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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Von den Türmen der Stadt hinter ihm schlug es sieben, als Adalbert an den letzten Häusern vorüber in die Allee bog, welche, ein Stück der Gernsbacher Chaussee abschneidend, durch das Wiesenthal bis an den Fuß der Berge führt. Die Nacht brach stark herein; hier unter den breitkronigen Kastanien, in deren morschen Blättern der Wind rasselte, war es beinahe finster; nur von links her durch eine gelegentliche Lücke zwischen den Bäumen zeigte sich ein Stück etwas helleren Himmels, auf dem der Berg mit dem Schloß so schwarz stand, daß ein einsames Licht von droben wie ein Stern herunterschimmerte. Adalbert hoffte, es werde sich draußen besser machen. Ihm war die Finsternis schon recht; aber der Weg von Gernsbach herauf führte streckenweis durch dichten Wald und bei dem unaufhörlichen Regen der letzten Tage mußte selbst die Chaussee arg gelitten haben. Glücklicherweise regnete es wenigstens jetzt nicht, auch war der beinahe volle Mond schon aufgegangen oder stand nur noch hinter den Bergen und würde, sobald er höher kam, schon seine Schuldigkeit thun trotz der dicken schwarzen Wolken. Und wenn die Mietsgäule auch keine Trakehner waren, hier in den Bergen war auf sie mehr Verlaß als auf Rassepferde, und die Kutscher verstanden ihr Metier mit Hemmschuh und Bremse – das mußte man den Kerlen lassen. Sie würde ja nicht gerade an eine Ausnahme geraten sein: einen alten Krümper, wie der neulich nach der Iburg, oder an einen frechen jungen Kerl, wie –

Adalbert stand in seinem raschen Schritt, aus dem schon fast ein Lauf geworden war, jäh still. Wenn Hilde eben an den frechen Menschen geraten wäre, der sie an einem der ersten Tage nach dem alten Schloß hinaufgefahren, und der sich in der Zwischenzeit oben betrunken hatte? Und nun so allein mit dem wüsten Gesellen im dunklen Walde! Er hätte es ihr doch nicht erlauben, wenigstens den Friedrich mitgeben sollen! Aber es war ja alles so schnell gekommen; wer hätte da das Einzelne voraus sehen, voraus überlegen können! Ach was! warum sollte es denn gerade der Kerl sein! Und ein junger Kerl trinkt ja wohl einmal über den Durst, ohne daß er ein Säufer ist; und Säufer sind noch lange nicht die schlechtesten Menschen. Es war nur, daß er eben mit einem grundschlechten zu thun gehabt hatte. Eine solche Kanaille konnte einem freilich den Geschmack an den Menschen auf lange gründlich verderben.

Er hatte seinen eiligen Marsch fortgesetzt und kam, aus der Allee heraus, zu der Brücke über den Bach, welcher hier die Chaussee durchschneidet. Der Bach, den man sonst kaum bemerkte, rauschte heute gewaltig unter der Brücke zu Thal; hier und da, wo er an einen Steinblock anprallen mochte, blinkte der schwarze Schwall weißlich aus der Tiefe. Adalbert stand eine kurze Weile, hinab starrend, auf das Tosen und Brausen hörend, Ohr und Seele damit füllend. Oder eigentlich war ihm, als sei das seine eigene Kraft, die da so rastlos hinstürmte, bloß, daß das da unten finster und zornig klang, und es in seiner Seele hell war und so voll Jubel – er hätte es hinausschreien mögen in die sausende donnernde Nacht.

Und dann stand jemand auf der Brücke und schwenkte den Hut und schrie hurra! hurra! hurra! und drückte sich den Hut wieder in die Stirn und stürzte weiter in die Nacht, als ginge es gegen den Feind.

Ja, gegen den Feind, den argen, der ihm Leid und Lust vergällt seit so vielen Monden! Und doch nichts weiter gewesen war als ein Gespenst, ein Nichts, ein Hirngespinst aus Unverstand, Ungeschick, Zagen, Feigheit, Uebelnehmerei, Eitelkeit und der Teufel mochte wissen was noch! War er ausgetauscht gewesen die ganze Zeit aus einem Manne, der wußte, was er wollte und sollte, in einen blöden täppischen Jungen, der keinen Willen hatte, als den seines kleinen süßen Mädels, das auch nicht wußte, was es wollte und sollte? Und vor solch einem dämlichen Bengel von einem Jungen sollte ein solches Mädchen Respekt haben? Die solche Augen hatte: so große kluge Augen, mit denen sie einen durch und durch sah? und so feine Ohren, daß sie das Gras wachsen hörte? und ein Köpfchen, in dem es alle Tage und zu jeder Stunde Fastnacht war, wo's lustig herging mit tausend bunten Einfällen? Und einer immer drolliger, wie der andere? Bloß daß zwischendurch ganz ernsthafte Gedanken kamen, denen man Rede stehen mußte, und die sehr ungnädig wurden, wenn man nichts Rechtes vorzubringen wußte, oder gar eine Dummheit zu Markt brachte. Ei der Tausend! wo sollte denn da der Respekt herkommen? Und wenn ein solches Herz keinen Respekt hat, ist es auch mit der Liebe aus, oder sie sucht sich einen Weg, wo keiner ist, oder für sie sein sollte, wie die Wildwasser da. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn sie den hübschen Burschen von Wolfsberg so in Wildwasserweise geliebt hätte. Oder Escheburg, der freilich ein Kerl ist, der sich sehen lassen kann. Gerade wie Kora auch ein Prachtmädel ist in ihrer Art. Heiliger Gott! es fehlte heute morgen nicht viel, so hätte ich ihr eine Liebeserklärung in optima forma gemacht. Und liebte sie doch so wenig, wie das Wasser bergauf fließt. Das will hinab, immer hinab, heisa, heisa hinab!

Und er sang seltsames Zeug, wie's ihm über die Zunge kam nach eigenen Melodien und wildtollen Rhythmen in die Wette mit den Wassern, die an der Wegseite in den Gräben rieselten, über den Weg plätscherten, als schäumende Bäche von der Waldsteile rauschten; in die Wette mit dem Winde, der in langgezogenen Tönen von dem Felsen droben das Thal zur Rechten hinabheulte, und in dem Forste zur Linken brauste und donnerte. Kein Menschenkind wegauf, wegab, nur er, der singende jubelnde Wanderer, der je zuweilen stillstand, sich zu verschnaufen und auf einen Eulenschrei zu hören, der gar zu laut und klagend aus der Riesenbuche kam, die ihr klappendes, knarrendes Geäst über die ganze Breite der Chaussee streckte. Macht Dir keinen Spaß das Wetter, Eulchen? kein gutes Jagdwetter für Dich, he? Mäuse nicht unterwegs? Vögel sicher in den Astlöchern? Nur Geduld! kommt wieder besser. Ist für mich auch eine schlechte Zeit gewesen. Nun ist gute Zeit! heisa! gute Zeit!

Und weiter sang er und sprang er den Weg hinauf, der Steile nicht achtend, dem Sturm entgegen, nicht merkend, daß er die Füße hob, als ob er Flügel hätte.

Nun kam auch der Mond rechts über den Merkurius herauf, dessen mächtige Pyramide sich plötzlich deutlich vom helleren Himmel abhob. Hei, wie der blanke Gesell durch die schwarzen Wolken jagte und nun mit dem Kopfe gegen die dicke Wand rannte! Die war ihm doch über. Jawohl! Kinderspiel für ihn! Da ist er wieder! Sind noch mehr von der Sorte da?

Wie schön das war! Und jetzt das schauerliche Dunkel in dem engen Hohlwege zwischen der Teufel- und der Engelkanzel! Und nun oben auf der Höhe des Sattels, wo der Wind erst ordentlich anfassen konnte, wie er jetzt frei herangebraust kam über die weiten Halden, durch die sich der Weg bergab schlängelte nach der Murg, deren jenseitige Berge auf Momente, vom Mondlicht überflossen, geisterhaft herüber blickten.

Er hatte sich auf einen Stein gesetzt an einer geschützteren Stelle. Nicht, daß er müde gewesen wäre! Keine Spur von Müdigkeit! Aber bis hierher hatte er gemeint, daß er gelangen würde, wenn er tüchtig ausschritt. So hatte er unwillkürlich Halt gemacht, trotzdem er nun doch viel schneller herauf gekommen war, als er gedacht. Wohl noch eine halbe Stunde mochte vergehen, bis der Wagen da weiter unten aus dem Walde auftauchte. Und dann herankam langsam wegen der starken Steigung, so daß es keines lauten Zurufes bedürfen würde, um den Kutscher zum Anhalten zu bringen, wie auf einer Strecke bergab, die der Wagen im Hemmschuh rasch herunterschurrt. Und der Mensch hört nicht einmal den Ruf, oder will nicht hören, um nicht halten zu müssen. Hier muß er wohl. Ohne einen kleinen Schrecken würde es freilich für sie nicht abgehen. Und dann –

Ja, was dann? War es denn ganz sicher, daß sie ihn gern sehen würde? Was war denn eigentlich geschehen, daß nun alles anders, daß nun alles wieder gut war? er sich auf das Wiedersehen freuen durfte, wie ein Kind auf Weihnachten? die Zeit des Wartens abzukürzen, den Weg gelaufen war, wie ein Junge aus der Schule zum Spielplatz? Was war geschehen? Ja, was? War sie denn wirklich anders zu ihm gewesen, als diese ganze vergangene Zeit? Sie war doch nur auf sein Zimmer gekommen und hatte ihn gebeten, sich der unglücklichen Frau anzunehmen, und er hatte gesagt, ja, er wolle es thun. Dabei war doch auch nicht ein einziges wärmeres Wort, geschweige denn ein Wort der Liebe zwischen ihnen gewechselt worden. Um den Hals gefallen war sie ihm auch nicht; sie hatte ihm, als sie dann mit der Engländerin fortging, nicht einmal die Hand gereicht. Es standen freilich in dem Augenblicke der Portier und noch ein paar Leute dabei; aber man kann doch, auch wenn man nur spazieren gehen will, seinem Manne die Hand reichen, ohne Aufsehen zu erregen? Also das konnte es nicht sein. Sie hatte es absichtlich nicht gethan. Und doch!

Und doch, was auch der dumme Kopf sagen mochte, sein Herz, das so gewaltig gegen die Rippen pochte, wußte es besser. Sie wäre nicht zu ihm gekommen, hätte sie sich nicht gesagt: er ist der Mann, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, um mitzufühlen, wie einer so unglücklichen Frau zu Mute ist, und um dem Schurken, der sie so unglücklich gemacht, entgegen zu treten, ja, auch die Faust dazu hat, ihm das Genick umzudrehen, wenn's nötig ist. Das hatte sie sich gesagt und, Gott sei Dank, sie hatte es sagen dürfen. Sie würde schon mit ihm zufrieden sein: ganz schlecht hatte er seine Sache nicht gemacht. Ein rechtes Kunststück für einen so langen Kerl, wenn eine kleine Frau, die er auf seiner Hand tragen kann, und die zusammenfährt, wenn der Wind eine Thür zuschlägt, solche Kourage hat! solche Schneidigkeit! So liegt die Sache! das muß geschehen! Punktum! Und wie sie einem so etwas klar zu machen weiß, daß man es mit Händen greifen kann! Wo sie nur die Worte hernimmt, von denen jedes den Nagel auf den Kopf trifft? Kora ist auch sehr klug, aber dagegen kommt sie doch nicht auf, von der Schönheit ganz abgesehen. Das versteht sich. Daran denkt ja auch kein vernünftiger Mensch.

Und nun mühte er sich, das Bild, welches immer durch die dunkle Nacht vor ihm hergeflattert war, den steilen Weg hinauf, – und doch auch wieder zur Seite im sausenden Walde gewesen war und droben in den zerflatternden Wolken, – so recht deutlich zu sehen: wie sie vor ihm gesessen in seinem Zimmer mit den zu ihm erhobenen großen energischen Augen und der zitternden Erregung in den süßen Zügen, während die Linke fest auf der Lehne des Sessels lag und die Rechte manchmal zu ihren Worten sich bewegte, nicht zu hastig und nicht zu langsam und immer an der rechten Stelle, damit der große dumme Kerl die Sache kapierte. Aber, wenn auch dieser und jener Zug einmal flüchtig aus dem Dunkel trat – das ganze geliebte Bild sah er nicht, ja, je mehr er sich mühte, desto undeutlicher wurde es. Es gab schon keine andere Möglichkeit, als daß sie selber kam. Und das konnte ja nun jeden Augenblick sein. Er vermochte bei dem matten wechselnden Licht des Mondes nicht die Zeit von der Uhr zu lesen: einmal schien es acht, dann wieder neun, dann wieder anders – es war unmöglich. Und wie lange er zu dem Weg hinauf gebraucht, und ob er hier zehn Minuten, oder eine halbe Stunde gesessen hatte – er wußte es nicht. Aber der Mond, der vorhin doch ziemlich dicht auf dem Merkur stand, hatte schon ein ganzes Stück himmelauf gemacht, und noch immer wollte der Wagen nicht da aus dem Walde kommen. Was saß er auch hier müßig! Er hätte inzwischen den halben Weg nach Gernsbach hinablaufen können.

Er war aufgesprungen und hatte schon ein paar mächtige Schritte gemacht, als er in jähem Schrecken stehen blieb. Mein Gott, was hatte er gethan? wo hatte er denn seine Sinne gehabt? Dies war ja der alte Weg nach Gernsbach, den man seiner Steile wegen längst aufgegeben, den nur noch die Bauern nach Ebernsteindorf benutzten und die Equipagen, wenn sie von Ebernsteinburg kamen. Der neue Weg, den alle Welt nach Gernsbach hin und zurück fuhr, ging ja über Lichtenthal bis zur Fischkultur und von da links in den Wald! Hatte je ein Mensch von einer solchen Dummheit gehört! Der jüngste Fähnrich müßte in Arrest dafür bei Wasser und Brot! Und nun kam sie im Hotel an, lange bevor er zurück sein konnte, und er war nicht da, sie zu empfangen nach ihrer langen mühseligen Fahrt! ihr zu danken – er, der ihr hier entgegengelaufen in die Nacht hinein, sie auf dem Wege zu überraschen, ihr zu sagen, wie grenzenlos er sie liebte, und ob sie ihn noch ein wenig, ein klein wenig wieder lieben könne! Und nun alles, alles verpaßt, verpfuscht durch seine übermenschliche Dummheit!

Er war wieder zu dem Stein zurückgewankt und da zusammengebrochen, kraftlos, mutlos, bebend in der Kälte, von der er doch bis jetzt nichts gespürt hatte. Er hätte weinen mögen wie ein Kind.

Nun denn, es war ein schöner Traum gewesen; er sollte nun einmal kein Glück haben!

Mit steifen Gliedern erhob er sich, mechanisch einen letzten hoffnungslosen Blick auf den abwärts sinkenden Weg werfend, der eben vom Monde hell beleuchtet war, und auf die Oeffnung im Wald, aus der sein Glück hatte kommen sollen, und die ihn nun stumm und schwarz angähnte, wie das Grab.

Und plötzlich zuckt es wie ein Blitz durch seine Glieder. Da sind zwei Lichtpunkte in der schwarzen Oeffnung aufgetaucht. Er glaubt, daß seine Sinne ihn äffen. Aber die Lichtpunkte bleiben, werden heller. Und das ist doch eine dunkle Masse, die sich bewegt, eben da wo die hellen Punkte sind, mit den hellen Punkten – ein Wagen zweifellos – mit Laternen – Bauernwagen führen keine Laternen – lieber Gott, laß mich nicht zum zweitenmal das durchmachen! thu's nicht! hab' Mitleid mit mir armen Schelm!

Er steht mit gefalteten Händen da; er hat nicht die Kraft, sich zu rühren. Näher und näher kommt die dunkle Masse – eine geschlossene Kutsche. Schon kann er den Kutscher auf dem Bock unterscheiden – jetzt die schnaufenden Pferde, die schwer im Geschirr liegen, Schritt vor Schritt sich weiter arbeitend.

Holla! ruft der Kutscher, der plötzlich eine große dunkle Gestalt dicht vor den Köpfen der Pferde sieht, die von selber stillstehen.

Von Gernsbach? fragt die dunkle Gestalt mit rauher Stimme.

Der Kutscher ist so verblüfft, daß er nicht antworten kann. Er faßt seinen schweren Peitschenstiel in der Mitte! so leicht soll es der Kerl nicht haben.

Aber der ist schon an der Seite des Wagens und hat die Thür aufgerissen. Ein lauter Schrei seiner Dame drinnen. Der Kutscher stößt die Decken von sich, in die er sich gewickelt hat, und steht schon mit dem einen Fuß auf dem Rade und bleibt so in der Schwebe, verwundert über das, was er sieht: seine Dame, die aus dem Wagen gesprungen und in den Armen der großen schwarzen Gestalt liegt und weint und schluchzt und jauchzt und an seinem Halse hängt und schluchzt und küßt. Und die große schwarze Gestalt jauchzt auch und schluchzt und küßt und hat die Dame aufgehoben, als wär's ein Kind, und sie so in den Wagen getragen und steht nun mit einem Fuße auf dem Tritt und ruft ihm zu: Vorwärts! mit einer Stimme! ja, das war eine andre Stimme, als die vorhin! da sprang ordentlich ein Zwanzigmarkstück Trinkgeld heraus.

Die Thür ist zugeschlagen. Fort! ruft der Kutscher und knallt, daß es laut von der Engelkanzel zurückschallt. Das war ein richtiges Glück, daß der neue Weg nicht passiert werden durfte von wegen der gefährlichen Brücke! Der hätte sonst noch lange warten können!



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