Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Viertes Kapitel.

»Wer da kauft, was nicht feil,
Und da find't, was nicht verloren,
Der soll sterben, eh' er krank wird.
Auf dem Richtschwerdt zu Endingen.

Der Mann sieht mir nicht aus, als würde er ersaufen.
Englisches Schauspiel.
   

»'S ist meine Passion;« sagte auch der alte Idelstein, indem er seinen Freund Tammerl von Imst nöthigte, aus dem Wagen zu steigen. Dieses geschah ungefähr eine halbe Stunde von dem Hof und Gasthaus des bäurischen Edelmanns, und zwar mitten auf einem Kreuzwege, wo der Zugwind messerscharf den Wanderern durch die Rippen schnitt. – »Ich frag' Ihn noch einmal,« sprach nun Tammerl, »warum Er mich wie ein Straßenräuber hier anhält? Bin ich ein Schübling, der mit sich machen lassen muß, was einem jeden Maulaffen durch den Kopf geht?« – Der alte Herr war recht bitterzornig, that jedoch, was Idelstein begehrte, der kaltblütig wiederholte: »'s ist meine Passion. Ich empfang' Ihn wie einen großen Herrn an der Gränze meines Lands. Kutscher! dort einbiegen, auf jenes Hüttl zufahren. Dahinten ist ein Stall, 's Pferd einstellen, sich weiter nicht sehen lassen!«

Der Knecht, nach einem verwunderten Blick auf Tammerl, der selbst nicht wußte, wie ihm geschah, lenkte in den Feldweg ein, und fuhr auf das bezeichnete Haus zu. »Komm Er!« fing wieder Idelstein an, der sich in 96 der Runde umgesehen, nahm den Freund unter dem Arm und führte ihn dem Wagen nach: »Die Luft ist rein; geschwind, daß wir unter Dach kommen!«

Nach ein fünfzig unwillig gemachten Schritten blieb Tammerl, dem die Galle zu Kopf stieg, bocksteif stehen, und ergoß sich in Vorwürfen und Ausrufungen der höchsten Ueberraschung: »Sag Er mir ist er von einem bissigen Hund derwuschen worden? Was zum Wetter hat Er mit mir vor? Komm' ich daher den weiten Weg von Haus, als Sein Freund, Sein Gast, Sein Schwäher, zur Hochzeit meines Sohns mit Seiner Tochter, zur Hochzeit Seines Muckerl mit der rothen Glatzlin – na, laß' Er sich nur sobald nicht mehr zu Imst sehen! der rothe Adler speit Feuer und Flammen – hat er ein Wirthshaus, so groß wie des Bischofs zu Brixen Pallast, und fangt Er mich da von der Landstraße ab, und schleppt mich in eine Spelunke, wer weiß, wie schlecht, und doch ist's bald Abend und ich bin müde, aber wie? was soll das heißen? was? he? wozugegen?«

»Er wird's schon erfahren;« sagte Idelstein finster. »halt' Er's Maul.« – »Wär' mir nichts lieber! Und wär' ich ein Felsstein, ich müßte aufschreien. Der Vogel braucht seinen Schnabel, bis man ihm den Hals umdreht, und das wird Er doch mir nicht thun?« – »Dummheiten. Komm Er nur.« –

Da half nichts. Aus dem nobeln Gastwirth war diesmal nichts mehr herauszubringen. Bald waren sie vor der Hütte angelangt, wo ein schmutziger Bauer, ein Bestandsmann Idelsteins, sie empfing. Der Mensch schien im Vertrauen seines Pachtherrn zu seyn, denn schon hatte er die alte Kutsche untergebracht, und nicht eine Spur von ihr und vom Pferde und vom Kutscher war zu sehen. Idelstein schob den Freund in die niedrige enge räucherige Stube der Hütte, und sagte zu seinem Vertrauten: »Jetzt geh' und sag' dem Peter in's 97 Ohr, er soll nicht vergessen zu kommen, wie abgeredt ist. Wir riegeln uns derweilen ein.«

Der Mensch ging mit pfiffigem Lächeln davon. Idelstein pflanzte seinen Gast auf die Ofenbank, drückte ihm die Hand wie ein Riese: »Glückliche Ankunft. Was macht die Seinige? Hab' gemeint, sie werde auch nicht fehlen?« – »Hm; Er weiß ja wohl wie die Weiber sind. Heut wollen sie das, morgen wieder jenes; verschleckt und g'naschig wie die Canari, beim Eid. Nun, es ist mir selber keine große Freud' über die Hochzeit in's Herz gewachsen. Bin nicht glücklich mit meinen Kindern. Die Martina hat's gewaltig sauer. Der geizige Mensch, der Sprenger, – er hat mir nicht einen Vierer geliehen, hab' das Gütl für den Peter mit Schulden an mich bringen müssen, – der Geizkragen also quält die Haut bis auf's Blut. Ist noch krank an seinem Bein, kann nicht gehen, nicht ordentlich stehen, als auf Krücken, wird aus dem Bett auf den Stuhl und vom Stuhl in's Bett gehoben; ein saubrer frischer Ehemann, daß Gott erbarm'! Ebenso gut wär' die Martina in's Kloster gegangen. Ebenso gut hätt' sie auf den Seraphin gewartet. Ja, Idelstein, Er weiß nicht, was mir auf Lungel und Leber druckt. Ich bin, fürcht' ich, ein Unmensch gewesen, ein wilder Bär statt eines Vaters.« – »Wird schon seyn; aber was plauscht Er denn vom Seraphin?« – »Freilich sollt' ich gar nicht von ihm reden, sondern blutige Zähren vergießen. Denk' Er sich: da ist ein Bursch von Oberperfuß gekommen, und hat des Seraphin Brieftaschl gebracht, hat's vorm Fenster des Maroner in Tarrenz gefunden – der Vintschger hat's dort wohl verloren – hat's der Tante Lenerl gegeben; die hat mir's erst vor einigen Tagen mitgetheilt . . . . . Da sind richtig die Papiere drinnen, von denen der Seraphin geredet hat – ich Narr, hab's ihm nicht glauben wollen . . . ach, das 98 macht mich schiech und sterig!« – »Pah! ein abgemachter Handel, Freund Tammerl; falsche Schriften . . .!« – »Das müßt' ich mir ausbitten!« fiel Tammerl eifrig ein. »Nichts falsch, nichts abgemacht, Echte Siegel und Unterschriften. Und, damit Er's glaubt: am letzten Pfinztag ein Brief von Frankfurt von einem reichen Wechsler: der Gouverneur hat das Geld richtig aus den Kanzleien außer geklopft . . . all' mein verloren Geld ist da; ich kann's von Frankfurt haben, wann ich will. Nun? was sagt Er nun? Nicht wahr, da sperrt Er's Maul auf? Wir alle haben's gethan; die Lenerl hat gerehrt, die Martina hat's nicht nicht wissen dürfen, und ich fahr' aus der Haut, denn mein Madl ist unglücklich, und der Bub', der Seraphin ist unglücklich, werd ihn wohl auch nimmer finden, ihm mein Unrecht abzubitten . . . . 's ist auch mit der Martina zu spät . . . . ich bin ein geschlagner Mann; aber der Wachtmeister hat mir's vorausgesagt, und die Zaya . . . und . . . . 's ist zum derschießen.«

Tammerl stützte den Kopf in beide Hände und schwieg vorläufig. Idelstein fragte gleichgiltig: »Wachtmeister? Zaya? Wer das?« – Nun gerieth plötzlich Tammerls Zungenwerk in Gang, wie Veverls. – »Wer das? lauter gute Freunde. Der Wachtmeister hat Quartier bei mir, und wenn er und die Zaya nicht gewesen wäre, so säß' ich jetzt nicht da bei Ihm, sondern ich läg' auf dem Rechbrett, respektive im Grab, und mein letztes Gut und Geld wär' beim Teufel, Gott verzeih' mir die Sünd'!« – »Hoi, hoi; begehr' Er nicht so auf.« – »So? ich soll nicht hitzig werden? Das wär' mir eine Lieb'! Wenn doch die Spitzbuben mich haben bestehlen wollen? Eingebrochen sind sie. Hab's aber durch den Wachtmeister schon vorher gewußt . . . . Die Zaya ist eine brave Person und der Seraphin ein rarer Mensch . . .! wär' er nur dagewesen, wie schon einmal mit dem Egidi; nun Er weiß davon . . . aber 's war auch so nicht übel. Der Wachtmeister hat 99 eigentlich Wacht gehalten, hat richtig den Dörcher gefangen, und leider dem Andern nur einen Hieb mit dem Säbel über's Ohrwaschel gegeben, dem Kölbl, dem Gutedel!« – »Dem Kölbl?« Idelsteins Frage war mit aufbrausender Theilnahme gestellt. – »Ja doch, dem Kölbl. Nun, er ist durchgekommen, aber soll sich in Acht nehmen. Der Melcher hat alles verrathen. Wären sie an mich gelangt, hätten sie mir die Drossel abgeschnitten.« – »Ich will ein Narr seyn, wenn ich verstehe, was Er durcheinander kaudert.« – »Er ist schon ohnedem ein rechter Narr, und ich erzähl's Ihm ein andermal nach der Schnur. Jetzt weiß Er aber, warum die Meinige sich nicht vom Hause traut, und warum sie wenig Freude haben kann, den Peterl wiederzusehen. So geht's auch mir.« – »Warum das?« – »So? wenn doch der niederträchtige Kölbl sein bester Freund gewesen? wenn doch einmal die gute Hälfte, was sie dem Seraphin auf den Hals geladen, rein erlogen gewesen? Weiß Er, daß ich zittre und bebe, den Peter vor Augen zu sehen? Denn ich will nicht selig werden, wenn er nicht auch wie ein Schelm mich betrogen hat, da er sagte, der Seraphin habe ihn ausgezogen und ausgeraubt. Ich hab' kein gutes Vorgefühl, und mir thut's leid, leid, dreimal leid, daß der falsche Bub' in Seine Familie heirathen muß.« –

»Er ist ein Ehrenmann;« entgegnete Idelstein: »ich bin's aber auch, und sage frei, daß mir's nicht weniger Kummer macht. Nehm' Er's nicht krumm, aber der Grauwuzl, Sein Peter, verdient meine Fräule ganz und gar nicht.« – »Meinetwegen: 's ist aber nichts mehr da zu thun, und übermorgen ist halt doch die Kopulation.« – »Nun, bis übermorgen kann noch viel geschehen;« bemerkte Idelstein gewissermaßen prophetisch. –»He?« fragte Tammerl, der nichts verstanden hatte. Idelstein antwortete keine Silbe, und so fühlte sich der Vogelhändler 100 veranlaßt, selbst das Gespräch fortzusetzen: »Wird Er mir jetzt einmal sagen, was ich hier soll? warum wir uns nicht nach Seinem Hof aufmachen? wo Seine Leute und mein saubrer Lugenbeutel von Sohn stecken?« –

»Weiß Er?« hob Idelstein an: »ich muß Ihm sagen . . . .« – »Was denn?« – »Nur Geduld. Bereite Er sich vor . . . .« – »Wozu?« – »Nicht so hitzig!« – »Nicht so hitzig! Will Er mich denn zu einem Eiszapfen machen?« – »Nein.« – »Nun?« – »Sein Bruder ist da.« – »Wo?« – »Im Gasthaus.« – »Warum?« – »Den Peter abzuholen.« – »Seinen Peter?« – »Ja.« – »Morgen?« – »Geh'n sie fort.« – »Desto besser. Und darum also hat Er mich hieher gesperrt?« – »Damit Er nicht mit Seinem Bruder grob sey, darf Er mir nicht ins Haus, so lang . . . .« – »So lang?« – »der andre noch nicht im Bett ist.« – »Dumme Vorsorge. Ich mag den Bruder nicht, aber fressen werd' ich ihn darum auch nicht. Laß' Er uns gehen.« – »Wohin?« – »Nun, beim Himmel, Er ist ein wunderlicher Heiliger! Zu Seiner Frau, zu Seinen Madln, zu meinem Früchtl . . .« – »Die Weiberleut' kommen erst heut Abend spät von Lienz, haben die Mali dort abgeholt.« – »So so . . . das ist aber immer noch kein Grund . . . .« – »So hör' Er einmal auf zu räsonniren!« fuhr Idelstein grob heraus: »'s wird schon alles recht werden.« –

Tammerl verstummte vor der Grobheit, aber ihn wurmte im Innern stets mehr und mehr die zweideutige Lage, worinnen er sich befand. Um so schmerzlicher kränkte ihn die Frage, die nach einer mäßigen Pause Idelstein an ihn richtete: »Wie geht's mit dem Vogelfang?« – »O Er giftiger zweischneidiger Mensch!« brach Tammerl los: »Will Er mich noch mit Spott sekkiren, und bin doch schon halbtodt vor Verdruß? wie können Ihm jetzt die 101 Vögel einfallen? Ich verstehe gar nicht, wie auf Erden rohe oder g'streichte Seelen, wie die Seinige . . . .« – »Stille, Tammerl. Nichts Spaß. Ernst.« – »Nun denn; ich mag nicht einmal mehr auf die Zeiselen geh'n. Da weiß Er's.« – »Nun denn: ein Zeitvertreib.« – »Was?« – »Ich geb' Ihm einen Hauptvogelfang.« – »Er? mir? wann?« – »Gleich heut Abend.« – »Wird nicht seyn.« – »Wird seyn.« – »Beim Licht?« – »Bei Mond und Latern'.« – »Kurios. Weiß ich doch nicht . . . . in dieser Jahrszeit . . . Er foppt mich?« – »Auf Ehr': nein.« – »Am dunkeln Abend? Das müßte etwa . . . . . hat Er Locker dabei?« – »Einen.« – »Und dieser . . . .« – »fangt den Vogel, wenn's gut geht.« – »Welch einen Vogel? die Gattung?« – »Raubvogel.« – »Ach, das ist 'was andres. Mit einem Locker? Das hab' ich noch nie gesehen. Nachteulen? wie? was?« – »Wart' Er ein bissel; wir gehn geschwind.« –

Idelstein begab sich vor die Thüre. Der Beständer war zurückgekommen, und tuschelte dem Gastwirth verschiednes in die Ohren. Idelstein band ihm den Kutscher und den Wagen aufs Gewissen, und sagte zum Freund: »Mach' Er sich auf die Spazierhölzer, und geb' Er keinen Laut von sich.« –

Er ging voraus. Es dämmerte stark. Der geheimnißvolle Marsch führte hinter dichtbelaubten Hecken weg durch einen trocknen Graben, der die Wandrer vollkommen verbarg, bis an einen kleinen Busch, an den sich ein alter Heustadl lehnte. Nachdem Idelstein vorsichtig umhergespäht in Näh' und Ferne, auch mehreremal bedächtig durch die Klumsen des Stadls geguckt, machte er ein morsches Brett an der Hinterwand los, und ließ seinen Begleiter hindurchschleifen. Er folgte. Das Brett fiel hinter ihnen zu. Sie standen oder kauerten bis an den Hals, bis über die Ohren im Heu. Idelstein praktizirte ganz leise einige Oeffnungen, wie Schießscharten 102 gestaltet, aber glücklich maskirt, in die Verschanzung, bis sie Aussicht auf das Innere des Stadels hatten, und gut vernehmen konnten, was sich etwa darinnen oder in der nächsten Umgebung zuzutragen so gefällig seyn wollte. – Tammerl, den Idelstein knuffend und kneipend ersuchte, herzhaft zu schweigen, fragte sich im Geiste: »Bin ich ein Narr, oder ist's der Pusterer?« und es wurde ihm sogar etwas mörderfurchtsam zu Muthe, als er plötzlich in der Dunkelheit einen menschlichen Fuß in einem derben Strumpf erwischte. »Jesus Maria und Joseph!« hauchte er zahnklappend den Idelstein an: »ich hab' einen abgewürgten Fuß in der Hand! er ist noch warm . . . um Gotteswillen, was geht hier vor? Aber alsobald hielt ihm des Pusterers Rechte den Mund zu, und der geheimnißvolle Fuß entzog sich mit rüstiger Spannkraft seinem Arrest. »Um's Himmelswillen stille!« bat Idelstein mit kaum vernehmbarem Lispeln. »Da ist der Raubvogel. Verjage Er ihn nicht.« – »Das ist 'ne dumme Jagd!« dachte Tammerl in seinem Sinn: »wo ist der Locker, von dem der unwissende Mensch gesprochen hat? Die verkehrte Welt. Wird denn der Geyer warten, bis der Locker angeschlichen kommt?«

Was da herankam, war freilich nicht ein Geier, der die Gewohnheit hat, durch die Luft zu spazieren und in der Dämmerung zu Nest zu steigen; eher hätte, was sich näherte, ein sanft trippelnder Kasuar seyn können. Es trappte sehr vernehmlich über die Matte zum Stadl, räusperte sich, nieste, schneuzte sich, und sagte verdrossen: »Sakra! ein kalter Wind!« –

Tammerl sperrte die Ohren weit auf, und noch weiter die Augen, die spionirend an seiner Schießscharte lagen; denn der sogenannte Raubvogel kam in den Stadl herein, und warf sich auf den Grummethaufen nahe bei der Thüre. Der Mond, der gerade zu jener Zeit Schildwacht hielt, beleuchtete den Platz ein wenig. 103 Mit seiner Hülfe kam Tammerl dazu, sich ahnungsvoll zu sagen: »Entweder bin ich nicht der Tammerl von Imst, oder jener Kerl ist der Kölbl; allerdings ein saubrer Vogel.« –

»Der Peter bleibt lang aus, der faule Strick;« brummte der Vogel ungeduldig, und streckte sich aus. Eine wo möglich noch größre Ungeduld prickelte nun in Tammerls Adern; er vergaß alles um ihn her, und lauerte wie ein Schütze. – »Sakra, sakra, die Zeit vergeht!« murmelte wieder der andre und zog den Tröster in Leid und Langeweile, die Pfeife aus dem Sack. Da kam's an Idelstein, ungeduldig zu werden. »Himmelhund! den Stadl anschüren, auch noch?« knurrte er in das Heu hinein, so daß Kölbl beinahe aufmerksam geworden wäre. Zum Glück ging das Knurren Idelsteins im Geräusch, das ein Herankommender machte, unter, und Kölbl sagte zum Letztern: »Endlich! hat lang gedauert. Soll ich mir's Fieber in der windigen Nacht holen? darf mich ohnedem nicht vor den Leuten sehen lassen.« – »Warum nicht?« fragte Peter, und ließ sich neben dem Kölbl nieder. – »So? wenn mich der alte Narr, der Idelstein sähe? Er weiß gewiß schon, daß mich Dein Vater fortgejagt hat. Du! mir geht's schlecht: ich brauch' ein Geld. Verschaff' mir eins, aber morgen früh um fünfe muß ich's schon haben; muß Staubaus machen.« – »Warum denn? – »Hm, das hat so seine Ursachen. Ist's wahr, daß Du übermorgen heirathest?« – »Ja, ich denk's.« – »Du . . . wenn Du's nicht morgen thust, so kann's gefehlt seyn.« – »Hoi, wie so?« – »Wenn Du mir versprichst, nicht den Falschen mit mir zu machen, will ich Dir's sagen. Aber Geld muß ich haben.« – »Wie viel?« – »Hundert Gulden wenigstens.« – »Narr, woher soll ich sie kriegen?« – »Vom Altar, wenn Du nicht anders kannst. Hast mich schon angeführt, hast mir versprochen, für mich zu sorgen, mir von Deinem Erb' einmal 104 das Drittel zu geben . . . das alles geht mir jetzt in Rauch auf . . . . wenn ich aber die hundert Gulden nicht krieg, so mach' ich einen Mordspektakel, und sag' Deinem Schwiegervater alle Deine Stückln; weißt?« – »Das wirst Du doch nicht thun?« – »I warum denn nicht? Also willst Du, oder willst Du nicht?« – »Ich will, wenn ich kann.« – »Du mußt, Donnerwetter, Du mußt!« – »Ich müßt' halt vom Idelstein zu leihen nehmen.« – »Meinetwegen, geht mich nichts an. Es ist, als ob mir der Teufel ein Ei in alle meine Wirthschaft gelegt hätte. Muß mein Glück einmal wieder draußen versuchen. Also, um fünf Uhr wieder da zusammentreffen, 's Geld in der Hand, Peterl?« – »So wahr ich der Peter von Imst bin.« – »Gut; schlag' ein.« – »Da; jetzt sag mir aber, warum 's mit der Hochzeit gefehlt seyn kann?« – »Morgen früh.« – »Warum nicht heut? Morgen hab' ich vielleicht nicht Zeit, viel mit Dir zu reden.« –

Nach einigem Besinnen sagte Kölbl: »Es ist auch ein Ding. Du bist doch in meiner Hand, wenn Du Dich unterstehen wolltest, mir nicht Wort zu halten. Du! paß' auf. Der Großvater von Friedberg ist im Tirol, gewiß ist er auf dem Wege hieher; ich bin gelaufen, wie ein Wirbelwind, ihm zuvor zu kommen.« – »Der Großvater von Friedberg?« – »Nun ja doch; der alte Tschoggl. Das Madl hat einen Buben in die Welt gesetzt, soll Dir gleich sehen, zum Erschrecken. Das Weibsbild ist jetzt so krank, wie der Bamms gesund, und 's ist der pure Verdruß um Dich, der sie schwindsüchtig macht.« – »Ah! Spaß! Du machst mir 'was vor.« – »Wenn ich Dir's sag', Peterl, wenn ich Dir's sag'! Der Tattl ist nach Loretto auf die Wallfahrt gegangen, um das Madl gesund zu machen; kommt nach Tirol, führt ihn der böse Feind auf die Waldrast, dort muß gerad der Seraphin und Dein Spielbruder von Friedberg seyn, . . . . kurz, alles kommt heraus, wie sie 105 mich gesehen haben. Die G'schicht' ist zu lang, um sie jetzt zu erzählen . . . ich bin mit genauer Noth davon gekommen, denn der Alte hat ein gutes Gedächtniß, hat nichts verschwiegen.« – »Was Du sagst! nichts?« – »Nein, Du Hackstock. Sitzest da, als ging Dich die Sach' mit Haut und Haar nichts an. Alles erzählt, sag' ich Dir; wie Du in der goldnen Gans eingekehrt, und Dich für einen den Werbern Entsprungenen ausgegeben; wie Du mit Dukaten um Dich geworfen – weißt's? die gestohlenen Dukaten . . .?« – »Geh, hör' auf.« – »Hast vorgegeben, auf Briefe von daheim zu warten; 's ist aber nur wegen der Schlarafferei mit dem Madl gewesen.« – »Kölbl, laß mich aus!« – »Aber für den Peter Hepperger von Nirgendsheim sind halt keine Briefe gekommen, und die Dukaten haben Abschied genommen, weil Du gespielt hast, wie ein Ratz, und das Madl hast Du mit Deinem Ehversprechen weich gemacht, und wie die Kinderei fertig gewesen ist, und die Wirthsleute haben ihr Geld haben wollen, bist Du da gestanden wie der Jackl beim Mues.« – »Pst! pst! ich bitt' Dich . . . .« – »Thu' nur nicht so vornehm, Peterl, ich weiß ja alles von Dir. Es hat mich schon ein bissel geärgert, wie Du heut so am Fenster gesessen bist, und ich hab' Dir gewinkt und Zeichen gemacht, und hast gethan, als ob Du mich nicht kenntest; aber Du bist halt ein Patscher, heut so, morgen anders. Wie ich Dir mein Zetterl auf'm Stein zum Fenster hineingeworfen habe, bist Du freilich traktabler geworden. Nun, daher hast Du mich bestellt, da bin ich, und muß Dir wohl sagen, warum ich da bin. Kurz, jetzt weißt Du's, und richte Dich darnach. Der Alte weiß jetzt, daß Du der Hepperger bist, – ich selber hab's nicht recht läugnen können.« – »Ei warum nicht, Du znichter Mensch?« – »Weil, weil . . .« erwiederte Kölbl, der seine eignen Schelmenstreiche nicht aufsagen wollte, 106 mit peinlicher Verlegenheit: »es ist halt nicht recht angegangen . . . aber jetzt weißt Du's, daß der Alte auf dem Weg zu Dir, und ich verlang' mein Geld, sonst sag' ich morgen früh alles selber dem Stier, dem Idelstein, und Du kommst nur mit Schand und Spott weg.« –

Nun sagte aber Peter mit einer überraschenden Sicherheit: »Du bist selbst ein Esel, daß Du mir jetzt alles gesagt hast. Nicht einen rothen Heller sollst Du kriegen. Dummkopf! wenn denn doch alles an den Tag kommen soll, warum stopfte ich Dir denn das ungewaschne Maul mit Gelde?« –

Kölbl starrte den mündig gewordenen Kumpan verwundert an: »Je, hör' ich denn recht? Du unterstehst Dich, mir die Leviten zu lesen? Ist das der Dank für meine Hülfe, ohne welche Du in Friedberg miserabel sitzen geblieben wärst? Als mich der Zufall und der Vettel in selbiges Wirthshaus zur goldnen Gans geführt, wo Du neben der dummen weißen Gans saßest, und nicht wußtest, wie Dich losmachen – bist Du nicht an meinen Hals gesprungen, als wärst Du mein Fleisch und Blut . . . .?«

»Pfui Teufel!« knurrte jetzo Tammerl und biß ergrimmt in den Heubüschel, der vor ihm lag. Kölbl fuhr erhitzt fort: »He? hast Du was gesagt? Hab' ich nicht mich Deiner angenommen wie ein Vater? Bist Du nicht auf meinen Rath, um der Dalkerei ein End' zu machen, Knall und Fall mit mir schappirt? hast nicht die Spaarbüchsen von demjenigen Madl mitgenommen, und ihr 's Kindl gelassen? haben wir nicht mit einander ausgehalten, bis nichts mehr da war? Hab' ich Dich nicht angelernt, wie Du zu Haus hast sagen sollen? vom Ausrauben, vom Seraphin? Und jetzt kommst Du mir so? Bist tausig gscheit worden, meinst wohl, der Mond geht nur in Deinem Hof auf? Wart nur, 107 wart, potz Sakra. Die hundert Gulden morgen früh um fünfe, oder um sechse weiß schon der Idelstein alles, und dann wird er doch wahrhaftig nicht der Maulesel seyn, Dir sein Madl anzuhängen; weißt's? Ich wollt' nur, Dein Vater wär' da, ich wollt' ihm selber alles vorgeigen, was Du getanzt hast, Früchtl. Es thut mir so schon leid, daß ich Dir geholfen, Du Böswicht!«

»Der Herr Vater ist schon da, kannst ihm gleich sagen!« entgegnete Peter meuterisch, und trat dem Strauchdieb drohend entgegen. Kölbl verdutzte nun . . . . das Gewissen beutelte ihn. »Dein Vater? ist er da?« stotterte er ahnungsvoll.

Und zur selben Frist wurden alle Heuhaufen lebendig. Wie von einem Erdbeben hervorgeschüttelt, brachen drei Männer zumal aus ihrem Versteck hervor. Kölbl wollte mit einem Schrei Fersengeld geben, aber der Peter hielt ihn fanghundmäßig an der Kehle fest. Im Nu darnach packte ihn Idelstein an der Juppe, und rief: »Bestieren, bemauleseln, Du Zech, Du Galgenschwengel, das will ich! Da der Maulesel, da der Stier! Hätt' ich nur mein GodetschasCouteau de chasse [Jagdmesser]., ich wollt' Dir Ader lassen, dummer Teufelsbraten!« –

Und Tammerl gleichfalls wüthend zum Peter: »Was hab' ich gehört? was, Du Rabensohn, was, Du Mädchenverführer, Kinderindieweltsetzer, Sparbüchsenstehler, Dukatenstehler, Ehrabschneider, Dirnensitzenlasser!« Er wollte dem Peter in die Haare. Da hielt ihn jedoch der dritte Mann, dem das Bein im derben Strumpf gehörte, halb zornig halb lachend zurück und schrie unablässig: »d'Hand von der Butten! 's ist nicht der Rechte, 's ist der Meinige! sey doch gescheit, Bruder Peter; der Meinige ist's!«

Und damit der Auftritt mit aller erdenklichen 108 Feierlichkeit vor sich gehe, strömte im hellen Mondschein eine ganze Gesellschaft um die Streiter zusammen: die Frau von Idelstein, die Fräuleins oder Gitschen von Idelstein, die rothe Glatzlin mit dem Muckerl und der andre Peter, der anfangs neugierig war wie die übrigen, gern sich aber bald hundert Meilen von dem Platz weggewünscht hätte, da er seinen Vater und den Kölbl erkannte, und zum Ueberfluß den alten Großpapa von Friedberg, der in Pater Philipps Begleitung – beide einem Paar von Gespenstern ähnlich, und vom Bestandsmann Idelsteins geführt, – zu der so verschiedenartig angeregten Gruppe trat.

Des schlimmen Peterls Bestürzung wurde kaum von der Kölbl'schen überwogen, der den schwerbeleidigten Tammerl vor sich sah, und daneben wie zwei unheimliche Doppelgänger den Grauen und Grünen, einander so ähnlich – zwei Theresienkreuzer sehen sich nicht so akkurat gleich. – »Ich bin höllisch betrogen!« rief er aus, im Ton des Gerechtesten.

»Gott sey Dank!« schnaubte Idelstein: »der Maulesel war abgeführter als Du; der Stier war abgedreht, Dir zum Verdruß. Tammerl, mein Freund, steht Er nun? Bin ich dumm oder gescheit? Schicke den Grauen sammt Muckerl sammt Gemahlin und Glatzlin und Fräulein Jüngste nach Lienz, die Mali zu geleiten. Gut. Kommt heut das Diebsgesicht da in mein Revier und schaut mit dem einen Aug' schier meine Wände durch. Ich bin gerad daran, den Grünen zu trösten, da sagt er: der Mensch macht mir Zeichen! Mir lauft gleich was über die Leber, ich versteck' mich. Nicht lang, wirft der Kerl sein Papierl herein. Gleich auf Gleich! haben wir gedacht, und der Grüne warf ihm die Bestellung hinunter. Daß eine Spitzbüberei herauskommen würde, war gewiß; und der Vogel ist gefangen worden . . . Gelt, Er Vogelnarr von Imst?« –

109 Tammerl entgegnete mit bittrer Verachtung: »Vogelfang im Heustadl! o heilige Einfalt! aber ist denn ein miserablerer Vater auf Erden als ich bin, ohne Ruhm zu melden? Der Kaiser Heinrich der Vogler hat in seiner Vogelhütte die Reichskrone von den Churfürsten angenommen, – ich aber habe in diesem Heustadl meinen Sohn verloren.«

Der ungerathene Peter stand erbärmlich da. In der Runde kursirte die Geschichte der beiden Landstraßenhelden lang und breit, und der alte Brummler aus Friedberg und Pater Philipp, der Glatzlin Vetter fügten jedes Jota hinzu, das etwa noch fehlte. – »Mag der Herr Vater sagen, was Er will; aber den Tammerlpeter von Imst heirathe ich jetzt nun und nimmermehr!« rief stolzen und erleichterten Herzens die Mali. – »Der Herr Vater sagt Amen;« antwortete Idelstein. – »Victoria!« jubelte der Exstudent: »so wird wohl das gute Recht der Liebe endlich triumphiren?« – »Wenn das auf deutsch heißt, daß Er die Mali haben soll, sag ich auch Amen;« versetzte wieder der Vater Idelstein. – »Aber die Leute!« gab seine Frau zu bedenken. Worauf Idelstein als Hausherr: »'s Maul halten, Weib. Wenn nur die Mali geheirathet wird, mehr braucht's nicht.« – »Aber übermorgen kann nur des Muckerl Hochzeit seyn,« bemerkte die Frau des Idelstein, »und das Verkünden muß von vorn angehen.« –»Warum hat uns aber der Herr Vater gleich bei unsrer Ankunft hieher bescheiden lassen?« sagte das jüngste Fräulein, das gern selber den Innsbrucker Peter gehabt hätte, und sich nun um ihn gebracht sah, naserümpfend: »was sollen wir denn hier zur Nacht im Freien?« –

»Nicht mucksen!« drohte Idelstein, »und zusehen, wie zwei schlechte Gesellen abgestraft werden.« – »Ueber diesen da,« sprach Tammerl, auf Kölbl zeigend, der indessen vom Bestandsmann und Muckerl festgehalten 110 worden, »muß das Gericht entscheiden. Bringt ihn getrost in's Gefängniß, das heißt: sperrt ihn derweil in einen Keller. Unter seinem Verband sitzt der Hieb meines Wachtmeisters, und des Melcher Eingeständniß, Schurke, bricht Dir den Hals. Marschir' Dich fort in's Loch!« –

Indem Kölbl von dem Baumann und einem Knecht hinweggeführt wurde, fing Peter, der Graue, an zu heulen, und nahte sich mit gefalteten Händen seinem Vater. Aber Tammerl war dießmal ernstlicher böse als jemals in seinem Leben. – »Zehn Schritt' von mir, abscheulicher Mensch!« zürnte er, und schloß sich der Gesellschaft an, die mit den verschiedensten Gefühlen den Rückzug heimwärts antrat. – Peter folgte kriechend dem Vater und küßte die Flügel seines Rocks. Wiederum sagte ihm Tammerl: »Ich mag nichts mehr von Dir wissen; ich kenne Dich nicht mehr.« – »Aber Vater! verlaß' mich doch der Herr Vater nicht, wie sie mich alle jetzt verlassen!« flehte Peter, und hielt den Alten verzweiflungsvoll an. Die Männer ließen den grünen Peter und den Muckerl mit den Weibern ziehen, und blieben stehen bei Vater und Sohn. »Will Er mich loslassen, oder . . . .!« rief Tammerl, und drohte dem Sohn mit einem Streiche. – Aber der Innsbrucker Joseph fing den Streich auf, und ermahnte: »Peter! er ist Dein Kind. Du sollst keinen Haß auf ihn werfen.« – Worauf der Imster trotzig: »was geht's Dich an, Joseph?« – »Was jeden Menschen, der Gefühl hat erstens, und dann zweitens bin ich des Jungen leiblicher Onkel; ob Du mich leiden magst, oder nicht: ich bin's einmal, und mein' es gut mit euch beiden.« – »Danke schön. Gib Dir nicht Mühe!« – »Bruder! wir haben uns so lang nicht gesehen, und Du hast kein andres Wörtl für mich?« – »Nun, nun, Sepp . . . ich glaub', Du weinst? Das thut mir leid, das will ich nicht . . . ist's Dir denn aber mit dem Rehren auch ernst, Bruder 111 Sepp? – »Das fragst Du, und ich bin doch von Jugend auf derjenige gewesen, der Dir nachgab in allen Stücken, der Dir aus allen Nöthen geholfen, der Spielwerk und Leckerbissen mit Dir getheilt?« – »Hm, es wird schon seyn . . . . aber wie sind wir auseinandergekommen?« – »Durch Deinen Ungestüm und der Frau Mutter Partheilichkeit, weil ich's denn doch sagen muß. Mir lief der Mund über, Du mißhandeltest mich . . . ich ging . . . wir waren geschiedne Leute.« – »Bis jetzt;« fügte Tammerl, nachdenkend die Arme kreuzend. – »Sind dreiundzwanzig Jahre,« sagte Joseph mit derselben Geberde, dem Bruder gegenüber. – »Schon dreiundzwanzig Jahre?« – »Wohlgezählt.« – »Ei, ei, das ist lang, ist recht lange.« – Beide neigten die Köpfe, als sähen sie in den Sand zu ihren Füßen; aber unter den Brauen hervor blickte eines Jeden Auge in das Aug' des Andern. Der Mond stand funkelnd wie geschlagnes Silber über ihnen; kein Zug ihrer Gesichter, den er nicht, je nachdem sie sich drehten, beleuchtet hätte. Die Zeugen waren klug genug, sich stumm zu verhalten. Peterl barg sich in dem Schatten, den sein Vater warf. Die Brüder hatten alles vergessen, so den Ort, so die Stunde, so die Gesellschaft; sie musterten nur die vergangenen Jahre: blitzend von Heiterkeit die grünen jungen; in Trauer gehüllt als finstre Leidtragende, die letzten dreiundzwanzig. – »Du!« hob Tammerl zu Joseph an, und zwar mit weichem Vorwurf: »von der Frau Mutter mußt Du nicht reden, ebensowenig als vom Vater selig. Weißt Du? das vierte Gebot? weißt Du? ich bin ganz allein schuld, nicht die Frau Mutter.« – »Vergib mir, daß ich von ihr geredet habe, und zwar im Tadel; 's war nicht so bös gemeint. Ich trag' auch nicht wenig von der Schuld.« – »Schau, Joseph; ich war halt so viel jähzornig. Gählings war ich oben hinaus, gählings war ich wiederum gut.« – »Drum 112 sag' ich Dir ja, daß ich so viel Schuld auf mir habe, wie Du.« – »So? wenn ich doch grob und ruechig war?« – »So? wenn ich doch verstockt war und Kopf machte, statt Dir die Hand zu bieten, als Du wieder gut warst?« –

Tammerl lächelte ein wenig vor sich hin, und entgegnete dann, mit den Augen blinzelnd: »Horch; ich denke, Du machst Dich schwärzer, als Du bist?« – »Ach nein; 's hat jeder Mensch seine Fehler.« – »Ja, sag' mir nur . . . . was willst Du denn jetzt von mir?« – »Nichts, ganz und gar nichts. Doch nähm' ich gern, was Du mir freiwillig gäbest.« – »So, so. Ein stolzer Herr von Innsbruck. 's ist ihm nichts drum.« – »Um was nicht?« – »Hm, ich meine, . . . so . . . um mich selber.« – »Oho, oho, das heißt wieder reden! Geh weg; willst mich nur tratzen.« – »Tratzen? das wär' ein schlechtes Spiel für graubartige Buben, wie wir sind.« – »Ei nun, so sag' das erste Wort, wie Du vor dreiundzwanzig Jahren das letzte gesagt hast.« – »Ein gutes oder ein böses?« – »Ein gutes, Du Narr.« – »Nun, Du stocksteifes Trutzmandl: magst mich? magst mich denn?« – »Von Herzen. Gib mir drum die Hand.« – »Und Du die Deine, und vergeben und vergessen.« – »In Ewigkeit; und jetzt ein Bussel oben drauf.« – »Meintwegen zwei! komm her, mein Joseph!«

Da hatten sie sich bei den Köpfen, und halsten und küßten und streichelten sich, und es dauerte gar lang, bis sie fertig waren, aber es gab immer noch keinen Ersatz für das, was sie in dreiundzwanzig Jahren versäumt hatten.

»Ecce quam bonum, bonum et jucundum!« sang Pater Philipp mit näselnder Stimme, aber höchst zufrieden; denn der rührende Auftritt, dem er beiwohnte, ließ nicht einen Skrupel, nicht die leiseste Versuchungsfurcht in ihm aufkommen. – »Ja so,« sagte Tammerl, den 113 Gesang vernehmend: »wir sind nicht allein.« – »Nein,« antwortete Joseph vergnügt: »aber unsre Freude darf vor der ganzen Welt hohen Hauptes sich produziren. Ich bin so himmlisch selig, wie noch nie. Jetzt sind alle meine Erdenwünsche erfüllt.« – »Du lieber Sepp, bin ich nicht eben so glücklich?« fragte Tammerl: »Mit Dir versöhnt, könnt' ich allen meinen Feinden von Herzen vergeben.« – »Wenn das ist,« rief Joseph, den Moment erfassend, »so wirst Du ja wohl Deinen leiblichen Sohn nicht verstoßen? Komm, Peterl, küsse Deinem Vater die Hand, und gelobe ihm, fortan ein braver Mensch zu seyn und zu bleiben!« – Peterl weinte diesmal aufrichtige Thränen auf seines Vater Hände, und Tammerl, der Weichherzige, stellte sich nicht mehr unerbittlicher, als er von Natur war. Aber mit großer Bewegung hob er zu dem Sohne an:

»Wenn Du je vergissest, wie viele Menschen Du unglücklich gemacht hast – die Martina, den Seraphin, der doch Dein bester Freund gewesen, als er Dich vordem aus Kölbl's Klauen erlöste – die Enkelin dieses alten gebeugten Mannes . . . . Deine Eltern nicht minder . . . . wenn Du nicht endlich gut machst, was in Deiner Macht steht, wieder gut zu machen . . . . wenn Du wieder zurückfallen willst in Lug und Trug und Sünde . . . . nenne Dich mein Kind nicht mehr! Aber bereue Deine Irrthümer, thue, was die Rechtschaffenheit von Dir verlangt, und sey dann meiner Nachsicht und meines Beistands versichert. Was willst Du thun?« – Peterl versprach alles Gute. »So mußt Du dem Mädl da draußen und Deinem Kind vor allem die Ehre und das Leben wiedergeben,« befahl der Vater. – Peter nickte zitternd sein Ja. Der Großvater von Friedberg wollte nun in allerlei breite und erneuerte Klagen und Beschuldigungen eingehen; aber da war Idelstein ihm zur 114 Seite, und sagte mit einer Derbheit, die selbst dem Bayer imponirte: »Jetzt sey der Herr raschonig; Er sieht, daß Er mit raschonigen Leuten zu thun hat.« Der Alte, schüchterner zwar, aber hartnäckig, redete von der Schande seines Hauses, von der Krankheit seiner Nanni, von dem Schaden, den er erlitten, . . . aber noch einmal schnitt ihm Idelstein das Wort vom Munde: »Mein lieber goldner Ganswirth, Er hört's, daß Seine Nanni wieder zu Leben und Ehren kommen soll, und damit basta. Er hat's da mit ehrlichen Tirolern zu thun, und kann der heiligen Mutter danken, daß sie ihm den weiten Weg nach Loretto erspart hat. Sey er ruhig, Er wird bald wieder hinter Seinem Bierkrügl, mit der Schlafhauben über die Ohren, sitzen, und alles wird recht seyn.« – »Was der bayrische Knopf noch für Umständ' macht!« fügte der Pusterer leise hinzu, indem er sich zum Pater wandte. – Indessen hatte Tammerl seinen Vorsatz gefaßt, und sprach: »Machen wir jetzt ein Ende. Bin müd, bin hungrig, bin durstig, und 's ist ein Wunder, daß ich einen Appetit spüre, weil ich doch den Buben da und den Kölbl noch mehr im Magen habe: zwei schwere Kerls mit allerlei Beifracht. Na, na, Peterl, nur nicht wieder rehren. Schäm' Dich still in Dein Herz hinein, das ist gesünder. Um dieses recht mit Muße zu verrichten, so hupf' aufs Stangl, das heißt: geh' in's Bett. Morgen, Du friedberger Altvater, wollen wir selbdritt hinaus in Deine Heimath fahren, und die Hochzeit mit der Nanni zu Stand bringen. Thut mir leid, ich sag's grad' heraus, thut mir vor allem leid, daß selbiges g'stolperte Madl eine fremde, eine Ausländerin, gar noch eine aus Churbayern ist, . . . aber was will ich machen? Sie will ihr Recht, als ob sie eine Tirolerin wäre, und ein braver Mann macht da keinen Unterschied. Wenn schon Krieg ist, wir kommen dennoch durch, und der Idelstein leiht mir schon ein Geld, daß wir geschwind 115 abfahren können; denen bei der Hochzeit – gelt Peterl – nicht bei der einen doch bei der andern wollen wir zuschauen, he?« – »Hast einmal vergeben;« erinnerte Joseph: »warum quälst Du noch den Buben muthwillig?« – »Wie viel braucht Er?« fragte Idelstein, auf seine Tasche klopfend, daß die Thaler klangen. – »Gar nichts;« entgegnete statt Tammerls der Servit, und reichte dem Vogelhändler das Sackl mit den bewußten Dukaten: »das da gehört von Gott und Rechtswegen dem Herrn, und Seraphin und Oswald lassen herzlich grüßen.« – »Ach, Seraphin!« rief Tammerl, nachdem er von des Jünglings Besuch auf der Waldrast unterrichtet worden: »jetzt fallt mir wieder all mein Elend ein! Doch nur Kuraschi. Müßt' ich nicht, damit mir der Bub' da keine Lumpereien mehr mache, müßt' ich nicht in's Reich hinaus, ich machte gerad' jetzt auf den Seraphin Jagd. Der ist ein Martyrer, der Seraphin, beim Eid. Ich hab's dem Vater selig schön vergolten, daß er mir den Vintschger anempfohlen hat.« – »Wie so?« fragte Joseph neugierig; aber Idelstein, der wieder die lange oft gehörte Geschichte anrücken sah, fiel dem Tammerl in's Wort: »Dummheiten sind's. Daß wir mit hungrigen Mägen jetzt schon eine halbe Stunde vor der Hausthür stehen, ist auch eine Dummheit, keine kleine. Essen droben, Trinken droben, viel, viel und gut. Grauer Peterl ins Bett! g'hörst nimmer zu uns bis auf weiteres. Ganswirth, ins Bett! Seine Suppe und Sein Weinl soll zu ihm in's Bett kommen; ausschlafen; dann vergnügt morgen aufstehen. Pater Philipp, zu den Weibern! trinkt nicht, lacht nicht, durch und durch Einsiedler, basta. Aber wir dreie, uns es schmecken lassen, wie Männer. Bei mir ist heut, morgen und übermorgen TinzltagTinzltag: Festtag für eine Zunft mit Gottesdienst, Schmaus und Tanz.!« – »Recht so!« rief Joseph: »die erste Gesundheit . . . .« – »Der Frau Mutter!« ergänzte Tammerl: »die zweite dem Joseph!« – »Die 116 dritte die Deinige!« sagte wieder Joseph, den Bruder umschlingend. – »Und so fort von A bis Z!« überschrie Idelstein seine Gäste: »alles mit Maß und Ziel. Die Nacht würde zu kurz seyn, wenn wir auf aller Biedermänner, die wir kennen, Gesundheit trinken wollten; Gott sey Dank!«

Im Treppenansteigen fragte der Wirth seinen Imster Freund: »Was denn aber mit dem Freisinger, wenn er morgen verreist?« – »Hm,« versetzte Tammerl: »Laufen lassen wird's kürzeste seyn. Mein größter Zorn ist dahin, und der Kerl wird sich jetzt wohl nimmer vor uns sehen lassen. 's ist wegen der Schand und des Peterl, weiß Er wohl?« 117


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