!« 129 machte sie und wiegte langsam mit dem Kopfe rechts und links: »hm, hm, was doch die Frau Nahnl daherredet!« wendete sich von Martha ab und zu Veverl sagend: »Gib mir zu trinken.« Das geschah, und Martina trank ruhig, in Absätzen, mit Behagen und nicht mehr fieberhaften Durstes voll. Dann legte sie ihre Hände kreuzweis auf die Bettdecke, gähnte ein paarmal, athmete leicht, wie von einer großen Beschwerde erlöst. – »Madl, was ist denn?« fragte die Mutter mit zagender Freude: »wie kommst mir denn vor?« – »Ist Dir besser geworden, mein Tin'l?« begann eben so schüchtern die Tante. – »Herz, was verlangst Du noch?« setzte Genovefa hinzu, bebend vor neuer unversehener Hoffnung. »Schlafen; still seyn; viel schlafen,« erwiederte die Kranke, und ihre Stimme hatte wieder Klang, und ihr Athemzug war gekräftigt. –

Der Wunsch Martina's war natürlich ihren Verwandten Befehl. Alle standen auf, um zu gehen. Marianne tippte auf Tammerl's Schulter, und winkte ihm, zu kommen. »Jesus Maria!« seufzte er erschrocken: »ist's aus mit ihr?« – Worauf Martina selbst vernehmlich: »Nein, liebster Herr Vater; im Gegentheil. 's wird schon besser geh'n. Nur schlafen, schlafen!« – Verstummend vor Entzücken streckte Tammerl die Hände nach oben, und ließ sich von den Weibern geduldig hammelhaft hinausführen. Veverl blieb bei der Freundin zurück. Sie setzte sich in Tammerls Stuhl, und trieb geräuschlos dasselbe Werk, das er noch vor kurzem getrieben in väterlicher Angst. Sie schlug die Karten auf, und bemühte sich, alle die Wahrsagerschwänke wieder in ihr Gedächtniß zu rufen, die sie einst von Kartenschlägerinnen gesehen. Da es ihr nicht zum Besten gelang, so half sie sich mit dem trostreichen Spiel aus, das man in vornehmern Kreisen grand' patience nannte, und sie mochte sich dabei denken, was sie wollte: die Karten gaben immer ihren Consens dazu. Das Spiel 130 ging immer glatt aus. Es war ein Glück zum Verzweifeln eigentlichsten Sinne, denn Veverls Augen wurden dabei vor Ungeduld und Unwillen naß, und ihr Fuß stampfte gar oft behutsam die Erde. »Ist das desperat!« murrte sie, so oft alles zugetroffen: »Die z'nichten Karten wollen immer, und der Herr Vater will doch nicht, und die Mutter ebensowenig. Die falschen Karten, die verlogenen Karten!« Sie hätte etwas darum gegeben, wenn nur ein paar Ober aufeinander liegen geblieben wären, um sie wegen der Wahl des Abzugs in Verlegenheit zu setzen. Umsonst: alles so rein und klar wie der Tag. Ueber eine Stunde saß sie schwitzend bei der Arbeit, ungestört von den Weibern, obgleich diese manchmal aufpassend den Kopf in die Thüre steckten. Doch hörte Veverl alsobald auf, als Martina sich rührte und aufwachte mit bequemem wohlbehaglichem Dehnen, als hätte sie vierundzwanzig Stunden mindestens im erquickenden Schlummer zugebracht. – »Bist wieder da?« redete Veverl die Freundin an. – »Ja freilich. Hab' ich lang geschlafen?« – »Nicht doch. Was länger hätte Dir getaugt.« – »Hm, es ist mir doch leichter. 's war, wie man eine Hand umdreht. Zum Sterben schwer, und dann wieder auf einmal, als ob der Guckuck mir dreißig Jahre in's Ohr riefe.« – »Der Guckuck war die Großmutter, Du arme Haut. Ich dachte, sie würde Dich todtmachen vor lauter Schreck.« – Martina lächelte; es war aber nicht jenes peinliche Lächeln, des Todtenvogels Flügelschlag, sondern beinahe wie in guten alten Tagen; das Aufgehen einer Rose, oder das lustige Aufplatzen des Granatapfels. Martina hob dabei sogar die ausgemergelten Hände zum Kopf und strich ihre Haare aus der Stirne. Die Bewegung trieb ihr etwas Blut in die Wangen, sie schienen zu erblühen und die Haare schienen zu erglänzen im Wiederschein der Wangenröthe. Die Erscheinung war zwar nur von kurzer Dauer, und das Jungfrauenantlitz wurde weiß wie zuvor, aber die Züge hatten 131 schon mehr Haltung und Mark. Ruhe war darin zurückgekehrt und Geist in die Augen. »Was todtmachen?« antwortete das Mädchen auf Veverls Bemerkung: »das sind Dummheiten. Wer sagt denn, daß ich sterbe, und daß ihr alle hinterdrein müßt? Nein, nein, Veverl. Einmal hab' ich's selbst geglaubt und gesagt, aber Gott sey Dank, es ist nicht wahr; ich fühl's, und die Dokters sollen mich auslassen. Ich weiß besser, wie's mit mir steht. Veverl, ich hätte so viel Hunger. Bitt' gar schön um 'was zu essen.« – Nun, so möcht' ich selber tanzen vor Vergnügen!« jauchzte Genovefa, indem sie etwas Eingesottenes ans Bett trug, und die Genesende fütterte wie einen Kanarispatz: »das ist wenigstens nicht der Tod, der mit Dir ißt, mein liebes Hascherl.« – Martina beutelte lächelnd den Kopf und schlürfte die Preisselbeeren mit Lust und Behagen. »Ich muß der Nahnl danken,« sagte sie abgebrochen zwischen einem Löffelvoll und dem andern: »sie hat mir den Kopf zurecht gesetzt mit ihrem Sprenger. Zuerst war's die Galle über den alten Bräutigam, die mir das Leben aufjagte; nachgehends kam's mir so lustig vor, zu denken, daß der alte Heiter mich gern zur Frau möchte, und so hat sich's denn gegeben und gelegt mit mir, daß mir jetzt der Baron vorkommt, als wie ein Senfpflaster, das ich auf dem Magen gehabt hätte. Veverl, der Gedanke, die gnädige Frau von Sprenger zu werden, könnte Einen vom Tod erwecken.« – »Vor Freude?« fragte Veverl verdrießlich. Martina hätte gern laut gelacht, wenn sie nur schon dazu die Kraft gehabt hätte. »Warum nicht gar?« sagte sie: »vor Spaß, meine ich. Mach' ein freundlich Gesicht, Veverl, das macht mich früher gesund.« – »Ja, wenn überall freundliche Gesichter helfen könnten! aber nicht diese und auch nicht die Karten sind zu 'was nutz.« – Martina, trotz ihrer Schwäche, richtete sich etwas auf, und las befremdet Zug für Zug in Veverls Angesicht durch. »Es 132 ärgert Dich wohl, daß ich mich besser befinde?« sagte sie mit jener Reizbarkeit, die den Kranken, welche nach Mitleiden schmachten, so eigen ist. Veverl fühlte sich beschämt. Sie heiterte ihre Stirn möglichst auf, küßte die Freundin vielmal, und getröstete sie ihrer unveränderten Liebe und Anhänglichkeit. »Ich hatte Wunder,« entschuldigte sie sich beinebst, »ob Du denn schon den guten Seraphin vergessen hättest.« – Jetzt war's an Martina's Stirn, sich zu verfinstern, und das Mädchen antwortete langsam: »Vergessen? das sagst Du mit FleißEtwas mit Fleiß sagen: etwas im Scherz reden oder behaupten., Veverl; das ist nicht Dein Ernst. Vergessen? das kann ich bis in Ewigkeit nicht. Aber verloren hab' ich ihn einmal, und was will ich thun? Wo er ist, ich weiß es nicht. Was er gethan hat? ich weiß nur, daß er kein Dieb ist. Ob mir ungetreu geworden? das wär' möglich. Frag' nur die Tante Lenerl, wie's die Mannsbilder machen. Sie weiß etwas davon zu erzählen. Nun, wie Gott will. Aber Gott wolle mir auch die Sünde verzeihen, daß ich einmal gewünscht habe, todt zu seyn. Das Leben ist doch so fein, und die Eltern, die so viel gut mit mir sind, und so viel viel Sorge um mich haben, sollen nicht durch meinen Tod betrübt werden, so lange ich noch ein Zuckerl thun kann. Bin's ihnen schuldig; hab' mir's Leben nicht selber gegeben. Ah, jetzt bin ich wieder müde, mein Schatzl. Ah, ich schlafe schon wieder ein.« – »Die ist g'scheit, die hat 'n Verstand!« rühmte Genovefa ganz heimlich sich selber vor: »da komm' ich nicht nacher. Ich möcht' gern mit dem Kopf durch die Wand rennen, und sie schwimmt, wie 's Wasser lauft. Glückliches Madl.« Sie war in der That glücklich, die Kranke, denn die Augen waren ihr zugefallen, und wie Eine, die in den Himmel lächelt, schlummerte sie. Nun kam die ganze Sippschaft, die im Vorgemach gewartet, herein, und Veverls Bericht erfüllte alle mit Wonne, und diese Wonne durfte sich in Worten nicht gar zu leise äußern, wie der Jubel es liebt, denn Martina hatte diesmal einen 133 gesunden Schlaf, und wenn der altberühmte kaiserliche Graf von Tirol, der Max, seinen »Weckauf« und den »Purlepaus« hätte vor dem Markt abschießen lassen, sie wäre vielleicht nicht erwacht, Martina, seines geliebten Berglandes liebe Tochter. –

»Ich bin in die Haut hinein froh,« sagte Tammerl: »wär' das Madl gestorben, ich hätt' den Peterl nicht mehr vor Augen sehen können. Jetzt stift' ich eine heilige Meß' bei den Kapuzinern« – »Ich verspreche der Muttergottes von Trens einen neuen Rock,« fiel Marianne ein, und dann Martha: »ich will einen armen Studenten von Fuß bis zu Kopf kleiden. Und Lenerl: »ich sticke selber ein Meßgewand für die Serviten auf der Waldrast.« – »Ich will herschenken, was ich aufgespart habe,« setzte die Genovefa hinzu.« – Denn ich habe bei den Kapuzinern beten lassen,« fuhr Tammerl fort. »Und die alte Zaya ist für mich nach Trens gewallfahrtet mit Erbsen in den Schuhen,« sagte Marianne. – »Und das Gnadenbild auf der Waldrast hat sich wunderthätig bewiesen,« sagte Lenerl. »Die Martina hat halt eine Natur von Eisen,« sagte Genovefa, und die Großmutter mit Wichtigkeit: »Die Freude hat ihr 's Leben erhalten. Der Herr von Sprenger wird sie glücklich machen, zur reichen Frau, mit Kutsch und Pferden. Das hat ihr wieder Lust und Genesung beigebracht« – »Ist das auch gewiß?« warf die Tante bedauernd hin. Die Großmutter rümpfte stolz die Nase: »Das Madl haltet's mit der Welt wie sie ist, und macht sich keine Fabeln vor, wie gewisse andere Leute.« – Worauf die Tante, schmerzlich verletzt: »Kann denn die Frau Mutter nicht einmal heut ein'n Fried' geben?« – Eine ziemliche Stille erfolgte nun, die erst Tammerl unterbrach. »Wenn's nur mit der Besserung anhält! Wie es heut geläutet hat, hat die Uhr zugleich die Stunde geschlagen, und das bedeutet nichts Gutes.« – »Hm!« machte die Hausfrau: »muß es 134 gerade für uns übles bedeuten? Es sind noch mehr Leute auf der Welt.« – »Die Martina hat in der Taufe geschrieen, und dergleichen Kinder, sagt man, werden nicht alt.« – »Ei was,« redete Frau Martha drein: »ich soll auch geschrieen haben, als ob ich am Spieß steckte, und siehe: ich hab' doch meine Jahrln auf'm Buckel.« – Der eigensinnige Tammerl wackelte mit dem Kopf, und predigte immer fort: »Ich sag's, die Vögel, die am Morgen so früh singen, verrecken gern am Abend.« – »So geht's auch mit den Menschen, der Schwager hat recht: nur wollen wir erst den Abend der Martina kommen lassen,« tröstete Lenerl. Die Hauptsach' ist,« begann wieder die Nahnl, daß das Madl bald einen braven Mann kriegt.« – »Das wird sie auch« nickte Tammerl: »sie hat immer die Katz so viel gern gehabt, und selbige Madln . . . .« – »Das wissen wir schon, Herr Tammerl,« unterbrach ihn Genovefa. »wenn's so ist, werd' ich niemals einen braven Mann bekommen.« – »Der Mann ist gefunden,« sprach Martha: »er heißt Sprenger.« – »Meinetwegen,« bestätigte Marianne: »wenn er nur nicht Seraphin heißt. Daß mir niemand mehr von dem undankbaren Buben redet.« – »Hab' mir's oft gedacht, daß es nicht zum guten End' kommen würde,« bemerkte nun Tammerl, zum erstenmal in seinem Leben: »dem Madl ist das Schuhbandl so viel oft aufgegangen, und das bedeutet immer, daß der Bräutigam andern nachläuft. Ach, Du mein Erlöser, wer wird meinen Dukaten nachlaufen? Ich bin ein geschlagner ruinirter Mann. Na, hab' ich erst die Martina verheirathet, so schaff ich mir gute Locker an, und thu' gar nichts mehr, als auf die Zeiselen gehen. Mit den Kanari hab' ich kein Glück mehr, das ist aus und vorbei« – »Hast recht,« antwortete ihm die Ehehälfte spitz: »laß' Dir nicht mehr vom seligen Vater träumen, oder glaub' ihm vielmehr 135 nicht, wenn er Dir wieder einen hergelaufenen Bub' empfehlen sollte.« –

Tammerl setzte sich zur Wehre, wie ein zürnender Hahn. »Hör' Du,« begann er: »mit selbiger Erscheinung ist noch immer nicht zu spassen. Stell' Dir vor, ich saß . . . .« – »Schon gut, ich weiß es schon lange.« – Nun wendete sich Tammerl an die andern Weiber. »Es war eines Nachmittags . . . .« – »Der Schwager hat uns das so oft erzählt,« erinnerte Lenerl und ergriff die Flucht. – »Da kam der Vater, ich seh' es noch, wie ich euch sehe . . . .« – »Behüte, ich will von dem Seligen nichts hören!« rief Martha und lief der Tante nach. – »Er hatte, wie im Leben, seine Brille . . . .« – »Das ist nicht auszuhalten!« schalt Marianne und machte sich durch wie die andern. – »Aber so höre doch nur . . . .« – Tammerl segelte der Seinigen nach, entschlossen, um jeden Preis einmal wieder seine Geschichte anzubringen. Dergestalt war Genovefa wieder allein bei Martina, und diese erwachte, wie auf ein Kommandowort.

»Welch' ein Lärm?« fragte die Kranke. – »Ach, sie hätten sich fast gezankt,« entgegnete Veverl: »nur in einem Stück sind sie einverstanden. Sie wollen Dich absolut dem Sprenger geben.« – Martina machte eine Bewegung der Ungeduld. – »Du bist grantig, Veverl, Du hast mich nicht lieb; Du thust mir weh. Warum? Sag' mir: was geht in Dir vor?« – Genovefa wäre bald in Thränen ausgebrochen, als sie versetzte: »Es geht in mir vor, daß ich halt gerad so gut verliebt bin, wie Du, verliebt, 's ist gar aus; und daß ich unglücklich bin, 's ist nicht zum sagen.« – »Du, Du, Veverl?« – Genovefa erzählte nun mit der bewundernswürdigen Geläufigkeit ihrer Zunge den ganzen Hergang ihrer Liebesgeschichte; daß Oswald so lang schon abwesend, ohne nur einen Gruß und »G'segn' Dich Gott« zu schicken; 136 daß dieses schon ein großes Elend, aber daß der größere Jammer darinnen bestehe, daß am Abend des Hinweggangs des Geliebten der Vater ihr angekündigt, der alte Idelstein habe für seinen Sohn um sie angehalten, und er hab' es zugesagt, und im Frühjahr würde Nepomuk kommen und drei Wochen darauf die Hochzeit seyn. Und das halt' ich nicht aus, und das werd' ich nicht thun, und müßt' ich ganz Imst umkehren,« betheuerte Veverl, »und wenn Du thun wolltest, wie ich, Du armes Schafl, das sie auch verkaufen wollen an einen alten Geißfuß, so geh'n wir beide in's Kloster, und das müssen die Eltern zugeben, denn wir wollen die ganze Klerisei hinter sie jagen, und die geistlichen Herren setzen alles durch, was sie wollen. Dann wollen wir als ein paar Klosterschwestern freundselig mit einander leben, wie wir's gewohnt sind, und die schieche böse Welt vergessen, die nur Dörner und feurige Laurenziroste für uns zu spendiren hat. Gelt, Martina, wir thun's?« – Martina überlegte kaum eine Viertelminute, und gab dann die Antwort von sich: »Was mich angeht, Veverl, so mag ich nicht in's Kloster. Ich hab' einen Abscheu davor, und Du wirst Dich, hoffe ich, noch anders besinnen.« – »Wie, Martina? Ich fall' aus den Wolken, Dich also reden zu hören. Ich hätt' mir eher den Tod eingebildet, wahrhaftig. Du wolltest lieber den Sprenger ehelichen, als . . .?« – »Viel lieber, mein Veverl. Ich will denken, daß ich auch dieses nicht werde thun müssen, aber lieber als eine Klosterfrau würd' ich die Frau von Sprenger, das ist wahr.« – »Nun, so muß bald der jüngste Tag kommen. Du, so verliebt in den Seraphin . . . .« – »Ei, die Lieb' wird nicht aufhören, Veverl, aber wenn er doch für mich verloren ist, will ich nicht im Kloster noch härteres Ungemach ausstehen.« – »Nun, wie Du willst. Mein Vorsatz ist felsenfest. Du bist ein Weltkind, Martina, aber ich bin standhaft 137 über die Ewigkeit hinaus.« – Martina kicherte unter ihrer Decke über den Stolz und die Vermessenheit der flatterhaften Freundin. »Es wird Dir schon anders kommen,« sagte sie dann freundlich. »Dir möchte das Kloster noch weniger anstehen, als mir, Du meine liebe Genovef'. Was drängst Du aber mich und Dich selber, als ob schon alles verloren wäre? Kann Dein Vater nicht seinen Spruch zurücknehmen? Kann Seraphin nicht heute oder morgen wiederkehren, und ist dann nicht alles, wie zuvor? Mein, mein, schweige und sey ruhig. Gott wird's schon machen nach seinem Gefallen. Er stärkt mich wunderbar. Ich möchte heut schon aufstehen, wenn's dem Geist nach ginge. Aber vernünftigerweise will ich im Bett aushalten, und wünsche nur, einmal wieder vom Seraphin zu träumen. Der Falsche hat mich sogar in meinen Träumen verlassen« – »Da will ich Dir etwas rathen,« versetzte Genovefa altklug wie eine Wunderdoktorin: »Wenn man unter's Kopfkissen ein Packl Melissen legt, und vor dem Einschlafen steif und fest an die Person denkt, die man im Schlafe sehen will, so fügt sich's, daß es geschieht, und das Verlangen befriedigt wird. Probir's, Martina; schaden kann's ja nicht.« – »Ich danke Dir, mein Schatz; gib mir die Melissen dort vom Tisch. Besser als der Thee daraus, soll mir eine Unterhaltung mit dem lieben Buben bekommen. Gib her; so; leg' es auf meine linke Seite, wo das Herz ist. So; nun noch das Nachtgebet, und Gott verleihe dann seinen Segen.«

Das so warm empfohlne sympathetische Mittel bewies sich, den Versicherungen Genovefa's und Martina so festem Glauben zum Trotz, unwirksam. Die Genesende träumte gar nicht, oder vielmehr blieben ihre Träume nicht in ihrem Gedächtniß haften. Wenn indessen das Kunststück geglückt wäre, so hätte eben in jener Nacht die Sehnsüchtige ihren Liebsten in einer Umgebung sehen können, 138 die ihr noch befremdender vorgekommen wäre, als sie ihm selbst erschien; sie hätte sich vielleicht geängstigt, und die Angst würde ihr geschadet haben.

Nicht unter'm spiegelklaren Winterhimmel, der just über Tirol ausgespannt war, nicht im Nebelgraus, das Hollands Küsten überzogen hatte, nicht vor dem gewaltigen Kaminfeuer einer Herberge in Altengland saß in jener Nacht der arme, dem Vaterland und seinem Glück entrissene Vintschger. Es trieb schon unter milder Zone, ein Schiff dahin auf ruhigem Meere, ein Schiff unter der Flagge der Mynheers, ein Schiff, vollgepfropft von schlummernden Soldaten und fluchenden Bootsknechten. Seraphin befand sich auf der Fregatte; doch schlief er nicht, wie seine Gefährten. Er wachte und sprach viel, und sprach an einem Orte, dessen Luxus nicht sonderlich zu der magern blauen Uniform paßte, worein man den freien Sohn der Gebirge gesteckt hatte. Als ein gemeiner Musketier, das kleine Hütchen auf den Knieen haltend, ohne Säbel oder Bajonet, saß er nichts desto weniger auf einem seidnen farbig geblümten Stuhl, und um ihn her glänzten Mahagonywände und Säulchen mit vergoldeten Knäufen. Prächtige Waffen hingen an den Wänden. Aus der halbgeöffneten Koje schaute lockend ein schmales, aber höchst bequemes Bett. Davor, in einem Lehnstuhl, der sich zum Tammerl'schen verhielt, wie des Großmoguls Krone zu der venetianischen Dogenmütze, saß ein stattlicher Mann, dem man den Kavalier schon von ferne anmerkte, und der von den funkelnden Achselquasten bis zu den blitzenden Steinschnallen auf seinen Schuhen, in Parade und vollem Anzug war. Ein Federhut bedeckte seinen Kopf, seine Linke spielte mit einem kleinen goldnen Degen, der über seinen Knieen ruhte. Auf die rechte Hand stützte er sich, und hörte mit erbaulicher schier ungewöhnlicher Theilnahme dem gemeinen Musketier zu. Man sah ihm an, daß er kein Wort 139 verlor, wenn auch jedes Wort deutsch war, und verachtet von dem übermüthigen Holländer, dem stiefbrüderlichen Abkömmling deutscher Mutter, deutschen Vaterlands. Aber der blanke Offizier war auch kein Holländer, und darum lauschte er mit Entzücken der langvermißten südlich deutschen Zunge. –

»Wir hatten also,« so erzählt Seraphin ohne Furcht, »alles verkauft, den Erlös in Papiere umgesetzt, und sahen uns nach einer Fuhrgelegenheit zu Wasser oder zu Lande nach der Heimath um. Der gnädige Herr Gouverneur kann sich nicht einbilden, wie mir das Herz vor Freuden schlug, aber mitten durch kam öfters ein Gefühl als sagte mir Einer: Du, paß auf; 's kommt noch 'was. – Mein Kamerad, der zu Amsterdam Bescheid wußte, lief hin und her, um aufzutreiben, was wir suchten. Hatte es auch, wie er sagte, schon gefunden, und es kam nur darauf an, mit dem Patron ernsthaft zu reden, daß er uns arme Vogelträger nicht über die Ohren hieb; denn mit dem deutschen Muff machen die Holländer weiter nicht langen Prozeß. Wir sollten's beide bald erfahren, und an der ganzen Schlechtigkeit dauert mich am meisten, daß ein Landsmann – nein, Gottlob! kein Landsmann aus Tirol, sondern ein Bayer uns in die Patsche führen mußte. Nun, es kurz zu machen: so wie der Egidi auf'm Geschaftln war, bin ich in den Gassen und an den Kanälen umherspaziert, und hab' mir die Raritäten angesehen und immer auf mein Geldl acht gegeben, das ich in einem Gurt unter dem Brusttuch trug. 's war viel, recht viel für uns, gnädiger Herr Gouverneur, und ich hätt' mir daheim noch ein viel bessres Bildl einlegen können . . . es sollte halt nicht seyn.« – Nachdem der arme Soldat mit dem Aermelaufschlag über sein Auge gefahren war, nahm er wieder den Faden seines Berichts auf: »So steh' ich denn einmal – nicht weit war's vom 140 Hafen – vor einem Paperl, das Einer aus Indien gebracht hatte, und das Paperl schrie, daß mir die Seel' im Leib gelacht hat: Oranje boven! und allerlei, das ich nicht verstand, aber doch hatt' ich bald den Narrn an ihm gefressen, denn die Vögel, Excellenz Gouverneur, die Vögel sind halt meine Passion und Profession. Steht mir im Angesicht ein Kerl, den ich kenne, ich mag ihn anschauen, wie ich will. Kennt mich der Kerl auch, und kommt herüber und sagt treuherzig: »Bist Du nicht der Seraphin von Burgeis? ha, ha, 's ist schon lang, daß wir die Schlittenfahrt miteinander gemacht haben. 's ist auch schon lang, daß wir auf dem Jauffen uns disputirt haben! Na, nur nichts für ungut. In der Fremde müssen die Landsleut' zusammenhalten und Dir geht's pudelwohl, wie ich weiß, und mir geht's erbärmlich schlecht. Hab' den Holländern gedient, so treu, daß es gar aus war, und doch haben sie mich jetzt fortgeschickt, und ich hab' nichts als diesen lumpeten Kittl und den Bettelstock, und wenn noch ein Geld in der Welt ist, so weiß ich doch wenigstens nicht, wie's ausschaut. – So haben wir hinüber und herüber geredet, und der Mensch hat mich derbarmt, wenn er schon der Kölbl war, und wir uns nicht wohl haben leiden können. Aber ich bin einmal so ein Tschappl. Die Zeit und mein guts Herz putzen gar bald alles von der Tafel, wo sich Einer bei mir angerußelt hat. Oho! sag' ich: willst heimwärts gehen? Kannst mit uns. Der Egidi hat Dich zwar im Magen, aber ich will ihm schon zureden, und führ' Dich nur gut mit uns auf, hernach wird's schon werden. – Sagt' er drauf: Sakra – bitt' um Verzeihung, Excellenz, aber der Kerl hat immer so geschworen – Sakra, sagt er also: das wär' mir schon recht und das geht mir ein, hat er gesagt. Doch hab' ich da drinnen – ich weiß nicht mehr wie das Diebsgassel sich schreibt, 141 wo er hingedeutet hat – da drinnen also, sagt er, hab' ich noch einen Bären angebunden, und wenn Du ihn vielleicht ablassen willst, so wär' mir's schon gar recht. – Ich sag': z'wegen meiner, wenn's nicht viel ist; und er meint, es seyen nur ein paar Schilling oder dergleichen. Gehen wir also leider in das Gassl und in das Haus, und darinnen haben Seelenverkäufer ihre Wirthschaft getrieben. Das hab' ich nicht gewußt, sonst denk' ich mir, daß ich außer geblieben wäre. Der Egidi hat mich viel davor gewarnt gehabt; aber es mußte halt einmal kommen, wie es kam: ich konnte nicht helfen. Wir setzten uns in die Spelunken, in ein Kammerl, hinten hinaus, und aßen Erdäpfel und tranken Genever; aber in dem Branntwein müssen sie mir 'was gegeben haben, denn ich bin ganz damisch worden, und wie ich mich umschaue, ist der Kölbl fort, und der Spitzbub' von Hausherrn sagt mir unter's Gesicht, ich dürfe nicht mehr fort. Ich sey an ihn verkauft, und er habe mich an die Regierung verkauft, und ich müsse Soldat werden, und das sey alles. Mir war's schon mehr als genug. Ich rebellirte, schrie nach Hülfe. Auf einmal kommt der Egidi herein, der ich weiß nicht von wem erfahren, daß ich in dem Sündenstall eingeschlossen sey. Er prügelt den Wirth und den Kölbl, der ihm nachgesprungen war, schlägt dem Letztern ein Aug' wurz aus dem Kopf, daß es ihm über die Backen hing. Indessen kommen die Schergen und führen ihn fort, lassen mich aber in dem Seelenverkauf zurück, denn leider hat die Regierung diese Teufelslöcher unter ihren Schutz genommen, wie ich hören mußte. Mit mir war's vorbei; gegen die Gewalt kommt der Stärkste nicht auf. Die Henkersknechte waren schon daran, mir mein Geldl zu nehmen; kommt ein Offizier dazu, und nimmt's den Schurken wieder weg; hat mir's freilich nicht wiedergegeben, aber immer hab' ich's der hungrigen Regierung 142 mehr vergönnt, als den Hunden von Seelenverkäufern. Bin dann in's Rekrutenloch gesteckt worden, und nach mehreren Tagen in diesen Rock und auf's Schiff. Da hab' ich hören müssen, daß mein braver Egidi in's Zuchthaus hat marschiren müssen, weil er einen Amsterdamer schwer geschlagen und dem Kölbl ein Aug' aus dem Schädel gehackt hat. Der arme Kerl! den Egidi mein' ich. Die Herren von Holland hätten sich um den Kölbl, den sie wegen schlechten Lebenswandels abgedankt hatten, nicht mehr angenommen, wenn der Egidi ihm nicht mit seinen Pratzen aufgewartet hätte. Nun, basta, wie der Grödner sagt; weiß nicht, was aus dem Kölbl geworden; denk' aber, der Hanf wird schon irgendwo für ihn gesäet seyn. Wohl bekomm' ihm indessen der Judaslohn, den ihm meine Haut eingetragen hat.« – Seraphin seufzte tief aus der innersten Seele aus. Der Herr Gouverneur von Surinam – denn eine geringere Person war der schmucke Herr nicht – nickte mit dem Kopf, als ob er über etwas sehr nachdächte, und brach in die freilich nur halblaut gesprochenen Worte aus: »Es ist nach meiner Meinung der hohen Regierung unwürdig, solche Menschenräuberanstalten zu dulden und zu ermuthigen. Doch hat der Uebelstand auf der andern Seite wieder Entschuldigung verdient. Der Staat ist klein, und braucht für seine Kolonieen und Flotte außerordentlich viel Leute. Eine offne Werbung brächte die Masse nicht auf. Der Patriotismus des Einzelnen, wenn's darauf ankömmt, Haut und Haar den Negern oder den Malaien, der tropischen Sonne und den tödtlichen Fiebern entgegenzutragen,. darf nicht zu hoch veranschlagt werden. Darum wird bis auf besserer Zeiten Ankunft dieses Menschenpressen tolerirt. Es läuft nicht immer Schurkerei mitunter. Aber mich verdrießt besonders, daß bei Dir der Zwang so gehässig angewendet wurde. So gelangtest Du denn auf dieses Schiff 143 – und in diese Kleider. Kamst gar nicht mehr an's Land?«

Seraphin lachte: »Oho! sie haben klug daran gethan, mich nimmer außer zu lassen. Ich wär' nicht wiedergekommen, und hätte auch gut daran gethan. Der gnädige Herr wird's selber sagen müssen. Aber ich bin ein Narr und ein z'nichter Mensch, wahrhaftig!« Er verkehrte sein lustiges Gesicht in ein tiefbekümmertes.

Mit Sanftmuth fragte der Gouverneur: »Warum denn, Tiroler, warum denn?«

Seraphin antwortete: »Ich kann lachen, lachen, wenn daheim vielleicht ein braves Kind in Zähren sitzt, wie eine Magdalena, nur unschuldiger als diese; aber in Zähren um meinetwillen! Wär' ich nur noch ein kleiner Bub', und dürft' mich recht ausrehren!«

Der Gouverneur fand Vergnügen an der biedern Einfalt des Vintschgers. Er sagte: »Ein Mann darf nicht mehr weinen; das ist Ordnung und Herkommen. Sag' mir lieber, wie die Balgerei entstanden ist, die Dir so übel bekommen kann?«

Seraphin versetzte mit Entschlossenheit: »Und wenn der Kapitän mich todtschießen oder todtprügeln läßt noch heute, ich werde nie bereuen, was ich gethan. Der Gefreite wollte mir ein Kleinod abnehmen, das ich seit manchen Jahren auf meiner Brust getragen habe. Es ist von der Mutter selig, und geht den Gefreiten, der's aus Zufall inne wurde, nicht an. Ich bat ihn, mich in Ruh zu lassen, dann warnte ich ihn in Güte, dann drohte ich ihm, und als der grobe Zackler den anderen Kesselkameraden zurief: ich hätte ein katholisches Götzenbild am Hals, oder gar gestohlnes Gut, so war ich hinreichend als Sohn, als römisch-katholischer Christ und als ehrlicher Kerl beleidigt, daß ich ausfuhr und den Verläumder schlug.« –

»Ei, das hast Du bös gemacht. Das Kriegsrecht 144 wird Dir's Leben absprechen,« sagte der Gouverneur mit Nachdruck. – »In Gottesnamen, Herr Gouverneur Excellenz. Was liegt mir an meinem bissel Leben, da ich die Martina nicht mehr zu sehen kriege? Besser, ich sterbe gleich hier auf dem Schiff, am Mastbaum aufgehenkt, als daß ich mich von einer eckelhaften Krankheit abgewürgt sehen müßte. In Surinam, sagen die Leute, sey das Grab der Deutschen. Das ist also gehupft, wie gesprungen. Mich verdrießt aber, daß sie mir das Halsbatzl genommen haben, und thät schon gern bitten . . . . wenn ich's wieder haben könnte? Der Herr Gouverneur Excellenz und Gnaden haben sich, weiß nicht warum, um mich armen Teufel angenommen, und selber gewunschen, mich zu sehen, und wenn Sie jetzo die Gnad' haben wollten, mir vom Kapitän das Halsbatzl . . . . ach, ich könnte ja nicht ruhig sterben, wenn ich's nicht bei mir hätte! Nachgehends kann's nehmen, wer will; ich kann's nicht hindern, obschon ich daheim Leute wüßte, denen ich's eher gönnte. Aber wie sollt' ich's ihnen schicken mitten aus dem Meere? wer sollt' es ihnen bringen?« –

»Ist's das da?« fragte der Gouverneur, und hob ein glänzendes Schmuckstück in die Höhe. – »Ja, ja, bei'm Eid, ja, es ist's. – »Von Deiner Mutter?« – »Ach ja, gnädiger Herr . . .!« Der arme Bursche tappte darnach, und legte die Hände bittweise zusammen. »Von Deiner seligen Mutter? sagtest Du nicht so?« – Da vergaß Seraphin Ordnung und Herkommen, und schluchzte, und nickte mit dem Kopfe, und schlug die Hände abermals zusammen, drei, viermal, wie Kinder thun, die ungestüm bitten. – »Da hast Du's wieder?« sprach der Gouverneur bewegt und reichte es ihm hin, der's augenblicklich wieder fröhlich im Busen verbarg. »Trage es als ein braver Sohn bis in den Tod.« – Seraphin spürte so etwas, als sollte er auf die Kniee sinken. Er that dieses wohl nicht, aber er küßte und schüttelte des gnädigen 145 Herrn Finger, küßte sein Kleid: »Sie sind so gut, Excellenz, das thut mir so viel wohl . . . . ach, Sie haben mich nicht gehalten wie einen Gefangenen, haben mich ohne Ketten eintreten, haben mich sitzen lassen vor Ihnen . . . ach, ich danke Ihnen, daß Sie mich wie einen Menschen geachtet haben . . . .« – Um dieser aufregenden Scene ein Ende zu machen, zog der Gouverneur die Glocke. Ein Unteroffizier trat in die Kajüte, um den Arrestanten abzuholen. Bevor er ging, sagte ihm noch der gnädige Herr: »Es soll geschehen nach Deinem Verlangen. Sollst nicht mehr lang leiden, armer Narr.« – Obgleich Seraphin unter diesen Worten nichts anders verstehen konnte, als ein baldiges Aufknüpfen am Mastbaum, dennoch war er damit zufrieden. Wie sollte ihm bangen vor dem Tode, da Martina für ihn verloren, und da im Himmel Mutter und Schwester ihn mit offenen Armen erwarteten? –

Es war gut, sehr gut, daß Martina dieses alles nicht im Traume gesehen. Freilich, wäre der Traum ein honetter Traum gewesen, so hätte er ihr als ein Gegenstück zu dem trüben Bilde vorherzeigen können, was am andern Tage geschah. Sie hätte erfahren, daß der Gouverneur den geschlagnen Gefreiten rufen ließ, und ihm, dem grauhaarigen, eine Schreiberstelle bei'm Rathfiskal der Kolonie Surinam versprach, wenn er sich barmherzigst erinnern wollte, daß es schon lang mit des Tirolers Kopf nicht richtig gewesen, und daß dessen kriegsartikelwidrige Widersetzlichkeit nur eine Folge seiner Geistesverwirrung. Der Traum hätte hinzugefügt, daß der Veteran die ruhige Stelle zu Paramaribo mit Dank annahm, und ein Protokoll im Sinn des Gouverneurs unterschrieb; daß der edle Mann die Offiziere zusammenberufen und ihre Einwilligung in sein Vorhaben empfangen; daß er sodann unverzüglich kraft seiner 146 statthalterischen Allgewalt einen Begnadigungs- und Entlassungsbrief zu Gunsten des Vintschgers aufgesetzt, und mit seinem Namen »Abraham van Nieuwenvlyt, Generalfeldwachtmeister« unterzeichnet, und daß somit Leben und Freiheit des Bedrohten gerettet worden. – Aber die Melissen thaten eben nicht ihre Schuldigkeit, und der Traum war auch nicht an und für sich ein guter Freund, der ungerufen kömmt, sonst hätte er mehrere Tage später wenigstens, ohne sich in große Unkosten zu versetzen, der sehnsuchtsvollen Martina bei Gelegenheit einfach erzählen können, was noch ferner auf dem Schiffe, das nach Surinam segelte, vorging.

Es stand so zu sagen still auf der weiten Fluth, nirgends war eine Küste zu sehen. Ein anderes Kriegsfahrzeug, von dessen Flagge der Löwe mit dem Pfeilbündel herniedersah, schaukelte sich unfern von der Fregatte in müßiger Erwartung. Unter dem Gezelte des Verdeckes saß Mynheer van Nieuwenvlyt im Kreise seiner Familie; Frau und Kinder, ein hübsches rothwangiges schon halb aufgeschossenes Geschlecht, umgaben ihn. In ehrerbietiger Entfernung standen die Offiziere der Expedition. Und vor dem Gouverneur, den Begnadigungsbrief in der Hand, stand der ehrliche Tiroler, und hörte mit Verwunderung und Entzücken, wie ihm auf deutsch, den andern unverständlich, als nur seiner Gattin nicht, der Gouverneur sagte: »Du bist frei, Landsmann, und wirst auf jenes Schiff Dich begeben, das wie gerufen uns entgegen kam, und nach Holland zurück segelt. Mein Sekretär – noch mehr: mein Freund, den ich nur ungern von mir lasse, um sein Leben zu erhalten, welches, wie ich fürchte, in Guiana sich verzehren würde, wird unter seinem Schutze Dich nach Europa bringen, und mit Dir versuchen, ob Dein Geld noch zu finden und wiederzuerhalten. Folge ihm in allen Stücken. Er hat gemessene Instruktionen, und – ich zweifle nicht – 147 er wird sie Dir zum Frommen, mir zur Freundschaft gewissenhaft vollziehen. Der Gouverneur reichte dem jungen herbeigetretenen Mann, der so leidend aussah, als hätte ihn das böse Fieber schon am Kragen, mit herzlichem Gefühl die Hand. – »Damit Du aber wissest, Seraphin, welchem Umstand Du eigentlich meine Verwendung für Dich verdankest, so will ich Dir nicht verbergen, daß Deiner lieben Mutter Angedenken kräftig für Dich zu meiner Menschlichkeit gesprochen hat. Ich hatte sie einst so gern, so lieb, wie Du jetzo Deine Braut, und es war eine Liebe, die sie theilte, deren wir uns beide nicht zu schämen hatten. Ich hätte meinen Adel, meinen Degen, meines Lebens Hoffnungen mit leichtem Muth hingeworfen, um sie die Meinige zu nennen; allein, wenn ihre Liebe groß war, so war doch ihr Verstand und ihre Rechtschaffenheit noch größer, und sie bewahrte den ihr von Gott geschenkten Herzensadel auf eine standhaftere Weise, als etwa Tausende an ihrer Statt gethan haben würden. Sie erinnerte mich an das, was ich meiner Geburt und meinen Eltern schuldig sey. Sie wies mich zurück auf die Bahn, die mir vorgezeichnet war. Sie entsagte mir, um mich meinen Pflichten gegen Haus und Vaterland zurückzugeben. Ich sage ihr noch heute Lob und Preis. Mein Schmerz war heftig, doch löschte ihn die Zeit; und die Liebe meiner Gattin, die ich, ohne Reue zu befürchten, wählen durfte, heilte mich gänzlich, machte mich zum glücklichsten Manne.«

Seraphin starrte den Mann, der also redete, mit begierigen Augen an. Es war, als fielen ihm die Schuppen von denselben. Jetzt erst errieth er noch in den Zügen des Gouverneurs die Aehnlichkeit mit jenem jungen lebensfrischen Kopf, den er im Bilde bei dem Herrn mit der Flitsch'n zu Innsbruck gesehen. »So; Sie also . . . .« sagte er schüchtern, wenn gleich frohlockend: »Sie sind's gewesen, der . . . . der meiner guten Seligen das Halsbatzl geschenkt haben? Oho! Sie sind alt geworden, Herr, doch . . . das versteht sich ja . . . es ist so lange her . . . . recht alt sind Sie geworden . . . aber 's thut nichts. Ist doch Ihr Herz jung geblieben, denn es hat noch ein wackres Gedächtniß! . . . . o vergelt's Gott, lieber Gnädiger, was Sie an mir thun . . . . Ihr Bruder hätt's nicht leicht gethan, glaub' ich . . . nun, Herr, wenn ich nicht täglich ein paar Vaterunser gerade nur für Sie bete, so will ich ein Spitzbub seyn!«

Der Gouverneur und seine Gattin ergötzten sich an der Verwirrung des rechtschaffenen Vintschgers, und der Erstere fuhr fort: »Mich dauert sehr, daß Deine Mutter im Elend starb; ich – oder vielmehr meine gute Frau – hatte ihr ein paar tausend Gulden geschickt, als einen schwachen Lohn für ihre edle Standhaftigkeit. Leider hat ihr's nicht genützt . . . 's wird wohl Dein Vater das Geld verschleudert haben . . .?« – Dem Seraphin ging wieder ein Schwert durch die Brust. »Bitte, bitte, nichts Böses von meinem Vater,« flehte er: »ich kenn' ihn zwar nicht mehr, verschwunden ist er – oder gestorben . . . ich weiß es nicht; aber, lieber Gnädiger, die Mutter hat ihn gern gehabt, und er hat mir's Leben gegeben . . . lieber Gnädiger, nichts Böses von ihm; ich könnt's nicht hören ohne zu weinen . . . und gerade jetzt . . . die Augen sind mir freilich naß, aber das hat die Freude und die Dankbarkeit gemacht . . . verwandeln Sie diese Freudenzähren nicht in Zähren der Bekümmerniß und Trübsal, gnädiger Herr!« – Der gute Bursche hatte sein innerstes Leben auf der Zunge, da er also redete.

Die Bewegung des Seraphin steckte seine Zuhörer an. Herr Abraham van Nieuwenvlyt – der die Namen seines Oheims mit dessen Erbe angenommen, um sich unter den auf ihre Nationalität eifersüchtigen Holländern leichter vorwärts zu bringen, was dem ausländisch klingenden Dobroslaw nicht so gut gelungen wäre – fand gar kein Wort des Lebewohls 149 mehr; er tuschelte dem Sekretär mit Hinweisung auf den Tiroler mehreres in die Ohren, gab dem letztern seine Hand zu küssen; die gute Dame des Gouverneurs that ein gleiches, und also verließ Seraphin mit seinem neuen Geleitsmann die Fregatte, um auf den Schooner überzugehen, der nach Europa steuerte, während das Gouverneurschiff seinen Lauf nach Surinam fortsetzte.

Alle diese Vorfälle hätte, wie gesagt, ein ordentlicher, reputierlicher, wohlmeinender Traum der verlassenen Braut zu Imst leicht mittheilen können, und sie hätte ihm auf's Wort geglaubt, was auch ihre Umgebungen dazu gesagt hätten. Dem war jedoch nicht also. Als ob der Schlummer der Genesenden in Sprengers Solde gestanden, ließ er Seraphins Bild in seine Gemäldegalerieen nicht zu. Die arme Haut träumte nur von Dingen die ihr peinlich seyn mußten. Bald sah sie ihre Eltern bettelarm von Thür zu Thüre gehen, und bei Sprenger um's tägliche Brod anklopfen. Bald war sie mitten unter den Imstern, die sie verhöhnten und verspotteten, als eine Sitzengelassene. Das Sterzinger-Moos diente solchen Gräuelbildern stets als traurige Folie. – Und wenn sie die Augen aufthat, so plauschten ihr Martha und Marianne die Ohren voll. Tammerl war das Echo der beiden Frauen, und selbst Tante Lenerl gab nach und nach zu, daß eine glänzende Heirath nicht so übel seyn würde, daß die Männer im Allgemeinen falsch seyen, wie ihr Dobroslaw, dem sie alles verziehen, der ihr zum zweitenmal die Ehe versprochen, und nachdem er von ihr ein bedeutendes Darlehen erhalten, sich hatte nach Dalmatien begeben, wo er die Cibulka, das Husarenkind geehlicht, zu Schand' und Spott und Trauer der zweimal Betrogenen. – Obschon noch sehr jung, empörte sich Martina allmählich gegen den Gedanken, aus purer Anhänglichkeit an einen Treulosen das Schicksal einer alten Jungfer riskiren zu sollen. Ihre Eitelkeit empörte sich eben so gewaltig gegen den stillen und lauten Hohn ihrer Mitbürger. 150 Sprenger's Versicherung, daß ihr leidenschaftlicher Kopf eines vernünftigen Rathgebers und Dämpfers bedürfe, so wie die Erinnerung, daß sie um des bösen Seraphin willen schon nur einen Fingerbreit vom Tode entfernt gewesen, gewannen Raum in ihren geheimen Verhandlungen mit sich selber, und trumpften nach und nach alles, was noch bei ihr für den Undankbaren sich verwendete, aus dem Felde.

Um diese Zeit versuchte Herr von Sprenger, sich und der Welt zu beweisen, was ein Mann auszurichten vermag, der Geld besitzt, und die Intrigue versteht. Er, der bis dahin als ein Junggesell zur Miethe gewohnt hatte, kaufte plötzlich ein Haus im nobeln Theil des Markts: ein Haus, das erst vor Kurzem einem Junker gebaut worden war, modelmäßig nach dem Muster adelicher Ansitze bei Innsbruck. Der Junker Bauherr hatte nichts daran gespart: die breite Treppe und die Schneckenstiegen, der Hof und die geräumigen Gänge, die Giebelfronten und die Eckthürmchen – alles war da, alles eingeschanzt und verwahrt mit Mauer, Gitter und Pforte nach allen vier Weltgegenden zu; vom tiefsten Kellergrund bis zur Spitze des Wetterhahns alles sauber, in bester Ordnung. Und als der Junker Bauherr sein neues Haus zu dieser prachtvollen Vollkommenheit gefördert hatte, rechnete er ab und fand, daß es die höchste Zeit, das Gebäude so schnell als möglich wieder zu verkaufen; denn nicht immer behält, der da baut, sein Dach und Fach. – Weil's daher dem Junker eilig war, und niemand sich einstellen wollte, ihm das Haus abzunehmen, so verhandelte er's Knall und Fall bei einer Flasche Kalterer-Seewein an den Herrn von Sprenger. Ungern that er's, denn Sprenger stand auf dem Scheitelpunkt des Verhaßtseyns bei der adelichen Kaste; aber wieder gern that es der Junker, denn er ärgerte damit seine schildfähigen Genossen, die für ihn kein Geld zu finden gewußt hatten, und setzte ihnen den verabscheuten »Wasserpolacken« wie eine Klette mitten in den Pelz.

151 Sprenger hatte also das Haus, dessen früherer Besitzer sich auf Reisen begab, vermuthlich um noch früher mit seiner Habe fertig zu werden. Er that nichts halb, sofern es in seiner Macht stand, der rührige Herr von Sprenger. Darum möblirte er auch hastig, aber mit Ordnung und gutem Geschmack sein neues Haus, und sorgte darinnen für jede Kleinigkeit mit der kindischen Ungeduld, die ein Graubündner aus dem Hochland zeigt, der von seiner Zuckerbäckerei in Petersburg oder von seinem Handelsgeschäft in Valencia oder Lissabon in's Vaterland zurückkommt, und eines jener stattlichen Häuser baut und einrichtet, die wir heutigen Tags im Ober-Engadin verwundert betrachten, leer und öde, wie sie sind, aber wahre Paläste in mitten einer großartigen Bergwildniß. – An einem kleinen Orte wird viel geklatscht, folglich auch zu Imst. Tagtäglich war neues zu vermelden von den ungeheuern Anschaffungen des Herrn von Sprenger. Innsbruck, Wien, das Reich, ja sogar das wälsche Mailand mußte steuern zu dem Schatz an Geräthen und Tapeten und Modespielereien, den der neue Hausbesitzer in seinem »Daheim« ausstellte. »Woher das Geld zu all dem kostbaren Tand?« fragten Edelleute, die mit Neid und Kummer von den letzten rothen Hellern ihrer Ahnen zehrten; fragten Beamte, die mit ihrem Traktament stets viel zu früh auskamen: »Der alte Freigeist wird noch im Spital sterben wollen?« Sie kannten ihn schlecht, der in seiner Oekonomie der pünktlichste war, und dessen Beutel noch viel mehr hätte aushalten können. Denn nebst seinem bedeutenden Vermögen war ihm auch von einer fernen Base ein Vermächtniß zugekommen, das sehr freigebig genannt werden durfte. Die Base, die, vom Alter geschwächt, sich immer eingebildet hatte, jung und schön zu seyn, und sich unter ihrem Jugendgefährten immer noch den lebhaften Studenten vorstellte, der ihr manchen Spaß zum Besten gegeben, hatte für ihren »Ferdinand« dergestalt mit vollen Händen gesorgt, als ob er alle Menschen auf Erden 152 zu überleben haben würde. – Von dieser unverhofften Bereicherung hatte Sprenger geschwiegen, ließ nur von Zeit zu Zeit etwas davon merken, durch irgend eine Thatsache, die den Zungen seiner Neider wieder leidenschaftlichern Schwung verlieh. Sprenger in eigener Person war von da an nur an zwei Orten zu finden; nicht bei Kavalieren und Beamten, die er haßte wie die Sünde, und die es ihm reichlich zurückgaben; aber auch nicht bei den Bürgern oder Bauern, seinen Bewunderern und Protegirten, wo er eigentlich hin gehörte, der als ein neuer Cäsar lieber der Erste im schmutzigen Dorfe als der zweite im marmornen Rom seyn wollte. Nur an zwei Orten: in seinem neuen Hause, mitten unter hobelnden Schreinern, klopfenden Spenglern und Glasern und andern Handthierern, Staub schluckend, und, wie es kam, Trinkgelder oder Grobheiten spendirend; endlich bei Tammerl, wo er nicht den Staat regieren half als ein Führer des Volks, sondern wo er auftrat als ein milder Agitator, leise schürend seine Kohlen, leise fachend einen Brand, alles für seine Privatinteresse. – Geflissentlich machte er sich überall bei seinen andern Freunden rar, daß um so eher seine Abwesenheit bemerkt, also sein Name genannt, also die Sprache auf seine neuesten Anordnungen gebracht wurde. Dennoch fand er im Flecken da und dort seine Leute – einen alten zur Ruh gesetzten Handthierer, der vor lauter Müßiggang nicht mehr wußte, was anzufangen, oder eine betagte Klatschschwester, der man nur von fern ein Glöckl zu läuten brauchte, um sie zu vermögen, alle Sturmglocken, die zu ihrem Gebot, anzuziehen – seine Leute, die begierig das Wort aufleckten, das als ein breites überall gesprochnes und gehörtes von seinen Lippen fiel, wiewohl meistens seine eigne Erfindung. – Da er diesen wohlfeilen Agenten niemals verbot, seinen Namen zu nennen, so fühlten sie sich auch nicht dazu verpflichtet. Die Neuigkeitsjäger bieten gern ihr Wildpret zum Kaufe als aus der erster Hand kommend an. Und so erfuhr denn bald 153 der ganze Markt, was Herr von Sprenger wünschte, daß er wisse, und noch allerlei darüber hinaus. Und dergestalt erfuhren auch Tammerl und die Weiber im Tammerlhause bald Dinge, die ihnen die Haare sträuben machten: daß Tammerl als ein halb- oder zu dreiviertel ruinirter Mann das Vertrauen des Magistrats und seiner Mitbürger nicht mehr besitze; daß Peter allerdings zu Feldkirch gestohlen, und zwar mit Einbruch, und daß der schmutzige Geiz des Vaters, der ihm alles Taschengeld versagt, daran schuld gewesen; daß auch Seraphin aus ähnlichen Gründen und aus angeborner Spitzbüberei den Weg zum Galgen eingeschlagen; . . . daß aber zu fürchten sey, daß er mit der Martina zu vertraut gewesen . . . daß es auffallend, daß diese sich so ängstlich abgeschlossen; daß sich aber die Männer und Frauen von Imst wenig daraus machen, indem ihr schnippischer Hochmuth von jeher dem ganzen Flecken ein Dorn im Aug' gewesen, und allerdings eine derbe exemplarische Lektion jedenfalls verdient habe. Und was der christlichen Reden noch mehrere. Leicht zu denken, wie dieses Geträtsche im Tammerlhause aufgenommen wurde. Tammerl spie Flammen, Marianne, die sonst so vernünftige Frau, war außer sich. Martha pries den Sprenger als den einzigen Retter und eigentlichen Ehrenhold der Familie. Lenerl allein behielt Fassung genug, um zu rathen, die Otterzungen giftig sprudeln zu lassen immerhin, ohne ihnen mit einer Silbe zu antworten. Martina hatte eigentlich keine Stimme bei dieser Sache, da sie einestheils nicht die Hälfte der Ortsklatschereien vernahm, und anderntheils sich gar nicht darum zu kümmern schien. Doch haftete auch in ihrer Brust der meuchlerische Pfeil und ihr Selbstgefühl blutete aus mancher Wunde im Stillen um so heftiger. Sprenger, der hülfreich, besorgt, galant und tröstend kam und ging, durfte sich mit Recht eines glücklichen Erfolgs versehen. Zwar machte er sich hie und da Vorwürfe, auf unedlen Wegen diesem Erfolge nachzustreben, allein ihm 154 diente zur vollen Entschuldigung die Empfindung, die seiner sich bemeistert hatte, und sie sah wahrhaftig aus wie Liebe. Die Leere um ihn her, die er so gar oft als Hagestolz bemerkt, wurde ihm stündlich unerträglicher. Nur ein weibliches Wesen konnte ihm geben, was er brauchte: Unterhaltung, Beschwichtigung seines immer reizbarer werdenden Charakters; die Pflege, deren das Alter immer benöthigt ist. Wäre plötzlich aus jenen lang verschollenen zärtlichen Verbindungen, in denen er als jüngerer Mann auswärts gelebt, eine erwachsene Tochter ihm entgegengekommen, eine unverhoffte Person mit Rechten auf sein Herz und sein Leben, er würde sie gerne aufgenommen haben, um nicht allein zu seyn. Doch fehlte eine solche, und in ihrer Ermanglung ließ ihm keine Ruhe mehr der Gedanke, sich als Gatte mit dem aufgeblühten Mädchen zu verbinden, das schon in seiner frühen Jugend ihn durch Muthwillen und neckisches Versagen und unwiderstehliches Schmollen geködert hatte. Wenn er glaubte, verliebt zu seyn, so glaubte er's ohne Falsch, und kein Zeitpunkt konnte günstiger seyn, seine Wünsche zur Reife zu bringen. Auch fühlte er, daß er nicht Zeit habe, lange zu warten, wenn er gleich eine unerschöpfliche Geduld in dieser Angelegenheit heuchelte. –

Der März war gekommen, und die Sachen standen, wie schon gesagt, als Veverl eines Morgens bei Martina zum Besuch erschien. Sie war unstäter als gewöhnlich, und irgend ein Vorfall, eine Geschichte saß auf ihrer Zunge, die sich nach Erleichterung sehnte. Martina befand sich in ähnlicher Stimmung. Beide Mädchen hatten einander allerlei zu vertrauen; das merkten sie wohl bald; dennoch zögerte eine schüchterner als die andere, mit ihren Fragen und Beschwerden vorzurücken. Die ruhigere Martina eilte noch weniger als Genovefa. Diese brach mit einemmale das Eis: »Jetzt ist's fertig, Martina, jetzt ist's geschehen. Gott helfe weiter.« – »Was ist geschehen?« – »Ich 155 hab' mich versprochen, verlobt, verbandelt; ich kann nicht mehr zurück.« – »Wie? verlobt mit Deinem Oswald?« – »Ach nein, ach nein. Mit dem andern.« –. Mit dem jungen Idelstein?« – »Ja, mit ihm. Der Brief ist gestern geschrieben worden; in ein paar Tagen hat er ihn; in ein paar Wochen wird er da seyn.« – »Was Du sagst?« fragte Martina listig: »was ist denn mit dem Oswald?« – »Den Abschied gegeben. Zuerst hat's der Vater gethan; darnach die Mutter, und da er immer noch kein'n Fried gab, hab' ich leider Gottes den letzten Trumpf darauf setzen müssen.« – »Nun, das hätt' ich mir nicht eingebildet.« – Was nicht?« – »Ich dachte mir schon, daß Deine Eltern es nicht zugeben würden . . . ein Maler, der von unsicherem Verdienst lebt, der nichts hat, als Hoffnungen . . . .« – »Setze hinzu,« fiel Veverl hastig ein, »daß er sich einbildete, das Ding würde gehen, als wie geschmiert: ein sorgloser Mensch, der sich daheim hingesetzt hat seit manchen Monaten, und seiner Mutter jüngsten Bamms gewiegt hat, ohne sich um mich zu bekümmern. Was geh'n mich seine Eltern an? Bei mir wäre sein Platz gewesen. Man muß den Käfig im Aug' behalten, damit die Vögel nicht ausfliegen, sagt Dein Vater. Mit ein paar Briefen, jeder von fünf Zeilen, ist nichts gerichtet. Ich kann nicht alles allein thun, mit den Eltern im Streit liegen, den Idelstein abwehren, den Verwandten Rede stehen, und mich noch obendrein abgrämen, wie nicht gescheit. Schau' mich an; die Kleider fallen mir fast vom Leibe; ich kenn' mich selbst nicht mehr. Meine Fette, mein Humor, all' meine Freud' ist dahin. Wie alles zu spät war, kommt er daher wie eine Kanonenkugel und scharmuzirt mit den Eltern, und wie alles nichts half, hat er mir Vorwürfe gemacht . . . nun, Du hättest sie hören sollen. Da ist mir die Gall' übergegangen, und »Alloh Marsch« hab' ich ihm gesagt: »unsre Sach' ist nichts mehr, und 156 basta und aus und aus.« – »Das hast Du ihm so in's Gesicht sagen können?« –

Genovefa fühlte, daß ihr schon wieder die Zunge davongelaufen war, ohne erst mit dem Kopf, geschweige mit dem Herzen Rath zu pflegen. Sie schämte sich ein bischen, und versetzte kleinlaut: »'s hat mich viel gekostet, Tina, und wenn er sich nur nichts leides anthut! Aber die Mutter ist dabei gestanden, und Du weißt schon, wie sie herschaut, wenn sie aufpaßt. Ich hab' wohl so reden müssen. Der Vater obendrein war in der Kammer, und ich hätt' es schön gekriegt, wenn ich anders gesprochen hätte.« –

»Wo sind Deine Vorsätze geblieben, Veverl?« fragte Martina schalkhaft nach einer Pause: »ich zweifle nicht, daß Du ihn aufgeben mußtest, weil Deine Eltern es wollten. Heißt's nicht in der heiligen Schrift, daß der Eltern Fluch der Kinder Häuser einreißt, und ist nicht da das vierte Gebot, dem wir immer getreu seyn sollen? Aber wo blieb Dein Vorsatz, in's Kloster zu gehen? Meint ich doch, Du würdest eher bei den Flecklschwestern Profeß thun wollen, als einen andern heirathen?« – »Die Eltern hätten auch das nicht zugegeben,« brachte Veverl schamroth vorher. – »Warum sprachst Du nicht mit dem Herrn Pfarrer? warum ließest Du Dir nicht von dem hochwürdigen Pater Guardian rathen? Die geistlichen Herren, sagtest Du, werden es schon machen. Oder sagtest Du nicht so Veverl?«

Da brach die Neuverlobte in heiße Thränen aus, und konnte sich kaum zufrieden geben. Mit allen Zeichen der Desperation schluchzte sie: »Schau, Martina, wenn ich mich jetzt auf der Stelle seckzieren ließe, wie der Doktor Musteratsch sagt, man fände mein Herz und was dazu gehört, in lauter kleine Stückln zerbrochen; ich weiß das gewiß; aber ich kann einmal nicht helfen. Bei den Klosterfrauen taugt mir's nicht; ich könnte das Maul nicht 157 halten, und, ich muß schon sagen, ohne Mannsbilder möcht' ich doch auch nicht seyn, so lang ich lebe. Und darum heirath' ich lieber den Muckerl; Gott verzeih' mir's, ich kann nicht anders.«

»Hast Du ihn denn lieb, den Muckerl?« hob wieder Martina an. Veverl trocknete geschwind ihre Augen, und entgegnete mit Seelenruhe: »Ach, behüte; was fällt Dir ein?« – »So? und nimmst ihn doch?« – »Und nehm' ihn doch. Ich mag ihn nicht, und nehm' ihn doch.« – »Was wird denn dabei herauskommen?« – »Was in tausend Haushaltungen herauskommt, Martina. Die Schmidin hat auch ihren Mann nicht ausstehen mögen. Des Fuhrmanns Steffel Frau kann den Ihrigen auch nicht leiden. Basta, sie leben doch.« –

»Du bist ein ungemein vernünftiges Mädchen geworden,« sagte Martina mit einiger Unruhe: »Wenn nur Dein Zukünftiger damit zufrieden ist.« – »Ha, er muß wohl,« erwiederte Genovefa leichtsinnig. »Er hat seine Sekten, ich hab' die meinigen. Zudem ist er ein bissel vernagelt, und die Mutter sagt, sie wüßte aus Erfahrung, daß mit den vernagelten Männern am besten auszukommen ist. Und der Muckerl muß einen haushohen Streich haben, weißt Du? Kannst Du glauben, daß er's machen will, wie die Herren in der Stadt?« – »Wie so denn?« – »'s ist zum zerspritzen vor Lachen. Da schreibt er mir einen Brief, worinnen viel Kauderwelsch steht, vom Nachtvogel und vom Mondschein, und daß er vor Lieb' außer sich gerathen. Ich weiß nicht mehr alles. Und zum End' bittet er mich gar schön, ich möchte ihm etwas von meinen Haaren schicken. Gelt, das ist dumm? aber die Mutter behauptet, die Herren in Sprugg und Wien machten's grad so, und es sey närrisch, aber ich sollte halt dem Narrn für jetzt den Willen thun.« – »So? und Du hast ihm also geschickt, was er verlangt hat?« – »Ah bah; wär' 158 mir nichts lieber. Mir die Haare zu verschänden, dem Affen zu lieb! Ich hab ihm wohl so was geschickt, aber gewiß nicht von meinem Kopf.« – »Was denn?« – »Schau, der Vater, wie Du weißt, ist Soldat gewesen, und hat brandschwarzes Haar gehabt, wie ich noch heutigen Tags. Seinen Soldatenzopf hat er abgeschnitten und die Mutter hebt ihn auf. Ich bin aber dahinter gekommen, und hab' aus der Hälfte davon eine saubre Locke gedreht, und sie dem Pusterer Dalken in den Brief gelegt. So ist er zufrieden, und ich bin's auch. Wenn ich von meinem Zopf hätte etwas hergeben wollen, so hätt' es niemand gekriegt, als mein lieber, lieber Walt. Da ich aber den guten Narrn nun einmal nicht haben kann, so setz' ich mich auch nicht in Unkosten, und es ist mir jetzt überhaupt alleins, wer mein Mann wird.« Sie weinte abermals, doch nicht lange, denn sie merkte, daß Martina mit einer Herzensangelegenheit herausrücken wollte. Das geschah auch alsobald.

»Ich will mit meinem Vertrauen gegen das Deinige nicht zurückstehen,« sprach Martina mit unverkennbarer Aengstlichkeit: »ich hab' mich entschlossen, dem ungestümen unaufhörlichen Penzen meiner Eltern nachzugeben. Seit gestern ist der Herr von Sprenger ganz wie ausgewechselt. Er hat gesagt, ich müsse mich jetzt erklären mit Ja oder Nein; er wolle nicht länger mehr warten. Meine Eltern wären glücklich, wenn ich ihn nähme; sogar die Tante, die mir immer die Stange hielt, hängt den Kopf, und meint: der Eltern Wunsch sey Gottes Finger . . . Seraphin kommt nicht mehr, und ich fange an zu glauben, was von ihm erzählt worden . . . .« Martina seufzte schwer – »und so hab' ich mich in Gottes Namen auch darein gegeben, um dem nichtsnutzigen Volk im Markt zu zeigen, daß ich doch noch etwas werth bin . . . . kurz: ich will den Sprenger nehmen.« 1598 – »Den Sprenger?« fragte Veverl langsam und nachdenklich.

Martina, die der Freundin Tadel befürchtete, wollte schon des Breitern auseinandersetzen, welche Vortheile diese Ehe darböte, und wie am Ende die Jahre keinen gar so großen Unterschied machten; lauter Dinge, die sie im Herzen selbst verwarf – aber Veverl sparte ihr die Mühe und enttäuschte sie über den Sinn ihrer Frage alsogleich, indem sie ihr in die Rede fiel: »Den Sprenger also? Höre, Martina . . . ach, wie glücklich bist Du! Geld und Gut vollauf, Kutsche und Bediente . . . ein Haus, wie eine Königin, und darinnen Herz, was begehrst Du? Ach, wie glücklich bist Du! der alte Schnapper wird nicht mehr lang halten . . . Dir sein Geldl vermachen, und hernach . . . . ach, wie glücklich, wie glücklich, Martina!«

Tammerls Tochter erschrack vor der Auslegung, die Genovefa von ihrem Glücke machte. »Pfui; ist das christlich, Veverl?« schalt sie, änderte indessen den Ton geschwind, und setzte hinzu: »Heut soll ich mich erklären; . . . nun, ich will's. Ich habe gefastet und gebetet, und die heilige Muttergottes um Rath gefragt. Sie hat mir zwar nicht mit Worten Bescheid gegeben; aber es ist eine solche Ruhe in meiner Brust, daß ich meine, es könne nicht übel ausfallen, was ich thun will.« – »Der Himmel wird's geben,« erwiederte Genovefa andächtig: »Du bist glücklich, Martina . . . der Sprenger muß an die Siebenzig stehen . . . Du bist erschrecklich glücklich. Mein Muckerl hat erst fünfundzwanzig Jahre . . . eine lange, lange Zeit ist vor mir; . . . aber Du . . . nein, es ist gar aus, wie manchen Leuten das Glück in's Hans fliegt!«

Zur selben Frist trat die ganze Tammerlfamilie, den Herrn von Sprenger gleichsam im Triumpf aufführend, feierlichst in die Stube. Die Großmutter war im Staat, 160 und begann: »Wir kommen, Deine Antwort abzuholen, Martina.« Die Mutter folgte: »Du wirst ein braves und kluges Kind seyn, nicht wahr?« Die Tante, angegriffen und ängstlich, sagte gar nichts. Dagegen platzte Tammerl heraus: »Einen glücklichern Tag gibt's nicht, um etwas Ernsthaftes vorzunehmen, als den heutigen. Gleich werden die Glocken läuten und es wird ein Freudenschießen anheben, und Alles sich freuen, wie noch gar nie. Wie? was? weißt Du schon? Unsre allergnädigste Landesfürstin ist von einem Prinzen entbunden worden, und wenn's jetzt dem Preußen nicht schlecht geht, so weiß ich's nicht.« – Der Herr von Sprenger, der noch ein Gütchen in Schlesien besaß, das von den preußischen Truppen nicht zum besten mitgenommen worden, schnitt ein Gesicht, als wollte er sagen: »Hol' der Teufel den Preußen lothweise!« aber mit Gewandtheit schluckte er den Aerger hinunter und fragte mit süßer, zitternder, begieriger Stimme: »Nun, liebe Jungfer: wie steht's? Der Krieg geht allenthalben los. Ein hübsches Frauenzimmer thut weise, sich in eines braven Mannes Schutz zu begeben, und ich muß wissen, woran ich bin, damit ich mein Haus bestellen kann in diesen unruhigen Zeitläuften.« –

Martina sah ihm fest, mit einem ganz besondern Ausdruck in das Gesicht. Dann sagte sie treuherzig, wie ein gutes in ihrem Innern tief verwundetes Kind: »Was der Herr Vater und die Frau Mutter wollen, bin ich zu thun bereit. Erlauben Sie mir nur die einzige Anfrage: haben Sie alles wohl überlegt, Herr von Sprenger? Wär's nicht besser, Sie gäben mich auf, weil's noch Zeit ist? Erschrecken Sie nicht, daß ich Ihnen freimüthig sage: ich glaube nicht, daß Sie mit mir das Glück erheirathen!«

Freilich erschrack Sprenger ein wenig, und Tammerl noch mehr. Das Mädchen sah dabei so verzweifelt 161 ernsthaft aus. Lenerl putzte sich eine Thräne von der Wange. Die robuste Großmutter jedoch sagte barsch: »Pah, pah, pah! lasse sich der Herr nicht bange machen. Thut das Madl nicht, als wollte sie den Herrn in der Brautsuppe mit Gift vergeben!«

Martina wehrte entsetzt dieser lieblosen und unzarten Deutung. Sprenger bückte sich aber galant vor ihr, wie noch vor niemand, und erwiederte: »Und wenn diese Hand mich wie einen Ratz mit Arsenik vertödten wollte, es wäre mir ein sonderbares Plaisir, gerade von dieser Hand zu sterben, und eben darum will ich's riskiren jedenfalls.«

Und hierauf geschah die Verlobung. Der Herr von Sprenger lief, von Tammerl eskortirt zum Pfarrer. Am nächsten Tage wurde das Paar von der Kanzel verkündet. Acht Tage darauf war die Hochzeit angesetzt. –

Martina ließ ihren überjährigen Bräutigam wie einen gehetzten Hasen von einem Winkel in den andern schießen, und hielt sich still zu Hause, wo alle Hände sich beschäftigten, die längst zusammengeschaffte Aussteuer zu ordnen und wieder zu ordnen, damit nicht das leiseste Mackelchen daran übersehen würde. Tammerl ging ab und zu, sich die Hände reibend, und studirte nicht selten mit einer gewissen freundlichen Besorgniß in der Tochter Angesicht, als wollte er fragen: »Bist Du auch recht glücklich?« – Die Tochter verstand ihn, drückte ihm manchmal die Hand und sagte dann: »Der Herr Vater meint's recht gut, und ich denke, Gott wird schon helfen.« Sie sagte dieses mit Gelassenheit und Tammerl beruhigte sich. Er war ja nicht gegenwärtig bei den Thränen ihrer Nächte, und hörte nicht die Gebetseufzer, die ihren Lippen entflogen. Das Mädchen war stark und hielt brav aus. Marianne wunderte sich über ihre Fassung, Martha frohlockte darüber; die Tante schüttelte 162 den Kopf und dachte bei sich: »Wie das wohl werden wird?«

Martina schien ruhiger von Tag zu Tag. Sie sah aus, wie eine angehende Nonne; die Röthe ihrer Wangen war seit ihrer Krankheit ausgeblieben, doch trotz ihrer Blässe war sie einnehmender als je, und der Herr von Sprenger überraschte sich öfters auf dem jugendlichen Ausruf: »Glücklicher Ferdinand!« Dann aber wurde ihm plötzlich, als ob ihn eine Schlange bisse, und um sich zu betäuben, rannte er wiederum rastlos hin und her, und zählte nicht nur die Stunden, sondern die Minuten, die noch zu verstreichen hatten bis zum Hochzeitfeste. – Sie vergingen, wie der Brauch ist, eine nach der andern, und der Vortag des Festes war schon da.

Es war um die Zeit der Frühlingsblumen. Martina befand sich in der Stube ihres Vaters, dessen Fenster mit Blumenscherben verziert waren. Sie öffnete die Winterscheiben, um einen Strahl des heitern Tages auf die Gewächse fallen zu lassen, und sagte zu ihnen, während sie sie begoß: »Noch einmal, das letztemal, ihr lieben kleinen bunten Narren, begieß' ich euch; zum letztenmal. Möge euch eine barmherzige Hand ferner bescheert werden, damit ihr nicht verkümmert; ich wünsche es, ich habe euch lieb, denn ihr habt mir so viel viel Freude gemacht, und müßt jetzt erleben, daß ich euch verlasse!« Sie stand vor einem Blumentopf, den ihr einst Seraphin nach Hause gebracht. Wehmüthige Erinnerungen zuckten durch ihre Seele. Der kleine Haufen Erde, aus dem die Blumen lustig keimten, erschien ihr, wie Seraphins Grab. Die Tropfen aus dem Gießkännchen floßen nicht unvermischt mit ihren Thränen, auf dieses Häuflein Erde. »Seyd befeuchtet von meinen einsam geweinten Zähren!« sagte sie leise zu den Blumen: »blühet, blühet als der letzte Schmuck, den ich ihm widmen darf. Ach, wenn 163 nicht Er, ist nicht seine Liebe längst schlafen gegangen, wie in einer kühlen Gruft?«

Indem sie heimlich mit den Blumen redete, und sich ihnen klar und wahr zeigte, wie nicht den Leuten, die sie umgaben, kam leise ein Mensch zur Thüre herein, der's Anklopfen vergessen hatte, weil's ihm in der Brust zu heftig pochte, und der Mensch stand betroffen still, da er die so sehr veränderte Martina erblickte. »Wie ist's möglich,« dachte er bei sich, »daß die Blümeln blühen können unter der Wartung dieser bleichen langen abgestorbenen Hände?« – »Schau Dich um,« flüsterte indessen ein boshafter Putz dem Mädchen zu: »Schau Dich um; wer kommt?«

Mit einer Schnelligkeit ohne gleichen folgte Martina der Einflüsterung. »Seraphin?« Der Freudenruf schwebte auf ihrer Zunge . . .; ach, er war es nicht. – »Ich bin der Oswald Holzer,« sagte der Mensch an der Thüre: »mein armer guter Freund wird der Jungfer schon von mir derzählt haben?« – Martina antwortete, sich mühsam fassend. »Hm, ja, ja, ich erinnere mich. Die Veverl hat noch vorgestern . . . .«

»Bitt' gar schön; von der Veverl nichts. Ich möcht' hübsch bei Kopf bleiben, und wenn ich an selbige erinnert werde, so geht mir's im Hirn durcheinander, und ich möchte ein Jäger, Notabene auf Menschen seyn, und niederschießen dürfen, was fliegt und stiebt.«

»Was willst Du bei mir, Oswald?« fragte Martina, auf Kohlen stehend.

»Nur eine Frag', Jungfer Martina, denn Sie ist's doch? sieht ihr nicht viel mehr ähnlich, aber doch ist Sie's, nicht wahr?«

»Ich bin's; und frag' nur zu.«

»Ist's wahr, daß Sie den alten Sprenger zur Ehe nimmt? Ist's wahr? O, sag' die Jungfer Nein, und ich 164 will gern mein eigen Leid vergessen, und glauben, daß auf der Welt alles gut und recht zugeht.«

»Du bist ein . . . ein zudringlicher vorlauter Mensch. Was der ganze Markt weiß, das wird wohl wahr seyn?«

Oswald nickte tiefsinnig mit dem Kopfe: »Ja, ja; sie sagen's alle. Hab's aber nicht recht glauben mögen. So hab' ich mich denn gar nicht zu beklagen. So ist denn gar keine treue Lieb' auf Erden.«

Eine lange Predigt hätte Martina nicht erschüttern können, wie diese paar schlichten Worte thaten. Scham und Verwirrung verschlossen ihr den Mund. Oswald fuhr melancholisch fort: »Da geht der Wind hin, und nimmt alle Versicherungen und Eide mit sich fort. Ja, ja, es ist der Welt Lauf. 's geht schon nicht anders. Ich merk's. Aber, Martina, Du solltest es nicht machen, wie die andern Weiber.«

»Soll ich mich zu tod grämen, wenn ein ungetreuer Mensch mich zum Gespött macht?« entgegnete Martina trotzig.

»Nein, nein; ich thät's aber abwarten, Martina. Die Zeit bringt viel, und« – hier wurde der Freund eifrig und hitzig – »und wenn das ganze Land schreit: der Seraphin ist nichts nutz, so sage ich nein, nein, nein; und Du, Martina, hättest es noch viel lauter schreien sollen, als ich.«

Mit erlöschender Stimme versetzte Martina: »Laß mich aus. Es ist zu spät; und wenn er selber käme, wär's zu spät.«

»So, so. Zu spät. Hm, ich hätt' mir's einbilden können. 's wird schon so seyn. Früh genug, um einem ehrlichen Kerl das Leben zu verleiden, dazu ist's immer früh genug. Aber immer zu spät, ihm treu zu seyn. Nun, Martina: ich bitt' um Verzeihung.«

»Warum? Ich hab' Dir nichts zu vergeben, als etwa Deine Einmischung in meine Angelegenheiten. Doch will 165 ich nicht daran denken, weil ich weiß, daß Du auch Dein Glück eingebüßt zu haben glaubst. Geh' jetzt nur.«

»Hast mich nicht verstanden. Weiß Gott, ich will Dir Dein Glück mit dem alten Sprenger nicht mißgönnen, weil ich selber mit Schand und Spott von meiner Werbung abgefahren bin. Aber Du sollst mir Deine Lieb' verzeihen.«

»Jetzt versteh' ich Dich nicht.«

»Ich hab' sie gemacht, Deine Lieb'. Ich hab' den Vogel zu Dir getragen, und der Vogel hat Dir errathen lassen, wer Dich gern hatte. Hab' freilich nie gemeint, daß ich in der Klag' geh'n würde, um dieser Lieb' willen. Aber ich bin halt schuld daran, und vergib mir's nur von Herzen. Und weil wir gerad vom Vogel reden . . . . lebt das Rothkröpfl noch? hast Du ihn noch?«

Mit abgewendetem Blick deutete Martina nach der Wand. Dort hing noch der wohlbekannte Käfig, und auf seiner Sprosse stand der Vogel lebendig aber lautlos. Oswald näherte sich ihm mit rührender Theilnahme, beschaute ihn von allen Seiten, und sagte: »Ach Du mein Rothkröpfl, was ist aus Dir geworden! Bist sonst so lebig und lustig gewesen! jetzt stehst Du da, wie ein alter Herr in abgetragnem Gwandl, halb kahl, fast alle Deine Stückln vergessen und keinen Gesang mehr in der Gurgel. O Du lieb's alt's Mandl! in Deinem Saufgeschirrl liegen Spinnweben, und in Deinem Freßgeschirrl ist mehr Staub als Korn zu finden. 's geht Dir halt wie allen Mandern bei Jahren; man schaut sich nimmer nach Dir um. 's geht Dir halt wie aller alten Lieb'. Sie lassen sie vergeh'n und verhungern. Komm mit mir; ich will Sorg' für Dich haben; wir sind ja alle zwei beide die Ursachen von dem Unglück unsers besten Freundes! Komm, komm, Dein Platzl ist nur bei mir in dieser Welt. Gelt, Martina? Du gibst ihn schon her, den alten grauen Kerl. Hast ja auch Deine Treue wohlfeil hergegeben?«

166 Nach der Braut sich umschauend, fand er das Zimmer geräumt. Martina war entflohen. Finster und gallebitter den Mund verziehend, nahm Oswald den Vogel an seine Hand. »Fort ist sie, ohne Pfietigott und Dankdirsgott, fort . . . und sie hat wohlgethan; ich hätt' auch die Schand' nicht ausgehalten. Geh' nur zu. Da wird's viele Thaler brauchen, um Deine Lieblosigkeit zuzudecken. Und der Seraphin – ich weiß nicht, ob er wiederkommt – aber wenn er's thut, will ich ihm sagen, daß er sich nicht gräme, nicht ein Vaterunserlang. Zuvörderst ist sie ein Weib, und nachgehends, wenn ihr der Sprenger, der steife hundertjährige Tattl, nicht zu schlecht ist, so ist der Seraphin noch viel zu gut für sie. Komm jetzt, Du altes Herrl von Rothkropf; jetzt geh'n wir eigentlich dorthin, wo wir hergekommen sind.« –

Am Abend dieses Tages war Martina wieder sehr unwohl geworden, und Lenerl drang auf die Verschiebung der Hochzeitfeier. Tammerl, in seiner väterlichen Allgütigkeit, obendrein dunkel merkend, daß die Sachen doch nicht so ganz nach Wunsch standen, wollte nichts dagegen haben; aber Martha und Marianne opponirten heftig, beriefen sich auf die bereits gemachten Anstalten, auf das unnütze Gerede, das wieder im Markt umlaufen würde. Am heftigsten erklärte sich Sprenger gegen jeden Aufschub. Es solle und müsse einmal seyn; er könne und wolle nicht länger warten, und sich vor den Leuten, wie er sich ausdrückte, eine Ohrfeige geben lassen. Die Trauung müsse vor sich gehen, und wenn sie am Bette der kranken Braut geschähe. – Er vergaß beinahe gänzlich die Rolle der Sanftmuth, die er sich zugetheilt, und überließ sich völlig dem ihm angebornen Ungestüm mit einer Hast und Rücksichtslosigkeit, deren Grund selbst seine eifrigen Anhängerinnen sich nicht klar zu machen wußten. – Martina, von all diesem Zwiespalt unterrichtet, faltete die Hände mit Ergebung, sprechend: »Wenn es einmal seyn soll, in 167 Gottesnamen denn. Seraphin kommt doch nicht wieder, und ich habe nichts mehr zu verlieren, was mir theuer wäre. Flechtet nur das Hochzeitkränzl, ich werde morgen bereit seyn.«

So war es auch. Martina hielt Wort mit der Selbstbeherrschung, die den Frauen eigen ist. Sie fand Stärke genug, zur Kirche zu gehen, und sagte ihr »Ja« mit Kälte und trocknen Auges. »Sie weint nicht einmal! Das wird schlimm ausfallen,« sagte das abergläubische Volk, und Tammerl wiederholte den Ausspruch mit innerer Zerknirschung. – Nach der Trauung wurde das festliche Mahl in Tammerls Hause abgehalten. Er hatte es reich bestellt, um seinen Mitbürgern zu beweisen, daß er bei weitem noch nicht so arm, wie man ihn verschrieen. – Die Gesellschaft war nicht sehr zahlreich, im Anbeginn auch nicht sehr lustig, denn des Bräutigams unstätes hochfahrendes Wesen, so wie die wortkarge Eiskälte der Braut, schüchterten ein. Je nachdem aber der wackre Siebeneichner und der sprudelnde Isera der Tafelgäste Stirne entrunzelten, und ihr Herz froh machten, ging es an ein buntes Geschwätz hin und her, nach allen Richtungen. Martha machte dem Herrn von Sprenger alle erdenklichen Komplimente, und ließ sich von demselben tausendmal seine Dankbarkeit versichern. Marianne pries den Ehrentag als einen höchst glücklichen in ihrem Leben, bedauernd, daß ihr guter Peterl leider entfernt sey, und seinen Theil daran nicht genießen könne. Lenerl unterhielt ihre Nichte mit allerhand aufheiternden Redensarten, und das Vesperglöckl hatte für heute seinen Verdruß über's Dach geworfen, um noch einmal als Ehrenjungfer zu plaudern, zu plaudern im Uebermaaß. Sie entzückte ihren Nachbarn, den Gevatter Rathsherrn dermaßen, daß er hoch und theuer schwur, sie müßte ohne weiters die Seinige werden, wenn er nicht schon verheirathet wäre. Der Pfarrer und der Guardian gaben ihre Seminar- und Novizenspässe zum 168 besten. Die Vettern und Basen tischten Klatschgeschichten die Menge auf. Sprenger ging sogar ein wenig aus seiner überreizten Stimmung in einen geselligern Ton über, und erzählte Schwänke aus Breslau und Wien. Nur Martina blieb einsilbig und zurückhaltend – wie das Volk sich ausdrückt – ein Bild ohne Gnad'. Tammerl bemerkte ihre Schweigsamkeit und Versagung mit tiefer Besorgniß, und raunte dem Doktor Musteratsch, der neben ihm saß, in das Ohr: »Wie das Madl heut Kopf macht! Ist mir in meinem Leben keine so traurige Hochzeiterin vorgekommen. Ißt nichts, trinkt nichts, 's ist zum Erbarmen. Und doch hab' ich gemeint, ich hätt' es so gut gemacht, wie nur ein Vater in der Welt.« – »Geb' sich der Herr nur zufrieden,« entgegnete der Doktor mit seiner ewig gleichgültigen Freundlichkeit: »Wie lang, und wir kriegen ein solides tüchtiges Schlagl, und dann geht die Herrlichkeit erst an.« –

Tammerl entsetzte sich. Die Furcht vor einem plötzlichen Ende packte ihn wieder mit scharfen Klauen: »Ein Schlagl? Doktor . . . ist's möglich? Spürt man mir schon so etwas an? wie? was?« – Der Doktor lachte. »Hab' ich denn von Ihm gesprochen? Ach mein, hab' der Herr keine Angst. Da, von dem Sprenger hab' ich reden wollen. Sieht Er nicht, daß ihm 's Blut im Kopf steht, gerade zum Aufspritzen? Nur getrost: Seine Tochter wird sich als Wittwe schon besser befinden.« – »Ei, da möcht' ja ein Lamm das Fieber kriegen oder den Pips!« erwiederte Tammerl, sich begütigend: »das wird doch nicht seyn? Hör' der Herr, warum verdirbt Er seinem Nebenmenschen mit derlei ruchlosen Redensarten allen Appetit?«

Ein Posthorn schmetterte durch die Straße, Sprenger, der in einer etwas lockern Erzählung begriffen, hielt plötzlich inne, und alles Blut strömte nach seinem Herzen zurück. Als wie außer sich, hupfte er vom Stuhle auf, reckte das Ohr, und stotterte: »Wer? wer? das Posthorn . . . was 169 soll das?« – Einer war an's Fenster gesprungen, wie schon Brauch ist in kleinen Orten, wo das Posthorn eine erregende Gewalt ausübt, und gab den Bescheid, der Graf Ferraris fahre eben durch den Markt. – Sprenger sank müd und matt in seinen Stuhl zurück. Auf seiner wieder gluthroth werdenden Stirn war ein feuriges »Gottlob!« zu lesen. Sein voriger Schrecken war indessen auch so beredt gewesen, daß die argwöhnischern oder gescheitern Gäste die Köpfe ineinander steckten, und allerlei Muthmaßungen, eine toller als die andere, ableierten. – Indessen brachte der Pfarrer die Gesundheit des Brautpaars aus, und das Sprüchlein: »bei den Alten ist man wohl gehalten!« kreiste mit allerhand leichtfertigen Zusätzen in der Runde. Tammerl holte bei Gelegenheit des Posthorns eine alte Lügenanekdote aus seiner wohlversorgten Tasche. »Da ist mir einmal,« sagte er, »im Reich ein Poster vorgekommen, der blies göttlich, wenn er gleich ein Schwabe war.« – »Wir wissen schon,« lachten die meisten der Gäste. – Tammerl fuhr unerschüttert fort: »Kommt einmal ein vornehmer Herr . . . .« – »Der Kaiser Lepold« berichtigte der Rathsherr. – »Ja, ja, der Kaiser Lepold, und will von dem Poster gefahren seyn.« – »Verspricht ihm ein Trinkgeld von zwei nagelneuen Dukaten;« schaltete Musteratsch ein, der die Anekdote schon vielmal aus demselben Munde gehört. – »Macht ihn blasen von Frankfurt bis nach . . . . der Ort ist mir entfallen;« spottete Martha. »Bis nach Mainz,« eiferte Tammerl: »wenn man nachhelfen will, sollte man wenigstens sich alles wohl gemerkt haben. Und, in Mainz angekommen, was war geschehen?« – »Bekannt, bekannt, schon da gewesen!« jubelten die Gäste im Chorus. – »Der Poster hatte sein dreimal gewundnes Horn kerzengerad geblasen,« sagte Tammerl mit größter Wichtigkeit: »hat auch nachher noch viele Jahre als Trompete beim Feuersignal gedient. So 170 hat sich die Geschichte verhalten, und wer's nicht glaubt, soll nur hingehen und fragen.« –

Unter dem allgemeinen Gelächter bemerkte niemand, daß Martina auf ihrem Stuhle schwankte. Die vier oder fünf Stunden, die sie nach damaligem Brauch hatte bei Tafel zubringen müssen, waren ihr schlecht bekommen. »Wenn dem heiligen Schmaus nicht ein Ende gemacht wird,« flüsterte sie der Tante zu, »so falle ich ohnmächtig zur Erde.« – Hierauf erhob sich ein großer Aufstand. Sprenger war gänzlich der Meinung seiner jungen Frau. Die Eltern waren es nicht minder. Tammerl bot der Tochter die Hand, sie aus der Stube zu führen. – »Nichts da;« sagte jedoch Sprenger brutal: »jetzt ist sie mein, und hat mit mir zu gehen. Es ist zwar noch nicht völlig Abend, und die Herren freuen sich auf die Spässe, die Herkommens sind, bevor die Braut in's eheliche Haus aufbricht. Werden sich's aber gefallen lassen müssen, daß ich mein Weib jetzt heimbringe, und Allen höflichst Dank und »gute Nacht« sage.« –

»Geh'n? aus dem Hause gehen? für immer?« seufzte Martina mit starren Augen und schmerzlich wallender Brust. »Nun freilich, was ist denn? willst bei Mutter und Vater verweilen?« fragte Sprenger mit steigender Grobheit: »Du gehst jetzt mit mir. Die Kutsche ist unten. Bitt' mir aus, weiter keine Spargamenter gemacht, oder ich geig' Dir aus einem andern Tone auf.« – Martina betrachtete ihn mit Schrecken und Staunen. »Der Herr gibt sich ja auf einmal als ein rechter Schroll?« sagte sie stolz. – »He? was war das?« fuhr Sprenger auf, und drohte mit seiner Rechten der jungen Frau. – Tammerl sprang dazwischen, und nun erfolgte ein Austausch von beleidigenden Bitterkeiten, die das anfängliche Kichern und Lachen der fremden Gäste in tiefen Unwillen verwandelten. Tammerls sehr natürlicher Vaterzorn brachte alle rechtliche Leute auf seine Seite. Sprenger, der etwas gar zu früh 171 die Larve weggeworfen, verlor bei Allen alles, was über die Achtung, die dem reichen Mann gezollt wurde, hinausging. – Die Stifterinnen des Ehebundes, der sich auf einmal so fatal angekündigt hatte, waren betreten, oder schrieen, ohne sich zu verstehen, wild durcheinander. –

Zum Glück – für den Augenblick wenigstens – waren die geistlichen Herren als beruhigende Autoritäten gegenwärtig, und, wie Veverl einst behauptete, wußten sie alles in's Geleis zu bringen. Sie führten den aufgebrachten Ehemann die Treppe hinunter, sie ermahnten Martina, ihm gutwillig zu folgen. Sie goßen Oel in die wilden Wellen des Tammerlschen Zorns. »Lebt wohl! leb' wohl Du liebes Haus!« schluchzte die junge Frau, das Tuch vor dem Gesichte. – »Du armes Kind!« tröstete die im Kind beleidigte Mutter, und das Kind erwiederte: »Die Frau Mutter hat's befohlen.« – »Hätt' ich gewußt, Du Schafl, hätt' ich mir träumen lassen, daß aus dem hälen Menschen so ein höllischer Ruech hervorschauen könnte . . .!« seufzte, Martina küssend, der Vater. – Und Martina erwiederte: »Der Herr Vater hat's so haben wollen!«

Von Lenerl und Veverl unterstützt wankte sie aus dem Hause, stieg sie in die Kutsche, worinnen schon der immer noch heimlich grollende Tyrann saß. Ueber dem Streit war Abend geworden. Fackelträger liefen neben der Kutsche her; mit Musik, wenn gleich im Innern verstimmt, folgte der Schwarm der Hochzeitsgäste. – »Das ist eine Pracht! das ist gar aus!« sagten die Leute, an die Fenster rennend, und viele Dutzende von Buben und Mädeln beneideten den Sprenger, die Martina. Aber in der Kutsche des hochzeitlichen Paars gab es nichts, als Grimm und Vorwürfe und Thränen.


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