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Zwanzigstes Kapitel.

Hilde war, als sie Escheburg im Salon allein ließ, in ihr Schlafzimmer gewankt, und saß nun da, nah am Fenster, zum Regenhimmel emporstarrend, an welchem es heute keine Helligkeit gab, sowenig wie in ihrer Seele. Nein, Adalbert konnte ihr nicht mehr verzeihen, nachdem sie nun auch noch das Aeußerste gethan: Escheburg ihre Liebe angetragen hatte und von ihm zurückgewiesen war! Und hätte sie Escheburg noch geliebt, oder Udo, oder irgend einen andern: der andre hätte doch eine Art von Recht an ihr gehabt, und sie an ihm! Aber so, ohne die Entschuldigung einer herzhaften Leidenschaft! – O, Scham und Schande, aus der es keine Rettung gab als den Tod!

Und wollte er ihr auch dies verzeihen, was sie in ihrer sinnlosen Verzweiflung gethan – sie, sie selbst könnte es nicht; könnte nicht so weiter leben vor seinen Augen, dem sie ja als ein Scheusal von Undank erscheinen mußte nach allen den ungeheuren Opfern, die er für sie, für den Vater, die Mama, Kora gebracht diese langen Jahre hindurch. Großer Gott: sie hatte nichts davon gewußt, und als die Pult es ihr erzählt, hatte sie es dem schlechten Weibe nicht geglaubt! Aber das Schlimme hatte sie ihm doch geglaubt; nur das Gute nicht! Von ihm, der so gut war, von dem kein Notleidender ungetröstet ging! O, warum hatte er es ihr nicht selbst gesagt – damals! in der Ueberfülle ihres ersten Glückes! Da hätte sie auch das nehmen dürfen zu allem anderen. Vielleicht hätte sie es kaum als etwas Besonderes empfunden, oder ihn eben nur noch heißer geliebt, wenn das möglich war. – Jetzt nach all den bitteren Kränkungen, die er von ihr erduldet, war es Demütigung und nur Demütigung für sie – eine gerechte vielleicht – gewiß, aber eine unerträgliche. Lieber sterben!

Und nun würde er nicht einmal mehr Kora heiraten können, wie sie sich das oft gedacht in diesen letzten Tagen, wenn sie tot und eine Zeit vergangen wäre, und das Kind wieder eine Mutter haben müßte, und Adalbert sich wieder beruhigt hätte. Denn nah würde es ihm doch gehen, daß die kleine dumme Hilde so gar nicht glücklich hatte werden wollen und nun zuletzt den Trotz so weit getrieben. Kora würde ihn gewiß glücklich gemacht haben. – Nun war auch das unmöglich. Und er würde so weiter leben müssen; vielleicht eine zweite Unwürdige heiraten – eine Poly – er war ja in seiner Gutherzigkeit und Ritterlichkeit die leichte Beute jeder Kokette, die ihm weismachte, daß sie ohne ihn nicht leben könne. Und dann kam das weitere Unglück seines Lebens auch noch auf ihre Rechnung, die schon so schwer belastet war. Gab es denn kein Entrinnen aus dieser Not, die gleich groß blieb, ob sie nun das schmachvolle Leben weiter lebte, oder mit sich ein Ende machte!

Ach, einen Menschen wenigstens, dem sie ihre Not klagen könnte nicht um Hilfe, aber doch um ein Trosteswort, und wäre es auch nur: ja du hast recht, du kannst so nicht weiter leben; was daraus und darauf folgt, es geht dich nichts an! Da drüben saß die Mama. Sie durfte nichts wissen; sie, die ihr auch jetzt wieder recht geben würde, wie immer, in ihrem blinden Haß gegen Adalbert. Es war ja nur eine gerechte Buße, wenn sie erfuhr, was sie dem Verhaßten verdankte; aber auch das mochte danach geschehen. Kora? ihr jetzt bekennen, daß sie hundertfach recht gehabt mit den stummen Vorwürfen ihrer ernsten traurigen Augen? der lauten leidenschaftlichen Mahnung, mit der sie erst vor wenigen Tagen ihr ins Gewissen zu reden versucht, sie angefleht hatte, in sich zu gehen, sich zu bessern, bevor es zu spät sei? Ach, die Demütigung, die darin lag, war es nicht; die würde ihr leicht genug gemacht werden von der Edlen, Liebevollen. Aber von der Todesbuße, die sie sich auferlegen wollte und mußte, durfte sie der Guten nicht sprechen. Nein, auch Kora konnte sie sich nicht entdecken.

Der Lady Douglas!

Wie ein Sonnenblick aus dunklen Wolken traf es in ihre verdüsterte Seele.

Ja, das war die rechte! Sie, die Makellose, Stolze, Schweigsame, immer sich Gleiche, immer Gefaßte – sie würde sie verstehen. Nicht in dem, was sie an Glück besessen und verscherzt hatte. Das nicht. Das verstand die keusche ruhevolle Seele nicht. Aber daß sie ein Leben, wie dies, ein würdeloses Leben unter dem Drucke ihrer Schuld nicht länger tragen wolle – das würde sie verstehen. Zu dem Entschluß würde sie mit dem schönen stolzen Kopfe nicken, ihr zum Abschied die kühle schlanke Hand reichen mit festem ermutigenden Druck. Mister Douglas war heute morgen verreist; Ellinor war allein – es konnte sich nicht glücklicher treffen.

Sie hatte sich erhoben – nicht ohne Mühe. Sie fühlte sich wie zerschlagen; und als sie jetzt vor dem Spiegel stand, starrten sie seltsame große Augen aus einem blassen Gesichte an, das um Jahre älter und häßlicher schien. Was hatte das jetzt noch zu bedeuten? die vielgepriesene Schönheit, in die sie selbst so verliebt gewesen war, hatte sich als ein schlechtes Geschenk erwiesen. Wäre sie häßlicher auf die Welt gekommen, sie stünde wohl jetzt nicht hier mit dieser Armesündermiene. Nein, die darfst du ihr nicht zeigen. Begreifen soll sie dich, nicht verachten.

Sie hauchte auf ihr Taschentuch und drückte es gegen die heißen Augen und auf ein paar rote Flecke in dem bleichen Gesicht, strich noch einmal über das Haar, hüllte sich in ein Tuch und ging über den Korridor nach dem benachbarten Zimmer Ellinors.

Sie klopfte mehrmals, ohne Antwort zu erhalten. Es war das schon wiederholt vorgekommen, wenn die Lady sich in dem Schlafzimmer befunden hatte, von welchem keine Thür auf den Korridor führte. Sie trat in den Salon. Ellinor war nicht darin; Hilde, nun sicher, Ellinor in dem Schlafzimmer zu finden, klopfte dort, indem sie zugleich ihren Namen nannte. Aber auch jetzt blieb das erwartete: come in! aus. Zu lange für ihre Erregung. Sie drückte die Thür auf und blieb auf der Schwelle stehen, entsetzt über den Anblick, der sich ihr bot.

In dem nicht großen, fast dunklen Gemach, durch welches eine Menge Gegenstände in wüster Unordnung zerstreut waren, saß Ellinor auf dem Rand eines der Betten, tiefgesenkten Hauptes. Das blaue Morgengewand, das sie zu tragen pflegte, war von dem entblößten Busen gestreift, über den die langen blonden Haare in wirren Strähnen flossen; in dem Schoß hielt sie ein Dolchmesser, auf welches ihr starrer Blick geheftet war. In ihrem Schrecken hatte Hilde das alles für eine wüste Ausgeburt ihres verstörten Geistes halten wollen; aber das Grauenbild blieb deutlich und wurde immer deutlicher in dem trüben Schein, der durch den herabgelassenen Fenstervorhang gerade auf die Unglückselige fiel. Mit einem Sprunge stand Hilde vor ihr und hatte ihr das Messer entrissen, das sie weit von sich schleuderte. Einen dumpfen Schrei ausstoßend, richtete sich jene aus ihrer gebückten Stellung auf und starrte, langsam das Haar mit steifen Fingern aus dem Gesichte streichend, mit verglasten Augen auf sie, die sie nicht zu erkennen schien.

Ich bin es; sagte Hilde, indem sie zugleich Ellinor das Gewand über dem Busen schloß und, die Sinnlose umfassend, sie vollends aufzurichten suchte.

Ellinor hatte es apathisch geschehen lassen; plötzlich ging ein heftiges Zucken durch ihren ganzen Körper; mit zitternden Händen drängte sie Hilde von sich.

Rühren Sie mich nicht an! murmelte sie, während ihr Blick auf dem Fußboden nach dem Messer irrte.

Arme, teuerste Lady; sagte Hilde, sie von neuem umschlingend, die sich abermals von ihr losmachen wollte.

Rühren Sie mich nicht an! nennen Sie mich nicht Lady! Sie sind eine Lady, Ihre Schwester – ich nicht, ich nicht. Ich bin eine Dirne. Er hat es mir oft genug gesagt – noch heute morgen – als er mich schlug – da!

Sie hatte wieder das Gewand aufgerissen. Ueber dem rechten Busen auf der weißen Schulter war ein großer roter Fleck. Sie lächelte wirr und sagte: Es sollte ins Gesicht treffen; er hatte es nur so eilig.

Diesmal zog sie selbst das Gewand wieder zusammen, indem sie auf das Bett zurücksank und, die Hände vor das Gesicht drückend, in krampfhaftes Schluchzen ausbrach.

Es war doch besser als der starre Jammer. Hilde hatte sich zu ihr auf den Bettrand gesetzt, ohne zu sprechen, da sie in ihrer Verwirrung nicht wußte, was sie sagen sollte. Dafür zog sie den Kopf der Unglücklichen an ihren Busen. Das krampfhafte Schluchzen löste sich nun in Thränen.

Sie sind so gut – ich bin es nicht wert – es ist ja auch nur für einmal – dies letzte Mal –

Kommen Sie! sagte Hilde.

Ich kann nicht –

Sie müssen! Ich will es.

Sie hatte die Weinende, sich Sträubende mit einer Kraft aufgerichtet, über welche sie selbst erstaunte, und führte sie jetzt in den Salon nebenan, wo sie sie in die Sofaecke drängte; eilte dann nach der Thür zum Korridor, die sie verriegelte, und kam zu ihr zurück, sich zu ihr setzend und eine ihrer Hände ergreifend.

Wir sind hier ganz sicher. Und nun sagen Sie mir alles! Ich will es.

Sie hatte vorhin bemerkt, welchen Eindruck das gebieterische Wort auf die Aermste gemacht hatte; so wiederholte sie es klüglich. Auch diesmal war es nicht vergebens gesagt: Ellinor wagte nicht, ihre Hand zurückzuziehen, wie sie es zuerst gewollt hatte. Auf dem Tische vor ihnen stand unberührt das Frühstück, das man erst unlängst gebracht haben konnte: die Kanne war noch heiß. Hilde bereitete eine Tasse, und nötigte sie der Bleichen, Zitternden auf; sie brauchte nicht einmal das Zauberwort zu wiederholen.

Wirklich schien eine Art von Fassung, wenn auch nicht Ruhe, über die Unglückliche gekommen.

Ich will alles wissen, hören Sie, Ellinor? begann Hilde von neuem. Oder darf ich Sie auch nicht so nennen?

Ellinor nickte: doch! das ist mein Name.

Und ein schöner Name; sagte Hilde ermutigend.

Und indem nun ihr Blick auf der Aermsten ruhte, die ihr in dem verwirrten Morgenanzuge mit dem thränenvollen, von Schmerz und Scham durchwühlten Gesicht schöner erschien als je; und sie sich ahnungsvoll voraussagen mußte, daß eben diese Schönheit das Verderben der Unglücklichen geworden war; und sie ihres eigenen Leides dachte, welches sie hierher getrieben, um dies zu finden – da schwand der letzte Rest falschen Stolzes gegenüber der Verlorenen. Einzig und allein empfand sie die Schwesterschaft des Unglücks und, selbst in Thränen ausbrechend, warf sie sich an die Brust der Leidensgefährtin und drückte ihren Mund auf die bleichen Lippen.

Jetzt kann ich sprechen; sagte Ellinor, sie aus den Armen lassend.

Aber nicht so schnell, damit ich alles verstehe; sagte Hilde, trotz ihres Jammers lächelnd.

Nein, nicht schnell, sagte jene. Ich werde Mühe genug haben, es zusammen zu bringen. Ich heiße also wirklich Ellinor; mein anderer Name ist Morton. Meine Mutter habe ich nicht mehr gekannt; ich war die jüngste von drei Geschwistern, alle Mädchen. Mein Vater war Offizier in der Marine gewesen und lebte mit uns in Liverpool auf Halbsold. Ich habe ihn kaum jemals nüchtern gesehen. Wir Kinder wuchsen auf ohne Pflege, ohne Leitung, als die schlumpiger Aufwärterinnen, die alle paar Wochen wechselten. Nicht selten war auch keine da. Wir waren alle schön und wußten es früh. Die Freunde des Vaters, alte und junge, die aus und ein gingen, sagten es uns oft genug. Meine Schwestern blieben nicht gut; die eine ist mit einem Schiffskapitän nach Amerika gegangen; ich habe nie wieder von ihr gehört. Die andere starb – für sie zum Glück. Ich war auch nicht gut, aber ich war stolz. Ich dünkte mich zu vornehm für Schiffskapitäne und solche Leute; ich wollte etwas Großes werden, eine Lady. Darum lernte ich auch so mancherlei für mich, oder von ein paar Lehrern, die sich meiner gelegentlich annahmen: französisch, italienisch. Ich war erst vierzehn Jahre, als er zum erstenmal in unser Haus kam, damals selbst kaum zwanzig, Midshipman In der britischen Royal Navy Offiziere in Ausbildung als zukünftiger Marineoffizier. auf einem Kriegsschiff, das in Liverpool Station hatte. Er verliebte sich auf den ersten Blick in mich; an ihm lag es nicht, wenn ich nicht schon damals sein Opfer wurde. Es ist schrecklich, daß ich so etwas sagen muß; aber Sie wollen ja alles wissen; es kommt noch viel Schrecklicheres. Er war sehr schön, für meine Augen wenigstens, und schwur mir seine Liebe mit vielen teuren Eiden. Ich glaubte ihm auch, denn ich liebte ihn; aber er hätte mich doch nicht heiraten und zur Lady machen können. Auch später nicht: zu einer wirklichen; wenigstens war dazu geringe Aussicht. Er war der dritte Sohn des Lord Glenmore und heißt wirklich Douglas, wie alle die jüngeren Söhne; der zweite war Geistlicher geworden. Aber er konnte es weit im Dienst bringen; er hatte sehr hohe Verbindungen und war so begabt. Er mußte einmal Admiral werden – das sagten alle. So lange wollte ich nicht warten – natürlich. Wenn er Leutnant geworden war, wollte ich ihn heiraten. Da – noch während er in Liverpool war – es ist gräßlich: er nahm einem anderen Midshipman hundert Pfund aus der Börse. Er hatte sie ihm wiedergeben wollen, aber er verlor, anstatt zu gewinnen. Es kam heraus; er mußte aus dem Dienst, er hatte es nur dem Lordssohn zu verdanken, daß ihm nichts Schlimmeres geschah. Ich war außer mir. Er tröstete mich. Seine beiden Brüder waren kränklich; er werde doch noch einmal Lord Glenmore werden. Das ist von jeher sein fester Glaube gewesen. Jetzt wollte er nach Indien und viel Geld machen, daß wir uns heiraten könnten; vorher auf kurze Zeit nach Manchester in ein Bankgeschäft: es war das von dem Mister Swalwell hier im Hause. Der alte Herr hat ihn auch wieder erkannt, obgleich Robert zuerst leugnen wollte und sagte, er sei ein anderer Douglas – es gibt viele des Namens. Aber die zehn Jahre waren um! Mister Swalwell weiß ja nicht, wie er es seitdem getrieben. Er hält ihn nun für einen ehrenhaften Mann, und hat gesagt, daß er schon um meinetwillen schweigen würde. Er glaubt, wir sind verheiratet. So hat er, wenn auch nicht gern, seinen Enkelinnen, die freilich von nichts wissen, erlaubt, mit mir zu verkehren. Er ist ein so guter alter Mann.

Nun kann ich Ihnen aber nicht mehr folgen; sagte Hilde; was ist das mit den zehn Jahren?

Verzeihen Sie; sagte Ellinor; ich will versuchen, daß Sie die traurige Geschichte verstehen. Ich kann ihn nicht schonen; ich bin Ihnen die Wahrheit schuldig. Er hat Mister Swalwell bestohlen um eine große Summe, bestehlen wollen. Das heißt, es ist herausgekommen, bevor er fliehen konnte. Es hat auch niemand gewußt, als der alte Herr selbst und sein Sohn, der Vater der Mädchen, der den Diebstahl entdeckt hatte. Er ist nun tot, wissen Sie. Der alte Herr hat ihn nicht für sein Leben unglücklich machen wollen. Er hat ihm Geld gegeben und gesagt, er solle zehn Jahre aus England gehen und dann als ein ehrlicher Mann wieder kommen; und wenn er auch inzwischen Lord Glenmore würde, auch dann dürfe er nicht zurückkehren, sondern müsse volle zehn Jahr draußen bleiben.

Das alles habe ich damals nicht gewußt; er hat es mir viel später gesagt, zum Teil erst jetzt. Damals ging er für mich fort, um ein Vermögen zu machen und mich dann zu heiraten, wie er es versprochen. Anfangs schrieb er auch ziemlich regelmäßig – von Paris, von Toulon, dann aus Kairo, dann längere Zeit aus Indien; dann wurden die Briefe seltener; endlich hörten sie ganz auf. Ich glaubte manchmal wohl, er sei tot; aber doch nie so recht ernstlich. Daß er aufgehört habe, mich zu lieben, daran dachte ich nie. Ich hätte oft heiraten können, reiche Kaufleute; aber ich wollte eine Lady werden. Mein Vater war immer wütend auf mich; er hat mich geschlagen und mit Füßen getreten; endlich ist er im Delirium gestorben. Das war vor zwei Jahren; ich war schon zweiundzwanzig. Ich hatte niemand auf der Welt, nur eine Tante, eine Schwester meines Vaters. Ich kannte sie nicht; sie war in Paris verheiratet, aber seit längerer Zeit Witwe. Sie sollte in guten Verhältnissen leben, ja, ein großes Haus machen. Sie hatte mich schon ein paarmal dringend zu sich eingeladen. Sie that es jetzt auch wieder. Ich ging zu ihr. Was konnte ich Besseres thun, dachte ich. Ich hätte nichts Schlechteres thun können. Was ich bisher ertragen mußte – das war nichts gewesen; jetzt fing erst das wahre Unglück an.

Tiefer senkte die schöne Frau das Haupt, und ihre Stimme, die zuletzt doch einige Sicherheit gewonnen hatte, sank wieder fast zum Flüstern herab.

Meine Tante hielt ein Spielhaus; sie hatte immer ein oder ein paar schöne Mädchen bei sich, die sie ihre Nichten nannte. Jetzt hatte sie eine wirkliche Nichte, die von ihren Gästen für schöner erklärt wurde, als ihre Vorgängerinnen. Sie überschüttete mich mit Freundschaftsversicherungen und behing mich mit Ketten und Geschmeiden. Ein paar Wochen machte mir dies Leben Spaß. Es war nicht, wie ich gewollt hatte und wollte; aber die seidenen Möbel und dicken Teppiche, die Ausfahrten in schönen Equipagen, die feinen Herren, die alle so artig thaten – es war doch nicht die grausige Spelunke von Liverpool mit den Zechgenossen meines Vaters; es war doch ein Abglanz meiner Träume. Das dauerte nicht lange. Meine Tante glaubte mich sicher zu haben. Dieselben Zudringlichkeiten, die ich drüben von mir hatte abwehren müssen, nur in anderer Form. Ein grenzenloser Ekel überkam mich. Ich wollte zurück, aber ich hatte keinen Schilling; und meine Tante bewachte mich, wo ich war. Ich wollte ihr entlaufen und in den Fluß springen; aber ich hatte ihm geschworen, daß ich leben wollte, bis er kam. Und plötzlich war er da. Er sagte, er habe mich gesucht. Das ist nicht wahr. Er war schon monatelang in Paris gewesen und hatte mich wiederholt gesehen – in den Theatern und so; aber das wußte ich nicht. Ich glaubte ihm alles; ich war so glücklich. –

Sie fuhr, vergebens nach ihrem Tuche suchend, mit den Fingern über die nassen Augen. Hilde reichte ihr ihr Tuch, sie trocknete sich die Thränen ab, ließ das Tuch in den Schoß sinken und starrte auf das große gestickte Wappen im Zipfel. Ein wehmütiges Lächeln zuckte über ihr Gesicht.

Sehen Sie, begann sie wieder: von dergleichen, von schönen Wappen auf Kutschenthüren und von herrlichen Pferden und Landhäusern und allen möglichen Herrlichkeiten träumte ich nun Tag und Nacht. Sein Vater war schon vor vier Jahren gestorben. Jetzt starb auch sein zweiter Bruder. Sein ältester Bruder, der jetzige Lord, war verheiratet, aber hatte keine Kinder und lebte, seiner schwachen Gesundheit wegen, beständig irgendwo im Süden. Dennoch, wenn der Lord auch starb, Robert konnte nicht nach England zurück. Es fehlten noch zwei Jahre an den zehn. Ich sagte ihm, er solle an Mister Swalwell schreiben und sich frei bitten. Das wollte er nicht. Er sei zu stolz dazu. Es würde auch nichts helfen; ich kenne den alten Mann nicht, der sei zugleich wie Wachs und wie Stahl. Aber er wolle mich nun heiraten trotzdem, wenn auch in aller Heimlichkeit, da ihm aus einer öffentlichen Verheiratung Ungelegenheiten kommen würden. Ich war alles zufrieden. Ich sah uns schon in seiner kleinen eleganten Wohnung in Paris, die er mir immer wieder schildern mußte.

Wir hatten uns schon ein paarmal, meiner Tante wegen, außerhalb des Hauses an einem bestimmten Platze kurze Rendezvous gegeben. Eines Tages kam er mir sehr verstört entgegen. Er habe eine Widerwärtigkeit gehabt. Er müsse aus Paris fort, noch in dieser Nacht. Er wisse nicht, wohin er gehe, oder wann er zurückkomme. Ob ich ihn begleiten wolle? Wir könnten auf der Reise eben so gut heiraten wie in Paris. Ich kehrte nicht wieder in das Haus meiner Tante zurück. Wir reisten in derselben Nacht ab. Ich weiß es jetzt, weshalb er aus Paris fort mußte. Er hatte in einem vornehmen Klub – nicht in unserm Hause – das war so vornehm nicht – gespielt – falsch gespielt und war ertappt worden. Nicht wahr, das ist gräßlich? Einer, der einmal Lord Glenmore werden sollte, wenn er sich auch in Paris nicht mit seinem Familiennamen Douglas nannte, sondern Mister Tain, so daß bis dahin niemand wußte, wer er eigentlich war. Aber jetzt würde es wohl an den Tag gekommen sein, und gerade das wollte er vermeiden. Nun ist er hier doch jemand begegnet, der ihn damals in dem Klub gesehen hat. Es ist Oberst Krell.

Um Gotteswillen! rief Hilde.

Ellinor nickte.

Ich sagte Ihnen ja, es ist gräßlich. Ich komme noch darauf. Sie wissen noch nicht alles.

Ja, ja, sagte Hilde; erzählen Sie weiter! Sie sind dann mit ihm gereist? Wohin?

Ellinor schüttelte den Kopf.

Ich weiß es nicht mehr; überall. Jetzt vor einem Jahr waren wir in Neapel. Wir mußten da längere Zeit bleiben. Ich wurde Mutter. Das Kind lebte nur fünf Wochen. Ich habe es allein auf den Kirchhof gefahren. Man sieht von dort aus den Vesuv. Aber nicht an dem Tage; es regnete so arg. Ich bin hernach noch einmal dagewesen.

Sie schwieg und starrte auf das zerknüllte Tuch in ihren gefalteten Händen. Der Regen klatschte gegen die Scheiben; es wurde so dunkel im Zimmer, als wären die Vorhänge niedergelassen. Hilde wagte nicht die Aermste zu stören, die an ihr Kind dachte, das sie allein hinausgefahren hatte nach dem Kirchhof in Neapel, während es so arg regnete! Ellinor sprach mit dumpfer Stimme weiter:

Von dem Tage an war mir alles gleich: ob er mich heiratete oder nicht; ob er mich mißhandelte oder freundlich zu mir war, wie manchmal, wenn er recht viel gewonnen hatte. Er gewann immer, wenn er wollte; aber oft verlohnte es sich nicht. Dann gingen wir an einen andern Ort. Er veränderte seinen Namen oft. Vor der Welt galt ich als seine Frau; er hielt darauf: es sah respektabler aus. Es war ihm auch recht, daß ich schön war. Das zog manchen in seine Nähe, der ihn sonst nicht beachtet hätte, oder ihm ausgewichen wäre, nachdem er einmal an ihn verloren. Er verfolgte immer dasselbe System: erst ein paar mäßige Verluste oder Gewinne, um die Leute sicher zu machen; dann ein paar große Schläge, und dann fort. Hier ist es anders gewesen. Die zehn Jahre waren um, und gerade, daß er Mister Swalwell treffen mußte, und der so freundlich zu ihm gewesen ist und gesagt hat, daß nun alles vergeben und vergessen sei – das hat ihn vollends sicher gemacht. Er hat sich darum auch wieder Douglas genannt, nachdem er gleich am ersten Tage die Unterredung mit Mister Swalwell gehabt. Aber die Nachrichten von Lord Glenmore, der jetzt in Montreux ist, waren schlecht – für ihn. Es sollte dem Lord wieder besser gehen. Er hat einen Freund in Karlsruhe bei der Gesandtschaft, der von seinem Leben, glaube ich, nichts weiß und ihn immer mit Nachrichten versorgt. Mit dem Lord steht er in keiner Verbindung; sie hassen einander von Jugend auf. So glaubte er sich wieder auf längere Zeit mit Geld versorgen zu müssen, an dem es zuletzt manchmal gefehlt hatte. Man hatte ihm gesagt, daß Baron Osseck ein sehr reicher Mann sei.

Adalbert? rief Hilde, die jetzt zu ihrem Schrecken sich erinnerte, daß Oberst Krell ihr an dem Leseabend von einem großen Verluste Adalberts an Mister Douglas gesprochen hatte. Sonderbar! wie war es möglich, daß der Oberst ihn hier duldete? er war es doch den andern, die den Mann nicht kannten, schuldig, sie vor dem falschen Spieler zu schützen.

Sie wagte nicht, diesen Gedanken Worte zu geben, sondern fragte nur, wie sich denn Mister Douglas zu dem Oberst gestellt habe?

Er hat sich mit dem Oberst verständigt, erwiderte Ellinor. Der Oberst hat ihn gefragt, ob er je einem Mister Tain in Paris begegnet sei? Aber erst vor wenigen Tagen, als sie sich draußen einmal getroffen haben. Robert – Sie kennen die Kaltblütigkeit des Mannes nicht – hat es abgeleugnet. Er sei zu der Zeit allerdings in Paris gewesen, aber nie in jenem Klub. Darauf haben sie sich die Hände geschüttelt.

Und Sie glauben, daß der Oberst sich hat täuschen lassen? fragte Hilde.

Ich weiß es nicht; es ist wohl möglich. Sie haben sich damals nur ein einziges Mal gesehen. Und Robert trug keinen Bart wie jetzt.

Aber er hat doch auch Sie erkannt, sagte Hilde: an jenem ersten Abend im Restaurant. Erinnern Sie sich? Er ist einmal in dem Hause Ihrer Tante in Paris gewesen.

Das weiß ich nicht, erwiderte Ellinor; es kamen so viele Leute dahin. Mit Robert kann er mich nicht zusammen gesehen haben. Robert ist nie an einem der Spielabende bei der Tante gewesen.

Hilde dachte nach. Unzweifelhaft hatte der Oberst sich täuschen lassen. Es war ja undenkbar, daß er einen alten Freund, wenn er sich jetzt auch mit ihm veruneinigt hatte, einer solchen Gefahr aussetzte, ohne ihn zu warnen. Aber freilich, wer darf auch nur einen derartigen Verdacht aussprechen, ohne seiner Sache sicher zu sein? Und das war Krell zweifellos nicht.

Und mein Mann hat viel an ihn verloren? fragte sie.

Sehr viel; erwiderte Ellinor. Es that mir so leid; ich hätte es Ihnen so gern gesagt. Ich durfte es nicht; ich mußte ja für Sie die Lady Douglas sein. Oft hat es mir auf der Zunge geschwebt. Und noch etwas andres wollte ich Ihnen sagen: daß Sie gut sein sollten zu Ihrem Mann, dem die Güte aus den Augen sieht und die Liebe zu Ihnen, wenn Sie auch nicht gut gegen ihn sind und ihn unglücklich machen, und er dann in seiner schlimmen Laune hingeht und sein Vermögen verspielt.

Großer Gott! murmelte Hilde.

Ja, sagte Ellinor; nun ist es doch gut, daß ich Ihnen das noch sagen konnte. Und all das andre. Jetzt wissen Sie doch, wie das Unglück wirklich aussieht; und was einem armen Mädchen begegnen kann, das nicht gut war, aber auch nicht ganz schlecht. Und wie die Männer aussehen, die ganz schlecht sind, und wie sie ein armes Weib zu Tode quälen.

Jetzt sollen Sie nicht mehr vom Tode und von Sterbenwollen sprechen, rief Hilde; sagen Sie, daß Sie nicht mehr sterben wollen! Geben Sie mir Ihre Hand darauf!

Ellinor schüttelte traurig den Kopf. Wie kann ich es? sagte sie; was soll ich thun, wenn er mich auf die Straße wirft? Er hat es mir heute morgen angedroht. Er wird es thun, morgen oder übermorgen oder heute abend, wenn er als Lord Glenmore von Karlsruhe zurückkommt.

Was heißt das? rief Hilde.

Der Freund hat ihm telegraphiert; erwiderte Ellinor. Er hat mir die Depesche nicht gezeigt, aber ich bin gewiß: entweder ist Lord Glenmore tot, oder liegt im Sterben. Der Freund in Karlsruhe wird es wissen und das Nötige mit ihm verabreden wollen.

Und jetzt, gerade jetzt konnte er so schlecht gegen Sie sein! rief Hilde; jetzt, wo seine Wünsche in Erfüllung gehen!

Gerade jetzt? sagte Ellinor mit bitterem Lächeln. Gewiß gerade jetzt. Was soll er jetzt noch mit mir, wenn er Lord Glenmore wird und nicht mehr in der Welt herum zu irren und zu lügen und zu betrügen braucht? Jetzt wird er eine Lady heiraten. Ich bin keine. Eine Lady schlägt man nicht wie einen Hund.

Sie sollen nicht immer wieder an den schlechten Menschen denken! rief Hilde. Er geht sie nichts mehr an. Sie gehören jetzt mir.

Ellinor blickte sie mit starren Augen an.

Ja, mir! wiederholte Hilde. Ich werde für Sie sorgen; ich werde – gleichviel. Das wird sich alles finden. Und jetzt versprechen Sie mir, daß Sie sich kein Leides thun, während ich nicht hier bin – ich werde nicht lange fortbleiben. Sie bleiben still sitzen – hier auf dem Sofa, bis ich wiederkomme. Versprechen Sie mir das bei – der Erinnerung an Ihr Kind!

Ellinors große starre Augen wurden feucht. Ich verspreche es; sagte sie leise, die schlanke kalte Hand in Hildes dargebotene Rechte legend.



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