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Sechzehntes Kapitel.

Adalbert war, während Kora das Hotel verließ, zu Escheburg hinaufgegangen und hatte den Freund in tiefem Negligee bei der Toilette gefunden. Seit gestern vormittag, nachdem sie sich in bitterem Hader getrennt, hatten sie sich eigentlich nicht wieder gesprochen; die wenigen Worte, die sie während der Nacht ausgetauscht, waren nur immer durch die augenblickliche Situation veranlaßt worden. Jetzt streckte Escheburg die eben abgetrocknete Hand dem Eintretenden mit herzlichem Lächeln entgegen und bat ihn, auf dem Sofa Platz zu nehmen, während er seinen Anzug vollende.

Ich komme, sagte Adalbert, Dich von neuem zu inkommodieren, nachdem Du Dich die ganze Nacht für uns abgequält hast. Ich würde mich gern an einen anderen wenden, aber ich habe hier niemand, dem ich mich gerade in dieser Sache, die sehr delikat ist, anvertrauen möchte. Es handelt sich aber um folgendes –

Ich glaube, ich kann Dir die Geschichte ersparen; sagte Escheburg; Wolfsberg hat mir noch gestern abend, während Du mit Krell gingst, die Scene berichtet – kurz aber exakt. Leute wie er sind in solchen Dingen von einer vollständig wissenschaftlichen Akribie – es entgeht ihnen kein Wort, kein Ton, kein Blick.

Dann weißt Du auch, um was ich Dich bitten wollte; sagte Adalbert.

Leider; erwiderte Escheburg. Der Mensch ist ein Geck von der schlimmsten Sorte und nebenbei gesagt, zweifellos der Geliebte von Frau Poly. Aber das erstere ist kein ausreichender Grund, ihm die Satisfaktion zu verweigern, und das zweite darf Dich vollends nichts angehen. Die unzweideutige Provokation, die er beabsichtigte, hat in Gegenwart zweier klassischer Zeugen stattgefunden; ausgetragen muß die Sache also werden.

Adalbert, der immer vor sich nieder gesehen hatte, blickte flüchtig auf. Er hatte gefürchtet, bei Escheburg, wenn nicht auf entschiedenen Widerspruch zu stoßen, so doch allerlei Bedenken und Einwände bekämpfen zu müssen.

Ich wähle natürlich Pistolen; sagte er.

Natürlich; sagte Escheburg. Weißt Du, wo der Mann wohnt? nein? Nun, dann werde ich bei Wolfsberg anfragen – er weiß es sicher. Schlimmsten Falls kann er sich die Adresse von seiner Schwester ausbitten.

Abermals blickte Adalbert auf, um sofort die Augen wieder abzuwenden. Die Leichtigkeit, mit der Escheburg eine Sache nahm, bei der es sich immerhin um Leben und Tod handelte, war doch sehr sonderbar. Ein Gedanke, der ihm schon öfter gekommen war, und den er immer als absurd von sich gewiesen, blitzte wieder, diesmal mit zündender Kraft, durch seine verstörte Seele: hatte auch Escheburg Hilden geliebt? und als sie heute morgen, nachdem die Gefahr vorüber war, seine beiden Hände faßte und an ihren Busen drückte – das war nicht bloß überquellendes Dankgefühl der Mutter, das war noch ein andres – ganz andres Gefühl gewesen?

Was hast Du? fragte Escheburg verwundert, als Adalbert plötzlich vom Sofa aufsprang.

Ich – ich dachte eben, ob ich Dich nicht besser mit dieser Geschichte verschonte. Wenn es sich auch im Grunde um Poly handelt, es wäre doch gut, käme das womöglich gar nicht zur Sprache. Nun hast Du notorisch damals die Affaire mit Krell geleitet. Ich fürchte, man wird, wenn Du abermals der Kartellträger bist, unwillkürlich darauf geraten, einen Zusammenhang zwischen dieser und der alten Geschichte herauszufinden.

Sehr möglich, erwiderte Escheburg ruhig; um so mehr, als der Zusammenhang zwischen den beiden Geschichten nach meiner Ueberzeugung viel größer ist, als Du selbst anzunehmen scheinst. Ich bin nämlich überzeugt, daß Krell hinter der ganzen Prozedur steckt und Gönnich nur sein Prügeljunge ist.

Das ist unmöglich, sagte Adalbert fast heftig; Krell hat in der Kampagne mehr als einmal Beweise von Bravour bis zur Tollkühnheit gegeben – das weißt Du doch selbst.

Gewiß, sagte Escheburg; wer Krell der Feigheit zeihen wollte, der kennt ihn gewiß nicht. Er muß also andre Gründe haben, mit Dir nicht in offenen Konflikt zu geraten, denn daß er Dich haßt und, wo er es ohne Ostentation kann, Dir in jeder Weise zu schaden bereit ist, das ist eben für mich ausgemachte Sache.

Aber Deine Gründe?

Einen für viele. Du hast an Mister Douglas verloren – nebenbei eine schwere Summe?

Wie gehört das hierher? rief Adalbert grollend.

Vielleicht gar nicht, erwiderte Escheburg; ich wollte nur bemerken, daß Krell, der, wie Du weißt, selbst einer der verwegensten und glücklichsten Spieler ist, mit dem Engländer noch keine Karte angerührt hat. Dafür hat er Dich mit ihm bekannt gemacht.

Mister Douglas ist ein Gentleman; sagte Adalbert.

Ich weiß es nicht und bestreite es nicht, erwiderte Escheburg; ich behaupte nur, daß er Dir sehr überlegen ist.

Ein Gentleman! wiederholte Adalbert, ohne auf Escheburgs Einwurf hören zu wollen; und dafür habe ich Beweise; mindestens einen, den selbst Du gelten lassen wirst.

Ich lasse mich gern überzeugen. Was ist es?

Krell hat nicht bloß meine, sondern auch Wolfsbergs Bekanntschaft mit Mister Douglas vermittelt. Wolfsberg hat auch an ihn verloren. Nun, und gestern zieht mich Mister Douglas im Klub auf die Seite und sagt mir: so und so, und daß ihm die Sache sehr leid thue, da er gehört habe, daß der junge Mann kein Vermögen besitze; und wenn er eine Möglichkeit sähe, so würde er ihm das Geld, das übrigens, glaube ich, heute gezahlt werden muß, schenken.

Sehr edel, in der That; sagte Escheburg; noch edler wäre es vielleicht gewesen, den armen Jungen gar nicht in den Brunnen fallen zu lassen.

Wie Du redest! als ob Wolfsberg nicht alt genug wäre, um zu wissen, was er zu thun und zu lassen hat!

Oder vielleicht, sagte Escheburg, hat der schottische Herr auch nur so hinhören wollen, ob Wolfsberg etwa gute Freunde hat, an die er sich im Notfalle wenden kann.

Wenn man jemanden durchaus verurteilen will, erwiderte Adalbert, so findet man immer Gründe. Uebrigens würde es mir ein Vergnügen sein, Wolfsberg zu helfen. Er ist gestern, als ich alles andere eher von ihm erwartete, mit einer Liebenswürdigkeit und Bravheit für mich eingetreten, die mich ihm tief verpflichten.

Bon! sagte Escheburg. Und nun, da ich mich wohl hinreichend schön gemacht habe, will ich an meine Kommission gehen. Ich brauche Dir wohl nicht zu versichern, daß ich nicht gehen würde, wenn ich unten nicht abkommen könnte. Kora muß jeden Augenblick mit der Wärterin da sein; so lange bleibt Deine Frau bei der Kleinen; hernach legen sich die beiden Damen schlafen; Du solltest Dich auch hinlegen; Du siehst sehr schlecht aus; das Resultat meiner Kommission erfährst Du noch immer früh genug.

Wieso früh genug? fragte Adalbert mißmutig. Ich habe im Gegenteil den sehr dringenden Wunsch, daß die Sache in aller Schnelligkeit zum Austrag gebracht wird.

Ich ebenfalls; erwiderte Escheburg, Hut und Stock vom Tisch nehmend, und nun laß uns gehen! Was siehst Du mich so sonderbar an?

O, nichts, nichts! murmelte Adalbert.

Er begleitete Escheburg nach unten, wo er die Rückkehr desselben im Lesezimmer abwarten wollte. Escheburg machte sich auf den kurzen Weg nach dem Hotel de l'Europe, gegen die Gewohnheit schlendernd und die balsamische Morgenluft mit Behagen einatmend nach der durchwachten Nacht. Er fühlte sich aber gar nicht übernächtig und auch sonst seltsam froh und zufrieden. Die heroische Kur, die er trotz der höchst zarten Konstitution seiner kleinen Patientin zum sichtbaren Schrecken des badenser Kollegen im entscheidenden Augenblick angewendet, war herrlich gelungen. Es war einmal wieder einer jener Momente gewesen, die den Arzt für so manche trübe Enttäuschung, so manches bittere Selbstbekenntnis der Unzulänglichkeit des Wissens und Könnens entschädigen müssen. Und welche stille Freude hatte er zwischendurch an dem herrlichen Mädchen gehabt, das ihm so treu assistiert hatte! So treu und so, bei all ihrer inneren Sorge, äußerlich gefaßt, ruhig, klug – jeden Augenwink verstehend, jede Handreichung leistend, als hätte sie ihr Leben bei Schwerkranken verbracht! Welche Wonne, endlich einmal wieder einem in sich völlig klaren, starken und reinen Menschen zu begegnen! Endlich einmal? Und du, alter Narr, kennst sie von Kindesbeinen an, vielmehr: hättest sie kennen, das heißt: lieben sollen – was ja bei dieser im Grunde eines ist, und nun – ist es zu spät.

Er war an der Kolossalbüste des Kaisers vor der Trinkhalle stehen geblieben und schaute lange nachdenklich hinauf, als hätte er die ehrwürdigen Züge nie gesehen.

Zu spät? murmelte er, dummes Wort! Wenn du nun auch: zu spät gesagt hättest, als die Weltgeschichte dich rief, die Großthaten zu vollbringen, zu denen sie dich erkoren. Und warst doch schon ein Greis, und Verkennung und Undank hattest du genug erfahren! Du aber hast deine Königspflicht gethan, wie wir anderen kleinen Leute unsre Pflicht thun sollen, je nachdem sie eben ist und wann sie uns ruft, und sollen niemals sagen: ja, früher! als ich noch die frische Kraft hatte, aber jetzt –

Er machte dem kaiserlichen Herrn seinen militärischen Gruß, und ging strammen Schrittes auf das Hotel de l'Europe zu. Jetzt galt es, erst einmal die dumme Sache mit dem Jägerianer wieder ins Reine zu bringen, ohne daß Adalbert den Burschen Mores zu lehren brauchte. Er schien freilich sehr darauf erpicht zu sein – als ob er nichts Besseres zu thun hätte! Aber wenn die Menschen das Rechte thun sollen und es nicht wollen oder können, kommt ihnen jeder elendeste Vorwand gelegen, um sich einzureden, sie hätten zu dem andern nur just keine Zeit und seien im übrigen doch ganze Kerle.

Der Portier im Europe kannte Herrn Dr. Gönnich, der oft ins Hotel zur Frau Geheimrätin komme, sehr wohl; seine Adresse wisse er nicht. Der Herr Leutnant von Wolfsberg sei bereits ausgegangen gewesen, aber seit einer Viertelstunde zurück und jedenfalls auf seinem Zimmer: Nr. 36, zwei Treppen links.

Dorthin begab sich nun Escheburg, aber obgleich der Schlüssel draußen steckte, und der Bewohner drinnen mit sehr vernehmlichen Schritten auf und ab ging, hatte er bereits wiederholt geklopft, ohne daß ein Herein ertönte. Der Herr Leutnant mußte sehr in Gedanken oder in tiefem Negligee sein. Endlich wurde der Riegel von innen zurückgeschoben, und Udo stand da, zu Escheburgs Verwunderung wieder oder vielleicht noch in Uniform, wie am vergangenen Abend, bloß daß der Rock nur zum Teil und überdies in der Eile schief zugeknöpft war.

Ah! Sie sind es, Herr Professor! sagte Udo.

Er hatte es mit seinem verbindlichen Lächeln gesagt, indem er Escheburg zugleich die Hand bot und ihn in das Zimmer nötigte; aber diesem entging nicht, daß das Lächeln ein wenig gezwungen und die ihm gebotene Hand nervös unstät war. Genau so wie der Ausdruck des schönen Gesichtes, auf dem die Farbe kam und ging, während der junge Mann jetzt, um einen Fauteuil frei zu machen, ein paar Kleidungsstücke auf das Bett warf. Das Bett war zurechtgemacht, sicher vom vorigen Abend, denn in dem Zimmer hatte man entschieden heute morgen noch nicht aufgeräumt.

Es scheint, Sie haben jemand anderes erwartet, sagte Escheburg, Platz nehmend.

In der That, erwiderte Udo, der mittlerweile auch für sich einen Stuhl herangerückt hatte; aber ich freue mich sehr, daß Sie mir die Ehre erweisen – wirklich sehr.

Ich will Sie auch nicht lange aufhalten; sagte Escheburg; ich komme eigentlich nur, um von Ihnen die Wohnung des Herrn Dr. Gönnich zu erfahren, mit dem ich ein paar Worte zu sprechen habe.

Ja so! sagte Udo. Bei Gott, ich hatte die ganze Geschichte vergessen; mir ist seit der Zeit so viel anderes durch den Kopf gegangen – und dann das arme kleine Lisbethchen, das süße Kind. Gott sei Lob und Dank, daß es wieder gut geht! Ich habe heute morgen schon zweimal in Ihrem Hotel nachgefragt. Das erste Mal wußte der Portier noch nichts – es war auch noch ein bischen sehr früh; und dann vor einer Stunde – Gott sei Dank!

Das alles wurde in einer hastigen, zerstreuten Weise gesagt, durch die doch wieder, halb verloren, ein Ton echter Herzlichkeit klang, für den Escheburg in seiner versöhnlichen Stimmung von heute morgen ein besonders empfängliches Ohr hatte. Der arme Junge! Escheburg war ihm eigentlich nie gram gewesen, hatte auch seine verzweifelte Kourmacherei Hildes immer nur als ein Spiel betrachtet, das freilich recht unbequem war und leicht gefährlich werden konnte. Aber wäre des jungen Mannes Sündenregister noch viel länger gewesen – Escheburg würde heute einen Strich hindurch gemacht haben! es war doch jammerschade um eine so schöne frische Kraft, die sich in Leichtsinn zersplitterte und erschöpfte, vielleicht vernichtete. Aber hier zu helfen, war sehr schwer für ihn, dessen Verkehr mit dem jungen Mann sich bisher auf den Austausch der allergewöhnlichsten gesellschaftlichen Höflichkeit beschränkt hatte. Vielleicht daß sich ihm im Laufe der Unterhaltung, die er deshalb irgendwie fortzusetzen beschloß, irgend eine Handhabe bot. Vorläufig war ihm Udo noch immer die Antwort auf die Frage nach Gönnichs Wohnung schuldig. Er wollte sich dieselbe bis auf weiteres reservieren.

So dankte er dem jungen Manne für seine Teilnahme, die er Ossecks zu übermitteln nicht verfehlen werde; berichtete mit einer Ausführlichkeit, über die er selbst innerlich lächeln mußte, von der Krankheit des Kindes; kam dann auf den gestrigen Leseabend – lucus a non lucendo Redewendung, die abwegige Etymologien, etwa Volksetymologien, karikiert. In ihr wird unterstellt, das Wort für Hain ( lucus) sei mit dem ähnlich lautenden Wort für Leuchten (lucere) verwandt, auch wenn die Verbindung nur mühsam hergestellt werden kann (wörtlich: »Das Wort für Hain kommt vom nicht Leuchten«). Sie wird aber auch in der allgemeineren Bedeutung einer unlogischen Erklärung o.ä. verwendet. – zu sprechen; rekapitulierte die mancherlei tragi-komischen Episoden, und verweilte mit besonderem Behagen bei der Schalkhaftigkeit, mit der Udo den famosen Dialog samt allem Ausgestrichenen vorgetragen. Ob denn der herrliche Vergleich der römischen Republik mit dem zermürbten Schweizerkäse wirklich im Text gestanden habe?

Während er so sprach und dabei immer, ohne daß es auffallen konnte, das zerstreut lächelnde Gesicht des jungen Mannes im Auge hatte, bemerkte er, daß der unsichere Blick desselben mit einer gewissen Regelmäßigkeit nach irgend einem Punkte wanderte, welcher links von ihm selbst und etwas weiter zurück in der Höhe eines dort befindlichen Tisches liegen mußte. Er machte eine scheinbar absichtslose Wendung nach derselben Richtung und erschrak. Auf dem runden Tisch war von dem Frühstück, dessen Geschirr nebst manchen anderen Dingen den größeren Teil der Platte einnahm, die Serviette über einen flachen, länglichen Kasten geschleudert worden, aber nicht so geschickt und sorgfältig, daß nicht ein Kolben der darin liegenden Pistolen sichtbar geblieben wäre. Stand es so? hatte die verriegelte Thür, das Zögern beim Oeffnen, der eilig wieder zugeknöpfte Uniformrock diese Bedeutung? war er zur rechten Zeit gekommen? hätte keine Viertelstunde, keine Minute vielleicht später kommen dürfen?

Aber ich plaudre und plaudre, sagte er, während sein Blick von dem ominösen Gegenstand zu Udo zurückglitt, und dabei weiß ich noch immer nicht, wo Herr Dr. Gönnich wohnt.

Ich auch nicht, sagte Udo.

Ist das möglich?

Doch! Ich persönlich habe keinen Verkehr mit Gönnich, der mir nebenbei gründlich widerwärtig ist.

Sie verlieren durch dies Bekenntnis in meiner Achtung nicht; erwiderte Escheburg. Aber freilich muß ich mich nun schon weiter nach dem liebenswürdigen Introuvable umthun.

Er hatte sich, als ob er gehen wollte, erhoben, war an den Tisch getreten und hatte dabei, wie im Vorübergehen, die Serviette noch ein wenig weiter von dem Kasten gestreift.

Sieh da, ein paar schöne Pistolen! sagte er, die Hand nach der einen ausstreckend.

Bitte, lassen Sie sie liegen; sagte Udo schnell; sie sind scharf geladen.

Schade, sagte Escheburg, so werden sie doch eventuell erst umgeladen werden müssen, vorausgesetzt, daß Sie die Liebenswürdigkeit hätten, mir dieselben auf alle Fälle zur Disposition zu stellen. Ich habe keine Pistolen, Osseck eben so wenig; ich bezweifle, ob der Doktor welche hat, oder sein mir vorläufig unbekannter Sekundant.

Aber mein Gott, rief Udo; der Baron denkt doch nicht im Ernste daran, sich mit dem Burschen zu schlagen – um solcher Lappalie willen – eine alberne Phrase, bei der sich der Mensch vermutlich gar nichts gedacht hat! Und Sie, Herr Professor, können das zugeben?

Escheburg zuckte die Achseln. Sie wissen, Herr von Wolfsberg, sagte er; man hat in solcher Lage nur ein Amt, und muß mit seiner Meinung bis auf weiteres zurückhalten. Auf jeden Fall bitte ich, mir die Pistolen anvertrauen zu wollen.

Und Escheburg klappte, als sei er im voraus Udos Einwilligung sicher, den Kasten zu.

Ich bin in großer Verlegenheit, sagte Udo stockend. Ich würde Ihnen mit Vergnügen – eine so kleine Gefälligkeit – aber ich kann die Pistolen gerade heute morgen – vormittag, wollte ich sagen – eine Verabredung mit – Major von Liebe – ja, und mit Herrn von Binz – nach der Scheibe, wissen Sie – eine feste Verabredung –

Der Schweiß war ihm auf die gerötete Stirn getreten.

Das ist etwas anderes; sagte Escheburg, und bei sich sprach er: ich muß jetzt damit heraus, komme danach, was will.

Schade, hub er wieder an; es wird möglicherweise einen langen Aufenthalt geben, und Osseck ist so dringend. Apropos, Osseck! Ich habe eigentlich eine Art Kommission von ihm an Sie, die er mir vorhin gegeben hat, als er hörte, daß ich zu Ihnen wollte. Sie sind, wenn ich ihn recht verstanden habe, Unglücksgefährten?

Wieso? fragte Udo mit einem keineswegs freundlichen Blick unter den in die Höhe gezogenen Brauen.

Im Spiel, fuhr Escheburg fort, und Sie erinnern sich aus Ihrem Vergil; solamen miseris Solamen miseris socios habuisse doloris. Das Zitat wird Vergil zugeschrieben, ist jedoch in dieser Form nur in Christopher Marlowes »Faust« zu finden. und so weiter. Osseck hat, ich weiß nicht wie und durch wen erfahren, daß Sie an den identischen Gegner eine recht bedeutende Summe verloren haben, bedeutender, als Ihnen abzustoßen für den Augenblick bequem sein möchte. Offenbar sieht er in Ihnen einen Partner, so zu sagen, für den gegen den Ausländer eventuell einzustehen er für kameradschaftliche Pflicht hält. Es würde mir ein großes Vergnügen gewähren – sind seine ipsissima verba – wenn ich Wolfsberg in dieser Sache gefällig sein und mich dankbar erweisen könnte für die chevalereske Art, mit der er gestern für mich eingetreten ist.

Escheburg hatte, während er das in möglichst leichtem Ton vorbrachte, doch nach einer anderen Seite geblickt; jetzt, als er die Augen wieder auf Udo wandte, hätte er beinahe selbst die Fassung verloren vor der Fassungslosigkeit, die in dem Gesicht des Mannes aus jeder Miene sprach. Seine großen Augen blickten starr und feucht, um den hübschen Mund zuckte es, als ob er im nächsten Moment in Weinen ausbrechen würde, während die Farbe auf seinen Wangen in erschreckender Weise schnell wechselte. Aber dann war es nur Zorn über sich selbst, der noch auf seiner Stirn lag, während der Mund bereits wieder lächeln konnte. Er griff nach Escheburgs Hand und sagte mit zitternder Stimme, durch welche doch ein fester Entschluß hindurch klang:

Ich kann das nicht annehmen, – von dem Baron nicht; es ist unmöglich.

Ich dachte mir das, sagte Escheburg, die Hand festhaltend; ich glaubte aber, mich meines Mandats entledigen zu müssen. Mein eigentlicher Wunsch und meine Bitte ist, daß Sie mir eine Gunst gewähren, die Sie Osseck versagen zu müssen glauben.

Ich kann auch das nicht; sagte Udo mit niedergeschlagenen Augen, aber jetzt mit völlig fester Stimme.

Escheburg ließ seine Hand fahren.

Wie, rief er; Sie können nicht? weil ein falsches Ehrgefühl oder Stolz, oder wie Sie das Ding nennen, Nein sagt? Können eine kleine Gefälligkeit nicht annehmen, die Ihnen ein oder zwei ehrliche Kerle aus gutem Herzen und ohne Beimischung auch nur einer Regung, die Sie beleidigen dürfte, anbieten! und wollen lieber ein junges blühendes hoffnungsreiches Leben, das Sie dem Vaterlande, das Sie Ihrem Kaiser und Kriegsherrn schuldig sind, in die Schanze schlagen? Denken Sie, ich bin blind, und hätte nicht gesehen, wie Ihr Blick fortwährend auf die Pistolen hier gebannt war? und wüßte nicht, warum Sie mir die Dinger nicht lassen wollen? Ich aber sage Ihnen: jetzt müssen Sie's; jetzt –

Escheburg brach jäh ab. Die Thür war auf ein schnelles Klopfen sofort geöffnet; ein Kellner meldete, daß die gnädige Frau Geheimrätin den Herrn Leutnant bitten lasse, zu ihr zu kommen; aber es müsse sofort sein. Udo blickte Escheburg an.

Bitte, gehen Sie; sagte dieser; ich habe die Vermutung, daß es mit der anderen Sache in Zusammenhang steht.

Ich komme gleich; rief Udo dem wartenden Kellner zu und dann, sich zu Escheburg wendend: aber Sie bleiben, bis ich wieder komme, nicht wahr? Ich muß Ihnen notwendig –

Gehen Sie, gehen Sie! sagte Escheburg.

Sofort! sagte Udo.

Er war vor den Spiegel getreten, sich die Halsbinde umzuschnallen, den schief geknöpften Uniformrock richtig zu knöpfen und sich mit ein paar der auf dem Konsoltisch liegenden Bürsten die um den Kopf herumstarrenden glänzend braunen kurz geschorenen Locken in die regelrechte Lage zu bringen. Nun wandte er sich wieder zu Escheburg:

Sie wird sich wundern, mich in Uniform zu sehen; sagte er; aber, offen gestanden, ich bin heute nacht –

Gehen Sie! gehen Sie! sagte Escheburg.

Udo hatte das Zimmer verlassen; Escheburg schloß den Pistolenkasten zu und steckte den Schlüssel in die Tasche.

Auf alle Fälle; murmelte er.

Er hatte das Fenster geöffnet und schaute zufriedenen Sinnes über den Vorgarten des Hotels und die in ihrem Kanal munter thalwärts rinnende Oos in die immergrünen Anlagen vor der Trinkhalle, aus denen die bronzene Kaiserbüste im Schein der Morgensonne freundlich herüber glänzte.

Das nun war noch nicht »zu spät«; murmelte er weiter; den jungen Menschen habe ich mit dem Schlüssel in der Tasche. Er kommt mir nicht wieder heraus. Was nur die rothaarige Circe wieder zurechtbraut? Irgend einen höllischen Trank natürlich, mit dem sie den gutherzigen Bruder in ein greuliches Pardeltier Panther, Leopard. verwandeln will, das sich wutheulend auf Osseck stürzt an Stelle ihres Galans, dessen süßes Leben natürlich geschont werden muß. Das Hexenverbrennen hatte doch auch sein Gutes; nur daß irrtümlicherweise die alten Weiber bevorzugt wurden.

Escheburg hatte Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Er war bereits längst vom Fenster zurückgetreten und schritt ungeduldig in dem Zimmer auf und ab, als er endlich einen raschen Tritt auf dem Korridor hörte. Die Thür flog auf, und Udo trat herein, nicht mehr der bleiche Udo von vorhin – der alte Udo mit blitzenden Augen, mit Wangen, in denen ein neues Blut zu pulsieren schien, und einem Lächeln auf den Lippen, das nicht zu einem offenen Lachen werden zu lassen er sich offenbar Zwang anthun mußte. Er zog ein Paket Geldscheine aus der Tasche und warf es auf den Tisch neben den Pistolenkasten.

Damit Sie sich selbst überzeugen können! rief er. Ich habe heute morgen zwei – dreihundert Prozent geboten – der verdammte Manichäer Spöttische Bezeichnung dringend mahnender Gläubiger. wollte nicht darauf eingehen – ich hatte gerade, als Sie kamen, die Hoffnung aufgegeben, daß er nachträglich anderen Sinnes werden und mir das Geld bringen würde. Jetzt habe ich's ohne Zinsen. Aber deshalb danke ich Ihnen nicht weniger, Ihnen und Osseck!

Er hatte Escheburgs Hände ergriffen, die er kräftig schüttelte.

Ich gratuliere; sagte Escheburg; darf man wissen, welche Veranlassung dieser Glückswechsel hat?

Ich weiß es eigentlich selbst nicht; sagte Udo; gestern hatte sie es mir rund abgeschlagen, und nach meinem Betragen gestern abend konnte ich wahrhaftig nicht denken, daß sie heute mildere Saiten aufziehen würde; und eben hat sie mir das Geld positiv aufgedrängt – mehr, als ich brauche. Sie ist eigens deshalb ausgegangen, sagt sie, und hat es sich von ihrem Bankier für mich geben lassen. Das heißt, sie hat jedenfalls auch Gönnich sprechen wollen und gesprochen. Gönnich fährt mit dem Zehnuhrzuge; er soll unbedingt nach Straßburg zurück. Es muß einen fürchterlichen Bruch gegeben haben: meine Schwester will ihn nie wieder sehen. Gott sei Dank! Mein Schwager, der heute nachmittag kommt, wird ihn freilich sehr vermissen: der Doktor ist sein Liebling; nun, Poly wird sich schon herausreden. Und Ihre Sache, Herr Professor, ist auch zu Ende. Sie können ruhig nach Hause gehen. Osseck wird einen Schreibebrief von Gönnich erhalten – oder hat ihn in diesem Augenblicke schon, in welchem unser grauer Freund sich mit seiner Aufregung entschuldigt, in die ihn der Aerger über den für ihn und Poly verfehlten Abend unberechtigterweise versetzt habe, und wegen seiner in diesem Aerger gethanen Aeußerungen den Baron um Verzeihung bittet. Nun, mehr kann schließlich auch Osseck nicht verlangen.

Das ist ja alles sehr vortrefflich; sagte Escheburg; fast zu viel des Guten auf einmal. Indessen, da das Glück einmal kommen will – herein damit!

Natürlich: herein damit! rief Udo; ganz meine Ansicht; das Glück ist eine hübsche Dirne. Festhalten heißt da die Parole.

Und die Losung: Vorgesehen! sagte Escheburg, Hut und Stock ergreifend. Ich denke, Sie haben zum ersten- und letztenmal mit dem Schotten gespielt. Ich möchte, Sie gäben mir Ihr Wort darauf.

Da! sagte Udo nach kurzem Besinnen, in Escheburgs ausgestreckte Hand schlagend. Und nun noch Eines, Herr Professor!

Was ist es?

Meine Schwester hat mir eben gesagt, daß sie sich doch wegen gestern abend zu gekränkt fühle, um in Zukunft so harmlos wie sonst mit Ossecks zu verkehren. Ich möchte Gift darauf nehmen, daß es nur ein vorgeschützter Grund ist, aber gleichviel! ich glaube auch, es ist besser, wenn Poly Ossecks künftig in Ruhe läßt. Krell soll natürlich die Schwenkung mitmachen, und ich habe so das Gefühl, er wird sich nicht lange bitten lassen. Ich thu's auf keinen Fall – Notabene, wenn man mich in Ihrem Lager noch wird haben wollen. Und, da, lieber, bester Herr Professor, legen Sie ein freundliches Wort für mich ein! Wollen Sie?

Herzlich gern, sagte Escheburg bereits in der Thür; aber es wird nicht nötig sein. Und, ehe ich's vergesse, hier ist auch der kleine Schlüssel wieder, den ich vorhin aus Versehen in die Tasche gesteckt habe.

Die Thür hatte sich eben hinter ihm geschlossen, als drinnen eine helle Baritonstimme: »Ein Schütz bin ich in des Regenten Sold« Aus Conradin Kreutzers Oper »Das Nachtlager in Granada« (1818, Libretto von Karl Johann Braun Ritter von Braunthal). intonierte.

Escheburg machte sich lächelnd auf den Heimweg: das war ein vergnüglicher fruchtbarer Morgen: das Kind gerettet, – den jungen Menschen vor einer allerletzten Dummheit bewahrt, – Ossecks von dem verderblichen Umgang befreit! – Wie wird Kora sich freuen, wenn ich ihr das erzählen kann! Und wie doch das Glück, ohne daß wir eigentlich etwas dazu thun, unsern frommen Plan begünstigt!



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