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Achtzehntes Kapitel.

Die Bedeutung der Einführung des Majors von Liebe in den Osseckschen Kreis war Escheburg nicht entgangen. Es war ein wohlüberlegter Schachzug Steinbachs, der ihm das Spiel fördern sollte und, wie der vergangene Abend gleich bewiesen, nicht unwesentlich gefördert hatte. Die früheren Abende war der badische Herr, trotz mancher vorhergegangener flüchtiger Berührungen an der Table d'hote, im Hotelgarten, auf der Promenade, doch immer erst ein Fremder im Osseckschen Salon gewesen; gestern, da er nun selbst wiederum einen Fremden einführen mußte, hatte er sich als älterer Bekannter, als ein bereits Akkreditierter in der Gesellschaft darstellen dürfen und das mit vielem Geschick und in bester Form gethan. Dazu kam, daß er in der Wahl seines Sekundanten nicht glücklicher hätte sein können. Der alte Generalstäbler hatte offenbar die Situation – die ihm auch sicher bereits vorher durch den Freund eingehend geschildert worden war – sofort begriffen und sein Betragen und Vorgehen danach eingerichtet. Ohne Kora zu vernachlässigen, hatte er seine Aufmerksamkeit doch zumeist Hilden und besonders der Generalin zugewandt, bei der er von vornherein, als alter Bekannter, bestens empfohlen war. Wie klug hatte er weiter diese kameradschaftlichen Beziehungen in der kurzen Plauderei mit Adalbert auszunutzen verstanden, und ebenso ihm selbst gegenüber die wenigen Begegnungen in der Geographischen Gesellschaft, dabei immer klüglich den Freund mit ins Gespräch ziehend, so daß dieser von den Vorteilen solcher Annäherung sein volles Teil erhielt. Und wie geschickt hatte er zuletzt, als die ganze Gesellschaft um den Theetisch vereinigt war, die Rede auf allgemeine ökonomische und merkantile Verhältnisse gebracht und in einem längeren Vortrage ohne jede Pedanterie oder Aufdringlichkeit, völlig im Konversationston, speziell die Zustände des badischen Landes zu einem Bilde abgerundet, dessen hervorragendste Figur niemand anderes war, als eben Herr von Steinbach, trotzdem der Name kaum einmal erwähnt wurde. Fürwahr, wenn der alte Stratege auf das Studium von Koras Charakter ein paar Jahre verwandt hätte, besser hätte er nicht operieren können! Eine so große, gemeinnützige Thätigkeit, welche alle Kräfte der praktischen Vernunft in die Schranken rief, und ihren wahren Segen doch auch wieder nur auszuüben vermochte, wenn sie mit echtem Wohlwollen, mit einer herzlichen Sympathie für die Armen und Elenden gepaart war – das konnte ihr ja nicht anders als im schönsten, edelsten Licht erscheinen! Und wie fest hatten ihre ernsten Augen auf dem Sprecher geruht, um zuweilen und, je länger der Vortrag währte, desto öfter, zu dem Manne hinüberzugleiten, der so viel galt, so viel vollbrachte und jetzt so still bescheiden aufmerksam zuhörend dasaß, als vernehme er das alles zum erstenmal, und als sei von jedem und allem andern die Rede, nur nicht von ihm und seinem Wirken!

Ja, sie hatten ihre Sache klug gemacht, die beiden; und nur die blasse Mißgunst konnte in Abrede stellen, daß hier eine gute Sache von braven Männern in vollster Loyalität geführt wurde. Der Major war kein Schönfärber gewesen, hatte nichts übertrieben. Wie er den Mann geschildert, so war der Mann – nach allem, was man von ihm hörte, über ihn in den Zeitungen las, selbst in solchen, die ihm nicht wohlwollten. Und war es dem Manne zu verdenken, wenn er im Zenith seines reichen arbeitsamen Lebens sich nach einer Gefährtin umsah, die ihm auf der schwereren Hälfte des Weges, die nun vor ihm lag, liebend, ratend, aufmunternd zur Seite stehen möchte? Hätte er eine bessere Wahl treffen können? Ja, war nicht eben diese Wahl eine Ehre mehr für ihn? Bewies sie nicht, daß er die Angelegenheiten seines Herzens mit demselben großen und offenen Sinn behandelte, wie die öffentlichen? Wenn sie ihn, den Freund, fragte: darf ich diesen heiraten? was konnte er, als ehrlicher Mann antworten, als: In Gottes Namen! Soll denn schon jemand deiner würdig sein – einen, der es mehr wäre, wirst du so leicht nicht finden.

Und du bist sicher, daß du das über die Lippen bringst?

Escheburg stand in dem Dauerlauf, welchen er bereits seit einer halben Stunde in der Halle des Trinkhauses vollführte, jäh still und blickte zwischen zwei der Säulen hindurch nach dem Angleterre, von dem die Ecke nach der Promenade über die von Wind und Regen zerzausten Büsche der Anlagen und die Kuppen der Kurgartenbäume sichtbar war. Die nötige Motion hatte er sich für heute morgen gemacht; schön war der Aufenthalt in der langen zugigen Halle, die er ganz allein für sich hatte, so wenig wie es die Fresken an der Wand waren; es hatte auch eben ein wenig zu regnen aufgehört; er konnte ziemlich trocken wieder zurückgelangen und seinen Besuch bei Hilde abstatten; aber nach einigem Zaudern setzte er seine einsame Wanderung fort, jetzt mit weniger stürmischen Schritten.

Belüg dich doch selbst nicht, lieber Freund! du wirst das nicht über die Lippen bringen. Aber wirst du das andere über die Lippen bringen, das einzige, womit du motivieren könntest, warum du zu jenem nicht Ja und Amen sagen kannst? Was aber in der Welt könntest du ihr bieten, das auch nur annähernd den Vergleich aushielte mit der Zukunft, die ihr dieser Mann in Aussicht stellt: ein reiches und doch auch wieder anheimelndes Leben, eine breite, gesicherte Existenz zu Hause; köstliche Reisen, geplant mit dem Ueberblick, den der Mann über die Welt hat, ausgeführt mit all dem Komfort, den ihm sein Geld gestattet? Was hättest du ihr dafür zu bieten? dein einsames Gelehrtendasein mit seiner die beste Kraft mitleidslos absorbierenden Arbeit und ihrem kärglichen Lohn; dazu den Ruhm, den jede neue Entdeckung, jeder Fortschritt, welcher von anderer Seite kommt, in Frage stellt! Und doch, es wären ja alles Nebensachen, wenn die Hauptsache feststände: wenn ihr Herz ehrlich, wie alles bei ihr ist für dich Partei nähme, sich für dich entschieden hätte, entscheiden könnte, oder entscheiden würde, gäbst du ihr Gelegenheit, drängtest sie zur Entscheidung durch ein männlich offenes Wort.

Wieder stand er still, diesmal in der Mitte der Halle an der Freitreppe, und blickte auf die Kaiserbüste, vor der er sich neulich morgens so wackern Mut geholt. Aber jetzt wandte sie ihm den Rücken: mit mutlosen Menschen wollte der Held augenscheinlich nichts zu schaffen haben. Entschlossen schritt Escheburg die Treppe hinab. Er wollte freilich nicht zu Kora; aber auch mit Hilden that eine Auseinandersetzung dringend not, wenn gewisse Beobachtungen, die er in den letzten Tagen gemacht, und die ihn mit schwerer Sorge, ja, mit Schrecken erfüllt hatten, sich bestätigen sollten.

Die gnädige Frau war noch nicht sichtbar, würde aber in ein paar Minuten erscheinen; berichtete Lisette, um sofort wieder in dem Schlafgemach der Herrin zu verschwinden, während Escheburg, die Minuten auszufüllen, aus dem Salon über den Korridor nach dem Kinderzimmer ging, wo er Frau Klump an dem Bettchen der schlafenden Kleinen fand, vertieft in die Lektüre eines Buches, welches sie bei seinem Eintreten schamhaft errötend beiseite schob. Freilich so, daß er im Vorübergehen den aufgeschlagenen Titel sehen konnte: den zweiten Teil seines Handbuches der Pathologie.

Ich werde Ihnen aber die neue Auflage schicken, Frau Klump; sagte er lächelnd.

Jott, Herr Professor, wenn Sie das thun wollten! rief Frau Klump, das gesunde Auge zum Himmel hebend, während die Pupille des schielenden fast gänzlich verschwand; es würde Tag und Nacht nicht aus meinen Händen kommen; ich ließe es mir mit in den Sarg legen. Jott, ist das ein Buch! Wie Sie in meiner Kunst Bescheid wissen! als wenn meine Mutter Ihre Mutter gewesen wäre. Na, von der haben Sie nicht mehr gehört, als Sie auf dem Geburts-Klinik waren; dazu sind Sie noch zu jung; aber fragen Sie Credé Carl Siegmund Franz Credé (1819-1892), deutscher Gynäkologe und Geburtshelfer; leitete von 1856 bis 1887 leitete Credé die Universitätsfrauenklinik Leipzig; ging in die Medizingeschichte unter anderem durch die Einführung der Credé-Prophylaxe bei Neugeborenen ein; ihm wurde der Credé-Handgriff benannt. in Leipzig! Der kennt sie! Die war jroß, sage ich Ihnen! Von der habe ich auch das Mundwerk. Lotte, sagte meine Mutter immer: in unserer Kunst muß man reden können: zureden hilft.

Gewiß; sagte Escheburg, und wie geht es mit dem Kinde?

Dem Baby? sagte Frau Klump mit einem mütterlichen Blick auf die schlummernde Kleine. Na, aber ausgezeichnet! Wenn einer den berühmten Professor Escheburg zum Arzt und die Frau Klump zur Wärterin hat – Spaß! Aber alles, was recht ist, Herr Professor: gut ist der Baby auch; na, von seiner Mutter hat der das nun nicht.

Aber Frau Klump! sagte Escheburg mit einem Blick nach der Thür zu dem benachbarten Zimmer, in welchem man Hilde mit ihrer Kammerjungfer sprechen hörte.

Will ich ihr in ihr hübsches Gesicht sagen, erwiderte Frau Klump. Die ersten drei Tage alles selber thun wollen, so daß ich ein Mal über das andere sagen mußte: aber, gnädige Frau, wozu ist denn Frau Klump da? und seit gestern – Baby? – ist nicht. Sie kann mir nicht leiden, weiß ich – macht sich Frau Klump gar nichts draus. Mir kann es ja recht sein, wenn sie uns beide hier in Ruhe läßt – den Baby und mir. Aber recht ist es nicht; dabei bleibe ich, und wenn sie mir wegschickt. Vor ihr – adieu mit dem größten Vergnügen; der Baby sollte mir freilich leid thun. Er kann Frau Klump noch immer ein paar Tage gebrauchen.

Die gnädige Frau meint es nicht bös; sagte Escheburg.

I, Jott nein: erwiderte Frau Klump; bös – keine Idee! Die Sache ist: sie weiß vor lauter Schönheit überhaupt nicht, was sie will. Glauben Sie mir, Herr Professor: was die Frauenzimmer sind, die können nur eine bestimmte Portion Schönheit vertragen. Wenn es drüber hinausgeht, wie bei der, steigt es ihnen zu Kopf. Und wenn der Papst in Rom sie zum Kaffee einlüde, besinnen sie sich, ob sie es wohl anständigerweise annehmen können, bis der Herrgott endlich ein Einsehen hat und ihnen einmal den Kopf gründlich wäscht. Und das wird er der da auch besorgen, glauben Sie mir, Herr Professor, denn Hochmut kommt vor dem Fall, und kein Topf geht länger zu Wasser, als bis er einen tüchtigen Knax weg hat.

Escheburg hatte einige Zeit in Hildes Salon über den merkwürdigen Ausspruch nachzudenken, der in seiner barocken Form doch dasselbe sagte, was in diesen Tagen wiederholt auch der Schluß seiner Weisheit gewesen war. Ja wahrlich, der Himmel mußte ein Einsehen haben, da sich der Einfluß der Menschen, die Hilfe selbst der scheinbar günstigsten Umstände als so ganz vergeblich erwies. Nicht das mindeste hatte die Entfernung jener schädlichen Elemente aus ihrer Gesellschaft dazu beigetragen, Hilde umzustimmen, sie ihrem Gatten wieder näher zu bringen. Nun war auch die Wallung wieder vorüber, mit der sie in den ersten Tagen wenigstens ihren Mutterpflichten eifrig, ja eifersüchtig obgelegen, so daß Kora sich vollständig aus dem Kinderzimmer verbannt sah, und es seiner ganzen Autorität bedurft hatte, nur die erfahrene Wartefrau zu halten. Und wenn er selbst in ihre Ungnade gegen die andren nicht eingeschlossen war, im Gegenteil mit Zuvorkommenheiten und Liebenswürdigkeiten sichtlich ausgezeichnet wurde, so ängstigte ihn das viel mehr, als es ihn erfreute. Gerade heute hatte er sich vorgenommen, sie auf die Zweckwidrigkeit eines Betragens aufmerksam zu machen, das ihm nicht zu gute kam und Adalbert, gegen den die Spitze doch zweifellos gerichtet war, nur noch tiefer verwunden mußte.

Und da erschien sie nun, der seine Sorgen gegolten, in einer duftigen Morgentoilette, heiter lächelnd, und kam ihm so mit ausgestreckter Hand entgegen. Er fühlte förmlich physisch, wie die Strenge, mit der er sich gewappnet hatte, vor dem Zauber dieses Lächelns, vor dem Glanz dieser Augen, vor dem Druck dieser zarten und doch so kräftigen Hand dahinschmolz. Doch das durfte nicht sein. So fing er denn nach der ersten Begrüßung mit dem verhältnismäßig Leichtesten an: ihrer Inkonsequenz in der Pflege des Kindes. Aber er hatte kaum die ersten Worte gesprochen, als sie ihn auch schon lachend unterbrach: Wenn er gekommen sei, um zu schelten, solle er nur gleich wieder gehen. Die Litanei von Frau Klump kenne sie bereits auswendig; er möge es sich nur selbst zuschreiben, wenn ihr das Kinderzimmer verleidet sei. In ihren Augen werde Frau Klump dadurch nicht schöner, daß sie fortwährend zum Schein in den gelehrten Büchern eines gewissen Jemand lese. Wenn das der Weg zu dem Herzen des Betreffenden sei, nun, sie würde sich seine sämtlichen Werke anschaffen und nur noch mit ihm über Emphysem, Exsudat, Infiltration und ähnliche liebliche Dinge sprechen. Escheburg mußte wider Willen lachen. Sie sind und bleiben ein Kind, sagte er. Meinetwegen, sagte sie, wenn ich mir dabei nur meinen klaren Sinn und meine gesunden Augen bewahre, die denn Gott sei Dank so manches sehen, was für Euren erwachsenen Verstand natürlich dunkel bleibt.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel, daß Kora auf dem besten Wege ist, in wenigen Tagen eine glückliche Braut zu werden und nebenbei eine ausgezeichnete Partie zu machen.

Escheburg kam es sonderbar vor, daß er hier in Hildes Zimmer, von Hildes eigenen Lippen verhältnismäßig so ruhig hören konnte, was ihn vorhin drüben in der Einsamkeit der Säulenhalle, als er selbst es sich vorstellte, so schmerzlich bewegt hatte. Freilich trug der prüfende Blick, welchen sie, als sie es sagte, wie zufällig über ihn hingleiten ließ, das Seinige dazu bei, ihm die Geistesgegenwart zu erhalten.

Und Sie meinen wirklich, das sollte ich nicht gesehen haben? sagte er.

Bei Euch Männern muß man dergleichen immer voraussetzen, erwiderte sie; um so mehr, je näher Ihr den betreffenden Personen steht. Dann pflegt Ihr immer noch mit einer besonders himmlischen Blindheit geschlagen zu sein. Uebrigens freut es mich natürlich, daß Sie diesmal ausnahmsweise nicht blind gewesen sind, und noch mehr, daß Mamas und meine Befürchtungen nun doch nicht einzutreffen scheinen. Welche Befürchtungen?

Thun Sie doch nur um Gotteswillen nicht so schrecklich naiv! Als wenn wir nicht alle wüßten, daß Kora Ihr Verzug, Ihr Herzblatt, Ihr unerreichbares Ideal ist, das sie keinem Menschen, ich meine: keinem Manne gönnen, weil alle zu dieser Höhe nicht hinanreichen! Es war damals schon so und Eure Entente schien mir und so auch Mama sich mittlerweile noch ganz besonders herrlich entwickelt zu haben. Dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen – erinnern Sie sich noch? am ersten Abend? Wie oft habe ich seitdem daran gedacht, wenn man sich nur an Kora zu wenden brauchte, wollte man Ihre Wünsche und Ansichten erfahren und umgekehrt! Nun und Sie wissen, nach meiner Theorie können zwei, die Freunde und noch dazu solche Musterfreunde sind, wie Sie und Kora, einander nicht lieben. Dergleichen versteht Mama nicht; ist auch weiter nicht nötig. Dafür ist sie um so glücklicher, daß alles sich nun so schön macht. Ich habe Mama zum erstenmal in meinem Leben glücklich gesehen, was man denn bei ihr so nennen kann. Als ich heiratete, war sie eigentlich trostlos; im Grunde ist sie es noch. Es ist ja sehr schmeichelhaft für mich, und das Gegenteil für Kora gar nicht; aber ich hätte nichts dagegen, wäre die Sache umgekehrt. Gleichviel. Jetzt ist sie zufrieden, findet Herrn von Steinbach scharmant – was ich, nebenbei gesagt, auch thue, und völlig für Kora passend, was wiederum ganz meine Meinung ist. Besonders seit gestern abend ist sie Feuer und Flamme. Wir haben, als Ihr fort wart, noch ein langes Kapitel darüber abgehandelt. Unter uns: der Major hat seine Pylades-Rolle vortrefflich gespielt; aber ich finde es nur in der Ordnung, daß Herr von Steinbach seine Freunde so für sich ins Feuer schickt, und entzückend von dem alten prächtigen Major, daß er so brav für den Freund ins Feuer ging. Wir haben nur noch ein Bedenken, nämlich, wie –

Hilde hatte an einer widerspenstigen Schleife zu nesteln.

Kora selbst gesonnen ist; vervollständigte Escheburg den abgebrochenen Satz.

Sehr richtig, mein weiser Herr; sagte Hilde, der Schleife einen letzten Strich mit der flachen Hand gebend und wieder aufblickend; doch darüber kann uns ja niemand bessere Auskunft erteilen, als Sie.

Ich? ich kann Sie versichern, daß Kora mir auch nicht mit einer leisesten Andeutung ihre Gefühle verraten hat.

Als ob es unter Euch, für Euch dergleichen bedürfte! Dasselbe denken und dasselbe nicht denken! es sind ja Ihre eigenen Worte. So werden Sie uns doch auch sagen können, wie Kora in diesem Falle denkt.

Ich kann nur sagen: ich denke, sie wird in diesem Falle denken und handeln, wie in allen Fällen: als das geistes- und willensstarke, großherzige Mädchen, das sie ist.

Wenn Sie nicht mehr wissen, so sind wir andern noch gerade so klug wie vorher.

Ich vermag Ihnen beim besten Willen nicht mehr zu sagen.

Wissen Sie, daß ich große Lust habe, an diesem besten Willen zu zweifeln und in meinen alten Verdacht zurückzufallen?

Da würden Sie sehr Unrecht thun. Es kommt wie ein Gemeinplatz heraus, wenn ich sage, daß es auf Erden keinen Menschen geben kann, der Kora ein reiches Glück, wie sie es verdient, so aus vollem Herzen wünscht wie ich.

Und wenn dies nun eben für Kora das Glück wäre, das Sie ihr wünschen und als ihr Freund wünschen müssen; und eben dies Glück Koras für das anderer Leute, an denen Sie auch einigen Anteil nehmen, sehr wünschenswert, vielleicht notwendig ist, – würden Sie, müßten Sie da nicht – als Koras Freund und Freund jener anderen Leute – thun, was in Ihren Kräften steht, damit die Sache zustandekommt?

Escheburg horchte hoch auf: das war in einem so andern Ton gesprochen, und der Ausdruck des bis dahin von Heiterkeit, ja von Mutwillen belebten feinen Gesichtes hatte sich so seltsam verwandelt. Was hieß das? Es konnte ja freilich nur eines heißen. Und war hier die Lösung des Rätsels, das für ihn noch immer über dem Unglück dieser Ehe lag?

Er saß da, sie mit starren fragenden Augen anblickend.

Sie schien einen Moment nachzusinnen; dann erhob sie sich, ging an ihren Schreibtisch, den sie aufschloß, um aus einem Kasten ein Blatt zu nehmen, mit dem sie jetzt zu ihm zurückkam.

Bitte, lesen Sie!

Er nahm das Blatt: ein Briefchen auf geripptem Papier, dessen starkes Parfüm ihn widerlich berührte, wie der Anblick der großen, künstlich genialen Handschrift, die er auf der Stelle wiedererkannte: Polys Hand. Er las:

   

»Sie werden mich, liebe, teure Frau, kaum verstehen, wenn ich, nach schwerem Ringen endlich zur Klarheit durchgedrungen, Bedenken trage, mich Ihnen, wenigstens für die nächste Zeit, und ach! wohl nie wieder mit der alten Herzlichkeit zu nähern. Nicht als ob die kleine Demütigung, die ich gestern abend erfahren, mich so tief verletzt hätte! Ich habe sie in Wahrheit kaum empfunden und ganz gewiß heute morgen völlig verschmerzt. Es ist etwas anderes, das mich die sonst so grausame Selbstverbannung als eine Notwendigkeit empfinden läßt. Fragen Sie mich nie, was es ist, wenn – Sie es nicht schon wissen! Aber alles wissen, heißt ja alles verzeihen. Und man verzeiht ja doppelt gern dem, der in seines Herzens Thorheit niemandem ein Leides gethan hat – nur sich selbst.

Darf ich diesem Bekenntnis, das ich mit flammenden Wangen niederschreibe, eine Bitte, eine Warnung hinzufügen, zu der ich den Mut nur in dem heißen Wunsche finde, ein Glück, das ich niemals antasten wollte, dem zu schaden ich in Wirklichkeit auch niemals die Macht hatte, da zu schützen, wo es allerdings gefährdet scheint. Man ist gewappnet gegen den Feind, der von außen droht; man ist machtlos gegen eine Konspiration, welche sich drinnen in dem eignen Lager anspinnt, allmählich, unmerklich – ich sage nicht: unter dem Deckmantel, aber: unter der Hülle der brüderlichen, der schwesterlichen Liebe, die sich anfangs über sich selbst täuschen und deshalb so leicht auch uns täuschen können. Die alten Römer, mit deren Geschichte ich mich ja in letzter Zeit so viel beschäftigt habe, hatten ein Wort – lassen Sie mich damit schließen: – Sehen die Konsuln danach, daß der Staat keinen Schaden erleide!«

   

Das ist empörend, rief Escheburg.

Zerreißen Sie ihn nicht! er ist immerhin ein ganz interessantes Aktenstück; sagte Hilde, ihm den Brief aus der Hand nehmend und mit demselben wieder nach dem Schreibtisch gehend.

Aktenstück? rief Escheburg zornig: ein ganz elender Wisch, mit dem Sie Ihre Hände nicht besudeln sollten; der Ausfluß einer ordinären Seele, die sich für die verletzte Eitelkeit rächen will, und Gott sei Dank, zu dumm ist, um das gescheit anzufangen. Oder gibt es, von der Schamlosigkeit abgesehen, etwas Dummeres, als diese gespielte Selbstprostitution? Sie sollen glauben, daß eine Erzkokette, die von je mit den Empfindungen, welche anderen Leuten heilig sind, ein frivoles Spiel getrieben hat, sich plötzlich vor dem Uebermaß ihrer Empfindungen retten will? Hält sie uns denn allesamt für Narren? Denkt sie denn, daß Sie sich geduldig das Netz über den Kopf ziehen lassen werden, ohne sich zu wehren? den Wisch ruhig ad acta legen, ohne ein Wort darüber gegen einen Freund verlauten zu lassen, zum Beispiel gegen mich? Nun und bei der Gelegenheit mußte doch spätestens zur Sprache kommen, in wie irreparabler Weise sie sich damals vor Adalbert und mir blamiert hat, mit dem logischen Schluß, daß diese neueste Leistung wieder nichts ist, als eine ganz gemeine und glücklicherweise eben so dumme Intrigue!

Escheburg war aufgesprungen und ging erregt hin und her; Hilde stand noch an dem Schreibtisch, ihm zugewandt, sich mit beiden Händen rückwärts auf die Platte stützend, und sagte jetzt in einem Ton, dessen Ruhe den Aufgeregten empfindlich traf:

Sie ereifern sich, lieber Freund, ganz unnötig; ich meine, nach einer verkehrten Seite. Wenn ich, wie ich gestehen will, ein paar Tage geglaubt habe, daß zwischen Poly und meinem Mann ein wirkliches Verhältnis existiere, so bin ich längst davon zurückgekommen. Aber darum handelt es sich weder für mich, noch für Poly. Natürlich ist die Geschichte von der heroischen Selbstopferung der schönen Seele nur eine allerdings recht geschmacklose Enveloppe, aber wie denken Sie über den Inhalt?

Richten Sie diese Frage im Ernst an mich? fragte Escheburg, stehen bleibend.

Für den Scherz scheint mir die Sache nicht angethan.

Das hätte ich nicht erwartet; murmelte Escheburg, seine Wanderung fortsetzend.

Das Unerwartete geschieht ja jezuweilen. Beantworten Sie mir eine Frage! Haben Sie mit Kora über das plötzliche Wegbleiben Polys und ihres Anhanges aus unserm Kreise gesprochen?

Aber das ist doch selbstverständlich.

Gewiß. Und hat Kora dabei gesagt, weshalb nach ihrer Ansicht Poly weggeblieben ist?

Nach ihrer Ansicht? ja, aber kann denn Kora darüber eine andere haben, als ich und jeder, der nicht blind ist, oder sich geflissentlich verblenden lassen will?

Das ist eine Ausrede; ich will eine Antwort.

Escheburg war in großer Verlegenheit. In der That war zwischen ihm und Kora über die Sache nur in Andeutungen hinüber und herüber gesprochen worden, wobei er allerdings den Eindruck gehabt, als ob Kora Kenntnis von einem Zwischenfall besitze, der ihren gemeinschaftlichen Wünschen sehr förderlich gewesen sei, über den sie sich aber nicht näher ausließ, gerade wie er von dem, was er letzthin auf Udos Zimmer erlebt, nur durchblicken lassen konnte, daß ein gewisser Konflikt, der sich angesponnen, durch ein Zusammentreffen glücklicher Umstände im Keime erstickt wurde. Durfte er das alles Hilden mitteilen? oder wieviel davon, ohne ihrem verhängnisvollen Argwohn neue Nahrung zuzuführen?

Es waren nur Sekunden gewesen, während ihm diese Bedenken durch die Seele zuckten; aber ihr hatte die Spanne Zeit schon zu lange gewährt.

Nun, rief sie, Sie schweigen? Schweigen ist freilich auch eine Antwort. Schade, daß ich mich damit begnügen muß! Ich erführe sonst vielleicht den Inhalt einer langen, aber sehr langen und sehr intimen Unterredung, die Kora mit Poly am Morgen nach dem Leseabend gehabt hat.

Das ist unmöglich! rief Escheburg; das hätte mir Kora gewiß gesagt.

So hat sie eben ihre Gründe gehabt, es Ihnen nicht zu sagen; denn daß die Unterredung stattgefunden, ist zweifellos nach der sehr genauen Angabe von Frau Pult. Sie hat die Damen in einer Querstraße über eine Viertelstunde stehen sehen und beobachtet. Soll ich die Pult vielleicht hereinrufen?

Jetzt war es Hilde, die in nervöser Erregung bald dies, bald jenes Möbel im Vorüberstreifen berührend, hin und her schritt, während Escheburg in der Mitte des Gemaches, an den großen runden Tisch sich lehnend, die verlorene Fassung zurückzugewinnen suchte.

Gut, sagte er, die Pult soll ausnahmsweise einmal nicht gelogen haben. Die Unterredung hat stattgefunden. Da mir das Faktum bis zu diesem Moment unbekannt war, muß es natürlich auch der Inhalt der Unterredung sein. Dennoch getraue ich mich, denselben, soweit er Kora angeht, ziemlich getreu zu reproduzieren.

Ich sterbe vor Neugierde; rief Hilde, sich auf den Sessel vor dem Flügel niederlassend, um sofort wieder aufzuspringen.

Kora wird gesagt haben, fuhr Escheburg fort: gehen Sie und Ihr Anhang – Ihren liebenswürdigen Bruder ausgenommen – aus einem Hause, einer Familie, in der Sie nur Unfrieden stiften, in der Sie den Unfrieden, der leider Gottes da schon existiert, nur vermehren. Gehen Sie freiwillig – meinetwegen mit Benutzung des Vorwandes, den Ihnen der gestrige Abend gewährt. Thun Sie es nicht, werde ich und Escheburg unsern ganzen Einfluß aufbieten, daß Sie es so oder so müssen. Denn ich und Escheburg haben uns die Hand darauf gegeben, daß wir nicht ruhen wollen, bis Hilde und Adalbert zur Einsicht gekommen sind, wie sträflich sie das reiche Glück von sich stoßen, das ihnen der Himmel beschieden hat; und wir hoffen, daß es diese Einsicht fördern wird, wenn sie erst einmal anfangen, die wahren Freunde von den falschen zu unterscheiden.

Schön! sagte Hilde; ich fände es freilich nicht sehr schicklich, hätte Kora wirklich Poly diese für Adalbert und mich so überaus schmeichelhafte kleine Rede gehalten. Doch sie soll sie gehalten haben: mit der Schicklichkeit brauchen die wahren Freunde es ja nicht so genau zu nehmen. Aber so freundlich angeredete Damen pflegen die Antwort nicht schuldig zu bleiben. Und vielleicht hat Poly folgendes geantwortet: liebes Kind, wenn Sie sich nur nicht bei Ihren großartigen Rettungsversuchen garstig die Finger verbrennen! Sehen Sie, es könnte Ihnen ja doch in der Eile passieren, daß Sie Liebe mit Mitleid verwechselten, was ja selbst den gescheitesten Frauen manchmal passiert sein soll; oder daß der gute Adalbert – eitel, wie die Männer nun einmal sind – Ihre frommen Bemühungen für sein Seelenheil ganz einfach für Liebe nähme.

Sie war vor Escheburg hingetreten, ihm mit flammenden Augen in die Augen sehend:

Könnten etwa Sie garantieren, daß das nie geschehen würde? Können Sie auf Ihre Ehre versichern, daß es nicht schon geschehen ist?

Escheburg fühlte, wie ihm das Blut aus den Wangen wich; aber er hielt den Flammenblick aus und sagte so ruhig er vermochte:

Man hat immer das Recht und manchmal die Pflicht, eine Frage, die nicht gethan werden durfte, unbeantwortet zu lassen.

Ich finde Sie heute nicht sehr glücklich in Ihren Repliken, sagte Hilde; dieselben lassen mir zu viel Spielraum, zu denken, was ich will. Zum Beispiel, daß, wenn Kora Herrn von Steinbachs Bewerbung ausschlägt – und ich bin überzeugt, sie wird es thun – ich mir denke, sie thut es, weil sie Adalbert liebt. Und er sie. Dergleichen pflegt ja auf Gegenseitigkeit zu beruhen.

Sie schien sich ein paar Momente an seiner Bestürzung zu weiden, dann begann sie wieder durch das Zimmer zu gehen, dabei in einem fast leichten Tone mehr mit sich selbst, als zu Escheburg sprechend:

Was wäre denn dabei auch groß zu verwundern? Sie passen ja so gut zusammen, gerade weil sie so verschiedene Naturen sind. Er und ich sind sich viel zu gleich: Weltmenschen, die einander in der Einsamkeit langweilen und in der Welt auseinander und ihren speziellen Interessen nachlaufen. Ich hätte Sie heiraten sollen, wenn Sie mich nur gewollt hätten; und manchmal glaube ich, es hat Ihnen nur an dem rechten Mut gefehlt. Wie dumm! das wäre so schön gewesen! Der gelehrte Kram für Sie, für mich die bunte Welt. Da hätte doch jeder was Apartes für sich gehabt und gewußt und hätt's dem andern mitteilen können. Denken Sie, wie amüsant! schade, jammerschade!

Hilde, Hilde! wollen Sie denn uns alle unglücklich machen? rief Escheburg entsetzt.

Machen! als ob wir es nicht schon wären!

Und an den Tisch tretend, die Arie aus der Margarete summend, wie an jenem ersten Morgen, nahm sie aus der Schale dort eine der Blumen und begann dieselbe zu zerpflücken.

Escheburg wandte sich langsam zu ihr:

Sagen Sie mir das eine, Hilde: was Sie da eben sagten – jene traurige Vermutung, oder wie ich es nennen soll: über Adalbert und Kora – ist das jetzt erst durch den Brief der Elenden bei Ihnen entstanden? oder haben Sie sich damit schon länger getragen, vielleicht schon bald nach Beginn Ihrer Ehe?

Darf ich auch einmal von dem schönen Recht, nicht zu antworten, Gebrauch machen? sagte Hilde.

Ich frage nur, fuhr Escheburg fort, weil, wenn das letztere der Fall wäre, es wenigstens erklärte, was mir sonst unerklärlich ist: Ihr Verhältnis zu Adalbert.

Mein Gott, rief sie heftig, die halbzerpflückte Blume in die Schale zurückwerfend, was ist da zu erklären? wir lieben einander eben nicht!

Lassen wir einmal Adalbert beiseite, für dessen Liebe zu Ihnen ich mit meinem Kopf bürgen würde; aber auch für Sie selbst ist es ja eine teilweise Unwahrheit: Sie haben ihn doch einmal geliebt!

So liebe ich ihn nicht mehr!

Aber warum? um Himmelswillen, warum?

Auf Hildes Wangen kam und ging die Farbe; ihre feinen Nasenflügel zuckten, und sie schlug die Augen nicht auf, als sie jetzt mit zitternder Stimme fragte:

Ist ist wahr, daß Adalbert früher – Mama geliebt hat?

Hilde, Sie rasen! rief Escheburg entsetzt.

Ich danke Ihnen; sagte Hilde mit einem flüchtigen Augenaufschlag. Nicht wahr, das ist sehr häßlich – wie eine giftige Schlange, auf die man tritt – ah! – das Herz dreht sich einem um. Dennoch habe ich es geglaubt – es ist ja alles schon dagewesen: Mama soll damals sehr schön gewesen sein und war kaum älter als er. Und dann Mamas Eifersucht auf ihn, die mir immer unnatürlich schien – es hat mich beinahe rasend gemacht, während ich so hilflos da lag, wochenlang, monatelang und der Grauengedanke sich langsam in mein Hirn bohrte, Tag für Tag, Nacht für Nacht – tiefer, immer tiefer – o mein Gott, was habe ich gelitten!

Sie strich sich mit der Hand über die Stirn, am ganzen Leibe zitternd. Escheburg sprang hinzu, rückte einen Stuhl herbei, und ließ sie niedersitzen.

Armes, armes Kind! murmelte er.

Sie lächelte mit blassen Lippen zu ihm auf und sagte:

Es ist ja nun vorbei – freilich ganz erst hier, als ich sie zum erstenmal wieder beisammen sah: ich weiß nicht, wie das war: es fiel mir wie Schuppen von den Augen, und daß mich das Weib, die Pult, schändlich belogen. Ich hab's ihr auf den Kopf zugesagt, und sie hat's denn auch eingestanden. Nicht wahr, und das andre ist auch erlogen?

Wenn es von eben dem verruchten Weibe kommt, gewiß. Aber was meinen Sie, liebe Hilde?

Daß Adalbert Papas Schulden bezahlt hat? Daß wir alle seitdem von seinem Gelde gelebt haben, Mama und Kora noch davon leben bis auf den heutigen Tag? – O, mein Gott!

Sie hatte aus seinen Augen die Antwort gelesen. Das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, warf sie sich in den Stuhl zurück, und brach in krampfhaftes Weinen aus.

Escheburg machte ein paar verlorene Schritte, dann rückte er entschlossen einen Stuhl heran und sagte:

Adalbert und ich haben uns das Wort darauf gegeben, daß es mit uns ins Grab gehen sollte. Eine dritte Person, ohne die wir freilich nicht fertig werden konnten – der Vater des jetzigen Bankiers Ihrer Mama – hat das angelobte Schweigen bis in den Tod treu bewahrt. Des Schweigens der vierten glaubten wir uns versichert durch die Liebe, die sie zu ihrem verstorbenen Herrn, zu ihrer Herrin und zu euch Kindern heuchelte, und durch die bedeutende Summe, welche dabei in ihre Tasche floß. Auch wußte sie nur das wenigste, leider so manches durch den Verstorbenen selbst, der, scheint es, ihrer Dienste nicht immer hatte entraten können; ihr sogar, als er in die Kampagne ging, gewisse Schlüssel anvertraut hatte, die wir dann ihr abfordern mußten. Nun hat sie der Haß gegen Adalbert, oder ihr böses Gemüt allein, das sich ein Genüge thun wollte, doch zur Verräterin gemacht, und mein Leugnen hätte keinen Sinn mehr. Ja, liebe Hilde, Ihr Vater war, als er starb, ein ökonomisch völlig ruinierter Mann und mehr als das: sein ruhmvoller Name war in einer Gefahr, die abgewendet werden mußte, abgewandt werden konnte, und die Adalbert abzuwenden vom ersten Moment an entschlossen war. Ich konnte nur, als ein armer Teufel, der ich war, mit meinem Rat helfen, und das habe ich freilich nach Kräften gethan. Ich will Sie mit den Details verschonen, liebe Hilde, die Sie doch nicht einmal verstehen würden. Nur so viel: es konnten alle hängenden Schulden bezahlt, alle laufenden Wechsel aufgekauft, und ein Kapital, das scheinbar nach der geschehenen Liquidation übrig geblieben war, bei dem Bankier deponiert werden, ohne daß irgend ein Mensch einen Verdacht faßte, oder zu einem solchen berechtigt war; vor allem, ohne daß Ihre Mama, die sich nie um dergleichen gekümmert, die Ihr Vater geflissentlich über seine Angelegenheiten im Dunkeln gelassen, auch nur die leiseste Ahnung von den Vorgängen hatte. Sie wußte nur, daß Adalbert und ich von Ihrem Vater zu Exekutoren seines Nachlasses bestimmt waren – ich ja noch nebenbei zu Ihrem Vormund. Sie nahm an, und nimmt bis auf den heutigen Tag an, daß, als wir diesen Nachlaß ordneten, wir nur einfach unsre Pflicht thaten. Und ich bin nicht ganz sicher, ob sie nicht immer gemeint hat, wir hätten dabei umsichtiger, ökonomischer zu Werke gehen sollen. Aber wäre ein größeres Vermögen zurückgeblieben, so hätte das allerdings Verdacht erregen können. Und so fixierte ich die Summe auf eine mäßige, wahrscheinliche, oder doch mögliche Höhe zu großem Kummer Adalberts, der viel weiter gehen wollte.

Escheburg machte eine Pause; Hilde lag noch in ihrem Stuhl zurückgelehnt, die Augen mit der einen Hand bedeckend, während die andere schlaff herabhing. Um den reizenden Mund zuckte es manchmal, der liebliche Busen hob und senkte sich in unregelmäßigen Atemzügen. Escheburg fuhr fort:

Sie werden, trotzdem Sie ja Adalbert nun auch nach dieser Seite kennen gelernt haben, doch vielleicht fragen: wie kam er zu einer Handlungsweise, die den Weltkindern extravagant bis zur Lächerlichkeit erscheinen müßte? Aber einmal haben Sie Ihren Vater nicht gekannt, die bezaubernde Liebenswürdigkeit nicht, mit der er die Herzen aller gewann, die in seine Nähe kamen, besonders von uns jungen Leuten, deren Abgott er war. Und zumal Adalberts, den er, als den Sohn des besten Freundes, stets wie einen eigenen Sohn geliebt hatte, und der ihm mit wahrhaft kindlicher Liebe ergeben blieb. Dann kamen wir zurück. Ach, liebe Hilde, das kann ich Ihnen nicht schildern. Fragen Sie Ihr eigenes Herz, was zwei nicht unedle junge Leute bei dem Anblick des verwaisten Hauses empfinden mußten, das über euch Ahnungslosen zusammenbrechen sollte. Ich habe Adalbert während der Kampagne mehr als einmal kaum kleinere Summen, als um die es sich hier handelte, auf eine Karte setzen sehen, und er war eben in den Vollbesitz eines fast fürstlichen Vermögens gelangt. Das machte es ihm freilich leicht zu helfen, aber er würde auch unter den schwierigsten äußeren Bedingungen geholfen, sich, wär's nicht anders gegangen, ohne Besinnen ruiniert haben. Unter allen Umständen: hat je ein Mensch in einer ähnlichen Lage gehandelt, ohne daß seine linke Hand wußte, was seine rechte that – so hat's Adalbert gethan. Und wenn er wohl einmal auf meine Remonstrationen hin lachend sagte: nun so heirate ich später eines von den Mädchen, dann bleibt's in der Familie! so war's eben ein Scherz, an dessen ernstliche Erfüllung er nie gedacht hat. Am allerwenigsten in dem Augenblick, als die Erfüllung nun doch kam, und er sich dessen bewußt wurde, was er ahnungslos schon seit Jahren, ich möchte sagen: immer gethan hatte; sich bewußt wurde, daß er Sie liebte. So, Hilde, jetzt wissen Sie alles. Und nicht wahr, nun wird auch alles wieder gut werden; nun ist schon alles wieder gut?

Er hatte, sich vorbeugend, ihre Hand erfaßt, aber sein herzlicher Druck wurde nicht erwidert. Sie ließ nur die andere Hand vom Gesicht sinken und sagte, vor sich hinstarrend, den Kopf leise bewegend:

Das wird nicht wieder gut – nie!

So scheint es Ihnen in diesem Augenblick; sagte er mit mildem Zuspruch; Sie werden morgen anders und besser darüber denken.

Nie! wiederholte sie, ihm ihre Hand entziehend und sich ein wenig aufrichtend. Sie sprechen darüber als Mann; Sie verstehen das nicht.

Ich würde es allerdings nicht verstehen, erwiderte er ernst, wenn Sie jetzt, nachdem der gräßliche Druck, der auf Ihrer armen jungen Seele und auf Ihrem jungen Glück gelegen hat, von Ihnen genommen ist, nicht befreit aufatmeten und mutig daran gingen, wieder einzubringen, was Sie versäumt haben – ich will sagen: wie die Dinge unselig lagen, ohne Ihre Schuld; aber doch versäumt haben.

Sie schüttelte wieder den Kopf und sagte:Das spricht sich eben so leicht: einbringen! Wie kann man das einbringen? Werden die zerpflückten Blumen wieder ganz, weil ich wünsche, ich hätte sie nicht zerpflückt? Und: ohne Schuld! Ich? Ich bin nicht gut gegen ihn gewesen schon vorher – ehe die Pult kam – von Anfang an nicht: eigensinnig, launisch. Das große Schloß, der Park – es war mir alles zu klein und eng – ihm auch – er sehnte sich nach seinem Regiment, dem Exerzierplatz, den Kameraden. Glücklich waren wir nur, wenn wir so durch die Wälder jagten – stundenlang. Dann kam ich zum Liegen – so bald – und sagte mir jede Stunde: Du, der alles zu klein war, die du mit dem miserablen Schicksal grolltest, das dich nicht zu einer Königin gemacht hatte – du bist nun ein Häufchen Battist und Spitzen, während er in seinen großen Jagdstiefeln draußen umherstampft und sich langweilt und in Filzschuhen, um dich nicht zu stören, stundenlang durch die Zimmer schlürft und sich langweilt, oder vor deinem Bette sitzt und dir vorliest und sich wieder langweilt. Ach! das kann ja kein Mann verstehen, was da in einer Frau vorgeht – in mir vorgegangen ist. Möglich, daß andere anders und besser sind, als ich. Und hätte ich nun gar gewußt, wie teuer er sich sein Häufchen Battist und Spitzen gekauft hatte! Ich glaube, ich wäre rasend geworden. Das könnte mich noch nachträglich rasend machen.

Sie war plötzlich aufgesprungen und irrte, jetzt die Hände in kurzem krampfhaften Zucken ringend, jetzt wieder mit den Fingerspitzen ein und das andere Möbel berührend, durch das Gemach. Auch Escheburg hatte sich erhoben, vom Tisch, an den er sich lehnte, traurigen Blickes das unglückliche Kind in seinen jähen und doch immer anmutigen Bewegungen verfolgend. Sie war ja in seinen Augen in vielen Beziehungen wirklich nur ein Kind. Aber gerade das machte den Fall so schwierig und, wie es ihm jetzt bedünken wollte, fast verzweifelt. Aber er durfte nicht verzweifeln.

Halten Sie an einem fest; sagte er: Adalbert liebt Sie; hat nicht aufgehört, Sie zu lieben, was auch geschehen sein mag.

Er muß es! rief sie heftig, stehen bleibend und mit dem Fuße stampfend, – längst! Er wäre kein Mann, wenn er es nicht gethan hätte – ich würde ihn verachten. Ich weiß, daß er mich nicht mehr liebt. Neulich – nach dem Leseabend hier. Ich hatte es eben der Pult abgetrotzt; mein Herz war so voll – ich glaubte auch: nun wird es wieder gut. Er –

Die Thränen brachen ihr aus den Augen, sie trocknete sie hastig, trotzig.

Er hat ja recht. Ein Sklave, ein Hund liebt weiter, wenn er mißhandelt wird; ein Mann wirft der Frau, die ihn mißhandelt, seine Liebe vor die Füße. Und liebt eine andere, irgend eine: Poly oder Kora, oder beide – drei, vier – es ist ja ganz gleich.

Escheburg stand da mit gesenktem Haupt, schweigend. Was sollte, was konnte er hier noch sagen? Half sich hier die empörte Natur nicht selbst – menschliche Hilfe gab es nicht.

Sie war an ihn heran getreten und legte ihm die Hand auf die Schulter.

Armer lieber Freund, und das ist nun der Dank! Dafür haben Sie sich für mich gemüht von meinen Kindesbeinen an – immer treu, immer gleich gütig – so gütig und zart! Sehen Sie, Escheburg – es ist freilich lächerlich, aber warum soll ich Sie nicht auch einmal nach all dem Traurigen zum Lachen bringen – und Sie wissen ja, wie ich immer nach allem Besten verlangend die Hände streckte: ich habe mehr als einmal geglaubt, daß Sie mich liebten. Nicht wie andere Männer lieben, dazu sind Sie zu klug. Aber so ein Stückchen vom Herzen habt ihr klugen Leute doch auch, und das hängt ihr dann in den Stunden, mit denen ihr sonst nichts anzufangen wißt, an ein kleines kindisches trotziges Ding; – je kindischer und trotziger, je lieber ist es euch wohl gar. Ach, Escheburg, und so zu einem Manne hinauf sehen zu dürfen, der uns mit sich spielen läßt, weil er weiß, daß er uns mit einem Blick seiner mächtigen Augen zermalmen kann –das, Escheburg, das muß göttlich sein; nicht wahr, lieber, geliebter, mein einziger Freund!

Und beide Arme um seinen Nacken schlingend, schmiegte sie das glühende Gesicht an seine Brust, mit den thränenfeuchten Augen schwärmerisch zu ihm aufschauend.

Für einen Moment war er starr vor süßem Entsetzen. Wie im Blitz lag vor ihm ausgebreitet das Paradiesesland seiner seligsten Träume und klaffte der schwarze verschlingende Abgrund zu seinen Füßen. Als müßte er sie, sich selbst von dem Abgrund reißen, löste er ihre Arme, drängte sie von sich weg in den Sessel und kniete an ihrer Seite, stammelnd mit bebenden Lippen:

Hilde, geliebtes Kind – einst – einst! jetzt nicht mehr – nimmermehr!

Und nun war sie es, die ihn von sich drängte; und, aufspringend, vor ihm, der sich zugleich erhoben hatte, dastand mit blitzenden Augen:

Sie lieben Kora!

Und wenn ich es thäte!

Wenn! ich habe die Wenn übersatt. Lieben Sie Kora, oder nicht? Ja.

Er hatte den Mut, ihr fest in die flammenden Augen zu sehen und auch nicht zusammen zu zucken, als sie zu wanken schien, während eine tödliche Blässe ihr Gesicht überdeckte.

Dann mußte er doch wohl weggeblickt haben. Als er bei dem Rauschen ihres Kleides aufschaute, sah er nur noch die leichte entschwebende Gestalt, hinter der sich alsbald die Portiere schloß.

Er nickte ihr tief aufatmend nach: Leb wohl! Es mußte sein – für mich und Dich!



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