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Drittes Kapitel.

Die Thür hatte sich hinter der hohen Gestalt geschlossen; die Generalin umarmte Hilde von neuem.

Ich danke Dir, mein Herzenskind, mein Liebling! Nun sehe ich doch, daß Du Deine alte Mama noch nicht ganz vergessen hast, noch immer ein wenig liebst. Nicht wahr, Du thust es?

Wie kannst Du daran zweifeln? sagte Hilde, indem sie sich doch zugleich der Umarmung entzog. Komm, Mama, laß uns sitzen! Ich bin etwas abgespannt.

Sie hatte sich mit einer müden Bewegung in die Sofaecke sinken lassen; die Generalin nahm an ihrer Seite Platz.

Mein armes Kind! Weshalb auch die lange Fahrt von Frankfurt in einem Zuge! Ihr konntet ja in Heidelberg oder Karlsruhe Station machen. Ich finde es von Deinem Manne etwas rücksichtslos – wenn Du mir den Ausdruck verstatten willst – Dir eine solche Anstrengung zuzumuten. Aber trotzdem – Du siehst entzückend aus, Kind! Du bist womöglich noch schöner geworden.

Sie hatte Hildes herabhängende Hand ergriffen und wiederholt geküßt.

Aber Mama! sagte Hilde.

Der gestrenge Herr sieht uns ja nicht, sagte die Generalin; freilich –

Sie hatte sich schnell erhoben und war an die Flügelthür getreten, welche in den nebenan liegenden Salon führte, aus welchem jetzt dumpfe Stimmen ertönten. Sie lauschte ein paar Momente und kam zu ihrem Platz zurück.

Wir können ganz ruhig sprechen, sagte sie; man versteht kein Wort. Ich habe mich schon vorher davon überzeugt in unserm beiderseitigen Interesse. Es ist Dir doch recht, daß ich Euch die Zimmer nebenan verschaffte? Ich wollte mein süßes Herzblatt gern in meiner unmittelbaren Nähe haben. Und nun, mein geliebtes Kind, eine Frage, die ich brieflich nie zu äußern wagte, und die mir doch fast das Herz abbrennt: bist Du glücklich?

Aber das versteht sich doch von selbst, sagte Hilde mit halbgeschlossenen Augen.

Gar nicht von selbst, sagte die Generalin lebhaft. Ich kenne hundert Ehen von Leuten, die sich aus Liebe heirateten, wie man das nennt, und die nichts weniger als glücklich sind. Nicht, als ob ich an Deinem Glücke zweifelte, liebes Kind – der Himmel verhüte! Ich wäre die unglückseligste der Mütter, wenn es sich anders verhielte. Nein, nein! Aber Ihr seid so sehr im Alter verschieden – zwanzig Jahre –

Bitte, siebzehn –

Also beinahe zwanzig; und ich habe mich – Du mußt es der liebenden Sorge einer Mutter zu gute halten – ich habe mich damals schon und auch inzwischen nicht davon überzeugen können, daß Euere Charaktere, Euere Neigungen zu einander passen.

Er trägt mich auf Händen, sagte Hilde.

Nun, das will ich hoffen, fuhr die Generalin eifrig fort. Es wäre der Abgrund von Grausamkeit und Barbarei, wenn er es nicht thäte. Auch Dein lieber seliger Vater trug mich auf Händen, und ich war doch nicht glücklich.

Aber ich bin es! rief Hilde ungeduldig.

Mein Gott, ich glaube es ja, sagte die Generalin beschwichtigend, obgleich das Gegenteil kein Wunder wäre nach allem, was Du in Deiner kurzen Ehe hast erdulden müssen: zwei Jahre! und davon zwölf Monate gelegen! Es ist entsetzlich!

Dafür kann doch Adalbert nichts; murmelte Hilde, durch das Fenster neben dem Sofa auf die Promenade blickend.

Natürlich, sagte die Generalin; wofür könnten auch die Männer! Sie sind an allem unschuldig, was wir armen Frauen durchzumachen und zu leiden haben. Wir opfern ihnen unsere Freiheit, unsere Jugend, unsere Schönheit, unsere Gesundheit, und sie nehmen das alles hin ohne Dank.

Ich bitte Dich, Mama, höre auf! rief Hilde, sich von dem Fenster wieder zur Mutter wendend. Und dann, um ihre Heftigkeit wieder gut zu machen: was quälst Du aber auch mich und Dich mit solchen hypochondrischen Grillen! Ich bin hierher gekommen, um mich für alles, was ich – gleichviel! – um mich zu amüsieren, lustig zu sein. Ich reise auf der Stelle wieder ab, wenn Du mir nicht sofort ein freundliches Gesicht zeigst.

Wenn ich nur Deines erst heiter sähe!

Wie kann man heiter sein, wenn man fortwährend so melancholisch prüfende Augen auf sich gerichtet weiß! Das kann einem ja allein schon das bischen Freude am Leben verderben. Und nun, Mama, muß ich mich wohl um die andern bekümmern.

Nur noch eine Minute! sagte die Generalin; mein Gott, ich habe Dich nun zwei Jahre entbehren müssen; kein vertrauliches Wort seitdem sprechen dürfen, kein Wort der Liebe seitdem vernommen –

Aber Mama!

Nein, mein Kind! ich danke Gott, daß Du nicht zu klagen hast; aber um so weniger darfst Du es mir übelnehmen, wenn ich klage, die ich wahrhaftig Grund genug zur Klage habe. Kora –

Kora sollte auch heiraten, sagte Hilde schnell; Ihr paßt nun einmal nicht zusammen.

Die Generalin lächelte bitter.

Kora und heiraten? Wen denn? Den Mann im Monde? Kora ist so gut und liebenswürdig. Nicht gegen mich. Du hättest nur bei der Scene zugegen sein sollen, die ich vor einer Viertelstunde hier mit ihr gehabt!

Ich liebe Scenen gar nicht.

Ich gewiß ebensowenig, sie sind mir ein Greuel; aber wie soll man sie vermeiden, wenn man dazu provoziert wird – in einer Weise! Laß Dir erzählen –

Um Himmelswillen –

Du mußt! Ich will nicht von Dir und Deinem Manne falsch beurteilt werden, und Kora hat es darauf abgesehen, daß Ihr gar nicht anders könnt. Höre!

Die Generalin faßte mit einem hastigen Griff nach ihrer Frisur, strich sich das Kleid über den Knieen glatt und fing an zu erzählen, ohne auf Hildes abweisende Miene und Bewegung zu achten, während ihre bleichen Wangen sich röteten, und das Zittern ihrer Stimme die Bewegung verriet, in der sie sich befand, und in die sie sich nur noch immer tiefer hinein zusprechen schien.

Es handelte sich um Koras Zimmer im vierten Stock. Die Generalin hatte es natürlich nie gesehen, aber Frau Pult sage, es sei ein Dienstbotenzimmer und sei ja auch ursprünglich für Frau Pult bestimmt gewesen. Nun aber könne doch niemand von Frau Pult, die überdies in der letzten Zeit recht gebrechlich geworden sei, verlangen, daß sie fortwährend zwischen dem vierten und ersten Stock hin und her laufe; und so habe sie der Alten selbstverständlich von den beiden kleinen einfenstrigen Zimmern dort neben dem Salon das eine anweisen müssen. Dabei sei es nun nicht zu umgehen gewesen, daß Kora in dem Kämmerchen oben schlafen mußte – natürlich nur während der paar ersten Nächte, bis in dem überfüllten Hotel ein anständiges Zimmer frei würde. Das sei nun, freilich erst in den letzten Tagen, wiederholt der Fall gewesen, und sie habe Kora eben so oft gebeten, von der Gelegenheit Gebrauch zu machen. Kora habe es immer verweigert, auch vorhin wieder, trotzdem sie – die Mama – einen Trumpf darauf gesetzt und das Changement weniger erbeten als befohlen habe.

Denn natürlich, fuhr die Generalin immer heftiger fort, ich weiß doch, wie leicht dergleichen falsch ausgelegt werden kann; und wenn ich auch Deiner sicher bin, Dein Mann hat mich immer falsch beurteilt, und da heißt es dann gleich wieder: unzärtliche Mutter, armes vernachlässigtes Mädchen – man kennt das! Und Kora weiß das eben so gut; aber gerade das will sie, darauf legt sie es an, und das ist es eben, was mich so empört. Und nun denke Dir, Kind, in dem Augenblicke, wo ich sprachlos über ihre Halsstarrigkeit dasitze, und die gute Pult, die mich gerade frisiert und immer ihre Partei nimmt, – trotz alledem – mir in die Ohren raunt: ich sollte mich doch nicht so aufregen, sie wolle es schon in Ordnung bringen, und Kora meine es auch nicht so bös, sagt mir Kora ganz ruhig, als verstände es sich von selbst: Professor Escheburg sei heute Morgen angekommen und wohne auch hier im Angleterre, und er hoffe, mich, da er vorher nur zu stören fürchte, bei Tische begrüßen zu können. Du lachst?

Verzeihe, Mama! aber nun begreife ich Deine schlimme Laune. Daß Dir der hier über den Weg laufen mußte, nachdem Du ihm ein so kolossales Mißtrauensvotum gegeben hast! Das ist freilich zu arg!

Und Hilde begann von neuem zu lachen.

Besonders, sagte die Generalin, deren Unwillen eine in ihren Augen so unzeitige Fröhlichkeit nur vermehrte, wenn ich mich darüber nicht verblenden kann, daß dies eine zwischen den beiden abgemachte Sache, ein Komplott ist.

Unmöglich! rief Hilde. Kora lügt nicht. Sie hat mir noch in ihrem letzten Briefe geschrieben: Ihr hättet selbstverständlich, da Du ihr verboten, an Escheburg zu schreiben, gar keine Nachricht von ihm gehabt; und sie glaube, daß er inzwischen, weil doch die Ferien zu Ende gingen, nach Berlin zurückgekehrt sei.

So haben die schönen Geister sich gefunden, ohne sich zu suchen, sagte die Generalin bitter.

Und wenn es der Fall wäre? rief Hilde. Ich glaube es nicht; sie hätten sich sonst längst gefunden – aber darin sehe ich kein Unglück – im Gegenteil!

Ich hasse den Menschen, murmelte die Generalin mit bebenden Lippen.

Ich dachte, diese Ehre erwiesest Du nur dem, der Dir Deine Hilde entführt hat; erwiderte die junge Frau mit einer solchen Bitterkeit im Ton und einem so seltsam harten, ja feindseligen Blick, der plötzlich unter den langen Wimpern hervor das Antlitz der Mutter streifte, daß diese hätte stutzig werden müssen, wäre sie nicht auf die Verfolgung ihres Themas zu erpicht gewesen. So fuhr sie denn mit nur noch erhöhtem Eifer fort:

Er hat, was in seinen Kräften stand, gethan, daß es geschehen ist.

Was?

Daß Ihr Euch geheiratet habt.

Da mußte Adalbert wohl erst aus anderen Banden freigemacht werden?

Wer weiß! sagte die Generalin achselzuckend.

Du! Du weißt es!

Hilde war von dem Sofa aufgesprungen und stand jetzt vor der Mutter, mit blassen Wangen und starren Augen, deren tiefes, durchsichtiges Blau der Zorn unheimlich verfinstert hatte. Die Generalin erschrak um so heftiger, als sie den Ausbruch nicht hatte kommen sehen. Sie hatte sich so fest vorgenommen, in dem Verhältnis zu ihrem Schwiegersohn und Hilde die größte Vorsicht anzuwenden; die Situation erst gründlich zu studieren, bevor sie eine Stellung nahm, das heißt: ihren alten Einfluß auf Hilde wieder geltend zu machen suchte. Nun hatte sie sich doch fortreißen lassen, und es war zu spät, die verlorene Neutralität zurückzugewinnen. Sie kannte Hilde. Mit mütterlicher Ueberlegenheit war nichts gegen sie auszurichten. So lehnte sie sich denn in das Sofa zurück, drückte das Tuch gegen die Augen und murmelte:

Das habe ich nicht um Dich verdient.

Laß das Weinen, Mama! sagte Hilde, weniger heftig, als sie zuletzt gesprochen, aber doch sehr bestimmt. Du hast da etwas angedeutet, was ich wissen muß und wissen will. Ich habe dazu meine sehr bestimmten Gründe, ich – mit einem Worte, ich will es wissen.

Mein Gott, sagte die Generalin, die mittlerweile Zeit gewonnen hatte, zu überlegen, wie weit sie jetzt gehen und wie sie es vorbringen sollte: es ist wirklich nicht wert, daß Du Dich darüber so aufregst, es ist vielleicht gar nichts als ein leeres Gerede und bloßes Renommieren von der Renner –

Von wem? sagte Hilde.

Von Hippolyta Wolfsberg, die den Geheimrat Renner geheiratet – vier Wochen nach Deiner Hochzeit.

Hilde brach in ein Gelächter aus: Von Poly, rief sie, der schönen Poly? Adalberts alter Flamme? das hättest Du auch gleich sagen können!

Das Lachen war nicht eben heiter gewesen; die Generalin hatte es wohl herausgehört; aber offenbar hatte Hilde doch etwas andres erwartet – etwas, das ihr noch weniger lieb gewesen wäre. Die Generalin würde viel darum gegeben haben, hätte sie gewußt, was dieses Etwas war. Indessen auch dies würde Hilde am Ende nicht ganz leicht nehmen.

Siehst Du, sagte sie, nun kannst Du wieder lachen, und ich brauche gar nicht weiter zu reden; Du bist jetzt vollkommen au fait.

Sehr wahrscheinlich, erwiderte Hilde, darum will ich aber dennoch wissen, was die schöne Poly gesagt hat.

Also – aber zuerst thue mir die Liebe und setze Dich wieder zu mir; ich kann wirklich nicht vernünftig sprechen, wenn mein Liebling so vor mir steht und mich mit den großen Augen so finster ansieht. – Das ist lieb. Gestern also –

Poly ist hier?

Seit ein paar Tagen mit ihrem Bruder, dem Leutnant – sie wohnen im Hotel de l'Europe, dicht neben uns; ich begegnete ihr gestern auf der Promenade, und wir gingen ein Stückchen zusammen, während Kora sich von dem jungen Wolfsberg den Hof machen ließ. Es ist ja so natürlich, daß die Rede auf Euch kam, nicht wahr? und daß ich ihr sagte, ich erwartete Euch für heute. Die Frau Geheimrat, die sehr gesprächig war, wurde plötzlich einsilbig, was mir auffiel und, offen gestanden, mich ein wenig stutzig machte. Was konnte ihr jetzt noch daran gelegen sein, ob sie mit Euch, ich meine mit Deinem Manne, wieder zusammentraf oder nicht? Ich erlaubte mir nun, ein wenig auf den Busch zu klopfen – Du kannst Dir denken, mit welcher Vorsicht! Aber die schöne Frau – sie ist wirklich sehr schön – hatte das Herz so voll. Du weißt, ich habe Wolfsbergs nie gemocht, und Poly ist mir immer odiös gewesen mit ihrer entsetzlichen Koketterie und ihrer Geistreichthuerei. Aber jetzt mußte ich sie doch bemitleiden. Es scheint, sie ist sehr unglücklich in ihrer Ehe – wie sollte sie nicht? der Mann ist, glaube ich, sechzig Jahre und sie hat ihn aus Verzweiflung geheiratet –

Das alles hat sie Dir gleich in der ersten Minute anvertraut? sagte Hilde spöttisch.

Mein Gott, so etwas wird einem natürlich nicht gesagt, erwiderte die Generalin; so etwas hört man zwischen den Worten heraus. Nun hast Du mich ganz aus dem Text gebracht.

Ich kann mir den Rest denken, sagte Hilde. Sie hat den alten Herrn geheiratet, weil sie mit Adalbert vergeblich kokettiert hatte, wie mit tausend andren.

Nicht wie mit tausend andren: sie sind verlobt gewesen.

Das lügt sie, rief Hilde heftig.

Natürlich nicht öffentlich, fuhr die Generalin ruhig fort, sonst hätten wir's ja gewußt; aber sie sind verlobt gewesen, und nur deshalb nicht öffentlich, weil man einen Freund von Adalbert, der rasend in Poly verliebt war, nicht kränken wollte.

Wie rücksichtsvoll! sagte Hilde. – Weiter!

Liebes Kind, ich kenne die Details auch nicht. Nur so viel glaube ich verstanden zu haben, daß ein unschuldiger Scherz, den sich Poly erlaubt hat, um die Liebe ihres Verlobten auf die Probe zu stellen, die Ursache des Bruches gewesen ist.

Eine reizende Geschichte! sagte Hilde. Und was hat mit derselben der Professor zu thun?

Noch einmal, liebes Kind, ich weiß nichts Bestimmtes; ich kann nur aus gewissen Andeutungen, vielmehr einzelnen bezeichnenden Worten, die der aufgeregten Frau unwillkürlich entschlüpfen mochten, kombinieren. Sie nannte Escheburg einen Mephisto, der es meisterlich verstehe, ein leicht aufzulösendes Mißverständnis unlösbar zu verwirren, und aus einem übermütigen Scherz ein Verbrechen zu machen.

Du unschuldsvoller Engel, du! sagte Hilde; wahrhaftig das reine Gretchen! Sollte Gretchen nicht auch rotes Haar gehabt haben? Was meinst Du, Mama?

Ich freue mich, daß Du die Sache so heiter nimmst, sagte die Generalin mit einem Versuch zu lächeln, der nicht recht gelingen wollte.

Aber wie sollte ich sie anders nehmen? rief Hilde, die vor den Pfeilerspiegel getreten war und an ihrem Haar nestelte. Die Sache ist ja so heiter wie möglich. Escheburg als Mephisto mit schiefen Augenbrauen; die rote Poly als Gretchen am Spinnrocken mit dem Schmuckwalzer und Adalbert natürlich als Faust; er sieht jetzt mit dem langen blonden Barte wirklich Niemann Möglicherweise ist hier der Theaterschauspieler August Niemann (1837-1902) gemeint. ähnlich. Oder sollte ich die Geschichte etwa nicht scherzhaft nehmen? Hättest Du vielleicht noch eine andre in petto, zu der diese nur die Einleitung war, und die ich nicht scherzhaft nehmen könnte?

Sie hatte sich plötzlich vom Spiegel wieder zu der Mutter gewandt, die sich rasch von dem Sofa erhob.

Aber, süßes Kind, wie kannst Du das fragen? Eine andre Geschichte? was meinst Du damit? Ich weiß von keiner andern. Ich finde diese schon reichlich schlimm; aber das ist vielleicht nur übertriebene mütterliche Aengstlichkeit. Jedenfalls bin ich sehr glücklich, daß Du über etwas scherzen kannst, was mir so böse Stunden gemacht hat.

Ob ich darüber scherzen kann! rief Hilde lachend. Ich finde die Komödie sogar höchst ergötzlich. Eins ärgert mich freilich: daß in dem Stück kein Platz für mich bleibt, nachdem Du die Rollen sämtlich verteilt hast. Siebel wird zwar immer von einem Frauenzimmer gesungen Der Jüngling »Siébel« in Charles Gounods Oper »Faust« (1859) ist eine sog. ›Hosenrolle‹., aber zu einem schmachtenden Liebhaber habe ich kein Talent. – Himmel, halb sechs! ich muß mich ja noch schön machen. Du bist schon im Staat. Ein ganz neues Kleid? Es steht Dir gut; nur die Aermel müßten höher sitzen, und die Raffung hier ist auch nicht sehr geschmackvoll. Ich will Dir das gelegentlich selbst arrangieren; die Schneiderinnen sind alle dumm. Also auf Wiedersehen in zehn Minuten! Gleich die nächste Thür rechts, nicht wahr?

Sie war trällernd zum Zimmer hinaus. Die Generalin hatte sich wieder in die Sofaecke sinken lassen und saß da, mit gesenkten Blicken und finster zusammengezogenen Brauen vor sich hinbrütend. Da hörte sie nebenan laut sprechen und lachen und in hellen Tönen singen. Sie wußte nicht, sollte sie sich über Hildes Fröhlichkeit freuen? oder ärgerlich sein, daß ihre Mitteilungen so gar keinen Eindruck gemacht hatten, vielmehr den entgegengesetzten von dem, den sie beabsichtigt? Nein, nicht beabsichtigt! Sie hatte ja Hilde nicht erschrecken oder gar mit ihrem Manne in Unfrieden bringen wollen – Gott bewahre! Nur ein wenig zur Vorsicht mahnen und daran, daß es auch noch eine sorgende Mutter gibt, zu der man im Notfalle seine Zuflucht nehmen kann. Und wenn sie doch zu weit gegangen war, oder besser von der ganzen Geschichte nicht angefangen hätte – wer war daran schuld als Kora – sie und der Professor! Natürlich, wenn einem erst vorher die Stimmung so gründlich verdorben wird! Und die Sache ist doch so! Der Intriguant hat Osseck und Poly Wolfsberg auseinandergebracht, weil er wußte, daß die anspruchsvolle Person den lieben Freund in aller Kürze ruinieren würde. Möglich ist ja auch, daß er Hilde eine gute Partie verschaffen wollte. Er hat sich ja von jeher als Vormund der Kinder aufgespielt. Was Hilde nur mit der andern Geschichte meinte? Sie kam zweimal darauf zurück. Das muß ich herauszubringen suchen – auf jeden Fall!

Die nur angelehnte Thür zu dem Schlafzimmer nebenan wurde langsam aufgedrückt; Frau Pult schlich in das Gemach. Die Generalin schaute auf.

Du hast natürlich wieder alles gehört, sagte sie.

Die Gnädige hat doch sonst keine Geheimnisse vor mir, erwiderte Frau Pult.

Nun, und was sagst Du?

Ich sage, daß ich es nicht hübsch von der Frau Baronin finde, wenn sie sich mit keinem Wort nach ihrer alten Pult erkundigt.

Nach Dir? freilich! was fragt sie jetzt nach Dir oder nach mir! Sie hat ja ihren Mann! Wir beide sind abgesetzt.

Die Generalin starrte wieder vor sich hin.

Pult, begann sie von neuem, da Du doch alles gehört hast: was kann Hilde mit der andern Geschichte meinen, zu der die von Poly Wolfsberg und dem Baron nur die Einleitung sein sollte, und die sie nicht scherzhaft nehmen würde?

Die Alte warf einen schielen Blick auf die Gebieterin und sagte trotzig:

Ich weiß nichts. Fragen Sie sie doch selber! Sie sind ja die Frau Mutter. Wenn so ein armer Dienstbote wie ich sich zwischen die Herrschaften drängt, hernach kriegt er's von beiden Seiten.

Du bist nicht klug! sagte die Generalin ärgerlich.

Meinetwegen; murmelte Frau Pult, aber so dumm bin ich doch nicht, daß ich mir unnötig den Mund verbrennen werde.

Pult, rief die Generalin, sich aus der Sofaecke aufrichtend, Du weißt es! Und es muß etwas sein, das stattgefunden hat, als Du in Ossecken warst.

Möglich; sagte die Alte trotzig, jedenfalls weiß ich es nicht. Ich weiß nur, daß es gleich zum erstenmal läuten wird, und daß, wenn die Gnädige sich jetzt nicht anziehen läßt, sie zu spät zu Tisch kommt.

Sie war in das Nebenzimmer gegangen. Die Generalin stand noch ein paar Augenblicke und lauschte nach dem Osseckschen Salon. Sie konnte die Worte nicht verstehen, aber es war Hildes Stimme und dann die ihres Schwiegersohns, und sicher waren die beiden jetzt allein. In dem Ton sprechen Gatten nur, wenn sie unter sich sind. Oder war es die Doppelthür, die den Ton der beiden Stimmen so dumpf, so geschäftsmäßig bleiern machte?

Die Generalin strich sich über die Stirn. Wie häßlich! da war sie zur Lauscherin an der Wand geworden. Und vorhin! Sie hätte es ihr nicht erzählen sollen – nein, nein! Es hatte nicht gut gewirkt, aber offenbar nur, weil Hilde irgend etwas andres von ihm wußte – etwas ganz Schlechtes – natürlich! Und etwas, wovon Hilde anzunehmen schien, daß auch sie es wissen könnte, wissen müßte! Was in aller Welt konnte das sein?

Der helle Ton der Tischglocke, der von unten herauftönte, machte die Generalin aus ihrem Brüten aufschrecken. Sie strich sich über die Stirn und schritt langsam nach dem Nebenzimmer, aus welchem die heisere Stimme der Pult ärgerlich nach der Säumigen rief.



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